Hannah Brinkmann Gegen mein Gewissen

© 2020 avant Verlag

Leseprobe

Hannah Brinkmann Gegen mein Gewissen avant Verlag, Berlin 2020 ISBN 978-3-96445-040-1 S. 77-91

GEGEN MEIN GEWISSEN

HANNAH BRINKMANN

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Die großen Protestmärsche sind zwar erstmal vorbei, aber

der Kampf geht trotzdem weiter - im Untergrund.

Die Schweine müssen endlich einsehen, dass wir keine Nazis im Schafspelz an den Universitäten

haben wollen! Und auch sonst nirgendwo dulden!

Irre ... und du mitten drin? Ich beneide

dich, Margret.

Hermann, duwürdest es lieben!

Viele meiner Freunde sind auch Pazifisten und wollen die

Bundeswehr komplett abschaffen.

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Ich will auch protestieren ...... was bewirken ... ... was verändern ...

Margret. Was erzählst du da für einen Mist?!

Die CDU ist nicht mehr regierende Partei.Die Sozialdemokraten regieren endlich!Willy Brandt steht ein für die Jungen. Und räumt auf in den Verwaltungen.

Die Proteste sind vorbei.

Es wird Zeit, dass endlich Frieden ist.

Frieden?!Träum weiter,

Eduard!


Wenn unser Verteidigungsminister die

Bundeswehr als Schule der Nation bezeichnet ...

... die Springer-Presse weiterhin konservative

Hetze fabriziert ...

... und Nazi-Richter und Offiziere schön bis zur

Rente arbeiten können ...

Dann ist gar nichts vorbei! Friedlicher Protest reicht nicht mehr - wir müssen

jetzt Taten sprechen lassen.

Du redest wie einer von diesen Baader-Meinhof

Vollpfosten.

Hör nichtauf sie,

Hermann!

Was Wichtigeres: Warst du schon bei Onkel Fritz? Und hast dir das Attest für die

Musterung geholt?

Ja ... ich hab eins ...

Rachitische Brust.


Haha! Das sollte funktionieren! Eine Hühnerbrust hast

du ja wirklich.

Iss mal lieber deine Torte.

Attest hin oder her. Ich will

trotzdem verweigern.

Du weißt, dass deine Chancen ausgemustert zu werden gleich null sind, wenn du verweigerst?

Richard, du bist mit dem Attest doch auch

durchgekommen!

Scheuermann-Syndrom war es, oder, Richard?

Hmh.


Kann ja alles sein, aber ich will trotzdem verweigern.

Sehr gut, Hermann - steh zu deinen

Prinzipien!

Als Kriegsdienstverweigerer bist du Teil der Opposition.

Margret.Halt doch mal den Mund.

Eduard! Es geht darum, für mein Grundrecht

einzustehen!

Jeder wahre Pazifist muss den

Kriegsdienst verweigern.

Ich will ein Zeichen

setzen.

Und den Antrag muss man zwei Wochen vor der Musterung stellen.


Kriege verwüsten und zerstörenganze Länder und ihre Völker!Als Wehrdienstleistender heiße

ich das sinnlose Töten gut!

Wir wollen keinen Krieg! Wir wollen kein Militär! Wir wollen keine toten Menschen und keine Waffen! Die deutsche

Waffenindustrie, die Bundeswehr - die auch nichts anderes ist als die Wehrmacht - all das stinkt nach der Vergangenheit!

Jetzt übertreibst du aber maßlos! Und sowieso: Das alles musst du den Prüfungsausschüssen erzählen. Mit der

Argumentation hast du überhaupt keine Chance ... Politik zieht da nicht! Und schon gar nicht die Vergangenheit ...

dann verweiger wenigstens als braver Katholik! Damit kommt man meistens durch.


Ich verrate doch nicht meine Grundsätze!

Dann kann ich ja gleich zum Scheiß-Bund!

Ich schiebe keine verlogenen Ausreden vor! ICH BIN KEIN FEIGLING!

Warum hast du dich nicht in Berlin wohnhaft gemeldet? So wie ich - dann hätten wir jetzt dieses Debakel nicht.

ICH DUCKE MICH NICHT WEG! IM GEGENSATZ ZU DIR, EDUARD!




Packt mal mit an, Jungs!

Hab ne Ladung Kippen aus Cloppenburg

mitgebracht!

50 Pfennig die Packung! Die können wir heuteAbend hier für ne Mark verschachern - ein

bisschen Kohle für die kommunale Kasse machen.

Astrein! Macke kommtauch gleich und bringt

frisches Hasch mit.

Astrein.



Na, Rita! Ist die Party so langweilig?Was ist denn so spannend, dass

du nicht mit uns feiern willst?

Ich hab nur nochein paar Seiten!

Aber wenn du es wissen musst:

Ah, Der Fremde!Das musste ichauch in einem

Stück durchlesen!

Wie schön! Magst du die französischen

Existenzialisten auch so?


Aber ja: „Das Leben verlieren ist keine große

Sache ...“

„... aber zuschauen,

wie der Sinn des Lebens aufgelöst

wird, das istunerträglich.“

Das ist aber finster!

Ich gehe lieber mit:

„Der Sinn des Lebens liegt darin, es vollund ganz zu genießen.“

Dann hast du sicher Lust zu tanzen!

Na, immer!


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