12
Mit einem Gottesdienst im Petersdom hat Papst Franziskus am Aschermittwoch, 17. Fe- bruar, die Fastenzeit begonnen. Der Gottes- dienst wurde live von den vatikanischen Me- dien übertragen. Als Zeichen der Umkehr und Buße legte der Erzpriester von Sankt Peter, Kardinal Angelo Comastri, dem Papst das tra- ditionelle Aschenkreuz auf. Franziskus sagte in der Predigt: Wir beginnen den Weg der Fastenzeit. An sei- nem Anfang stehen die Worte des Propheten Joël, welche die Richtung angeben, der wir folgen sol- len. Es ist eine Einladung, die aus dem Herzen Gottes kommt, der uns mit weit geöffneten Ar- men und mit sehnlich blickenden Augen anfleht: »Kehrt um zu mir von ganzem Herzen« (Joël 2,12). Kehrt um zu mir. Die Fastenzeit ist eine Rückkehr zu Gott. Wie oft haben wir, vor lauter Beschäftigung oder aus Gleichgültigkeit, zu ihm gesagt: »Herr, ich werde später zu dir kommen, warte … Heute kann ich nicht, aber morgen werde ich anfangen, zu beten und etwas für die anderen zu tun.« Und so geht es einen Tag nach dem anderen. Jetzt appelliert Gott an unser Herz. Im Leben werden wir immer irgendwelche Dinge zu tun haben und Ausreden finden, aber, Brüder und Schwestern, heute ist es an der Zeit, zu Gott zurückzukehren. Kehrt um zu mir – sagt er – von ganzem Her- zen. Die Fastenzeit ist eine Reise, die unser ganzes Leben, uns als Ganze miteinbezieht. Es ist eine Zeit, um die Wege zu überprüfen, die wir gehen, eine Zeit, um wieder den Pfad zu finden, der uns nach Hause zurückführt, und um die grundle- gende Verbindung mit Gott wiederzuentdecken, von dem alles abhängt. Die Fastenzeit ist nicht eine Reihe von Opfervorsätzen, sie lässt uns er- kennen, worauf das Herz gerichtet ist. Das ist der Kern der Fastenzeit: Worauf ist mein Herz gerich- tet? Versuchen wir uns zu fragen: Wohin führt mich das Navigationsgerät meines Lebens – zu Gott oder zu meinem eigenen Ich? Lebe ich, um dem Herrn zu gefallen oder um beachtet, gelobt, bevorzugt zu werden, an erster Stelle zu stehen und so weiter? Habe ich ein »flatterhaftes« Herz, das einen Schritt vorwärts und einen Schritt rück- wärts macht, das ein wenig den Herrn und ein wenig die Welt liebt, oder habe ich ein Herz, das fest in Gott steht? Fühle ich mich wohl mit mei- nen Scheinheiligkeiten, oder kämpfe ich darum, mein Herz von aller Falschheit und Unwahrheit zu befreien, die es anketten? Die Reise der Fastenzeit ist ein Auszug aus der Knechtschaft in die Freiheit. Es sind vierzig Tage; sie erinnern an die vierzig Jahre, in denen das Volk Gottes durch die Wüste zog, um in sein Her- kunftsland zurückzukehren. Aber wie schwer war es, Ägypten zurückzulassen! Es war viel schwieriger, das Ägypten im Herzen des Volkes Gottes, dieses Ägypten, das sie immer in sich tru- gen, zurückzulassen als das Land Ägypten selbst … Es ist sehr schwierig, Ägypten hinter sich zu lassen. Während der Reise gab es stets die Versu- chung, den Zwiebeln nachzutrauern (vgl. Num 11,5), zurückzugehen, sich an die Erinnerungen der Vergangenheit zu klammern, an irgendein Idol. Auch für uns ist es so: Die Rückkehr zu Gott wird durch unsere krankhaften Anhäng- lichkeiten behindert, sie wird aufgehalten durch die verführeri- schen Schlingen des Lasters, durch die falsche Sicherheit des Geldes und des Scheins, durch das lähmende Gejammer, sich als Op- fer zu sehen. Um den Weg gehen zu können, müssen wir diese Illusionen entlarven. Aber fragen wir uns: Wie können wir also auf unserem Weg zu Gott vorankommen? Dabei hel- fen uns die Beispiele von Rückkehren, von denen uns das Wort Gottes erzählt. Schauen wir auf den verlorenen Sohn, und wir verstehen, dass es auch für uns an der Zeit ist, zum Vater zurückzukehren. Wie der verlorene Sohn haben auch wir den Geruch von Zuhause vergessen, wir haben kostbare Güter für belang- lose Dinge verschleudert und stehen mit leeren Händen und einem unzufriedenen Herzen da. Wir sind gefallen: Wir sind Kinder, die ständig fal- len, wir sind wie kleine Kinder, die zu laufen ver- suchen, aber hinfallen und jedes Mal von ihrem Vater aufgerichtet werden müssen. Es ist die Ver- gebung des Vaters, die uns immer wieder auf die Beine bringt: Die Vergebung Gottes, die Beichte, ist der erste Schritt auf unserer Rückkehr. Zur Beichte habe ich gesagt: Ich bitte die Beichtväter, seid wie ein Vater, nicht mit der Peitsche, son- dern mit der Umarmung. Dann müssen wir zu Jesus zurückkehren, wir müssen es wie der Aussätzige machen, der ge- heilt wurde und umkehrte, um ihm zu danken. Alle zehn waren geheilt worden, aber nur er ist auch gerettet worden, weil er zu Jesus zurück- kehrte (vgl. Lk 17,12-19). Wir alle haben Leiden im geistlichen Bereich, doch allein können wir sie nicht heilen; wir alle haben tiefsitzende Laster, doch allein können wir sie nicht ausrotten; wir alle haben Ängste, die uns lähmen, doch allein können wir sie nicht überwinden. Wir müssen diesen Aussätzigen nachahmen, der umkehrte und sich vor den Füßen Jesu zu Boden warf. Wir brauchen die Heilung durch Jesus, wir müssen unsere Wunden vor ihn hinlegen und ihm sagen: »Jesus, hier bin ich vor dir, mit meiner Sünde, mit meinem Elend. Du bist der Arzt, du kannst mich befreien. Heile mein Herz.« Noch einmal: Das Wort Gottes fordert uns auf, zum Vater zurückzukehren, es bittet uns, zu Je- sus zurückzukehren, und wir sind aufgerufen, zum Heiligen Geist zurückzukehren. Die Asche auf unserem Haupt erinnert uns daran, dass wir Staub sind und zum Staub zurückkehren wer- den. Aber unserem Staub hat Gott seinen Geist des Lebens eingehaucht. Wir können also nicht leben, indem wir dem Staub nachjagen und Din- gen hinterherlaufen, die heute sind und morgen vergehen. Kehren wir zurück zum Geist, der le- bendig macht, kehren wir zurück zum Feuer, das unsere Asche wiederauferstehen lässt, zu dem Feuer, das uns lehrt zu lieben. Wir werden immer Staub sein, aber, wie ein liturgischer Hymnus sagt, »verliebter« Staub. Beten wir wieder zum Heiligen Geist, entdecken wir wieder neu das Feuer des Lobpreises, das die Asche des Jammers und der Resignation verbrennt. Brüder und Schwestern, unsere Rückkehr zu Gott ist nur möglich, weil es seine Hinkehr zu uns gegeben hat. Andernfalls wäre sie nicht möglich. Bevor wir zu ihm gekommen sind, ist er zu uns herabgestiegen. Er kam uns zuvor und ging uns entgegen. Für uns ist er tiefer herabgestiegen, als wir es uns vorstellen konnten: Er hat sich zur Sünde gemacht, er hat sich zum Tod gemacht. Ge- nau daran hat uns der heilige Paulus erinnert: »[Gott] hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht« (2 Kor 5,21). Um uns nicht al- lein zu lassen und um uns auf unserem Weg zu begleiten, ist er in unsere Sünde und unseren Tod hinabgestiegen, hat er die Sünde berührt, hat er unseren Tod berührt. Unsere Reise bedeutet also, uns an der Hand nehmen lassen. Der Vater, der uns zur Rückkehr ruft, ist derjenige, der das Haus verlässt, um uns zu suchen; der Herr, der uns heilt, ist derjenige, der sich am Kreuz verwunden ließ; der Heilige Geist, der uns dazu bringt, unser Leben zu ändern, ist derjenige, der kräftig und sanft unserem Staub Leben einhaucht. Darum also die Bitte des Apostels: »Lasst euch mit Gott versöhnen!« (V. 20). Lasst euch versöh- nen: Der Weg beruht nicht auf unserer eigenen Kraft; keiner kann sich aus eigener Kraft mit Gott versöhnen, es ist nicht möglich. Die Bekehrung des Herzens – mit den Zeichen und Handlungen, die sie zum Ausdruck bringen – ist nur möglich, wenn sie vom Primat des Handelns Gottes aus- geht. Wir kehren zu ihm nicht durch unsere Fähigkeiten und Verdienste zurück, die wir her- ausstellen, sondern durch seine Gnade, die wir annehmen. Die Gnade rettet uns, das Heil ist reine Gnade, reines Geschenk. Jesus hat es uns im Evangelium klar gesagt: Was uns gerecht macht, ist nicht unsere vor den Menschen geübte Gerechtigkeit, sondern unsere aufrichtige Bezie- hung zum Vater. Der Anfang unserer Rückkehr zu Gott ist die Erkenntnis, dass wir seiner bedür- fen, dass wir seiner Barmherzigkeit bedürfen, sei- ner Gnade. Dies ist der richtige Weg, der Weg der Demut. Merke ich, dass ich seiner bedarf, oder genüge ich mir selbst? Heute neigen wir unser Haupt, um die Asche zu empfangen. Am Ende der Fastenzeit werden wir uns noch mehr hinabbeugen, um die Füße un- serer Brüder und Schwestern zu waschen. Fas- tenzeit heißt demütig hinabsteigen in uns selbst und zu den anderen. Sie bedeutet zu verstehen, dass die Erlösung nicht ein Hinaufsteigen zum Ruhm ist, sondern ein Hinabsteigen aus Liebe. Fa- stenzeit heißt, dass wir uns klein machen. Um auf diesem Weg nicht vom Kurs abzu- kommen, stellen wir uns vor das Kreuz Jesu – es ist der stille Lehrstuhl Gottes. Schauen wir jeden Tag auf seine Wundmale, auf die Wundmale, die er in den Himmel mitgenommen hat und die er dem Vater immer zeigt, wenn er Fürbitte für uns einlegt. Schauen wir jeden Tag auf seine Wund- male. In diesen Öffnungen erkennen wir unsere Leere, unsere Versäumnisse, die Wunden der Sünde, die Schläge, die uns wehgetan haben. Doch genau da sehen wir, dass Gott nicht mit dem Finger auf uns zeigt, sondern seine Hände weit für uns öffnet. Seine Wunden sind offen für uns, und durch diese Wunden sind wir geheilt (vgl. 1 Petr 2,24; Jes 53,5). Küssen wir sie, und wir werden verstehen, dass genau dort, in den schmerzhaftesten Wunden des Lebens, Gott mit seiner unendlichen Barmherzigkeit auf uns war- tet. Denn dort, wo wir am verletzlichsten sind, wo wir uns am meisten schämen, ist er uns ent- gegengekommen. Und jetzt, da er uns entgegen- gekommen ist, lädt er uns ein, zu ihm zurückzu- kehren, um die Freude wieder zu finden, dass wir geliebt sind. UNICUIQUE SUUM NON PRAEVALEBUNT Redaktion: I-00120 Vatikanstadt 51. Jahrgang – Nummer 7 – 19. Februar 2021 Wochenausgabe in deutscher Sprache Schwabenverlag AG D-73745 Ostfildern Einzelpreis Vatikan d 2,20 Heilige Messe am Aschermittwoch im Petersdom Die Vergebung Gottes ist der erste Schritt unserer Rückkehr In dieser Ausgabe Generalaudienz als Videostream aus der Bibliothek des Apostolischen Palastes am 10. Februar ............................................................................................ 2 Ansprache des Papstes beim Angelusgebet am Sonntag, 14. Februar........................................................... 3 Eine Geschichte aus dem Zweiten Welt- krieg – Fluchtweg in den Vatikan ........................ 5 Interview mit Kardinal Tagle sechs Jahre nach dem Besuch des Papstes auf den Philippinen............................................................................................................ 6 Empfang für das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Korps........... 7-10 Programm der Apostolischen Reise in den Irak.......................................................................................................... 10 90 Jahre Radio Vatikan............................................................ 11 Zeit der Erneuerung von Glaube, Hoffnung und Liebe Botschaft von Papst Franziskus zur österlichen Bußzeit Seite 12 In dieser Zeit der #Umkehr erneuern wir unseren Glauben, schöpfen wir vom »lebendigen Wasser« der Hoffnung und empfangen mit offenem Herzen die Liebe Gottes, die uns zu Brüdern und Schwestern in Christus werden lässt. #Fastenzeit Tweet von Papst Franziskus

Heilige Messe am Aschermittwoch im Petersdom Die ......Gott ist nur möglich, weil es seine Hinkehr zu uns gegeben hat. Andernfalls wäre sie nicht möglich. Bevor wir zu ihm gekommen

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Page 1: Heilige Messe am Aschermittwoch im Petersdom Die ......Gott ist nur möglich, weil es seine Hinkehr zu uns gegeben hat. Andernfalls wäre sie nicht möglich. Bevor wir zu ihm gekommen

Mit einem Gottesdienst im Petersdom hatPapst Franziskus am Aschermittwoch, 17. Fe-bruar, die Fastenzeit begonnen. Der Gottes-dienst wurde live von den vatikanischen Me-dien übertragen. Als Zeichen der Umkehr undBuße legte der Erzpriester von Sankt Peter,Kardinal Angelo Comastri, dem Papst das tra-ditionelle Aschenkreuz auf. Franziskus sagtein der Predigt:

Wir beginnen den Weg der Fastenzeit. An sei-

nem Anfang stehen die Worte des Propheten Joël,

welche die Richtung angeben, der wir folgen sol-

len. Es ist eine Einladung, die aus dem Herzen

Gottes kommt, der uns mit weit geöffneten Ar-

men und mit sehnlich blickenden Augen anfleht:

»Kehrt um zu mir von ganzem Herzen« (Joël

2,12). Kehrt um zu mir. Die Fastenzeit ist eine

Rückkehr zu Gott. Wie oft haben wir, vor lauter

Beschäftigung oder aus Gleichgültigkeit, zu ihm

gesagt: »Herr, ich werde später zu dir kommen,

warte … Heute kann ich nicht, aber morgen

werde ich anfangen, zu beten und etwas für die

anderen zu tun.« Und so geht es einen Tag nach

dem anderen. Jetzt appelliert Gott an unser Herz.

Im Leben werden wir immer irgendwelche

Dinge zu tun haben und Ausreden finden, aber,

Brüder und Schwestern, heute ist es an der Zeit,

zu Gott zurückzukehren.

Kehrt um zu mir – sagt er – von ganzem Her-

zen. Die Fastenzeit ist eine Reise, die unser ganzes

Leben, uns als Ganze miteinbezieht. Es ist eine

Zeit, um die Wege zu überprüfen, die wir gehen,

eine Zeit, um wieder den Pfad zu finden, der uns

nach Hause zurückführt, und um die grundle-

gende Verbindung mit Gott wiederzuentdecken,

von dem alles abhängt. Die Fastenzeit ist nicht

eine Reihe von Opfervorsätzen, sie lässt uns er-

kennen, worauf das Herz gerichtet ist. Das ist der

Kern der Fastenzeit: Worauf ist mein Herz gerich-

tet? Versuchen wir uns zu fragen: Wohin führt

mich das Navigationsgerät meines Lebens – zu

Gott oder zu meinem eigenen Ich? Lebe ich, um

dem Herrn zu gefallen oder um beachtet, gelobt,

bevorzugt zu werden, an erster Stelle zu stehen

und so weiter? Habe ich ein »flatterhaftes« Herz,

das einen Schritt vorwärts und einen Schritt rück-

wärts macht, das ein wenig den Herrn und ein

wenig die Welt liebt, oder habe ich ein Herz, das

fest in Gott steht? Fühle ich mich wohl mit mei-

nen Scheinheiligkeiten, oder kämpfe ich darum,

mein Herz von aller Falschheit und Unwahrheit

zu befreien, die es anketten?

Die Reise der Fastenzeit ist ein Auszug aus der

Knechtschaft in die Freiheit. Es sind vierzig Tage;

sie erinnern an die vierzig Jahre, in denen das

Volk Gottes durch die Wüste zog, um in sein Her-

kunftsland zurückzukehren. Aber wie schwer

war es, Ägypten zurückzulassen! Es war viel

schwieriger, das Ägypten im Herzen des Volkes

Gottes, dieses Ägypten, das sie immer in sich tru-

gen, zurückzulassen als das Land Ägypten selbst

… Es ist sehr schwierig, Ägypten hinter sich zu

lassen. Während der Reise gab es stets die Versu-

chung, den Zwiebeln nachzutrauern (vgl. Num

11,5), zurückzugehen, sich an die Erinnerungen

der Vergangenheit zu klammern, an irgendein

Idol. Auch für uns ist es so: Die Rückkehr zu

Gott wird durch unsere

krankhaften Anhäng-

lichkeiten behindert,

sie wird aufgehalten

durch die verführeri-

schen Schlingen des

Lasters, durch die

falsche Sicherheit des

Geldes und des Scheins,

durch das lähmende

Gejammer, sich als Op-

fer zu sehen. Um den Weg gehen zu können,

müssen wir diese Illusionen entlarven.

Aber fragen wir uns: Wie können wir also auf

unserem Weg zu Gott vorankommen? Dabei hel-

fen uns die Beispiele von Rückkehren, von denen

uns das Wort Gottes erzählt.

Schauen wir auf den verlorenen Sohn, und

wir verstehen, dass es auch für uns an der Zeit ist,

zum Vater zurückzukehren. Wie der verlorene

Sohn haben auch wir den Geruch von Zuhause

vergessen, wir haben kostbare Güter für belang-

lose Dinge verschleudert und stehen mit leeren

Händen und einem unzufriedenen Herzen da.

Wir sind gefallen: Wir sind Kinder, die ständig fal-

len, wir sind wie kleine Kinder, die zu laufen ver-

suchen, aber hinfallen und jedes Mal von ihrem

Vater aufgerichtet werden müssen. Es ist die Ver-

gebung des Vaters, die uns immer wieder auf die

Beine bringt: Die Vergebung Gottes, die Beichte,

ist der erste Schritt auf unserer Rückkehr. Zur

Beichte habe ich gesagt: Ich bitte die Beichtväter,

seid wie ein Vater, nicht mit der Peitsche, son-

dern mit der Umarmung.

Dann müssen wir zu Jesus zurückkehren, wir

müssen es wie der Aussätzige machen, der ge-

heilt wurde und umkehrte, um ihm zu danken.

Alle zehn waren geheilt worden, aber nur er ist

auch gerettet worden, weil er zu Jesus zurück-

kehrte (vgl. Lk 17,12-19). Wir alle haben Leiden

im geistlichen Bereich, doch allein können wir sie

nicht heilen; wir alle haben tiefsitzende Laster,

doch allein können wir sie nicht ausrotten; wir

alle haben Ängste, die uns lähmen, doch allein

können wir sie nicht überwinden. Wir müssen

diesen Aussätzigen nachahmen, der umkehrte

und sich vor den Füßen Jesu zu Boden warf. Wir

brauchen die Heilung durch Jesus, wir müssen

unsere Wunden vor ihn hinlegen und ihm sagen:

»Jesus, hier bin ich vor dir, mit meiner Sünde, mit

meinem Elend. Du bist der Arzt, du kannst mich

befreien. Heile mein Herz.«

Noch einmal: Das Wort Gottes fordert uns auf,

zum Vater zurückzukehren, es bittet uns, zu Je-

sus zurückzukehren, und wir sind aufgerufen,

zum Heiligen Geist zurückzukehren. Die Asche

auf unserem Haupt erinnert uns daran, dass wir

Staub sind und zum Staub zurückkehren wer-

den. Aber unserem Staub hat Gott seinen Geist

des Lebens eingehaucht. Wir können also nicht

leben, indem wir dem Staub nachjagen und Din-

gen hinterherlaufen, die heute sind und morgen

vergehen. Kehren wir zurück zum Geist, der le-

bendig macht, kehren wir zurück zum Feuer, das

unsere Asche wiederauferstehen lässt, zu dem

Feuer, das uns lehrt zu lieben. Wir werden immer

Staub sein, aber, wie ein liturgischer Hymnus

sagt, »verliebter« Staub. Beten wir wieder zum

Heiligen Geist, entdecken wir wieder neu das

Feuer des Lobpreises, das die Asche des Jammers

und der Resignation verbrennt.

Brüder und Schwestern, unsere Rückkehr zu

Gott ist nur möglich, weil es seine Hinkehr zu uns

gegeben hat. Andernfalls wäre sie nicht möglich.

Bevor wir zu ihm gekommen sind, ist er zu uns

herabgestiegen. Er kam uns zuvor und ging uns

entgegen. Für uns ist er tiefer herabgestiegen, als

wir es uns vorstellen konnten: Er hat sich zur

Sünde gemacht, er hat sich zum Tod gemacht. Ge-

nau daran hat uns der heilige Paulus erinnert:

»[Gott] hat den, der keine Sünde kannte, für uns

zur Sünde gemacht« (2 Kor 5,21). Um uns nicht al-

lein zu lassen und um uns auf unserem Weg zu

begleiten, ist er in unsere Sünde und unseren Tod

hinabgestiegen, hat er die Sünde berührt, hat er

unseren Tod berührt. Unsere Reise bedeutet also,

uns an der Hand nehmen lassen. Der Vater, der

uns zur Rückkehr ruft, ist derjenige, der das Haus

verlässt, um uns zu suchen; der Herr, der uns

heilt, ist derjenige, der sich am Kreuz verwunden

ließ; der Heilige Geist, der uns dazu bringt, unser

Leben zu ändern, ist derjenige, der kräftig und

sanft unserem Staub Leben einhaucht.

Darum also die Bitte des Apostels: »Lasst euch

mit Gott versöhnen!« (V. 20). Lasst euch versöh-

nen: Der Weg beruht nicht auf unserer eigenen

Kraft; keiner kann sich aus eigener Kraft mit Gott

versöhnen, es ist nicht möglich. Die Bekehrung

des Herzens – mit den Zeichen und Handlungen,

die sie zum Ausdruck bringen – ist nur möglich,

wenn sie vom Primat des Handelns Gottes aus-

geht. Wir kehren zu ihm nicht durch unsere

Fähigkeiten und Verdienste zurück, die wir her-

ausstellen, sondern durch seine Gnade, die wir

annehmen. Die Gnade rettet uns, das Heil ist

reine Gnade, reines Geschenk. Jesus hat es uns

im Evangelium klar gesagt: Was uns gerecht

macht, ist nicht unsere vor den Menschen geübte

Gerechtigkeit, sondern unsere aufrichtige Bezie-

hung zum Vater. Der Anfang unserer Rückkehr

zu Gott ist die Erkenntnis, dass wir seiner bedür-

fen, dass wir seiner Barmherzigkeit bedürfen, sei-

ner Gnade. Dies ist der richtige Weg, der Weg der

Demut. Merke ich, dass ich seiner bedarf, oder

genüge ich mir selbst?

Heute neigen wir unser Haupt, um die Asche

zu empfangen. Am Ende der Fastenzeit werden

wir uns noch mehr hinabbeugen, um die Füße un-

serer Brüder und Schwestern zu waschen. Fas -

tenzeit heißt demütig hinabsteigen in uns selbst

und zu den anderen. Sie bedeutet zu verstehen,

dass die Erlösung nicht ein Hinaufsteigen zum

Ruhm ist, sondern ein Hinabsteigen aus Liebe. Fa-

stenzeit heißt, dass wir uns klein machen.

Um auf diesem Weg nicht vom Kurs abzu-

kommen, stellen wir uns vor das Kreuz Jesu – es

ist der stille Lehrstuhl Gottes. Schauen wir jeden

Tag auf seine Wundmale, auf die Wundmale, die

er in den Himmel mitgenommen hat und die er

dem Vater immer zeigt, wenn er Fürbitte für uns

einlegt. Schauen wir jeden Tag auf seine Wund-

male. In diesen Öffnungen erkennen wir unsere

Leere, unsere Versäumnisse, die Wunden der

Sünde, die Schläge, die uns wehgetan haben.

Doch genau da sehen wir, dass Gott nicht mit

dem Finger auf uns zeigt, sondern seine Hände

weit für uns öffnet. Seine Wunden sind offen für

uns, und durch diese Wunden sind wir geheilt

(vgl. 1 Petr 2,24; Jes 53,5). Küssen wir sie, und

wir werden verstehen, dass genau dort, in den

schmerzhaftesten Wunden des Lebens, Gott mit

seiner unendlichen Barmherzigkeit auf uns war-

tet. Denn dort, wo wir am verletzlichsten sind,

wo wir uns am meisten schämen, ist er uns ent-

gegengekommen. Und jetzt, da er uns entgegen-

gekommen ist, lädt er uns ein, zu ihm zurückzu-

kehren, um die Freude wieder zu finden, dass wir

geliebt sind.

UNICUIQUE SUUM NON PRAEVALEBUNT

Redaktion: I-00120 Vatikanstadt

51. Jahrgang – Nummer 7 – 19. Februar 2021Wochenausgabe in deutscher Sprache

Schwabenverlag AG

D-73745 Ostfildern

Einzelpreis

Vatikan d 2,20

Heilige Messe am Aschermittwoch im Petersdom

Die Vergebung Gottes ist der erste Schritt unserer Rückkehr

In dieser Ausgabe

Generalaudienz als Videostream aus der

Bibliothek des Apostolischen Palastes

am 10. Februar ............................................................................................ 2

Ansprache des Papstes beim Angelusgebet

am Sonntag, 14. Februar........................................................... 3

Eine Geschichte aus dem Zweiten Welt-

krieg – Fluchtweg in den Vatikan ........................ 5

Interview mit Kardinal Tagle sechs Jahre

nach dem Besuch des Papstes auf den

Philippinen............................................................................................................ 6

Empfang für das beim Heiligen Stuhl

akkreditierte Diplomatische Korps........... 7-10

Programm der Apostolischen Reise

in den Irak.......................................................................................................... 10

90 Jahre Radio Vatikan............................................................ 11

Zeit der Erneuerung von Glaube,

Hoffnung und Liebe

Botschaft von Papst Franziskus

zur österlichen Bußzeit

Seite 12

In dieser Zeit der #Umkehr erneuern

wir unseren Glauben, schöpfen wir vom

»lebendigen Wasser« der Hoffnung und

empfangen mit offenem Herzen die Liebe

Gottes, die uns zu Brüdern und Schwestern

in Christus werden lässt. #Fastenzeit

Tweet von Papst Franziskus

Page 2: Heilige Messe am Aschermittwoch im Petersdom Die ......Gott ist nur möglich, weil es seine Hinkehr zu uns gegeben hat. Andernfalls wäre sie nicht möglich. Bevor wir zu ihm gekommen

19. Februar 2021 / Nummer 7 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

2 Aus dem Vatikan

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

In der vorigen Katechese haben wir gesehen,

dass das christliche Gebet in der Liturgie »veran-

kert« ist. Heute werden wir näher beleuchten,

dass es aus der Liturgie immer ins tägliche Leben

zurückkehrt: auf den Straßen, in den Büros, in

den Transportmitteln… Und dort geht das Ge-

spräch mit Gott weiter: Wer betet ist wie der Ver-

liebte, der den geliebten Menschen immer im

Herzen trägt, wo auch immer er sich befindet.

Tatsächlich wird alles in diesen Dialog mit

Gott hineingenommen: Jede Freude wird Grund

zum Lob, jede Prüfung ist Anlass zur Bitte um

Hilfe. Das Gebet ist immer lebendig im Leben,

wie ein glühendes Feuer: Auch wenn der Mund

nicht spricht, spricht jedoch das Herz. Jeder Ge-

danke, auch wenn er scheinbar »weltlich« ist,

kann vom Gebet durchdrungen sein. Auch im

menschlichen Verstand gibt es einen betenden

Aspekt, denn er ist ein Fenster, das sich zum Ge-

heimnis hin öffnet: Es erhellt die wenigen

Schritte, die vor uns liegen, und öffnet sich dann

auf die ganze Wirklichkeit – jene Wirklichkeit,

die dem menschlichen Verstand vorausgeht und

ihn übersteigt. Dieses Geheimnis hat kein beun-

ruhigendes oder beängstigendes Gesicht, nein:

Christus zu kennen schenkt uns Vertrauen, dass

dort, wohin unsere Augen und die Augen unse-

res Geistes nicht schauen können, nicht das

Nichts ist, sondern etwas, das uns erwartet, eine

unendliche Gnade. Und so flößt das christliche

Gebet dem menschlichen Herzen eine unbesieg-

bare Hoffnung ein: Welche Erfahrung wir auch

immer auf unserem Weg machen, die Liebe

Gottes kann sie zum Guten wenden.

In diesem Zusammenhang heißt es im Kate-

chismus: »Wenn wir das Wort des Herrn hören

und an seinem Pascha-Mysterium teilnehmen,

lernen wir zu bestimmten Zeiten beten. Doch

sein Geist wird uns zu jeder Zeit, in den Ereignis-

sen eines jeden Tages, als Quelle des Gebetes ge-

schenkt. […] Die Zeit liegt in den Händen des Va-

ters; wir begegnen ihm in der Gegenwart, nicht

gestern oder morgen, sondern heute« (Nr. 2659).

Heute begegne ich Gott, immer gibt es das Heute

der Begegnung.

Es gibt keinen so wunderbaren Tag wie das

Heute, das wir leben. Jene Menschen, die immer

nur an die Zukunft denken – »Ja, die Zukunft wird

besser sein…« –, aber das Heute nicht so neh-

men, wie es kommt: Das sind Menschen, die in

der Phantasie leben. Sie wissen das Konkrete der

Wirklichkeit nicht anzunehmen. Und das Heute

ist wirklich, das Heute ist konkret. Und das Gebet

geschieht im Heute. Jesus kommt uns heute ent-

gegen, in diesem Heute, das wir leben. Und das

Gebet verwandelt dieses Heute in Gnade, oder

besser: Es verwandelt uns. Es besänftigt den

Zorn, es stützt die Liebe, es vervielfältigt die

Freude, es flößt die

Kraft der Vergebung

ein. Irgendwann wird

es uns so vorkommen,

dass nicht mehr wir le-

ben, sondern dass die

Gnade in uns lebt und

wirkt durch das Gebet.

Und wenn uns ein Ge-

danke des Zorns, der

Unzufriedenheit

kommt, der uns zur

Bitterkeit führt, dann halten wir inne und sagen

wir zum Herrn: »Wo bist du? Und wohin gehe

ich?« Und der Herr ist dort, der Herr wird uns das

rechte Wort geben, den Rat, um voranzugehen

ohne diesen bitteren Saft des Negativen. Denn

das Gebet ist – um ein weltliches Wort zu ge-

brauchen – positiv. Immer. Es bringt dich voran.

Jeder neue Tag wird, wenn er im Gebet ange-

nommen wird, vom Mut begleitet, so dass die

Probleme, denen man begegnen muss, keine

Hindernisse mehr sind für unser Glück, sondern

ein Ruf Gottes, Gelegenheit zur Begegnung mit

ihm. Und wenn man vom Herrn begleitet wird,

fühlt man sich mutiger, freier und auch glückli-

cher.

Beten wir also immer für alles und für alle,

auch für die Feinde. Jesus hat uns das geraten:

»Betet für die Feinde.« Beten wir für unsere Lie-

ben, aber auch für jene, die wir nicht kennen; be-

ten wir sogar für unsere Feinde, wie ich gesagt

habe; die Schrift lädt uns oft dazu ein. Das Gebet

macht bereit zu einer überreichen Liebe. Beten

wir besonders für die unglücklichen Menschen,

für jene, die in der Einsamkeit weinen und ver-

zweifeln, weil sie nicht glauben, dass es noch ein

liebevolles Herz gibt, das für sie schlägt. Das Ge-

bet vollbringt Wunder; und so verstehen die Ar-

men, durch Gottes Gnade, dass auch in ihrer un-

sicheren Situation das Gebet eines Christen das

Mitleid Jesu vergegenwärtigt hat: Denn er

schaute mit großer Zärtlichkeit auf die vielen

Menschen, die erschöpft umherirrten wie

Schafe, die keinen Hirten haben (vgl. Mk 6,34).

Der Herr ist – vergessen wir das nicht – der Herr

des Mitleids, der Nähe, der Zärtlichkeit: drei

Worte, die man nie vergessen darf. Denn das ist

der Stil des Herrn: Mitleid, Nähe, Zärtlichkeit.

Das Gebet hilft uns, die anderen zu lieben,

trotz ihrer Fehler und ihrer Sünden. Die Person ist

immer wichtiger als ihr Handeln, und Jesus hat

die Welt nicht gerichtet, sondern er hat sie geret-

tet. Es ist ein furchtbares Leben, das Leben jener

Menschen, die die anderen immer richten, die

immer verdammen, verurteilen: Es ist ein furcht-

bares, unglückliches Leben. Jesus ist gekommen,

um uns zu retten: Öffne dein Herz, vergib, recht-

fertige die anderen, verstehe, sei auch du den an-

deren nahe, habe Mitleid, habe Zärtlichkeit wie

Jesus. Man muss alle und jeden liebhaben und im

Gebet daran denken, dass wir alle Sünder und

gleichzeitig von Gott geliebt sind, jeder einzelne.

Wenn wir diese Welt so lieben, sie mit Zärtlich-

keit lieben, werden wir entdecken, dass jeder Tag

und alle Dinge in sich verborgen ein Bruchstück

des Geheimnisses Gottes tragen.

Weiter heißt es im Katechismus: »Eines der

Geheimnisse des Reiches Gottes, die den ›Klei-

nen‹, den Dienern Christi, den Armen der Selig-

preisungen geoffenbart worden sind, ist es, in

den Ereignissen jeden Tages und jeden Augen-

blickes zu beten. Es ist gut und richtig, dafür zu

beten, dass das Reich der Gerechtigkeit und des

Friedens sich auf den Gang der Geschichte aus-

wirkt; es ist ebenso wichtig, die schlichten und

alltäglichen Situationen mit Hilfe des Gebetes zu

durchdringen. Alle Gebetsformen können der

Sauerteig sein, mit dem der Herr das Gottesreich

vergleicht« (Nr. 2660).

Der Mensch – die menschliche Person, der

Mann und die Frau – gleicht einem Hauch, einem

Grashalm (vgl. Ps 144,4; 103,5). Der Philosoph

Pascal schrieb: »Es muss nicht das ganze Weltall

sich rüsten, um ihn zu zerschmettern; eine

Dampfwolke, ein Wassertropfen genügt, ihn zu

töten« (Gedanken, 186). Wir sind schwache We-

sen, aber wir verstehen es zu beten: Das ist un-

sere größte Würde, es ist auch unsere Stärke. Nur

Mut. In jedem Augenblick, in jeder Situation be-

ten, denn der Herr ist uns nahe. Und wenn ein

Gebet nach dem Herzen Jesu geschieht, dann er-

langt es Wunder.

(Orig. ital. in O.R. 10.2.2021)

Generalaudienz als Videostream aus der Bibliothek des Apostolischen Palastes am 10. Februar

Das Gebet im Alltag vollbringt WunderAppelle bei der Generalaudienz

Gebet für Opfer der Naturkatastrophe

in Indien

Nach der Katechese und den Grüßen in

verschiedenen Sprachen sagte der Papst

aus aktuellem Anlass:

Ich bringe meine Nähe zum Ausdruck

zu den Opfern des Unglücks, das vor drei

Tagen im Norden Indiens geschehen ist,

wo ein Teil eines Gletschers abgebrochen

ist und eine gewaltige Flutwelle hervorge-

rufen hat, die die Baustellen von zwei

Kraftwerken unter sich begraben hat. Ich

bete für die ums Leben gekommenen Ar-

beiter und für ihre Familien sowie für alle

Menschen, die verletzt wurden und Scha-

den genommen haben.

Glückwünsche zum Mond-Neujahr

Außerdem übermittelte er gute Wün-

sche zum Jahresbeginn, der in einigen tra-

ditionellen Kalendersystemen Asiens am

12. Februar gefeiert wurde.

Im Fernen Osten und in verschiedenen

anderen Teilen der Welt werden am kom-

menden Freitag, dem 12. Februar, viele

Millionen Männer und Frauen das Mond-

Neujahr feiern. Ihnen allen und ihren

Familien möchte ich meinen herzlichen

Gruß senden, verbunden mit dem

Wunsch, dass das neue Jahr Früchte der

Brüderlichkeit und der Solidarität tragen

möge. In diesem besonderen Augenblick,

in dem man sich mit großer Sorge den Her-

ausforderungen der Pandemie stellen muß,

die nicht nur den Leib und die Seele der

Menschen betrifft, sondern auch die ge-

sellschaftlichen Beziehungen beeinflusst,

bringe ich den Wunsch zum Ausdruck,

dass jeder volle Gesundheit und ein ruhi-

ges Leben genießen möge. Während ich

abschließend dazu einlade, um das Ge-

schenk des Friedens und jeglichen weite-

ren Gutes zu beten, erinnere ich daran,

dass man diese durch Güte, Achtung, Weit-

sichtigkeit und Mut erlangt, wobei man nie

vergessen darf, in erster Linie für die Ar-

men und die Schwachen Sorge zu tragen.

(Orig. ital. in O.R. 10.2.2021)

Wer betet, ist wie ein Verliebter –

stets trägt er den geliebten Menschen im

Herzen, wo auch immer er sich befindet.

So können wir zu jeder Zeit beten,

in allen Situationen des täglichen Lebens:

unterwegs, im Büro, im Zug … mit Worten

und in der Stille des Herzens.#Gebet

Tweet von Papst Franziskus

Ein besonderes Buch aus dem IrakVatikanstadt. Ein christliches

liturgisches Buch, das auf zahlrei-

chen Umwegen der Zerstörungs-

wut der Dschihadisten in Karakosh

entkommen ist, wurde dem Papst

im Rahmen der Generalaudienz vor-

gestellt. Das christliche Manuskript

aus dem Nordirak ist in Italien re-

stauriert worden und soll der Ge-

meinde von Karakosch zurückgege-

ben werden. Bevor der IS im Jahr

2014 in die Ninive-Ebene einfiel

und christliche Stätten verwüstete,

hatten Priester die 600 Jahre alte

Handschrift zusammen mit an-

deren Werken eingemauert.

Später gelangte sie über Mos-

suls syrisch-katholischen Erzbi-

schof Yohanna Moshe nach Ita-

lien.

Bei der 116-seitigen Perga -

menthandschrift handelt es

sich um eine Sammlung von

Gebeten und liturgischen Tex-

ten für die Zeit nach Ostern.

Das Manuskript ist in aramäi-

scher Sprache und syrischer Schrift

abgefasst und enthält farbige Minia-

turen. Fachleute des staatlichen ita-

lienischen Instituts für die Konser-

vierung von Archiven und Büchern

untersuchten und restaurierten

zehn Monate lang gemeinsam mit

weiteren Experten das Buch, dessen

Erhaltungszustand als prekär be-

schrieben wird.

Einzelheiten zur Rückgabe an

die christliche Gemeinde von Kara-

kosch sind noch nicht bekannt.

Papst Franziskus will die Stadt bei

seiner Irak-Reise im März besu-

chen. 98 Prozent der Bewohner der

Stadt sind Christen und gehören

mehrheitlich der syrisch-katholi-

schen Kirche an. 8 Prozent der

Christen sind syrisch-orthodox. Die

christlichen Einwohner nennen die

Stadt Baghdeda. 12 km östlich von

Mossul gelegen, war sie bis 2014 die

größte christliche Stadt im Irak.

Page 3: Heilige Messe am Aschermittwoch im Petersdom Die ......Gott ist nur möglich, weil es seine Hinkehr zu uns gegeben hat. Andernfalls wäre sie nicht möglich. Bevor wir zu ihm gekommen

19. Februar 2021 / Nummer 7 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

3Aus dem Vatikan und der Weltkirche

Liebe Brüder und Schwestern,

guten Tag!

Der Petersplatz ist wunderschön in der

Sonne! Er ist wunderschön!

Das heutige Evangelium (vgl. Mk 1,40-45) be-

richtet von der Begegnung zwischen Jesus und ei-

nem Aussätzigen. Aussätzige galten als unrein

und mussten gemäß den Vorschriften des Geset-

zes außerhalb der Stadt bleiben. Sie waren von je-

der menschlichen, sozialen und religiösen Bezie-

hung ausgeschlossen: Sie durften zum Beispiel

nicht die Synagoge betreten, sie durften nicht den

Tempel betreten, auch nicht aus religiösen Grün-

den. Jesus hingegen ließ sich von diesem Mann

ansprechen, er war innerlich bewegt, er streckte

sogar seine Hand aus und berührte ihn. Das war

zu jener Zeit undenkbar. Auf diese Weise erfüllt

er die Frohe Botschaft, die er verkündet: Gott ist

unserem Leben nahegekommen, er hat Mitleid

mit dem Schicksal der verwundeten Menschheit,

und er kommt, um jede Barriere niederzureißen,

die uns daran hindert, unsere Beziehung zu ihm,

zu den anderen und zu uns selbst zu leben. Er ist

uns nahegekommen… Nähe.

Merkt euch dieses Wort gut: Nähe. Mitleid:

Das Evangelium sagt, dass Jesus den Aussätzigen

sah und Mitleid mit ihm hatte. Und Zärtlichkeit.

Drei Worte, die auf Gottes Stil hinweisen: Nähe,

Mitleid, Zärtlichkeit. In dieser Episode können

wir zwei »Übertretungen« sehen, die aufeinan-

dertreffen: die Übertretung des Aussätzigen, der

sich Jesus nähert – denn das hätte er nicht gedurft

– und Jesus, der, von Mitleid bewegt, ihn zärtlich

berührt, um ihn zu heilen – und das hätte er nicht

tun dürfen. Beide übertreten sie etwas. Es han-

delt sich um zwei Übertretungen.

Die erste Übertretung ist die des Aussätzigen:

trotz der Vorschriften des Gesetzes kommt er aus

der Isolation heraus und nähert sich Jesus. Seine

Krankheit wurde als göttliche Strafe angesehen,

aber in Jesus konnte er ein anderes Antlitz Gottes

sehen: nicht den Gott, der züchtigt, sondern den

Vater des Mitleids und der Liebe, der uns von der

Sünde befreit und uns niemals von seiner Barm-

herzigkeit ausschließt. So kann jener Mann aus

seiner Isolation herauskommen, denn in Jesus

findet er Gott, der sein Leid teilt. Jesu Haltung

zieht ihn an, sie drängt ihn, aus sich herauszuge-

hen und ihm seine schmerzvolle Geschichte an-

zuvertrauen.

Bitte erlaubt mir, in diesem Zusammenhang

an so viele gute Priester und Beichtväter zu den-

ken, die diese Haltung einnehmen: die Men-

schen anzuziehen, so viele Menschen, die sich

wertlos fühlen, die sich »am Boden« fühlen we-

gen ihrer Sünden… Aber mit Zärtlichkeit, mit

Mitleid… Wie gut sind jene Beichtväter, die nicht

mit der Peitsche in der Hand dastehen, sondern

nur empfangen, zuhören und sagen, dass Gott

gut ist und dass Gott immer vergibt, dass Gott

nicht müde wird zu vergeben. Für diese barm-

herzigen Beichtväter bitte ich euch alle heute um

einen Applaus, hier auf dem Platz. [Die Pilger und

Gläubigen auf dem Petersplatz spenden Beifall.]

Die zweite Übertretung ist die von Jesus:

Während es das Gesetz verbot, Aussätzige zu be-

rühren, ist er innerlich bewegt, reicht ihm die

Hand und berührt ihn, um ihn zu heilen. Jemand

könnte sagen: Er hat gesündigt, er hat getan, was

das Gesetz verbietet, er ist einer, der das Gesetz

übertritt. Es ist wahr, er ist einer, der das Gesetz

übertritt. Er beschränkt sich nicht auf Worte, son-

dern berührt ihn. Und mit Liebe zu berühren be-

deutet, eine Beziehung herzustellen, in Gemein-

schaft zu treten, sich auf das Leben des anderen

einzulassen, bis hin zum Teilen der eigenen

Wunden. Mit dieser Geste zeigt Jesus, dass Gott

nicht gleichgültig ist, dass er keinen »Sicherheits-

abstand« hält. Vielmehr kommt er uns voll Mit-

leid nahe und berührt unser Leben, um es mit

Zärtlichkeit zu heilen. Das ist der Stil Gottes:

Nähe, Mitleid und Zärtlichkeit. Gottes Übertre-

tung; in diesem Sinne ist er ein großer »Gesetzes -

übertreter«.

Brüder und Schwestern, auch heute leiden in

der Welt so viele unserer Brüder und Schwestern

an dieser Krankheit, an der Hansen-Krankheit

oder an anderen Krankheiten und Situationen,

mit denen leider soziale Vorurteile verbunden

sind. »Das ist ein Sünder!« Denkt an den Moment

(vgl. Lk 7,36-50), als diese Frau zum Festmahl

kam und duftendes Öl über die Füße Jesu ausgoß.

Die anderen sagten: »Wenn er ein Prophet wäre,

dann wüsste er, wer diese Frau ist: eine Sünde-

rin.« Verachtung. Stattdessen nimmt Jesus auf, ja

er dankt sogar: »Deine Sünden sind dir verge-

ben.« Die Zärtlichkeit Jesu. Und das gesellschaft-

liche Vorurteil, Menschen mit dem Wort wegzu-

stoßen: »Der da ist unrein, der da ist ein Sünder,

der da ist ein Betrüger, der da…« Ja, manchmal

stimmt das, aber man sollte nicht vorschnell ur-

teilen. Es kann jedem von uns passieren, dass wir

Wunden, Versagen, Leiden, Egoismus erleben,

die uns gegenüber Gott und anderen ver-

schließen, denn die Sünde verschließt uns in uns

selbst, aus Scham, aus Demütigung, aber Gott

will unsere Herzen öffnen.

Angesichts all dessen verkündet uns Jesus,

dass Gott keine Idee oder abstrakte Lehre ist,

sondern Gott ist derjenige, der sich mit unserer

verwundeten Menschlichkeit »beschmutzt« und

keine Angst hat, mit unseren Wunden in Kon-

takt zu kommen. »Aber Pater, was sagst du da?

Dass Gott sich selbst beschmutzt?« Nicht ich

sage es, sondern der heilige Paulus sagt es: Er

hat sich zur Sünde gemacht (vgl. 2 Kor 5,21). Er,

der kein Sünder ist, der nicht sündigen kann, hat

sich zur Sünde gemacht. Schau, wie Gott sich

beschmutzt hat, um uns nahe zu kommen, um

Mitleid zu haben und um seine Zärtlichkeit

deutlich zu machen. Nähe, Mitleid und Zärtlich-

keit.

Um die Regeln des guten Rufs und der gesell-

schaftlichen Gepflogenheiten einzuhalten, brin-

gen wir unseren Schmerz oft zum Schweigen

oder tragen Masken, um ihn zu verbergen. Damit

wir unseren Egoismus pflegen oder unsere inne-

ren Ängste im Zaum halten können, wollen wir

mit dem Leid der anderen nicht allzu viel zu tun

haben. Bitten wir den Herrn stattdessen um die

Gnade, diese beiden »Übertretungen« des heuti-

gen Evangeliums zu leben. Die des Aussätzigen,

damit wir den Mut haben, aus unserer Isolation

herauszutreten und – anstatt dort zu bleiben und

uns selbst zu bemitleiden oder unser Versagen,

unsere Beschwerden zu betrauern – zu Jesus zu

gehen, so wie wir sind: »Herr, so bin ich.« Wir

werden diese Umarmung spüren, diese Umar-

mung Jesu, die so schön ist. Und dann die Über-

tretung Jesu: eine Liebe, die uns über Konventio-

nen hinausgehen, uns Vorurteile und die Angst

vor der Einmischung in das Leben der anderen

überwinden lässt. Lasst uns lernen, »Überschrei-

ter« zu sein wie diese beiden: wie der Aussätzige

und wie Jesus.

Die Jungfrau Maria, die wir jetzt im Gebet des

Angelus anrufen, möge uns auf diesem Weg be-

gleiten.

(Grüße siehe Seite 4)

Neapel. Erzbischof Domenico Batta -

glia will entschieden gegen die Camorra

und organisierte Kriminalität vorgehen.

»Die Kirche ist aufgerufen, in diesem Kampf

eine prophetische Rolle zu spielen«, sagte er

der Tageszeitung »Avvenire«. Die Camorra

verspreche Freiheit und schnelle Gewinne,

in Wirklichkeit halte sie die Menschen ge-

fangen, so der Erzbischof von Neapel. Die

einzige Waffe von Kirche und Staat in die-

sem Kampf sei Glaubwürdigkeit.

******

Paris. In Frankreich wird derzeit nach

Steinen für die Restaurierung der bei einem

Großbrand im April 2019 zerstörten Pari-

ser Kathedrale Notre-Dame gesucht. Ge-

meinsam mit dem französischen Büro für

Geologie und Bergbauforschung würden

Ȋsthetisch und physikalisch kompatible

Steine« ausgewählt, die den beschädigten

entsprechen und sie ersetzen können.

Das ursprüngliche Material wurde im

12./13. Jh. aus dem Untergrund von Paris

gewonnen. Entsprechende Kalksteine

werden heute noch in zehn Steinbrüchen

im Pariser Umland abgebaut.

******

Bogotá. In der Panamazonas-Region

Südamerikas sind nach Angaben des

kirchlichem Amazonas-Netzwerks Re-

pam bislang 48.343 Menschen an Corona

gestorben. Zudem wurden knapp zwei

Millionen Infektionen gezählt.

Kurz notiert

Ansprache von Papst Franziskus beim Angelusgebet am Sonntag, 14. Februar

Gott hält keinen Sicherheitsabstand

Vatikanstadt. Papst Franziskus hat europäi-

sche Akademiker in der Zusammenarbeit über

kulturelle und religiöse Grenzen hinweg be-

stärkt. Die Covid-Pandemie mache die Notwen-

digkeit einer Kultur der Begegnung für die ganze

Menschheit schmerzlich bewusst, erklärte er bei

einer Begegnung mit Vertretern des Instituts für

Europäische Studien am Freitag, 12. Februar, im

Vatikan. Der Wunsch nach Begegnung müsse

wachsen. Es gelte, Berührungspunkte zu suchen,

Brücken zu bauen und Projekte zu entwerfen, die

alle einschlössen. Das in Stockholm ansässige In-

stitut und der Erzbischof der schwedischen

Hauptstadt, Kardinal Anders Arborelius, hatten

2018 eine Kooperation mit dem Bildungs-Netz-

werk »Scholas Occurentes« begründet. Kardinal

Arborelius nahm mit der Delegation des Instituts

an der Audienz im Vatikan teil.

Heilung des Aussätzigen, Mosaik von P. Marko Ivan Rupnik SJ.

Vatikanstadt. Papst Franziskus hat die Rolle

einer gesunden Ernährung für eine gute und ge-

rechte Entwicklung der Gesellschaft betont. Da-

her sollte gesunde Ernährung ein allgemeines

Menschenrecht sein, forderte der Papst in einer

von Erzbischof Paul Gallagher, Sekretär für die

Beziehungen mit den Staaten im Vatikanischen

Staatssekretariat, unterzeichneten Botschaft an

eine Online-Konferenz der Welternährungsorga-

nisation FAO am 12. Februar in Rom, an der auch

Generaldirektor Qu Dongyu teilnahm. Noch im-

mer fehle es vielen Menschen, vor allem Kin-

dern, an einer grundlegenden Versorgung, be-

klagte der Papst. Hunger bleibe eine »tödliche

Geißel«.

Darüber hinaus wies Franziskus in der Bot-

schaft auf die wichtige Bedeutung von Hülsen-

früchten für die globale Ernährung hin: Linsen,

Bohnen, Erbsen und Kichererbsen seien auf den

Tischen vieler Familien zu finden und deckten ei-

nen breiten Bedarf an Proteinen. Als nahrhaftes

und zugleich anspruchsloses Gemüse seien sie

über geografische Grenzen, Schichten und Kultu-

ren hinweg verbreitet.

Schließlich warb Franziskus für eine scho-

nende und nachhaltige Landwirtschaft. Beson-

ders von Landfrauen und indigenen Frauen lasse

sich lernen, wie gemeinsame Anstrengung und

Opferbereitschaft den Zugang zu Nahrungsmit-

teln und eine gerechte Verteilung sicherstellen

könnten, betonte er. Anlass der FAO-Veranstal-

tung war der internationale Tag der Hülsen-

früchte, der jährlich am 10. Februar begangen

wird.

Gesunde Ernährung

als allgemeines

Menschenrecht

Kultur der Begegnung

600 Jahre Franziskaner im Heiligen Land

Jerusalem. Die Franziskaner im Heiligen

Land feiern den Beginn ihrer internationalen Ver-

netzung vor 600 Jahren. Am 14. Februar 1421 er-

teilte Papst Martin V. den sogenannten »Kommis-

sariaten« die offizielle Genehmigung, Almosen

und Spenden für die Arbeit der Franziskaner im

Orient anzunehmen. Heute unterstützen Büros

in rund 50 Ländern die Franziskaner-Kustodie in

Jerusalem. Anlässlich des Jubiläums hat Kustos P.

Francesco Patton den 15. Februar zum Gebetstag

für die Wohltäter der Kustodie ausgerufen.

Papst Franziskus sprach dem »wertvollen

Dienst« der Kommissariate in einem handschrift-

lichen Brief an Patton seinen Segen und seine Un-

terstützung aus. Die Aufgabe der Kommissariate

sei nach all den Jahrhunderten weiterhin aktuell,

nämlich »die Sendung der Kustodie des Heiligen

Landes zu unterstützen, zu fördern und zu ver-

bessern«. Dies ermögliche das Netzwerk kirchli-

cher, geistlicher und wohltätiger Beziehungen, in

deren Mittelpunkt das Land Jesu stehe.

Die Franziskaner sind seit 1217 im Heiligen

Land präsent. Noch zu Lebzeiten des heiligen

Franziskus wurden die ersten Brüder ausgesandt,

um von der Kreuzfahrerbastion Akko aus eine

Ordensprovinz mit mehreren Niederlassungen

aufzubauen. 1342 ernannte Papst Clemens VI.

durch eine Bulle die Franziskaner zu den recht-

mäßigen Hütern (Kustoden) der heiligen Stätten

im Heiligen Land. Das Jubiläum wurde am 15. Fe-

bruar mit einer feierlichen heiligen Messe in der

Jerusalemer Grabeskirche begangen.

Rechte für Migranten

Madrid. Ein Umdenken in der Migrations -

politik hat eine Gruppe von 70 katholischen

Politikern und Führungspersönlichkeiten aus

Lateinamerika und Spanien von ihren Regierun-

gen gefordert. Migranten bräuchten mehr Rechte

und dürften nicht länger als Kriminelle angese-

hen oder dem organisierten Verbrechen ausgelie-

fert sein, heißt es in einer gemeinsamen Er-

klärung, von der das Portal »Vida Nueva«

berichtet. Migrationspolitik müsse sich vor allem

auf die Anerkennung und den Schutz der Men-

schenrechte konzentrieren, heißt es in dem Ma-

nifest der »Academia de Lideres Catolicos« mit

Sitz in Santiago de Chile. Dringend notwendig sei

daher die Einführung wirksamer Programme

zum Schutz und zur Betreuung von Migranten.

Die derzeitige Haltung gegenüber Migranten sei

unmenschlich.

Page 4: Heilige Messe am Aschermittwoch im Petersdom Die ......Gott ist nur möglich, weil es seine Hinkehr zu uns gegeben hat. Andernfalls wäre sie nicht möglich. Bevor wir zu ihm gekommen

Privataudienzen

Der Papst empfing:

12. Februar:

– den Präfekten der Kongregation für den Klerus,

Kardinal Beniamino Stella;

– den Apostolischen Nuntius in Nigeria und Stän-

digen Vertreter bei der Westafrikanischen Wirt-

schaftsgemeinschaft, Antonio Guido Filipazzi,

Titularerzbischof von Sutri;

13. Februar:

– den Apostolischen Nuntius in Kuba, Giam-

piero Gloder, Titularerzbischof von Telde;

15. Februar:

– den Apostolischen Nuntius in der Zentralafri-

kanischen Republik und im Tschad, Santiago De

Wit Guzmán, Titularerzbischof von Gabala;

– den Präfekten der Kongregation für die Institute

geweihten Lebens und die Gesellschaften apos -

tolischen Lebens, Kardinal João Braz de Aviz,

mit dem Sekretär des Dikasteriums, José Rodrí-

guez Carballo, Titularerzbischof von Belcastro.

Bischofskollegium

Ernennungen

Der Papst ernannte:

10. Februar:

– zum Bischof und Prälaten der Territorialprälatur

Corocoro (Bolivien): Pascual Limachi Ortiz,

bisher Weihbischof in der Diözese El Alto und Ti-

tularbischof von Belesasa;

– zu Weihbischöfen in der Metropolitan-Erzdiö-

zese Lima (Peru): Guillermo Antonio Cornejo

Monzón, vom Klerus der Diözese Lurín, bisher

Pfarrer der Pfarrei »El Niño Jesús«, Dekan des

zweiten Dekanats sowie Verantwortlicher für die

Senioren- und Gefängnispastoral, mit Zuweisung

des Titularsitzes Decoriana; P. Juan José Sala-

verry Villarreal OP, bisher Rektor des »Insti-

tuto Superior de Estudios Teológicos Juan XXIII«

(ISET) und Bischofsvikar für dasa gottgeweihte

Leben in der Metropolitan-Erzdiözese Lima, mit

Zuweisung des Titularsitzes Asolo;

11. Februar:

– zum Metropolitan-Erzbischof von Karatschi

(Pakistan): Benny Mario Travas, bisher Bischof

der Diözese Multan;

– zum Bischof der Diözese Cachoeiro de Itapemi-

rim (Brasilien): Luiz Fernando Lisboa, bisher

Bischof von Pemba (Mosambik), mit gleichzeiti-

ger Erhebung zum Erzbischof »ad personam«;

15. Februar:

– zum Bischof der Diözese Lisala (Demokrati-

sche Republik Kongo): Joseph-Bernard Likolo

Bokal’Etumba, vom Klerus der Erzdiözese

Kinshasa, bisher Sekretär der bischöflichen Kom-

mission für den Gottesdienst und die Sakramen-

tenordnung der Kongolesischen Bischofskonfe-

renz;

– zum Weihbischof in der Erzdiözese San Anto-

nio (Vereinigte Staaten von Amerika): Gary W.

Janak, vom Klerus der Diözese Victoria in Texas,

mit Zuweisung des Titularsitzes Dionisiana;

– zum Bischof der Diözese Chur (Schweiz): Jo-

seph Maria Bonnemain, vom Klerus der Perso-

nalprälatur Opus Dei, bisher Offizial des Kirchen-

gerichts und Kanoniker des Domkapitels.

Rücktritte

Der Papst nahm die Rücktrittsgesuche an:

11. Februar:

– von Kardinal Joseph Coutts von der Leitung

der Metropolitan-Erzdiözese Karatschi (Paki-

stan);

– von Bischof Roberto Bordi, Titularbischof von

Mutugenna, von seinem Amt als Weihbischof im

Apostolischen Vikariat El Beni (Bolivien);

15. Februar:

– von Bischof Joseph Aind von der Leitung der

Diözese Dibrugarh (Indien);

– sein Nachfolger ist der bisherige Bischof-Koad-

jutor der Diözese, Albert Hemrom;

– von Bischof Marian Eleganti, Titularbischof

von Lamdia, von seinem Amt als Weihbischof in

der Diözese Chur (Schweiz).

Todesfälle

Am 4. Februar ist der emeritierte Bischof von

Port-de-Paix in Haiti, Pierre-Antoine Paulo,

aus dem Orden der Oblaten der Unbefleckten

Jungfrau Maria, im Alter von 76 Jahren gestor-

ben.

Am 6. Februar ist der emeritierte Bischof von

Luziâna in Brasilien, Afonso Fioreze, aus dem

Orden der Passionisten, im Alter von 78 Jahren

gestorben.

Am 12. Februar ist der emeritierte Bischof von

Nkayi in der Republik Kongo, Bernard Nsayi, im

Alter von 78 Jahren in der Gemelli-Klinik in Rom

gestorben.

Am 15. Februar ist der emeritierte Erzbischof

des Ordinariats für die in Osteuropa lebenden

armenisch-katholischen Gläubigen, Neshan Ka-

rakéhéyan, im Alter von 89 Jahren im Bischofs-

haus in Kanaker, Jerewan, in Armenien gestor-

ben.

Der Apostolische Stuhl

Römische Kurie

Der Papst ernannte:

12. Februar:

– zu ordentlichen Mitgliedern der Päpstlichen

Akademie für das Leben: P. Paolo Benanti TOR,

Dozent für Moraltheologie, Bioethik und Neuro -

ethik an der Päpstlichen Universität Gregoriana

(Italien); Sr. Margarita Bofarull Buñuel RSCJ,

Dozentin für Moraltheologie an der »Universidad

Centroamericana José Simeón Cañas« (El Salva-

dor); Prof. Gualtiero Walter Ricciardi, Profes-

sor und Direktor der Abteilung für Frauen- und

Kindergesundheitswissenschaft und allgemeines

Gesundheitswesen an der Katholischen Univer-

sität vom Heiligen Herzen (Italien); Prof. Maria

Chiara Carrozza, Professorin für Wirtschaftsin-

genieurwesen an der Hochschule »Scuola Nor-

male Superiore« in Pisa (Italien).

Apostolische Nuntiaturen

Der Papst ernannte:

11. Februar:

– zum Apostolischen Nuntius in Bahrain: Eu-

gene Martin Nugent, Titularerzbischof von

Domnach Sechnaill, Apostolischer Nuntius in

Kuwait und in Katar.

VATIKANISCHES BULLETIN

L’OSSERVATORE ROMANOWochenausgabe in deutscher Sprache

51. JahrgangHerausgeber: Apostolischer Stuhl

Verantwortlicher Direktor: Andrea Monda

Redaktion

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19. Februar 2021 / Nummer 7

4

L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

Aus dem Vatikan

Der Vatikan hat zu einer friedlichen

und raschen Beilegung der Spannungen in

Myanmar aufgerufen. Jene, die die Verant-

wortung im Land hätten, müssten sich in

den Dienst von Gemeinwohl, Menschen-

und Bürgerrechten sowie sozialer Gerech-

tigkeit und Stabilität stellen, erklärte der

Ständige Beobachter des Heiligen Stuhls

bei den Vereinten Nationen in Genf, Erz-

bischof Ivan Jurkovic, bei einer Sondersit-

zung des UN-Menschenrechtsrats zur

Krise in Myanmar am Freitag, 12. Februar,

in Genf. Der Heilige Stuhl verfolge die Ent-

wicklungen aufmerksam und mit »großer

Besorgnis«, so Jurkovic.

*******

Der Papst hat die Rekrutierung von

Minderjährigen für bewaffnete Kampf-

einsätze verurteilt. »Wer Kindern statt Brot,

Büchern und Spielzeug Waffen gibt, be-

geht ein Verbrechen nicht nur gegen die

Kleinen, sondern gegen die ganze

Menschheit«, hieß es in einem am Freitag,

12. Februar, verbreiteten Tweet des Paps -

tes. Der 12. Februar wird als Internationa-

ler Tag gegen den Einsatz von Kindersolda-

ten begangen.

*******

Die Republik Österreich erhöht ihre

vertraglich festgelegten Entschädigungs-

zahlungen an die katholische Kirche und

andere Kirchen und Religionsgemein-

schaften um 20 Prozent gegenüber 2009.

Österreichs Botschafterin beim Heiligen

Stuhl, Franziska Honsowitz-Friessnig, und

Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin

tauschten am Mittwoch, 10. Februar, die

Ratifikationsurkunden zum Siebenten Zu-

satzvertrag zum vermögensrechtlichen

Konkordatsvertrag aus, wie das Presseamt

des Heiligen Stuhls mitteilte. Damit tritt der

im Nationalrat im Dezember 2020 mit den

Stimmen aller Fraktionen beschlossene

Vertrag zwischen Österreich und dem Hei-

ligen Stuhl in Kraft, der den inflationsbe-

dingten Wertverlust der Entschädigungs-

zahlungen für Enteignungen während des

NS-Regimes ausgleichen soll.

Aus dem Vatikanin Kürze

Worte des Papstes nach dem Angelusgebet

Liebe Brüder und Schwestern!

Ich schaue immer mit Dankbar-

keit auf das Engagement derer, die

sich für die Migranten einsetzen. Ih-

nen allen danke ich für das, was sie

für die Migranten tun. Heute

schließe ich mich insbesondere den

Bischöfen Kolumbiens an, die ihre

Dankbarkeit für den Entschluss der

kolumbianischen Verantwortungs-

träger zum Ausdruck bringen, den

venezolanischen Migranten, die

sich im Land aufhalten, einen tem-

porären Schutzstatus zu gewähren

und damit deren Aufnahme, Schutz

und Integration zu fördern. Das tut

kein sehr reiches, hochentwickeltes

Land, nein, das tut ein Land mit vie-

len Problemen im Hinblick auf die

Entwicklung, die Armut und den

Frieden, mit fast 70 Jahren Guerilla-

krieg… Aber in Bezug auf dieses

Problem hatte es den Mut, auf diese

Migranten zu schauen und ihnen

diesen Aufenthaltsstatus zu ge-

währen. Mein Dank geht an Kolum-

bien. Vielen Dank!

Heute, am Fest der heiligen Cy-

rill und Methodius, der Evangelisie-

rer der slawischen Völker, die vom

heiligen Johannes Paul II. zu Mitpa-

tronen Europas erklärt wurden,

grüße ich voll Zuneigung alle Ge-

meinschaften, die in den von den

heiligen Brüdern evangelisierten

Gebieten leben. Ihre Fürsprache

möge uns helfen, neue Wege zu fin-

den, das Evangelium zu vermitteln.

Die beiden hatten keine Angst,

neue Wege zu finden, um das Evan-

gelium weiterzugeben. Und möge

ihre Fürbitte in den christlichen Kir-

chen den Wunsch stärken, unter

Achtung der Unterschiede auf die

volle Einheit zuzugehen.

Und natürlich darf heute, am Va-

lentinstag, ein Gedanke und ein

Wunsch an die Verlobten, an die Ver-

liebten nicht fehlen: Ich begleite sie

mit meinem Gebet und segne sie.

Schließlich geht mein Gruß an

euch, an die Gläubigen aus Rom und

an die Pilger. Ich sehe, da sind Fran-

zosen, Mexikaner, Spanier, Polen…

Seid alle willkommen! Viele Grüße!

Am nächsten Mittwoch begin-

nen wir die Fastenzeit. Es wird eine

Zeit der Gnade sein, um der Krise,

die wir durchleben, durch unseren

Glauben und unsere Hoffnung Sinn

zu geben.

Vergessen wir also nicht die drei

Worte, die den Stil Gottes deutlich

machen. Vergesst nicht: Nähe, Mit-

leid, Zärtlichkeit. Wollen wir sie ge-

meinsam sagen? Nähe, Mitleid,

Zärtlichkeit.

Ich wünsche euch allen einen

gesegneten Sonntag. Bitte vergesst

nicht, für mich zu beten. Gesegnete

Mahlzeit und auf Wiedersehen.

Danke!

Fortsetzung von Seite 3

Moskau/Rom. Die bekannte Jesui-

tenzeitschrift »Civiltà Cattolica erscheint

seit 12. Februar auch auf Russisch. Bisher

gab es die monatlich erscheinende Zeit-

schrift neben Italienisch auch auf Englisch,

Französisch, Chinesisch, Japanisch und

Koreanisch. Erstellt wird die russische

Ausgabe vom Sankt-Thomas-Institut in

Moskau unter der Leitung des deutschen

Jesuiten Stephan Lipke.

Kurz notiert

Page 5: Heilige Messe am Aschermittwoch im Petersdom Die ......Gott ist nur möglich, weil es seine Hinkehr zu uns gegeben hat. Andernfalls wäre sie nicht möglich. Bevor wir zu ihm gekommen

19. Februar 2021 / Nummer 7 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

5Geschichte und Kultur

Von Andrea De Angelis und Franco Piroli

Ein altes Holzbrett, das in den kalten

Kriegsnächten aus einem Fenster in der

Via del Mascherino geschoben wird

und sich zwischen die Zinnen einer im 13. Jahr-

hundert errichteten Mauer einfügt, die den Päps -

ten die Flucht aus dem Vatikan in die Engelsburg

ermöglichte. Diese Mauer, »Passetto del Borgo«

genannt, wurde so zum Weg, auf dem die von Na-

tionalsozialisten und Faschisten Verfolgten sich

in den Vatikan retten konnten, um am Leben zu

bleiben. Dass in den Jahren 1943 und 1944 Dut-

zende von ihnen dort beherbergt wurden, ver-

steckt in den Wohnungen von Prälaten und Mon-

signori oder in die Palatingarde aufgenommen, ist

eine dokumentierte Tatsache. Vor Kurzem kam

ein neues Fragment dieser Geschichte ans Tages-

licht, in den Erinnerungen einer älteren Dame,

die diese Geschehnisse als Kind miterlebt hatte.

Drei Meter und 40 Zentimeter: Das ist die Ent-

fernung, die das Gebäude in der Via del Masche-

rino von der Mauer trennt. Der Abstand musste

in leichtem Anstieg bewältigt werden, auf einem

fünf Meter langen Holzbrett. Gerade so lang, dass

es an beiden Enden auflag und so den Menschen

erlaubte, in wenigen Sekunden aus Italien in den

Vatikan zu gelangen. Immer in der Nacht, wenn

die Umrisse von Personen und Dingen kaum zu

erkennen sind. Dies geschah häufiger in jenem

Winter 1943/1944, als Rom von den Nationalso-

zialisten besetzt war.

Unbekannte Gesichter

»Manchmal saßen morgens Menschen in der

Küche, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, si-

cherlich nicht am Abend vorher, wenn ich schla-

fen ging. Sie saßen an unserem Tisch, aßen und

sprachen mit meinen Eltern. Ich habe Papa ge-

fragt, wer sie seien, aber ich erhielt keine Ant-

wort. Dann am nächsten Morgen waren sie ver-

schwunden.« Das erzählt Antonietta Cecchini

Vatican News. Sie ist mittlerweile 82 Jahre alt

und war zu jener Zeit ein Kind von fünf Jahren.

»Es war kalt, es war im Winter. Ich erinnere mich

an den warmen Kohlenofen in der Küche. Ich sah

jene Menschen, sie grüßten mich, und am nächs -

ten Tag waren sie weg. Es waren immer neue Ge-

sichter.«

»Einmal, es wird ungefähr acht Uhr abends

gewesen sein, habe ich das Holzbrett gesehen,

das aus dem Küchenfenster in die Mauer ge-

genüber ragte. Aber auch da erklärten mir meine

Eltern nicht, was sie taten.« Einige Jahre später

habe sie ihren Vater erneut gefragt, »was dieses

Holzbrett zu bedeuten hatte und warum immer

wieder einmal Fremde in unserer Wohnung ge-

wesen waren, immer nur für einige Stunden. Bei

jener Gelegenheit sagte er mir, dass es Men-

schen waren, die gerettet werden mussten, und

dass ich weiterhin zu niemandem etwas sagen

sollte«, erzählt die Tochter Antonietta nicht ohne

Rührung.

»Mein Großvater hasste Gewalt und war

sehr nachdenklich. Was er getan hat, dieses

Holzbrett, das war sehr mutig.« Mit diesen Wor-

ten beschreibt Stefano, der Enkel von Cesare

Cecchini, diese Rettungsaktionen. »Er war ein

Mann, der nicht auffallen wollte, jemand, der

viel arbeitete. Er war kein Mitglied der faschisti-

schen Partei, hielt sich aber in der Öffentlichkeit

mit der Äußerung seiner Überzeugungen

zurück.« Eine Vorsicht, die sich für das Gelingen

jenes Planes als grundlegend erwies, Menschen

aus dem Küchen- oder Badfenster in den Vatikan

zu helfen. Dabei unterstützte ihn seine Frau Na-

talina, die als Krankenpflegerin im römischen

Polyklinikum arbeitete.

Die Familie Cecchini wohnte bis in die

1960er-Jahre in diesem Haus, aber nie hatte je-

mand über diese Rettungsaktionen gesprochen,

aus Angst vor Rache oder Gewalt. Heute ist in

dem Gebäude das Sicherheitsinspektorat der ita-

lienischen Polizei beim Vatikan untergebracht.

Der leitende Beamte war unter den ersten, der

von dieser Episode aus der Geschichte der Fami-

lie Cecchini erfuhr. »Jemand hat mir von dieser

Geschichte erzählt, und dann habe ich mich mit

Antonietta und dem Enkel getroffen. Eine hero-

ische Geschichte, die in diesen Räumen geschah,

wo sich heute unsere Büros befinden.« Er er-

wähnt eine Audienz des Papstes für das Inspek-

torat für Öffentliche Sicherheit »Vatikan«: »Fran-

ziskus hat uns aufgefordert, nicht nur die

unserer Wachsamkeit anvertrauten heiligen Stät-

ten des katholischen Glaubens zu hüten, son-

dern auch die Wurzeln der Zivilisation. Diese

Geschichte erlaubt es uns, dieser großherzigen

edelmütigen Gesten zu gedenken und ihnen

Ehre zu erweisen.«

Der Gang in der Mauer führt in die Erste Log-

gia des Apostolischen Palasts. Dutzende Men-

schen wurden in jener Zeit im Vatikan in Sicher-

heit gebracht. Diesbezügliche Dokumente aus

dem Pontifikat von Papst Pius XII. in der Zeit des

Zweiten Weltkriegs, die in den Vatikanarchiven

zu finden sind, wurden in elf Bänden veröffent-

licht. Im zehnten Band dieser Actes et Documents

du Saint Siège relatifs à la Seconde Guerre Mon-

diale ist der Bericht von Msgr. Guido Anichini ent-

halten. Er war seit 1928 Kanoniker des Peters-

doms und berichtet in einem auf den 13. Februar

1944 datierten Dokument über die Flüchtlinge in

den Räumlichkeiten der Kanoniker.

Gefahr für Leib und Leben

Anichini schreibt an den Papst: »Die väterli-

che Güte Eurer Heiligkeit, die sich erneut in so be-

wegender Weise gezeigt hat, bringt mir meine

Pflicht zu Bewusstsein, treu darzulegen, was ge-

tan wurde, meinerseits und durch einige Kanoni-

ker des Petersdoms, um den aus verschiedenen

Gründen Verfolgten zu helfen, indem sie in den

Räumlichkeiten des Kanonikerhauses aufgenom-

men wurden.« Er fährt fort: »Als ich am vergan-

genen 1. November endlich nach Rom zurück-

kommen konnte […], sah ich, dass im Kano-

nikerhaus, das als abgetrenntes Terrain betrach-

tet wird, das der besonderen Jurisdiktion des Kar-

dinalerzpriesters unterstellt ist, bereits nicht we-

nige Personen untergebracht waren, deren Le-

ben bedroht war. Daher war ich der Meinung,

dass auch ich mich nicht weigern durfte, im Haus

gefährdete Personen und Verwandte dessen auf-

zunehmen, der meine glückliche Rückkehr be-

werkstelligt hatte.« Es geht um die Wintermonate

zwischen November 1943 und Februar 1944, in

denen Antonietta Cecchini als Kind etwas von

den nächtlichen Rettungsaktionen ihrer Eltern

mitbekommen hatte.

Weiter ist im Bericht von Msgr. Anichini zu le-

sen, dass in verschiedenen Kanonikerwohnun-

gen weitere Gäste aufgenommen wurden, »drin-

gende, gravierende Fälle besonders von Per-

sonen, die von den Italienischen Rassegesetzen

betroffen waren«. Es folgt eine lange Liste mit Na-

men, angefangen von einem Herrn di Adri und

seiner Familie, »der zwar katholisch ist, aber dies

nicht ausreichend dokumentieren kann, um als

arisch zu gelten, und der daher gesucht wurde,

weil er nach Polen deportiert werden sollte«, bei

»Msgr. Fioretti seine Eltern, auch sie Katholiken,

geflohen und grausamer Verfolgung ausgeliefert,

weil sie nicht arisch sind«.

Die Liste geht weiter und enthält den Namen

eines Offiziers des »Regio Esercito«, des »Königli-

chen Heeres«, der in Lebensgefahr war, »weil er

aus politischen Gründen erschossen werden

sollte«. Auch ein Beamter des Innenministeriums

ist darunter, der »das neue Regime abgelehnt

hat«, wie weitere Personen, die unter dem Vor-

wand rassistischer Motive oder aus politisch-mi-

litärischen Gründen gesucht wurden«. Manch ei-

ner von ihnen könnte über jenes Holzbrett in den

Vatikan gelangt sein, das aus dem Haus der Fa-

milie Cecchini immer wieder in die Mauer auf der

gegenüberliegenden Seite geschoben wurde.

(Orig. ital. in O.R. 3.2.2021)

Eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg: Vergessener Fluchtweg in den Vatikan für Verfolgte

Drei Meter bis zur Rettung

Der Verbindungsgang zwischen der Engelsburg und dem Apostolischen Palast war als schneller

Fluchtweg für die Päpste gedacht. Seit 1277 war die Engelsburg in ihrem Besitz. Als freistehen-

der Bau ließ sie sich leichter verteidigen. Über die Mauer gelangt man direkt in den Vatikan (Foto

rechts, im Hintergrund der Apostolische Palast).

Antonietta

Cecchini blickt aus

dem Küchen fenster

(links), wo sich

heute das

Sicherheitsinspek-

torat befindet. Aus

diesem Fenster

gelangten die

Flüchtenden über

ein Holzbrett auf

die gegenüberlie-

gende Mauer, die

in den Vatikan

führt (Rekonstruk-

tion, rechts).

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19. Februar 2021 / Nummer 7 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

6 Kirche in der Welt

Ein Zeugnis der Barmherzigkeit und desMitleids von einem wahren Mann Gottes ge-genüber einem Volk, das trotz vielen Leids nieseinen tiefen Glauben verloren hat. Das ist dieErinnerung, die Kardinal Louis G. Tagle auchnoch sechs Jahre nach der Apostolischen Reisevon Papst Franziskus auf die Philippinen be-wahrt. Der Präfekt der Kongregation für dieEvangelisierung der Völker, seinerzeit Erzbi-schof von Manila, berichtet darüber in diesemInterview mit unserer Zeitung.

Von Gianluca Biccini

Vom 15. bis 19. Januar 2015 besuchte der Hei-

lige Vater, aus Sri Lanka kommend, das Land, das

in Asien die größte Anzahl von Katholiken auf-

weist. Können Sie uns einige persönliche Erinne-

rungen an jene Tage erzählen?

Zwei Aspekte kommen mir in den Sinn:

zunächst einmal die persönliche Aufmerksam-

keit des Heiligen Vaters gegenüber den Zeichen

der Zeit. Der Besuch, der unter dem Thema

»Barmherzigkeit und Mitleid« stand, fand mitten

in den Vorbereitungen auf die 500-Jahr-Feier der

Verkündigung des Evangeliums auf den Philippi-

nen statt, und wir Bischöfe hatten beschlossen,

dass 2015 das »Jahr der Armen« werden sollte.

Der Papst ist eigens für die Opfer des Taifuns

Haiyan (Yolanda) gekommen, aber ich konnte aus

nächster Nähe sehen, dass er nicht nur daran in-

teressiert war, zu geben, sondern auch von den

Bedürftigen und Leidenden zu empfangen und

sich mit ihren Zeugnissen auseinanderzusetzen.

Dabei habe ich sein Staunen – wie das eines klei-

nen Jungen – über all das Gesehene und Gehörte

bewundert. Er hat mir mehr als einmal zugeflü-

stert: »Dieser Mann hat einen großen Glauben.«

Oder: »Sind wirklich so viele Menschen hier?«

Ganz zu schweigen von meinen Emotionen

im Haus der Stiftung Tulay ng Kabataan: es bietet

Mädchen und jungen Frauen Unterkunft, die von

der Straße geholt wurden, und liegt nur wenige

Schritte von der Kathedrale von Manila entfernt.

Auf diesen Besuch legte er ganz besonderen

Wert, da ich ihm in den vorausgegangenen Mo-

naten Hunderte von ihren Briefen geschickt

hatte. Und dann war da die kleine Glyzelle Palo-

mar, ein von dieser Stiftung gerettetes Mädchen,

das während der Begegnung mit Jugendlichen

auf dem Sportplatz der »Universidad de Santo

Tomás« schluchzend fragte, warum Kinder lei-

den. Und Franziskus erklärte, dass die einzige

Antwort darin bestehe, zu lernen, wie sie zu wei-

nen.

Und der zweite Aspekt?

Der zweite Aspekt war seine Sorge um das

Leid der Familien von Tacloban, das Ende 2013

vom Taifun verwüstet worden war: Im Anschluss

an die heilige Messe auf dem Flughafengelände

der Hauptstadt fuhr Franziskus trotz des schlech-

ten Wetters in einem offenen Auto zur Residenz

des Erzbischofs von Palo, um so viele Menschen

wie möglich begrüßen zu können. Unterwegs ließ

er den Wagen vor dem zerstörtem Haus einer

Fischerfamilie anhalten. In der Erzbischöflichen

Residenz war eigentlich eine anderthalbstündige

Ruhepause eingeplant, aber die widrigen Wetter-

bedingungen haben diese Zeit auf nur fünfzehn

Minuten verkürzt, und der Papst wollte sie für den

Austausch von Geschichten und Erfahrungen

nutzen. Da ich ein wenig die Rolle des Dolmet-

schers übernommen hatte, bat er mich, alles in ei-

ner Frage zusammenzufassen: »Wie geht es Ihrer

Familie?« Denn wir hatten Menschen vor uns, die

alle oder viele ihrer Lieben verloren hatten. Der

Papst kam nicht einmal zum Essen, sondern er

hörte sich die kurzen Geschichten an und um-

armte schweigend alle Anwesenden; dann ent-

schuldigte er sich dafür, dass so wenig Zeit zur Ver-

fügung stand, woraufhin einer der Gäste mit

Tränen in den Augen ausrief: »Sag das nicht, Hei-

liger Vater! Deine Anwesenheit ist mehr wert als

alles andere. Wer sind wir? Wir sind arme Leute,

wir verdienen diese ganze Aufmerksamkeit

nicht.« Wir erlebten diese Momente wie eine Fa-

milie, die das Leid miteinander teilt, und wir ha-

ben überströmende Liebe und Hoffnung erlebt!

An der Abschlussmesse im Rizal-Park in Ma-

nila sollen mehr als sechs Millionen Menschen

teilgenommen haben. Wie war es möglich, so

viele Gläubige zu mobilisieren?

Den Angaben der Sicherheitskräfte zufolge

soll die Zahl sogar noch höher gewesen sein, un-

ter Einbeziehung der Menschen in den Seiten-

straßen. Aber was in der westlichen Welt unvor-

stellbar hohe Zahlen zu sein scheinen, ist für uns

Filipinos normal: Wir sind es gewohnt, bei den

wichtigsten religiösen Festen immense Men-

schenmengen zu sehen. Man denke nur etwa an

die Traslación, die tradi-

tionelle Prozession mit

der Statue des Schwar-

zen Nazareners von

Quiapo, bei der sich all-

jährlich am 9. Januar –

zumindest vor der Pan-

demie – Millionen von

Filipinos aus dem

ganzen Land versam-

melt haben; oder die

Verehrung des »Santo

Niño« von Cebu, dessen

Fest immer am dritten

Sonntag im Januar be-

gangen wird. Es sind

Formen der Verehrung

Christi und seiner Mut-

ter Maria, bei denen wir

Hirten uns darauf be-

schränken, die Liturgie,

das Studium der Bibel

und höchstens noch die Sicherheitsmaßnahmen

zu organisieren, und die offizielle Einladung aus-

sprechen: aber es bedarf keiner besonderen

Mobilisierung, es ist eine spontane Massenbewe-

gung.

So war es auch im Moment, als der Papst –

sichtbares Zeichen der Gegenwart des Herrn als

Hirte der Kirche, und im Jahr 2015 auch Zeichen

der Hoffnung auf einen Neubeginn nach den Na-

turkatastrophen – da war: Es war ganz normal, so

viele Menschen zu sehen; auch wenn ich geste-

hen muss, dass auch ich von den schwindelerre-

genden Zahlen ein wenig überrascht war. Für

uns bedeutet Präsenz soviel wie Gebet: dem

Herrn nicht nur mit Worten, sondern auch mit

dem Leib zu danken. Das ist der Grund dafür,

dass man auf den Philippinen die geballte Energie

und Kraft der Volksfrömmigkeit sieht. Sie ist eine

Frucht der Mystik des Volkes, die im über-

schwänglichen Empfang für den Heiligen Vater

zum Ausdruck gekommen ist. Die Filipinos sind

bekannt für ihr Lächeln, das die Liebe zu Gott

ausdrückt, für ihre innige Frömmigkeit, ihre tiefe

Verehrung Jesu und der Gottesmutter und ihre

Liebe zum Rosenkranzgebet.

Kommen wir in die Gegenwart zurück: Papst

Franziskus hat durch die Ausrufung des Aktions-

jahres »Amoris laetitia« die Familie in den Mittel-

punkt des kirchlichen Lebens gestellt. Sie kennen

das Nachsynodale Schreiben nur allzu gut, da Sie

zu den delegierten Vorsitzenden der beiden in

den Jahren 2014 und 2015 vom Papst einberufe-

nen Bischofsversammlungen zu diesem Thema

gehörten. Welche Auswirkungen kann eine sol-

che Initiative auf die Philippinen haben?

In jeder Diözese, Pfarrei, katholischen Schule

oder kirchlichen Bewegung im Land gibt es immer

dieses seelsorgliche Interesse an den Familien,

und ich bin überzeugt, dass dieses besondere Jahr

einer bereits vorhandenen Realität in vielerlei Hin-

sicht weitere Impulse geben wird. In besonderer

Weise wird es als Ermutigung für die philippini-

schen Migranten dienen – denken wir nur an die

vielen, die in Italien leben, und an ihren oft unter-

schätzten Beitrag zum Leben und zum Wohlstand

der Gesellschaft, in der sie leben. Zusammen mit

ihren Seelsorgern sind sie aufgerufen, die Familie

als »Hauskirche« wiederzuentdecken und die Be-

rufung eines jeden in der Weitergabe des Glau-

bens von den Eltern an die Kinder, aber auch von

den Älteren an die Jüngeren oder von den Groß-

eltern an die Enkelkinder und umgekehrt zu

wecken. Denn es steht außer Zweifel, dass es mit-

unter die Kinder sind, die die Erwachsenen zum

Wachsen im Glauben erziehen.

Ein zweiter Aspekt hat mit dem Evangelisie-

rungsauftrag der Familie zu tun, und das gilt so-

wohl in der Heimat als auch in den Ländern, in

die diese Menschen auswandern. Im Nahen

Osten zum Beispiel vertraute mir der Apostoli-

sche Vikar Paul Hinder an, dass die Kirchen dank

der Filipinos vor allem bei den Sonntagsmessen

voll sind, aber auch unter der Woche wirken sie

mit an der Gestaltung von Gebetsgruppen oder

Bibelkreisen. Ich möchte daran erinnern, dass es

sich um Frauen und Männer handelt, die ihr Zu-

hause verlassen haben, um Arbeit zu suchen,

aber sie haben auch eine Mission gefunden, die

nicht nur individueller Art ist, sondern den ge-

samten Kreis der Familie mit einbezieht. Und auf

diese Weise werden viele Migranten- und Flücht-

lingsfamilien in schwierigen Situationen zu

Werkzeugen der Evangelisierung.

Vor rund einem Jahr hat Sie der Papst zu einer

neuen Aufgabe als Präfekt der Kongregation für

die Evangelisierung der Völker nach Rom geru-

fen. Welche Elemente der in Manila gesammel-

ten seelsorgerischen Erfahrung bringen Sie in

Ihren jetzigen Dienst ein?

Wenn wir auf die Weltkarte schauen, bemer-

ken wir die große geographische Entfernung zwi-

schen diesen beiden Metropolen, und in der Tat

sind es verschiedene Welten, mit verschiedenen

Sprachen und Lebensweisen. Aber sie haben

auch viel gemeinsam, und ich danke dem Herrn

für meinen bischöflichen Dienst in der Haupt-

stadt der philippinischen Nation, dem Zentrum

der Politik und Kultur sowie dem Land der inter-

nen wie auch externen Migration. Kurzum, ich

war auch in Manila mit Vielfalt konfrontiert, aber

in einem begrenzteren geographischen Rahmen.

Durch die Teilnahme an vielen Treffen der Föde-

ration der Asiatischen Bischofskonferenzen

(FABC) habe ich aber mein Wissen über einen

Kontinent vertieft, auf dem der katholische

Glaube nicht wie auf den Philippinen in der

Mehrheit ist.

Jetzt, als enger Mitarbeiter des Papstes im Va-

tikan, sehe ich, dass die Realität der Gemein-

schaft in der katholischen Kirche, die nicht ab-

strakt ist, kein abstrakter Begriff ist, sondern

etwas Konkretes. Sie ist gleichsam ein Geschenk

der Einheit des Heiligen Geistes, die in der

Lebendigkeit der Ortskirchen zum Ausdruck

kommt, von denen jede etwas zur Katholizität

beitragen kann. Und ich bin hier, um die Erfah-

rungen und die Wunden, die Träume und die Lei-

den der Filipinos und der Asiaten zu teilen und

so mit dem geistigen und kulturellen Erbe mei-

nes Landes zum Reichtum der katholischen Kir-

che beizutragen.

Kardinal Tagle schildert seine Erinnerungen an den Besuch des Papstes auf den Philippinen

Barmherzigkeit, Mitleid und die Kraft der Tränen

Von 2011 bis 2019

war Kardinal Tagle

(links) Erzbischof von

Manila und begleitete

den Papst 2015 auf

seiner Apostolischen

Reise durch das Land.

Seit 2019 ist er Prä-

fekt der Kongregation

für die Evangelisie-

rung der Völker.

Glyzelle kann ihre Tränen nicht zurückhalten, als sie dem Papst

am 18. Januar 2015 in Manila vom Leid der Kinder erzählt.

Papst Franziskus besucht eine Fischerfamilie, deren Haus vom Taifun zerstört wurde.

Page 7: Heilige Messe am Aschermittwoch im Petersdom Die ......Gott ist nur möglich, weil es seine Hinkehr zu uns gegeben hat. Andernfalls wäre sie nicht möglich. Bevor wir zu ihm gekommen

L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

7

19. Februar 2021 / Nummer 7

Aus dem Vatikan

Exzellenzen, meine Damen und Herren,

ich danke dem Doyen, Seiner Exzellenz Herrn

George Poulides, dem Botschafter von Zypern,

für seine freundlichen Worte und guten Wünsche

in Ihrer aller Namen, und möchte mich vor allem

für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, wel-

che Ihnen die Absage des für den 25. Januar vor-

gesehenen Termins vielleicht bereitet hat. Ich

danke Ihnen für Ihr Verständnis und Ihre Geduld

und dass Sie die Einladung, heute Morgen an un-

serer traditionellen Begegnung teilzunehmen,

trotz der Schwierigkeiten angenommen haben.

Wir treffen uns heute in der geräumigeren

Aula delle Benedizioni, um größeren Abstand

zwischen den Personen halten zu können, wie es

die Pandemie erfordert. Der Abstand ist jedoch

rein physisch. Unser Zusammenkommen sym-

bolisiert eher das Gegenteil. Es ist ein Zeichen der

Nähe, jener Verbundenheit und gegenseitiger

Unterstützung, nach der die Familie der Nationen

streben muss. In dieser Zeit der Pandemie ist

diese Pflicht umso dringlicher, weil jedem klar ist,

dass das Virus keine Grenzen kennt und nicht

einfach isoliert werden kann. Die Verantwortung

für seine Bekämpfung betrifft daher einen jeden

von uns persönlich, aber auch unsere Länder.

Ich bin Ihnen daher dankbar für Ihren tägli-

chen Einsatz zur Förderung der Beziehungen

zwischen Ihren Ländern bzw. den von Ihnen ver-

tretenen Internationalen Organisationen und

dem Heiligen Stuhl. Im Laufe dieser Monate

konnten wir zahlreiche Zeichen gegenseitiger

Verbundenheit austauschen, auch dank der mo-

dernen Technik, die es ermöglicht hat, die von der

Pandemie verursachten Einschränkungen zu

überwinden.

Zweifelsohne hoffen wir alle, so schnell wie

möglich wieder zum unmittelbaren persönlichen

Kontakt zurückzukehren, und unser heutiges

Treffen möchte in diesem Sinne ein gutes Omen

sein. Ebenso ist es mein Wunsch, in Kürze die

Apostolischen Reisen wiederaufzunehmen, be-

ginnend mit der für den kommenden März ge-

planten Reise in den Irak. Die Reisen sind in der

Tat ein wichtiger Aspekt der Sorge des Nachfol-

gers Petri für das Volk Gottes auf der ganzen Welt

sowie des Dialogs des Heiligen Stuhls mit den

Staaten. Außerdem sind sie oft eine günstige Ge-

legenheit, um in einem Geist des Austauschs und

des Dialogs die Beziehungen zwischen den ver-

schiedenen Religionen zu vertiefen. In unserer

Zeit ist der interreligiöse Dialog ein wichtiger Be-

standteil der Begegnung zwischen den Völkern

und Kulturen. Wenn er nicht als Verzicht auf die

eigene Identität verstanden wird, sondern als Ge-

legenheit zu einem vertieften Kennenlernen und

gegenseitiger Bereicherung, stellt er eine Chance

für die Religionsführer und die Gläubigen der ver-

schiedenen Bekenntnisse dar und kann die Arbeit

der politischen Entscheidungsträger in ihrer Ver-

antwortung für das Gemeinwohl unterstützen.

Ebenso wichtig sind die internationalen Ver-

einbarungen, die es erlauben, die Bande des ge-

genseitigen Vertrauens zu vertiefen, und die die

Kirche in die Lage versetzen, wirksamer zum

geistlichen und sozialen Wohl Ihrer Länder bei-

zutragen. In diesem Zusammenhang möchte ich

hier den Austausch der Ratifikationsurkunden

des Rahmenabkommens zwischen dem Heiligen

Stuhl und der Demokratischen Republik Kongo

und des Abkommens über den Rechtsstatus der

katholischen Kirche in Burkina Faso erwähnen

sowie die Unterzeichnung des Siebenten Zusatz-

vertrags zwischen dem Heiligen Stuhl und der

Republik Österreich zum Vertrag zur Regelung

von vermögensrechtlichen Beziehungen vom

23. Juni 1960. Darüber hinaus haben der Heilige

Stuhl und die Volksrepublik China am 22. Okto-

ber vereinbart, die Gültigkeit des 2018 in Peking

unterzeichneten vorläufigen Abkommens bezüg-

lich der Ernennung von Bischöfen in China um

weitere zwei Jahre zu verlängern. Es handelt sich

um eine Übereinkunft, die im Wesentlichen pas -

toraler Natur ist. Der Heilige Stuhl hofft, dass der

eingeschlagene Weg im Geiste des Respekts und

gegenseitigen Vertrauens weitergeht und zur Lö-

sung von Fragen gemeinsamen Interesses wei-

terhin beiträgt.

Liebe Botschafterinnen und Botschafter,

das vor kurzem zu Ende gegangene Jahr hat

über die vielen Todesfälle hinaus bedrückende

Angst, Entmutigung und Verzweiflung hinterlas-

sen. Es hat die Menschen in eine Spirale der Ab-

sonderung und des gegenseitigen Verdachts ver-

setzt und die Staaten dazu bewegt, Barrieren zu

errichten. Die vernetzte Welt, an die wir gewöhnt

waren, ist einer Welt gewichen, die wieder frag-

mentiert und geteilt ist. Nichtsdestotrotz sind die

Auswirkungen der Pandemie wirklich global,

weil sie zum einen

tatsächlich die gesamte

Menschheit und alle

Länder der Erde betrifft,

zum anderen aber auch

weil sie viele Aspekte

unseres Lebens berührt

und zur Verschärfung

von Krisen beiträgt, »die

eng miteinander zusam-

menhängen, wie die

Klima-, Ernährungs-, Wirtschafts- und Migrati-

onskrisen«.1 Aufgrund dieser Überlegungen hielt

ich es für angebracht, die Vatikanische Covid-19-

Kommission zu gründen, um die Reaktion des

Heiligen Stuhls und der Kirche auf die aus den

Diözesen der ganzen Welt kommenden Anre-

gungen zu koordinieren, um der gesundheitli-

chen Notlage und den Bedürfnissen zu begeg-

nen, die die Pandemie ans Licht gebracht hat.

Von Anfang an war nämlich klar, dass die

Pandemie einen großen Einfluss auf unseren ge-

wohnten Lebensstil haben würde und zu einer

Abnahme von Komfort und zum Schwinden von

etablierten Gewissheiten führen würde. Sie ver-

setzte uns in eine Krise und zeigte uns das Ge-

sicht einer Welt, die nicht nur an einem Virus er-

krankt war, sondern auch was die Umwelt

betrifft, die wirtschaftlichen und politischen Pro-

zesse und erst recht die menschlichen Beziehun-

gen. Sie hat die Risiken und Folgen einer von

Egoismus und Wegwerfmentalität geprägten Le-

bensweise ans Licht gebracht und uns vor die Al-

ternative gestellt, den bisherigen Weg fortzuset-

zen oder einen neuen Weg einzuschlagen.

Ich möchte daher auf einige der Krisen einge-

hen, die durch die Pandemie verursacht oder

deutlicher sichtbar wurden, und gleichzeitig die

Chancen betrachten, die sich daraus für den Auf-

bau einer menschlicheren, gerechteren, solidari-

scheren und friedlicheren Welt ergeben.

Gesundheitskrise

Die Pandemie hat uns mit voller Wucht zwei

unausweichliche Dimensionen der menschli-

chen Existenz vor Augen gestellt: Krankheit und

Tod. Gerade dadurch erinnert sie auch an den

Wert des Lebens, jedes einzelnen menschlichen

Lebens, und an seine Würde in jedem Augen-

blick seines irdischen Weges, von der Empfängnis

im Mutterleib bis zu seinem natürlichen Ende.

Bedauerlicherweise ist festzustellen, dass sich

unter dem Vorwand, vermeintliche subjektive

Rechte zu garantieren, eine wachsende Zahl von

Gesetzgebungen in der ganzen Welt von der un-

abdingbaren Pflicht, menschliches Leben in jeder

Phase zu schützen, zu entfernen scheint.

Die Pandemie erinnert uns auch an das Recht

auf eine allgemeine Fürsorge, die jedem Men-

schen zukommt, wie ich auch in meiner Bot-

schaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar dieses

Jahres betont habe. »Jede menschliche Person ist

– in der Tat – Selbstzweck, niemals einfach Mit-

tel, das nur seines Nutzens wegen geschätzt

wird; sie ist dazu geschaffen, um in der Familie,

in der Gemeinschaft, in der Gesellschaft zusam-

menzuleben, wo alle Mitglieder an Würde gleich

sind. Aus dieser Würde leiten sich die Men-

schenrechte ab, aber auch die Pflichten, die zum

Beispiel an die Verantwortung erinnern, die Ar-

men, die Kranken, die Ausgegrenzten […] aufzu-

nehmen und ihnen zu helfen.«2 Wenn das Recht

auf Leben im Falle der Schwächsten unterdrückt

wird – wie sollen dann die übrigen Rechte wirk-

sam gewährleistet werden?

In diesem Sinne erneuere ich meinen Appell,

jedem Menschen die Fürsorge und den Beistand

zukommen zu lassen, den er braucht. Dazu ist es

notwendig, dass sich die Verantwortlichen in der

Politik und in der Regierung für einen allgemei-

nen Zugang zu einer medizinischen Grundver-

sorgung einsetzen, wie auch für die Schaffung

von lokalen medizinischen Zentren und Gesund-

heitseinrichtungen, welche den tatsächlichen Be-

dürfnissen der Bevölkerung entsprechen, sowie

für die Verfügbarkeit von Behandlungen und Me-

dikamenten. In der Tat kann es nicht sein, dass

die Logik des Profits in so sensiblen Bereichen

wie der Gesundheitsversorgung und der allge-

meinen Fürsorge den Ton angibt.

Es ist auch unerlässlich, dass die beträchtli-

chen medizinischen und wissenschaftlichen

Fortschritte, die im Laufe der Jahre gemacht wur-

den und die es ermöglicht haben, in sehr kurzer

Zeit wirksame Impfstoffe gegen das Coronavirus

zu entwickeln, der gesamten Menschheit zugute -

kommen. Ich rufe daher alle Staaten auf, sich ak-

tiv an den internationalen Initiativen zu beteili-

gen, die darauf abzielen, eine gerechte Verteilung

der Impfstoffe sicherzustellen – und zwar nicht

nach rein wirtschaftlichen Kriterien, sondern un-

ter Berücksichtigung der Bedürfnisse aller, vor al-

lem der Bevölkerungen besonders bedürftiger

Länder.

In jedem Fall muss der Zugang zu Impfstoffen

angesichts eines so heimtückischen und unbere-

chenbaren Feindes wie Covid-19 immer von ei-

nem verantwortungsvollen persönlichen Verhal-

ten begleitet sein, das darauf abzielt, die Aus-

breitung der Krankheit zu verhindern, und zwar

durch die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen,

an die wir uns in den letzten Monaten gewöhnt

haben. Es wäre fatal, allein auf den Impfstoff zu

setzen, als wäre er ein Allheilmittel, das von ei-

nem kontinuierlichen Engagement des Einzel-

nen für die eigene Gesundheit und die anderer

Menschen befreit. Die Pandemie hat uns gezeigt,

dass niemand eine Insel ist, so der berühmte Satz

des englischen Dichters John Donne, und dass

gilt: »Jedes Menschen Tod ist mein Verlust, denn

ich bin Teil der Menschheit.«3

Umweltkrise

Nicht nur Menschen erkranken, sondern

auch unsere Erde. Die Pandemie hat uns einmal

mehr gezeigt, wie anfällig sie ist und wie sehr sie

der Hilfe bedarf.

Es gibt sicherlich wesentliche Unterschiede

zwischen der Gesundheitskrise, die durch die

Pandemie hervorgerufen wurde, und der ökolo-

gischen Krise, die durch die wahllose Ausbeu-

tung der natürlichen Ressourcen verursacht

wurde. Letztere ist viel komplexer und anhalten-

der und erfordert gemeinsame langfristige Lö-

sungen. Tatsächlich sind die Auswirkungen zum

Beispiel des Klimawandels – sowohl die direkten,

wie extreme Wetterereignisse, etwa Über-

schwemmungen und Dürren, als auch die indi-

rekten, wie Unterernährung oder Atemwegser-

krankungen – oft mit langwierigen Folgen

verbunden.

Die Lösung dieser Krisen erfordert eine inter-

nationale Zusammenarbeit in der Sorge um unser

gemeinsames Haus. Ich hoffe daher, dass die

nächste Klimakonferenz der Vereinten Nationen

(COP26) im November diesen Jahres in Glasgow

eine wirksame Vereinbarung zur Bekämpfung

der Folgen des Klimawandels ermöglichen wird.

Jetzt ist es an der Zeit zu handeln, denn die Aus-

wirkungen fortgesetzter Untätigkeit sind bereits

spürbar.

Ich denke da zum Beispiel an die Auswirkun-

gen auf die vielen kleinen Inseln im Pazifik, die

allmählich zu verschwinden drohen. Diese

Tragödie verursacht nicht nur die Zerstörung

ganzer Dörfer, sondern zwingt auch die lokalen

Gemeinschaften und insbesondere die Familien,

ständig umzuziehen, was mit dem Verlust ihrer

Identität und Kultur verbunden ist. Ich denke

auch an die Überschwemmungen in Südostasien,

vor allem in Vietnam und auf den Philippinen, die

zahlreiche Opfer gefordert und ganze Familien

um ihren Lebensunterhalt gebracht haben.

Ebensowenig kann man die fortschreitende Erd -

erwärmung ignorieren, die verheerende Brände

in Australien und Kalifornien verursacht hat.

Auch in Afrika gibt der Klimawandel, der

durch unüberlegtes menschliches Handeln und

nun auch durch die Pandemie verschärft wird,

Anlass zu großer Sorge. Ich beziehe mich in ers -

ter Linie auf die unsichere Ernährungslage, von

der im letzten Jahr insbesondere Burkina Faso,

Mali und Niger betroffen waren, wo Millionen

Empfang für das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Korps

Geschwisterlichkeit und Hoffnung sind wie MedikamenteAnsprache von Papst Franziskus am 8. Februar

Fortsetzung auf Seite 8

Derzeit unterhalten 183 Staaten diplomatische Beziehungen zum Heiligen Stuhl. Hinzu kommen noch

die Europäische Union und der Souveräne Malteserorden. Insgesamt 88 Botschaftskanzleien haben

ihren Sitz in Rom.

Die Pandemie hat uns mit voller Wucht

zwei unausweichliche Dimensionen

der menschlichen Existenz vor Augen gestellt:

Krankheit und Tod. Gerade dadurch erinnert sie

auch an den Wert des Lebens, jedes einzelnen

menschlichen Lebens, und an seine Würde in jedem

Augenblick seines irdischen Weges, von der Empfängnis

im Mutterleib bis zu seinem natürlichen Ende.

Page 8: Heilige Messe am Aschermittwoch im Petersdom Die ......Gott ist nur möglich, weil es seine Hinkehr zu uns gegeben hat. Andernfalls wäre sie nicht möglich. Bevor wir zu ihm gekommen

L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

8

19. Februar 2021 / Nummer 7

Aus dem Vatikan

von Menschen Hunger leiden. Ich denke da auch

an die Situation im Südsudan, wo die Gefahr ei-

ner Hungersnot besteht und wo außerdem eine

ernste humanitäre Notlage herrscht. Mehr als

eine Million Kinder leiden an Mangelernährung,

während humanitäre Korridore oft blockiert und

die Präsenz humanitärer Organisationen in dem

Gebiet eingeschränkt werden. Auch um diese Si-

tuation in den Griff zu bekommen, ist es drin-

gender denn je, dass die südsudanesischen Ver-

antwortungsträger allen Zwist überwinden und

den politischen Dialog im Hinblick auf eine voll-

ständige nationale Aussöhnung weiterführen.

Wirtschaftliche und soziale Krise

Das Ziel, das Coronavirus einzudämmen, hat

viele Regierungen dazu veranlasst, Maßnahmen

zur Einschränkung der Freizügigkeit zu ergrei-

fen. Diese haben über mehrere Monate zur

Schließung von Geschäften und zu einem allge-

meinen Rückgang der Produktion geführt, was

schwerwiegende Auswirkungen auf die Unter-

nehmen, vor allem auf kleine und mittlere Be-

triebe, hat wie auch auf die Beschäftigung und

damit auf das Leben von Familien und ganzen

Gesellschaftsschichten, insbesondere der schwä-

cheren.

Die daraus folgende Wirtschaftskrise hat eine

weitere Krankheit unserer Zeit ans Licht ge-

bracht, nämlich die einer Wirtschaft, die auf der

Ausbeutung und dem Wegwerfen von Men-

schen und natürlichen Ressourcen basiert. Dabei

hat man allzu oft die Solidarität und andere Werte

vergessen, die die Wirtschaft in die Lage verset-

zen, einer ganzheitlichen menschlichen Ent-

wicklung zu dienen und nicht nur Einzelinteres-

sen. Zudem sind die soziale Bedeutung der

Wirtschaftstätigkeit und die universelle Bestim-

mung von Gütern und Ressourcen aus dem Blick

geraten.

Die aktuelle Krise ist daher ein günstiger An-

lass, das Verhältnis zwischen Mensch und Wirt-

schaft neu zu überdenken. Es braucht eine Art

»neue kopernikanische Wende«, die die Wirt-

schaft in den Dienst des Menschen stellt und

nicht umgekehrt; die beginnt, »eine andersgear-

tete Wirtschaft zu studieren und zu praktizieren,

eine Wirtschaft, die Leben lässt und nicht tötet,

die inklusiv ist und nicht exklusiv, die menschli-

cher macht und nicht entmenschlicht, die sich

der Sorge für die Schöpfung widmet und sie nicht

ausbeutet«.4

Um die negativen Folgen dieser Krise zu

bekämpfen, haben viele Regierungen verschie-

dene Initiativen und die Bereitstellung erhebli-

cher finanzieller Mittel geplant. Allerdings hat

man auch oft versucht, diesem Problem von glo-

balem Ausmaß mit Teillösungen zu begegnen.

Heute ist es weniger denkbar denn je, dass man

es alleine schafft. Zum Erhalt der Arbeitsplätze

und zum Schutz der ärmsten Bevölkerungs-

schichten braucht es gemeinsame und abge-

stimmte Initiativen, auch auf internationaler

Ebene. In dieser Hinsicht halte ich das Bemühen

der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaa-

ten für bedeutsam, die trotz aller Schwierigkeiten

zeigen konnten, dass man durch beherztes Han-

deln zu zufriedenstellenden Kompromissen zum

Wohle aller Bürger gelangen kann. Die im Rah-

men von Next Generation EU bereitgestellten

Mittel sind ein bedeutendes Beispiel dafür, dass

Zusammenarbeit und eine gemeinsame Nutzung

von Ressourcen im Geiste der Solidarität nicht

nur wünschenswerte, sondern auch wirklich er-

reichbare Ziele sind.

In vielen Teilen der Welt hat die Krise vor

allem diejenigen getroffen, die im informellen

Sektor arbeiten und als erste den Verlust ihrer

Existenzgrundlage erleiden mussten. Da sie

außerhalb der formellen Wirtschaft leben, haben

sie auch keinen Zugang zu sozialen Absicherun-

gen, einschließlich Arbeitslosenversicherung

und Gesundheitsversorgung. Aus Verzweiflung

haben daher viele nach anderen Einkommens-

möglichkeiten gesucht und sich der Ausbeutung

durch illegale Arbeit oder Zwangsarbeit, Prostitu-

tion und verschiedene kriminelle Aktivitäten,

Menschenhandel inbegriffen, ausgesetzt.

Dementgegen hat jeder Mensch das Recht –

er hat das Recht! – auf »die geeigneten Mittel zu

angemessener Lebensführung«5 und muss in die

Lage versetzt werden, sie zu erhalten. Es ist in der

Tat notwendig, dass für alle die wirtschaftliche

Stabilität gewährleistet wird, um das Übel der

Ausbeutung zu verhindern und dem Wucher und

der Korruption, die zahlreiche Länder der Welt

heimsuchen, entgegenzuwirken wie auch so vie-

lem anderen Unrecht, das sich jeden Tag vor den

müden und unaufmerksamen Augen unserer

heutigen Gesellschaft ereignet.

Die vermehrt zu Hause verbrachte Zeit hat zu

einem schlechten Gebrauch von Computern und

anderen Medien geführt. Dies hatte schwerwie-

gende Auswirkungen auf die gefährdetsten Per-

sonengruppen, insbesondere auf Arme und Ar-

beitslose. Sie sind eine leichtere Beute für die

Cyberkriminalität in ihren ganz entwürdigenden

Formen, von Betrug bis hin zu Menschenhandel,

zu Ausbeutung durch Prostitution, auch Kinder-

prostitution, und zu Kinderpornografie.

Die pandemiebedingte Schließung der Gren-

zen hat zusammen mit der Wirtschaftskrise

ebenso verschiedene humanitäre Notlagen ver-

schärft, sowohl in Konfliktgebieten als auch in

vom Klimawandel und von der Dürre betroffe-

nen Regionen sowie in Flüchtlings- und Migran-

tenlagern. Ich denke dabei insbesondere an den

Sudan, wohin Tausende von Menschen aus der

Region Tigray geflüchtet sind, sowie an andere

Länder in Afrika südlich der Sahara oder auch

an die Provinz Cabo Delgado in Mosambik, wo

viele gezwungen waren, ihren ursprünglichen

Lebensraum zu verlassen und sich nun in sehr

prekären Verhältnissen befinden. Meine Gedan-

ken gehen auch in den Jemen und in das ge-

liebte Syrien, wo neben anderen ernsten

Notsitua tionen ein großer Teil der Bevölkerung

von Ernährungsunsicherheit betroffen ist und

die Kinder durch Unterernährung ausgezehrt

sind.

In einigen Fällen werden humanitäre Krisen

durch Wirtschaftssanktionen verschärft, die am

Ende meist nicht die politisch Verantwortlichen,

sondern vor allem die schwächsten Bevölke-

rungsschichten treffen. Deshalb sieht der Heilige

Stuhl, selbst wenn er die Logik hinter den Sank-

tionen versteht, sie als nicht wirksam an und

hofft auf ihre Lockerung, nicht zuletzt, um die hu-

manitären Hilfen zu ermöglichen, vor allem was

Medikamente und medizinisches Gerät betrifft,

die in dieser Zeit der Pandemie äußerst notwen-

dig sind.

Die derzeitige Konjunkturlage sollte dement-

sprechend auch als ein Anlass gesehen werden,

den ärmsten Ländern die Schuldenlast zu erlas-

sen oder zumindest zu reduzieren, die faktisch

ihre Erholung und volle Entwicklung verhindert.

Auch im vergangenen Jahr stieg die Zahl der

Migranten weiter an, die wegen der Grenz -

schließungen auf immer gefährlichere Routen

ausweichen mussten. Der massive Zustrom

führte zudem zu einem Anstieg der Zahl illegaler

Zurückweisungen, die oft durchgeführt wurden,

um Migranten daran zu hindern, Asyl zu bean-

tragen, was einen Verstoß gegen den Grundsatz

der Nichtzurückweisung (non-refoulement) dar-

stellt. Viele werden abgefangen und in Sammel-

und Inhaftierungslager zurückgeschickt, wo sie

Folter und Menschenrechtsverletzungen ausge-

setzt sind, wenn sie nicht im Meer und bei der

Überquerung anderer natürlicher Grenzen den

Tod finden.

Die humanitären Korridore, die in den letzten

Jahren eingerichtet wurden, tragen sicherlich

dazu bei, einige der genannten Probleme anzu-

gehen und viele Leben zu retten. Das Ausmaß

der Krise macht es jedoch immer dringlicher, die

Ursachen, die zur Migration führen, an der Wur-

zel zu bekämpfen, und erfordert zugleich eine ge-

meinsame Anstrengung zur Unterstützung der

Erstaufnahmeländer, welche die moralische Ver-

pflichtung, Leben zu retten, übernehmen. In die-

ser Hinsicht sieht man mit besonderem Interesse

den Verhandlungen über das neue Migrations-

und Asylpaket der Europäischen Union entge-

gen. Hierbei ist jedoch festzustellen, dass kon-

krete politische Maßnahmen und Mechanismen

nicht funktionieren werden, wenn sie nicht

durch den notwendigen politischen Willen und

das Engagement aller Beteiligten, einschließlich

der Zivilgesellschaft und der Migranten selbst, ge-

stützt werden.

Der Heilige Stuhl schätzt alle zugunsten der

Migranten unternommenen Anstrengungen und

unterstützt die Bemühungen der Internationalen

Organisation für Migration (IOM) – in diesem

Jahr feiert sie ihr 70-jähriges Bestehen – unter

voller Achtung der in ihrer Konstitution genann-

ten Werte und der Kultur der Mitgliedsstaaten, in

denen die Organisation tätig ist. Ebenso bleibt der

Heilige Stuhl als Mitglied des Exekutivkomitees

des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten

Nationen (UNHCR) den Grundsätzen des Genfer

Abkommens über die Rechtsstellung der Flücht-

linge von 1951 und des Protokolls von 1967 treu,

in denen die rechtliche Definition eines Flücht-

lings, seine Rechte und die rechtliche Verpflich-

tung der Staaten, ihn zu schützen, festgelegt sind.

Seit dem Zweiten Weltkrieg hat die Welt nicht

mehr einen so dramatischen Anstieg der Flücht-

lingszahlen erlebt wie heute. Es ist daher drin-

gend notwendig, die Bemühungen zu ihrem

Schutz zu verstärken, auch für die Binnenvertrie-

benen und alle gefährdeten Personen, die vor Ver-

folgung, Gewalt, Konflikten und Krieg zu fliehen

gezwungen sind. In diesem Zusammenhang

bringt der Heilige Stuhl, trotz der bedeutenden

Anstrengungen der Vereinten Nationen bei der

Suche nach konsequenten Lösungen und kon-

kreten Vorschlägen zum Problem der Zwangs-

vertreibung, seine Besorgnis über die Lage der

Vertriebenen in verschiedenen Teilen der Welt

zum Ausdruck. Ich beziehe mich vor allem auf

die Region Zentralsahel, wo sich die Zahl der Bin-

nenvertriebenen in weniger als zwei Jahren ver-

zwanzigfacht hat.

Krise der Politik

Die Probleme, die ich bisher genannt habe,

weisen auf eine viel tiefere Krise hin, die in ge-

wisser Weise an der Wurzel der anderen liegt und

deren dramatische Tragweite gerade durch die

Pandemie deutlich gemacht wurde. Es ist die

Krise der Politik, die schon seit einiger Zeit viele

Gesellschaften betrifft und deren zermürbende

Auswirkungen während der Pandemie zutage

getreten sind.

Einer der emblematischen Faktoren dieser

Krise ist das Anwachsen der politischen Ge-

gensätze und die Schwierigkeit, wenn nicht gar

Unfähigkeit, gemeinsame und abgestimmte Lö-

sungen für die Probleme zu finden, die unseren

Planeten heimsuchen. Dieser Trend, den man

schon seit einiger Zeit beobachten kann, breitet

sich auch in Ländern mit einer langen demokrati-

schen Tradition immer weiter aus. Die Demokra-

tie lebendig zu erhalten ist eine Herausforderung

dieses Moments in der Geschichte6, die alle Staa-

ten direkt angeht, mögen sie groß oder klein sein,

wirtschaftlich fortgeschritten oder auf dem Weg

der Entwicklung. In diesen Tagen denke ich be-

sonders an das Volk von Myanmar, dem ich

meine Verbundenheit und Nähe bekunde. Der

Weg der Demokratisierung der letzten Jahre

wurde durch den Staatsstreich vergangene Wo-

che jäh unterbrochen. Dabei wurden einige

führende Politiker verhaftet, und ich hoffe, dass

sie umgehend freigelassen werden als ermuti-

gendes Zeichen für einen ehrlichen Dialog zum

Wohl des Landes.

So stellte im Übrigen Pius XII. in seiner denk-

würdigen Radioansprache von Weihnachten

Empfang für das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Korps

Fortsetzung auf Seite 9

Fortsetzung von Seite 7

Mädchen in einem nordäthiopischen Flüchtlingslager.

Foto: Kirche in Not

Page 9: Heilige Messe am Aschermittwoch im Petersdom Die ......Gott ist nur möglich, weil es seine Hinkehr zu uns gegeben hat. Andernfalls wäre sie nicht möglich. Bevor wir zu ihm gekommen

L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

9

19. Februar 2021 / Nummer 7

Aus dem Vatikan

1944 fest: »Seine Meinung sagen über die ihm

auferlegten Pflichten und Opfer und nicht ge-

zwungen sein, zu gehorchen, ohne gehört wor-

den zu sein – das sind zwei Rechte des Bürgers,

die in der Demokratie, wie schon ihr Name sagt,

ihren Ausdruck finden.«7 Demokratie beruht auf

gegenseitigem Respekt, auf der Möglichkeit für

alle, zum Wohl der Gesellschaft beizutragen, und

auf der Überlegung, dass unterschiedliche Mei-

nungen die Gewalt und Sicherheit der Staaten

keineswegs untergraben, sondern in einer ehrli-

chen Auseinandersetzung gegenseitig berei-

chern und es ermöglichen, angemessenere Lö-

sungen für die anstehenden Probleme zu finden.

Der demokratische Prozess erfordert, dass ein

Weg des inklusiven, friedlichen, konstruktiven

und respektvollen Dialogs zwischen allen Glie-

dern der Zivilgesellschaft in jeder Stadt und Na-

tion beschritten wird. Obschon die Ereignisse auf

verschiedene Weise und in unterschiedlichen

Kontexten das vergangene Jahr von Ost bis West

auch – ich wiederhole – in Ländern mit einer lan-

gen demokratischen Tradition geprägt haben, so

zeigen sie doch, wie unausweichlich diese Her-

ausforderung ist und dass man von der morali-

schen und sozialen Verpflichtung, mit einer posi-

tiven Haltung an sie heranzugehen, nicht

entbunden werden kann. Die Entwicklung eines

demokratischen Bewusstseins verlangt, dass in-

dividualistische Tendenzen überwunden werden

und die Achtung des Rechtsstaats obsiegt. Das

Recht ist nämlich die unabdingbare Vorausset-

zung für die Ausübung jeder Gewalt und muss

von den übergeordneten Organen unabhängig

von den herrschenden politischen Interessen ge-

währleistet werden.

Leider schlägt sich die Krise der Politik und der

demokratischen Werte auch auf internationaler

Ebene nieder. Dies hat Auswirkungen auf das ge-

samte multilaterale System wie auch die offen-

sichtliche Folge, dass Organisationen, die zur För-

derung von Frieden und Entwicklung – auf der

Grundlage des Rechts und nicht des »Rechts des

Stärkeren« – konzipiert wurden, ihre Wirksam-

keit beeinträchtigt sehen. Sicherlich darf nicht

verschwiegen werden, dass im Laufe der letzten

Jahre das multilaterale System auch einige Gren-

zen erkennen ließ. Die Pandemie ist eine Gele-

genheit, die nicht vertan werden darf, um über

organische Reformen nachzudenken und sie um-

zusetzen, damit die internationalen Organisatio-

nen ihre eigentliche Berufung wiederentdecken,

der Menschheitsfamilie zu dienen, um das Leben

eines jeden Menschen und den Frieden zu be-

wahren.

Ein Zeichen der Krise der Politik ist gerade das

oft auftretende Widerstreben, Wege zu Reformen

einzuschlagen. Man braucht keine Angst vor Re-

formen haben, auch wenn sie Opfer und nicht

selten einen Mentalitätswandel erfordern. Jeder

lebendige Körper muss sich ständig reformieren,

und in dieser Perspektive sind auch die Reformen

zu sehen, die den Heiligen Stuhl und die Römi-

sche Kurie betreffen.

Jedenfalls mangelt es nicht an ermutigenden

Zeichen wie dem Inkrafttreten des Atomwaffen-

verbotsvertrags vor wenigen Tagen und der Ver-

längerung des Neuen Vertrags zur Verringerung

strategischer Waffen (New START) zwischen der

Russischen Föderation und den Vereinigten Staa-

ten von Amerika auf weitere fünf Jahre. Zieht

man andererseits, wie ich auch in der letzten En-

zyklika Fratelli tutti bekräftigt habe, »die Haupt-

bedrohungen für Frieden und Sicherheit mit

ihren vielen Aspekten in dieser multipolaren

Welt des 21. Jahrhunderts in Betracht […], dann

kommen einem nicht wenige Zweifel aufgrund

der Unangemessenheit nuklearer Abschreckung

als wirksamer Antwort auf diese Herausforde-

rungen«.8 In der Tat kann »eine auf Angst ge-

gründete Stabilität [nicht nachhaltig sein], inso-

fern sie die Angst noch vergrößert und vertrau-

ensvolle Beziehungen zwischen den Völkern

untergräbt«.9

Die Bemühungen auf dem Gebiet der Abrüs -

tung und der Nichtverbreitung von Atomwaffen,

die trotz Schwierigkeiten und mangelnder Bereit-

schaft intensiviert werden müssen, sollten gleich-

falls in Bezug auf chemische Waffen und gegenü-

ber konventionellen Waffen durchgeführt wer-

den. Es gibt zu viele Waffen auf der Welt! »Des-

halb fordern Gerechtigkeit, gesunde Vernunft

und Rücksicht auf die Menschenwürde dringend,

dass der allgemeine Rüstungswettlauf aufhört

[und dass die] bereits zur Verfügung stehenden

Waffen auf beiden Seiten und gleichzeitig ver-

mindert werden«10, wie der heilige Papst Johan-

nes XXIII. im Jahr 1963 sagte. Während mit der

weiteren Verbreitung von Waffen die Gewalt auf

allen Ebenen zunimmt und wir um uns herum

eine von Kriegen und Spaltungen zerrissene Welt

sehen, verspüren wir ein immer größeres Bedürf-

nis nach Frieden, nach einem Frieden, der »nicht

nur die Abwesenheit von Krieg [ist], sondern […]

ein sinnerfülltes Leben, das in persönlicher Erfül-

lung und im brüderlichen Austausch mit anderen

gelebt wird und darauf ausgerichtet ist«.11

Wie sehr wünschte ich mir, dass 2021 das

Jahr ist, in dem endlich der Syrien-Konflikt, der

vor zehn Jahren begann, ein Ende findet! Dazu

bedarf es eines neuen Interesses auch seitens

der internationalen Gemeinschaft, ehrlich und

mutig die Ursachen des Konflikts anzugehen und

nach Lösungen zu su-

chen, durch die alle unab-

hängig von ihrer ethni-

schen oder religiösen

Zugehörigkeit als Bürger

zur Zukunft des Landes

beitragen können.

Mein Wunsch nach

Frieden gilt selbstver-

ständlich auch dem Heili-

gen Land. Gegenseitiges

Vertrauen zwischen Israelis und Palästinensern

muss die Grundlage für einen erneuten und ent-

schlossenen direkten Dialog zwischen den Par-

teien sein, um einen Konflikt zu lösen, der schon

zu lange andauert. Ich fordere die internationale

Gemeinschaft auf, diesen direkten Dialog zu un-

terstützen und zu erleichtern, ohne zu meinen,

Lösungen auferlegen zu können, die nicht das

Wohl aller im Blick haben. Palästinenser und Is-

raelis – dessen bin ich mir sicher – hegen beide

den Wunsch, in Frieden leben zu können.

Ebenso hoffe ich auf ein neues politisches En-

gagement auf nationaler und internationaler

Ebene zur Förderung der Stabilität des Libanon,

der eine innere Krise durchmacht und Gefahr

läuft, seine Identität zu verlieren und noch stär-

ker in die Spannungen dieser Region verwickelt

zu werden. Es ist notwendiger denn je, dass die-

ses Land seine einzigartige Identität bewahrt,

auch als Gewähr für einen pluralen, toleranten

und vielfältigen Nahen Osten, in dem die christli-

che Präsenz ihren eigenen Beitrag leisten kann

und nicht auf eine zu schützende Minderheit re-

duziert wird. Die Christen bilden das historische

und soziale Bindegewebe des Libanon, und es

muss ihnen die Möglichkeit zugesichert werden,

durch die vielseitigen Bildungs-, Gesundheits-

und Wohltätigkeitswerke weiterhin für das Wohl

des Landes wirken zu können, zu dessen Grün-

dern sie gehören. Eine Schwächung der christli-

chen Gemeinschaft birgt das Risiko, das innere

Gleichgewicht und den Libanon selbst zu zer-

stören. Unter diesem Gesichtspunkt sind auch

die Fragen rund um die Präsenz der syrischen

und palästinensischen Flüchtlinge zu behandeln.

Darüber hinaus besteht ohne eine schnelle wirt-

schaftliche Erholung und einen raschen Wieder-

aufbau die Gefahr eines Bankrotts des Landes,

was gefährliche fundamentalistische Strömun-

gen zur Folge haben könnte. Deswegen ist es not-

wendig, dass alle politischen und religiösen Füh-

rer ihre Eigeninteressen zurückstellen und sich

dem Ziel der Gerechtigkeit und der Durch-

führung echter Reformen zum Wohle der Bürger

verpflichten. Dazu gehört, dass sie transparent

handeln und die Verantwortung für ihr Handeln

übernehmen.

Frieden wünsche ich auch für Libyen, das

ebenfalls unter einem mittlerweile langen Kon-

flikt leidet, und ich hege die Hoffnung, dass das

jüngste »Libysche Politische Dialogforum«, das im

November letzten Jahres unter der Schirmherr-

schaft der Vereinten Nationen in Tunesien statt-

fand, tatsächlich den ersehnten Versöhnungspro-

zess im Land einleiten

können wird.

Auch andere Regionen

der Welt geben Anlass zur

Sorge. Ich beziehe mich in

erster Linie auf die politi-

schen und sozialen Span-

nungen in der Zentralafri-

kanischen Republik sowie

auf die Spannungen in

Lateinamerika im Allge-

meinen, deren Wurzeln in der großen Ungleich-

heit, Ungerechtigkeit und Armut liegen, welche

die Würde des Einzelnen verletzen. Ebenso gilt

meine besondere Aufmerksamkeit der Ver-

schlechterung der Beziehungen auf der koreani-

schen Halbinsel, die in der Zerstörung des inner-

koreanischen Verbindungsbüros in Kaesong

gipfelte; ferner der Lage im Südkaukasus, wo

mehrere schwelende Konflikte fortbestehen, von

denen einige im letzten Jahr wieder aufgeflammt

sind und die Stabilität und Sicherheit der gesam-

ten Region bedrohen.

Schließlich kann ich eine weitere schwere

Geißel unserer Zeit nicht unerwähnt lassen – den

Terrorismus. Jedes Jahr fordert er zahlreiche Op-

fer unter der wehrlosen Zivilbevölkerung auf der

ganzen Welt. Dieses Übel erfuhr seit den 1970er-

Jahren einen Anstieg und fand in den Anschlägen

vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staa-

ten von Amerika einen Höhepunkt, als fast drei -

tausend Menschen getötet wurden. Leider hat

die Zahl der Attentate in den letzten zwanzig Jah-

ren zugenommen und verschiedene Länder auf

allen Kontinenten betroffen. Ich beziehe mich

hier insbesondere auf den Terrorismus vor allem

in Afrika südlich der Sahara, aber auch in Asien

und Europa. Ich denke an alle Opfer und an ihre

Familien, die durch blinde Gewalt, die durch

ideologische Verzerrungen der Religion motiviert

ist, geliebte Menschen verloren haben. Zudem

sind die Ziele solcher Angriffe oft gerade Gottes-

häuser mit zum Gebet versammelten Gläubigen.

In diesem Zusammenhang möchte ich unterstrei-

chen, dass der Schutz von Gottesdienststätten di-

rekt aus der Verteidigung der Gedanken-, Gewis-

sens- und Religionsfreiheit folgt und eine Pflicht

für die zivilen Behörden darstellt, unabhängig

von politischer Couleur oder Religionszugehörig-

keit.

Exzellenzen, meine Damen und Herren,

gegen Schluss meiner Ausführungen möchte

ich noch auf eine letzte Krise eingehen, die viel-

leicht die schwerwiegendste von allen ist: die

Krise der menschlichen Beziehungen, die Aus-

druck einer allgemeinen anthropologischen Krise

ist, welche die Vorstellung von der menschlichen

Person und ihre transzendente Würde betrifft.

Die Pandemie, die uns zu langen Monaten der

Isolation und oft auch der Einsamkeit gezwungen

hat, ließ das Bedürfnis, das jeder Mensch nach

menschlichen Beziehungen hat, deutlich wer-

den. Ich denke vor allem an die Studierenden, die

nicht regelmäßig zur Schule oder zur Universität

gehen konnten. Ȇberall wurde versucht, mit di-

gitalen Unterrichtsangeboten schnell darauf zu

reagieren. Dies hat nicht nur eine ausgeprägte

Ungleichheit zwischen den pädagogischen und

technologischen Möglichkeiten ans Licht ge-

bracht, sondern bei vielen Kindern und Jugendli-

chen aufgrund des Lockdowns und zahlreicher

anderer bereits bestehender Mängel auch einen

Rückstand im natürlichen pädagogischen Ent-

wicklungsprozess ergeben.«12 Darüber hinaus

hat die Zunahme des Fernunterrichts auch zu ei-

ner größeren Abhängigkeit der Kinder und Ju-

gendlichen vom Internet und generell von den

Formen virtueller Kommunikation geführt. Da-

durch sind sie aber auch schutzloser und werden

verstärkt kriminellen Online-Aktivitäten ausge-

setzt.

Wir erleben eine Art »Bildungskatastrophe«.

Ich möchte das wiederholen: Wir erleben eine

Art »Bildungskatastrophe«, vor der wir zum Wohl

der künftigen Generationen und der Gesellschaft

insgesamt nicht untätig bleiben dürfen. »Heute

bedarf es eines Neubeginns für ein Bildungs -

engagement, das alle Glieder der Gesellschaft

miteinbezieht«13, denn Bildung ist »das natürliche

Gegenmittel zur individualistischen Kultur […],

die bisweilen in einen wahren Kult des Ich und in

die Vorherrschaft der Gleichgültigkeit ausartet.

Unsere Zukunft darf nicht von der Spaltung, von

der Verarmung des Denkens und der Vorstel-

lungskraft, des Zuhörens, des Dialogs und des

gegenseitigen Verständnisses gekennzeichnet

sein«.14

Die langen Zeiten des Lockdowns erlaubten

es ihnen aber auch, mehr Zeit mit ihren Familien

zu verbringen. Für viele war es ein wichtiger Mo-

ment, die Beziehungen mit ihren Familienan-

gehörigen neu zu entdecken. Andererseits gilt,

dass »Ehe und Familie zu den kostbarsten Gütern

der Menschheit zählen«15 und die Wiege jeder

Zivilgesellschaft bilden. Der heilige Johannes

Paul II. – im Vorjahr haben wir den 100. Ge-

burtstag dieses großen Papstes gefeiert – rief in

seiner wertvollen Lehre über die Familie in Erin-

Geschwisterlichkeit und Hoffnung sind Medikamente für eine kranke Welt

Fortsetzung auf Seite 10

Die Pandemie ist eine Gelegenheit,

die nicht vertan werden darf, um über organische

Reformen nachzudenken und sie umzusetzen,

damit die internationalen Organisationen

ihre eigentliche Berufung wiederentdecken,

der Menschheitsfamilie zu dienen,

um das Leben eines jeden Menschen

und den Frieden zu bewahren.

Mein Wunsch nach Frieden gilt

selbstverständlich auch dem Heiligen Land.

Gegenseitiges Vertrauen zwischen Israelis und

Palästinensern muss die Grundlage

für einen erneuten und entschlossenen

direkten Dialog zwischen den Parteien sein,

um einen Konflikt zu lösen,

der schon zu lange andauert.

Page 10: Heilige Messe am Aschermittwoch im Petersdom Die ......Gott ist nur möglich, weil es seine Hinkehr zu uns gegeben hat. Andernfalls wäre sie nicht möglich. Bevor wir zu ihm gekommen

19. Februar 2021 / Nummer 7 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

10 Aus dem Vatikan

nerung: »Angesichts der weltweiten Dimension,

die die verschiedenen sozialen Probleme heute

aufweisen, erfährt die Familie, wie sich ihr Auf-

trag für die Entwicklung der Gesellschaft in bis-

her nicht gekannten Ausmaßen erweitert.« Die

Familien kommen diesem Auftrag vor allem da-

durch nach, dass »sie ihren Kindern das Beispiel

eines Lebens geben, das sich auf die Werte der

Wahrheit und Freiheit, der Gerechtigkeit und der

Liebe gründet«.16 Doch nicht alle konnten im ei-

genen Zuhause in Ruhe leben, und manchmal

kam es beim Zusammenleben zu häuslicher Ge-

walt. Ich appelliere an alle, an die Behörden und

die Zivilgesellschaft, die Opfer von Gewalt in der

Familie zu unterstützen. Wir wissen leider, dass

es die Frauen sind, oft zusammen mit ihren Kin-

dern, die den höchsten Preis zahlen.

Die erforderlichen Maßnahmen zur Eindäm-

mung der Ausbreitung des Virus hatten Auswir-

kungen auch auf verschiedene Grundfreiheiten,

einschließlich der Religionsfreiheit aufgrund der

Einschränkung der Gottesdienste und der Bil-

dungs- und Wohltätigkeitsarbeit der Religionsge-

meinschaften. Es darf jedoch nicht außer Acht ge-

lassen werden, dass die religiöse Dimension

einen grundlegenden Aspekt der menschlichen

Person und der Gesellschaft darstellt, der nicht ab-

gewertet werden darf; und man darf nicht ver-

nachlässigen, dass man bei allem Bestreben,

Menschenleben vor der Ausbreitung des Virus zu

schützen, die spirituelle und moralische Dimen-

sion des Menschen gegenüber der körperlichen

Gesundheit nicht für zweitrangig halten darf.

Die Freiheit der Religionsausübung ist zudem

kein Zusatz zur Versammlungsfreiheit, sondern

rührt wesentlich vom Recht auf Religionsfreiheit

her, welches das erste und grundlegende Men-

schenrecht ist. Daher muss sie wie die Gesund-

heit und die körperliche Unversehrtheit von den

zivilen Behörden geachtet, geschützt und vertei-

digt werden. Im Übrigen kann eine gute Pflege

des Körpers nie von der Pflege der Seele absehen.

In seinem Schreiben an Cangrande della Scala

hebt Dante Alighieri hervor, dass es das Ziel sei-

ner Göttlichen Komödie ist, »diejenigen, die die-

ses Leben leben, aus dem Zustand des Elends zu

befreien und zu einem Zustand des Glücks zu

führen«.17 Dies ist, wenngleich mit unterschiedli-

chen Rollen und in unterschiedlichen Bereichen,

ebenso die Aufgabe sowohl der religiösen als

auch der zivilen Autoritäten. Die Krise der

menschlichen Beziehungen und folglich auch die

anderen von mir genannten Krisen können nur

überwunden werden, wenn die transzendente

Würde jeder menschlichen Person, die nach dem

Bild und Gleichnis Gottes geschaffen wurde, ge-

achtet wird.

Mit der Erwähnung des großen florentini-

schen Dichters, dessen 700. Todestag in diesem

Jahr begangen wird, denke ich gerne auch be-

sonders an das italienische Volk, das als erstes in

Europa mit den schwerwiegenden Folgen der

Pandemie zu tun hatte. Ich möchte es auffordern,

sich von den gegenwärtigen Schwierigkeiten

nicht entmutigen zu lassen, sondern gemeinsam

am Aufbau einer Gesellschaft zu arbeiten, in der

niemand ausgesondert oder vergessen wird.

Liebe Botschafterinnen und Botschafter,

im Jahr 2021 haben wir keine Zeit zu verlie-

ren. Und wir werden sie insofern nicht vergeu-

den, als wir es verstehen, mit vollem Einsatz zu-

sammenzuarbeiten. In diesem Sinne glaube ich,

dass die Geschwisterlichkeit das wahre Heilmittel

gegen die Pandemie und gegen die vielen Übel

ist, die uns getroffen haben. Geschwisterlichkeit

und Hoffnung sind wie Medikamente, welche

die Welt heute wie Impfstoffe braucht.

Ihnen und Ihren Ländern erbitte ich reiche

Gaben des Himmels in dem Wunsch, dass dieses

Jahr ein günstiges sein möge, um die geschwis -

terlichen Bande zwischen der ganzen Mensch-

heitsfamilie zu festigen.

Vielen Dank!

Fußnoten

1 Botschaft zum 54. Weltfriedenstag (8. De-

zember 2020), 1.2 Ebd., 6.3 J. Donne, Meditation XVII.4 Schreiben zur Veranstaltung »Economy of

Francesco« (1. Mai 2019).5 Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in Terris

(11. April 1963), 6.6 Vgl. Ansprache an das Europäische Parla-

ment, Straßburg (25. November 2014).7 Radioansprache an die Völker der ganzen

Welt, 24. Dezember 1944.8 Botschaft an die Konferenz der Vereinten

Nationen zur Aushandlung einer rechtsverbindli-

chen Übereinkunft zum Verbot von Kernwaffen

(23. März 2017): AAS 109 (2017), 394-396; En-

zyklika Fratelli tutti, 262.9 Ebd.10 Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris

(11. April 1963), 60.11 Angelus, 1. Januar 2021.12 Videobotschaft anlässlich des Treffens

»Global compact on education. Together to look

beyond« (15. Oktober 2020).13 Ebd.14 Ebd.15 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben

Familiaris consortio (22. November 1981), 1.16 Ebd., 48.17 Epistula XIII, 39.

Empfang für das Diplomatische KorpsFortsetzung von Seite 9

Programm der Apostolischen Reise von Papst Franziskus in den Irak

Vatikanstadt/Bagdad. Papst Franziskus

will vom 5. bis 8. März den Irak besuchen. Das

Presseamt des Heiligen Stuhls gab Einzelheiten

zu der Reise am Montag, 8. Februar, offiziell be-

kannt. Der Irak-Besuch ist die erste Auslandsreise

des Papstes seit Ausbruch der Corona-Pandemie.

Wegen der andauernden Infektionsgefahr und

der Sicherheitslage im Irak erfolgt der Besuch un-

ter hohen Schutzvorkehrungen.

Die christliche Gemeinschaft im Irak zählt zu

den ältesten weltweit. Besonders infolge des Irak -

kriegs 2003 und des IS-Terrors ab 2014 sank die

Zahl der Christen stark. Schätzungen gehen von

einem Bevölkerungsanteil von einem Prozent

aus. Die Mehrheit im Land stellen schiitische

Muslime.

Franziskus reist als erster Papst in das Land

im Nahen Osten. Er tut dies auf Einladung der

irakischen Regierung und der örtlichen Kirche.

Der Patriarch von Babylon der Chaldäer, Kardi-

nal Louis Raphaël I. Sako, ist Oberhaupt der

chaldäisch-katholischen Kirche, die ungefähr

500.000 Gläubige umfasst; viele leben jedoch

im Ausland. Daneben gibt es im Irak römisch-ka-

tholische, syrisch-katholische und armenisch-ka-

tholische Christen sowie weitere hauptsächlich

altorientalische Kirchen. Der Papst wird auch

mit Staatspräsident Barham Salih und dem Ober-

haupt der Schiiten, Großajatollah Ali al-Sistani,

zusammentreffen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Franziskus sich

in ein Land mit prekärer Sicherheitslage begibt.

Ungeachtet mehrerer Anschläge auf christliche

Kirchen in Ägypten reiste er im April 2017 nach

Kairo; im November 2015 eröffnete er trotz an-

gespannter Lage in der Zentralafrikanischen Re-

publik in Bangui das »Jahr der Barmherzigkeit«

und besuchte die Große Moschee und ein Flücht-

lingslager.

Insgesamt wird der Papst während der Reise

vier Ansprachen und zwei Predigten halten,

außerdem gibt es das Angelusgebet am Sonntag

und ein Gebet für die Opfer des Krieges. Das Pro-

gramm im Einzelnen:

Freitag, 5. März

Rom - BagdadVormittag

– Abflug vom Flughafen Rom/Fiumicino

nach Bagdad

Nachmittag

– Landung auf dem Internationalen Flughafen

Bagdad

– Willkommenszeremonie auf dem Interna-

tionalen Flughafen Bagdad

– Begegnung mit dem Premierminister im VIP-

Bereich des Internationalen Flughafens Bagdad

– Begrüßungszeremonie im Präsidentenpa-

last in Bagdad

– Höflichkeitsbesuch beim Staatspräsidenten

in dessen Büro im Präsidentenpalast in Bagdad

– Begegnung mit den Vertretern der Regie-

rung, der Zivilgesellschaft und mit dem Diplo-

matischen Korps im Salon des Präsidentenpa-

lasts in Bagdad

– Begegnung mit den Bischöfen, Priestern, Or-

densleuten, Seminaristen und Katecheten in der

syrisch-katholischen Sayidat-al-Nejat Kathedrale

(Kathedrale »Unsere Liebe Frau der Erlösung«) in

Bagdad

Samstag, 6. März

Bagdad - Najaf - Ur - Bagdad

Vormittag

– Abflug nach Najaf

– Landung auf dem Flughafen Najaf

– Höflichkeitsbesuch beim Großajatollah

Sayyid Ali Al-Husayni Al-Sistani in Najaf

– Abflug nach Nassiriya

– Landung auf dem Flughafen Nassiriya

– Interreligiöse Begegnung in der Ebene von

Ur

– Abflug nach Bagdad

– Landung auf dem Internationalen Flughafen

Bagdad

Nachmittag

– Heilige Messe in der chaldäischen St.-Josefs-

Kathedrale in Bagdad

Sonntag, 7. März

Bagdad - Erbil - Mosul - Karakosch - Erbil - Bagdad

Vormittag

– Abflug nach Erbil

– Landung auf dem Flughafen von Erbil

– Empfang durch die Religionsführer und

Vertreter des öffentlichen Lebens der Autono-

men Region Kurdistan im VIP-Bereich des Flug-

hafens Erbil

– Begegnung mit dem Präsidenten und dem

Premierminister der Autonomen Region Kurdi-

stan im VIP-Bereich des Flughafens Erbil

– Abflug im Helikopter nach Mosul

– Landung auf dem Landefeld in Mosul

– Gebet für die Kriegsopfer am Hosh al-Bieaa

(Kirchplatz) in Mosul

– Abflug im Helikopter nach Karakosch

– Landung auf dem Landefeld von Karakosch

– Besuch der Gemeinschaft von Karakosch in

der Kirche der Unbefleckten Empfängnis in Kara-

kosch

– Weiterfahrt nach Erbil

Nachmittag

– Heilige Messe im Stadion »Franso Hariri« in

Erbil

– Abflug nach Bagdad

– Landung auf dem Internationalen Flughafen

Bagdad

Montag, 8. März

Bagdad - RomVormittag

– Abschiedszeremonie auf dem Internationa-

len Flughafen in Bagdad

– Abflug nach Rom

– Landung auf dem Internationalen Flughafen

Rom/Ciampino

Zeitverschiebung

Rom +1Std. UTC

Bagdad +3Std. UTC

Blick in die Ninive-Ebene, seit jeher eine Hoch-

burg der Christen im Irak.

Kritik an ungleicher

Verteilung von

Covid-Impfstoffen

Vatikanstadt. Das globale Ungleichgewicht

bei der Verteilung von Corona-Impfstoffen ist aus

Sicht von Kardinal Peter Turkson, Präfekt des Di-

kasteriums für den Dienst zugunsten der ganz-

heitlichen Entwicklung des Menschen, »nicht

mehr tragbar«. »Der Süden schaut auf den Nor-

den, um an Impfstoffe zu kommen, während

man diese direkt vor Ort produzieren könnte«,

sagte der aus Ghana stammende Kurienkardinal

in einem Interview mit dem Portal Vatican News

zum »Welttag der Kranken« am 11. Februar.

In Afrika gebe es schon jetzt mehrere mögli-

che Produktionsstandorte für Vakzine, etwa im

Senegal, in Äthiopien, Kenia und Südafrika, so

Turkson. Die gültigen Patentregeln für die Impf-

stoffe ließen eine Herstellung in Afrika aber bis-

lang nicht zu, kritisierte er und erneuerte die For-

derung des Heiligen Stuhles nach einer globalen

Impfstrategie, die den Zugang aller Staaten zu sol-

chen Impfstoffen garantiert.

Zuletzt hatten die Weltgesundheitsorganisa-

tion und das Kinderhilfswerk der Vereinten Na-

tionen bekannt gegeben, dass mehr als drei Vier-

tel der bisher verabreichten 128 Millionen

Impfdosen gegen Covid-19 in nur zehn Ländern

verimpft wurden, die 60 Prozent des weltweiten

Bruttoinlandsproduktes (BIP) repräsentieren. In

rund 130 Ländern mit 2,5 Milliarden Menschen

sei »noch keine einzige Dosis des Impfstoffs ver-

abreicht« worden, hieß es in der Erklärung. Der

Vatikan hat immer wieder gefordert, dass alle

Menschen möglichst schnell Zugang zu einer

Impfung gegen Covid-19 erhalten müssten. »Wir

sehen, dass Regierungen nur auf ihre eigenen

Leute schauen und sich erst dann um andere

kümmern«, so Kardinal Turkson beim diesjähri-

gen Weltwirtschaftsforum Davos.

Page 11: Heilige Messe am Aschermittwoch im Petersdom Die ......Gott ist nur möglich, weil es seine Hinkehr zu uns gegeben hat. Andernfalls wäre sie nicht möglich. Bevor wir zu ihm gekommen

19. Februar 2021 / Nummer 7 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

11Aus dem Vatikan

Gute Wünsche an Radio Vatikan (90)

von Schwester André (117)Paris. Als treue Hörerin von Ra-

dio Vatikan sendet Schwester André

ihre besten Wünsche an den Radio-

sender des Papstes. »Radio Vatikan,

alles Gute zum Geburtstag! 90 Jahre

alt… Aber das ist jung!«, amüsiert

sie sich. Die älteste katholische Or-

densfrau der Welt wurde am ver-

gangenen 11. Februar 117 Jahre alt,

das heißt am Vorabend des Ju-

biläums von Radio Vatikan.

Sie lebt – seit ihrem 105. Le-

bensjahr – in einem Seniorenheim

in Toulon am Mittelmeer. Seit Okto-

ber 2017 gilt Schwester André auch

als älteste lebende Französin, seit

Juni 2019 als älteste Europäerin. Al-

lerdings wird das Geburtsdatum

von Tava Colo auf der französischen

Komoren-Insel Mayotte in Ostafrika

mit 22. Dezember 1902 angegeben.

Nach der Japanerin Kane Tanaka

(118) ist Schwester André die

zweitälteste Frau der Welt mit ver-

bürgtem Alter.

Geboren am 11. Februar 1904 im

südfranzösischen Ales als Lucile

Randon, hat Schwester André drei

französische Republiken erlebt,

zehn Päpste – von Pius X. bis Fran-

ziskus – und die deutsche Besat-

zung im Zweiten Weltkrieg. Mit

zwölf Jahren begann sie als Kinder-

mädchen zu arbeiten; später war sie

Hauslehrerin. Zu ihren Arbeitge-

bern zählte auch die Autobauerfa-

milie Peugeot. Erst 1923, mit 19 Jah-

ren, ließ sie sich taufen. 1944 trat sie

in Paris als Novizin in den Orden

der Vinzentinerinnen ein.

Seit 2009 ist Schwester André

im Seniorenheim; sie ist erblindet

und sitzt im Rollstuhl. Sie hat viele

Kriege und Katastrophen erlebt –

und beklagt statt eigener körperli-

cher Beschwernisse vor allem,

»dass die Menschen nicht in Ein-

tracht leben können«. In einem In-

terview zu ihrem 115. Geburtstag

berichtete sie über ihre 2018 ge-

storbene Zwillingsschwester: »Sie

ruft mich, sie zieht mich. Beten Sie

für mich, dass der gute Gott mich

nicht mehr zu lange warten lässt.

Er übertreibt!«

Vom Coronavirus geheilt, das

mehrere Bewohner ihres Hauses

befallen hat, hat Schwester André

dieser Tage die Aufmerksamkeit

der internationalen Medien auf

sich gezogen. Sie hat sich trotz al-

lem einen lebendigen Geist be-

wahrt, genährt durch ihre Freund-

schaften mit den anderen Heim-

bewohnern und durch ihr eifriges

Radiohören, das ihr ein Fenster zur

Welt und zum Zeitgeschehen bietet

und ihr Anregungen zum Gebet in

vielen Anliegen gibt. Zu ihrem

115. Geburtstag hatte sie einen Ro-

senkranz von Papst Franziskus er-

halten und im Interview gesagt,

dass sie den Heiligen Vater »sehr

mutig« finde.

Mit den Worten »Betet für

mich… und ich bete für euch«,

schließt sie ihre kurze Botschaft der

guten Wünsche an Radio Vatikan,

ein Ausdruck, der an Papst Franzis-

kus erinnert.

Radio Vatikan startet

zum 90. Geburtstag

ein Internetradio

Vatikanstadt. Zum 90-jährigen Beste-

hen seines Radiosenders startet der Vati-

kan ein Internetradio. Wie das Dikaste-

rium für die Kommunikation mitteilte,

wird das Programm zunächst in sieben

Sprachen gesendet: Italienisch, Deutsch,

Französisch, Englisch, Spanisch, Portugie-

sisch und Armenisch. Im Laufe des Jahres

sollen gut 20 weitere Sprachen dazukom-

men. Jede Sprache werde ein eigenes Web -

radioprogramm mit viel Musik haben,

kündigte der Präfekt des Dikasteriums,

Paolo Ruffini, an.

Schon jetzt ist Radio Vatikan über Satel-

lit, Digital-Radio und Kurzwelle zu hören.

Auch konnten die täglichen Nachrichten-

sendungen in Form von Podcasts schon

bisher über das Portal www.vatican-

news.va angehört werden.

Bekanntere Köpfe sind etwa der italie-

nische Jesuit Federico Lombardi als frühe-

rer Direktor des Senders, der zeitweise

auch als Direktor des Presseamtes des Hei-

ligen Stuhls fungierte. Die deutschspra-

chige Sektion wurde jahrzehntelang von

den Jesuiten Eberhard von Gemmingen

und Bernd Hagenkord geleitet. Aktuell lei-

tet der deutsche Journalist Stefan von Kem-

pis die deutschsprachige Abteilung von Ra-

dio Vatikan/Vatican News. Insgesamt

sendet Radio Vatikan weltweit in 41 Spra-

chen.

»Das Radio ist ein Medium, das es ge-

schafft hat, sich im Lauf der Zeit zu wan-

deln, ohne jemals seinen Wert und seinen

Charme zu verlieren«, erklärte der Präfekt

Ruffini zum Start des Webradio-Angebots.

Radio habe »diese schöne Eigenschaft,

dass es die Herzen anspricht«, fügte er an

und erinnerte an die Bedeutung, sich auf

die Stimme, die man aus den Lautspre-

chern hört, zu konzentrieren.

Unter den vatikanischen Medien noch

wesentlich älter als Radio Vatikan ist die

1861 gegründete Zeitung »L’Osservatore

Romano«, deren italienische Ausgabe im

Juli 160 Jahre alt wird. Die deutsche Aus-

gabe gibt es seit Oktober 1971, sie kann

in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen

begehen. Bereits seit 25 Jahren gibt es

außerdem den vatikanischen Internetauf-

tritt vatican.va; aufgebaut wurde er von

der US-amerikanischen Ordensfrau Judith

Zoebelein.

Jubiläums-Briefmarken mit

besonderem Stempel

Vatikanstadt. Zum 90. Geburtstag von Ra-

dio Vatikan gibt die Vatikanpost eine eigene Brief-

marke heraus. Auch das 160-jährige Jubiläum der

Vatikanzeitung »L’Osservatore Romano« wird mit

einer eigenen Briefmarke gewürdigt. Ab dem 22.

Februar werden die beiden Postwertzeichen aus-

gegeben; ihr Wert liegt bei 1,15 Euro für die Radio-

Vatikan- und bei 2,40 Euro für die Osservatore-

Briefmarke. Ein eigener Stempel mit lateinischer

Umschrift zeigt eine Ausgabe der Vatikanzeitung

und das Mikrofon, über das Papst Pius XI. im Fe-

bruar vor 90 Jahren den Vatikan-Rundfunk star-

tete.

Vatikanstadt. Mittlerweile acht Päpste hat

das Radio seit seiner Gründung begleitet, Papst

Franziskus ist der sechste von ihnen, der einen

»runden Geburtstag« seines Senders mitfeiern

kann. Auch in seinen Glückwünschen an die

Mitarbeiter des Radios versäumt er es nicht, im-

mer wieder ausgesprochene Forderungen an die

Medien aufzugreifen. Er schreibt:

»Liebe Brüder und Schwestern, alles Gutezum Jahrestag. Es ist wichtig, die Erinnerungan unsere Geschichte zu bewahren und nichtder Vergangenheit nachzuhängen, sondernSehnsucht nach der Zukunft zu haben, die auf-zubauen wir gerufen sind. Danke für Eure Arbeit. Danke für die Liebe, die ihr hinein-steckt. Das Radio hat diese schöne Eigen-schaft: es trägt das Wort auch in die entlegens -ten Orte. Und reichert es heute auch mitSchrift und Bild an. Macht weiter damit, mitMut und Kreativität zur Welt zu sprechen undso eine Kommunikation aufzubauen, die in derLage ist, uns die Wahrheit der Dinge sehen zulassen.«

Die Mitarbeiter des Radios begannen den Tag

mit einer Dankesmesse im Petersdom. Kardinal-

staatssekretär Pietro Parolin verwies in seiner

Predigt auf drei Merkmale einer gelungenen

Kommunikation: Offenheit für die Veränderun-

gen der zeitgenössischen Situation, Universalität

durch ein weit verzweigtes Netz-

werk und direkter Kontakt. Er

schloss mit den Worten: »Dazu,

liebe Brüder und Schwestern, er-

mutige ich euch, damit ihr in den

unvermeidlichen Mühen des All-

tags euren Dienst auf den Kontakt

zum Herrn gründet, der durch eure

Arbeit hindurchscheint. So bleibt

ihr offen für die Bedürfnisse der Zeit und pflegt

die universale Dimension, die euch auszeichnet.

Indem ich euch erneut von Herzen danke, versi-

chere ich euch meines Gebets für euch und alle,

denen eure Arbeit zugute kommt, damit sie

durch die von euch übermittelten Worte berührt

werden mögen vom göttlichen Wort, das rettet.«

Der Vormittag endete mit einem virtuellen

Treffen, in dem der Präfekt des Dikasteriums,

Paolo Ruffini, darauf hinwies, dass es gut sei, der

Vergangenheit zu gedenken, denn nur so könne

Neues entstehen, das nicht auf Sand gebaut sei.

»Erinnern bedeutet auf der einen Seite den Reich-

tum der Vergangenheit zu schätzen und zu nüt-

zen und auf der anderen Seite, Zukunft auf -

zubauen.« Er unterstrich, dass das Radio eine

großartige Schule des Journalismus sei, weil es

auf wahre Kommunikation setzen und die richti-

gen Worte finden müsse, um alle Menschen an-

zusprechen, und das nicht nur oberflächlich, son-

dern in der Tiefe, mit einer christlichen Deutung

der Zeit und als direkte Informationsquelle für das

päpstliche Lehramt.

Glückwünsche von Papst Franziskus zum 90-Jahr-Jubiläum von Radio Vatikan

Mit Mut und Kreativität

Das Gemälde im Marconi-Saal zeigt die acht Päpste, die seit der Gründung des Radios über dessen

Mikrofone zur Welt gesprochen haben. Abzulesen ist an dem Bild auch die Entwicklung dieser Geräte

zum Aufnehmen von Tönen, ganz links das von Papst Pius XI. verwendete achteckige Mikro aus den

1930er-Jahren. Hinter ihm der Nobelpreisträger Guglielmo Marconi (1874-1937), italienischer Radio-

pionier.

Das #Radio hat diese schöne

Eigenschaft: es trägt das Wort

auch in die entlegens ten Orte.

#WorldRadio Day #WeltRadioTag.

Tweet von Papst Franziskus

am 13. Februar

So fing alles an: Am 12. Februar 1931 gegen 17 Uhr trat Papst Pius XI. in einer eigens in den

Vatikanischen Gärten eingerichteten Sendeanstalt ans Mikrofon. Zum ersten Mal war die mit

elektromagnetischen Wellen übertragene Stimme des Papstes auf der ganzen Erde zugleich zu

hören, wie der ebenfalls anwesende Erfinder Guglielmo Marconi betonte. »Laudetur Jesus

Christus« ist von Anfang an das Erkennungssignal. Radio Vatikan beleuchtet in der Radio -

akademie des Monats Februar die bewegte Geschichte des Radios, das von den Anfängen bis

heute als »Stimme des Papstes« immer auf Sendung ist.

Page 12: Heilige Messe am Aschermittwoch im Petersdom Die ......Gott ist nur möglich, weil es seine Hinkehr zu uns gegeben hat. Andernfalls wäre sie nicht möglich. Bevor wir zu ihm gekommen

19. Februar 2021 / Nummer 7 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

12 Aus dem Vatikan

»Siehe,

wir gehen nach Jerusalem hinauf«

(Mt 20,18 )

Liebe Brüder und Schwestern,

als Jesus seinen Jüngern sein Leiden, seinen

Tod und seine Auferstehung ankündigt, um den

Willen des Vaters zu erfüllen, da enthüllt er ihnen

zugleich den tieferen Sinn seiner Sendung und

ruft sie, an dieser Sendung zum Heil der Welt teil-

zunehmen.

Auf dem Weg der Fastenzeit, der uns zur Feier

der österlichen Geheimnisse führt, denken wir

an den, der sich »erniedrigte [und] gehorsam

[war] bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz« (Phil

2,8). In dieser Zeit der Umkehr erneuern wir un-

seren Glauben, schöpfen wir vom »lebendigen

Wasser« der Hoffnung und empfangen mit offe-

nem Herzen die Liebe Gottes, die uns zu Brüdern

und Schwestern in Christus werden lässt. In der

Osternacht werden wir unser Taufversprechen

erneuern, um durch das Wirken des Heiligen

Geistes als neue Menschen wiedergeboren zu

werden. Wie das gesamte christliche Leben wird

schon der Weg der Fastenzeit gänzlich vom Licht

der Auferstehung erhellt, das die Gesinnung, die

Haltung und die Entscheidungen dessen beseelt,

der Christus nachfolgen will.

Fasten, Gebet und Almosen sind, nach Jesu

Verkündigung (vgl. Mt 6,1-18), sowohl Bedin-

gung als auch Ausdruck unserer Umkehr. Der

Weg der Armut und des Verzichts (das Fasten),

der liebevolle Blick und die Wohltaten für den

verletzten Mitmenschen (das Almosen) und das

kindliche Gespräch mit dem Vater (das Gebet) er-

lauben uns, einen ehrlichen Glauben, eine le-

bendige Hoffnung und eine tätige Liebe zu ver-

wirklichen.

1. Der Glaube ruft uns auf, die Wahrheit anzunehmen und ihre

Zeugen zu werden vor Gott und unseren Brüdern und Schwestern

Die in Christus offenbar gewordene Wahrheit

anzunehmen und zu leben heißt in dieser Fas -

tenzeit vor allem, sich vom Wort Gottes anspre-

chen zu lassen, das uns von Generation zu Ge-

neration von der Kirche überliefert wird. Diese

Wahrheit ist nicht ein Gedankengebäude, das nur

wenigen erlesenen klugen oder vornehmen Köp-

fen zugänglich wäre. Sie ist eine Botschaft, die

wir dank eines verständigen Herzens empfangen

und begreifen können, das offen ist für die Größe

Gottes, der uns liebt, noch bevor wir darum wis-

sen. Diese Wahrheit ist Christus selbst, der unser

Menschsein ganz und gar angenommen hat und

so zum Weg geworden ist, der zur Fülle des Le-

bens führt. Dieser Weg ist anspruchsvoll, aber of-

fen für alle.

Das Fasten als Erfahrung des Verzichtes führt

alle, die sich in der Einfachheit des Herzens darum

mühen, zur Wiederentdeckung der Gaben Gottes

und zum Verständnis unserer Wirklichkeit als Ge-

schöpfe nach seinem Bild und Gleichnis, die in

ihm Vollendung finden. Wer fastet und sich frei-

willig auf die Erfahrung der Armut einlässt, wird

arm mit den Armen und »sammelt« somit einen

Schatz an empfangener und geteilter Liebe. So

verstanden und praktiziert hilft das Fasten, Gott

und den Nächsten zu lieben, da, wie der heilige

Thomas von Aquin lehrt, die Liebe eine Bewe-

gung der Aufmerksamkeit für den anderen ist, die

ihn als eines Wesens mit sich selbst betrachtet

(vgl. Enzyklika Fratelli tutti, 93).

Die Fastenzeit dient dazu, den Glauben zu

vertiefen beziehungsweise Gott in unser Leben

einzulassen und ihm zu erlauben, bei uns »Woh-

nung zu nehmen« (vgl. Joh 14,23). Fasten heißt

unser Dasein von allem befreien, was es belastet,

auch von der Übersättigung durch – wahre oder

falsche – Informationen und durch Konsumarti-

kel, um so die Türen unseres Herzens für den zu

öffnen, der ganz arm, aber zugleich »voll Gnade

und Wahrheit« (Joh 1,14) zu uns kommt – für den

Sohn Gottes, des Erlösers.

2. Die Hoffnung als »lebendiges Wasser«, das uns fähig macht,

unseren Weg weiterzugehen

Die Samariterin, die Jesus am Brunnen bittet,

ihm zu trinken zu geben, versteht nicht, als er ihr

sagt, er könne ihr »lebendiges Wasser« (Joh 4,10)

geben. Zunächst denkt sie natürlich an normales

Wasser, Jesus aber meint den Heiligen Geist, den

er im Ostergeheimnis in Überfülle schenken

wird und der uns die Hoffnung eingießt, die nicht

enttäuscht. Bereits bei der Ankündigung seines

Leidens und Todes zeigt Jesus diese Hoffnung an,

wenn er sagt: »Und am dritten Tag wird er aufer-

weckt werden« (Mt 20,19). Jesus spricht zu uns

von der Zukunft, die uns die Barmherzigkeit des

Vaters weit aufgetan hat. Mit ihm und dank ihm

hoffen heißt glauben, dass die Geschichte nicht

einfach mit unseren Fehlern, unseren Gewalt-

tätigkeiten und Ungerechtigkeiten und mit der

Sünde, welche die Liebe kreuzigt, zu Ende geht.

Es bedeutet, aus seinem offenen Herzen die Ver-

gebung des Vaters zu schöpfen.

In der gegenwärtigen sorgenreichen Situa-

tion, in der alles zerbrechlich und unsicher er-

scheint, könnte es als Provokation wirken, von

Hoffnung zu sprechen. Die Fastenzeit ist dazu da,

um zu hoffen, um von neuem den Blick auf die

Geduld Gottes zu richten. Er hört nicht auf, für

seine Schöpfung zu sorgen, während wir sie allzu

oft schlecht behandelt haben (vgl. Enzyklika Lau-

dato siʼ, 32-33; 43-44). Es ist eine Hoffnung auf

Versöhnung, zu der uns der heilige Paulus ein-

dringlich ermahnt: »Lasst euch mit Gott versöh-

nen!« (2 Kor 5,20). Durch

den Empfang der Verge-

bung im Bußsakrament,

das im Zentrum unseres

Weges der Umkehr steht,

können wir unsererseits

Vergebung weitergeben:

Weil wir selbst Vergebung

empfangen haben, kön-

nen auch wir vergeben,

wenn wir zum aufmerksamen Dialog fähig sind

und dem Verwundeten hilfreich zur Seite stehen.

Die Vergebung Gottes, auch mittels unserer

Worte und Gesten, erlaubt uns, Ostern im Geist

der Geschwisterlichkeit zu leben.

In der Fastenzeit wollen wir mehr darauf be-

dacht sein, »Worte der Ermutigung zu sagen, die

wieder Kraft geben, die aufbauen, die trösten und

die anspornen, statt Worte, die demütigen, die

traurig machen, die ärgern, die herabwürdigen«

(Enzyklika Fratelli tutti, 223). Um Hoffnung zu

vermitteln reicht es manchmal schon, »ein

freundlicher Mensch« zu sein, »der seine Ängste

und Bedürfnisse beiseitelässt, um aufmerksam

zu sein, ein Lächeln zu schenken, ein Wort der Er-

mutigung zu sagen, einen Raum des Zuhörens in-

mitten von so viel Gleichgültigkeit zu ermögli-

chen« (ebd., 224).

In der Sammlung und im stillen Gebet wird

uns die Hoffnung als Inspiration und inneres

Licht geschenkt, das die Herausforderungen und

Entscheidungen auf dem Weg unserer Sendung

erhellt. Deshalb ist es so wichtig, sich im Gebet

zu sammeln (vgl. Mt 6,6) und im Verborgenen

dem liebevollen Vater zu begegnen.

Die Fastenzeit voll Hoffnung leben heißt

spüren, dass wir in Christus Zeugen einer neuen

Zeit sind, in der Gott »alles neu macht« (vgl. Offb

21,1-6). Es bedeutet, die Hoffnung Christi zu emp-

fangen, der sein Leben am Kreuz hingibt und den

Gott am dritten Tag auferweckt, und zugleich

»stets bereit« zu sein, »jedem Rede und Antwort

zu stehen, der von [uns] Rechenschaft fordert

über die Hoffnung, die [uns] erfüllt« (1 Petr 3,15).

3. Die auf den Spuren Christi in Aufmerksamkeit und Mitgefühl

gegenüber jedem Menschen gelebte Liebe ist der

höchste Ausdruck unseres Glaubensund unserer Hoffnung

Die Liebe freut sich, wenn sie den anderen

wachsen sieht. Daher leidet sie, wenn der andere

in Bedrängnis ist: einsam, krank, obdachlos, ver-

achtet, bedürftig … Die Liebe ist der Impuls des

Herzens, der uns aus uns selbst herausgehen und

ein Band der Teilhabe und Gemeinschaft entste-

hen lässt.

»Ausgehend von der sozialen Liebe ist es mög-

lich, zu einer Zivilisation der Liebe voranzu-

schreiten, zu der wir uns alle berufen fühlen kön-

nen. Die Liebe kann mit ihrer universalen

Dynamik eine neue Welt aufbauen, weil sie nicht

ein unfruchtbares Gefühl ist, sondern vielmehr

das beste Mittel, um wirksame Entwicklungs-

möglichkeiten für alle zu finden« (Enzyklika Fra-

telli tutti, 183).

Die Liebe ist ein Geschenk, das unserem Leben

Sinn verleiht und dank dessen wir den Bedürfti-

gen als Teil unserer eigenen Familie, als Freund, als

Bruder oder Schwester betrachten. Das Wenige,

das man in Liebe teilt, wird niemals aufgebraucht,

sondern wird zu Vorräten des Lebens und des

Glücks. So geschah es mit dem Mehl und dem Öl

der Witwe von Sarepta, die dem Propheten Elija

ein kleines Gebäck anbot (vgl. 1 Kön 17,7-16), oder

bei der wunderbaren Brotvermehrung, als Jesus

die Brote segnete, brach und den Jüngern zum

Austeilen an die Menge gab (vgl. Mk 6,30-44). Ge-

nauso geschieht es mit unserem – großen oder

kleinen – Almosen, wenn es nur mit Freude und

Schlichtheit gegeben wird.

Eine Fastenzeit der Liebe leben heißt sich um

den kümmern, der aufgrund der Covid-19-Pande-

mie eine Situation des Leidens, der Verlassenheit

oder Angst durchmacht. Angesichts großer Un-

gewissheit bezüglich der Zukunft denken wir an

das Wort, das Gott an seinen Knecht richtet:

»Fürchte dich nicht, denn ich habe dich aus-

gelöst!« (Jes 43,1), während wir durch unsere

Liebe ein Wort des Vertrauens anbieten und den

anderen spüren lassen: Gott liebt dich wie einen

Sohn und eine Tochter.

»Nur mit einem durch die Liebe geweiteten

Blick, der die Würde des anderen wahrnimmt,

können die Armen in ihrer unfassbaren Würde

erkannt und mit ihrem eigenen Stil und ihrer Kul-

tur geschätzt werden und so wirklich in die Ge-

sellschaft integriert werden« (Enzyklika Fratelli

tutti, 187).

Liebe Brüder und Schwestern, jede Etappe un-

seres Lebensweges ist eine Zeit des Glaubens,

Hoffens und Liebens. Dieser Aufruf, die Fasten-

zeit als einen Weg der Umkehr, des Gebets und

des Teilens unserer Güter zu leben, soll uns hel-

fen, in unserem gemeinschaftlichen wie persön-

lichen Erinnern den Glauben, der vom lebendi-

gen Christus kommt, die Hoffnung, die vom

Hauch des Heiligen Geist beseelt wird, und die

Liebe, deren unerschöpfliche Quelle das barm-

herzige Herz des Vaters ist, zu erneuern.

Maria, die Mutter des Erlösers, treu zugegen

am Fuß des Kreuzes und im Herzen der Kirche,

stehe uns mit ihrer fürsorglichen Gegenwart bei,

und der Segen des Auferstandenen geleite uns

auf dem Weg zum österlichen Licht.

Rom, St. Johannes im Lateran,

am 11. November 2020,

Gedenktag des heiligen Martin von Tours

Botschaft von Papst Franziskus zur österlichen Bußzeit 2021

Fastenzeit – Zeit der Erneuerung von Glaube, Hoffnung und Liebe

»Wie das gesamte christliche Leben wird schon der Weg der Fastenzeit gänzlich vom Licht der Aufer-

stehung erhellt… Christus selbst, der unser Menschsein ganz und gar angenommen hat und so zum

Weg geworden ist, der zur Fülle des Lebens führt. Dieser Weg ist anspruchsvoll, aber offen für alle.«

Der Weg der Armut und des Verzichts (das Fasten ),

der liebevolle Blick und die Wohltaten

für den verletzten Mitmenschen (das Almosen )

und das kindliche Gespräch mit dem Vater (das Gebet )

erlauben uns, einen ehrlichen Glauben,

eine lebendige Hoffnung und

eine tätige Liebe zu verwirklichen.