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Konfliktmanagement/Beeinflussungsstrategien 2 ... 1. Heißer Konflikt Heftige Begeisterungsstimmung bei den beteiligten Parteien. Sie sind von Idealen beseelt und meinen, ihre eigene Sache sei um vieles besser als die der Gegenseite. Sie versuchen, die eigenen Ideale auch auf andere zu übertragen, andere damit zu überspülen und zu überwältigen. Bei den Zusammenstößen geht es meistens darum, die Gegenseite zu einem gläubigen Anhänger der eigenen Ideale zu machen. Die Ziele sind in erster Linie “Erreichungsziele”, d.h. die Konfliktparteien wollen ein bestimmtes Vorhaben, ein inspirierendes Ideal mit den gegebenen Mitteln konstruktiv verwirklichen. Der Zusammenstoß mit der Gegenpartei ist dabei eigentlich eine ungewollte Nebenwirkung des eigenen Erreichungszieles. Wenn sie einem jedoch bei der Verwirklichung der Ideale im Wege steht, dann ist die Konfrontation unumgänglich. Bei heißen Konflikten sind die Konfliktparteien i.d.R. von der Redlichkeit und Reinheit ihrer Motive überzeugt. Es paßt nicht zu ihrem Selbstbild, daß sich zu den “heiligen Motiven” eventuell auch “unheilige Motive” gesellt haben könnten. Man überschätzt die eigene Kraft und glaubt an die Geschlossenheit und Unüberwindlichkeit der eigenen Idee und Gruppe. Dem ganzen Konflikt wohnt eine aufblähende aufputschende Tendenz inne, die sich selbst verstärkt. Die gegenseitige Beziehungen werden - paradoxerweise - trotz der äußeren Konfrontation vom gegenseitigen Streben nach Annäherung bestimmt. Im Grunde wird die Begegnung mit der Identität der eigenen Partei wie auch der Gegenpartei gesucht. Die Konfliktparteien üben aufeinander Anziehungskraft aus. Heiße Konflikte leiden unter einem “Handlungs-Überangebot” der Parteien. In der verfügbaren Zeit möchte jede Parte bis weit über das Erträgliche hinaus die Gegenseite in die Diskussion ziehen und mit eigenen Auffassungen konfrontieren. Dies ähnelt vergleichsweise einem kleinen Raum, in dem sich zu viele Personen tummeln. In heißen Konflikten können sich die Interventionen sofort auf die Klärung der gegenseitigen Wahrnehmungen, Einstellungen, Verhaltensweisen und der wechselseitigen Beziehungen konzentrieren. In der Regel sind die Konfliktparteien daran interessiert, an den Konflikten “auf offener Bühne zu arbeiten”. Schwieriger ist es in heißen Konflikten i.d.R., die Konfliktparteien zur Arbeit an den organisatorischen Aspekten und Rahmenbedingungen zu motivieren. Die Klärung der gegenseitigen Beziehungen schafft hierfür gute Voraussetzungen. Für die Beginnphase konzentriert sich die Arbeit jedoch auf die persönlichen Aspekte, weil die Konfliktaustragung im heißen Konflikt zu übertriebener Personalisierung tendiert. Darum ist es den Konfliktparteien auch einleuchtend, daß sie sich mit den Personen und ihren gegenseitigen Beziehungen auseinandersetzen müssen. Solche Arbeiten können bereits in kurzer Zeit zu manchmal spektakulären Veränderungen und Klärungen führen. Gegenseitige Konfrontationen und eine Auseinandersetzung mit dem Gesamtsystem erweisen sich als realisierbar und fruchtbar. Erst später kann dann an den organisatorischen Aspekten gearbeitet werden. Heißer und kalter Konflikt - 2 typische Konfliktszenarien

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Konfliktmanagement/Beeinflussungsstrategien 2 ...

1. Heißer Konflikt

• Heftige Begeisterungsstimmung bei den beteiligten Parteien. Sie sind vonIdealen beseelt und meinen, ihre eigene Sache sei um vieles besser als die derGegenseite. Sie versuchen, die eigenen Ideale auch auf andere zu übertragen,andere damit zu überspülen und zu überwältigen.

• Bei den Zusammenstößen geht es meistens darum, die Gegenseite zu einemgläubigen Anhänger der eigenen Ideale zu machen. Die Ziele sind in erster Linie“Erreichungsziele”, d.h. die Konfliktparteien wollen ein bestimmtes Vorhaben,ein inspirierendes Ideal mit den gegebenen Mitteln konstruktiv verwirklichen.Der Zusammenstoß mit der Gegenpartei ist dabei eigentlich eine ungewollteNebenwirkung des eigenen Erreichungszieles. Wenn sie einem jedoch bei derVerwirklichung der Ideale im Wege steht, dann ist die Konfrontationunumgänglich.

• Bei heißen Konflikten sind die Konfliktparteien i.d.R. von der Redlichkeit undReinheit ihrer Motive überzeugt. Es paßt nicht zu ihrem Selbstbild, daß sich zuden “heiligen Motiven” eventuell auch “unheilige Motive” gesellt habenkönnten.

• Man überschätzt die eigene Kraft und glaubt an die Geschlossenheit undUnüberwindlichkeit der eigenen Idee und Gruppe. Dem ganzen Konflikt wohnteine aufblähende aufputschende Tendenz inne, die sich selbst verstärkt.

• Die gegenseitige Beziehungen werden - paradoxerweise - trotz der äußerenKonfrontation vom gegenseitigen Streben nach Annäherung bestimmt. ImGrunde wird die Begegnung mit der Identität der eigenen Partei wie auch derGegenpartei gesucht. Die Konfliktparteien üben aufeinander Anziehungskraftaus.

• Heiße Konflikte leiden unter einem “Handlungs-Überangebot” der Parteien. Inder verfügbaren Zeit möchte jede Parte bis weit über das Erträgliche hinaus dieGegenseite in die Diskussion ziehen und mit eigenen Auffassungenkonfrontieren. Dies ähnelt vergleichsweise einem kleinen Raum, in dem sich zuviele Personen tummeln.

• In heißen Konflikten können sich die Interventionen sofort auf die Klärung dergegenseitigen Wahrnehmungen, Einstellungen, Verhaltensweisen und derwechselseitigen Beziehungen konzentrieren. In der Regel sind dieKonfliktparteien daran interessiert, an den Konflikten “auf offener Bühne zuarbeiten”.

• Schwieriger ist es in heißen Konflikten i.d.R., die Konfliktparteien zur Arbeit anden organisatorischen Aspekten und Rahmenbedingungen zu motivieren.

• Die Klärung der gegenseitigen Beziehungen schafft hierfür guteVoraussetzungen. Für die Beginnphase konzentriert sich die Arbeit jedoch aufdie persönlichen Aspekte, weil die Konfliktaustragung im heißen Konflikt zuübertriebener Personalisierung tendiert. Darum ist es den Konfliktparteien aucheinleuchtend, daß sie sich mit den Personen und ihren gegenseitigenBeziehungen auseinandersetzen müssen. Solche Arbeiten können bereits inkurzer Zeit zu manchmal spektakulären Veränderungen und Klärungen führen.Gegenseitige Konfrontationen und eine Auseinandersetzung mit demGesamtsystem erweisen sich als realisierbar und fruchtbar. Erst später kanndann an den organisatorischen Aspekten gearbeitet werden.

Heißer und kalter Konflikt - 2 typische Konfliktszenarien

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2. Kalter Konflikt

• Anstelle des Feuers der Begeisterung begegnet man bei den Konfliktparteientiefen Enttäuschungen, einer weitgehenden Desillusionierung und Frustration.Es gibt eigentlich nichts, für das sie sich erwärmen oder begeistern könnten. Eshat sich eine Stimmung verbreitet, daß man Ideale über Bord zu werfen habe,weil sie illusorisch seien.

• Jede Person, jede Partei schließt sich in sich selbst ein, wobei sich anstelle einesdeutlichen Indentitätserlebens ein “Hohlraum” auszubreiten scheint. Die ganzeBewegungstendenz im kalten Konflikt ist die der Schwere, des Sich-Eingrabensund Erstarrens.

• Im kalten Konflikt fehlt den Parteien ein positives Selbstbild. Es stehen hierSchattenprojektionen auf die gegnerische Partei im Vordergrund. Diesegewähren eine Legitimation für das eigene negative Handeln: “Der andere istnoch um vieles schlechter als ich!”

• Im Gegensatz zur Führerzentrierung in den heißen Konflikten zeigt sich in denkalten Konflikten ein Führungsvakuum. Die Parteien hindern einander nichtdurch direkte persönliche Störaktionen, sondern sie legen einander Prozedurenund Systemzwänge in den Weg.

• Durch die Betonung der unpersönlichen Motive verbreitet sich in derOrganisation sozialer Fatalismus: Der Druck der Organisation und dergegnerischen Partei wird zwingender, aber die Aussichten auf eineBeeinflussung des Geschehens nehmen ab. Der einzelne scheint einemunpersönlichen Koloß gegenüberzustehen, dessen Handeln einer menschlichenBeeinflussung unzugänglich ist.

• Die Konfliktbeteiligten fühlen sich völlig als Produkt ihrer Umgebung. Deshalbmüssen Änderungsversuche ihrer Meinung nach immer außen oder oben, d.h.bei anderen ansetzen. Sie selbst sind nur reaktives Produkt der (feindseligen)Umgebung. Durch die Ausweglosigkeit und mehr oder weniger totaleChancenlosigkeit, die unangenehme Situation zu beeinflussen, treiben dieeinzelnen Personen psychosomatischen Krankheiten zu.

• Dem “Handlungs-Überangebot” steht im kalten Konflikt etwas völlig anderesgegenüber: Es kommt zum Erliegen der direkten Kommunikation zwischen denParteien schlechthin. Gesprächs- und Begegnungsmöglichkeiten werden immerseltener und auf die Dauer möglichst gemieden. An ihre Stelle treten indirektestark formalisierte Kontaktmöglichkeiten: Meist auf schriftlichem Wege. EineEntscheidungsvorlage wandert von einem Schreibtisch zum anderen, jederversieht sie mit einem Kommentar und läßt sie zum nächsten weiterwandern.Man vermeidet eine Auseinandersetzung, weil man es aufgegeben hat,einander überzeugen zu wollen.

... 2Heißer und kalter Konflikt - 2 typische Konfliktszenarien

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• In kalten Konflikten wird im allgemeinen eine sehr große Erfindungsgabe imKonstruieren von Ausweich-Prozeduren, Kontakt-Vermeidungsverfahren unddergleichen entwickelt. Solche Prozeduren werden danach in die bestehendeOrganisation integriert. Die formalisierten Prozeduren der Verhaltensregulierungnehmen immer mehr überhand. Die Organisation neigt dazu, zu versteinern, zuerstarren und unter einem Wust von solchen Ausweich-Prozeduren zu ersticken.Im übrigen entsteht eine zentrifugalen Tendenz: Jeder flieht jeden und gehtdem eventuellen Zwang zum Kommunizieren aus dem Weg.

• Die soziale Erosion führt bei diesem Konflikttypus zur Bildung vieler kleiner, insich autistisch geschlossener Einheiten. Im Zuge der weiteren Eskalation könnendiese noch weiter erodieren, bis nur noch vereinsamte Individuen übrigbleiben.Die Angst wirft im kalten Konflikt Gruppen und Einzelpersonen wieder auf sichselbst zurück. Sie löst bei den Parteien Gefühle der Ohnmacht aus.

• Während die Konfliktparteien hinsichtlich ihrer eigenen Motive keine blindenFlecken kennen, bilden sie illusorische Vorstellungen über die Auswirkungenihres Verhaltens auf die Gesamtsituation oder wenigstens auf die Gegenpartei.Vehement werden darum “feed-back”-Bemühungen von eigenen Kollegenoder von Außenstehenden abgewiesen. Man ist in der eigenenWahrnehmungsfähigkeit dermaßen beeinträchtigt, daß die Auswirkungen aufdie Umgebung überhaupt nicht zum Bewußtsein durchdringen.

• Fast jeder Versuch von außen, den Konfliktparteien das Bild der eigenenSituation zurückzuspiegeln, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. DieKonfliktparteien verstehen es sogar, einander in der Auffassung zu bestärken,daß das von Dritten präsentierte Problem eine grobe Verzerrung der Wirklichkeitsein müsse.

• Kalte Konflikte sind jedoch keine “latenten Konflikte”! Es kommt vielmehr zueinem regen Austausch feindseligen, destruktiven Verhaltens wie in heißenKonfliktsituationen. Die Methoden sind nur anders: sie sind weniger offensichtbar, viel mehr indirekt, versteckt und ungreifbar. Angriffe undGegenangriffe werden zumeist ausgeklügelt und berechnend entworfen, so daßsie von der Gegenseite nicht direkt durchschaut werden. Man gönnt derGegenpartei nicht den Triumph, daß sie einen bei offenen Feindseligkeitenertappen und danach anklagen könne.

• Den Explosionen der heißen Konflikte stehen hier die Implosionen des kaltenKonfliktes gegenüber: Es kommt zu Ausbrüchen mit selbstzerstörerischerAuswirkung.

• Die Behandlung kalter Konflikte ist in vieler Hinsicht zeitaufwendiger als die vonheißen Konflikten: Es muß erst das Selbstvertrauen der Konfliktparteienaufgebaut werden, ehe die Begegnung zwischen den Konfliktparteien einigeFortschritte bringen wird.

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Konfliktmanagement/Beeinflussungsstrategien

• Durch die ständigen Implosionen, die weitere Frustrationen und Schuldgefühlezur Folge hatten, glauben die Konfliktparteien nicht mehr an ihre Fähigkeit, denKonflikt selbst zu lösen.

• Der erste wichtige Ansatzpunkt ist die Arbeit am Selbstwertgefühl der einzelnenbeteiligten Akteure, Personen oder Gruppen. Bei der Hilfe für die einzelnenPersonen, so daß die sie ihre eigene soziale Situation wieder verstehen und ihreinnerliche Kontrolle darüber zurückgewinnen. Dies kann bedeuten, daß amArbeitstil der betreffenden Person gearbeitet wird, daß sie persönliches undfachliches feed-back erhält, zumeist nicht vor den Augen und Ohren derübrigen Mitarbeiter.

• Der zweite Hauptansatzpunkt ist die Veränderung der im kalten Konfliktentstandenen Umgehungs- und Vermeidungsprozeduren. Z.B. mit vorläufiger,zeitlich genau begrenzter Wirkung, andere Verfahren vorschlagen, die zu einerdirekteren Kommunikation führen. Durch solche Prozeduren können dieIsolierung und das Zurückziehen in die Laufgräben der Organisation überstrukturelle Maßnahmen unterbunden werden.

• Trotz neuer Prozeduren werden die Konfliktparteien die Haltung gegenseitigenVermeidens und Distanzierens vorerst noch beibehalten. Mit derartigenMaßnahmen können wir allerdings nichts anderes tun als Gelegenheitenschaffen. So kann wenigstens durch eine Stärkung des Selbstwertgefühls unddurch das Schaffen neuer äußerer Rahmenbedingungen dafür gesorgt werden,daß die Konfliktparteien wieder Kommunikationsbeziehungen “von Angesichtzu Angesicht” aufnehmen.ü Der / die Konflikthelfer/in wird dabei helfenmüssen, daß sich unter geänderten Bedingungen nicht die alten, gewohntenVerhaltensweisen aufs neue einstellen und auf die Dauer wieder zu neuenVermeidungs- und Umgehungsprozeduren führen.

Quelle: Friedrich Glasl, Konfliktmanagement - Ein Handbuch für Führungskräfte und Berater,

Bern - Stuttgart 1990

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