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Rezensionen 63 tigkeit der Mendelschen Gesetze im Mittelpunkt standen (gepegt durch de Vries, Bateson und Johann- sen); (2) die Zeit nach 1910, in der man sich durch den EinfluR der Morgan-Schule vie1 intensiver mit rein genetischen Fragestellungen (Natur des Gens, Anordnung von Genen auf Chromosomen usw.) be- schaftigte. In Kapitel 18: Gentbeorien und 19: Die cbemische Basis der Vkrevbung, finden wir wieder, ahnlich wie im SchluRkapitel des zweiten Teiles, Zeitgeschichte; Mayr gibt eine gute Zusammenfassung der aktuellen Diskussionen innerhalb der Genetik. Auch hier nimmt er bei der Darstellung der konkurrierenden Vererbungstheorien eindeutig Stellung. Erst die Ge- burt der Molekularbiologie habe Methoden geschaf- fen, die ein volles Verstandnis des Gens errnijglicht hatten. Mayr wiirdigt Friedrich Mieschers Ent- deckung der DNA und konzentriert sich bei der fol- genden Darstellung der DNA-Forschung auf die ,biologischen Aspekte" (S. 647). Er schlieRt seine hi- gen habe. Seinen eigenen, bereits in der Einfiihrung vorgestellten theoretischen Ansatz, fiihrt Mayr hier noch genauer aus. Er beschliegt sein Werk mit der Feststellung, dai3 eine wirklich umfassende Wissen- schaft der Wissenschaften nur entwickelt werden konne, wenn ,,die aus den exakten Wissenschaften ab- geleiteten Verallgemeinerungen mit denen der biolo- gischen und sozialen Wissenschaften" verglichen und alle drei Zweige ineinander integriert wiirden; ,es ist lediglich notig, daR jemand dies zum Ziel seiner For- schung macht" (S. 685). Dem Werk angefiigt sind ein kurzes Glossar von biologischen Fachausdriicken, ein reichhaltiges Lite- raturverzeichnis und ein sorgfaltig zusammengestell- tes Personen- und Sachregister. Mayrs Versuch einer Ideengeschichte der biologi- schen Gedankenwelt tritt uns als Autobiographie sei- ner synthetischen Evolutionstheorie entgegen. Bei all seinem Bemiihen urn Objektivitat der Geschichts- schreibung konnte es nicht ausbleiben, dai3 die Dar- storische Darstelfung mit der .Entdeckung der Dop- pelhelix" ab und wendet sich der ,,Genetik im mo- stellung e&e spezifische Einseitigkeit erhielt. Auf die daraus resultierenden Schwachen muRte bei der kriti- dernen Denken" zu, wobei er selbst zugibt, daR das Thema weitaus zu umfassend ist, um es auf ein paar Seiten angemessen zu behandeln. (S. 659); dennoch faRt er die Ergebnisse der Genetik von 1865 bis 1980 unter acht Punkten ,provisorisch" zusammen (S. 660 f.). Der Epilog, Kapitel20: Aufdem Weg zu einer Wis- senscbufi der Wissenscbaft, behandelt die verschieden- sten Aspekte einer Wissenschaftsforschung, zu der gerade die Evolutionsbiologie Wesentliches beizutra- schen Besprechung hingewiesen werden, damit sollte die Leistung Mayrs allerdings keineswegs herabge- setzt werden. Das Werk ist in seiner Art einmalig und wird sicherlich in die Geschichte sowohl der Biologie als auch der Biologiegeschichte eingehen als Zeugnis engagierter Wissenschaftsgeschichte unserer Zeit. Diese Ausnahmestellung mag auch die unge- wohnliche Ausfiihrlichkeit der Besprechung recht- fertigen. Anne Baumer, Mainz Heinrich Schipperges: Der Garten der Gesundheit. Medizin im Mittelalter. Munchen und Zurich: Artemis Verlag 1985. 296 Seiten, Leinen DM 39,80. Schipperges' Monographie erweitert den Kreis be- deutender Veroffentlichungen zur Geschichte des Mittelalters aus der jiingsten Zeit (vgl. etwa Edith Ennen: Frauen im Mittelalter [ 19841und Bernd Her- mann [Hrsg.]: Mensch und Umwelt im Mittelalter [ 19861). Das Werk, das bewul3t auf gangige histori- sche Leitmuster verzichtet, entwirft stringent in ins- gesamt zehn Kapiteln das Weltbild des im Zentrum des Kosmos stehenden mittelalterlichen Menschen, zeigt seine Entwicklung von der Geburt bis zum Tod, entfaltet ein Panorama der Krankheiten und arztlichen Behandlungsmoglichkeiten, stellt Theorie und Praxis der mittelalterlichen Medizin dar, skiz- ziert die Bildungswege des Arztes, berichtet iiber die medizinischen Versorgungssysteme und zeigt schliefilich die Kunst eines verniinftigen Lebens auf. Deutlich wird dabei die enge Verquickung von Heilkunst und Lebenskunde, die wahrend des gesam- ten Mittelalters vorherrschte, herausgearbeitet, und es werden Vergleiche zur heutigen Medizin gezogen. Als ein geschlossenes System umgreift die mittelalter- liche Heilkunde alle Aspekte des gesunden, des krank gewordenen und des zu heilenden Menschen. In ihrem Mittelpunkt steht die Kultur der res non na- turules, die die Lebensordnung des Menschen ausrna- chen. In der heutigen Medizin gelten sie als unwis- senschaftlich und werden als Aunenseiter disqualifi- ziert. Die gegenwartige Medizin hat nahezu vollig verdringt, daR an erster Stelle einer Indikationskette - vor den Heilmitteln und vor dem chirurgischen Eingriff - die arztliche Beratung als Hilfestellung einer hygienischen und diatetischen Lebensfuhrung stehen mu6 (S. 156f.). Eine zentrale Stellung nehmen bei der Darstellung die heilkundlichen Vorstellungen Hildegards von Bingen ein. Ihr Werk zeigt eine prophetisch er- Ber.Wissenschaftsgesch. 10 (1987) 63-64

Heinrich Schipperges: Der Garten der Gesundheit. Medizin im Mittelalter. München und Zürich: Artemis Verlag 1985. 296 Seiten, Leinen DM 39,80

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Page 1: Heinrich Schipperges: Der Garten der Gesundheit. Medizin im Mittelalter. München und Zürich: Artemis Verlag 1985. 296 Seiten, Leinen DM 39,80

Rezensionen 63

tigkeit der Mendelschen Gesetze im Mittelpunkt standen (gepegt durch de Vries, Bateson und Johann- sen); (2) die Zeit nach 1910, in der man sich durch den EinfluR der Morgan-Schule vie1 intensiver mit rein genetischen Fragestellungen (Natur des Gens, Anordnung von Genen auf Chromosomen usw.) be- schaftigte.

In Kapitel 18: Gentbeorien und 19: Die cbemische Basis der Vkrevbung, finden wir wieder, ahnlich wie im SchluRkapitel des zweiten Teiles, Zeitgeschichte; Mayr gibt eine gute Zusammenfassung der aktuellen Diskussionen innerhalb der Genetik. Auch hier nimmt er bei der Darstellung der konkurrierenden Vererbungstheorien eindeutig Stellung. Erst die Ge- burt der Molekularbiologie habe Methoden geschaf- fen, die ein volles Verstandnis des Gens errnijglicht hatten. Mayr wiirdigt Friedrich Mieschers Ent- deckung der DNA und konzentriert sich bei der fol- genden Darstellung der DNA-Forschung auf die ,biologischen Aspekte" (S. 647). Er schlieRt seine hi-

gen habe. Seinen eigenen, bereits in der Einfiihrung vorgestellten theoretischen Ansatz, fiihrt Mayr hier noch genauer aus. Er beschliegt sein Werk mit der Feststellung, dai3 eine wirklich umfassende Wissen- schaft der Wissenschaften nur entwickelt werden konne, wenn ,,die aus den exakten Wissenschaften ab- geleiteten Verallgemeinerungen mit denen der biolo- gischen und sozialen Wissenschaften" verglichen und alle drei Zweige ineinander integriert wiirden; ,es ist lediglich notig, daR jemand dies zum Ziel seiner For- schung macht" (S. 685).

Dem Werk angefiigt sind ein kurzes Glossar von biologischen Fachausdriicken, ein reichhaltiges Lite- raturverzeichnis und ein sorgfaltig zusammengestell- tes Personen- und Sachregister.

Mayrs Versuch einer Ideengeschichte der biologi- schen Gedankenwelt tritt uns als Autobiographie sei- ner synthetischen Evolutionstheorie entgegen. Bei all seinem Bemiihen urn Objektivitat der Geschichts- schreibung konnte es nicht ausbleiben, dai3 die Dar-

storische Darstelfung mit der .Entdeckung der Dop- pelhelix" ab und wendet sich der ,,Genetik im mo-

stellung e&e spezifische Einseitigkeit erhielt. Auf die daraus resultierenden Schwachen muRte bei der kriti-

dernen Denken" zu, wobei er selbst zugibt, daR das Thema weitaus zu umfassend ist, um es auf ein paar Seiten angemessen zu behandeln. (S. 659); dennoch faRt er die Ergebnisse der Genetik von 1865 bis 1980 unter acht Punkten ,provisorisch" zusammen (S. 660 f.).

Der Epilog, Kapitel20: Aufdem Weg zu einer Wis- senscbufi der Wissenscbaft, behandelt die verschieden- sten Aspekte einer Wissenschaftsforschung, zu der gerade die Evolutionsbiologie Wesentliches beizutra-

schen Besprechung hingewiesen werden, damit sollte die Leistung Mayrs allerdings keineswegs herabge- setzt werden. Das Werk ist in seiner Art einmalig und wird sicherlich in die Geschichte sowohl der Biologie als auch der Biologiegeschichte eingehen als Zeugnis engagierter Wissenschaftsgeschichte unserer Zeit. Diese Ausnahmestellung mag auch die unge- wohnliche Ausfiihrlichkeit der Besprechung recht- fertigen.

Anne Baumer, Mainz

Heinrich Schipperges: Der Garten der Gesundheit. Medizin im Mittelalter. Munchen und Zurich: Artemis Verlag 1985. 296 Seiten, Leinen DM 39,80.

Schipperges' Monographie erweitert den Kreis be- deutender Veroffentlichungen zur Geschichte des Mittelalters aus der jiingsten Zeit (vgl. etwa Edith Ennen: Frauen im Mittelalter [ 19841 und Bernd Her- mann [Hrsg.]: Mensch und Umwelt im Mittelalter [ 19861). Das Werk, das bewul3t auf gangige histori- sche Leitmuster verzichtet, entwirft stringent in ins- gesamt zehn Kapiteln das Weltbild des im Zentrum des Kosmos stehenden mittelalterlichen Menschen, zeigt seine Entwicklung von der Geburt bis zum Tod, entfaltet ein Panorama der Krankheiten und arztlichen Behandlungsmoglichkeiten, stellt Theorie und Praxis der mittelalterlichen Medizin dar, skiz- ziert die Bildungswege des Arztes, berichtet iiber die medizinischen Versorgungssysteme und zeigt schliefilich die Kunst eines verniinftigen Lebens auf.

Deutlich wird dabei die enge Verquickung von Heilkunst und Lebenskunde, die wahrend des gesam-

ten Mittelalters vorherrschte, herausgearbeitet, und es werden Vergleiche zur heutigen Medizin gezogen. Als ein geschlossenes System umgreift die mittelalter- liche Heilkunde alle Aspekte des gesunden, des krank gewordenen und des zu heilenden Menschen. In ihrem Mittelpunkt steht die Kultur der res non na- turules, die die Lebensordnung des Menschen ausrna- chen. In der heutigen Medizin gelten sie als unwis- senschaftlich und werden als Aunenseiter disqualifi- ziert. Die gegenwartige Medizin hat nahezu vollig verdringt, daR an erster Stelle einer Indikationskette - vor den Heilmitteln und vor dem chirurgischen Eingriff - die arztliche Beratung als Hilfestellung einer hygienischen und diatetischen Lebensfuhrung stehen mu6 (S. 156f.).

Eine zentrale Stellung nehmen bei der Darstellung die heilkundlichen Vorstellungen Hildegards von Bingen ein. Ihr Werk zeigt eine prophetisch er-

Ber.Wissenschaftsgesch. 10 (1987) 63-64

Page 2: Heinrich Schipperges: Der Garten der Gesundheit. Medizin im Mittelalter. München und Zürich: Artemis Verlag 1985. 296 Seiten, Leinen DM 39,80

64 Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 10 (1987)

schaute Physiologie als Urstand des Menschen, eine Pathologie, die den Menschen im Mifistand darstellt, und eine Therapeutik, die Wege zu Heilung und Heil im ,Endstand' weist (S. 15). Zitate aus ihrem Werk belegen die wesentlichen Aussagen.

Dafi bei einem solch weitgefafiten Spektrum und einer solch breitgefacherten Quellenlage nicht immer alle Fragestellungen in gleicher Weise vertieft werden konnen, ergibt sich zwangslaufig. So konn- ten manche Interpretationen durch weitere Aspekte erganzt werden. So ware etwa beim Arzneibuch The- saurus pauperum (S. 142) zu erganzen, dai3 es gerade nicht als Armenpharmakopoe angesehen werden kann: pauper ist hier ein Synonym zu tnfirmus. Doch konnen solch kleinere Unebenheiten den positiven Gesamteindruck der Darstellung nicht schmalern.

Bei der gewaltigen Materialfulle, die die Monogra- phie bietet, vermifit man mit Bedauern ein Register. Ein dadurch leichterer Zugang zu den Quellen hatte die Muhen gelohnt. Kritik ist auch an der Ausstat-

rung des Buches durch den Verlag zu uben. Das tref- fend ausgewahlte Bildmarerial verliert durch die schlechte Reproduktion erheblich an Aussagekraft.

Im Anhang, der nachdriicklich den positiven Ge- samteindruck unterstreicht, folgen eine hilfreiche Zeittafel, die stichwortartig sowohl die medizinisch- kulturelle Entwicklung als auch den historischen Hintergrund skizziert, ein knappes Literaturver- zeichnis, das einen ersten Zugang ermoglicht, und die Bildnachweise.

Schipperges' Monogmphie zieht Bilanz und gibt zugleich Anstone zu weiteren Forschungen. Sein klar und konzis geschriebenes, dennoch erfrischend zu le- sendes Sachbuch zielt auf ein breites Publikum (latei- nische Quellen werden weitgehend ubersetzt und Spezialbegriffe nach Moglichkeit umschrieben). Es gehort dariiber hinaus auch zum festen Bestand der Handbibliothek eines Spezialisten.

Volker Zimmermann, Gottingen

And& Wed: Number Theory: An approach through history. From Hammurapi to Legendre. Boston/Basel/Stuttgart: Birkhauser 1983. XXI und 375 Seiten, Ln., DM 74,-.

AndrC Weil, der 1986 das 80. Lebensjahr vollendet, war eines der fuhrenden Mitglieder der Gruppe Bourbaki, die sich einen axiomatischen, am Struk- turbegriff orientierten Aufbau der gesamten Mathe- matik zum Ziel gesetzt hat. Seine uberragenden Lei- stungen in der algebraischen Geometrie und der Zah- lentheorie haben dern in Paris geborenen, seit 1958 am Institute for Advanced Study in Princeton wir- kenden Mathematiker Weltruhm eingebracht. Im gleichen Jahr, als das hier anzuzeigende Buch er- schien, veroffentlichte er in der dern sowjetischen Mathematiker I. R. Shafarevich gewidmeten Fest- schrift Arithmetic and Geometry (ed. by M. Artin/J. Tate, 2 Bde., Birkhauser 1983) einen Beitmg ,,Euler and the Jacobians of Elliptic Curves" (Bd. 1, S. 353 - 359). Darin beschreibt er, wie er zunachst 1947 mit einem bestimmten Problem nicht fertig wurde, bis er in einer Arbeit von Ch. Hermite aus dem Jahr 1856 entscheidende Hinweise zur Behandlung eines recht typischen Spezialfalles fand. Diese wiesen ihm 1954 den Weg zur allgemeinen Losung. Erst kurzlich entdeckte er dann alle enrscheidenden Formeln in einer Untersuchung Eulers aus dem Jahre 1765. Nachdem er Eulers Vorgehensweise beschrieben hat, schlieIt Weil: ,,This completes the solution found in 1765 by Euler for a problem first formulated in 1954". Nichts konnte besser die Vorziige des einzigar- tigen Buches charakterisieren, das Weil jetzt verof- fentlichte, als dieser knappe Satz: Hier beschreibt

nicht ein Autor nach Art der Historiker alle Wege, Umwege und Irrwege, die im Laufe von Jahrhunder- ten beschritten wurden - nein, hier lotet ein Mei- ster und hervorragender Kenner der tiefsten zahlen- theoretischen Fragestellungen der Gegenwart die Vergangenheit danach aus, wieviel sie jeweils schon wui3te oder ahnte von der Problematik, von den Methoden, von den Zusammenhangen und von der Entwicklung, welche dieses faszinierende Gebiet der Mathematik einmal nehmen wiirde. Dementspre- chend trifft er seine Auswahl und Gewichtung des Stoffes, wie schon die Kapiteleinteilung deutlich macht.

Kap. I, ,Protohistory", umfaDt wenig mehr als 30 Seiten oder 10% des Werkes, streift die Babylonier (allerdings kommt Hammurapi nur im Titel vor), be- handelt im iibrigen die Griechen und die spatere Zeit bis ca. 1700, wobei sich die Abschnitte an den Pro- blemstellungen, nicht an der chronologischen Ab- folge orientieren. Da (S. 1) die moderne Zahlentheo- rie wie der Gott Bacchus zweimal geboren wurde, cinmal urn 1630 (Fermat), ein zweites Ma1 100 Jahre spater (Euler), sind die beiden folgenden Kapitel (je iiber 100 Seiten) den Schopfungen dieser Meister der Zahlentheorie gewidmet. Kap. IV, ,,An age of transi- tion: Lagrange and Legendre" (50 SS.), schliefit mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert - bevor GauD 1801 mit den Disquisitiones arithmeticue eine neue Epoche einlautete. Dennoch erscheint der Name

BerNC'issenschaftsgesch. 10 (1987) 64-65