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528 Annalen der Physik. 5. Folge. Band 28. 1937 HeZZ4glceitswechseZ Edlngs KosseZZCrcien Porn X. u. Laue (Mit 1 F'igur) In den schonen Aufnahmen, welche Borrmann und Voges kiirzlich vom KosselefTekt gemacht haben I), ist der auffalligste, auch von den Verff. stark betonte Zug, daB manche Kossellinien sich zum Teil dunkel, zum Teil hell vom Untergrunde abheben. Sobald dies experimentell sichergestellt war, erhob sich die Frage, ob ein solcher nbergang in der Theorie des h'osseleffekts2) fur den idealen Einkristall eine Deutung findet, oder ob diese Theorie zum Ver- gleich mit den Beobachtungen noch einer physikalischen Erganzung bediirfe, wie etwa der Annahme einer Mosaikstruktur. Ich neigte anfangs (das geht ja auch aus den Mitteilungen der Herren Borr- m a n n und Voges hervor) zu der Ansicht, da6 die bisherigen physi- kalischen Grundlagen nicht ausreichten. Bei langerer fjberlegung aber hat sich mir das Bild verschoben. Und dies mochte ich hier auseinandersetzen. DaB zunachst irn Fall I1 (Braggfall, Fmrn weist wieder aus dem Kristall heraus) keine Moglichkeit eines Uberganges in den Glei- chungen der angefuhrten Arbeit erscheint, ist einfach Folge eines Versehens. Zwar sind die dort angegebenen Formeln richtig. Falsch aber ist der auf G1. (30, 11, 1-3) folgende Satz: ,,Dies ist zugleich die untere Grenze fur S, wie sie fur sehr tiefliegende Strahlungs- quellen zutrifft, deren Strahlung im Totalreflexionsbereich gar nicht mehr nach auBen gelangt". Vielmehr mu8 man offensichtlich, um den gesamten SchwarzungsuberschuB uber den Untergrund aus- zurechnen, zu den Werten S, und S, noch einen Wert 8, hinfiigen, der sich auf den Totalreflexionsbereich selbst bezieht. Und zwar ist dazu das in (28, 11) stehende Integral dlS 1 2 sin 2xs ax = ____- 1) G. Borrmann, Ann. d. Phys.[5] 27. S. 669. 1936; H. Voges, Ann. d. Phys. [5] 27. S. 694. 1936. 2) M. v. Leue, Ann. d. Phys. [5] 23. S. 705. 1935; die Bezeichnungen dieser Arbeit behalten wir hier bei, die Numerierung der Gleichungen setzen wir fort.

Helligkeitswechsel längs Kossellinien

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528 Annalen der Physik. 5. Folge. Band 28. 1937

HeZZ4glceitswechseZ Edlngs KosseZZCrcien Porn X. u. L a u e

(Mit 1 F'igur)

In den schonen Aufnahmen, welche B o r r m a n n und Voges kiirzlich vom KosselefTekt gemacht haben I), ist der auffalligste, auch von den Verff. stark betonte Zug, daB manche Kossellinien sich zum Teil dunkel, zum Teil hell vom Untergrunde abheben. Sobald dies experimentell sichergestellt war, erhob sich die Frage, ob ein solcher nbergang in der Theorie des h'osseleffekts2) fur den idealen Einkristall eine Deutung findet, oder ob diese Theorie zum Ver- gleich mit den Beobachtungen noch einer physikalischen Erganzung bediirfe, wie etwa der Annahme einer Mosaikstruktur. Ich neigte anfangs (das geht ja auch aus den Mitteilungen der Herren B o r r - m a n n und Voges hervor) zu der Ansicht, da6 die bisherigen physi- kalischen Grundlagen nicht ausreichten. Bei langerer fjberlegung aber hat sich mir das Bild verschoben. Und dies mochte ich hier auseinandersetzen.

DaB zunachst irn Fall I1 (Braggfall, Fmrn weist wieder aus dem Kristall heraus) keine Moglichkeit eines Uberganges in den Glei- chungen der angefuhrten Arbeit erscheint, ist einfach Folge eines Versehens. Zwar sind die dort angegebenen Formeln richtig. Falsch aber ist der auf G1. (30, 11, 1-3) folgende Satz: ,,Dies ist zugleich die untere Grenze fur S, wie sie fur sehr tiefliegende Strahlungs- quellen zutrifft, deren Strahlung im Totalreflexionsbereich gar nicht mehr nach auBen gelangt". Vielmehr mu8 man offensichtlich, um den gesamten SchwarzungsuberschuB uber den Untergrund aus- zurechnen, zu den Werten S, und S, noch einen Wert 8, hinfiigen, der sich auf den Totalreflexionsbereich selbst bezieht. Und zwar ist dazu das in (28, 11) stehende Integral

dlS 1

2 sin 2 x s a x = ____-

1) G. Borrmann, Ann. d. Phys.[5] 27. S. 669. 1936; H. Voges , Ann. d. Phys. [5] 27. S. 694. 1936.

2) M. v. Leue, Ann. d. Phys. [5] 23. S. 705. 1935; die Bezeichnungen dieser Arbeit behalten wir hier bei, die Numerierung der Gleichungen setzen wir fort.

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eben uber diesen Bereich 2 auszufuhren. Aber in ihm ist fur ein sehr tief liegendes Atom 191 2= 0, der Integrand ist also gleich - 1. Da nach (18,11, 2) i n diesem Bereich zwischen

schwankt, ergibt sich

und fur den gesamten Schwarzungsiiberschu6

fiber das Vorzeichen von S entscheidet danach die Klammer. I n dem symmetrischen Falle lynLl = yo ist sie z. B. negativ; ein tief liegendes Atom ergibt also hier eine helle Linie, wahrend nach (30, 11) ein an der Oberflache gelegenes eine dunkle Linie hervorruft.

Der Ausdruck (53) gilt nach 5 7 der angefiihrten Arbeit auch d a m , wenn die durch go und 9, bestimmte Ebene nicht anf der Grenzflache des Kristalls senkrecht steht. Deshalb diirfen wir ihn anwenden auf jene Kossellinie, auf welcher in der Fig. 3, I der ein- fallende Strahl liegt, zunachst in einer dem Fall I entsprechenden Lage. Aber lassen wir ihn auf jener Linie nach oben wandern, so erreicht er einmnl die Ebene E', und dabei ruckt R, auf die Hinterseite der dargestellten Kugel; es geht, wie schon friiher be- tont, an dieser Stelle Fall I in Fall I1 iiber. Von da an ist also G1. (53) anwendbar, und zwar ist zunachst der Richtungskosinus y, von sehr klein negativ, da ja ern nahezu senkrecht zum Flachen- lot 8 steht. Folglich ist die Klammer in (11 positiv. Drehen wir weiter, so kommt es aber allmiihlich selbst in die zu 8 senkrechte Lage, so da6 jetzt yo sehr klein wird. Dann jst die Klammer sicher negativ. Da sie sich immer in einem Sinne andert, liegt also zwischen den angegebenen Stellen auf der Kossellinie notwendig eine und nur eine Nullstelle (X = 0). Bemerkt sei, daB entsprechend den Erfahrungen von Bor rmann und Voges die Linie bei nahezu streifendem Austritt nach (53) hell erscheint.

Die Rechnung fur weniger tief liegende Atome durchzufuhren, welche noch etwas im Totalreflexionsbereich 2 ausstrahlen, bietet grundsatzlich keine Schwierigkeiten und fiihrt aus Stetigkeitsgriinden ebenfalls zur Existenz einer von der Tiefenlage abhangigen Null- stelle, wie es den Beobachtungen von Bor rmann und Voges ent- spricht, sofern das Atom der Oberflache nicht zu nahe liegt; f u r

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ganz dicht an ihr liegende Atome freilich ist nach G1. (30, 11) S stets positiv. Wir gehen darauf nicht naher ein, da die rechnerischen Grundlagen der bisher entwickelten Theorie nicht sicher genug sind. Man bedenke doch, daB sich die Summanden S, and X, gar nicht einzeln berechnen lassen, weil die zugehorigen Integrale nicht konvergieren, und daB nur in der Summe S, + S, sich diese nicht konvergierenden Anteile gegenseitig aufheben. Wie schon in 5 4 gesagt, weist diese Xonvergenzschwierigkeit darauf hin, daB die dynamische Theorie in der hier durchgefiihrten, nur zwei Strahlen $to und Rm des Wellenfeldes beriicksichtigenden Niiherung fur den obergang von einer Interferenzstelle zur Nachbarschaft versagt; dann ist naimlich die Revorzugung des einen? schon nicbt mehr besonders starken Strahles Rm vor den unendlich vielen anderen ungerecht fertigt.

Fur Fall I ist der Gesarntschwarzungs~berschufl nach G1. (30, I) in (6 4) gegeben durch

und die Definitionen

- A - - A

die Tiefe des Atoms unter der Oberflache. In einer vollkornmenen Theorie mii%te nun der Grenziibergang zu A =m ohne weiteres moglich sein ; denn der Integrand, der lokale SchwarwngsiiberschuB miiBte sich von der Linienmitte v = 0 zu den Linienrandern so rasch dem Wert Null nahern, da6 die Integration sich tatsachlich doch nur uber einen kleinen Bereich erstreckt. Erst dadurch fiele die in der Wahl der Integrationsgrenze liegende Willkiir fort.

So ist es aber, wie schon friiher ausgefiihrt, hochstens fur sehr gro%e Werte von R (sehr tiefliegende dtome). Dann geht (30, I) iiber in (31, I)

und der iiber das Vorzeichen entscheidende Faktor - 1 1 - wechselt bei der Verschiebung von Ro in Fig. 3, I, wie eine trigonometrische Betrachtung zeigt, nie sein Vorzeichen.

7m Yo

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1st nZimlich in der nebenstehenden Figur Z B , der GroBkreis, welcher den DurchstoB des Flachenlotes 8 auf der Einheitskugel mit dem Durchsto5 B, des Vektors b, verbindet, ist ferner KKo der Nosselkegel um die Achse b,, auf welchem der Vektor so liegt, daB der seinen DurchstoB KO mit B,m verbindende GroBkreis mit dem erstgenannten den Win- kel ; bildet, so ist ZB,K, ein spharisches Dreieck, in welchem die Seiten B,,, KO = w und ZB, = p samt dem eingeschlossenen Win- kel j bekannt sind, wiihrend die dritte Seite arccos yo ist. Folg- lich gilt

‘-07

yo = cos w cos p

+ sin w . sin p - cos j . Eine ganz entsprechende Formel gilt aber nach der Figur fur y,; und zwar mit demselben Wert von 5 , weil jn die durch Inter- ferenz zugeordneten Strablen e0 nnd L, immer in einer Ebene mit b, liegen. Nur tritt an die Stelle des Winkelabstandes p = ZB, der Abstand n - p von Z und B- 111, so daB die Gleichung lautet

Danach ist

unabhangig von positiv oder negativ, j e nachdem ,u groBer oder kleiner als i n ist.

Derselbe Faktor bestimmt aber unter Umstanden auch nach G1. (54) das Vorzeichen von S , zumal das Integral Vl notwendig positiv ist. Dies tritt ein, sobald sin ( T ~ - am) Null ist, und trifft z. B. fur da8 Gitter des Kupfers zu. Berm bezogen auf das ein- faehe, schon in 5 2 erwahnte Gitter hat der Radiusvektor t: in deem skalaren Produkt 2 m (bm r) = T , ~ [vgl. (2311 den Wert Null, und es ist nach (3”) a,,, = n. Danach kijnnte also jedenfalls beim Kupfer im Fall I nie eine Nullstelle des Helligkeitsiiberschusses auftreten, was in1 Widerspruch zur Erfahruag steht.

Zwingt dieser Widerspruch nun, die physikalischen Grundlagen der Theorie abzuandern? Meines Erachtens nicht. Vielmehr scheint mir, man mu6 nur auf die Grundgleichungen der dynamischen Theorie der Rontgeninterferenzen ein besseres Naherungsverfahren anwenden. Da6 das jetzige nicht ausreicht, dafiir geben die Ver- suche von B o r r m a n n und Voges einen ganz unmittelbaren Hinweis: Der Untergrund ist keineswegs? wie die Theorie bisher verlangte, zu beiden Seiten einer Kossellinie immer gleichmaBig dunkel; im

Fig. 1

rrn = - cos w * cos p + sin w sin p . cos 5.

yo - ym = 2 cos w COB p

Ein Zeichenmechsel der Klammer in (56) ist unm6glich.

36*

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Gegenteil finden sich dort haufig ,,Schwarzungsstufen". Das ist auf Grund des wohl unbedingt zuverlassigen Reziproziyatssatzes nur so zu verstehen, daB auch, wenn $?* in erheblichem Abstand von einer Interferenzstelle liegt, die Schwingungsintensitat 1 b I am Orte des Atoms keinen von der Richtung R, unabhangigen Wert hat, daB also in dem Wellenfeldansatz (4)

nicht alle Glieder anBer m, = m2 = m3 = 0 zu vernachlassigen sind. Dieser SchluS gilt wie fur den idealen Einkristall, so auch fur den Mosaikkristall. Das nachste Ziel mu13 also die mathematische Ver- besserung der dynamischen Theorie sein.

= ejyt C mm e-j r'

Noch bei einer anderen Fragestellung versagt die bisherige Durchf iihrung der dynamischen Theorie. Ein Rontgenstrahl moge eine planparallele Kristallplatte so durchstrahlen, da13 seine Richtung von einer Interferenzlage ein wenig abweicht. Dann ergibt die dynamische Theorie, wie sie heute vor uns steht, das Verschwinden des fraglichen Interferenzstrahls unabhangig von der Plattendicke. Tatsachlich sagt uns die Beobachtung, daB er bei immer geringer werdender Dicke schliefllich auftaucht , und die elementare Theorie erklart dies zwanglos mittels des ,,Kristallformfaktors'").

Hier beruht nun das Versagen der dynamisclien Theorie nicht auf der fur das Innere angewandten Naherung, sondern anf der Vernachlassigung der Eireuzgitterwirkung der Oberflachen. Das ge- schilderte Auftauchen einer beim ausgedehnten Raumgitter nicht sichtbaren Interferenz gibt ja den nllmahlichen nbergang der Raum- gitter- in die ~lacliengitterwirl~ung an. Und diese kommt streng genommen auch in die dynamische Theorie hinein, namlich durch bessere Beriicksichtigung der Grenzbedingungen, die auf alle Palle eine Krenzgitterbengung ergeben. Ihre Vernachlassigung beim dicken Kristall ist berechtigt, solange ein vom Raumgitter gelieferter Beugungsstrahl stark auftritt; aber sonst muB hier ein besserer inathematischer Ausbau der Theorie einsetzen.

1) M. v. Laue , Ann. d. Phys. [a] 96. S. 55 . 1936.

B e r l i n - 2 e h l en do r f , Slbertinenstr. 17 , Januar 1 937.

(Eingegangen 22. Januar 1937)