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Helena Grafenberger Probematura, Handelsakademie Rudigier Linz Themenkreis 2: Bildung und Schule Das österreichische Bildungssystem – ein Trauerspiel "Bildung ist ein schönes Ideal aber kein Ideal unserer Gesellschaft", schrieb Robert Menasse unlängst. Das Bildungssystem in Österreich ist eine heiß diskutierte Problematik. Es wird viel Geld in das Schulsystem gepumpt, aber anscheinend nicht sehr effektiv eingesetzt. Internationale Vergleiche zeigen, dass Österreich eine aufgeblähte, veraltete Schulverwaltung hat. Die Bekanntgabe der Zentralmatura von Frau Bundesministerin Claudia Schmied hat nicht nur positive Reaktionen hervor gebracht. Seitdem diese angekündigt wurde, herrscht große Empörung. Vor allem in der Politik, Schülern und deren Eltern sind die Meinungen darüber gespalten. Im Jahr 2015 soll die Zentralmatura an den AHS eingeführt werden, an den BHS 2016. Doch welche Auswirkungen hat diese neue Reform auf unsere Bevölkerung? Kürzlich hörte man einen angesehenen Bildungsexperten im Radio sagen, dass innerhalb der nächsten vier Jahre grundlegende Änderungen an unserem Bildungssystem geschehen müssten. Ansonsten sehe er keine Möglichkeit, sich noch aus dem Debakel zu retten. Leider muss man ihm beipflichten. Die Schulstrukturen bauen auf denen der 60er und 70erJahre auf, frischer Wind strich schon lange nicht mehr durch die Segel der Bildungspolitik. Der Horizont der Politiker reicht über deren Legislaturperiode nicht hinaus und wenn das Ende dieser in Sicht ist, dann sind Risiken in Form von Veränderungen nur eine Gefährdung für die Wiederwahl. Für dieses Risiko vertretbare Reformen sind z.B. die Umbenennung des Turnunterrichts, welche jedoch von der Kernproblematik ablenken und reine Augenauswischerei sind. Der zweifelhafte PISATest hat doch wenigstens eines gebracht, er hat die lahmen Führungspersönlichkeiten unseres Staates aufgescheucht. Plötzlich ist jeder für Veränderungen offen, man will ja schließlich nur das Beste für den Nachwuchs. Geschehen ist trotz großen Medienrummels nicht sehr viel. Ein oft angesprochener Punkt in der Bildungsdiskussion ist die Förderung der individuellen Fähigkeiten. In Österreich liegt der Schwerpunkt ganz klar im Allgemeinwissen. Heute ist es so, dass alle Schüler in einen Topf geworfen werden, die scheinbar schlechten müssen im Herbst eine Nachprüfung ablegen. Der Lehrplan ist für jeden Schüler derselbe, Freiheiten gibt es wenige. Innerhalb einer Woche findet Unterricht in bis zu 15 verschiedenen Fächern und Fachkombinationen statt. Es reicht nicht, seine Lieblingsfächer zu wählen und darin zu brillieren – Nein, man soll, darf oder muss sich mit allem beschäftigen. Was dabei meistens verloren geht, ist das dauerhafte, vertiefte Wissen in den einzelnen Fächern. Man weiß zwar sowohl, was eine Integralrechnung ist, als auch, wer Thomas Bernhard war – aber ganz so genau dann wieder

Helena Grafenberger Probematura Deutsch

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Helena Grafenberger Probematura, Handelsakademie Rudigier Linz

Themenkreis 2: Bildung und Schule Das  österreichische  Bildungssystem  –  ein  Trauerspiel   "Bildung  ist  ein  schönes  Ideal  -­‐  aber  kein  Ideal  unserer  Gesellschaft",  schrieb  Robert  Menasse  unlängst.  Das  Bildungssystem  in  Österreich  ist  eine  heiß  diskutierte  Problematik.  Es  wird  viel  Geld   in   das   Schulsystem   gepumpt,   aber   anscheinend   nicht   sehr   effektiv   eingesetzt.  Internationale   Vergleiche   zeigen,   dass   Österreich   eine   aufgeblähte,   veraltete  Schulverwaltung  hat.  Die  Bekanntgabe  der  Zentralmatura  von  Frau  Bundesministerin  Claudia  Schmied   hat   nicht   nur   positive   Reaktionen   hervor   gebracht.   Seitdem   diese   angekündigt  wurde,  herrscht  große  Empörung.  Vor  allem  in  der  Politik,  Schülern  und  deren  Eltern  sind  die  Meinungen  darüber  gespalten.   Im   Jahr  2015  soll  die  Zentralmatura  an  den  AHS  eingeführt  werden,   an  den  BHS  2016.  Doch  welche  Auswirkungen  hat   diese  neue  Reform  auf   unsere  Bevölkerung?    Kürzlich  hörte  man  einen  angesehenen  Bildungsexperten  im  Radio  sagen,  dass  innerhalb  der  nächsten   vier   Jahre   grundlegende   Änderungen   an   unserem   Bildungssystem   geschehen  müssten.  Ansonsten  sehe  er  keine  Möglichkeit,  sich  noch  aus  dem  Debakel  zu  retten.  Leider  muss  man  ihm  beipflichten.  Die  Schulstrukturen  bauen  auf  denen  der  60er-­‐  und  70er-­‐Jahre  auf,   frischer  Wind   strich   schon   lange   nicht   mehr   durch   die   Segel   der   Bildungspolitik.   Der  Horizont  der  Politiker  reicht  über  deren  Legislaturperiode  nicht  hinaus  und  wenn  das  Ende  dieser  in  Sicht  ist,  dann  sind  Risiken  in  Form  von  Veränderungen  nur  eine  Gefährdung  für  die  Wiederwahl.   Für   dieses   Risiko   vertretbare   Reformen   sind   z.B.   die   Umbenennung   des  Turnunterrichts,   welche   jedoch   von   der   Kernproblematik   ablenken   und   reine  Augenauswischerei  sind.    Der   zweifelhafte   PISA-­‐Test   hat   doch   wenigstens   eines   gebracht,   er   hat   die   lahmen  Führungspersönlichkeiten   unseres   Staates   aufgescheucht.   Plötzlich   ist   jeder   für  Veränderungen  offen,  man  will   ja  schließlich  nur  das  Beste  für  den  Nachwuchs.  Geschehen  ist   trotz   großen   Medienrummels   nicht   sehr   viel.   Ein   oft   angesprochener   Punkt   in   der  Bildungsdiskussion   ist   die   Förderung   der   individuellen   Fähigkeiten.   In   Österreich   liegt   der  Schwerpunkt  ganz  klar   im  Allgemeinwissen.  Heute   ist  es  so,  dass  alle  Schüler   in  einen  Topf  geworfen  werden,   die   scheinbar   schlechten  müssen   im  Herbst   eine  Nachprüfung   ablegen.  Der  Lehrplan  ist  für  jeden  Schüler  derselbe,  Freiheiten  gibt  es  wenige.  Innerhalb  einer  Woche  findet  Unterricht  in  bis  zu  15  verschiedenen  Fächern  und  Fachkombinationen  statt.  Es  reicht  nicht,   seine   Lieblingsfächer   zu   wählen   und   darin   zu   brillieren   –   Nein,   man   soll,   darf   oder  muss   sich   mit   allem   beschäftigen.  Was   dabei   meistens   verloren   geht,   ist   das   dauerhafte,  vertiefte   Wissen   in   den   einzelnen   Fächern.   Man   weiß   zwar   sowohl,   was   eine  Integralrechnung  ist,  als  auch,  wer  Thomas  Bernhard  war  –  aber  ganz  so  genau  dann  wieder  

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doch   nicht.   Wäre   es   für   die   junge   Generation   nicht   herrlich,   einen   Grundstock   an  Kernfächern  zu  haben  und  den  Rest  selbst,  je  nach  persönlichen  Begabungen,  auswählen  zu  können?  Man  kann  den  Schülern  eine  solche  Eigenverantwortung  sicherlich  zutrauen  und  sie  würden  genau  dort  gefördert  -­‐  und  gefordert,  wo  es  am  meisten  Sinn  und  Aussicht  auf  Erfolg  hat.    Die  oben   schon  angesprochene  Nachprüfung  bedarf  auch  einer  Generalüberholung.   In  der  derzeitigen  Situation  muss  ein  Schüler,  dessen  Leistungen  in  einem  oder  mehreren  Fächern  „nicht   genügend“   waren,   am   Anfang   des   Schuljahres   seinen   Wissensstand   erneut   unter  Beweis  stellen.  Doch  warum  wird  gerade  diesen  Schülern  die  wertvolle  Verschnaufpause  im  Sommer   verwehrt?   Viel   besser   wäre   es   doch,   in   der   letzten   Schulwoche   für   die  „Problemkinder“  eine  Lernwoche  zu  gestalten,   in  denen  sich  Fünferkandidaten  gemeinsam  mit   Lehrern   intensiv   auf   die   Wiederholungsprüfungen   vorbereiten   können.   Diese   fänden  dann  noch  vor  den  Ferien  statt,  so  weiß  jeder  Schüler  am  Ende  des  Schuljahres  seinen  Stand  und  muss  nicht  die  Sommerferien  mit  Lernen  verbringen.  Die  übrigen  Schüler  hätten  in  der  genannten   Woche   Zeit   für   weiterführende   Projekte,   Exkursionen   und  Problembearbeitungen,  die  über  den  Lehrplan  hinausgehen.  Wenn  man  weiterdenkt,  kommt  man   zu   dem   Schluss,   dass   unser   Beurteilungsinstrument,   die   5-­‐stufigen   Noten,   eigentlich  abgeschafft   gehören.   Niemals   lassen   sich   die   Fähigkeiten   eines   Schülers   in   dieses   Raster  pressen,   unsere   Lehrer   werden   aber   dazu   genötigt.   Hier   könnte   man   mit   verbalen  Beurteilungen   Abhilfe   schaffen.   Der   erste   Schritt   wäre   schon,   die   Notenskala   weiter  aufzufächern,   wie   es   in   anderen   Ländern   schon   der   Fall   ist.   Mit   begleitenden   verbalen  Beurteilungen  hätten  der  Schüler  und  die  Personalabteilung  ein  detailliertes  „Wissens-­‐  und  Fähigkeitsprofil“  in  der  Hand.    Die   aktuellste   Reform   unseres   Bildungssystems   ist   die   einheitliche   Matura,   genannt  Zentralmatura,   für   alle   AHS   und   BHS   in   Österreich.   Es   wird   die   Möglichkeit   geschaffen,  Prüfungsergebnisse  viel  leichter  miteinander  zu  vergleichen  und  ihnen  so  mehr  Aussagekraft  zu   verleihen.   In   vielen   Studiengängen   spielen   Abschlusszeugnisse   für   die   Aufnahme   eine  entscheidende   Rolle.   Dies   gilt   auch   für   Vergleiche   von   Abschlüssen   innerhalb   von   ganz  Europa.   Eine   Gefahr,   die   die   Zentralmatura  mit   sich   bringt,   ist,   dass   das   Niveau   nach   der  Einführung   deutlich   sinken   könnte,   da   man   sich   eher   an   den   schlechteren   als   an   den  besseren   Schülerinnen   und   Schülern   orientieren   werde.   Außerdem   wird   befürchtet,   dass  durch   eine   einheitliche   Prüfung   den   Schulen   der   individuelle   Schwerpunkt   genommen  werden  könnte.  Es  macht  einen  großen  Unterschied,  wie  eine  Reifeprüfung   in  Mathematik  an  einer  Schule  mit  mathematischem  oder  sprachlichem  Schwerpunkt  aussehen  könnte.  Ein  weiteres   Problem  könnten   Spielräume   in   Lehrplänen  darstellen,   die   es   beinahe  unmöglich  machen,   alle  Maturantinnen   und  Maturanten   auf   ein   einheitliches   Niveau   zu   bringen.   Ein  Nachteil,   der   besonders   von   Schülervertretungen   bemängelt   wird,   ist   die   nun   fehlende  Option,   sich   negative   schriftliche  Arbeiten   bei   der  mündlichen  Reifeprüfung   auszubessern,  das  ist  nur  noch  durch  eine  neue  Klausur  möglich.  

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In   meinen   Augen   sollten   neue   Ideen   und   Visionen   nicht   als   Aufmucken   einer  Minderheit  abgetan,   sondern   ernst   genommen   werden.   Mit   der   derzeitigen   Besetzung   der  Entscheidungsorgane   und   der   aktuellen   MinisterInnen   wird   das   aber   kaum   möglich   sein,  denn   dort   ist   mit   dem   Umbenennen   des   Turnunterrichts   scheinbar   die   Grenze   des  Handlungsspielraumes  erreicht.  Das   jetzige  Bildungssystem  bröckelt   zu  Recht,  offenbart  es  doch  schon  länger  seine  eindeutigen  Schwächen.  Da  die  Bildung  ein  so  elementarer  Pfeiler  unseres  Systems  darstellt,  kann  ich  nicht  verstehen,  warum  er  langsam  aber  sicher  abgesägt  wird.