23
Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad Geschäftsbereichsleiter Wohnen am ZfP Südwürttemberg Sprecher des GPV im Landkreis Ravensburg Vorstandsmitglied Dachverband Gemeindepsychiatrie

Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF)eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen

Versorgung ?

Dr. Michael Konrad

Geschäftsbereichsleiter Wohnen am ZfP Südwürttemberg Sprecher des GPV im Landkreis Ravensburg Vorstandsmitglied Dachverband Gemeindepsychiatrie

Page 2: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Grundsätze der gemeindepsychiatrischen Versorgung in einem GPV mit

Versorgungsverpflichtung (gemäß UN-Behindertenrechtskonvention)

Personenzentrierung – Integration in die Gemeinde mit der Unterstützung, die benötigt wird

Inklusion – Teilhabe am gesellschaftlichen Leben

Diversity – keine einseitige Anpassung

Page 3: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Artikel 19 Selbstbestimmt Leben und Einbeziehung in die Gemeinschaft

Die Vertragsstaaten gewährleisten, dass

a) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben;

Page 4: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Wesentliches DilemmaAusgewogenes Verhältnis zwischen

Autonomie und Fürsorge

Page 5: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

BWF im Verhältnis zu anderen Wohnformen im GPV des Landkreises Ravensburg

2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

107

332

448

208

227 201

7284 80

Entwicklung der Klientenzahlen im betreuten Wohnen

ABW Stat. BW BWF

Anz

ahl d

er K

lient

Inne

n

Page 6: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Funktionswandel des BWF in der GemeindepsychiatrieVon der Dauerplatzierung in einer Gastfamilie zum

Lernfeld für ein autonomes Leben

Page 7: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Wandel der Klientel im GPV im LK Ravensburg

ABW SBW BWF RPK SpDi6%

20%19%

20% 56%

26%

10%

10%

28%

14%

40%

35%

27%

24%

8%

20%

8%

10%

17% 15%

53%

8%

26%

Vergleich Diagnosen in verschiedenen Wohnformen U30

Sucht Schizophrenie Affektive Störungen

Persönlichkeits-störungen

Neurotische Störungen

Psychische ErkrankungenKiJu

Page 8: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Krisenprävention durch Gastfamilien

BWF SpDi ABW Stat. BW ABW plus

18

23

2930

k.A.

13

2225

31

41.7

KlientInnen mit ein oder mehreren stationären psychiatrischen Behandlungen

2013 2014

Ant

eil K

lient

Inne

n in

%

Page 9: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

…und die Krisenaufenthalte in der Klinik dauern weniger lang

ABW Fachpflegeheim SpDi Wohnheime BWF ABW plus0

5

10

15

20

25

30

29

5

46 18

2,9

1 4

9

0

5

Anzahl der KlientInnen in längeren stationären Kriseninterventionen nach Wohnform

30 bis 90 Tage 91 bis 180 Tage

Ant

eil

der

Klie

ntIn

nen

in %

Page 10: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Warum kann eine Gastfamilie die Autonomie eines psychisch kranken

Menschen fördern?

Weil die Familie seit Jahrtausenden die wesentliche Sozialisationsinstanz ist und entgegen den Unkenrufen des

Funktionsverlustes der Familie nach dem 2. Weltkrieg auch geblieben ist

Page 11: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Hegel:Familie als zentrale Verwirklichungsstätte

sozialer Freiheit

200-jähriger Wandel der bürgerlichen Familie von einer hierarchischen Instanz mit

klarer Rollenaufteilung zu einer

gleichberechtigten Einheit mit flexiblen Rollenmustern

Honneth: Das Recht der Freiheit

Page 12: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Von den Stachelschweinen lernen Schopenhauer

An einem kalten Wintertag sehnten sie sich nach Wärme. Um sich vor dem Erfrieren zu schützen, drängelten sie sich daher ganz dicht aneinander. Doch die erhoffte Gemütlichkeit blieb aus: mit ihren Stacheln verletzten sie sich gegenseitig. So liefen sie wieder auseinander und jedes Stachelschwein fror alleine vor sich hin. Schließlich rückten sie wieder ein wenig näher zusammen – doch nicht allzu nahe – „bis sie eine mäßige Entfernung voneinander herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten

Page 13: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Partnerschaftliches Gleichheitsidealnach dem Modell romantischer Liebe

Vater, Mutter und Kindsind jeweils so einbezogen,

dass sie entsprechend ihrer Bedürftigkeit Fürsorge und Anteilnahme erhalten

Page 14: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Aushandlung von Grenzen bei Ambivalenzzwischen Verschmelzungstendenz und Rebellion

Page 15: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Neudefinition von Familie

jede Lebensform , deren Selbstverständnis die Vorbereitung auf ein selbständiges Leben ist

Heterosexuelle und homosexuelle Paare mit und ohne Kinder,

Allein lebende Erwachsene mit und ohne Kinder Auf langfristiges Zusammenleben eingestellt

Wohngemeinschaften

Page 16: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Die diskrete Arbeit der Transformation(Schöneberger)

Die entstehenden Konflikte müssen spontan angegangen werden; sie lassen

den Umweg über Teamkonflikte, Teamsupervisionen und Festlegung von

Regeln nicht zu.

Page 17: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Was hat die Gastfamilie von der Aufnahme eines psychisch kranken Menschen ?

Sie profitiert

Die elementare Struktur der Familie besteht im Tausch. Gastfamilien müssen in irgendeiner Form etwas davon haben, eine Wahlverwandtschaft einzugehen

Page 18: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Zum Beispiel…Gastfamilie Karin Müller und Kai Schmidt ,Anfang 50, seit 27 Jahren verlobt. Kinder aus vorherigen Beziehungen großgezogen ,80-jährige an Demenz erkranke Mutter im HausGaststätte, Second-Hand-Laden, Wohnungsentrümplungen .Hauptberuf freiberufliche Musiker und Produzenten mit eigenem Tonstudio keine Tabuzonen Bewohner Herr Rudolff , Seit Jahren krankheitsuneinsichtig, lebte unbehandelt auf Platte, schwor dem Establishment ab. Akut psychotisch bekämpfte er Symptome mit Alkohol Cannabis. Beschimpfungen /Provokationen durch Entblößung des Hinterteils.Lebensperspektive: individuelle Selbstverwirklichung, Schlafen im Schlafsack Duschen max. alle 2 Wochen ohne Seife, Verweigerung von Unterwäsche und SockenGastfamilie nahm ihn zunächst so wie er war, gemeinsame Einnahme der Mahlzeiten und Medikamenteneinnahme. Er erzählte aus seinem Leben. Unverbindliches Interesse an Wohnumfeld. Hilfe bei Autoreparatur, Entrümpeln. Tonstudio: Leidenschaft für Schlagzeug.

Page 19: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Zunehmend entwickelte sich eine Beziehung zu den Gasteltern, sodass es schon bald keine Tabuthemen mehr gab.

In beständiger Beharrlichkeit verhinderten die Gasteltern seine Verwahrlosung: wöchentliche Reinigungsaktionen die er als Einschränkung seiner Freiheit bewertete. Selbst die härtesten Auseinandersetzungen hinterließen keine Spuren der Verletzung und waren schnell vergessen. Seine Rolle: „Spinner“ im normalen Umfeld Eigenarten beibehalten. Seit 13 Jahren bei Gastfamilie, 2 stationär behandlungsbedürftige Krisen. Seit 11 Jahren WfbM. Im Gemeinwesen ist er bekannt, aber trotz seines Aussehens nicht gefürchtet, zum Teil sogar beliebt.

Page 20: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Können „gute“ Gastfamilien identifiziert werden?

Page 21: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Bewohnergruppen im BWF – Vielfalt durch optimales Passungsverhältnis

Chronisch psychisch kranke Menschen Menschen mit geistiger Behinderung Menschen mit Suchterkrankung Menschen mit Doppeldiagnosen Menschen mit gerontopsychiatrischer Erkrankung Pflegebedürftige Menschen Psychisch Kranke Eltern mit Kind

Page 22: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Fazit

BWF wird in GPV mit Versorgungsverpflichtung dringend benötigt

BWF gibt Klienten die Sicherheit, die für die Entwicklung von Autonomie erforderlich ist

Hinsichtlich Gastfamilien gibt es bei angemessener Finanzierung Luft nach oben (Ravensburg ca. 500)

Zur Gewinnung von Gastfamilien in der Stadt sollten Strategien entwickelt werden

Der Fachdienst sollte darauf achten, exotische Familienkonstellationen nicht auszuschließen

Page 23: Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF) eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen Versorgung ? Dr. Michael Konrad  Geschäftsbereichsleiter Wohnen

Vielen Dank für Ihre AufmerksamkeitEine Vertiefung des Themas finden Sie in diesem Buch