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Villingener Hefte Ein Dorf der Großgemeinde Hungen im Spiegel seiner kostbaren Archivunterlagen und Baudenkmäler. Heimatkundlicher Arbeitskreis innerhalb der Evangelischen Kirchengemeinde Villingen, Heft 5 VILLINGER HEFTE - ein Projekt des "Heimatkundlichen Arbeitskreis" der Evanglischen Kirchengemeinde Villingen www.villingen-online.de

Heft 5 Villingener Hefte...stehende Antriebswelle ermöglichte den Einsatz der Dampfmaschine als zentrale Kraftmaschine in Fabriken, mit der über Transmissionswellen und -riemen Arbeits-

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Villingener Hefte

Ein Dorf der Großgemeinde Hungen im Spiegel seiner kostbaren Archivunterlagen und Baudenkmäler.

Heimatkundlicher Arbeitskreis innerhalb der Evangelischen Kirchengemeinde Villingen,

Heft 5

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Villingener Hefte

Wer die Vergangenheit missachtet, ist dazu verdammt sie zu wiederholen. (Zitat eines unbekannten klugen Mannes)

Wilhelm Konrad; Heinz P. Probst; Otto Rühl. Heimatkundlicher Arbeitskreis der ev. Kirchengemeinde Villingen.

Heft 5.

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Inhaltsverzeichnis: Vorwort: 3 Villingen der alte Dorfkern 4

I. Dampfkraft in Villingen 5-25 II. Bettelfahrten 26-40 III. Gesinderegister 40-49 IV. Auszüge aus der Ortschronik 1862 50-52 V. Auszüge Gemeinderatsprotokolle 1862 52-66 VI. Auszüge Gemeinderechnungen 1862 67-69 VII. Bauformen im alten Villingen 70-73

VIII. Baudenkmäler in Villingen: Langgasse 7 74-75

IX. Zeugnisse der Rössener-Kultur 76-77

Impressum: 78 Firmen und Institutionen die uns unterstützt haben: 79-80

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Vorwort Wir freuen uns heute das reguläre Heft Nr. 5 aus der Villinger Geschichte vorlegen zu können. Daneben sind bereits 2 Sonderhefte erschienen („Die Villingener und ihr Wasser“ und „Erinnerung an Dr. Kammer“). Wie aber schon dargelegt, birgt unser Gemeindearchiv noch ein riesiges Potential an Unterlagen aus der Vergangenheit des Dorfes, wie es so kaum in anderen Dorf-Archiven zu erwarten ist. In diesem Heft beginnen wir mit dem Leitthema „Dampfkraft in Villingen“. Im letzten Beitrag dieses Heftes berichten wir aus der Vorgeschichte, von der Rössener Kultur. Darüber hinaus finden Sie wieder eine ganze Anzahl Beiträge aus der Vergangenheit unseres Dorfes und so hoffen wir auch diesmal auf Ihr Interesse. Uns ist bewusst, dass wir bei den Beiträgen nur eine kleine Auswahl treffen können, wir sind jedoch bemüht für fast alle interessierten Leser die Auswahl so vielgestaltig wie möglich zu gestalten. Wenn Sie Anregungen für unsere Arbeit haben, teilen Sie uns diese bitte mit. Wir bedanken uns bei allen denen, die bisher unsere Arbeit auf so vielfältige Weise unterstützen. Villingen/Queckborn im Oktober 2003. Heimatkundlicher Arbeitskreis der ev. Kirchengemeinde Villingen. Das Autorenteam: Wilh. Konrad; Heinz P. Probst; Otto Rühl.

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Abb. der alte Dorfkern von Villingen.

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I. Dampfkraft in Villingen, eine neue Ära beginnt im Dorf

Obwohl die Dampfkraft wohl schon in der Antike genutzt wurde, kommt

das eigentliche Zeitalter der Dampfkraft erst mit dem 18. Jh. auf. Im Zusammenhang mit dem Feuerwehrwesen stießen wir im Gemeinde-

Archiv auf Genehmigungsunterlagen zur ersten Dampfkraftanlage in Villingen, der recht bald weitere folgen sollten. Zunächst ein paar grundlegende Anmerkungen zur Dampfkraft.

In der griechischen Antike waren Zylinder und Kolben sowie die Eigenschaften des Druckes und der Bewegungskraft des Dampfes bekannt, die schon die Mechaniker zur Zeit Alexanders des Großen zu den damals machbaren Experimenten nutzten. Doch der damalige Kenntnisstand der Metallbearbeitung, der Metalleigenschaften und der Werkzeugkunde ließen eine Nachfrage nach der Nutzung von kontrolliertem hohem Dampfdruck vorerst nicht entstehen.

Wasser in den Gruben der englischen Bergwerke zwangen zu einem Anfang der Nutzung von größeren Energielieferanten.

Der immer größere Kohleverbrauch in England erforderte ständig tiefere Schächte. So drangen die Bergleute in Tiefen bis über 40 Meter, in den Gruben von Northumberland sogar bis zu 120 Meter vor. Dabei reichte die Stärke der wassergetriebenen Pumpen nicht mehr aus, weil sich mit der Länge auch das Eigengewicht des Pumpengestänges vergrößerte. Da Wasser mit Wasser gepumpt wurde, also die Wasserhebemaschinen mit Wasserenergie arbeiteten, waren die technischen Grenzen des althergebrachten Energiesystems erreicht. Das „Absaufen“ der Gruben konnte daher nur von der Energieseite her gelöst werden. Vor diesem Hintergrund entwickelten englische Ingenieure ein neues System der Energieerzeugung und Kraftübertragung, bei dem Wasser durch Kohle, Feuer und Dampf aus den Gruben gehoben werden konnte: Die Kolbendampfmaschinen. Während Denis Papin und Thomas Savery scheiterten, gelang 1712 dem englischen Eisenhändler und Eisenmeister Thomas Newcomen der Bau der ersten für Grubenzwecke leistungsfähigen Dampfmaschine. Bei Papins Entwicklungen von 1690 entstand durch die Abkühlung von Wasserdampf ein luftverdünnter Raum und damit ein Unterdruck im Zylinder, sodass der atmosphärische Luftdruck den Kolben im Zylinder nach unten schob, dagegen entwickelte Savery 1698 eine

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Dampfpumpe ohne Kolben, die im Wechsel von direkter expansiver Kraft des sich ausdehnenden Dampfes und indirekter Wirkung durch Erzeugung eines Vakuums erstmals praktische Pumparbeit leistete. Die Dampfmaschine von James Watt.

James Watt, der zeitweilig Betreuer der physikalischen Sammlung der Universität Glasgow war, hatte den Auftrag, anlässlich des akademischen Jahres 1763/64 ein Modell einer Newcomen-Dampfmaschine funktions-fähig zu machen, das vorher zu Lehrzwecken eingesetzt worden war.

Beobachtungen der Pumpmaschinen im Betriebsalltag führten unter anderem zu der Erkenntnis, dass Wärmeverluste im Zylinder eine größere Leistungsfähigkeit der Maschinen verhinderten. Im Mai 1765 sah Watt die Notwendigkeit eines Zylinders, der immer so heiß wie der einströmende Dampf und gleichzeitig immer so kühl wie die notwendige Kondensations-temperatur gehalten werden konnte. Diese Anforderung ließ sich nur durch den Bau eines zweiten Zylinders realisieren, der als Kondensator mit Wasserkühlung und Luftpumpe wirkte. Damit ermöglichte Watt aus dem zeitlichen Nacheinander von Erhitzung und Abkühlung eines Zylinders mit dem räumlichen Nebeneinander von zwei Zylindern die Gleichzeitigkeit der Vorgänge. Da die Zylinder nun nicht mehr abkühlten, stieg die Effektivität der Maschine um etwa 80%.

Der Weg von der atmosphärischen zur direkt wirkenden Dampfmaschine konnte nun von James Watt beschritten werden. Ein luftdichter Deckel schloss den Zylinder, ein Dichtungsgehäuse bildete den Zugang der Kolbenstange in den Zylinder, es gab dichte Ventile und einen dichten Kolben an einer glatten Zylinderwand, und anstelle der Abdichtung mit Wasser wurde der Kolben mit Öl geschmiert. James Watts entscheidende Weiterentwicklung bestand in der technischen Umwandlung der hin- und hergehenden Bewegung des Kolbenhubs in eine Rotationsbewegung mittels eines Sonnen- oder eines Planetengetriebes. Die nun zur Verfügung stehende Antriebswelle ermöglichte den Einsatz der Dampfmaschine als zentrale Kraftmaschine in Fabriken, mit der über Transmissionswellen und -riemen Arbeits- und Werkzeugmaschinen angetrieben werden konnten.

Die ständige Verbesserung der Watt´schen Dampfmaschine prägte die Ausbildungsinhalte der Metallarbeiter und der Eisenhüttenleute. Mit Fug

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und Recht kann die Dampfmaschine als Motor der industriellen Revolution bezeichnet werden.1

Soviel zur Einführung, kommen wir zurück nach Villingen, ins Ende des 19. Jhs.

Der erste Dampfkessel in unserer Gemeinde.

Im Jahre 1890 schlossen sich in Villingen mehrere Landwirte zusammen um eine Dampfdreschmaschine anzuschaffen.

Protokoll:

Villingen den 24. August 1890 Heute haben sich hiesiege Landwirthe versammelt und beschlossen eine Dampfkesselmaschine anzuschaffen. Sobald wie nur möglich. Folgende Personen verpflichten sich durch ihre Namensunterschrift als Theilnehmer.

Es folgen hier 27 Unterschriften, angeführt von Karl Koch .... Es kam daraufhin zu einem Vertragsabschluss: Der nachfolgend dargestellt ist:

Vertrag Zwischen Johann Heinrich Ester von Villingen und den unterzeichneten Landwirthen Konrad Koch sechster und Consorten dasselbst wurde heute folgender Vertrag abgeschlossen. Johann Heinrich Ester hat in Gemeinschaft mit den unterzeichneten Landwirthen Konrad Koch sechsten und Cons. Am 26. August d. J. von der Blumenthaler Maschinenfabrik von dessen Vertreter Herrn Bernau eine Dampfdreschmaschine gekauft für den Preis von 6700 Mark schreibe Sechstausend Siebenhundert Mark, zahlbar:

3000 Mark bis zum 15ten September 1890, 2700 Mark bis zum 1ten Dez. 1890

Der Kaufpreis wird von den unterzeichneten Landwithen ausbezahlt und Johann Heinrich Ester verpflichtet sich denselben, dieses Kapital von 6700 Mark mit 3 ½ Prozent von Hundert zu verzinsen bis zur vollständigen Abtragung. (weiter im Text, Transkribierung Seite 11) 1 Nach Dr. H. Knittel in digit. Brockhaus 2001

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Protokoll vom 24. August 1890.

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Vertrag vom 3. September 1890, Vorderseite.

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Vertrag vom 3. September 1890, Rückseite.

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Weiter im Vertragstext von 1890:

1000 Mark bleiben unverzinslich bis zum 1ten Dez. 1891 und müssen dann bezahlt werden. Derselbe muß aber jedes Jahr so viel abtragen dass das gesammelte Kapital von 6700 Mark in etwa bis zehn Jahre getilgt ist. Bis zur vollständigen Abtragung der gesammelten 6700 Mark, Schreibe Sechstausend Siebenhundert Mark, behalten sich die genannten Landwirthe dass Eigenthumsrecht an der Maschine vor. Johann Heinrich Ester verpflichtet sich weiter, so viel wie möglich jedes Jahr in Villingen zuerst zu dreschen, überhaupt den Anforderungen der Mehrheit seiner „Darleiher“ möglich Folge zu leisten.

Auf der Rückseite des Vertrages ist vermerkt:

Nach Auszahlung bzw. Tilgung des gesammten Kapitals von 6700 Mark an die Darleiher ist die Maschine alleiniges Eigenthum des Johann Heinrich Ester.

Villingen den 3ten September 1890 (Unterschriften)

Daß vorstehende Unterschriften vor mir vollzogen worden sind, beglaubigt: Großherz. Bürgermeister Villingen

Koch

Die erste Anlage in Villingen wird dann aber wohl für Karl Ester genehmigt.

Nach diesem ersten Dampfmaschinen-Einsatz bei Karl Ester 1891 kam es in relativ kurzer Zeit zu weiteren Anträgen und Genehmigungen, so von Heinrich Diehl VIII im Jahr 1905.

Diese Genehmigungsverfahren zeigen deutlich, dass auch damals bereits Bürokratie herrschte, aber gerade mit Dampfkesseln war man ja vorsichtig, waren doch früher einige explodiert.

Die unterschwellige Angst vor Dampfkesseln ist offenbar bis heute geblieben, wie es die regelmäßigen Pflicht-Untersuchungen zeigen. Doch haben sie schon einmal gehört, dass heute ein solcher Kessel explodierte?

Eisenbahnfreunde, die eine eigene Dampflok haben, können darüber fast verzweifeln, denn diese Prüfkosten reißen ganz empfindliche Löcher in ihre Kassen.

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Abb. Gesuch des Karl Ester aus Villingen von 1891 zur Inbetriebnahme eines Dampfkessels.

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Abb. Genehmigungsurkunde von 1891.

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Abb. Urkunde Genehmigung für Heinr. Diehl (Seiberts Hennich).

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Abb. Lageplan zum Baugesuch des Heinr. Diehl.

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Abb. Bauplan Heinr. Diehl (sogenannte Blaupause).

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Abb. Urkunde Genehmigung für Johann Heinrich Ester vom 18. Mai 1907.

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Abb. Lageplan für das Bauvorhaben des Johann Heinrich Ester.

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Abb. Halle des Johann Heinr. Ester.

Abb. Siegel aus der Urkunde von Heinrich Diehl IV.

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Abb. Urkunde und Genehmigung für Wilhelm Jung von 1919.

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Noch etwas zu den Kosten der Hauptuntersuchung von Dampfkessel heute.

Die EFW (Eisenbahn-Freunde-Wetterau), die auf der alten Strecke der BLE fahren, wollen eine alte Dampflok, die jahrelang bei der Fa. Hornitex in Nidda stand, flott machen, bis zur Hauptuntersuchung rechnen sie mit Kosten von bis zu 200.000,- DM oder 100.000,- €. Aus dem Prüfungswesen für diese Dampfkessel sind sowohl die heutigen TÜVs wie auch die staatlichen Gewerbeaufsichtsämter entstanden.

Doch weiter zu den Dampfkesseln in Villingen, wie sie sich im Gemeinde-Archiv darstellen. Es folgt die Genehmigung von 1906 für Johann Heinrich Ester. Auf die Dampfmaschine von Johann Heinrich Ester folgt bereits im Jahre 1908 eine für Wilhelm Jung.

Aus dieser Urkunde ersehen wir, dass wohl die Fa. Heinrich Lanz in Mannheim schon führend im Bau von Lokomobilen (offiziell bewegliche Dampfkessel genannt) gewesen ist, denn auch die Maschine von Heinrich Diehl VIII war von Lanz.

Von dieser Anlage zeigen wir wieder den Bauplan (Blaupause) und eine Darstellung aus der Bedienungsanleitung von der Fa. Heinrich Lanz, Maschinenfabrik, Eisengießerei und Kesselschmiede. Wer erinnert sich nicht an den später gebauten legendären und unverwüstlichen Lanz Bulldog.

Im Jahr 1909 folgt schon die Anlage von Heinrich Diehl VI. Bei dieser Genehmigungsurkunde hat uns besonders das Siegel gefallen,

das die Urkunde abschließt. Wir finden auch noch Unterlagen über die Genehmigung eines

Siedekessels für Otto Keiber I. von 1910. Wir nehmen an, dass es sich um eine Anlage handelt zum Dämpfen von Kartoffeln.

Die letzte Dampfkessel-Anlage die uns im Archiv begegnet, ist die von Wilhelm Jung II. von 1919.

Auch hier begegnet uns wieder der Hersteller Heinrich Lanz in Mannheim. Diese Firma baute von 1895-1900 genau 5357 Lokomobile. Wir zeigen hier die Kesselurkunde und die Bauprüfung.

Die folgenden Abb. zeigt noch eine der alten Dreschmaschinen, wenn sie

auch schon nicht mehr von einer Lokomobile angetrieben wird. Heute im Zeitalter der Mähdrescher ein Bild voller (falscher) Nostalgie, schwer war die Arbeit immer noch, aber welcher Fortschritt zum dreschen von Hand.

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Abb. oben: Dreschmaschine im Einsatz bei Wilhelm Eller, Höhenstraße. (Foto Privat) Abb. unten: Aus der Bedienungsanl. von Lanz (Wilh. Diehl VIII.).

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Abb. oben Lanz Bulldog mit Dreschmaschine (De alt Dreher). Abb. unten Lanz Lokomobile.

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Abb. 2 weitere Lokomobile, oben Vulcan „Ackerkralle“ unten „Wolf“ Lokomobile.

(beide Fotos: Freundeskreis Straßendampf.)

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Anschaffung einer neuen Dreschmaschine in Villingen. Auch Pfarrer Sellheim berichtet davon in der Ortschronik, er schreibt:

„Über die gut situierten materiellen Verhältnisse eines großen Theils hiesiger Einwohner berichtet uns ein Artikel im „Giessener Anzeiger“ Nr. 211 vom 11. September 1890 den wir hier folgen lassen.

Villingen den 9. September Die Klagen über schlechte Zeiten sind nicht selten. Wer aber etwas

tüchtiges arbeiten und seine Pfennige zusammen halten will, der findet heutzutage eher sein Fortkommen, als je zuvor. So sind z. B. eine Anzahl von Leuten zusammen gekommen, jeder hat einige hundert Mark gegeben, ein creditfähiger und vertrauenswürdiger Mann hat für das Geld eine neue Dreschmaschine angeschafft und diese arbeitet seit einiger Zeit im hiesigen Ort zur Zufriedenheit der Einwohner. Das ist eine Art der Selbshülfe wie er nicht schöner gedacht werden kann. Der Unternehmer hat das Geld (7000,- Mark) zu 3 ½ % bekommen, er kann dabei bestehen, die Bürger benutzen eine gute Maschine, diese wird nach einer Reihe von Jahren frei sein und allen Theilen ist gedient. Zwar möchte jetzt jeder gern die Maschine zuerst haben, aber da muß man eben Reihe halten. Wer zuerst kommt drischt zuerst. Vor 20 Jahren wäre ein solches Unternehmen nicht möglich gewesen.“

Die Villingener waren sichtbar stolz auf ihre Dampfmaschine, wie auch

aus dem Bericht von Pfarrer Sellheim hervorgeht. Doch sie waren nicht die ersten, die in Oberhessen eine derartige Dampfmaschine anschafften, nein ein Langsdorfer war ihnen zuvor gekommen2. In der 2. Hälfte des 19. Jh. hatte Jean Thörner aus Langsdorf in England eine Dampfmaschine und einen sogenannten „Dreschflegel“ bestellt. Hoch auf seinem Dampfross fuhr er in sein Heimatdorf ein als die Maschinen von der Fa. Ruster & Proctor Cie. aus Lincoln geliefert wurden. Er gründete in Langsdorf eine Firma und übernahm Drescharbeiten bis in den hohen Vogelsberg.

Ab 1873 arbeitete in Griedel bei A. J. Tröster eine weitere Maschine. Nach der Statistik gab es im Jahr 1907 im Deutschen Reich bereits 448.867 Dampfmaschinen und 947.003 mit anderem Antrieb wie Göpel- und Elektromotoren.

2 Harald Klaus in HiB 5/2000

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II. Bettelfahrten Unter dem Begriff Bettelfahrten werden sich heutige Zeitgenossen kaum

noch etwas vorstellen können. Natürlich sehen wir auch heute noch Bettler, z. B. in Gießen im Seltersweg, oft junge Leute mit einem Schild: „Bin obdachlos, bitte um eine Spende“ oder „Ich habe Hunger“.

Bei unserem heutigen Sozialstaat fallen immer noch einige durch die Lücken, aber kein Vergleich mit dem 18. und 19. Jh.

Wir haben im Zusammenhang mit den Gemeinderechnungen und den Gemeinderatbeschlüssen öfter über Ortsbürger berichten können die einen Antrag auf Hilfe stellten, so bspw. in Heft 4. heute nennt man das wohl Antrag auf Sozialhilfe.

Tagelöhner und Gesinde oder andere Dienstboten gehörten damals sicher zur untersten Klasse der arbeitenden Bevölkerung, sie hatten keine Gelegenheit, irgend welche Reserven zu schaffen. Wenn sie ihre Arbeit verloren, verloren sie in der Regel auch ihre Existenz. Sozialgesetze wurden im Deutschen Reich erst nach 1878 eingeführt. Wir hören aus dieser Zeit aber auch von Witwen und Behinderten, damals noch Krüppel genannt, die aufs Betteln angewiesen waren. Auch Kranke konnten schnell abrutschen und innerhalb kürzester Zeit in bittere Armut geraten.

Gleichzeitig hören wir, dass Bettler zu einem regelrechten Stand wurden, Bettler mussten alle Tricks lernen um Mitleid zu erregen.

Die einzelnen Landesherrn erließen schon recht früh strenge Gesetze gegen das Betteln. Bereits im 14. Jh begannen Städte wie Gießen das „Bettelunwesen“ zu reglementieren und zum Gegenstand von öffentlicher Ordnung zu machen.

Das Betteln wurde regelrecht konzessioniert, es gab Bettelmarken mit dem jeweiligen Zeichen oder Wappen der Stadt und galt natürlich dann nur dort.

Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt ging bei der Bekämpfung des Bettelunwesens zügig voran, er erließ schon am 15. Juli 1720 eine Armenverordnung bspw. für „die Stadt und Vestung Giessen“3 in der das Betteln bei Strafe verboten war. Zum gleichen Zeitpunkt wurde aber auch schon die sogenannte „Armendeputation“ eingeführt, es wurden Armenvögte bestellt.

3 HiB 47/48 2001

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Nach dem Gesetz des Jahres 1777 war „...jede Stadt und Gemeinde verpflichtet ihre wahren Armen, welche bey ihren Angehörigen keine Unterhalt finden können, zu versorgen“.4

Wer fremden Bettlern ein Almosen gab, der sollte lt. Verordnung mit 1 fl Strafe belegt werden, ganz gleich „weß Standes und Würde er auch sey“. Ein übliches Mittel nach dieser Verordnung war es auch, im ersten Übertretungsfalle den Bettler mit einer „Tracht Prügel zu vertreiben“ und „... unter dem Bedeuten zum Lande hinaus gewiesen werden .... wenn sie sich aber wieder einfinden und betteln, sie ohne Rücksicht mit Zuchthausstrafe belegt werden sollen“.

Mit Zuchthaus waren auch die Eltern zu strafen: „ ... welche ihre eigenen oder bey sich aufgenommenen Kinder betteln

schicken, und trotz Abmahnung dieses dennoch fortsetzen“. Es war auch üblich, dass Bettler abgeschoben wurden, wir hören von

sogenannten Bettelfuhren, aber auch das war in der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt mit Strafe belegt:

„... wenn trotzdem dergleichen arme Bettelleute von Benachbarten ins Land gebracht werden, sollen die Beförderer mit 5 fl Strafe belegt und die Bettelleute zurück gebracht werden.“

Diejenigen Gemeinden, die nicht „wachsam genug seyn werden“ sollen die eingeführten Bettler verpflegen und dann zum Land hinaus schaffen.

In der Instruktion für die Großherzoglichen Kreisräthe vom 20 September 1832 heißt es:

„ ... dagegen werden sie aber auch des verderblichen Bettelns kräftig entgegen wirken und darauf setzen, dass die Bettler in den geeigneten Fällen dem kompetenten Polizeigericht zur Bestrafung angezeigt werden.“

Es erging weitere Anweisung, wie mit Bettler und anderen Armen zu verfahren ist:

„ .... auf einen Armen können sie im laufe des Jahres nicht mehr als 10 fl verwenden, übertrifft das dringende Bedürfniß den Betrag dieser Summe, so haben sie wegen weiterer Unterstützung an das Ministerium des Innern und Justiz zu berichten“.

4 Brodhäcker in HiB 15/2000

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Hier haben wir eine Seite des Verordnungsblattes: „Die Staats- und Gemeinde-Verwaltung“ von 1853, verfasst von Heinrich Sander, eingefügt, die den Zeitgeist im 19. Jh. wiedergibt.

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Abb. Hier folgt eine „Erinnerung“ an das Verbot von Bettelfahrten, Maßnahmen zur Verhütung von 1808.

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Hier heißt es: „Auf Befehl Hochlöblicher Großherzoglicher Regierung wird mit folgendem Anverkant (?). 1. sollen die sogenannten Bettelfahrten gänzlich verbotten seyn. 2. wann arme Bettelleute von den Benachbarten ins Land gebracht werden, sollen diejenigen, die solche einbringen, mit 5 fl. Strafe belegt und von dem Ortsvorstand ohne weiteres anfragen denen und wieder Ausführung des eingeführten Bettelns angehalten werden. 3. diejenige Gemeinde wohl nicht wachsam genug ist, soll den Bettlern auf ihre Kosten verpflegen und wieder aus dem Land stoßen 4. wann aber dergleichen Bettler mit Gewalt oder heimlich abgesetzt wurde, sollen solche so gleich zurückgebracht und Kostenschadens-Ersatz auf Genugtuung gefordert werden. Auch versteht sich von selbsten, dass das als balden zurückführen nicht auf solche schwachen Kranken auszudehnen sey, welche ohne Lebensgefahr nicht transportiert werden können.

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5. sollen fremde Bande Schnitter und andere dergleichen Läuten gesund ins Land kommen und darinnen erkranken auch sich vermuts halber nicht selbst ernähren können, so sind solche als dann von der Gemeinde wo sie in Arbeit gestanden und krank wurden bis zu ihrer Wiedergenesung zu verpflegen, sodann aber wieder fort zu schicken. 6. diejenigen Schultheißen oder sonstige Amtsvorstand welcher sich hierunter nachlässig bezeigt wird jedes mahl mit 10 fl Strafe beleget werden. Hungen den 9ten May 1808 Fürstl. Amt

Hofmann

Es folgt nun hier unten und auf der folgenden Seite die Verfügung von 1816, von Interesse besonders die §§ 2+3ff.

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Abb. Auch diese und die nun folgenden 3 Seiten stammen von einer Erinnerung aus dem Jahr 1822, es geht um Betteln und die allgemeine Ruhe und Sicherheit.

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Die Transkribierung der vorstehenden 4 Seiten. (einer Erinnerung von 1822, es geht um das Betteln und die allgemeine

Ruhe und Sicherheit) „Es ist zur missfälligen Anzeige gekommen, dass wenn gleich noch

bestehender Großherzoglicher Verordnung das Betteln verboten ist, und jeder Ort seine Armen ernähren soll. Danach solches besonders auf den Feyertage es namentlich auf Neujahr im Übermaß statt haben, ferner dass nicht pünktlich um 10 Uhr des Abends in die Wirthshäuser Feyerabend gemacht werden.

Auf so genannte Spinnstube, in welchen lärmen und sonstiger Unfug getrieben wird, verbotswürdig statt haben, dann endlich dass sie wieder ledige Personen der beyden Geschlechter zu gänzlichen Verderbnis der Sitte ohne sehen beisammen wohnen und in Hurenleben unterhalten, wovon die Gemeinde, in dem sie meistenteils die da aus stehenden Kinder ernähren, die büßen müssen.

Die Aussengenannten Großherzoglichen Bürgermeister werden daher hiermit dafür persönlich verantwortlich erklärt, dass alle genannten Exesse für die Zukunft unterbleiben, so wie dass alle Sonnabend die Straßen gehörig gereinigt, und der Kot darauf, oder an den Häusern liegen bleiben.

Weniger nicht, dass alle jungen Obstbäume jedes Mal vor Winter

gehörig verbunden werden oder wenn sich darauf polizeywidrige Anordnung weigern, solche innerhalb 24 Stunden zur Bestrafung anher einberichtet werden, in dem wenn letztens nicht geschieht, bey den Benannten erfolgende spätere Anzeige oder Wahrnehmung genannter Unregelmäßigkeiten dieselben in die auf Übertretung stehende Strafe unnachsichtig genommen werden.“

„I. Dieselben die das Almosen geben an auswärtige bey Vermeidung

einem Thaler Strafe zu verbieten. II. Fleißig sich beständig auf den Straßen da haltende nüchterne noch

rüstige Tagwächter welche die die Anordnung haben (?) zu widerhandelnde ohne Ansehen der Person anzuzeigen, und sich widersetzende, oder nicht warnen lassende Bettler mit Gewalt

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auszutreiben, anzuordnen und wenn diese ihren Dienst nicht verrichten, sie zur Bestrafung alsbald einzuberichten.

Der Tagwächter darf sich ganz und gar keinen sonstigen Geschäften unter ziehen, muß ausschließlich diesen Polizeidyenst obliegen, doch kann er das Geschäft dass nach Art. 19 der Gemeindeordnung zu vor einem weiteren Rathsdiener mit versehen.

III. Bey Festtägen sind demselben jedes Mal so viel bey Nächten bey zu

geben, als nöthig sind und die Ein und Ausgänge zu besetzen und die eindringenden Bettler abzuweisen.

Fleißiges Nachsehen, wird die gehörige Tüchtigkeit befördern, und ist die wacht dafür, dass nichts gebettelt wird bey Strafe verantwortlich.

IV. Ist den Wirthen bey Weigerung (mit) 10 Thaler Strafe einzuschärfen,

Abends um ¾ auf 10 Uhr Feyerabend zu bieten, oder um 10 Uhr allen einheimischen Gästen die Gaststube zu verschließen, auch niemand ohne Nachtzettel zu beherbergen.

V. Sind die Spinnstuben, desgleichen die lange Nacht, oder sogenannte

Sebastiantag (Besgestag) und die Fastnacht für die Hauseigenthümer bey 5 Thaler, und für die solche besuchende der jungen Person bey 1 Thaler Strafe zu verbieten, fleißig nachzusehen und die Übelthäter zur Bestrafung einzuberichten.

Geräuschlose anständige Abendbesuche guter Freunde und Nachbarn, welche in Gesellschaftsarbeiten und sich so die Zeit verkürzen wollen, sind, wie sich’s von selbst versteht, unter obigen Verbott nicht begriffen, worin dabey die Polizeystunde nicht übertreten wird.

VI. Für vorzügliche Wachsamkeit ist aus den bereits angeführten

Gründen auf das Zusammenseyns lediger Manns und Weibspersonen zurichten.

Solches bei einer Strafe von 10 Thaler und noch befinden einer und derselben gleichstehenden Leibes- oder Gefängnißstrafe5 zu verbieten.

Fremde sind sofort anzuweisen und im Wiederbetretungsfalle gefänglich einher einzusenden, wie dann auch die Hauseigenthümer, welche

5 in der Regel wird eine ordentliche Tracht Prügel verabreicht worden sein !

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dergleichen nicht mit Erlaubnißscheine versehene Personen einen solchen schändlichen und enthemden Aufenthalt gestatten zur Bestrafung anzuzeigen sind.

Man wird die welche von allen diesen Verfügungen ohnehin in Kenntnis gesetzt werden sollen, aufgeben bey ihren Patrouillen dergleichen Häußer zu visitieren, die notewendigen Arrestation der gegen Verbot handelnde Subjekte vorzunehmen, und sind Folge daher den selben schriftlich zu verzeichnen, dann wird endlich (?)

VII. Das Reinigen der Straßen an jedem Sonnabend so wie gänzliche

Wegräumung des Kots von den selben, und das verbinden der jungen Obstbäume vor Winter bey 30 Xer Strafe befohlen.

Nach genommener Abschrift ist diese Zirkulare der Bekanntmachung

halber bescheinigt anher zurück zu senden.

Hungen den 28. Dec. 1822 Landrath Scheuermann

auf dem Schulhaus bekannt gemacht 1ten Jan. 1823

Auf den Rathaus bekannt gemacht. Villingen den 1ten Januar 1823

Zimmer

Diese und die folgende Abb. gehören schon zum Kapitel Gesinderegister.

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Abb. Abmeldung zu Gesinderegister. III. Gesinderegister

Gesinde ist ein Wort das heute kaum noch gebraucht wird, der

Brockhaus definiert es so: Gesinde: „persönlich abhängige Arbeitskräfte, die (als Mägde, Knechte) in

Hausgemeinschaft mit der (bäuerlichen) Familie lebten. Weiter: Landesrechtliche Gesindeordnungen regelten die Rechtsbeziehungen (in

Deutschland bis 1918, in Österreich und in der Schweiz bis 1926).“6

6 F. A. Brockhaus, digital, 2001

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Im Jahr 1882 arbeiteten im Großherzogtum Hessen-Darmstadt, in der Landwirtschaft ca. 15-16 % aller damals Beschäftigten, mitarbeitende Familienangehörige nicht mitgerechnet, davon im ländlichen Haushalt 3,8 %, und 11,3 % als landwirtschaftliches Gesinde, Mägde und Knechte genannt:7

Der Lohn war überaus gering und wurde in der Regel mit Kost und Logis verrechnet, sodass kaum bares Geld ausbezahlt wurde. Das Einkommen für das Kalenderjahr wird wie folgt angegeben:

Im Jahr 1849: Knechte 60-180 Mark, Mägde 54-108 Mark. Im Jahr 1873: Knechte 150-270 Mark, Mägde 90-150 Mark8 Noch etwas mehr Statistik zur Beschäftigungslage in der Landwirtschaft

des 19. und des beginnenden 20. Jh.. So waren insgesamt in der Ladwirtschaft beschäftigt:

Im Jahr: 1800 = 62%. Im Jahr: 1825 = 59%. Im Jahr: 1849 = 56%. Im Jahr: 1861 = 52%. Im Jahr: 1913 = 35%. Knechte und Mägde waren, von Ausnahmen abgesehen, in der Regel

nicht ihr ganzes Leben in der selben Stellung. Der Tag, an dem das Gesinde wechselte, war in den Regionen zwar

verschieden, bei uns hatten sich aber 2 Tage eingebürgert, der 3. Weihnachstag und der 22. Februar9.

Dr. Friedrich Maurer hat in den hessischen Blättern für Volkskunde, in Giessen, im Jahr 1927 eine Studie hierzu veröffentlicht, in der er sich mit den Wechseltagen des Gesindes in der Landwirtschaft ausführlich befasste10.

Die meisten Kinder aus den damals kindereichen Familien hatten praktisch keine andere Wahl als sich irgendwo als Knecht oder Magd zu verdingen. Die heimatlichen Höfe warfen häufig nicht genug ab, um die 7 Kocka, Jürgen, in Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen, 1990, Bonn. 8 Kocka a.a.O. 9 Petri Stuhlfeier. 10 Siehe hierzu auch; H. L. Worm, in Heimat im Bild, Beilage zum Giessener Anzeiger Nr. 36/2000.

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ganze Familie zu ernähren. Die Realteilung von Grund und Boden, die in dem „Code zivil“ oder „Code Napoleon“ genannten Gesetzeswerk noch einmal verbindlich festgeschrieben worden war, galt bis ungefähr um 1900 ohne Einschränkung. Für die einen bedeutete diese Regelung Hoffnung, irgendwann etwas Land zu erhalten, insgesamt gesehen führte sie dazu, dass das Land immer mehr aufgeteilt wurde, es entstanden immer kleinere Parzellen, und damit immer mehr nicht mehr überlebensfähige Höfe.

Der einzige Ausweg bestand darin für einen Mann eine Frau zu finden, die etwas Land geerbt hatte. Die sich hiervon abzuleitende Problematik haben wir schon beschrieben (Heft 4/III „Ortsbürger mit gleichen Namen“).

Heiratsgesetze gestatteten die Heirat eines Mannes nur, wenn seine Familie ausreichend versorgt schien, auch hierauf haben wir schon in früheren Beiträgen dieser Reihe hingewiesen.

Woher das Gesinde in Villingen kam, geht ebenfalls aus dem Gesinderegister hervor. Wir finden in der Regel Orte der näheren Umgebung, aber auch solche die weit entfernt liegen, wie Berlin. Oft hat der Gemeindeschreiber oder der Bürgermeister hinter dem Ortsnamen vermerkt wo der Ort liegt, z. B. „bei Koblenz“ oder „Kreis Lauterbach“, in einem Beispiel hat offenbar jemand später dazu geschrieben: „liegt in Deutschland“.

Es folgen ein Anzahl Orte in alphabetischer Reihenfolge, die im

Gesinderegister genannt sind:

Alsfeld, Altenhain, Bad Nauheim, Bellersheim, Berlin, Berstadt, Birklar, Bobenhausen, Breungesheim, Büdingen, Busenborn, Büßfeld, Diedelsheim, Ebsdorfergrund, Echzell, Eckartsborn, Eichelsdorf, Elpenrod, Engelroth, Ettingshausen, Freienseen, Friedberg, Gambach, Gedern, Gelnhausen, Göbelnrod, Gonterskirchen, Götzen, Grebenau, Groß-Eichen, Großen- Linden, Grünberg, Hinterjossbach, Jungenheim, Kesselbach (Rabenau), Kestrich, Königsstein, Langd, Langenbergheim, Langsdorf, Laubach, Lauterbach, Lingelbach, Lumda, Lutzenrod, Mainzlar, Merlau, Michelbach, (Mainz-)Mombach, Münster, Neuwied, Nonnenroth, Nyrathingen (?), Ober-Bessingen, Ober-Widdersheim, Queck (Kreis Lauterbach), Queckborn, Romrod, Röthges, Rüdigshain (Schotten), Ruppertsburg, Saasen, Schlitz, Sellnrod, Stangenroth, Steinbach, Steinberg, Strebendorf, Storndorf, Ulfa, Ulrichstein, Wetterfeld, Wohnfeld, Zeilbach.

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Natürlich war das Dienstbotenwesen im Großherzogtum Hessen auch geregelt, die älteste Regelung aus dem Gemeinde-Archiv fügen wir hier ein, es ist die Verordnung vom 1. Februar 1838, Reg. Bl. S. 97:

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Abb. oben und Seite davor, zu Dienstboten, Regelung über die polizeiliche Aufsicht über dieselben (...). Abb. unten zeigt einen Erlaubnisschein aus der Gemeinde Harbach, der sich in unserem Archiv fand. Wie er dahin kam, ist unbekannt, möglicherweise hat ihn ein Dienstbote der aus Harbach kam, mitgebracht.

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Im Gemeinde-Archiv von Villingen findet sich ein sogenanntes Gesindebuch. Es beginnt 1854 und gibt Auskunft über den Namen, den Herkunftsort, die Legitimation (in der Regel Heimatscheine siehe dazu Heft 4/II), den Dienstort, als was einer diente, vom / bis und in der letzten Spalte Bemerkungen wurden in der Regel Anmerkungen zum Betragen gemacht, aber auch Anmerkungen wohin die Dienstmägde oder Knechte gingen. Da finden wir häufiger auch: „nach Nordamerika gereist“.

Abb. eine sogenannte Abmeldebescheinigung, hier aus Neuwied.

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Abb. ein Blatt aus dem Gesindebuch, hier erste Hälfte einer Doppelseite.

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Abb. ein Blatt aus dem Gesindebuch, hier 2. Hälfte einer Doppelseite, Eintrag oben: „gut betragen“.

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Abb. ein Blatt aus dem Gesindebuch, mit dem Vermerk der Ausreise hier, siehe unterer Eintrag: „gut betragen nach Nordamerika gereißt“.

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Auch bei den staatlichen Regelungen über die Dienstboten, das Gesinde,

merkt man deutlich, dass hier die Angst mitspielt, es könnten sich unlautere Elemente ins Dorf einschleichen. Der Ausdruck Gesinde11 und Gesindel sind eng miteinander verwandt, nicht nur phonetisch.

Dazu ist anzumerken, dass um oder vor 1800 im heutigen Deutschland etwa 10 % der Bevölkerung im wahrsten Sinne auf der Straße lebte, fast die Hälfte davon übrigens Frauen. Das im vorherigen Kapitel beschriebene Abschieben wurde überall in Europa im großen Stile vorgenommen. Die bekannteste Abschiebung war der sogenannte „Wiener Schub“, er wurde erst kürzlich in einer Fernsehsendung dargestellt.12

Die Österreicher sammelten danach ihr Gesinde(l), das ihrer Meinung nach sich zu Unrecht dort aufhielt und schob es 2 x im Jahr heimlich nach Bayern ab. Dort bemühte man sich, es schnell wieder einzufangen und schob es mit dem zwischenzeitlich eingefangenen eigenen Gesindel nach Schwaben ab.

Hier verlor sich oft seine Spur in den unzähligen Kleinstaaten und staatsähnlichen Gebilden wie Reichsklöster etc. von denen es allein im heutigen Baden-Württemberg etwa 300 gab.

In dieser Zeit sind auch die bis heute erhaltenen „Zinken“ entstanden, mit denen Bettler u. a. (Gesindel) die Häuser markierten, es bedeuten z. B.:

• Gitter = Vorsicht, Verhaftung droht. • Katze = hier sind nur Frauen zu Hause, • Kreuz = schön fromm tun, verspricht gute Beute. • Zick zack Linie = Vorsicht, bissiger Hund. • Pfeil = Achtung, Polizei o.ä. in der Nähe oder im Haus.

So gibt es noch eine Vielzahl überlieferter Zeichen, schauen Sie

ruhig einmal an ihrem Haus nach, vielleicht finden Sie ja eines dieser althergebrachten Zeichen.

11Nach Paul, Deutsches Wörterbuch heißt Gesinde ahd. Gesindi = Gefolgsmann; got. Gasinpa = Gefährte. Der Ausdruck Gesindel kommt von unlauterem Gesinde, seit 1563, und bezeichnet heruntergekommenes Volk. 12 Planet Wissen SWF 16.01.03 „Räuberbanden und historische Verbrecherjagd“.

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IV. Ereignisse des Jahres 1862 Chronist Emil Sellheim berichtet in der von ihm begonnenen Ortschronik Schülerzahl:

I. Schule 39 Knaben, 38 Mädchen II. Schule 39 Knaben, 40 Mädchen Summe = 156 Schüler

Gehaltsaufbesserung des zweiten Lehrers zu Villingen: „Am 14. Februar (24 März) wurde nach einem Referat Großherzoglichen Kreisamtes Nidda von 27. Februar 1862 an den Ortsvorstand dahier der zweiten Schulstelle zu Villingen eine jährliche Gehaltszulage von 15 Fl aus Gemeindemitteln bewilligt und somit der Gehalt auf 225 Fl erhöht.“ Ableben der Großherzogin Mathilde „Am 25. Mai vormittags 11.00 Uhr hat es dem Allmächtigen in seiner unerforschlichen Weisheit gefallen Ihre Königliche Hoheit, die Durchlauchtigste Fürstin und Frau Mathilde, Caroline, Friederike, Wilhelmine, Charlotte, Großherzogin von Hessen und bei Rhein, geborene Königliche Prinzessin von Bayern, in einem Alter von 48 Jahren, 8 Monaten und 25 Tagen, nach einem vierwöchigen schmerzlichen Krankenlager aus diesem Leben in jenes besser Dasein abzurufen.“ Landestrauer wegen des Ablebens der Großherzogin Mathilde. „Am 26. Mai ist auf Veranlassung des am 25. d. M. erfolgten höchst traurigen Ablebens Ihrer Königlichen Hoheit der Großherzogin von Hessen und bei Rhein eine Landestrauer angeordnet und insbesondere bestimmt worden, dass vom 26. d. Monats an während 4 Wochen in allen Kirchen des Großherzogthums täglich in der Vormittagsstunde von 11.00 bis 12.00 Uhr das Trauergeläut stattfinden soll. Diese allerhöchste Vorschrift wurde, wie in allen Gemeinden des Großherzogthums, so auch von Seiten unserer Gemeinde ordnungsgemäß befolgt.“ Kirchliche Trauerfeier wegen dieses Ablebens.( Großherzogin Mathilde) „Am 22. Juni, als am Schlusse der vierwöchigen tiefen Landestrauer um die Hochselige Großherzogin Mathilde Königliche Hoheit, fand dahier wie in allen evangelischen Kirchen des Großherzogthums eine Gedächtnisfeier

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zu Ehren der so aufrichtig und innig betrauerten Landesmutter statt. Der von seiner Königlichen Hoheit dem Großherzog allerhöchst selbstbestimmten Predigttext:

I. Corinther XIII. V. 8 „Die Liebe hört nimmer auf“

bezeichnet so ganz das Leben der hohen heimgegangenen, dass er den würdigsten und rührigsten Stoff zu der Trauerrede gab. Bei der allgemeinen herrschenden innigsten und schmerzlichsten Theilnahme ward so der Gottesdienst überall ein tiefgreifender und erhebender.“ Vicinalweg nach Ruppertsburg. „Im Laufe d.J. wurde der Vicinalweg von Villingen nach Ruppertsburg gebaut, für dessen Erbauung die hiesige Gemeinde 2.857 Fl 1 ½ Kr bezahlt hat.“ Anhaltender kalter Regen nebst Folgen. „Nachdem die Pfingsfeiertage ungewöhnlich heiß und die folgenden Tage der Pfingstwoche mit Unterbrechung durch einige Gewitter noch ziemlich warm gewesen, stellte sich am Samstag, den 14. Juni ein Regenwetter ein, welches fast ohne Unterbrechung durch Sonnenschein die ganze folgende Woche hindurch bis Johannistag dauerte, so dass das bald nach Pfingsten abgemähte Heugras auf den Wiesen zu verderben drohte. Dabei war es am Tage von Johannistag so kalt, dass man die Winterkleider wieder anlegen mußte. Kaum hatte sich der Himmel am Johannistag etwas aufgeheitert, als auch sogleich wieder Gewitter entstanden und heftige Regengüsse sich einstellten, welche bis zum 5. Juli dauerten, an welchem sich seit Pfingsten zum erstenmal wieder Sonnenschein eintrat.“ Überschwemmung in der Oberau zu Villingen. Am 30. Juli nachmittags fiel hier ein ganz außerordentlich starker Regen, der ununterbrochen bis nach Mitternacht anhielt. Infolgedessen stieg die Horloff zu einer Höhe, welche man seit mindestens 20 Jahren nicht mehr beobachtet hatte. Die ganz Oberau mit Gärten und Wiesen standen in Überschwemmung. Ein großer Theil der geschnittenen oder noch nicht gebundenen Gerste schwemmte fort, auch ersäuften die Kartoffeln.“

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Aerndte. Die durch den bisherigen anhaltenden Regen verzögerte Kornaerndte begann den 8. Juli und wurde bei fortschreitender, wohl ziemlich wärmer, aber windiger und regnerischer Witterung doch gut eingethan. Erst nach Jacobistag folgte wieder eigentliche trockene Hitze, welche aber oft durch Gewitter- und Regentage unterbrochen wurde. Die Aerndte war in jeder Beziehung eine gesegnete, ganz besonders fiel die Gerste reichlich aus, und wurde auch meistens gut nach Hause gebracht. V. Auszüge aus Gemeinderatsprotollen des Jahres 1862

Villingen, den 13. Jan. 1862 „Wegen verschiedener Gemeindeangelegenheiten hatte man für heutige Sitzung den Gemeinderat bestimmt, sämtliche Mitglieder geladen und nach dieselben in gesetzlicher Anzahl versammelt, wurde sofort zur Beratung übergegangen“. „1. Gewannvermessung von Nonnenroth, hier Berichtigung der Flur– und Gewannfurchen Der Großh. Bürgermeister teilte dem Gemeinderat den durch Verfügung Großh. Kreisamtes Nidda vom 27.Dez. 1861 gewordene Bericht des Großh. Geometer Ohnacker zur Erklärung mit, und bemerkte dabei, daß er ganz mit der Ansicht des Großh. Geometer Ohnacker sich einverstanden müsse und in diesem Sinn bei der vorherigen Beratung schon beantragt habe die Kosten auf die Gemeindekasse zu übernehmen, welche Ansicht jedoch von einem Mitglied des Gemeinderats bekämpft wurde, er könne und müsse daher nur seinen früheren Antrag wiederholen und den Gemeinderat darauf aufmerksam machen die Behörde mit dieser einfachen Sache nicht weiter zu belästigen.“ Der Gemeinderat erklärt: „Wir wollen wenn Großh. Kreisamt die Gemeinde Villingen zur Bezahlung der Kosten schuldig macht, die Berichtigung vornehmen lassen und die Kosten übernehmen.“ Der Großh. Bürgermeister: Zimmer Der Gemeinderat: Joh. Zimmer, Joh. Hau, Joh. Leschhorn, Joh. Roth, Adam Koch, Joh. Nürnberger, Martin Zimmer.

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Villingen, den 24. Februar 1862: „Nachdem zur heutigen Sitzung des Gemeinderats sämtliche Mitglieder geladen und in gesetzlicher Anzahl erschienen waren, eröffnete der Großh. Bürgermeister die Sitzung und wurden folgende Gegenstände zur Beratung gebracht. 1. Die Erhöhung der Besoldung des Elementarlehrers Der Großh. Bürgermeister eröffnete dem Gemeinderat die Verfügung Großh. Kreisamtes vom 17. Februar 1862. Inhalt der das Einkommen der zweiten Schulstelle welches nach dem Besoldungsverzeichnis 210 Fl beträgt auf 225 Fl mithin um 15 Fl erhöht werden soll und auf welche Weise dieser Zuschuß von 15 Fl vom 1. Januar 1862 zu leisten sei. Der Gemeinderat Die Besoldung soll mit 15 Fl aus der Gemeindekasse erhöht und sonach mit dieser baaren Zulage aus der Gemeindekasse bezahlt auf 225 Fl festgehalten sein, demnach baar 215 Fl betragen.“ 2. Die Beschneidung der Gemeindelinde. „Der Großh. Bürgermeister eröffnet den Gemeinderat, daß ein Ausschneiden sowie Führung der Äste und Triebe des Gemeindelindenbaumes erforderlich sei und stellt es dem Gemeinderat anheim deshalb geeignete Vorschläge zu machen. Der Gemeinderat Die Linde soll durch den gräflichen Gärtner Leng zu Laubach hergestellt werden.“ 3. Die Ernennung des Controlleurs für 1862 Der Bürgermeister trägt vor, für das Jahr 1862 ist bis jetzt kein Controlleur ernannt und dessen Ernennung nunmehr zu vollziehen sei. Der Gemeinderat: Gemeinderatsmitglied Johannes Leschhorn wird für das Jahr 1862 zum Controlleur ernannt. Der Bürgermeister Der Gemeinderat

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Villingen, den 23. März 1862: „Nachdem wegen verschiedener Gemeindeverwaltungsgegenstände eine Sitzung des Gemeinderats bestimmt, sämtliche Mitglieder desselben geladen und erschienen waren, stellte, nachdem die verschiedenen anderen Geschäfte beseitigt waren, Gemeinderatsmitglied Johannes Hau folgenden Antrag:“ „Der Vicinalweg nach Ruppertsburg ist bereits innerhalb der Gemarkung Villingen planiert, während in der Gemeinde Ruppertsburg dieser Wegbau in einer Art und Weise betrieben wird, daß da bis jetzt noch nichts gearbeitet, derselbe in diesem Jahr nicht vollendet werden kann.“ „Erwägt man nun, daß sämtliche auf diesem Weg zu bringenden Steine ca. 70 cbm Klafter an der Hungener Grenze gebrochen und die Richtung des Vicinalweges nach Hungen hergefahren werden müssen, dieser Weg aber für schwere Fuhrwerke nicht fahrbar ist, so kann ich mir nicht erklären, wie die Steine aus dem Bruch gefahren werden sollen. Nach Hungen zu geht unser Hauptverkehr, es ist dies nicht ein täglicher, sondern stündlich und liegt es vorerst in ganz dringendem Interesse der Gemeinde Villingen, daß der Weg nach der Hungener Grenze zuerst gebaut und dadurch ein Weg nach dem Steinbruch zur Ausfuhr der Steine auf den Vicinalweg nach Ruppertsburg hergestellt werde. Ich beantrage daher, daß der Weg nach Hungen zu alsbald in Angriff genommen und die Chaussierung des nach Ruppertsburg plazierten Weges erst nach Beendigung des Weges nach Hungen ausgeführt werde.“ „Der in seiner Eigenschaft als Mitglied des Gemeinderats anwesende Bezirksaufseher Pfarrer pflichtet diesem Antrag vollkommen bei, hielt es sogar in technischer Beziehung von Interesse den Weg nach Hungen zuerst zu bauen, man nahm daher keinen Anstand, den Antrag zur Beratung zu bringen und wurde einstimmig beschlossen, daß der Antrag des Gemeinderats Johannes Hau ganz im Interesse der Gemeinde Villingen liege und mit der Angriffnahme der Erbauung des Vicinalweges nach Hungen, sobald die Richtung von Großh. Kreisamte bestimmt seie, begonnen und die Herstellung oder Erbauung ohne Verzug ausgeführt werden solle.“ „Dagegen der Weg nach Ruppertsburg erst dann chaussiert werden, wenn der nach Hungen beendigt ist.“ Der Bürgermeister Der Gemeinderat

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Villingen, den 24. Februar 1862: „Bitte des Großh. Bürgermeister Zimmer um Genehmigung zur Anfuhr von Lehm aus der Gemeindelehmgrube am Börgelberg zur Ausfüllung seines Gartens.“ „Es ist seither der Gebrauch gewesen, daß jedem Ortsbürger zur Ausfüllung von Äcker gestattet wurde vom Gemeindeeigentum an Hügeln Erde abzugraben und wegzufahren und seine Grundstücke damit zu verbessern zu machen, dies ohne Nachteil der Gemeinde geschah. Zur Ausfüllung meines Gartens bedarf ich nun etwa 30 Wagen Erde, welche ich aus der Lehmgrube am Börgelberg graben möchte, diese Lehmgrube wird, weil der Lehm nicht besonders tauglich, bekanntlich wenig benutzt, sonach die Gemeinde nicht beeinträchtigt und da ich dabei nicht mehr verlange als seither jedem Ortsbürger gestattet wurde, wolle ich bei Gelegenheit heutiger Gemeinderatssitzung an den Gemeinderat die Bitte richten, mir die Abfuhr von ca. 30 Wagen Erde aus der Lehmgrube am Börgelberg zu gestatten.“ „Und um dies zur gesetzlichen Beschlußnahme zu unterbreiten, übertrage ich hiermit den Vorsitz dem Großh. Beigeordneten Koch. Zimmer Großh. Bürgermeister“ „Auf vorstehendes Gesuch erklärte, nachdem der Großh. Bürgermeister sich entfernt, und der unterzeichnete Beigeordnete den Vorsitz übernommen, der Gemeinderat folgendes: Das Gesuch soll genehmigt sein. Beigeordneter Koch Der Gemeinderat“

Villingen, den 23. März 1862: „Bei heutiger Gemeinderatssitzung brachte Gemeinderatsmitglied Reinhard Graf vor:“ „Der Walddistrikt Blaustück bringe in mancher Beziehung den angrenzenden Feldern Schaden, während demselben zu Felde umgewandelt der Gemeinde einen weit höheren Ertrag liefern und dadurch die angrenzenden Felder bedeutend bessern würden.“ „Er beantrage daher, daß die zur Abholzung des Waldes erforderlichen Schritte getan oder vielmehr die Realisierung des Antrages ersucht werde.“

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„Der Gemeinderat mit vorstehendem Antrag vollkommen einverstanden erhebt denselben hierdurch zu seinem Beschluß und ermächtigt den Großh. Bürgermeister zur weiteren Ausführung.“ Der Bürgermeister Der Gemeinderat

Villingen, den 10. April 1862: „Die Besetzung der zweiten Schulstelle.“ „Nachdem von verschiedenen Gemeinderäten der Antrag gestellt worden war, wie es bei der fortwährenden Verminderung der Schülerzahl nicht notwendig sei die zweite Schulstelle bestehen zu lassen und mit der ersten Schule wieder vereinigt werden könnte so hatte man heute sämtliche Mitglieder des Gemeinderats vorladen lassen dieselben waren in gesetzlicher Anzahl erschienen und wurde die Sitzung sofort eröffnet und von dem Bürgermeister vorgetragen:“ „Bei der Errichtung der zweiten Schule vor etwa 9 Jahren betrug die Zahl der Kinder 210, diese ist durch die Auswanderung nach Nordamerika auf 130 herunter gegangen und wird sich mit jedem Jahr vermindern auch ist nicht zu erwarten daß diese Zahl sich wieder vermehrt weil die Auswanderung nach Amerika zu den vielen Familien die sich von hier dort niedergelassen haben nie abnehmen wird.“ „Es dürfte dahier sehr im Interesse der Gemeinde liegen wenn die zweite Schule durch den ersten Lehrer mitverwaltet, welcher sich hierzu bereit erklärt hat.“ Der Gemeinderat: „Unter den vorliegenden Verhältnissen kann es nur im Interesse der Gemeinde liegen, daß die zweite Schule durch den ersten Lehrer gegen eine entsprechende Vergütung mitverwaltet und beantragen wir daher daß deshalb der vorgesetzten Behörde die geeignete Vorlage gemacht und der Antrag sobald wie möglich realisiert werde.“ Der Bürgermeister Der Gemeinderat

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Villingen, den 17. April 1862: „Betrifft: Die Widerrechtliche Eingriffe des Martin Z.13 zu Villingen in Gemeindeeigentum zu Villingen Nachdem Martin Z. auf dem sogenannten Wallenberg in der Gemarkung Villingen sich einen Teil der Gemeindewüstung welche seit unerdenklichen Zeiten der Gemeinde zusteht und derselbe in dem unterm 26. Febr. 1861 auf Grund der stattgehabten Parzellenvermessung legalisiertem Grund-buch auch zugeschrieben ist widerrechtlich angeeignet und in Besitz genommen so hatte man heute den Gemeinderat, welcher mit dem Großh. Bürgermeister aus 9 Mitgliedern besteht vorladen lassen, derselbe war in gesetzlicher Anzahl erschienen, der Großh. Bürgermeister eröffnete die Sitzung und trug vor:“ „Die Gemeinde Villingen besitzt in der hiesigen Gemarkung auf dem sogenannten Wallenberg eine Fläche, welche in dem unterm 26. Februar 1861 legalisierten Grundbuch und Parzellenkarte eingetragen ist: Pag. v. Nr. 0, Flur X, Nr. 298, Klafter 4241“ „Beinahe in der Mitte dieser Fläche hat Martin Z. sich ca. 200 – 300 Klafter widerrechtlich angeeignet. In dem ich dies der Entschließung des Gemeinderats unterbreite, muß ich gleichzeitig beantragen, daß der Besitz und das Eigentum der Gemeinde gegen Martin Z. unter allen Verhältnissen aufrecht erhalten werde.“ Der Gemeinderat: „Wir sind mit dem Antrag des Großh. Bürgermeisters einverstanden und ermächtigen denselben gegen Martin Z. die Rechte der Gemeinde zu wahren und klagend aufzutreten.“ Der Bürgermeister, Zimmer Der Gemeinderat

Heinrich Heinek, G. Pfarrer, Joh. Leschhorn, A. Koch, Joh. Roth, Joh. Nürnberger, R. Graf.14

13 mit Rücksicht auf evtl. noch lebender Nachkommen haben wir den Namen abgekürzt. 14 Anmerkung: Martin Z. war noch im Februar 1862 im Gemeinderat

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Villingen, den 7. Mai 1862: „Wegen verschiedener Gemeindeangelegenheiten hatte man den Gemeinderat versammelt und folgende Gegenstände zur Beratung gebracht.“ „1. Beschwerde des Kaspar Ester dahier zu Villingen wegen verweigerter Abgabe von Loosholz.“ „Der Großh. Bürgermeister eröffnet dem Gemeinderat die ihm durch Verfügung Großh. Kreisamts Nidda vom 2. Mai 1862 mitgeteilten Verhandlung oberen Betreffs und forderte denselben zur Erklärung auf.“ Der Gemeinderat: „Dem Kaspar Ester wurde das Loosholz verweigert, weil derselbe vor der Verlosung zu seinem Sohn nach Röthges verzogen ist und hat derselbe sonach, da er in der Gemeinde nicht mehr wohnt, nach den gesetzlichen Bestimmungen keine Ansprüche auf Alimentgenuß.“ Der Bürgermeister Der Gemeinderat

Villingen, den 26. Mai 1862: „Nachdem zur heutigen Sitzung des Gemeinderats sämtliche Mitglieder desselben geladen und erschienen waren, eröffnete Großh. Bürgermeister die Sitzung und wurden folgende Gegenstände zur Beratung gebracht.“ 1. „Gesuch des Konrad Nürnberger II. um Aufnahme seiner Braut Elise Lotz aus Betzenrod.“ „Der Großh. Bürgermeister produziert das Vermögensmaß der Elise Lotz dergestalt dessen dieselbe ein Vermögen von 5.476 Fl infiziert und beschließt der Gemeinderat dem Gesuch um Aufnahme Folge zu leisten.“ 2. „Beschwerde des Heinrich Köhler zu Villingen wegen verweigerter Loosholzabgabe.“ „Der Großh. Bürgermeister trägt dem Gemeinderat die ihm durch Verfügung Großh. Kreisamtes vom 14.1.1862 bekannt gewordene Beschwerde zur Beratung vor und erklärt der Gemeinderat.:“ „Heinrich Köhler wohnt bereits seit 3 Jahren nicht mehr in Villingen, ist bei Peter Scheuermann in Hungen Knecht, hat in Villingen keine Haushaltung, daher keinen gesetzlichen Anspruch auf Bezug von Gemeindenutzen, weshalb auf denselben kein Loosholz abgegeben wurde.“ Der Bürgermeister Der Gemeinderat

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Villingen, den 2. Juni 1862: „Die Klage in Sachen der Fürstlichen Rentei zu Hungen namens der Fürstlichen Herrschaft zu Solms-Braunfels, Klägerin gegen die Gemeinde Villingen verklagten Schutz im Besitz eines Holzloosteiles.“ „Die Herren Fürsten Solms-Braunfels besaßen in Villingen bekanntlich einen Hof mit ca. 300 Morgen Land, dieses Gut wurde bereits 18 Jahre unter die Villinger Ortseinwohner parzellenweise verpachtet und die Hofgebäude seit vorigem Jahr völlig abgebrochen. Solange dieses Hofgebäude vorhanden war wurde jedes Mal dem Einwohner desselben gleich jedem anderen Ortsbürger sowie hiesigem Ortsbürger aus dem Gemeindewald ein Loosteil zugeteilt. Nachdem aber die Gebäude entfernt und keine Bewohner derselben mehr vorhanden waren, hat man die Holzabgabe verweigert, weil in Villingen die Abgabe von Loosholz nicht auf das Gut, sondern auf die Bewohner von Hofreiten beruht, die einen eigenen Haushalt bilden.“ „Nach einer unter dem 28. Mai d. J. dem unter Großh. Bürgermeister eröffneten Verfügung Großh. Landgerichts in Hungen 24 a, c ist der Herr Fürst Solms-Braunfels wegen der Loosholzabgabe klagend gegen die Gemeinde Villingen aufgetreten und Termin auf den 18. Juni d. J. bestimmt.“ „Da nun nach einer früheren Entschließung des Gemeinderats dieser Loosholzabgabe verweigert und im genannten Termin Gegenerklärungen abgegeben werden müssen, so hatte der Unterzeichnete Großh. Bürgermeister Zimmer auf heute morgen 6.00 Uhr Sitzung des Gemeinderats bestimmt, der Gemeinderat besteht aus dem Bürgermeister und 9 Mitgliedern.“ „Zu dieser Sitzung waren sämtliche Mitglieder geladen und die neben bezeichneten in gesetzlicher Zahl erschienen.“ „Der Großh. Bürgermeister eröffnet sofort die Sitzung und macht dem Gemeinderat die geeignete Vorlage und wurde nach stattgehabter Beratung beschlossen:“ Da der Herr Fürst zu Solms-Braunfels in Villingen kein Hofgelände mehr besitzt, dieses vielmehr abgebrochen sonach auch kein Pächter desselben vorhanden ist, so hat derselbe keinen Anspruch auf Loosholz, daß daher die Rechte der Gemeinde Villingen diesen Angriffen gegenüber uns zu verteidigen bei der höheren Behörde die Genehmigung zur Prozeßführung nachzusuchen.“

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„Der Großh. Bürgermeister wurde sofort zur Ausführung und Bestellung eines Anwalts ermächtigt.“ Der Bürgermeister Der Gemeinderat „Gesuch des Friedrich K. um Aufnahme seiner Braut Margarethe H. von Nonnenroth.“ „Der Großh. Bürgermeister geodizierte(?) Vermögensattest der Margarethe H. dessen dieselbe ein Vermögen von 1000 Fl inseriert und beantragt dem Gesuch um Aufnahme Folge zu geben.“ Der Gemeinderat beschließt: „Die Aufnahme soll willfahrt werden“ „Reglement über die Ausübung des Schaafstriebs in der Gemeinde Villingen“ „Der Großh. Bürgermeister brachte bei Gelegenheit der heutigen Gemeinderatssitzung des Großh. Kreisamtes Nidda vorgelegte Reglement über den Schaafsbetrieb zur Sprache und stellte dem Gemeinderat die Frage, ob ihm außer der Redamtieren des Gemeinderats Reinhard Graf gegen genanntes Reglement welches bis jetzt an verschiedenen Orten, an verschiedenen Straßenecken, öffentlich angehaftet gewesen, weitere Widersprüche bekannt geworden und was er überhaupt dabei zu erinnern finde.“ Der Gemeinderat: „Es sind uns außer der Reklamation des Reinhard Graf keine Widersprüche bekannt geworden und ist überhaupt gegen das Reglement nichts weiters zu erinnern, als daß derselbe mit aller Energie aufrecht erhalten und ausgeführt werde, da dies ganz im Interesse der Gemeinde liegt.“ Der Bürgermeister Der Gemeinderat

Villingen den 11. Juni 1862 „Gesuch des Ludwig D. aus Einartshausen Kreis Schotten um ortsbürgerliche Aufnahme zu Villingen, Behufs seiner Verehelichung mit Margarethe M. zu Villingen.“

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„Nachdem Ludwig D. aus Einartshausen Kreis Schotten um Aufnahme als Ortsbürger Behufs seiner Verehelichung mit Margarethe M. nach Villingen nachgesucht, so hatte man den Gemeinderat versammelt, war in gesetzlicher Anzahl erschienen und wurde von dem Großh. Bürgermeister vorgetragen:“ „Ludwig D. aus Einartshausen hat sich mit Margarethe D. von Villingen verlobt und ist gesonnen nach Villingen überzuziehen, es hat daher derselbe heute ein Vermögen und Leumundszeugnis vorgelegt, Inhalt dessen derselbe ein Vermögen von 1800 Fl besitzt, auch sich stets gut betragen und um Erteilung der Aufnahme als Ortsbürger gebeten, weshalb ich dies Gesuch der Beschlußnahme des Gemeinderats anheim stellen wolle.“ Der Gemeinderat: „Die gewünschte Aufnahme soll dem Ludwig D. erteilt werden und dessen Eintrag in das Bürgerregister, sobald die gesetzlichen Einzugsgelder bezahlt sind, geschehen.“ Der Bürgermeister Der Gemeinderat

Villingen, den 30. September 1862: „Nachdem für den heutigen Termin die Verpachtung der Gemeindegüter bestimmt wurde, hatte man den Gemeinderat vorladen lassen, derselbe war in gesetzlicher Anzahl erschienen, der Großh. Bürgermeister eröffnete die Sitzung und trug vor.“ 1. „Die Verpachtung der Gemeindegüter Der Großh. Bürgermeister fragt bei dem Gemeinderat an, ob die Gemeindegüter unter den gleichen früheren Bedingungen verpachtet werden sollen und ob es durch das Teil wo der Vicinalweg nach Hungen projektiert wurde, die von Geometer Heinek vorläufig projektierte Einteilung bei der Verpachtung maßgebend sein solle.“ Der Gemeinderat erklärt: „Die Verpachtung soll in der seitherigen Weise geschehen und bezüglich des Gewanns vor der Vicinalweg nach Hungen projektiert ist, die Einteilung wie sie diesen passend und von Geometer Heinek projektiert erfolgen und danach verpachtet.“

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2 Die Verpachtung des Garten- bzw. Baumschule.“ „Der Garten, die sogenannte Baumschule und der Acker vor dem Steinbruch, sind seit dem Abzug des Lehrers Grohrock verpachtet und jetzt leihfällig, der gegenwärtige Lehrer der zweiten Schule hat um Überlassung dieser beiden Grundstücke gebeten und stellte daher dem Gemeinderat dies zu geeigneter Entscheidung anheim.“ Der Gemeinderat: „Um für die Folgen aller Ansprüche auf Besoldungserhöhung, persönlichen Zulagen überhaben zu sein, wollen wir beide Grundstücke definitiv zur Besoldung der zweiten Schulstelle abtreten und dieselbe durch diese beiden Grundstücke im Pacht oder Guldenaufschlag von jährlich 10 Fl erhöhen.“ Der Bürgermeister Der Gemeinderat

Villingen, den 5. Oktober 1862: „Nachdem zur heutigen Sitzung des Gemeinderates sämtliche Mitglieder desselben eingeladen wurden, und sieben derselben erschienen waren, eröffnete der Großh. Bürgermeister die Sitzung und trug vor.“ 1. „Die Ausführung des Reglement über die Ausübung des Schaftriebes in der Gemeinde Villingen.“ „Das unterm 7. Mai 1862 vom Gemeinderat beschlossene und unterm 6. Juni 1862 genehmigte Reglement ist mit dem 1. August d. J. in Wirksamkeit getreten und haben demzufolge die betreffenden Ortsbürger von jedem über die bestimmte Zahl getriebener Stück Schafe 1 Fl 30 Kr Weidgeld zu bezahlen.“ „Die Zahl der überzähligen Schafe beträgt über 100 Stück. Durch die Stockung des Handels war es nicht möglich dieselben abzuschaffen, die benachbarten Gemeinden waren ebenfalls überfüllt mit Schafvieh und war die Unterbringung dieser überzähligen Schafe nicht möglich, dieselben sind hier in der Gemarkung ernährt worden. Seitens der Gemeinde ist nach dem 1. August nichts zur Weide gegeben, dagegen für die Pferchnutzung ein enorm hoher Preis erzielt worden und für die Gemeinde sonach kein Nachteil entstanden.“ „Ich gebe daher zu bedenken, ob man nicht in Berücksichtigung dieser ganz besonderen Verhältnisse und um das Reglement den Ortseinwohnern

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gerade im Anfang nicht zu einer besonderen Belästigung zu machen, den Termin der in Wirksamkeitsberatung bis zum nächsten Frühjahr verlängern solle, dann aber mit aller Strenge dasselbe ausführen und durchsetzen müsse.“ Der Gemeinderat erklärt hier folgendes: „Johannes Nürnberger, Adam Koch, Johannes Roth und Johannes Leschhorn – Gemeinderäte – sind mit dem Vorschlag des Großh. Bürgermeisters einverstanden und wollen denselben als Beschluß erheben.“ „Die Gemeinderäte Georg Pfarrer, Johannes Hau und Heinrich Heinek erklären sich gegen die Verlängerung des Termins des Reglements, und zwar aus folgenden Gründen:“ „Nach dem Reglement sollen nur 400 Schafe in der hiesigen Gemarkung gehalten und es ist diese Zahl schon sehr hoch gegriffen, dadurch, daß in diesem Frühjahr gegen 600 Schafe vorhanden waren, mußten notgedrungener Weise Gemeinde-wiesen zur Weide eingegeben werden und ist ein Ausfall in Graserlös entstanden, für den man der Gemeinde Ersatz geben muß.“ „Das Weidgeld von 1 Fl 30 Kr ist allerdings etwas hoch, aber deshalb auch hochgestellt worden, daß keiner in die Verführung kommen möge, über die bestimmte Zahl Schafe zu halten und liegt es zu sehr im Interesse der Gemeinde daran nicht abzugehen.“ „In Berücksichtigung der flauen Handelsverhältnisse und um die Einführung des Reglements im Anfang nicht so schwer zu machen wollen sie beantragen, daß von jedem überzähligen Stück für diesmal nur 15 Kr für die Folge aber ganz wie im Reglement bestimmt, 1 Fl 50 Kr Weidgeld erhoben werden.“ Der Bürgermeister Der Gemeinderat

Villingen, den 26.Okt. 1862: „Wegen verschiedener Gemeindeangelegenheiten hatte man heutige Sitzung des Gemeinderats bestimmt, hinzu sämtliche Mitglieder geladen und nachdem dieselben in gesetzlicher Anzahl erschienen waren, wurde die Sitzung sofort eröffnet.“ 1. „Die Umwandlung des Distrikts Blaustück Villingen in Gemeindewald.“

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Der Großh. Bürgermeister trägt vor: „Die Umwandlung des Distrikts Blaustück 43 Morgen 277 Klafter zu Feld ist somit genehmigt worden, wenn die Gemeinde an anderer Stelle eine Fläche von Wald bestimmt. Es ist hierzu vorläufig die Gemeinde Pfingstweide welche 19 Morgen 311 Klafter hält ausersehen und würden demnach noch zu erwerben sein 23 Morgen 366 Klafter welches wir dem Gemeinderat zur Beschlußnahme hiermit unterbreiten wollen.“ Der Gemeinderat: „Wir wollen die Pfingstweide 19 Morgen 311 Klafter zu Wald abtreten und bestreben die noch fehlende Fläche durch ankaufen an dem Wald gelegenen Grundstücken zu ergänzen.“ Der Bürgermeister Der Gemeinderat

Villingen, den 16. November 1862: „Zur der heute Abend anberaumten Sitzung waren sämtliche Mitglieder geladen und nachdem dieselben in gesetzlicher Anzahl erschienen waren, eröffnete der Groß. Bürgermeister die Sitzung und trug vor:“ 1. „Die Umwandlung einer Waldfläche im Villingener Gemeindewald Distrikt Blaustück zu Feld.“ „Nach der durch Großh. Kreisamt Nidda vom 13. 11 62 mitgeteilten Verfügung Großh. Oberforst und Oberdirektion vom 7. 11 ist die Umwandlung rubricide Waldfläche zu Feld genehmigt worden, wenn die Gemeinde die Pfingstweide mit 19 Morgen 290 Klafter sofort dem Waldverband einverleiben lasse und sich bei darbietender Gelegenheit noch weitere 16 Morgen zur Waldanlage taugliches Gelände kaufen und mit dem Waldverbande einverleiben ließe.“ „Ich unterbreite dahier dies der Beschlußnahme des Gemeinderats.“ Der Gemeinderat: „Wir sind mit der gestellten Bedingung, wie dies in unserer Sitzung vom 26. Oktober d. J. bereits beschlossen und der Forstbehörde mitgeteilt wurde einverstanden.“ 2. „Gesuch des Lehrers Pflanz um Überlassung des Ofens aus der Lehrerwohnung des Rathauses.“ „Der Großh. Bürgermeister trägt vor:“

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„Lehrer Pflanz der bekanntlich mit seiner Familie im Rathaus nicht wohnen konnte, hat eine Wohnung gemietet erhalten, in dieser fehlt es an einem passenden Ofen und bittet derselbe um Überlassung des Ofens aus der für den zweiten Lehrer bestimmten Zimmer im Rathaus für diesen Winter“. „Durch Willfahrung15 dieses Gesuches würden für die Gemeinde weiter keine Kosten als die des Aufsetzens mit etwa 48 Xer entstehen und stelle ich dies der Entscheidung des Gemeinderats anheim.“ Der Gemeinderat: „Dem Gesuch soll Folge gegeben werden.“ Der Bürgermeister Der Gemeinderat

Villingen, den 20. Dez. 1862: „Nachdem für heute die Sitzung des Gemeinderats, welcher aus 9 Mitgliedern besteht, zu welcher sämtliche Mitglieder eingeladen und dieselben in gesetzlicher Anzahl erschienen waren, so eröffnete der Großh. Bürgermeister die Sitzung und trägt vor:“ „Die Ausübung des Schaafstriebes in der Gemeinde Villingen.“ „Bei der am 13. d. M. stattgehabten Versammlung der Bürgermeister des Kreises Nidda ist von dem Großh. Kreisamt den betreffenden Bürgermeistern der Auftrag geworden den Gemeinderat über die ferne Ausübung des Schaafsbetriebs und der Weideberechtigung zu vernehmen. Ich unterbreite daher dies der geneigten Beschlußnahme des Gemeinderats.“ Der Gemeinderat: „Wir haben unterm 7. Mai 1862 einen Reglement beschlossen, welches vom Großh. Kreisamt genehmigt wurde, dies soll aufrecht erhalten werden.“ Der Bürgermeister Der Gemeinderat

15 Genehmigung

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Villingen, den 27.Dezember 1862: „Der alten Sitte gemäß hatte sich heute der Gemeinderat versammelt um wegen Annahme der Gemeindediener zu beraten.“ „Der Bürgermeister eröffnete die Sitzung und nachdem gegen die Gemeindediener nichts zu erinnern und deren Beibehaltung mit Ausnahme des Gänsehirten beschlossen worden war, so wurde für das Jahr 1863 bestimmt:“ 1. Zum Schweinehirt wurde ernannt Georg Schröder für folgenden Lohn:

a. als Hirte jährlich 55 FL. b. als Stundenbläser 40 FL. c. von jedem Bürger ein Neujahr, wer Vieh treibt, von jedem für jedes

Fest ein Kuchen und von jedem der Vieh neu zur Herde vom Stück 2 Kr Gewöhngeld, jedoch darf dies nicht über 12 Kr. betragen.

d. von jedem der ein Schwein zur Herde getrieben und schlachtet , eine Wurstsuppe mit Wurst.

2. Dem Kuhhirten a. als Hirte 25 FL b. als Nachtbläser 40 FL c. die Gebühren wie beim Schweinehirt mit Ausnahme der Wurst

und Suppe.“ „Für diesen Lohn wurde Georg Schröder als Schweinehirt und Stundenbläser, Georg Seibert als Kuhhirt und Stundenbläser angenommen.“ „Der Nachtwächter Georg Graf wurde für die etatsmäßige Besoldung, auf das Jahr 1863 beibehalten.“ 3. „Der Gänsehirt wurde für den Lohn von der Gans 5 Kr und ein Pfund Brot sowie jedes Fest einen Kuchen beibehalten und der Georg Schneider Witwe übertragen.“ Unterschriften:

Georg Schröder, Georg Seibert, Georg Graf Der Bürgermeister Zimmer Der Gemeinderat: Heinrich

Heinek, Georg Pfarrer, Johannes Leschhorn, Reinhard Graf, Johannes Roth, Adam Koch, Johannes Nürnberger. „Bei Gelegenheit der heutigen Gemeinderatssitzung wurde der Gemeinderat Georg Pfarrer für das Jahr 1863 als Kontrolleur ernannt.“ Der Bürgermeister Der Gemeinderat

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VI. Bericht aus Gemeinderechnungen 1862

Pfarrer Emil Sellheim berichtet, in der von ihm begonnenen Ortschronik für 1862, dass der Vicinalweg nach Ruppertsburg gebaut wurde. Wir haben hier einmal die Originalaufzeichnungen dazu aus den Gemeinderechnungen über die Gesamtkosten angeführt: Summe aller Kosten waren 2.857 Fl 1 ½ Kr. Weitere interessante Ausgaben:

• Dem Johannes Leschhorn und Polizeidiener Pfarrer für das Sammeln von 50 Malter Eicheln à 1 Fl 26 Kr = 71 Fl 40 Kr.

• Dem Hofgerichtsadvocaten Dr. Engelbach wegen Prozeß der Gemeinde mit der Rentk. Solms-Braunfels über Losholz 25 Fl.

• Dem Großherzoglichen Bürgermeister Rauthler zu Langd für eine Bescheinigung in der Prozeßsache der Gemeinde gegen die Rentkammer Solms-Braunfels 1 Fl 30 Kr.

• Dem Pfarrer Fritz zu Nidda wegen Abhaltung der Schulprüfung 3 Fl 30 Kr.

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• Dem Salzwieger Heinrich Strack für 68 Pfund Salz für die Schafherde 3 Fl 24 Kr.

• Dem Todtengräber Heinrich Zimmer 30 Fl. • Den Feuervisitatoren Zell und Dietrich 6 Fl. • Dem Gemeinderatsmitglied Johannes Leschhorn Gebühren als

Controlär 9 Fl. • Dem Lehrer Rappolt für einen Gang nach Nidda wegen

Lehrerkonferenz daselbst am 27. August 1862 1 Fl 30 Kr. • Zeitungen: Für die Darmstädter Zeitung 6 Fl 18 Kr. • Für die landwirtschaftliche Zeitschrift an Großherzoglichen

Disctrictseinnehmers Marloff 3 Fl. • Für das Inteligenz und Amtsbl. Fried. Cloos zu Nidda 1 Fl 42 Kr. • An Großherzogliches Ober-Postamt Darmstadt für den Briefkasten

11 Fl 9 Kr. • Dem Wilhelm Döll 3 für das Fertigen und Setzen eines Stock zum

Briefkasten 2 Fl 24 Kr. • Dem Philipp Koch für das Fertigen von 2 Schrauben und eines

Bankeisen zum Befestigen des Briefkasten 20 Fl. • Unterstützung der Armen in der Summe 165 Fl 48 Kr • Dem Schweinehirt Georg Schröder für das Blasen der Uhr des

Nachts 40 Fl. • Dem Kuhhirt Georg Seibert für das Gleiche 40 Fl. • Dem Johannes Koch zu Nonnenroth für das Fangen der Maulwürfe

in hiesiger Gemarkung 819 Stück à 3 Kr = 40 Fl 47 Kr. • Dem Glockengießer J. H. Bach und Söhne zu Windecken für das

Umgießen der zersprungenen Glocke 193 Fl. • Demselben für den neuen Klöppel der Glocke 29 Fl 8 Kr. • Dem Wilhelm Döll 3 für Zimmerarb. am Glockenstuhl 32 Fl 28 Kr. • Dem Philipp Koch und Johannes Zimmer 14. für Schmiedearbeit

am Glockenstuhl und Glocken 57 Fl 30 Kr. • Dem Friedrich Dietz zu Lich für 3 neue Glockenseile 12 Fl 12 Kr.

Für Eisenbahn:

• Dem Steuercommissär Hunzinger nach genehmigtem Beschluß des Gemeinderats zur Ausführung des Eisenbahnprojekts Beisteuerung von der Gemeinde 7 Fl.

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Abb. Titelblatt der Gemeinderechnung, Einnahme und Ausgabe, von 1863.

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VII. Bauformen im alten Villingen.

In Heft 2 haben wir die Grundlagen des Fachwerkbaues beschrieben, hier soll die Beschreibung der Bauformen des Dorfes folgen.

Wenn wir uns den alten Dorfkern von Villingen ansehen so finden wir das typische Haufendorf, fast wie ein klassischer Rundling, rund um die um 1300 erbaute Kirche angelegt. Das alte Kerndorf besteht aus den heutigen Straßen: Langgasse, Pfarrgasse, Glockengasse, An der Kirche und Lipsengasse. Um diesen Kern herum legten sich die späteren Straßen bis zur heutigen Hoch- und Kreuzstraße. Mit der Bahnhofstraße bildeten sich die 2 Hauptachsen des heutigen Dorfes heraus. (siehe Abb. Seite 4)

Das typische Haus im alten Dorf Villingen war wohl das mehrzonige Einhaus bzw. der Einhof, der aber des öfteren zu einem späteren Zeitpunkt zu einem kleinen Mehrseit- oder Winkelhof erweitert worden ist. Auch Parallel- und Winkelhöfe kommen schon früh vor, bleiben aber selten. Der Dreiseithof ist noch wesentlich seltener anzutreffen.

Typisch für den mehrzonigen Ein- oder Streckhof ist, dass die Giebelseite zur Straße zeigt, die erste, vordere Zone, von der Straße her, bildet im Erdgeschoss den Wohnbereich „Die gute Stube“, darüber im Obergeschoss die Schlafräume der Eltern. Im Erdgeschoss findet sich in diesem Bereich auch oft eine Kammer für die „Alten“. Die 2. Zone ist der Eingangsbereich, der Flur früher „Ern“ genannt. In dieser Zone befindet sich in aller Regel auch die Küche und zwar meistens hinter dem Flur. Daneben ist in der 2. Zone die Treppe untergebracht, im Obergeschoss schließt der „Gang“ an.

Abb. aus Dörfer in Hessen, Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Bd. 2, Königstein, 2000.

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Die 3. Zone bilden oft schon der Stall im Erdgeschoss und darüber die sogenannte Stallstube, oft als Schlafzimmer für die Kinder genutzt.

Diese 3. Zone wurde in aller Regel zu allererst umgebaut, wenn es der Familie besser ging, wurde hier zusätzlicher Wohnraum ausgebaut und die Stallung verlegt. Als 4. Zone folgte meistens schon die Tenne, darüber das „Gerist“. Bei 5-zonigen Häusern folgte nun die letzte Zone, hier war im Obergeschoss der „Heuriegel“ und im Erdgeschoss der Schweine- Schafs- oder Ziegenstall untergebracht. Natürlich gab es von dieser Regel auch häufig Ausnahmen, was die Anordnung der Zonen angeht, denn man musste sich ja auch noch nach den Geländeformationen oder dem Zuschnitt des Grundstückes richten.

Hier in Villingen, wie auch in den Nachbargemeinden Ruppertsburg und Gonterskirchen, sehen wir von der Bauweise und den Hausformen schon deutlich den Übergang vom hohen Vogelsberg zur Wetterau. Sogar die für die Wetterau so typischen überdachten Hoftore mit einem kleinerem Nebeneingang kamen häufiger vor, wie wir auf älteren Fotos ersehen können.

Im Vogelsberg dominierte eindeutig der Einhof in der Wetterau die Mischformen von Winkel-, Parallel- und Dreiseithof.

Die Bauformen geben dabei deutlich die Strukturen der kleinbäuerlichen Landwirtschaft wieder, ja fast wirken die Hausformen wie Erkennungs-zeichen für die Größe des Besitzes: Einhof = wenig Besitz = Kuhbauer; Mehrseitehof = mehr Landbesitz =Pferdebauer.

Anschließend soll der vorherrschende Bauernhoftyp des Vogelsberges und am Übergang zur Wetterau noch etwas deutlicher dargestellt werden, der besondere Aufmerksamkeit bei den Siedlungs- und Hausforschern gefunden hat.

Schon 1912 hatte Otto Lauffer auf die spezielle Ausbildung der Vogelsberger Ein- und Streckhöfe hingewiesen. 1953 erschienen die Forschungsergebnisse von Kurt Ehemann. Er wies nach, dass die Zahl der Einhäuser und Streckhöfe in den Dörfern von der Wetterau ansteigend zu den Höhenlagen des Vogelsberges kontinuierlich zunimmt. Heinrich Winter (1966) und Berthold Pletsch (1970) beschäftigten sich speziell mit Bauernhäusern im Lauterbacher Raum und stellten fest, dass der große Einhof oder Streckhof hier keine sehr alte Hofform gewesen sein kann, da sie sich erst im 18. Jh. ausbreitete. In einer unveröffentlichten Arbeit an der Technischen Hochschule in Darmstadt fasste Armin Rausch 1982 die

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Ergebnisse zusammen und präzisierte sie durch eigene Untersuchungen im Bereich der Dörfer in einer Höhenlage über ca. 500 m, anhand der „Gewannbücher“ des 18. Jhs. und der Brandkataster sowie der Parzellenhandrisse des 19. Jhs. Außerdem wurde in diesem Zusammenhang eine Reihe Höfe aufgemessen.

Durch die genaue Bezeichnung in den historischen Unterlagen kann man die einzelnen Hofformen gut unterscheiden. Die einteiligen Hofformen - Einhäuser, Einhöfe und Streckhöfe - werden „ein Hauß und Scheuer“ (ein Haus mit Scheune) oder „ein Hauß und Denn“ (ein Haus mit Tenne) genannt. Die mehrteiligen Hofformen - Winkel- und Dreiseithöfe -dagegen „ein Hauß, ein Scheuer“ (ein Haus, eine Scheune). Weiterhin existiert noch die Bezeichnung „ein Hauß“ ohne weiteren Zusatz, die für Kleinhäuser gelten muss.

Aus diesen Arbeiten können wir auch entnehmen, dass im ganzen Untersuchungsgebiet sich die Hausformen schnell änderten: Während im Vogelsberg, siehe Tabelle unten, die mehrteiligen Höfe abnahmen, konnte am Übergang zur Wetterau diese Beobachtung nicht ganz so bestätigt werden.

Für diese Veränderungen werden verschiedene Ursachen verantwortlich gemacht. Im Vogelsberg mögen es vorwiegend klimatische Beweggründe gewesen sein, denn ein einteiliger Hof hatte weniger Flächen und das Vieh im Haus half mit, dieses zu heizen. Aber auch die zunehmende Zersplitterung des Landbesitzes, die an anderer Stelle in unseren Villingener Heften schon beschrieben wurde, ging zu Lasten der mehrteiligen, und damit in der Regel größeren Höfe

Abb. Veränderung der Hofformen im Vogelsberg von um 1700-1832.

Um 1704 Um 1770 Nach 1770

1832

Einhaus 20% 26% 24,5% 16% Einteilige Hofform 23% 30% 41% 16% Mehrteilige Hofform

57% 44% 34% 2%

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Die obenstehende Übersichtskarte von der Flurbereinigung 1854 in Villingen zeigt die zentral angeordnete Lage des Dorfkerns und die typische Form des Haufendorfes (Rundling), siehe dazu auch Abb. von Seite 4 dieses Heftes.

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VIII. Baudenkmäler, Langgasse 7

Diesem Haus in der Langgasse 7 sieht man heute nicht mehr an, dass in

seinem Kern ein ehemaliges Fachwerkhaus steckt. Doch hat es sich auf einer alten Aufnahme in seiner ganzen Pracht als Fachwerkhaus erhalten.

Heinrich Walbe beschreibt in: „Die Bau und Kunstdenkmäler im Kreis Giessen“, Bd. 3, Südlicher Teil, 1933, Seite 410, ein Haus an dieser

Stelle (Langgasse 7) es sei von 1593, und war damals verputzt. Der heutige Besitzer sagte uns, dass beim Umbau des Hauses ein Balken

vorgekommen sei auf dem die Jahreszahl 1696 gestanden habe, diese Jahres-Angabe könnte auch von einem Umbau herrühren, wobei zu berücksichtigen ist, dass Walbe das Haus nur im verputztem Zustand beurteilen konnte.

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Interessant sind die über Eck gestellten Mann Figuren, mit im Obergeschoss stark ausladenden Streben. An der Ecke, da wo die damaligen Bewohner stehen, scheint das Fachwerk einmal ausgebessert worden sein, denn der Eckständer mit Streben ist wesentlich jüngeren Datums.

Schön sind auch die beiden Andreaskreuze genannten Balken in den Brüstungsfelder des Obergeschosses, diese heißen vielfach auch Feuerböcke, weil sie deren Form haben. Leider konnte ich das alte Foto auch mit digitaler Bearbeitung (Adobe Photo shop 7.0) nicht mehr besser darstellen.

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IX. Zeugnisse der Jungsteinzeit (Rössener-Kultur) aus Villingen

Hatten wir bereits in einem früheren Einzelbeitrag über die älteste der

Jungsteinzeitkulturen, die Linearbandkeramiker berichte, so folgt an dieser Stelle die „Rössener-Kultur“, denn auch sie ist durch Funde in Villingen nachgewiesen.

Im Buch der Stadt Hungen heißt es noch irrtümlich: „... Die Rössner-Kultur ist bisher noch nicht nachgewiesen worden.“

Im Jahr 1904 fand man im Distrikt „Mühlberg“ bei der Anlage einer Schneise im Wald, westlich des Weges Villingen-Langd, in 0,30 m Tiefe, zusammen mit den o. a. bandkeramischen Scherben, auch die Scherben einer verzierten Schüssel aus der Rössener-Kultur.16

Leider sind aber auch diese Fundstücke im Oberhessischen Museum Gießen verschollen.

Die Entstehung der Rössener Kultur, die ihren Namen nach einem Gräberfeld im Kreise Merseburg, Bez. Halle, führt, ist bisher kaum geklärt.17 Während einige Wurzeln zweifellos in der Großgartacher Kultur liegen, lassen andere Elemente Beziehungen zum osteuropäischen Neolithikum erkennen. Diese Kultur gehört bei uns in das Mittelneolithikum, also wahrscheinlich in jenen Zeitabschnitt um 4000 v. Chr. oder noch etwas früher.18

Im Kreisgebiet gehören die Funde von Inheiden, Leihgestern, Lich, Ober-Hörgern und Villingen der Rössener Kultur an, die zugleich auch einen repräsentativen Querschnitt durch das Inventar dieser Kultur vermitteln. An Gefäßformen begegnen uns Kugelbecher, Kugeltöpfe, Schüsseln, Fußgefäße, kleine unverzierte Näpfchen sowie große unverzierte Vorratsgefäße, deren Ränder bisweilen gekerbt sein können.

Im Steingerätebestand der Rössener Kultur lassen sich Unterschiede zu Großgartach erkennen. So fehlt u. a. der hohe Schuhleistenkeil. Hingegen dürfte die zweiseitig bearbeitete Feuerstein-Pfeilspitze mit konkaver oder gerader Basis eher von der Rössener Kultur bevorzugt worden sein.

16 Inventar Gießen, Jungsteinzeit Nr. 66. 17 Wir folgen hier der Darstellung von Hartmut Lischewski im Inventar Gießen. 18 Zeitstellung nach Herrmann/Jockenhövel in Vorgeschichte Hessens, Seite 122.

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Die Funde der Rössener Kultur treten im Kreisgebiet gegenüber denen der Linearbandkeramik zahlenmäßig weit zurück. Da ihre Träger Ackerbauern waren und sie ebenso wie die Bandkeramiker hochwertige Böden zu schätzen wussten, ist es eben nicht selten, dass die Hinterlassenschaften der einen Gruppe in den Fundzusammenhängen der anderen Gruppe auftreten. Eine Überschneidung der Funde beider Kulturen dürfte auch in Villingen vorgelegen haben.

Ganz im Gegensatz zur Linearbandkeramik werden in der Rössener Kultur nun erstmals auch mitunter nur schwer zugängliche Höhen besiedelt, wie das u. a. bei Grabungen auf dem südlich des Kreisgebiets gelegenen Glauberg nachgewiesen werden konnte.

Dieser Umstand und die Tatsache, dass die Flachlandsiedlungen befestigt waren, mögen andeuten, dass diese Maßnahmen wohl kaum einfache Sicherheitsvorkehrungen waren.

Da die Fundstücke aus Villingen leider verschollen sind, wollen wir ein

Vergleichstück aus Leihgestern zeigen. Es wurde im April 1914 bei Feldbereinigungsarbeiten dort auf „den Hardtäcker“ gefunden. Es ist ein kräftig profilierter Kugelbecher, H. 9,8; Mdm. 10 cm. (Inventar Gießen Nr. 62, Seite 23)

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Das Autorenteam: Wilhelm Konrad, Villingen, hat die Ortschronik u. a. Urkunden in eine für uns heutige Menschen lesbare Schrift übertragen.

Heinz P. Probst, Queckborn, hat die einzelnen Beiträge geschrieben und zu den Gemeinderatsunterlagen und Chroniken die Fußnoten verfasst. Sowie das Heft gesetzt und gestaltet.

Otto Rühl, Villingen, hat die Archivunterlagen recherchiert und für die Veröffentlichung vorbereitet. Er ist auch für die Organisation und den Verkauf der Villingener-Hefte verantwortlich.

Herausgeber: Heimatkundlicher Arbeitskreis innerhalb der Evangelischen Kirchengemeinde Villingen / Nonnenroth,

Hirzbacher Weg 8, Hungen-Villingen. ©Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und sonstige

Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verfassers

2003.

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Folgende Firmen und Institutionen haben uns mit Geldspenden unterstützt, vielen Dank.

Stadtarchiv Hungen Ortsbeirat Villingen

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