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© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Bautechnik 91 (2014), Heft 6 393 BERICHT REPORT DOI: 10.1002 / bate.201400032 BERICHT Der Ansporn der Studenten rührt neben Selbstverwirkli- chung und der Freude, etwas im Team zu schaffen, aus Sven Nagel, Anthea Müller, David Walter, Geza Hildenbrand, Fabian Haas Herausforderung Sri Lanka Angehende Ingenieure bauen Hängebrücke im Dschungel 1 Mit Leidenschaft durch das Studium Die Hochschulgruppe „Engineers Without Borders – Karlsruhe Institute of Technology e.V.“ wurde 2004 nach der Tsunamikatastrophe im Indischen Ozean von Karls- ruher Studenten ins Leben gerufen. Im Laufe der letzten Jahre haben sich über 150 Studenten aus verschiedenen Fachrichtungen in sieben Projektgruppen organisiert, um weltweit Entwicklungsprojekte umzusetzen. Trockentoi- letten in Uganda, Solaranlagen in Indien oder Brücken in Sri Lanka sind nur einige Beispiele für erfolgreich abge- schlossene Arbeiten. Die Projekte sollen nicht für die Be- troffenen, sondern mit und von ihnen verwirklicht wer- den. Sie helfen unentgeltlich beim Bau und lernen dabei, das Bauwerk zu verstehen und zu schätzen. Dies bildet das Fundament für eine selbst organisierte Wartung und damit eine lange Lebensdauer. Studenten aus Karlsruhe initiieren, planen und verwirklichen eigenverantwortlich ingenieurstechnische Entwicklungsprojek- te weltweit. In diesem Bericht werden die Herausforderungen eines solchen Projektes am Beispiel der im Sommer 2013 fer- tiggestellten Hängebrücke im Süden Sri Lankas dargestellt. Neben der Suche nach einem passenden Projekt stellen die Finanzierung sowie die Vorbereitung des Teams auf kulturelle Eigenheiten fundamentale Aufgaben dar. Bei der Planung muss eine Konstruktion entwickelt werden, die den besonderen Be- anspruchungen durch den sri-lankischen Dschungel dauerhaft trotzt und in einer einfachen Bauweise ohne schwere Bauma- schinen und ausgebildete Fachkräfte gebaut werden kann. Um dies zu erreichen ist es erforderlich, sich in mancher Hinsicht von den im Studium gelernten Standards und Techniken zu lösen und eigene Konzepte zu entwerfen. In der knapp viermo- natigen Bauphase sorgen Kommunikationsprobleme, Schwie- rigkeiten bei der Terminplanung und Materialbeschaffung sowie Tropenstürme für einen abwechslungsreichen Alltag auf der Baustelle. Nach dem Abschluss des Projektes zeigt sich, dass vor allem ein verlässliches Team, Durchhaltevermögen und die enge Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort für die erfolgreiche Umsetzung unabdingbar sind. Keywords Sri Lanka; Hängebrücke; Dschungel; Entwicklungszusammen- arbeit; Studenten; Projektierung; Planung; Umsetzung Challenge Sri Lanka – prospective engineers build suspension bridge in the jungle Students from Karlsruhe University initiate, plan and develop engineering projects worldwide with sole responsibility. In summer 2013 they built a suspension bridge in a small village in the Sri Lankan jungle. This report is going to show and em- phasize the challenges which come along with conducting such a project. Next to the project itself the funding needs to be discussed clearly as well as the fact that the whole team needs to be confronted with possible cultural differences and characteristics. Considering the construction of the suspen- sion bridge it needs to be kept in mind that the material needs to be extremely solid due to the Sri Lankan humid climate. The construction of the bridge is supposed to be planned as sim- ple as possible. University students and villagers who are not familiar with working on a construction site are going to build the bridge. In addition for logistical reasons it is not possible to bring and move big construction machines into the Sri Lankan jungle. Therefore it is necessary to throw acquired knowledge overboard and to come up with own creative concepts and ideas. The suspension bridge had been built and finished within four months. Because of communication problems, tropical storms as well as difficulties in accurate project planning and purchasing no day on the construction site was like the other. Looking back a reliable team, staying power and a close coop- eration with the villagers is indispensable for completing such a tremendous project successfully. Keywords Sri Lanka; suspension bridge; jungle; development cooperation; students; project planning; project implementation Bild 1 Die fertige Brücke überspannt den Bentota River The completed bridge spans the Bentota River

Herausforderung Sri Lanka

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© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Bautechnik 91 (2014), Heft 6 393

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ICH

T REPORT

DOI: 10.1002 / bate.201400032

BERICHT

Der Ansporn der Studenten rührt neben Selbstverwirkli-chung und der Freude, etwas im Team zu schaffen, aus

Sven Nagel, Anthea Müller, David Walter, Geza Hildenbrand, Fabian Haas

Herausforderung Sri LankaAngehende Ingenieure bauen Hängebrücke im Dschungel

1 Mit Leidenschaft durch das Studium

Die Hochschulgruppe „Engineers Without Borders – Karlsruhe Institute of Technology e.V.“ wurde 2004 nach der Tsunamikatastrophe im Indischen Ozean von Karls-ruher Studenten ins Leben gerufen. Im Laufe der letzten Jahre haben sich über 150 Studenten aus verschiedenen Fachrichtungen in sieben Projektgruppen organisiert, um weltweit Entwicklungsprojekte umzusetzen. Trockentoi-letten in Uganda, Solaranlagen in Indien oder Brücken in Sri Lanka sind nur einige Beispiele für erfolgreich abge-schlossene Arbeiten. Die Projekte sollen nicht für die Be-troffenen, sondern mit und von ihnen verwirklicht wer-den. Sie helfen unentgeltlich beim Bau und lernen dabei, das Bauwerk zu verstehen und zu schätzen. Dies bildet das Fundament für eine selbst organisierte Wartung und damit eine lange Lebensdauer.

Studenten aus Karlsruhe initiieren, planen und verwirklichen eigenverantwortlich ingenieurstechnische Entwicklungsprojek-te weltweit. In diesem Bericht werden die Herausforderungen eines solchen Projektes am Beispiel der im Sommer 2013 fer-tiggestellten Hängebrücke im Süden Sri Lankas dargestellt. Neben der Suche nach einem passenden Projekt stellen die Finanzierung sowie die Vorbereitung des Teams auf kulturelle Eigenheiten fundamentale Aufgaben dar. Bei der Planung muss eine Konstruktion entwickelt werden, die den besonderen Be-anspruchungen durch den sri-lankischen Dschungel dauerhaft trotzt und in einer einfachen Bauweise ohne schwere Bauma-schinen und ausgebildete Fachkräfte gebaut werden kann. Um dies zu erreichen ist es erforderlich, sich in mancher Hinsicht von den im Studium gelernten Standards und Techniken zu lösen und eigene Konzepte zu entwerfen. In der knapp viermo-natigen Bauphase sorgen Kommunikationsprobleme, Schwie-rigkeiten bei der Terminplanung und Materialbeschaffung sowie Tropenstürme für einen abwechslungsreichen Alltag auf der Baustelle. Nach dem Abschluss des Projektes zeigt sich, dass vor allem ein verlässliches Team, Durchhaltevermögen und die enge Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort für die erfolgreiche Umsetzung unabdingbar sind.

Keywords Sri Lanka; Hängebrücke; Dschungel; Entwicklungs zusammen-arbeit; Studenten; Projektierung; Planung; Umsetzung

Challenge Sri Lanka – prospective engineers build suspension bridge in the jungleStudents from Karlsruhe University initiate, plan and develop engineering projects worldwide with sole responsibility. In summer 2013 they built a suspension bridge in a small village in the Sri Lankan jungle. This report is going to show and em-phasize the challenges which come along with conducting such a project. Next to the project itself the funding needs to be discussed clearly as well as the fact that the whole team needs to be confronted with possible cultural differences and characteristics. Considering the construction of the suspen-sion bridge it needs to be kept in mind that the material needs to be extremely solid due to the Sri Lankan humid climate. The construction of the bridge is supposed to be planned as sim-ple as possible. University students and villagers who are not familiar with working on a construction site are going to build the bridge. In addition for logistical reasons it is not possible to bring and move big construction machines into the Sri Lankan jungle. Therefore it is necessary to throw acquired knowledge overboard and to come up with own creative concepts and ideas. The suspension bridge had been built and fi nished within four months. Because of communication problems, tropical storms as well as diffi culties in accurate project planning and purchasing no day on the construction site was like the other. Looking back a reliable team, staying power and a close coop-eration with the villagers is indispensable for completing such a tremendous project successfully.

Keywords Sri Lanka; suspension bridge; jungle; development cooperation; students; project planning; project implementation

Bild 1 Die fertige Brücke überspannt den Bentota RiverThe completed bridge spans the Bentota River

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Missstand wollen die Studenten durch den Bau einer Brücke beheben.

3 Der Dschungel erfordert eine besondere Konstruktion

3.1 Rahmenbedingungen

Der Entwurf der Konstruktion erfordert an vielen Stellen sinnvolle Annahmen, die gängige Regelwerke kombinie-ren oder darüber hinausgehen. Für Lasteinwirkungen aus Umwelteinflüssen müssen aufgrund der mangelnden Do-kumentation vor Ort konservative Ansätze gewählt wer-den. Beispiele hierfür sind die Ermittlung von Horizontal-kräften bei Extremwasserständen, Windlasten, aber auch außergewöhnliche Nutzlasten wie passierende Herden von Wasserbüffeln. Inwieweit die Fußgängerlasten denen in einer deutschen Großstadt entsprechen, ist fraglich. Auch die Baugrundbeschaffenheit stellt eine große Unbe-kannte dar.

Nicht nur funktional und dauerhaft soll das Bauwerk sein, sondern sich auch durch eine schlanke Gestalt äs-thetisch ansprechend in sein natürliches Umfeld zwi-schen Zimtplantagen und Bambusstauden einpassen.

3.2 Die Bauphase bestimmt den Entwurf

Bei vorangehenden Reisen ist nicht nur das Projekt ge-wählt worden, sondern auch viele weitere Fragen geklärt. Von wo kann Baumaterial in ausreichender Menge zeit-nah bezogen werden? Wie ist der Qualitätsstandard von in Auftrag gegebenen Arbeiten? Welche Baumaschinen sind verfügbar und ist deren Einsatz finanzierbar? Wel-che Sicherheiten muss man einkalkulieren und an wel-chen Stellen kann später flexibel reagiert werden? Vor allem aber: Wie zuverlässig können diese Fragen wirklich beantwortet werden?

Die aktuelle Infrastruktur beeinflusst die Konstruktion maßgeblich. Schwere Baugeräte wie Kran oder Großbag-ger können nicht an den Brückenstandort gebracht wer-

der Möglichkeit, die im Studium erlernte Theorie in die Praxis umzusetzen.

2 Der Weg zum passenden Projekt

In einem Zeitraum von über zwei Jahren sind drei Erkun-dungsreisen gestartet. Motivation und der gute Wille sind für den Erfolg bei Weitem nicht ausreichend. Nur durch eine intensive Beschäftigung mit dem Land lässt sich ein Projekt formulieren, das den Missständen und Problemen der Bevölkerung angemessen entgegenwirkt.

Allzu oft stellen sich vielversprechende Vorschläge als politische Prestigeprojekte oder rein wirtschaftliche Inter-essen einzelner Firmen heraus. Andere übersteigen die studentischen Möglichkeiten in zeitlichem, finanziellem oder technisch verantwortbarem Rahmen. Dies fordert von den Reisenden viel Fingerspitzengefühl bei Gesprä-chen mit Verantwortungsträgern.

Ausschlaggebend für die Auswahl dieses Projektes ist ein enger Kontakt zu einem Sri Lanki. Nach stundenlangen Gesprächen versteht dieser die Beweggründe und die Ar-beitsweise der Studenten und legt seine Suche danach aus. Sein konkreter Vorschlag bezieht sich auf die Ge-meinde Karawwa im Südwesten Sri Lankas. Sie besteht aus kleinen Siedlungen, in denen insgesamt ca. 2 000 Menschen leben. Der Bentota River trennt die Kinder von ihrer Schule und die Bauern von ihren Feldern – die Lebensgrundlage der Dorfbewohner.

Bisher bietet eine nördlich gelegene Autobrücke die einzi-ge Möglichkeit, den Fluss sicher zu überqueren. Für die Bauern, die meist keine Fahrzeuge besitzen, bedeutet dieser 10 km lange Fußweg eine große Belastung. Daher durchqueren die Dorfbewohner den Fluss auf direktem Weg. Die für die Region typischen Tropenstürme lassen den Fluss binnen weniger Minuten zu einem reißenden Strom anschwellen. Einige der Familien können von An-gehörigen berichten, die in den Fluten ertrunken sind.

Die bisherigen Hilfsgesuche des Bürgermeisters und des Priesters sind von der Regierung ignoriert worden. Diesen

Bild 2 Hand in Hand erfolgen die ArbeitsschritteWork steps go hand in hand

Bild 3 Mithilfe eines Floßes kann der Fluss bei mittleren Wasserständen überquert werden Using a raft the fl ow may be crossed at medium water levels

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wortliche regelmäßige Wartung durch die Bevölkerung oder seitens der Behörden. Beispielsweise verlängert der Einsatz moderner Keilsicherungsscheiben die nötigen Wartungsintervalle.

3.4 Hängeseilbrücke wird Anforderungen gerecht

Um die erarbeiteten Anforderungen an das Bauwerk zu erfüllen, fällt die Entscheidung des Konstruktionstyps auf eine echte Hängebrücke.

Ziel ist es, durch eine solide Gründung den extremen Be-anspruchungen durch den Fluss zu trotzen. In sicherem Abstand zur Böschungskante werden die Pylonenfunda-mente in 2,50 m Tiefe als Flachgründung mit jeweils einer 4,50 m hohen Massivwand geplant. Auf dieser werden Pylonen und Lauffläche befestigt und damit bei Extrem-wasserständen auf ein sicheres Niveau gehoben. Die Un-terkonstruktion der Lauffläche wird aus 21 identischen Elementen gefertigt. Diese bestehen aus geschraubten Winkelprofilen und gestalten die Konstruktion einfach reproduzierbar, schlank und leicht. Das geringe Eigenge-wicht macht die Brücke jedoch sehr instabil und anfällig für Schwingungen. Zwei unter der Lauffläche angebrach-te Vorspannseile reduzieren diese. In Kombination mit dem über mehrere Felder aufgeschraubten Belag aus Bangkirai-Bohlen sorgen diese für zusätzliche Steifigkeit.

3.5 Sonderlösung Pylonenfuß

Eine besondere Herausforderung ist das Aufstellen der Pylone. Diese bestehen aus HW150 Stahlprofilen, messen eine Höhe von 6 m und eine Breite von 3 m. Der ungüns-tigste Lastfall „Wind auf die Brückenflanke und Ver-kehrslast“ macht den um 90° gedrehten Einbau der Stüt-zen erforderlich, auch wenn dies zu doppelten Knicklän-gen um die schwachen Achsen führt. Zudem kann der Fußpunkt mit nur einer installierten Schraubenachse durch die Flansche als temporäres Scharnier fungieren. Für den Aufstellvorgang kann der Pylon waagerecht in den Fußpunkt gesetzt und durch ein Bambuszweibein mit Kettenzug angehoben werden. Ab einer Neigung von 30° folgt der restliche Aufrichtvorgang mit einem Stahlseil von der anderen Uferseite. Dieser kritische Winkel muss

den. Die Konstruktion ist deshalb so zu planen, dass alle Bauabschnitte von Hand oder, wenn nicht anders mög-lich, mithilfe von Kleinmaschinen durchgeführt werden können. Auf Schweißverbindungen wird in der Regel verzichtet und eine Art Baukastensystem basierend auf Schraubverbindungen entworfen.

Dies soll den Bau unabhängig von der Zuverlässigkeit Dritter und unsicheren Qualitätsstandards machen. Stets mit dem Hintergedanken, dass die Realisierung ohne aus-gebildete Facharbeiter durch Studenten in Zusammenar-beit mit der örtlichen Bevölkerung durchgeführt wird.

3.3 Nachhaltigkeit sichern

Die Konstruktion soll mit den vorhandenen finanziellen Mitteln bestmöglich gegen die intensiven Umwelteinflüs-se geschützt werden. Verzinkung aller Stahlteile, Verwen-dung von witterungsbeständigem Tropenholz, große Be-tondeckungen sowie die sichere Entwässerung aller kriti-schen Bauteile erhöhen die Lebensdauer. Zudem verlässt man sich in der Planung nicht blind auf die eigenverant-

Bild 4 Mit einer Zweibein-Konstruktion aus Bambus wird der Pylon aufge-richtet With a bipod design of bamboo, the pylon is erected

Bild 5 Von der Idee zum fertigen BauteilFrom idea to fi nished part

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vorhanden. Die Gewinnung ist zeitaufwändig, aber auch die erforderliche Menge von etwa 70 m³ Sand kann die zähen Einheimischen nicht davon abhalten. Für das Pro-jekt bedeutet dies Ersparnisse bei Material- und Trans-portkosten, aber vor allem einen Gewinn für die Zusam-menarbeit. Die Anerkennung von Eigeninitiative der Dorfbevölkerung während der Bauphase ist grundlegend für deren Identifizierung mit dem Projekt und einen ver-antwortungsvollen Umgang mit ihrer Brücke.

4.2 Materialbeschaffung mit Hindernissen

Ein Besuch im nahe gelegenen Steinbruch birgt die nächsten Überraschungen: metrische und angloamerika-nische Einheiten werden kombiniert angewandt und Preise in „cube“ (10 × 10 × 1 Fuß) verhandelt. Kalkulati-on und Bestelllisten müssen in Nachtschichten angepasst werden. Standardsieblinien sucht man vergebens. Das auf nur drei Kornfraktionen beschränkte Angebot wird von einem Radlader beim Verladen gemischt.

Stahlteile und Holz für den Schalungsbau können nur in Colombo beschafft werden. Einkaufstouren durch die Hauptstadt sind faszinierend, aber nichts für schwache Nerven. Colombo 13, das Stahlviertel, gleicht einem ge-waltigen Open-Air-Baumarkt. Das Angebot ist riesig, was die Auswahl und Preisverhandlungen umso zeitintensiver macht. Mit dem Begriff Streckgrenze und Festigkeit kön-nen hier nur wenige Händler etwas anfangen. Um sicher-zustellen, dass die Anforderungen an die Stahlgüte einge-halten werden, erfolgt die Bestellung bei Sri Lankas größtem Stahlhändler.

Bezüglich der Qualität wird für die wichtigsten Teile der Brücke Vorsorge getroffen. Haupt-, Hänger- und Vor-spannseile kommen aus Deutschland und müssen nur noch den Weg nach Sri Lanka finden. Der Seeweg bean-sprucht viel Zeit, der Luftweg dagegen mehr Geld. Die Zeit ist knapp, das Budget ebenfalls. Aufgrund der vor-aussichtlichen Abfertigungszeit von bis zu vier Wochen

eingehalten werden, um ausreichend Sicherheit gegen den Ausbruch des wenige Tage alten Betons zu gewähr-leisten.

4 Leben und Arbeiten in Sri Lanka

Nach langer Vorbereitungszeit machen sich Anfang Juli 2013 die ersten fünf Studenten auf den Weg nach Sri Lanka. In Karlsruhe sind viele Situationen diskutiert und Lösungen erarbeitet worden. Dass kulturelle Eigenheiten, Verfügbarkeit von Material, Baustoffqualitäten, Vegetati-on und Wetter kaum vorherzusehen sind, zeigt sich von Beginn an. Der erste Kontakt mit den Dorfbewohnern, die Organisation von Materialien, deren Transport und Lagerung sowie rechtliche Fragen fordern Flexibilität und Offenheit.

4.1 Ein Dorf baut seine Brücke

Um den Transport zum Projektstandort zu ermöglichen, ist von der Regierung versichert worden, bis Baubeginn eine befahrbare Straße fertigzustellen. Doch die Realität sieht anders aus: Schmale, nur teilweise gepflasterte Pfade enden in überfluteten Reisfeldern. Wie soll der Transport von über 300 t Baumaterial bewältigt werden? Schließlich sind es die Dorfbewohner, die eine Lösung vorschlagen: Eine temporäre Zufahrt muss her. „Kein Problem!”, entscheiden sie, „Wir bauen eine zweite Brü-cke!“ Es werden Palmen gefällt, in 5 m lange Stücke ge-sägt und gespalten. Aus den Stämmen wird eine Straße über das Reisfeld gebaut. Unterstützung kommt von der regionalen Armee, die mit 60 Mann anrückt. Nach einem Tag steht die temporäre Zufahrt und die Engpässe der angrenzenden Straße werden ausgebaut. Die Benutzung ist jedoch nach wie vor mühsam und gefährlich.

Das Problem des Transports bringt die Dorfbewohner ins Grübeln. Zuschlag und Zement müssen aus umliegenden Dörfern angeliefert werden, doch Sand ist direkt im Fluss

Bild 6 Dorfbewohner und Armee bauen die temporäre Zufahrt Villagers and army build the temporary road

Bild 7 Das Passieren der Straße ist noch immer gefährlich Passing the road is still dangerous

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gesamte Laufflächenkonstruktion hebt sich in ihre Positi-on und bildet einen eleganten Bogen über den Fluss. Die Dorfbewohner sind sprachlos. „Loku Paalama!“, rufen sie. Auf Deutsch: „Die große Brücke!“

AutorenB.Sc. Sven Nagel, [email protected]. Anthea Müller, [email protected]. David Walter, [email protected]. Geza Hildenbrand, [email protected] B.Sc. Fabian Haas, [email protected]

Alle Studenten am Karlsruhe Institute of Technology und Mitglieder der Hochschulgruppe Engineers Without Borders

Karlsruhe Institute of Technology e.V.Adenauerring 7 76131 Karlsruhewww.ewb-karlsruhe.de

beim Zoll in Sri Lanka ist der Seeweg nicht tragbar und die Wahl fällt auf den Luftweg.

4.3 Im Schnelldurchang durch die Bauphase

In Pitigala sind die Materialien organisiert, die Zufahrt ist akzeptabel und die Baustelle ist gerodet. Es kann vermes-sen werden. Im Dschungel stellt sich die mitgebrachte Technik, wie Nivellier- und Lasermessgerät, als ungeeig-net heraus. Hingegen erweist sich eine 30 m lange Schlauchwaage in Kombination mit Seilen und Maßbän-dern als weitaus praktischer, auch wenn sich beim Ab-spannen, Markieren, Lösen und erneutem Spannen die Seile dehnen und die Konstruktion von rechten Winkeln zur komplexen Herausforderung wird.

Bevor mit dem Betonieren der Fundamente, Wände und Rampen begonnen wird, müssen Baugruben ausgehoben, Schalungselemente hergestellt und die Bewehrung vorbe-reitet werden. Ein Baumstumpf mit eingeschlagenen Eisen ermöglicht das Biegen der Bewehrung. Für große Biegerollendurchmesser wird der Stamm einer Kokospal-me genutzt.

Die Herstellung von 110 m³ Beton findet mithilfe von zwei Freifallmischern statt. In selbst gebauten Mess- und Trageboxen werden Kies und Sand von ihren Lagerplät-zen zu den Betonmischern transportiert. Menschenketten fördern den Beton in die Schalung, das ganze Dorf arbei-tet Hand in Hand. Parallel werden die Einzelteile der Stahlkonstruktion vorbereitet; das bedeutet Stahlteile schneiden, bohren und in Elementen zusammensetzen sowie Stahlseile ablängen und einkauschen. Das Aufrich-ten der Pylone verläuft wie geplant. Fieberhaft wird das Haupttragseil über die Pylone geführt und liegt schlaff im Flussbett. Quer- und Längsträger können größtenteils be-quem und sicher vom Boden aus an die Hängerseile ange-schlossen werden. Zwei handbetriebene Kettenzüge zie-hen die Seile anschließend über die Pylonenköpfe. Die

Bild 8 Mit Seil, Lot und PYTHAGORAS wird die Schalung ausgerichtet With rope, solder and PYTHAGORAS, the formwork is aligned

Bild 9 Letzte Arbeiten werden an der Stahlkonstruktion verrichtetLast workings are carried out on the steel structure

Bild 10 Ein Mönch wagt die ersten Schritte A monk ventures the fi rst steps