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Herrscher von Ringtor

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Nr. 415

Herrscher von Ringtor

Das Geheimnis der letzten Obeds

von Peter Terrid

Als Atlantis-Pthor, der durch die Dimensionen fliegende Kontinent, die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht – also den Ausgangsort all der Schrecken, die der Dimensionsfahrstuhl in unbekanntem Auftrag über viele Sternenvölker gebracht hat –, ergreift Atlan, der neue Herrscher von Atlantis, die Flucht nach vorn.

Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu­kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, und einer Gruppe von ausgesuchten Dellos die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird.

Dort beginnt für Atlan und seine Gefährten eine Serie von Abenteuern, die beinahe tödlich ausgehen. Die ersten Stationen des gefahrvollen Weges sind unter anderem Enderleins Tiegel, der Schrottplanet, Xudon, der Marktplanet, und Gooderspall, die Welt der Insektoiden.

Durch das Eingreifen Leenias, des Instruments der Höheren Welten, aus akuter Notlage gerettet, befinden sich Atlan und Thalia gegenwärtig auf einer seltsamen Welt. Hier müssen sie ohne fremde Hilfe zurechtkommen. Ihre neuen Gegner sind die HERRSCHER VON RINGTOR …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan und Thalia - Die beiden Pthorer finden sich auf einer Nomadenwelt wieder.Tehtleyn-Obed - Ein blutdurstiger Knabe.Santhillia, Kuron, Carnat und Drumuuhl - Herrscher von Ringtor.

1.

Groß, rot und düster stieg sie am Horizont empor. Das Licht der aufgehenden Sonne weckte mich; ich richtete mich auf. Der Schein des kleinen Silbermonds verblaßte, während die Sonne in die Höhe stieg. Ein leiser Wind kam auf, brachte aber keine Kühlung. Er war warm und trug fremde Laute zu uns herüber.

»Tiere!« diagnostizierte der Extrasinn. Thalia schlief noch; ich gönnte ihr die

Rast und weckte sie nicht. Ich stand auf, um mich einmal umsehen zu können. Was mochte das für ein Planet sein, auf dem wir gelandet waren? In der Nacht hatten wir trotz des Mondscheins nicht viel erkennen können. Eines stand sofort fest – wir befan­den uns noch im Bereich der Schwarzen Ga­laxis. Die Zentrumsausstrahlung der roten Riesensonne war unzweideutig. Es fragte sich aber, ob wir noch im Marantroner-Re­vier steckten. Sterne waren zu sehen, schwach und blaß an einem strahlend blauen wolkenlosen Himmel. Die Konstellationen besagten aber nichts für mich, ich konnte an­hand dieser Sternbilder nicht herausfinden, in welchem Bezirk der Schwarzen Galaxis unser Aufenthaltsort zu suchen war.

Düster wie der Anblick der Sonne war auch der Eindruck, den das Land auf mich machte. Felsen waren zu sehen – und nicht viel mehr. Wir lagerten auf einem Plateau, das knapp fünfzig mal fünfzig Meter maß. Am Rand ging es sehr steil in die Tiefe, in ein felstrümmerübersätes Tal hinab. Und wenig später ragte eine neue Felsnadel mit einem kleinen Plateau an der Spitze in die klare Luft. Sich in diesem Gelände fortzube­wegen, war nicht nur gefährlich, es war auch ersichtlich überaus mühsam. Wir mußten zu­frieden sein, wenn wir pro Tag ein paar Ki­

lometer schafften. Leben war keines zu se­hen. Der Fels war kahl, nicht einmal ein paar struppige Gräser waren zu erkennen. Nur die geheimnisvollen Laute, die vom Wind her­getragen wurden, verrieten, daß wir nicht gänzlich allein auf diesem Planeten lebten. Thalia drehte sich herum, kam auf einen kleinen Stein zu liegen und wachte von dem leisen Schmerz auf.

»Hast du Umschau gehalten?« fragte sie und reckte sich ausgiebig.

Ich nickte. »Es sieht düster aus«, erklärte ich ohne

Umschweife. »Eine Felseinöde, wie ich sel­ten eine gesehen habe. Nichts als schroffer, roter Fels unter einer großen roten Sonne.«

»Leben?« Ich schüttelte den Kopf. »Nichts zu sehen«, erklärte ich. Thalia stand auf und trat an meine Seite.

Zusammen betrachteten wir den Ort, an dem wir nach dem Verlassen der KNIEGEN ge­landet waren.

»Worauf warten wir?« fragte Thalia. »Zu essen haben wir nichts, zu trinken haben wir nichts, uns fehlen Waffen … wenn wir ein­fach hier warten, werden wir die nächsten fünf Tage nicht überleben.«

»Dann also vorwärts«, sagte ich und ver­suchte ein Lächeln.

Wir begannen unseren Marsch mit einer mühseligen Kletterei. Zwar fiel der Fels nicht sehr steil ab, und er war zerklüftet ge­nug, uns ausreichend Halt für Hände und Füße zu bieten – aber es wurde langsam heiß, und die Kletterei zog sich arg in die Länge. Als wir den Fuß unseres Landeplat­zes erreicht hatten, war es Mittag geworden, und ich spürte, als ich wieder einigermaßen ebenen Boden unter den Füßen hatte, daß meine Beinmuskeln zitterten. Thalia war noch erschöpfter als ich; sie hatte keinen Zellaktivator, der ihre Kräfte regenerierte.

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»Rasten wir!« schlug ich vor. Ich deutete auf einen Felsüberhang, der zwar reichlich gefährlich aussah, dafür aber Schatten bot. »Es ist sinnlos, in diesem Gebiet in der pral­len Sonne herumzulaufen – wir verlieren da­bei nur Wasser und Kräfte.«

Thalia nickte müde. Im Schatten des Fel­sens streckte sie sich erst einmal aus. Uns fehlte alles, was man zu einer Wanderung durch solch ein Gebiet dringend brauchte. Vor allem aber fehlte uns die Information, wie es ein paar Kilometer entfernt aussehen mochte – unter Umständen stiegen wir in das Felsengebirge hinein anstatt heraus.

Dein Kurs stimmt, kommentierte der Lo­giksektor trocken.

Wir blieben im Schatten liegen, bis die Sonne langsam zu verschwinden begann und der Extrasinn mir mit einem kurzen Impuls andeutete, daß es an der Zeit war, den Mar­sch fortzusetzen.

Wir mußten die Minuten nutzen. In der Nacht war es zwar kühl, aber das Licht des kleinen Mondes reichte nicht aus, uns den Weg zu erleuchten. Tagsüber sahen wir zwar genug, dafür aber wurden wir in der sengenden Sonne bei lebendigem Leib ge­sotten. Der Kompromiß zwischen beiden Extremen hieß Dämmerung und war knapp bemessen – in dieser Übergangsphase muß­ten wir unsere Ziele erreichen, wenn wir uns eine Chance ausrechnen wollten.

Wie immer in solchen Situationen ging ich voran. Das hatte nichts mit altmodischer Höflichkeit zu tun, sondern war eine Konse­quenz aus der Tatsache, daß mir ein Helfer zur Seite stand, über den Thalia nicht ver­fügte. Der Extrasinn erwies sich wieder ein­mal als unersetzbar wertvoll. Er half mir, die besten Winkel zu finden, an denen ich mich festkrallen konnte. Er suchte unter verschie­denen gangbaren Wegen den kräftescho­nendsten aus. Thalia brauchte sich dann nur noch an mein Vorbild zu halten, um mit ei­nem Mindestmaß an Aufwand mir folgen zu können.

Dank dieser Hilfestellung kamen wir bes­ser voran, als ich ursprünglich angenommen

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hatte. Als der letzte Schein der Dämmerung sich auflöste und der Silbermond seine Herr­schaft über das Land übernahm, hatten wir mindestens zwölf Kilometer zurückgelegt – und das war eine beachtliche Strecke, wenn man die naturgegebenen Hindernisse be­rücksichtigte.

Der Preis für diese Anstrengung bestand darin, daß wir an unserem neuen Rastplatz – einem Tafelberg, der unserem Landeplatz verblüffend glich – wie ohnmächtig zusam­menbrachen und blitzartig einschliefen.

*

Wieder wurde ich von der Sonne ge­weckt, und wieder wurde ich als erster wach.

Diesmal aber bot sich uns ein anderer An­blick als am vorigen Morgen.

Wir hatten es tatsächlich geschafft. Unter uns lag die Ebene. Ich stieß Thalia an, um sie zu wecken. Sie lachte glücklich, als sie neben mir auf dem Plateau stand und hin­abblickte. Was wir sehen konnten, war tat­sächlich höchst erfreulich. Vor allem das Grün tat uns gut, der Anblick des Grases, das auf der Ebene wuchs. Noch wichtiger aber war das Lager, das wir mitten auf der Ebene sehen konnten – ein höchst merkwür­diges Gebilde.

Das erste, was zu sehen war, war das große Zeltlager, ein Ring von spitzzulaufen­den Zelten, die in allen nur denkbaren Far­ben schillerten. Es war ein farbenprächtiges Bild.

Der Ring aus bunten Zelten umgürtete ei­ne Ansammlung von Gebäuden, die in tri­stem Grau gehalten waren. Aus dieser Ent­fernung waren Einzelheiten nur schwer zu erkennen, aber ich hatte den Eindruck, als seien die einzelnen Häuser sehr lang und schlank – der kompakte Gesamteindruck wurde dadurch hervorgerufen, daß die Häu­ser dicht an dicht gebaut worden waren.

Das seltsamste aber war der Ring. Einhundert Meter Durchmesser, Breite

zwanzig Meter – er stand aufrecht und um­

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gab die grauen Orgelhäuser wie eine Schlei­fe ein Geschenkpaket; es war ein dun­kelblauer Ring, von dem tristen Grau der Häuser gut zu unterscheiden.

»Noch nie habe ich so etwas gesehen«, sagte Thalia. »Ein seltsames Gebilde.«

Seltsam war der geringste Ausdruck, mit dem man diese absonderliche Siedlung be­zeichnen konnte. Auch mir, der ich in zehn Jahrtausenden irdischer und galaktischer Ge­schichte allerhand Unglaubliches zu Gesicht bekommen hatte, war ein derartiger Anblick noch nie untergekommen.

»Wenigstens leben dort Leute«, stellte Thalia fest. »Und Wasser gibt es auch.«

Sie deutete auf ein ovales Gebilde im Zeltlager. Die schillernden Reflexe verrie­ten, daß es sich um ein großes Wasser­becken handeln mußte – und prompt bekam ich fürchterlichen Durst.

»Machen wir uns auf den Weg«, schlug Thalia vor. »Vielleicht schaffen wir es, die Siedlung vor Einbruch der Dunkelheit zu er­reichen.«

Wir machten uns an den Abstieg. Das Be­wußtsein, der ersten Not einigermaßen ent­ronnen zu sein, schien uns neue Kräfte zu verleihen – wir kamen leicht und schnell voran.

Unterwegs nutzte ich jede Gelegenheit, nach dem Zeltlager und der seltsamen Ring­anlage Ausschau zu halten.

In dem riesigen Lager wimmelte es von Leben. Ich konnte Lebewesen erkennen, die aus dieser Entfernung stark menschenähn­lich wirkten. Allerdings wurden ihre Körper von dunklen Gewändern verhüllt, die weit und wallend geschnitten waren, so daß man von der eigentlichen Gestalt nicht viel sehen konnte. Erkennbar waren des weiteren Reit­tiere, breit und massig gebaut. Und rings um das gesamte Zeltlager wimmelte die Ebene von wolligen Tieren auf sechs Beinen.

Der Vergleich mit den Zeltstädten irdi­scher Nomaden drängte sich auf und ich wußte aus eigener Erfahrung, daß gerade un­ter Wandervölkern das Gebot der Gast­freundschaft hochgehalten wurde.

Aufpassen mußte man beim Kontakt mit fremden Völkern auf deren religiöse Vor­stellungen. Wer den Fehler beging, die Göt­ter und Dämonen seines Gastgebers zu be­leidigen, hatte meist nicht mehr lange zu le­ben – da half auch die Gastfreundschaft we­nig.

Offenbar beteten die Nomaden der Ebene die Sonne an, denn kaum war der rötliche Glutball in voller Größe am Himmel zu se­hen, als ich feierliche Klänge vernahm. Ge­sang stieg von dem Zeltlager auf und wurde vom Wind bis zu uns geweht.

Die Melodie war für meine Ohren fremd und ungewohnt, klang aber nicht abstoßend. Beim nächsten Halt konnte ich auch die Sänger sehen – im Lager hatten sich an vie­len Orten größere oder kleinere Gruppen ge­bildet, Chöre, die lautstark den Lobgesang auf die Sonnenscheibe anstimmten.

»Eine voreilige Folgerung, kommentierte der Logiksektor.

»Ob wir dort Freunde finden werden?« fragte Thalia, als wir uns am Fuß der Felsna­del trafen und eine kleine Pause einlegten.

»Wahrscheinlich«, sagte ich zuversicht­lich.

Aber selbst wenn wir im Zeltlager auf freundliche Eingeborene dieser Welt trafen – half uns das, diese Welt wieder zu verlas­sen?

Von einem Raumschiff war nicht das ge­ringste zu sehen. Das hieß, wenn nicht ein Wunder eintrat, daß wir auf dieser Welt fest­saßen, bis es irgend jemandem einfiel, uns abzuholen – und wer dieser Jemand sein würde, wagte ich mir nicht auszumalen. Ein Blick in die Höhe genügte, um deutlich zu machen, wer in diesem Bezirk des Univer­sums über Raumschiffe und Besatzungen verfügte.

Wir setzten unseren Weg fort. Um die Mittagszeit hörten die Gesänge

der Eingeborenen auf, und ich war ihnen sehr dankbar dafür – auf die Dauer war das Geheul, Schreien und Wimmern für meine Ohren kaum mehr zu ertragen. Hierzulande besaß man andere Vorstellungen von Wohl­

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klang, als ich gewohnt war. Erst als der Gesang verstummt war, konn­

te man die Laute hören, die von den Tieren der Eingeborenen hervorgebracht wurden. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich feststellte, daß die Lautäußerungen der Tiere weit wohlklingender waren als die ihrer Herren.

Die wolligen Sechsbeiner zwitscherten vergnügt – jedenfalls deutete ich ihre Laute so.

»Unglaublich, daß dieses wenige Gras ausreichen soll, diese riesige Herde zu er­nähren«, sagte Thalia, als wir die ersten Bü­schel des Grases erreicht hatten.

Es waren tatsächlich dürre Halme, hart und brüchig, und beim Zerbrechen setzten sie obendrein einen ausgesprochen penetran­ten Geruchsstoff frei.

Der Boden bestand aus feinkörnigem ro­tem Sand, der vom Wind bewegt wurde. Die Lebensformen, die in dieser Wüstenei exi­stierten, mußten mit sehr wenigem zufrieden sein, wenn sie überleben wollten.

»Vielleicht sieht es auf der anderen Seite der Festung besser aus«, vermutete ich.

Das Wort Festung kam mir unwillkürlich von den Lippen, obwohl mit bloßen Augen nicht zu erkennen war, ob es sich bei dem Bauwerk mitten auf der Ebene tatsächlich um eine Befestigung handelte.

»Man hat uns bemerkt!« stellte Thalia fest.

Sie deutete nach vorn. Von der Siedlung her kamen einige Reiter herangestürmt. Es war ein befremdlicher Anblick, die ver­mummten Gestalten zu sehen, von denen nur die flatternden Gewänder zu erkennen waren. Jetzt erst konnten wir sehen, daß die Eingeborenen nicht nur ihren Körper ver­hüllt hatten – über den Köpfen trugen sie auch weite Kapuzen.

Die Reittiere entwickelten ein beachtli­ches Tempo, und noch beachtlicher war die Staubwolke, die sie dabei aufwirbelten. Es konnte keinen Zweifel daran geben, daß man uns erkannt hatte – die Gruppe jagte schnurgerade auf uns zu.

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Ich konnte sogar sehen, daß sie einige le­dige Tiere mit sich führten.

»Warten wir auf unsere Gastgeber«, schlug ich vor. Thalia nickte. Sie war so froh wie ich, nicht weitermarschieren zu müssen. In der Glut der Mittagssonne war jeder Schritt eine Qual.

Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Nomaden uns erreicht hatten. Ich freute mich auf einen kühlen Trunk – obwohl mir schwante, daß die Eingeborenen vermutlich ein fürchterliches Gebräu tranken. Wasser war in solchen Landschaften knapp und ent­sprechend kostbar.

Offenbar hatten die Eingeborenen nicht nur äußerlich einiges gemeinsam mit den Nomadenvölkern, die ich von der Erde her kannte. Sie schienen auch eine ähnliche Ver­gnügung zu kennen wie sie auf der Erde als Fantasia bekannt war. Jedenfalls dachten sie nicht daran, ihren rasenden Galopp zu strip­pen, als sie uns erreichten.

»Haltung bewahren!« rief ich Thalia zu. »Und nicht erschrecken. Bei Nomaden sind solche Mutproben üblich.«

Ich hatte mich geirrt. Der erste Angriff bereits war erfolgreich. Ich war völlig verblüfft, als mir eine der

herangaloppierenden Gestalten entgegen­sprang und mich von den Beinen riß, und bevor ich mich von diesem Schrecken erholt hatte, waren zwei andere heran und hatten sich auf mich gestürzt.

»Elende Bande!« schrie ich wutentbrannt. Ich versuchte, mich freizukämpfen, aber

vergeblich. Ich bekam Stoff zwischen die Finger, ein grobes Gewebe, und darunter einen sehr langen, dürren Arm, der praktisch nur aus Knochen zu bestehen schien. Ich preßte die Fäuste zusammen und stieß damit zu, ins Leere. Ich schaffte es hoch, mit ei­nem gewaltigen Fußtritt einen der Angreifer zurückzuschleudern, dann traf mich etwas Hartes mit voller Wucht am Hinterkopf und nahm mir das Bewußtsein.

2.

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»Ihr habt mir zu gehorchen«, stellte Teht­leyn-Obed fest. »Also wird einer von euch die Sache erledigen.«

»Fällt mir gar nicht ein«, keifte Santhillia-Obed sofort. »Das ist keine Sache für eine Frau. Meine Schönheit würde darunter lei­den.«

»Die liegt ohnehin schon im Koma«, gif­tete Tehtleyn. »Also ziere dich nicht. Du kannst Kuron mitnehmen, dann bist du si­cher, daß niemand dir zu nahe treten wird.«

»Vielleicht ist es das, wovor sie Angst hat«, vermutete Carnat-Obed. »Du hast na­türlich recht, Tehtleyn, der Sache muß auf den Grund gegangen werden. Allerdings würde ich nicht Kuron schicken.«

»Und warum nicht?« polterte Kuron-Obed gereizt. »Bin ich nicht tapfer? Und stark? Und klug?«

»Nun ja«, warf Drumuuhl ein. Es war dies seine erste Bemerkung an diesem Tag und wahrscheinlich auch seine letzte. Er galt als schweigsam. Seine düsteren Augen wander­ten einmal durch die Runde, dann lehnte er sich wieder zurück und nahm die gleichgül­tige Haltung ein, für die er bekannt war.

»Wir können die Angelegenheit keines­falls auf sich beruhen lassen«, sagte Santhil­lia-Obed energisch. »Das sind wir meinem Namen schuldig.«

»Unserem Namen«, erinnerte Carnat-Obed. »Wir sind alle Obeds, die letzten in diesem Universum.«

»Noch«, sagte Santhillia-Obed und erröte­te. »Noch.«

»Sei dem wie es sei«, sagte Carnat-Obed kalt. »Wenn wir die Obedianer losschicken, kommen Obedianer zurück. Noch keiner, der als Narr gegangen, ist als Weiser zurück­gekehrt. Sie würden mehr Unheil stiften als Gutes bewirken. Folglich muß einer von uns die Expedition begleiten. Wie wäre es mit dir, Tehtleyn? Du bist schließlich Herrscher und Sippenältester.«

Tehtleyn-Obed, elf planetare Jahre alt, ki­cherte erheitert. Er war Herrscher über das Volk, und nach Geburt stand ihm der Titel des Sippenältesten zu – und das erheiterte

ihn angesichts seines tatsächlichen Alters. »Was sollte ich dabei?« fragte der Knabe

dann. »Ich muß hier Recht sprechen, das ist meine Aufgabe. Schon morgen muß ich ein paar Bäuche aufschlitzen lassen – wenn mir nicht schon wieder jemand dazwischen­fährt.«

Er warf seiner Tante einen bösen Blick zu.

»Immer wenn ich einem Mann den Kopf abhacken lassen will, wird er von ihr begna­digt«, sagte er giftig.

Santhillia zuckte mit keiner Miene. »Kommt endlich zur Sache!« brüllte

Kuron-Obed. »Ich würde mitgehen, natür­lich. Ich bin immer auf der Suche nach Abenteuern, und mein Säbel dürstet nach Blut.«

»Du bist zu dumm«, sagte Carnat-Obed. »Tapfer, aber dumm. Mach dir nichts dar­aus, es gibt andere, die feige und dumm sind, ihnen wenigstens bist du überlegen.«

»Darf er das«, fragte Kuron-Obed empört. »Darf er, Tehtleyn? Mich immerzu beleidi­gen und mir weh tun, darf er das?«

»Du könntest ihm den Schädel einschla­gen«, schlug Tehtleyn-Obed hoffnungsvoll vor.

»Wage es!« grollte Carnat-Obed. »Und du, Tehtleyn, nimm dich zusammen. Deine Blutgier wird langsam lästig.«

»Pah«, machte der Knabe. Ein leises Schnarchen verriet, daß Drumu­

uhl-Obed nicht länger gewillt war, der Un­terhaltung zu folgen.

»Wenn ein Raumschiff auf Sinkle-Eehl landet«, erklärte Carnat-Obed ruhig, »müssen wir uns darum kümmern – gleich­gültig, ob das Schiff freiwillig gelandet ist oder nicht.«

»Es könnten Scuddamoren darin stecken«, warf Santhillia-Obed ein. »Und ihr wißt …«

»Natürlich wissen wir«, schmollte Teht­leyn. »Du redest ja von nichts anderem als von unserem edlen Namen. Wir wissen, daß wir allein – die Obeds – die edelste und älte­ste Sippe dieses Reviers der Schwarzen Ga­

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laxis sind. Wir wissen, daß von Rechts we­gen uns die Herrschaft über das Revier ge­bührt – wenn uns die hinterhältigen Scudda­moren nicht alle Macht genommen hätten.«

»Das hat man davon, wenn man versucht, seiner Verwandtschaft Bildung einzuflö­ßen«, sagte Santhillia-Obed gereizt. »Die Erziehung dieses elenden Knaben kostet mich die Blüte meiner Jugend.«

Tehtleyn kicherte schrill. »Noch eine Bemerkung dieser Art, und

sie wird dich den Kopf kosten, teure Tante.« Santhillia-Obed bemerkte das charakteri­

stische Flackern im Blick ihres Verwandten und deutete eine Entschuldigung an.

»Der Lösung unseres Problems sind wir um keinen Schritt weitergekommen«, sagte Carnat-Obed resignierend. »Wer begleitet die Expedition der Obedianer?«

»Ich habe keine Lust, mich mit dem nie­deren Volk abzugeben«, sagte Tehtleyn-Obed hochmütig. »Ein anderer mag das be­sorgen. Warum gehst du nicht selbst, Car­nat?«

Carnat-Obed, der seinen kahlen Schädels wegen als der Denker der Sippe galt, machte eine abwehrende Geste.

»Nicht in meinem Alter«, sagte er. »Das muß euch doch einleuchten.«

»Und?« fragte Santhillia-Obed. »Würde ich jünger, wenn ich das Lager verließe? Du weißt so gut wie ich, daß wir die Nähe Ring­tors brauchen, wollen wir nicht altern und dahinsiechen.«

»Es bleiben also nur zwei von uns übrig, die eine Expedition nach Yöhnerladon an­führen könnten – Tehtleyn und Kuron. Sie sind beide noch jung, die wenigen Wochen der Reise werden sie gut überstehen.«

Langsam ließ Carnat-Obed seine Augen von einem Sippenmitglied zum anderen wandern. Die Kombination behagte ihm gar nicht.

Kuron-Obed, der Hüne, und Tehtleyn-Obed, Sippenältester der Obeds, allein un­terwegs. Carnat-Obed kannte seinen Ver­wandten Tehtleyn-Obed gut genug, um zu wissen, daß der starke, aber tölpelhafte

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Kuron-Obed diese Reise in irgendeinem Winkel beenden würde – im Rücken einen Dolch.

Im Lager würde Carnat-Obed mit der ält­lichen Santhillia-Obed und dem düsteren Drumuuhl-Obed zurückbleiben müssen. Carnat-Obed ließ sich von dem altjüngferli­chen Betragen Santhillia-Obeds nicht täu­schen – sie war mindestens so mordlustig wie der irre Tehtleyn-Obed. Ohne den wir­kungsvollen Schutz des starken Kuron-Obed, der Carnat-Obed aufs Wort folgte, war auch der Denker der Sippe gefährdet – zumal niemand genau wußte, mit welchen Plänen der geheimnisumwitterte Drumuuhl-Obed schwanger ging.

In der augenblicklichen Verteilung der Rollen hatte sich die Sippe einigermaßen ar­rangiert – jede Veränderung dieses Zustands konnte dem einen oder dem anderen der Obeds den Tod bringen. Carnat-Obed hatte gegen den Tod nichts einzuwenden, voraus­gesetzt es waren andere, die starben.

Der Gong wurde angeschlagen. »Herein!« rief Carnat-Obed gewohnheits­

mäßig. Er war bis zur Regierungsreife des jungen Tehtleyn-Obed Verweser des Lagers gewesen, und er hatte sich an die veränder­ten Machtverhältnisse noch nicht recht ge­wöhnen können.

»Es ist meine Sache, herein zu rufen!« zischte Tehtleyn-Obed böse. »Scher dich nach draußen, Bursche, und warte, bis ich dich rufe.«

Der Obedianer wurde bleich, verbeugte sich tief und zog sich hastig zurück. Teht­leyn-Obed grinste zufrieden und lehnte sich in seinem neuen Thronsessel zurück, den er aus den Knochen der ersten Obedianer hatte fertigen lassen, die von ihm zum Tode ver­urteilt worden waren.

»Herein!« rief er dann. Der Bote trat zö­gernd ein, verbeugte sich tief vor Tehtleyn-Obed, dann vor jedem einzelnen Mitglied der Sippe.

»Herr«, sagte er dann unterwürfig. »Großer Obed – es sind Fremde gesichtet worden.«

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»Fremde?« wiederholte Tehtleyn-Obed ungläubig.

»Unbekannte, Großer Obed«, sagte der Bote. »Sie nahen sich von den südlichen Bergen. Es sind zwei.«

Ratlos sah Tehtleyn-Obed auf Carnat-Obed.

Der Denker runzelte die Stirn. »Seltsam«, sagte er dann. »Das Yöhnerla­

don liegt im Norden, und nur von dort kön­nen Fremde kommen. Bist du sicher, daß es sich um keinen Obedianer handelt?«

»Ganz sicher, o Obed«, beteuerte der Bo­te. »Es sind sehr häßliche, feiste Gestalten. Ganz sicher handelt es sich nicht um Mit­glieder des erleuchteten Volkes – die Frem­den haben nur zwei Arme.«

Tehtleyn-Obed verzog angewidert das Gesicht.

»Eine ekelhafte Monstrosität«, sagte er und spie aus. »Oder vielleicht hat jemand den Fremden die vier fehlenden Arme abge­hackt. Das wäre keine schlechte Strafe, für unzüchtiges Pfeifen beispielsweise.«

»Was soll mit den Fremden geschehen, Großer Obed?«

Wieder sah der Knabe sich nach seinem Verwandten um. Der Denker preßte die Lip­pen aufeinander.

»Ein Täuschungsmanöver«, sagte er dann. »Schickt eine Gruppe los und nehmt die

beiden Fremden gefangen. Blutvergießen ist nur für den äußersten Notfall gestattet.«

»Richtig!« warf Tehtleyn-Obed ein. »Kein Blutvergießen – wenn hier einer Blut sprudeln läßt, dann bin ich das.«

Carnat-Obed schnippte mit den Fingern. Der Bote verneigte sich noch einmal und huschte dann davon.

»Und nun zum eigentlichen Problem zu­rück«, sagte der Denker der ObedSippe. »Wer geht nun ins Yöhnerladon?«

*

Sie waren nicht so freundlich, wie ich ver­mutet hatte – ganz im Gegenteil. Statt uns feierlich zu begrüßen, hatte sie uns niederge­

schlagen – wenigstens mich. Thalia schien weislich auf Widerstand verzichtet zu haben und ersparte sich so einiges Kopfgrimmen. Und die ledigen Reittiere waren mitnichten für uns beide bestimmt gewesen. Wir durf­ten zu Fuß laufen.

Rechts und links von mir trabten die Reit­tiere der Nomaden, und ich hatte Muße ge­nug, sie ausführlich zu betrachten.

Bis zur Schulter reichte mir das Tier, das mit gespaltenen Hufen und einem kurzen Rüssel an ein Schwein erinnerte – davon un­terschieden wurde es durch lange, spiralig verdrehte Ohren, eine mächtige Mähne und einen buschigen Schweif.

Von den Reitern dieser seltsamen Kreatu­ren bekam ich nur die Sandalen zu sehen – mit durchaus normalen Füßen darin, wenn man davon absah, daß sie sechs Zehen auf­wiesen. Vermutlich besaßen die Nomaden durchweg sechs Gliedmaßen an jeder Extre­mität. Und wenn ich die Körper unter ihren Vermummungen richtig deutete, dann ver­fügten die Nomaden über jeweils drei Arme an jeder Körperseite – kein Wunder, daß ich mich gegen diesen Zugriff nicht hatte zur Wehr setzen können. An den Gürteln trugen sie Krummsäbel, lange Dolche und unter­armlange Keulen, die wahrscheinlich auch dazu taugten, geworfen zu werden. Mit einer dieser Keulen hatte man mich außer Gefecht gesetzt.

Von Thalia konnte ich nur dann etwas se­hen, wenn ich mir fast den Hals verrenkte. Sie trabte hinter mir, mit jeder Hand an den Sattel eines Reitschweins gebunden – und ebenso wie ich mit einem Strick um den Hals, dessen anderes Ende in der Hand eines Nomaden lag. Uns blieb nichts anderes üb­rig, als neben den Reitschweinen herzulau­fen. Die Tiere trabten nur, aber für uns war das Tempo bereits nach kurzer Zeit er­schreckend hoch. Ich war mir sicher, daß die Nomaden uns an den Hälsen nachschleifen würden, wenn wir stolperten und stürzten.

»Eine hübsche Mutprobe«, sagte Thalia mit unverkennbarem Spott. »Aua!«

»Was ist …«

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Ich bekam einen harten Gegenstand auf den Kopf geschlagen und wußte nun, warum Thalia leise aufgeschrien hatte. Uns war ver­boten zu sprechen, Zuwiderhandlungen wur­den mit Keulenhieben geahndet. Ich zog es vor, den Mund zu halten. Mit den Nomaden war nicht zu spaßen, ich merkte es, als ich ins Stolpern geriet und es nur mit einem bei­nahe akrobatischen Sprung schaffte, wieder auf die Beine zu kommen, bevor mir die Schlinge um den Hals den Garaus machte.

Die wolligen Sechsbeiner, die so pracht­voll zwitschern konnten, wiesen daneben noch einen höchst bemerkenswerten Geruch auf, der einem buchstäblich den Atem ver­schlagen konnte.

Ich mußte mich anstrengen, den Brechreiz zu unterdrücken, als wir durch die ersten Herden geführt wurden. Die Sache hatte nur den einen Vorteil, daß in dem Gewimmel, der grobwolligen Leiber auch die Reittiere der Nomaden nur sehr langsam vorankamen. Die Aasschafe, wie ich sie insgeheim getauft hatte, wußten anscheinend sehr genau, daß sie von großem Wert für die Nomaden wa­ren. Sie trotteten hoheitsvoll zur Seite, zwit­scherten empört, wenn sie angestoßen wur­den und traten ab und zu sogar nach den Reitschweinen.

Es dauerte einige Zeit, bis wir diesen le­benden Gürtel um die Siedlung passiert hat­ten, und ich nutzte diese Zeit, um wieder zu Luft zu kommen, selbst auf die Gefahr hin, daß mich die Ausdünstungen der Aasschafe erstickten. Nachdem das Lager erst einmal erreicht war, verfügten unsere Häscher plötzlich über viel Zeit. Vermutlich wollten sie ihre Beute eindrucksvoll vorführen, je­denfalls ließen sie ihre Reitschweine im Schrittempo gehen, und unsere Hälse waren nicht länger gefährdet.

Jetzt hatte ich auch Muße, mir das Zeltla­ger genauer anzusehen. Es gab zwei ver­schiedene Arten von Zelten – das eine war vergleichsweise flach und rund, die zweite Art lief spitz zu. Der erste Typus erinnerte an mongolische Jurten, der zweite eher an indianische Tipis. Die hohen, spitzen Tipis

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waren bunt bemalt und teilweise kunstfertig bestickt; die flachen Zelte sahen eher un­scheinbar aus. Vor den Eingängen der prunkvollen Spitzzelte standen Eingeborene mit Waffen, wohingegen die Wesen, die aus den flachen Zelten ins Freie traten, mit Krü­gen beschäftigt waren. Daran ließ sich ziem­lich leicht die Arbeitsteilung dieser Noma­den ermitteln – wie so oft im Universum hatten sich die Männer die angeblich edlen Beschäftigungen der Jagd, des Krieges und des Viehhütens vorbehalten. Die Arbeit hin­gegen war Sache der Frauen; dem entsprach dann auch die Ausstattung der Zelte.

Für die Kinder schien es keine so festen Vorschriften zu geben. Eine Heerschar wie­selflinker Gestalten kam uns entgegenge­rannt, die meisten nackt. Jetzt konnte ich deutlich erkennen, daß wir tatsächlich von sechsarmigen Lebewesen gefangengenom­men worden waren, die durchweg sehr schlank, ja hager geraten waren.

Die Kinder verhielten sich, wie ich es er­wartet hatte. Zunächst begafften sie uns scheu, dann wurden sie frech und beleidig­ten uns – dabei konnte ich feststellen, daß sie ein seltsames, aber immerhin verständli­ches Idiom sprachen – eine Abart des Gar-va-Guva. Der Extrasinn lieferte mir die knappe Information, daß es sich bei dieser Sprache um eine sehr alte Form des Garva-Guva handelte – und die Warnung, daraus nicht voreilig zu folgern, wir befänden uns noch im Marantroner-Revier.

Mir genügte es zu wissen, daß wir uns mit den Eingeborenen verständigen konnten – denn das würde bitter nötig sein.

Die einheimischen Lausebengel hatten nämlich nach kurzer Zeit jegliche Angst vor uns verloren. Sie bedachten uns nicht länger nur mit wüsten Beschimpfungen, sie nah­men auch allerlei zur Hand, um damit nach uns zu werfen, was sich gerade so fand. Ich mußte abenteuerliche Verrenkungen ausfüh­ren, um von den Geschossen nicht getroffen zu werden, und das amüsierte die Rasselban­de und stachelte ihren Eifer nur noch an. Als die Sache lebensgefährlich zu werden be­

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gann – es kamen jetzt auch Wurfkeulen her­angesaust – griffen unsere Wächter ein. Mit rauhen Zurufen trieben sie die Meute ausein­ander. Ich vernahm einige Male das Wort Obed, mit dem ich aber nicht viel anfangen konnte. Der Reiter an meiner rechten Seite verhieß den mordlustigen Knaben alle Stra­fen der Hölle und zum Schluß die Wut des Großen Obed – und diese letzte Beschwö­rung zeigte die erhoffte Wirkung. Die Halb­wüchsigen stoben kreischend auseinander, zumal noch eine Gruppe Bewaffneter zu Fuß auftrat. Die Männer trugen lange Spieße in den Händen, deren Spitzen in der Sonne blinkten.

»Wir werden sie zum Großen Obed füh­ren«, sagte der Anführer der Gardisten. »Gib die Fremden uns.«

Mein Wärter grunzte verächtlich, dann warf er das Ende des Strickes dem Gardisten zu. Der Nomade riß sein Reitschwein her­um, stieß einen schrillen Schrei aus und jag­te davon.

Die Speerträger nahmen uns in die Mitte. Ich nutzte die kleine Pause, um mich nach Thalia umzusehen. Sie sah ein wenig er­schöpft aus, dazu unsagbar dreckig – auch sie hatte ein Bombardement mit Unrat aus­halten müssen. Sie verzog das Gesicht zu ei­nem müden Lächeln, das sanften Spott aus­drückte. Ich lächelte bedauernd zurück. Mit dieser Entwicklung hatte ich nicht rechnen können. Dabei stand uns der Höhepunkt erst noch bevor. Wenn ich den Gardisten richtig verstanden hatte, dann sollten wir dem Großen Obed persönlich vorgeführt werden, dessen Namen offenbar gefürchteter war als die höllischen Eiswüsten.

3.

Man führte uns auf einen großen freien Platz, sandbestreut und makellos sauber. Nicht der kleinste Fußtritt war auf dem fein­körnigen Sand zu sehen. In der Mitte des Areals war das ovale Wasserbecken zu er­kennen, davor eine Reihe von Pfählen. Ich brauchte meine Phantasie nicht erst anzu­

strengen, um diese Zusammenstellung rich­tig interpretieren zu können. Wer das Un­glück hatte, dem Großen Obed zu mißfallen, durfte bis zu seinem Tod an einen Pfahl ge­fesselt zusehen, wie andere ihren Durst still­ten.

Wir standen am Rand dieses Platzes, und ab und zu schielte ich begehrlich zu dem Wasser hinüber. Ich hatte seit vielen Stun­den nichts mehr getrunken, und angesichts des Wasserbeckens wurde mein Durst lang­sam unerträglich.

Nimm dich zusammen, mahnte der Logik­sektor. Erinnere dich an eine ähnliche Lage vor einigen Jahrzehnten.

Richtig, Hellgate! Ich war dort auf meiner Flucht von der Erde notgelandet, zusammen mit einem hageren, grauäugigen Individuum namens Perry Rhodan. Damals war es zu ei­nem Psychoduell zwischen uns beiden ge­kommen – ebenfalls um das Zentralthema Wasser, und ich hatte Perry Rhodan mit ei­nem grauenvoll schlechten Knüttelvers bei­nahe um den Verstand gebracht.

Die Eingeborenen würden sich von mei­ner Reimkunst schwerlich so beeindrucken lassen, da war ich mir sicher.

Wir warteten. Mit uns warteten die Bewohner des La­

gers. Den freien Platz zu betreten, hatten die Eingeborenen nicht gewagt, ein Zeichen, wieviel Angst sie vor ihrem Herrscher hat­ten, der vermutlich auf die Anrede Großer Obed hörte. Auf der anderen Seite des Plat­zes, der von dichten Eingeborenenscharen umlagert war, gab es in dem Bündel von schlanken grauen Häusern ein großes Tor, vor dem ein Dutzend Posten mit aufge­pflanzten Speeren und grimmigen Gesich­tern standen.

Aus der Höhe erklang Fanfarengeschmet­ter. Das Tor wurde von ihnen geöffnet und erwies sich dabei als Lattenkonstruktion, die mit dicken Lederschichten überzogen war.

Der Große Obed betrat das Rund. Im Gegensatz zu ihren Untertanen ver­

hüllten sich die Mitglieder der herrschenden Familie nicht sehr. In jedem Fall waren die

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Gesichter deutlich zu erkennen. Chef der Sippe war ein älterer Glatzkopf,

der uns sofort böse anfunkelte, als er uns zu Gesicht bekam. Ihm folgte eine Gestalt, die sich durch ihre breiten, muskelbepackten Schultern von den übrigen unterschied – und durch einen Gesichtsausdruck fröhlichen Schwachsinns. Neben dem Hünen schlich – anders ließ sich diese Fortbewegungsart kaum bezeichnen – eine hagere Frau mit scharfgeschnittenen Zügen und dem Blick eines hungrigen Raubvogels. Sie trug ihr dunkles Haar lang, zu einem dicken Zopf geflochten, der bis fast auf den Boden hinab­reichte. In das von silbrigen Fäden durch­setzte Haar waren bunte Bänder eingefloch­ten, die in allen Regenbogenfarben schiller­ten. Ähnlich farbenprächtig war auch das Gewand der Frau, und als sie den schillern-den Faltenwurf einmal bewegte, waren zwei ringübersäte Hände zu sehen.

Neben der Frau ging offenbar ihr Gatte – ich folgerte das aus den düsterverhangenen Gesichtszügen des Mannes, der stämmig und gewichtig auf den Platz stapfte. Das Schlußlicht bildete ein Knabe, der fröhlich grinste, wahrscheinlich das Kind der beiden.

Ein harter Gegenstand wurde mir in den Rücken gestoßen. Ich stolperte nach vorn. Offenbar sollten wir uns vorstellen. Ich sah kurz zur Seite, an Thalia war eine ähnlich sanfte Einladung ergangen.

Langsam schritt ich über den feinen Sand, der unter meinen Füßen leise knirschte. Ich bedauerte, daß man mir die Hände auf dem Rücken gefesselt hatte, die schwungvollen Handbewegungen, die ich am Hof des vier­zehnten Ludwig hatte lernen dürfen, hätten sich in dieser Atmosphäre sicherlich gut aus­genommen. Ich blieb zehn Schritte vor den Herren des Lagers stehen, dann verbeugte ich mich, so gewandt, wie das unter diesen Umständen möglich war – erst vor der Frau, dann vor ihrem Gatten, schließlich vor dem Kahlkopf und dem Hünen.

Fehler! diagnostizierte der Extrasinn trocken. Ich hatte es in diesem Augenblick ebenfalls bemerkt. Während die Frau mich

Peter Terrid

mit größtem Wohlwollen betrachtete – der Blick war alptraumerregend – sah mich der Knabe mit einem schadenfrohen Gesichts­ausdruck an. In seinen Augen loderte der Irr­sinn.

»Man sollte euch die Bäuche aufschlit­zen«, begrüßte er uns.

Ich schluckte. Wenn, wie ich zu befürchten begann, der

Knabe der Große Obed war, hatten wir nichts mehr zu lachen.

»Ich bitte um Verzeihung, wenn ich etwas falsch gemacht haben sollte«, versuchte ich meinen Fehler zu korrigieren.

»Wer bist du, wie heißt du, und was willst du hier?«

»Wir sind hier notgelandet«, versuchte ich zu erklären.

Meine nächste Bemerkung ging in einem allgemeinen Wutgeheul unter. Schlagartig begann die Menge zu toben.

»Schlagt sie tot!« konnte ich hören. »Steinigt die Verbrecher. Nieder mit dem Gesindel!«

»Notgelandet?« fragte der Knabe freund­lich, und das war noch beängstigender als das Gebrüll der Menge.

Ich konnte und wollte die Lüge nicht zu­rücknehmen. Hätte ich die Wahrheit erzählt, hätte das unsere Lage wahrscheinlich noch verschärft – die Wahrheit war noch unglaub­licher als die Lüge, die ich den Herren des Lagers unterbreitete. Also nickte ich.

»Und wo ist euer Schiff?« Der Kahlköpfige hatte gesprochen, seine

Stimme klang scharf. Ich versuchte unsere Geschichte auszu­

schmücken und deutete auf die Berge, aus denen wir gekommen waren.

»Das Wrack liegt irgendwo in den Ber­gen«, log ich drauflos. »Es ist völlig zerstört und unbrauchbar. Wir sind die einzigen Überlebenden.«

Vielleicht nahm den mageren Nomaden diese Auskunft etwas von der Angst, die sie erfüllen mußte. Mich erstaunte, daß sie et­was von Raumschiffen wußten – das gab mir Hoffnung, daß sie vielleicht in der Lage

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waren, uns zu einem Schiff zu verhelfen. »Gibt es in der Nähe vielleicht eine grö­

ßere Siedlung, eine Stadt, mit einem Raum­hafen?«

»Ringtor ist die größte Siedlung auf Sinkle-Eehl«, versetzte der Knabe verblüfft. »Und hier gibt es keinen Raumhafen.«

Wenn nicht, woher wußten die Nomaden dann überhaupt, daß es dergleichen gab? Ich unterließ es, eine entsprechende Frage zu stellen. Der Kahlkopf fixierte mich. Die Blicke des Düsteren hingegen waren auf Thalia gerichtet – beides gefiel mir nicht.

»Wir möchten eure Gastfreundschaft nicht über Gebühr in Anspruch nehmen«, er­klärte ich und deutete eine Verbeugung an. Dem Knaben konnte ich damit keinesfalls imponieren.

»Kein Wunder«, sagte der Kahle scharf. »Ihr seid Scuddamoren, gesteht es!«

In diesen Verdacht zu geraten, war in je-dem Fall lebensgefährlich. Außer bei Scud­damoren waren die Wesen mit den Schatten­schilden bei niemandem beliebt.

»Wir sind keine Scuddamoren«, wehrte ich sofort ab. »Sehen wir vielleicht wie Scuddamoren aus?«

»Das tun sie wahrhaftig nicht«, sagte die Frau hastig. Der Kahle machte eine abweh­rende Handbewegung.

»Wer weiß schon, wie die Scuddamoren heutzutage aussehen«, sagte er. »Sehen wir vielleicht aus wie damals, als wir die Herren in diesem Bereich des Universums waren – wir, die Obeds?«

Langsam bekam die Sache Hand und Fuß. Die fünf Gestalten waren also Obeds, gehör­ten zu den ehemaligen Herrschern des Re­viers, in dem wir uns befanden. Wenn, wie sie es ausdrückten, ihre Gestalt früher anders gewesen war, dann mußte die Zeit der Obeds sehr lange zurückliegen – viele Jahr­tausende mindestens.

»Man könnte ihnen die Bäuche aufschlit­zen und innendrin nachsehen!« schlug der Große Obed vor, das liebenswürdige Kind.

»Könnt ihr beweisen, daß ihr keine Scud­damoren seid?«

Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte nicht einmal beweisen, wer ich war, zu beweisen, wer ich nicht war, stellte eine unlösbare Aufgabe dar.

»Würden Scuddamoren euch um Hilfe bitten?« versuchte ich zu argumentieren. »Außerdem tragen Scuddamoren bekannt­lich Schattenschilde.«

»Aha!« sagte der Kahlkopf und kicherte bösartig. »Wenn das stimmt, dann kennt er Scuddamoren. Und ob er selbst ein Scudda­more ist oder nur mit Scuddamoren befreun­det – sagt mir, Obedianer, was mit Scudda­moren-Freunden geschehen soll.«

»Tötet sie!« brüllte die Menge. »Macht sie nieder!«

Die Meute machte Anstalten, uns an Ort und Stelle zu massakrieren. Mit drohenden Mienen marschierten die vordersten Reihen auf uns, zu. Wegzulaufen hatte keinen Sinn, wir waren von allen Seiten eingekreist.

Der Knabe gab ein Zeichen mit der Hand – der linken, mittleren, an der er einen auf­fälligen Ring trug, der viel zu groß für ihn war.

Seine Leibgarde fällte die Speere und marschierte auf die Obedianer zu. Maulend wich die Menge zurück. Vorerst, so schien es, waren wir gerettet.

Der Knabe schielte zu dem Kahlköpfigen hinüber.

»Bauchaufschlitzen?« fragte er hoff­nungsvoll.

Ich atmete erleichtert auf, als der Kahl­kopf verneinte.

»Immer mußt du mir den Spaß verderben, Carnat«, maulte der Knabe.

»Bindet die beiden an die Pfähle!« sagte Carnat-Obed und gab den Wachen einen Wink. »Wir werden überlegen, was mit ih­nen zu geschehen hat.«

»Und wenn uns nichts einfällt?« wollte der Hüne wissen.

»Hihihi«, kicherte der Knabe. »Dann löst sich das Problem ohnehin von selbst. Los, Männer, bindet sie!«

Zwei der Wächter packten mich an den Armen und stießen mich vorwärts. Ich ver­

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zichtete auf Gegenwehr, sie war sinnlos. Vielleicht half es, wenn wir uns fügten.

*

Es war die zweite Nacht unter freiem Himmel auf diesem Planeten. Wie fast im­mer in Wüstengebieten wurde es nachts ebenso kalt, wie es tagsüber heiß gewesen war. Temperaturunterschiede von bis zu sie­bzig Grad Celsius waren unter so extremen Bedingungen sehr leicht möglich.

Ich war auf einer Welt geboren worden, die von einer heißen Sonne bestrahlt wurde. Ich war höhere Temperaturen gewöhnt, und schon kurz nach Anbruch der Nacht fror ich ganz entsetzlich.

Die Kühle, die mir in die Glieder kroch, milderte ein wenig den Durst, der mich pei­nigte.

Den ganzen Nachmittag lang hatten wir in der Sonne gestanden, angebunden und ohne Wasser. Das Becken mit kristallklarem Was­ser hatte uns die ganze Zeit über vor den Augen gestanden. Natürlich war es keinem der Bewohner der Siedlung eingefallen, uns etwas zu trinken zu geben – wir hatten aller­dings auch nicht um Wasser gebeten.

Jetzt stand der kleine silberne Mond wie­der am Himmel. Leicht kräuselte sich die Oberfläche des Beckens, ein kaum wahr­nehmbarer Wind strich über das Land. In der Ferne hörten wir die gleichen Tierlaute wie in der letzten Nacht, nur wesentlich lauter und gefahrkündender.

Das Zeltlager lag in tiefem Schlaf, ab und zu trabte ein Tier durch die Gassen zwischen den Zelten, in regelmäßigen Abständen er­tönte ein Horn, das den Posten offenbar die Stunden anzeigen sollten. Das Tor zum Wohngebäude der Obed-Sippe war ver­schlossen.

Von Thalia kam ein leises Seufzen. Sie hatte sich bisher tapfer gehalten, wie

es ihre Art war. Jammern und Wehklagen waren ihre Sache nicht, aber der Durst wur­de langsam unerträglich.

Seit Stunden zermarterte ich mir das Ge-

Peter Terrid

hirn, wie Thalia und ich aus dieser Zwick­mühle herauskamen. Was wir auch taten – die Obeds und ihre Untertanen würden es uns mit Sicherheit falsch auslegen. Den gan­zen Nachmittag über hatte ich die Wut der Menge studieren dürfen. Man hatte mich be­spien und geschlagen, ich blutete aus einer Stirnwunde, die mir ein Stein geschlagen hatte, und in meiner linken Hand zeugten deutliche Zahnabdrücke von einem haßer­füllten Ausbruch. Es war ein kleines Mäd­chen gewesen, das hastig davongerannt war. Wenn schon die Kinder derart haßerfüllt wa­ren. Es gab nur eine Möglichkeit, dieses Di­lemma zu beenden – wir mußten den Obe­dianern einen handfesten Beweis liefern, daß wir keine bösen Absichten hatten. Aber wie sollten wir das bewerkstelligen, angebunden und wehrlos?

Ich hielt den Augenblick für gekommen, einen Befreiungsversuch zu unternehmen. Schon vor Stunden hatte ich mir überlegt, daß die Obedianer ihre Fesseln wahrschein­lich nach ihren Körperkräften bemaßen, nicht nach meinen. Für den Maßstab dieser Zeit war ich ungewöhnlich muskelbepackt. Vielleicht hatte ich eine Chance, die Stricke zu zerreißen, die mich an den Pfahl fessel­ten.

»Endlich«, sagte neben mir eine klare Stimme. Ich hörte ein leises Schnalzen, und ein paar Augenblicke später stand Thalia vor mir. Sie rieb sich die Handgelenke, die ein wenig bluteten.

»Ich habe mir die ganze Zeit über ge­dacht, daß die Stricke nicht dick genug sind«, sagte sie zufrieden. »Warte, ich helfe dir.«

Ich unterdrückte mit Mühe ein Lachen. Thalia war offensichtlich auf den gleichen Gedanken wie ich gekommen, und sie hatte ihn konsequent in die Tat umgesetzt. Mit ih­rer Hilfe hatte ich mich ein paar Augen­blicke später ebenfalls meiner Fesseln entle­digt.

»Ich schlage vor, wir verschwinden von hier«, sagte Thalia. »Mit diesen Obeds ist nicht zu spaßen. Und wie dich diese Ziege

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angesehen hat …« Wieder konnte ich nur mit Mühe ein La­

chen unterdrücken. Dann aber erinnerte ich mich an den quälenden Durst und an das verlockende Wasser in der Nähe.

»Erst zum Wasser«, flüsterte ich. »Danach werde ich versuchen, ein paar die­ser merkwürdigen Reittiere zu stehlen.«

Das Wasser in dem ovalen Becken war kalt und klar, und wir tranken davon wie be­sessen. Erst als beim besten Wille kein Tropfen mehr in meinen Leib hineinzupas­sen schien, hörte ich mit Trinken auf. Thalia ging es nicht besser.

»Hältst du es wirklich für gut, eines oder mehrere dieser Tiere zu stehlen? Sie könnten Lärm machen, und vielleicht sind wir nicht in der Lage, darauf zu reiten. Und ganz ab­gesehen davon – es ist Diebstahl, und solche Lebewesen reagieren auf Viehdiebstahl sehr empfindlich.«

»Mag sein«, räumte ich ein. »Aber zu Fuß ist eine Flucht sinnlos – man würde uns in ein paar Stunden wieder eingefangen ha­ben.«

»Wir werden sehen, wer recht hat«, ver­setzte Thalia. »Wohin willst du überhaupt fliehen? Ringtor ist, wenn ich mich recht er­innere, die größte Siedlung dieser Welt.«

»Ich weiß«, sagte ich betrübt. »Und es gibt angeblich keinen Raumhafen. Aber ich bin sicher, daß wir von den Obeds einige faustdicke Lügen zu hören bekommen ha­ben. Ich schlage vor, daß wir uns nach Nor­den wenden. Ich hoffe, daß diese Nomaden nicht tatsächlich ihre ganze Welt kennen – dafür sind es zu wenige, und diese Welt ist nicht eben klein.«

Thalia zuckte nur mit den Schultern. So leise wie möglich huschten wir durch

das nächtliche Lager. Einige Köter be­schnupperten uns unterwegs, trollten sich aber, als sie mit unsanften Fußtritten bedacht wurden. Es waren merkwürdige Kreaturen, sie erinnerten mit ihren schuppigen Leibern an Rieseneidechsen.

Waffen fanden wir keine. Wir stießen nur am anderen Ende des Lagers auf eine un­

übersehbare Herde von Aasschafen, die wir am Geruch unschwer erkennen konnten. Erst als wir das Zeltlager halb umkreist hatten, fanden wir auch Pferche mit Reittieren.

Zwei Wachen lagen vor den Gattern am Boden und schnarchten friedlich. Wir brauchten nur einmal kräftig zuzugreifen, um diesen Schlaf in die Tiefe einer Bewußt­losigkeit zu steigern. Ihre Waffen kamen uns gerade recht, unsere Ausrüstung zu komplet­tieren.

Wir sattelten zwei der Reitschweine und konnten nur hoffen, daß wir uns nicht gerade die langsamsten Traber ausgesucht hatten. Zwei weitere Tiere bepackten wir mit Was­serschläuchen, die wir auf einem Haufen entdeckt hatten. Ich fand auch noch zwei brauchbare Bögen an einem Männerzelt hängen, daneben zwei gefüllte Köcher. Die ganze Zeit über – wir brauchten mehr als ei­ne Stunde, bis wir unsere Ausrüstung bei­sammen hatten – störte uns keine Seele. Das Lager lag in tiefem Schlaf, und das galt auch für die Wachtposten. Das einzige, was wir nicht finden konnten, waren Nahrungsmittel. Wir hatten zwar tagsüber die Eingeborenen trinken sehen, nicht aber essen. Der Himmel mochte wissen, wovon sie sich ernährten. Wir führten unsere Beutetiere an den leder­nen Zügel vom Lager weg, damit ihre Huf­tritte nicht zu hören waren. Das weite Land lag im Licht des kleinen Silbermonds, ein ausgesprochen idyllischer Anblick; man mußte nur vergessen, daß man gerade erst dem Tod durch Verschmachten entkommen war und nun vor einem möglicherweise noch übleren Schicksal flüchtete.

»Auf denn!« sagte Thalia leise und schwang sich in den Sattel.

4.

»Sie werden es sicher noch eine Zeitlang aushalten«, sagte Drumuuhl gelassen. »Ich habe gerade gehorcht, keiner von beiden gibt auch nur einen Ton von sich.«

»Man hätte ihnen die Bäuche aufschlitzen lassen sollen«, maulte Tehtleyn gekränkt,

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weil man ihn um den ganzen Spaß gebracht hatte.

»Es sind ganz sicher keine Scuddamo­ren«, erklärte Carnat. »Scuddamoren sehen anders aus. Vor allem aber – Scuddamoren hätten sich niemals in die Nähe von uns Obeds gewagt.«

»Sie hätten gewußt, daß dies der sichere Tod für sie ist«, krähte Tehtleyn. »Ich hätte ihnen die Bäuche aufschlitzen lassen.«

»Wenn es aber keine Scuddamoren sind, was sind sie dann?« fragte Santhillia. »Habt ihr das Haar von dem Mann gesehen? Ganz weiß, und dabei sieht er gar nicht einmal alt aus.«

»Vielleicht haben alle diese Leute weiße Haare«, vermutete Kuron. »Möglich, daß so etwas bei diesen Wesen sogar als schön gilt.«

»Meinst du wirklich?« fragte Santhillia hoffnungsvoll.

»Und selbst wenn sie keine Scuddamoren sind«, sagte Carnat energisch. »Sie sind hier mit einem Raumschiff gelandet.«

»Es ist zerstört«, warf Drumuuhl ein. »Wir könnten damit nichts anfangen.«

»Begreift doch!« schrie Carnat wütend. »Die Scuddamoren werden es niemals zulas­sen, daß irgend jemand in ihrem Herr­schaftsbereich einfach mit einem Raum­schiff herumfliegt. Ich wette meinen Kopf, daß das Schiff der beiden von den Scudda­moren registriert worden ist. Wahrscheinlich ist es in der Kartei Gär erfaßt.«

Schweigen breitete sich im Raum aus. Lag die glorreiche Vergangenheit der Obed-Sippe auch weit zurück, umweht von den Schleiern der Vergessenheit, noch wußten die Obeds, wer ihre Feinde waren. Und die Kartei Gär, das Hirn der Scuddamoren­macht, hatte einen Ruf, der auch den Obeds nicht unbekannt war.

»Na und?« fragte Tehtleyn. »Was ist schon dabei?«

»Das werde ich dir sagen, bäucheschlit­zender Knabe!« zischte Carnat. »Wenn ein Raumschiff verschwindet, dann wird diese Nachricht früher oder später in der Kartei

Peter Terrid

Gär erscheinen. Und dann wird diese Kartei den Scuddamoren automatisch melden, daß ein Raumschiff verschwunden ist. Und was glaubt ihr, werden die Scuddamoren dann unternehmen?«

»Sie werden … oh, bei allen Göttern …« Santhillia war bleich geworden. »Sie werden suchen nach diesem Schiff,

und ich kenne diese Brut gut genug, um zu wissen, daß sie das Schiff auch finden wer­den. Wo? Bei uns! Und wen werden sie stra­fen und züchtigen für den Verlust? Uns!«

»Uns gibt es doch gar nicht mehr«, sagte Tehtleyn eingeschüchtert. »Ich denke, wir sind bei den Feinden in Vergessenheit gera­ten.«

»Pah«, machte Carnat. »Es gibt Unterla­gen, Dokumente, Urkunden, Überlieferun­gen – einmal auf die Fährte gekommen, wird Chirmor Flog nicht ruhen und rasten, bis er uns getötet hat.«

»Könnte man ihm nicht …« »Nein, man kann nicht«, fuhr Carnat dem

Knaben ins Wort. »Wir müssen jede Spur, die auf das notgelandete Schiff hinweisen könnte, verschwinden lassen – und das gilt vor allem für die beiden Besatzungsmitglie­der.«

»Und was ist mit dem Schiff im Yöhner­ladon?« wollte Drumuuhl wissen.

»Es scheint zumindest teilweise noch in­takt zu sein – jedenfalls steht der Schutz­schirm noch. Wir wissen nicht einmal, ob es überhaupt ein Scuddamoren-Schiff ist.«

»Vielleicht kommen die beiden aus dem Schiff.«

»Unsinn, Kuron. Erstens kamen die bei­den aus dem Kilderphan, und das liegt in der entgegengesetzten Himmelsrichtung. Und außerdem hätten die Boten uns davon be­richtet – unsere Reiter sind schnell, und un­sere Späher haben gute Augen.«

»Sie sind nur ein wenig blöde«, bemerkte Drumuuhl trocken. »Aber ich gebe dir recht. Was schlägst du vor?«

»Die beiden Gefangenen werden schnell­stens getötet, ihre Leichen werde ich spurlos verschwinden lassen. Die Obedianer werden

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nach den Trümmern des abgestürzten Schif­fes im Kilderphan suchen und sie ebenfalls verschwinden lassen.«

»Und wenn die Scuddamoren nach dem Schiff suchen …?«

»Werden wir schweigen, Santhillia, und uns dumm stellen. Vielleicht hilft das.«

»Wir werden tun, was du sagst«, rief Tehtleyn. »Ich werde befehlen, und die Obe­dianer werden tun, was wir wollen. Und die beiden Gefangenen müssen sterben?«

Carnat sah Santhillias zusammengepreßte Lippen und machte eine bejahende Geste.

»Darf ich?« sagte Tehtleyn, der vergessen zu haben schien, daß er der Sippenälteste war. »Ich möchte so gerne …«

»Mach dir den Spaß«, sagte Carnat und zuckte mit vier Achseln.

Der Knabe klatschte vor Freude in alle Hände, griff hastig nach ein paar Waffen und verließ den Raum.

Nur wenige Minuten verstrichen, dann kehrte er bleich und zitternd zurück.

»Sie sind weg!« rief er. »Einfach ver­schwunden!«

*

»Leise!« mahnte Carnat. »Wir wollen das Lager nicht wecken. Die Leute brauchen nicht alles zu wissen.«

So geräuschlos wie möglich schritten die Obeds über den verlassenen Platz vor der Festung. Deutlich waren im Licht des Mon­des die Fußspuren der Flüchtigen zu erken­nen.

»Kaum zu glauben«, murmelte Kuron. Er nahm die Stricke auf, die in zwei kleinen Haufen vor den Pfählen lagen. »Glatt durch­gerissen. Und hier hat die Frau gestanden.«

»Sie sind allem Anschein nach erheblich kräftiger als die Obedianer«, erklärte Sant­hillia. »Ich habe das gleich gesehen.«

Carnat öffnete den Mund, unterdrückte dann aber die spitze Bemerkung, die ihm er sichtlich auf der Zunge gelegen hatte.

»Drumuuhl, sieh nach, wohin sie ver­schwunden sind.«

Der Düstere nickte und verschwand im Gewirr der Gassen zwischen den Zelten des Lagers.

»Sie müssen verrückt sein«, sagte Teht­leyn. »Mir eine solche Frechheit zu bieten. Einfach zu verschwinden, ohne mich um Er­laubnis zu fragen. Ich werde ihnen …«

»Halt den Mund«, zischte Carnat. »Wir müssen überlegen, was zu tun ist.«

Er sah hinauf zum Himmel. Die Nacht war klar, und das Sternenlicht reichte mit dem Mondschein aus, die Landschaft zu er­hellen.

»Wahrscheinlich«, sagte Carnat, und er tastete unwillkürlich nach dem Dolch in sei­nem Gürtel, »sind sie schon tot. Oder sie halten sich noch im Lager versteckt.«

Drumuuhl kehrte zurück, auf dem Gesicht ein breites böses Grinsen.

»Sie haben zwei Wachen niedergeschla­gen, überall Ausrüstung zusammengestohlen und sich dann mit einigen Tinktern davonge­macht.«

»Die Tiere der Wildnis werden ihnen den Garaus machen«, erklärte Kuron.

»Ihr ratet nicht, wohin sie geflohen sind«, fuhr Drumuuhl fort.

»Was denn, doch nicht …?« Drumuuhl nickte.

»Nach Norden«, sagte er. »Ins Yöhnerla­don.«

Carnat-Obed murmelte einen wüsten Fluch. Santhillia errötete heftig.

»Das ist kein Zufall«, sagte er. »Ganz be­stimmt ist das kein Zufall. Sie wollen zu dem Schiff im Yöhnerladon. Sie haben uns belogen und betrogen.«

»Wie gemein!« entfuhr es Tehtleyn. »Ich werde …«

»Du wirst dich ins Haus scheren«, knurrte Carnat. »Leg dich hin und schlaf.«

Tehtleyn zog eine Schnute, aber er ge­horchte.

»Nun zu uns«, fuhr Carnat fort. »Wir müssen den beiden nachsetzen.«

»Jetzt?« ereiferte sich Santhillia. »Mitten in der Nacht? Wir sind doch keine Selbst­mörder?«

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»Wollt ihr warten, bis die beiden das Schiff erreicht und uns eine ganze Scudda­moren-Flotte auf den Hals gehetzt haben? Begreift doch endlich – die Zeit der Ruhe und des Friedens ist vorbei. Es geht um un­ser Leben.«

»Das bedeutet aber nicht, daß wir leicht­sinnig werden«, bemerkte Drumuuhl. »Du weißt, wie gefährlich es nachts im Freien ist. Vermutlich werden wir von den beiden mor­gen nur noch ein paar Knochen sehen.«

Carnat schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht«, sagte er. »So

dumm erscheinen mir die beiden Gefange­nen nicht. Und deshalb müssen wir sofort handeln, sonst holen wir die beiden nicht ein.«

»Was schlägst du vor?« Carnat zögerte einen Augenblick lang. »Wir lassen Tehtleyn in Ringtor zurück.

Wir anderen werden zusammen mit einer Tausendschaft die Verfolgung aufnehmen – und zwar sofort.«

»Tehtleyn zurücklassen? Ganz allein?« »Warum nicht«, sagte Carnat schulter­

zuckend. »Uns kann er nicht gefährlich wer­den. Wir sind nicht da. Sich selbst wird er wohl nicht umbringen wollen.«

»Sprich nicht so schlecht von Tehtleyn«, sagte Santhillia. »Er ist noch ein Kind.«

Carnat winkte ab. »Also, was sagt ihr dazu?« Er sah sich um. Seine Verwandtschaft war

mit dem Vorschlag einverstanden. »Dann wollen wir das Lager wecken«,

sagte Carnat. »In spätestens einer Stunde brechen wir auf.«

*

Ich sah mich um. Von Ringtor war nichts mehr zu sehen. Die wenigen Lichter der Stadt waren verschwunden. Nicht einmal das Ringtor, das breite blaue Band, war zu erkennen, ein Zeichen, wie weit wir uns schon von der Siedlung entfernt hatten. Wir kamen gut voran. Die Reitschweine griffen tüchtig aus und zeigten sich unermüdlich.

Peter Terrid

Wir taten nichts, sie langsamer laufen zu las­sen – je mehr Vorsprung wir bekamen, um so besser für uns. Ab und zu sah ich mich nach Verfolgern um, aber bislang hatte ich nichts entdecken können.

»Sie werden noch schlafen«, sagte Thalia. »Ich habe noch nie so ausdauernde Schläfer gesehen.«

»Das kann trügen«, wandte ich ein. »Wir sollten in jedem Fall auf der Hut sein.«

Rechts voraus ragte einer jener schmalen Tafelberge in die Höhe, die für diese Land­schaft typisch waren. Wir ritten um die Fels­nadel herum und erreichten so eine weitere Ebene, die sich im Mondlicht vor uns er­streckte. Sie sah der Ebene von Ringtor zum Verwechseln ähnlich, es fehlte allerdings die Siedlung. Ich begann langsam zu glauben, daß die Obeds die Wahrheit gesagt hatten. Ringtor war offenbar tatsächlich die größte Siedlung ringsum. Thalia trieb ihr Reit­schwein näher zu mir.

»Wozu mag der Ring dienen?« fragte sie. »So etwas habe ich noch nie gesehen.«

»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Vielleicht eine Art Generator, oder ein Symbol. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob das Ding nicht vielleicht nur dekorative Zwecke hat.«

»Ein solches Riesending nur zur Zierde?« »Ich habe schon weit größere Bauwerke

gesehen, die nur zur Dekoration gebaut wur­den«, erklärte ich. »Aber ich gebe dir recht, irgendeinen technischen Sinn scheint der Ring zu haben.«

»Nur werden wir dieses Problem nicht mehr lösen können«, antwortete Thalia. »Wir werden Ringtor nicht wiedersehen – hoffe ich.«

Ich hob den Kopf. Vorsicht, warnte der Logiksektor. Mehr sagte er nicht, ein Zeichen dafür,

daß auch Der Extrasinn nicht genau voraus­berechnen konnte, welche Gefahr uns droh­te. Daß uns etwas Gefährliches ins Haus stand, schien mir immer deutlicher zu wer­den.

Bringt euch in Sicherheit, rief der Extra­

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sinn. In einer Höhle am besten! Ich gab die Information an Thalia weiter,

danach begannen wir beide mit der Suche nach einem Unterschlupf für uns und unsere Reittiere. Die Reitschweine wurden langsam unruhig, auch das sprach davon, daß es ge­fährlich wurde.

»Dort vorn«, rief Thalia. »Siehst du das Loch?«

»Versuchen wir unser Glück«, gab ich zu­rück. Ich trieb mein Reitschwein auf die Öffnung zu.

Es war eine Erdhöhle, und dem Tier, das sich diesen Bau angelegt hatte, wollte ich lieber nicht begegnen – es mußte die Größe eines mittleren Elefanten haben.

Die Höhle ist leer, gab der Extrasinn durch. Es gibt keine Spuren von anderen Be­wohnern.

Ich führte als erstes die beiden Reit­schweine mit den Wasserschläuchen in die Höhle. Das Loch im Boden führte in einen zirka dreißig Meter langen Stollen, der einen ziemlich stabilen Eindruck machte. Wenn es nicht gerade eine Sturmflut oder ein Erdbe­ben gab, waren wir hier leidlich sicher.

Danach führte Thalia unsere Reittiere in die Sicherheit der Höhle. Von einer Gefahr war noch immer nichts zu sehen.

Ich trat ins Freie. Thalia folgte mir. Das Licht des silbernen Mondes reichte

aus, uns die Landschaft erkennen zu lassen. Sehr weit reichte der Blick nicht, aber es ge­nügte, uns zu zeigen, daß es ringsum ruhig war.

»Nichts zu sehen«, stellte Thalia fest. Ich mußte ihr beipflichten. Das Bild

konnte man sich friedlicher kaum vorstellen. Eine nachtdunkle Landschaft mit bizarren Felskonturen auf einer mondbeglänzten Ebe­ne, dazu das feine Singen eines sachten Windes.

»Dort!« sagte Thalia trocken. Sie deutete mit dem Finger auf einen

Schatten, der sich über der Felsnadel gebil­det hatte, die wir vor kurzem umritten hat­ten.

»Was ist das?« fragte die Odinstochter.

»Ein Vogel?« »Dafür ist der Schatten zu groß«, sagte

ich und spähte angestrengt in die Richtung, die Thalia mit der Hand anzeigte. »Es sieht eher wie ein ganzer Vogelschwarm aus.«

Der Schatten wurde größer und dichter, breitete sich aus und umwölkte die Spitze des Berges. Mir war nicht wohl bei diesem Anblick. Was ballte sich da zusammen?

Je nach Größe der am Schwarm beteilig­ten Lebewesen mußten es Zehntausende und mehr sein – unter Umständen Millionen. Jetzt verstand ich die Warnung des Extra­sinns – gleichgültig, was für eine Spezies sich am Gipfel des Berges versammelte, in dieser gewaltigen Anzahl waren selbst Stu­benfliegen lebensbedrohend.

»Das sieht übel aus«, murmelte Thalia. Der Schwarm war inzwischen so dicht ge­

worden, daß er die Spitze des Berges ein­hüllte und verschwinden, ließ. Und jetzt ballte sich dieser Schwarm zusammen und verließ den Berg.

Die todbringende Wolke kam genau auf uns zu.

»Verschwinden wir!« schlug ich vor. Wir zogen uns zurück. Der Schwarm kam

rasch näher, ein Brausen ertönte, das immer lauter wurde.

Wir versteckten uns im Eingang der Höh­le, der vom Schwarm nicht gesehen werden konnte. Ich lugte vorsichtig um die Ecke.

Schwärzlich kam das Gebilde auf uns zu. Das Brausen wurde lauter und löste sich im Klang flappender Flügel auf.

Langsam senkte sich die Wolke auf das Land herab. Ich atmete unwillkürlich er­leichtert auf, als ich sah, daß sich der Schwarm ausbreitete und auffächerte. Aber einer der Arme zielte genau auf uns. Noch war die Gefahr, die sich an uns heranschob, nicht überwunden. Und wir wußten nicht, womit wir es zu tun hatten.

Dann waren sie heran.

5.

»Bildet einen Ring um die Tiere!« schrie

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Carnat, gefolgt von einer Serie von Flüchen. »Und nehmt die Säbel in die Hand. Es wird ernst!«

Die Tinkter waren im höchsten Maß ver­ängstigt und kaum noch zu bändigen. Die Reiter hatten große Mühe zu verhindern, daß die Tinkter in ihrer Angst sich losrissen und in die Wüste galoppierten. Dort wären sie für die K'pharer eine leichte Beute gewor­den.

»Brennt Feuer an, Leute!« Carnat preßte seine Lippen aufeinander.

Er hatte die Kapuze zurückgeschlagen, um besser sehen zu können.

»Wird es gefährlich?« fragte Santhillia. Sie hatte ihr prunkvollstes Gewand angezo­gen, das sich unter diesen Umständen als ausgesprochen hinderlich erwies.

»K'pharer!« sagte Carnat nur. »Und es ist der größte Schwarm, den ich je gesehen ha­be.«

»Wären wir doch nur im Lager geblie­ben«, jammerte Santhillia los. »Sie greifen Ringtor nie an, nur Obedianer, die sich im Freien auf halten. Dort wären wir in Sicher­heit.«

»Glaubst du, daß die beiden Fremden den Schwarm schon passiert haben?«

Carnat beantwortete Kurons Frage mit ei­ner verneinenden Geste. Im Lager loderten die ersten Feuer auf. In ihrem Schein konnte Carnat sehen, daß die Männer ihre Waffen in den Händen hielten.

»Verteilt Fackeln«, rief er über den Platz. »Vor Feuer fürchten sie sich besonders.«

»Wir werden sie abschlachten«, verkün­dete Kuron zuversichtlich.

»Hoffentlich!« knurrte Drumuuhl skep­tisch.

Dann waren die K'pharer heran. Klat­schend landete der erste in der Nähe des La­gers und faltete die großen Flügel zusam­men. Dann riß der K'pharer das zahnge­spickte Maul auf und ließ das charakteristi­sche Pfeifen hören. Während neben ihm weitere K'pharer landeten, schlängelte sich der erste auf das Lager zu.

K'pharer bestanden praktisch nur aus ei-

Peter Terrid

nem gewaltigen Flügelpaar, einem gewalti­gen Paar von Kiefern und einem schlangen­förmigen Leib, der nur den einen Zweck hat­te, den Flug des K'pharers zu stabilisieren und den Verdauungsapparat des Tiers zu umhüllen.

K'pharer waren geflügelte Freßmaschinen. Sie schnappten schlichtweg nach allem, was in die Reichweite ihrer Kiefer geriet, und schlangen es hinunter.

Mit einem gezielten Hieb seines Schwer­tes schlug Carnat dem ersten K'pharer den Kopf ab. Der Schädel flog mit einem häßli­chen Geräusch zur Seite, der Klang kam von den zuschnappenden Kiefern.

Carnat führte an jeder Körperseite ein Schwert, und in den freien Händen trug er Fackeln. Die dünnen Flügel der K'pharer fingen leicht Feuer und brannten gut.

Den ersten hundert K'pharern, die über das Lager herfielen, folgten weitere tausend. Nach kurzer Zeit war das Gemetzel in vol­lem Gang. Carnat konnte sich nicht um seine Männer kümmern, er hatte mehr als genug damit zu tun, sich seiner Haut zu wehren. Noch im Sterben biß ein K'pharer zu und trennte einen großen Fetzen aus Carnats Ge­wand, glatter und sauberer als man es mit ei­nem Messer hätte bewerkstelligen können.

In dem Kampflärm gingen alle Rufe un­ter, Carnat hatte die Schlacht nicht in der Hand. Er konnte hören, was geschah, wäh­rend er focht – er hörte das Flappen der Flü­gel, die immer neue Heerscharen von K'pharern herantrugen, das widerliche Pfei­fen der Gier, die erschreckten Laute der Reitschweine, das Brüllen der Männer, die ihrer Wut oder ihrem Schmerz Aufdruck ga­ben. Der Kampf dauerte nur wenige Minu­ten, da hatte Carnat schon jede Übersicht verloren. Jetzt focht jeder für sich selbst, kämpfte jeder Mann um die eigene Haut.

Es gab erste Opfer. Carnat sah aus den Augenwinkeln heraus, wie ein Reitschwein sich losriß und davongaloppierte – es kam keine hundert Meter weit, dann war es unter einem Berg von K'pharern verschwunden. Ein greller Todesschrei des Tieres, ein kurz­

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es Gewimmel – eine Minute später blinkten die Knochen des Reitschweins im Mond­licht. Mehr ließen die K'pharer von ihrem Opfer nicht übrig. Jeder im Lager wußte, daß er gegen dieses Schicksal kämpfte, daß der kleinste Fehler unweigerlich zu diesem Ende führte. So schnell es auch kam, dieses Ende er schreckte die Obedianer. Sie kämpf­ten verbissen, und sie kannten so wenig Gnade wie ihre Angreifer. Mit Feuer und Schwert rückten sie den geflügelten Schlan­genwesen auf die schuppigen Leiber, und sie arbeiteten gründlich.

»Werft Dung in die Flammen«, schrie Carnat. »Höher das Feuer, lodernder!«

Er focht wie ein Rasender, schlug und stach nach allem, was ihm vor die Klinge kam. Und was er mit dem Schwert nicht er­schlagen konnte, brannte das Feuer der Fackel. Der erste Ansturm dauerte eine Ewigkeit, dann war die erste Welle der K'pharer zurückgeschlagen. Die nächste Heerschar der Flugschlangen ließ allerdings nicht lange auf sich warten. Die Obedianer fanden gerade genug, Zeit, ihr Lager von den Resten der erschlagenen K'pharer zu säubern und ihre Blessuren zu verbinden. Es hatte einige Tote gegeben – jedenfalls wurde das aus der Tatsache gefolgert, daß sich die Betreffenden nicht mehr finden ließen.

Die K'pharer ließen den Obedianer nicht mehr als einige Minuten Zeit, dann brach der zweite Heerschar der Flugschlangen über die Eingeborenen von Sinkle-Eehl her­ein.

Wieder begann der gnadenlose Kampf.

*

Ich lehnte mich gegen die Wand der Höh­le und rang nach Luft.

Die Warnung des Extrasinns war vollauf berechtigt gewesen. Allein der Tatsache, daß wir uns in der Höhle versteckt hatten, war zuzuschreiben, daß wir überhaupt noch leb­ten.

Die fliegenden Schlangen waren zum größten Teil an der Höhle vorbeigeflogen,

ohne uns zu bemerken. Die Tiere aber, die die Höhle entdeckt hatten, hatten uns stun­denlang zu schaffen gemacht.

Der Boden der Höhle sah aus, als befände er sich in einem Schlachthof. Die riesige Überzahl der Angreifer hatte den Kampf zu einem Gemetzel werden lassen. Jeder Schwerthieb hatte getroffen, bei der dichtge­drängten Schar der Angreifer kein Wunder. Hätten sich die Tiere in ihrer Gier nicht selbst behindert, wir hätten uns schwerlich so lange halten können.

»Noch mehr?« fragte Thalia. Ihr Haar war schweißverklebt, ihr Anzug mit dem Blut getöteter Tiere bedeckt. Der Säbel in ihrer Hand war schartig geworden.

Ich sah nach dem Berg, von dem aus die Tiere aufgebrochen waren.

»Es sind noch welche übrig«, mußte ich Thalia informieren. »Aber nicht mehr vie-le.«

Wir waren am Rand des Zusammen­bruchs. Stundenlang hatten wir uns verzwei­felt unserer Haut gewehrt, zugeschlagen, ge­stochen und getreten. Mein linkes Bein war halb taub – noch immer haftete daran ein weit geöffneter Kiefer. Das Tier, zu dem dieses Maul gehörte, war längst tot, enthaup­tet von meinem Säbel, aber ich hatte bislang nicht die Zeit gefunden, dieses tierische Fangeisen aus meinem Bein zu entfernen. Ich hatte es ohnehin nur der einzigartigen Beschaffenheit des goldenen Vlieses zu ver­danken, daß mich dieser Biß nicht ein Bein gekostet hatte – jedes normale Material hätte dem Zugriff der rasiermesserscharfen Zähne nicht widerstanden.

Ich hackte mit meinem Säbel auf dem Kiefer herum. Es dauerte einige Minuten, bis ich die Klammer gesprengt hatte und der Kiefer zertrümmert auf den Boden fiel.

»In ein paar Minuten werden sie wieder­kommen«, sagte Thalia. Sie hatte am Ein­gang der Höhle Stellung bezogen und hielt nach den Tieren Ausschau. Immerhin hatten wir die ersten Angriffswellen überlebt, und wir hatten nicht eines unserer Tiere einge­büßt.

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»Atlan!« Ich trat zu Thalia und sah in die Richtung,

die sie mir mit ausgestrecktem Arm anzeig­te.

»Siehst du? Lichter.« Ich sah am Horizont einen hellen Schein,

vermutlich von einem großen Feuer. Unsere Verfolger waren früher aufgebrochen, als wir uns das vorgestellt hatten. Die Hetzjagd würde bald fortgesetzt werden müssen, an Ruhe nach diesem Angriff war nicht zu den­ken.

»Nun, sie werden mit diesen Tieren min­destens so viel Arbeit haben wie wir«, ver­suchte ich Thalia zu erklären. »Und sie müs­sen den Angriff im Freien abschlagen.«

Thalia zog nur leicht die Brauen in die Höhe. Sie war zu intelligent, um nicht zu er­kennen, daß meine These reichlich optimi­stisch war. Das Feuer am Horizont war so groß oder setzte sich aus so vielen kleineren Bränden zusammen, daß man vermuten konnte, eine Armee setze uns nach. Stimmte das, stand uns allerhand bevor.

»Sie kommen«, sagte Thalia ruhig. Es dauerte nur ein paar Augenblicke, dann wa­ren sie wieder heran. Wir kannten den Na­men nicht, unter dem die Tiere hier bekannt waren – uns erschienen sie wie Ausgeburten der Hölle, vor allem ihrer Anzahl wegen. Das wütende Pfeifen, mit dem sie ihre An­griffe einleiteten, zerrte an unseren Nerven, fast noch mehr als das Klacken und Kra­chen, wenn sich die gierigen Kiefer schlos­sen. Unser Vorteil war, daß die Tiere nur im Kriechen angreifen konnten. Sie mußten erst landen und ihre Flederflügel zusammenfal­ten, bevor sie mit ihren mörderischen Gebis­sen zupacken konnten.

Das bedeutete, daß sie zwar nebeneinan­der, nicht aber übereinander angreifen konn­ten. Und der Eingang zu unserer Höhle war schmal.

Thalia übernahm es, den ersten Angriff zurückzuschlagen. Sie handhabte ihren Sä­bel souverän, vor allem gab sie acht, daß sie niemals in die Reichweite der tödlichen Zäh­ne kam.

Peter Terrid

Ich stand hinter der Odinstochter und war damit beschäftigt, jedes Tier zu töten, daß an Thalia vorbeizukommen drohte und sie ins Bein beißen konnte. Dank der Tüchtigkeit der Odinstochter war die Aufgabe nicht sehr anstrengend.

Als Thalias Arm zu erlahmen begann, tauschten wir die Plätze. Jetzt war es meine Sache, jeden angreifenden Miniaturdrachen zu erschlagen. Thalia übernahm es, meinen Rücken zu decken und ab und zu nach unse­ren Tieren zu sehen – die Reitschweine im Hintergrund der Höhle waren naturgemäß stark erregt.

Wieder spürte ich einen scharfen Schmerz an einem Fuß. Eine der Schlangen hatte sich an mir vorbeigeschlängelt und ihre häßli­chen Zähne in meine Wade geschlagen. Durch das goldene Vlies kamen die Zähne nicht durch, aber der Schmerz war groß ge­nug, mich abzulenken – und einen Herz­schlag später hing mir eine zweite Schlange am Bein.

Ich schwankte. Wenn ich fiel … Thalia sprang von hinten dazu, ihr Säbel

fuhr durch die Luft. Zwei blitzschnelle Hie­be, die kopflosen Leiber der Schlangen zuckten auf dem Gestein.

Ich fand wieder festen Stand und benutzte meine Waffe. Die Attacke der Flugschlan­gen hatte mich wütend gemacht, entspre­chend handhabte ich meinen Säbel.

»Hoffentlich hört der Angriff bald auf«, rief Thalia, um das angriffslustige Pfeifen unserer Widersacher zu übertönen. »Die Reittiere werden immer unruhiger. Wenn sie auszubrechen versuchen …«

Die Vorstellung, durch diese wüste Land­schaft zu Fuß gehen zu müssen, ohne Was­ser und Nahrungsmittel, war alptraumhaft.

»Versuche die Tiere zu beruhigen«, rief ich Thalia zu. »Ich komme hier vorn allein zurecht.«

Das war zwar gelogen, aber es war drin­gend nötig, daß sich Thalia um die Tiere kümmerte. Die Geräusche hinter mir waren besorgniserregend.

»Ruhig, nur ruhig«, konnte ich Thalia sa­

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gen hören. Hoffentlich schaffte es die Odinstochter,

die Tiere in der Höhle zu halten. Wie sie das bewerkstelligte, konnte ich nicht sehen, ich hatte mehr als genug damit zu tun, die an­greifenden Tiere zurückzuschlagen. Genau­genommen konnte ich sie nur erschlagen – ein Zurück schienen die gierigen Bestien nicht zu kennen. Nicht einmal die Leichen ihrer Artgenossen konnten sie beeindrucken – im Gegenteil, sie schlangen die Körper ih­rer erschlagenen Gefährten erbarmungslos hinunter.

Nur noch kurze Zeit, sagte der Logiksek­tor. Ein paar Augenblicke noch.

Ich hätte gerne gewußt, woher das Zusatz­organ diese Erkenntnis bezog. Aus langer Erfahrung aber wußte ich, daß solche Anga­ben des Extrasinns zutrafen. Das Bewußt­sein, die Gefahr bald überstanden zu haben, gab mir jenes letzte Quentchen Kraft, das ich brauchte, eine katastrophale Niederlage zu verhindern. Ich schlug und hackte und stach und säbelte, und die Schar der Angrei­fer schien sich nicht lichten zu wollen.

Dann aber hielten die Tiere von einem Augenblick zum anderen inne. Sie erstarrten förmlich.

Jetzt stieg die Sonne über den Horizont. Ein gellendes Pfeifen erklang, und dann

hasteten die Flugschlangen in alle Himmels­richtungen davon. In Windeseile verstreuten sie sich auf der Ebene, und während die Sonne langsam in voller Größe sichtbar wur­de, vergruben sich die Tiere im Sand.

»Unglaublich«, staunte Thalia. Es schien tatsächlich wie ein Wunder.

Vor einigen Augenblicken noch hatten uns die Tiere belagert, jetzt bot sich die Natur wieder als Idyll dar, ruhig und friedlich. Nur die Blutspuren auf dem Sand und die übrig­gebliebenen Reste der erschlagenen Tiere zeugten noch von dem Kampf.

Ich spähte hinüber zu dem Punkt am Ho­rizont, wo wir des Nachts den Feuerschein gesehen hatten. Das Feuer war nicht mehr zu erkennen, aber eine Rauchsäule stand über dem Land.

Ich witterte sofort eine Falle. »Wir verschwinden von hier«, bestimmte

ich. »Es sieht zwar so aus, als würden unsere Verfolger noch lagern, aber ich halte das für einen Trick.«

Thalia nickte nur. Wir führten die Reitschweine aus der

Höhle. Die Tiere hatten wie wir nicht ge­schlafen und waren müde. Eine Rast konn­ten wir ihnen dennoch nicht gönnen, die Obedianer saßen uns auf den Fersen.

Wir stiegen in die Sättel und ließen die Reitschweine antraben. Nach kurzer Zeit lag die Höhle hinter uns. Unser Ritt zielte genau nach Norden, obwohl ich nicht wußte, was genau wir dort suchen sollten. Ich hoffte le­diglich, daß es in den nördlichen Breiten dieses Planeten etwas kühler sein würde – und vielleicht auch bevölkerter. Wenn die Obedianer tatsächlich recht mit ihrer Be­hauptung behielten, es gebe auf dem ganzen Planeten keinen Raumhafen, waren wir oh­nehin verloren.

Nach und nach fielen unsere Tiere in einen lockeren Trab. Die Reitschweine schienen recht genügsam zu sein, sie vertru­gen eine Nacht ohne Schlaf einigermaßen klaglos. Wir hingegen hatten alle Mühe, uns in den Sätteln zu halten.

»Sieh nur!« rief Thalia. Blumen begannen aus dem Wüstenboden

zu wachsen. Ich wußte, daß gerade Wüsten­pflanzen unerhört schnell wachsen konnten – sie mußten jede noch so kleine Chance zum überleben ausnutzen. Ich hatte es auf der Erde oft genug erlebt – ein Regenguß genügte, um eine Wüstenei binnen weniger Stunden in einen Garten zu verwandeln – der dann einige Stunden später ohne sichtba­re Spuren wieder verschwunden war. Auch hier schien das Leben förmlich zu explodie­ren. Die grünlichen Fäden stiegen so schnell in die Höhe, daß man die Pflanzen wachsen sehen konnte.

Unwillkürlich wurden unsere Reittiere langsamer, und wir trieben sie nicht an.

Zehn Minuten vergingen, dann war die Wüste grün. So dicht wuchsen die Blumen,

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von denen einstweilen nur die Stengel zu se­hen waren.

Unsere Tiere hielten an. Ich stieg aus dem Sattel, um mir die seltsamen Pflanzen ein­mal näher anzusehen.

Verblüfft stellte ich fest, daß der Stengel der Pflanzen geschuppt war, und sofort stieg ein bestimmter Verdacht in mir auf. Ich nahm die Hände zu Hilfe und versuchte, die Wurzel einer Pflanze freizulegen – ich konn­te dabei fühlen, wie sich das Gewächs unter meinen Händen bewegte und größer wurde.

Mein Verdacht hatte mich nicht getrogen. Ich fand einen graugrünen organischen

Klumpen, von dem die Pflanzen ausgingen, ich schätzte die Zahl der Gewächse auf min­destens einhundert.

Die Wurzel, wenn man das graugrüne Ge­bilde so nennen wollte, war nichts anderes als der Leib einer Flugschlange. Von dem ganzen Tier war nichts weiter übriggeblie­ben als der Kopf und ein wenig Muskelmas­se um die Schädelknochen herum. Der gan­ze Rest des Leibes hatte sich verwandelt und suchte nun als Pflanze nach einer weiteren Lebensmöglichkeit auf diesem Boden. Eine erstaunliche Verwandlung.

Und dann öffneten sich die kleinen Blüten und entfalteten sich, und die Wüste wurde blau.

Der ganze Vorgang dauerte nicht länger als höchstens eine Minute, dann war der röt­liche Wüstenboden bedeckt von einem Meer blauer Blüten mit gelben Einsprengseln. »Wundervoll«, freute sich Thalia. Ich nickte. Dennoch war mir nicht geheuer bei der Sa­che.

6.

Am Himmel sammelten sich Wolken. Al­les in dieser Landschaft schien sich entwe­der gar nicht oder überaus gründlich auszu­bilden. Kompromisse schien die Natur nicht zu kennen auf diesem Planeten. Entweder lag die Wüste leblos, wie tot, vor uns, oder die Landschaft stellte sich als Blumengarten vor. Entweder griff das Leben in dieser Wü-

Peter Terrid

ste anderes Leben mit erbarmungsloser Här­te an – oder es stellte sich so friedlich wie nur denkbar dar.

Entweder war der Himmel klar und wol­kenlos – oder es ballte sich eine Wolken­wand zusammen, deren Schwärze alptraum­haft war. Und wie bei fast allen Vorgängen auf dem Planeten vollzog sich dieser Wech­sel mit großer Geschwindigkeit. Vor weni­gen Minuten noch hatte kein Wölkchen den Himmel bedeckt, jetzt wuchs im Osten eine Sturmwand mit ungeheurer Schnelligkeit.

»Vom Regen in die Traufe«, kommentier­te ich bitter.

Ein Glück, daß wir die Höhle verlassen hatten. In dem Gewitter, das uns ins Haus stand, wären wir in dem Loch elendig er­säuft worden. Jetzt galt es, in diesem Land einen Platz zu finden, der genügend hoch war, damit wir von den Regenfluten ver­schont blieben.

Das war leichter gedacht als ausgeführt. Der nächste Berg, auf den wir uns hätten flüchten können, lag hinter uns – wir hätten unseren Häschern in die erwartungsvollen Arme laufen müssen.

Die andere Möglichkeit, der Weg nach vorn, führte hinaus auf das flache Land der Wüste – also mitten hinein in das Verder­ben. Bis wir voraus den ersten Berg erreicht hätten, wären Stunden vergangen – die schwarze Wand, die sich in lautloser Dro­hung an uns heranschob, sagte uns, wie we­nig Zeit uns noch verblieb. Eine Stunde viel­leicht, schwerlich mehr.

Verzweifelt sah ich mich um. Kein Aus­weg war zu sehen, keine Erhebung, die mir sicher genug erschienen wäre. Was sich da in Sichtweite zusammenballte, ließ auf einen sintflutartigen Regen schließen.

Wo sollten wir uns vor dem Guß verber­gen? Ich fand nichts.

»Marschieren wir weiter«, sagte Thalia, die schließlich die Sinnlosigkeit einsah. »Vielleicht haben wir Glück.«

Wir würden es bitter nötig brauchen, dachte ich. Ich schwang mich wieder in den Sattel und ließ das Reitschwein antraben.

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Zur rechten Hand wuchs das Wolkengebirge immer majestätischer in die Höhe, ein An­blick, der einem Beobachter den Atem ver­schlagen konnte.

Scharf, wie mit dem Messer geschnitten, verlief die Grenze zwischen Licht und Schatten auf dem Wüstenboden. Wir konn­ten sehen, wie der Schatten des Gewitters auf uns zu raste. Jenseits dieser Grenzlinie war das Land in Dunkelheit getaucht, in eine alles umfassende undurchdringliche Schwär­ze.

Dann zuckte der erste Blitz. Grellweiß stand die Entladung vor der

dunklen Wand und erlosch wieder. Ich zähl­te die Sekunden. Als der Donner bei uns an­kam, bebte der Boden ein wenig.

Und noch waren wir – die Laufzeit des Schalles verriet es mir – mindestens zehn Kilometer von der Grenze des Gewitters ent­fernt. Der scheinbare Frieden in der Natur hatte aufgehört, immer – wieder zuckten Blitze durch die Wolken, immer lauter schlug der Donner an unsere Ohren.

Die Reitschweine wurden nervös. Sie fie­len in einen unregelmäßigen Galopp.

Laß sie laufen! riet der Logiksektor. Die Tiere kennen sich besser aus!

Ich gab den Ratschlag an Thalia weiter. Sie nickte und gab ihrem Tier die Zügel frei.

So ritten wir über die Ebene der blauen Blumen, die ihre Kelche weit geöffnet hat­ten, in der Erwartung des so kostbaren Was­sers. Das gleiche Wasser, das den Pflanzen das Überleben sicherte, konnte uns das Le­ben kosten.

Zwei Drittel des Himmels waren verdü­stert. Das Zucken der Blitze wurde häufiger, ein Trommelfeuer von Entladungen spannte sich grell über den schwarzen Hintergrund. Die Säume der Wolken verrieten, daß der große Regen bereits begonnen hatte.

»Auch das noch«, stieß Thalia hervor. Ich sah sofort, was sie zu diesem Ausruf

veranlaßt hatte – aus der einförmig grauschwarzen Wolkenwand begann sich ein Gebilde herauszuschälen, ein langer Schlauch mit einem dicken Ende in den

Wolken und einem dünnen Ende, das den Boden berührte. Ein Wirbelsturm kam auf uns zugerast. Unsere Reittiere wurden schneller. Ich spürte, daß sie Angst hatten und das äußerste gaben, das ihre Körper lei­sten konnten. Die Tiere schienen ganz genau zu wissen, was da auf sie hereinzustürmen drohte. Vom Himmel war kaum noch etwas zu sehen. Und dann war der Regen heran. Erst fielen nur wenige Tropfen, dann wurde der Guß stärker. Die Tropfen wurden größer, fielen mit mehr Wucht auf uns herab. Daß wir nach ein paar Augenblicken durchnäßt waren, störte uns nicht – wohl aber die Här­te, mit der das Wasser auf unsere Körper herabdrosch. Unsere Reittiere hielten ein­fach an. Sie schnaubten und prusteten.

»Steigen wir ab?« Ich nickte. Sobald wir aus den Sätteln wa­

ren, legten sich unsere Reittiere flach auf den Boden. Wir lösten hastig unser Gepäck von den Packschweinen, und auch diese Tie­re machten sich so flach wie möglich. Es gab nichts mehr zu reden. Verstanden hätten wir ohnehin nicht mehr. Das Gewitter hing jetzt über uns, und gegen dieses Donnern, Krachen und Poltern kam keine Menschen­stimme mehr an. Unablässig wetterleuchtete es über unseren Köpfen. Wäre der Hagel der Blitze nicht gewesen, wir hätten überhaupt nichts mehr sehen können. Die Wolken­decke über unseren Köpfen war so dichtge­fügt und geschlossen, daß kein Sonnenstrahl mehr den Boden erreichte. Das Dauerfeuer der elektrischen Entladungen war die einzi­ge Lichtquelle, die das Land beleuchtete. In diesem grellen Licht konnten wir den Wir­belsturm heranziehen sehen, schwarz und düster. Der Boden bebte leicht, und das Zit­tern wurde immer stärker. Ich sah im Schein eines Blitzes das Gesicht von Thalia. Die Beleuchtung ließ nicht erkennen, wie es um sie stand – ihr Gesicht wirkte fahl und ver­ängstigt, aber das konnte an der Beleuchtung liegen.

Das Wasser stieg. Zuerst versickerte die Flüssigkeit im Boden, dann bildeten sich die ersten Pfützen, wurden größer und größer.

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Die einzelnen Lachen verschmolzen mitein­ander, und ich stellte mit steigender Besorg­nis fest, daß die Ebene sich langsam, aber si­cher in einen See verwandeln begann. Nach einiger Zeit stand das Wasser bereits zenti­meterhoch auf dem Land, und es war noch kein Ende des Dauerregens abzusehen. Der­gleichen hatte ich noch nie erlebt, der Vor­gang schien fast unglaublich.

Zuversicht in die Weiterentwicklung der Dinge schienen unsere Tiere zu haben. Sie blieben ruhig liegen, stillten ihren Durst an den Fluten und zeigten keinerlei Anzeichen von Unruhe.

»Ein heller Streif«, rief Thalia. »Der Re­gen hört auf.«

Tatsächlich war am Horizont wieder ein schmaler Bezirk zu sehen, der nach blauem Himmel aussah und sich rasch vergrößerte.

»Kaum zu glauben«, murmelte ich. Noch war die Gefahr nicht vorüber. Im

Gegenteil, einer der Wirbelstürme raste auf uns zu. Der ganze Vorgang nahm nur weni­ge Minuten in Anspruch. Etwas orgelte und wurde lauter, brach mit unglaublicher Ge­walt über uns herein und fegte davon. Der sich allmählich lichtende Himmel ließ uns die Bahn gut erkennen, die der Wirbelsturm genommen hatte. Das Ende des Schlauches hatte uns um einen knappen Kilometer ver­fehlt, und das war nicht sehr viel.

Der Gewittersturm legte sich mit der glei­chen atemberaubenden Geschwindigkeit, mit der er sich entwickelt hatte. Der Wind flaute ab, der Sturzregen ebbte ab, und der Himmel wurde wieder strahlend hell.

Ich stand langsam auf und schüttelte mir das Wasser vom Körper. Ich war vollkom­men durchnäßt. Thalias Haare klebten in ih­rem Gesicht, was die Odinstochter zu eini­gen gemurmelten Verwünschungen verführ­te.

So weit ich sehen konnte, war die Ebene von Wasser bedeckt. Es stand ungefähr knö­cheltief über dem Sand. Für kurze Zeit war diese riesenhafte Wasserfläche klar zu se­hen, dann begann die Sonne mit ihrem Werk. Sie brauchte, nachdem der Himmel

Peter Terrid

erst einmal wolkenfrei geworden war, nur wenige Minuten, um die ersten Tonnen Wasser zu verdampfen. Nach diesen weni­gen Minuten standen wir in einer riesigen Waschküche, und die Schwüle diese Zu­stands war fast noch schwerer zu ertragen als das Wüten des Sturmes.

»Uns bleibt offenbar nichts erspart«, seufzte Thalia.

Der schwüle Dunst legte sich auf die Lun­gen und machte das Atmen schwer. Zudem wurde die Hitze unerträglich, und nirgendwo war Kühlung in Aussicht. Das Wasser auf dem Boden war im Nu lauwarm und schmeckte widerlich. Kühlung konnte es keine verschaffen.

»Sieh dir das an«, sagte ich zu Thalia und deutete auf den Boden.

Dieser Planet schien nur Extreme zu ken­nen. Vor unseren Augen begannen die Blu­men zu wachsen. Sie schossen förmlich in die Höhe, wuchsen und wuchsen und saug­ten dabei Millionen Liter Wasser auf. Wir mußten buchstäblich beiseite treten, um von den heraufschießenden Keimlingen nicht ge­troffen zu werden. Gleichzeitig wurden die Stengel der Pflanzen auch dicker, verfärbten und verhärteten sich. Nach einer halben Stunde waren wir von hüfthohen Gewächsen umgeben, und es sah nicht so aus, als sei der Wachstumsprozeß damit beendet.

»Langsam wird mir diese Welt unheim­lich«, gestand Thalia.

Ich konnte sie gut verstehen. Was wir in den wenigen Stunden auf dieser Welt erlebt hatten, war mehr, als man einem Durch­schnittsmenschen zumuten konnte – und die Reihe der Absonderlichkeiten und Gefahren des Planeten waren sicherlich noch lange nicht erschöpft. Wir ließen unsere Tiere an den Schößlingen fressen, danach packten wir die Ladungen wieder in die Sättel, stie­gen selbst auf und setzten unseren Ritt fort.

Wir kamen nicht sehr schnell voran. Die Schößlinge zwangen uns manchen Umweg auf. Ab und zu spähte ich nach hinten, nach unseren Verfolgern. Sie waren nicht zu se­hen. Vielleicht hatten sie die Verfolgung

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aufgegeben. Das ist nicht unbedingt ein gutes Zeichen,

kommentierte der Logiksektor. Es kann auch bedeuten, daß auf dem Weg Gefahren lauern, die die Eingeborenen für unüber­windlich halten.

Ich behielt diese Bemerkung für mich. Ich wollte Thalia nicht unnötig aufregen. Was sie durchgemacht hatte, genügte völlig, um die Reserven der Odinstochter fast vollstän­dig zu erschöpfen.

Wir ritten nach Norden, langsam und auf Umwegen. Die Schößlinge hatten inzwi­schen eine Höhe erreicht, daß man schon von jungen Bäumen sprechen konnte. Mir war die Sache ganz und gar nicht geheuer, aber wir steckten mitten in dieser seltsamen Pflanzung – wenn es gefährlich wurde, wa­ren wir auf uns selbst gestellt.

Die Bäume begannen uns zu überragen. Noch immer wuchsen sie mit einem Tempo, das besorgniserregend war. Allerdings sagte ich mir, daß sie dieses Wachstum nicht mehr sehr lange würden mitmachen können. Der Boden zwischen den Bäumen war nämlich wieder trocken wie vor dem großen Regen.

Wir konnten sehen, wie sich Kronen an den Räumen bildeten. Blätter schossen gleichsam aus den Zweigen, Blütenknospen entstanden, die sich einstweilen noch nicht öffneten.

Ich versuchte am Sonnenstand die Tages­zeit abzuschätzen. Es wurde Zeit, daß wir uns ein Quartier für die Nacht suchten.

»Hier?« fragte Thalia und deutete auf die Bäume.

Ich konnte sie gut verstehen. Angesichts der erschreckenden Wandlungsfähigkeit des Lebens auf dieser Welt war der Wald alles andere als geheuer. Heute morgen hatte es diese Pflanzen noch nicht gegeben – wer konnte wissen, unter welcher Lebensform wir erwachten … wenn wir erwachten.

»Ich glaube, dort vorne ist eine Anhöhe«, erklärte ich Thalia. »Ich habe vorhin eine Lichtung in dem Wald gesehen.«

»Hoffentlich sind wir dort sicher«, sagte Thalia. Sie hielt die Lippen fest aufeinander

gepreßt, aber an den Mundwinkeln und vor allem den Augen konnte ich unschwer able­sen, daß sie hochgradig erschöpft war und dringend Ruhe brauchte.

Wir erreichten die Lichtung eine Stunde später. Die untergehende Sonne beleuchtete die Fläche – knapp einhundert Meter im Quadrat, und kein einziger Baum darauf.

»Hmm«, machte Thalia, als sie die Fläche sah. »Auf den ersten Blick sieht der Platz gut aus.«

»Aber?« »Warum stehen hier keine Bäume?« Ich zuckte mit den Schultern. Auf diese

simple Frage wußte ich keine Antwort. Ir­gendeinen Grund mußte es geben, vielleicht sogar einen Grund, mit dem wir uns zu be­schäftigen hatten. »Ich schlage vor, wir kampieren so, daß wir uns jederzeit entwe­der auf die Mitte der Lichtung retten oder in den Wald flüchten können – je nachdem, wo es gefährlicher ist.«

Ich nickte zu Thalias Vorschlag. Wir breiteten Decken auf dem Boden aus,

hobbelten unsere Reitschweine an, damit sie uns des Nachts nicht davonlaufen konnten, und nach einem frugalen Abendessen streck­ten wir uns auf den Decken aus.

»Ob es hier tatsächlich kein Raumschiff gibt?«

Ich schwieg. Was hätte ich Thalia antwor­ten sollen.

»Es muß eine Verbindung geben zwi­schen den Obedianern und der Außenwelt«, sagte Thalia nachdenklich. »Die Eingebore­nen kennen die Scuddamoren – folglich muß ein ScuddamorenSchiff auf dem Planeten gelandet sein. Außerdem, erinnere dich an die Worte Obeds – sie wußten genau, was ein Raumschiff ist.«

»Das besagt nicht, daß in absehbarer Zeit eines auf dem Planeten landen wird«, gab ich zu bedenken. Ich wußte, wie lange es dauern konnte, bis ein Schiff einen Planeten anflog – ich hatte einige Jahrtausende damit verbracht, auf ein Schiff zu warten, das mich nach Arkon bringen konnte.

Über den Bergen kletterte der Silbermond

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in die Höhe. Im gleichen Augenblick wurde es leben­

dig um uns herum. Ich spürte die Bewegung des Bodens unter mir, dann erfüllte ein Sum­men die Luft.

Ich richtete mich auf. Der Anblick, der sich uns bot, war mär­

chenhaft, atemberaubend – im buchstäbli­chen Sinn unwahrscheinlich.

Die weite Ebene stand in Flammen. In meiner Nähe konnte ich das Phänomen

genau beobachten. Die Blüten an den Baum­kronen hatten sich geöffnet, ohne daß wir es bemerkt hatten. Sie verströmten ein Gas, das in Brand geraten war. Über dem flachen Land tanzte ein Meer von kleinen blaugel­ben Flammen, und aus den Tiefen des Hü­gels, auf dem wir uns niedergelegt hatten, schwärmten Insekten aus. Sie verursachten das gleichmäßige, anschwellende Brummen.

Millionen von ihnen kamen aus den Lö­chern gekrochen, breiteten die Flügel aus und schwirrten davon. Die Tiere phospho­reszierten, man sah sie über den Flammen tanzen. In gewaltigen Schwärmen breiten sie sich über das Land aus, tanzten um die bren­nenden Blüten, stiegen auf und senkten sich wieder, kreisten und flogen Schleifen, zeich­neten fahle Leuchtlinien in die Schwärze der Nacht.

Vorsicht, warnte der Logiksektor. Die Flammen brauchen viel Sauerstoff.

Einstweilen war von Luftmangel nichts zu bemerken. Außerdem, der einzige Flucht­weg führte mitten in die Feuerwand hinein. Merkwürdig, der Anblick der brennenden Ebene löste keinerlei Fluchtreaktionen bei mir aus. Im Gegenteil, der Anblick fesselte, das Schauspiel zog mich immer mehr in sei­nen Bann.

Es wurde ruhig unter mir. Die letzten In­sekten hatten den gigantischen Bau verlas­sen, auf dem wir nächtigten. Das Summen der Millionen Insekten hatte sich zu einem gewaltigen Brausen vereinigt.

Und dann brach das Geräusch mit einem Schlag ab.

Es knallte leise, unmittelbar in meiner Nä-

Peter Terrid

he, dann noch einmal und wieder und wie­der. Ich sah, daß die Blüten gleichsam schossen. Sie feuerten rotglühende Funken in die Luft, und die Insekten stürzten sich auf diese Punkte und brachten sie zum Erlö­schen.

Das Schauspiel faszinierte mich. Ich ging näher an den ersten Baum heran. Jetzt konn­te ich Einzelheiten sehen.

Die Blüte schoß mit Druckluft eine rötlich leuchtende Kapsel in die Höhe, auf die sich sofort ein Dutzend Insekten stürzten. Eines erwischte die Kapsel und schlang sie hinab. Wenig später begann das Insekt zu taumeln und flog dann mitten in die Flamme hinein, die über der Blüte leicht im Wind zitterte. Es zischte leise, dann war das Insekt vergangen – mit einem leisen, dumpfen Geräusch lan­deten die Überreste auf dem Boden. Ich hob sie auf. Eine kleine braune Kugel, die wie ein Dragee aussah.

Vorsicht! warnte der Extrasinn noch ein­mal.

Ich wich zurück und drehte mich um. Er­schrocken sah ich, wie Thalia hintenüber kippte. Ich machte einige Schritte auf sie zu, zu spät. Ich rannte in eine Art Watte hinein, in einen süßlichen Duft, der mich umfing und einhüllte und blitzartig bewußtlos wer­den ließ.

7.

»Sie haben es tatsächlich geschafft«, stell­te Drumuuhl-Obed fest. »Ich kann es kaum glauben.« Carnat konnte einen erleichterten Seufzer nicht unterdrücken. Er hatte – jeder Logik und Erfahrung zum Trotz – darauf ge­hofft, daß die beiden Fremden ihr selbstmör­derisches Abenteuer überlebten – wenig­stens so lange, bis er sie wieder eingefangen hatte.

Die Spuren waren eindeutig. Atlan und Thalia hatten in einer Erdhöhle den Angriff der K'pharer überstanden, und sie hatten es später auch geschafft, sich vor dem Regen in Sicherheit zu bringen.

Die Truppe der Obedianer hatte das ge­

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fährdete Gebiet in weitem Bogen umritten. Carnat kannte das Land von früheren Reisen her und hatte aus den Erfahrungen gelernt.

Er stand auf der höchsten Höhe der Kid­gar-Berge und spähte in die Tiefe. Die Ebe­ne lag unter ihm, auf dieser Ebene schlepp­ten sich zwei Gestalten mit ihren Tieren vor­wärts – die beiden Fremden. Sie konnten von Glück sagen, daß sie die Metamorphose der K'pharer überlebt hatten. In der Regel er­stickten die Reisenden, die während der Umwandlung der K'pharer im Wald steck­ten.

Immerhin hatten Atlan und Thalia viel Zeit verloren. Die Obedianer hatten zwar einen längeren Weg hinter sich, hatten aber keinen Aufenthalt gehabt und hielten sich nun vor den beiden Flüchtigen auf.

»Sie werden uns in ihrem Rücken su­chen«, sagte Drumuuhl. Er stand neben Car­nat und sah auf das flache Land herab. Von den K'pharer-Bäumen war nichts mehr zu sehen. Die Gewächse hielten sich selten län­ger als zwei Tage.

»Um so überraschter werden sie sein, wenn wir sie von vorn packen«, freute sich Kuron.

Carnat schüttelte den Kopf. »Sie wandern nach Norden«, sagte er ru­

hig. »Und ihr Marsch zielt auf jenen Fleck im Yöhnerladon, an dem das abgestürzte Raumschiff liegt. Wir werden die beiden ge­währen lassen.«

»Ich halte es für besser, sie gefangenzu­nehmen«, sagte Drumuuhl kalt. »Ergreifen und foltern, das ist mein Rat. Wir werden bald alles wissen, wenn wir diese Leute nur richtig bearbeiten.«

Carnat winkte ab. »Alles zu seiner Zeit. Wir warten ab, bis

die beiden im Yöhnerladon sind. Ich will wissen, ob sie mit den Leuten aus dem Raumschiff Kontakt aufnehmen können.«

»Und was versprichst du dir davon?« fragte Santhillia.

»Wenn Atlan und Thalia mit der Raum­schiffsbesatzung Kontakt aufnehmen kön­nen, dann werden die Leute im Innern des

Schiffes wohl oder übel das Schirmfeld ab­schalten müssen.«

»Na und?« »Wir werden uns diesen Augenblick der

Schwäche zunutze machen«, sagte Carnat-Obed. »Wir werden dieses Schiff erobern und die Überlebenden gefangennehmen. Die Besatzung wird uns erklären müssen, wie man das Schiff repariert und wieder flug­tauglich machen kann.«

Santhillia sah ihn lauernd an. »Und was willst du mit dem Schiff?«

fragte sie spitz. Carnat-Obed breitete die Arme aus. »Wer weiß«, sagte er und lächelte dazu.

»Auf die Tiere, Leute, es geht weiter.«

*

»Hinter dem Gebirge wird die Welt an­ders aussehen«, versuchte ich Thalia aufzu­muntern.

Sie lächelte spöttisch zurück. »Glaubst du wirklich?« Ich nickte, obwohl ich nicht die mindeste

Vorstellung hatte, wie das Land jenseits des Gebirges beschaffen war. Ich konnte nur hoffen, daß es kühler ausgefallen war als der Landstrich, durch den wir uns bewegen mußten.

Wie lange wir in ohnmachtähnlichem Schlaf gelegen hatten, ließ sich hinterher nicht mehr feststellen. Mir war aber aufge­fallen, daß Thalia beim Erwachen frisch und ausgeruht gewesen war. Das ließ auf etliche Stunden schließen, die wir betäubt gewesen waren. Von dem Wald, in dem wir genäch­tigt hatten, war beim Erwachen nicht mehr das geringste zu sehen gewesen. Keine Spur von den Bäumen, kein Hinweis auf den Ver­bleib der Insekten. Das einzige, was davon zeugte, daß wir keinen Halluzinationen zum Opfer gefallen waren, hatte auf dem Boden gelegen – eine unübersehbare Menge jener kleinen braunen Dragees. In irgendeiner Art und Weise würden sie sich erneut verwan­deln, und eines Tages würde der Kreislauf der Natur dieser Welt wieder an diesem

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Punkt angekommen sein. Wir aber gehörten nicht auf diese Welt,

wir lebten anders als die Bewohner des Pla­neten. Ich war mir auch sicher, daß die Obe­dianer nicht auf dem Planeten entstanden waren, den sie jetzt bewohnten – bisher hatte ich nicht die geringste Verbindung zwischen den Obedianern und irgendeiner Spezies des Planeten finden können. Wenn der Planet überall einigermaßen gleich aussah, würden wir auch kein solches Verbindungsstück fin­den. Ich hoffte aber, daß es Landschaften gab, die ein erträglicheres Klima aufzuwei­sen hatten als das Land, das wir durchwan­dert hatten.

Ich ging zu meinem Lasttier hinüber und hielt meinen Mund an das Ende des Wasser­schlauchs. Die Brühe, die mir in den Hals lief, hatte mit Wasser kaum etwas gemein – es war ein übelriechender muffiger Sud, und wäre der peinigende Durst nicht gewesen, ich hätte keinen Schluck heruntergebracht. So aber wurde das Getränk vom Durst gleichsam parfümiert. Wenn es im Gebirge kein Wasser gab, waren wir verloren, dazu verurteilt, in irgendeinem Winkel elend an Wassermangel zugrunde zu gehen.

Ich schluckte die Flüssigkeit hinunter und verschloß den Schlauch wieder. Ich trank sparsam von dem Wasser. Ich mußte auf Thalia Rücksicht nehmen, deren Bedarf er­heblich größer war als meiner.

Thalia führte ihr Reittier am Zügel, um ihm eine kurze Rast zu gönnen. Im Gebirge würden wir auf die Steigleistung und Aus­dauer der Tiere angewiesen sein.

»Das Wasser wird knapp«, stellte sie gleichmütig fest. »Und es wird von Tag zu Tag schlechter.«

»Im Gebirge werden wir unsere Vorräte ergänzen können«, versuchte ich sie aufzu­muntern.

Vor allem unsere Tiere brauchten Wasser. Hatten sie früher Schweinen entfernt ähnlich gesehen, mußte man sie nun mit Hunden vergleichen – mit mageren Hunden. Es war erstaunlich, wie willig und ausdauernd die Tiere trotz des Wassermangels ihren Dienst

Peter Terrid

versahen. Bei aller Zähigkeit aber konnten sie diese Strapazen nicht mehr sehr lange überstehen.

Es wurde Zeit, daß wir Wasser fanden.

*

Es gab sogar einen See auf diesem Plane­ten, einen zwar kleinen, nichtsdestotrotz aber wohlgefüllten See mit kaltem klarem Wasser. Unsere Reittiere soffen um ihr Le­ben. Thalia und ich sahen als erstes nach den Tieren, dann spülten wir die Schläuche durch, füllten sie auf – und dann erst stillten wir unseren eigenen Durst.

Es war früher Morgen gewesen, als wir den See gefunden hatten, und unsere Tiere waren nun doch dem Zusammenbruch nahe gewesen. Die Reitschweine waren dem Le­ben auf diesem Extremplaneten hervorra­gend angepaßt – wir konnten buchstäblich sehen, wie sie sich vollaufen ließen. Das Wort paßte genau – sie schwollen an wie un­sere Schläuche, bis sie wieder ihre gewohnte Form erreicht hatten.

Wir gönnten unseren Tieren die wohlver­diente Rast. Während sie sich im Uferkies wälzten, immer wieder soffen, laut quietsch­ten und pfiffen, stieg ich auf den nächsten Berg. Der Boden war zerklüftet, dafür aber leicht begehbar. Ich stieß einen leisen Pfiff aus, als ich die Spitze der Bergzinne erreicht hatte. Es war nur schemenhaft zu erkennen, das Gebilde im Tal, weit entfernt.

Es gab aber einige unverkennbare Details, die jedem verrieten, was da zwischen dem rötlichen Gestein lag. Vor allem war das Schirmfeld zu erkennen, und allein daran war zu ersehen, daß die Obedianer nicht den höchsten Stand der Technik auf dem Plane­ten repräsentierten. Und da war die Spur auf dem Boden. Schwarze, verbrannte Erde, da­zwischen Metall, das in der Sonne schim­merte. Ein Teil des Bodens war – selbst auf diese Distanz leicht zu erkennen – glasig ge­schmolzen. Der Extrasinn brauchte diese Spuren nicht zu kommentieren – hier war ein Raumschiff gelandet. Abgestürzt, sagte

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der Logiksektor trocken. Ein Raumschiff war gelandet – abgestürzt – auf dem Plane­ten. Es hatte schwere Beschädigungen da­vongetragen, das war zu sehen, obwohl das Schirmfeld noch stand. Was war das für ein Schiff? Unseres? Die KNIEGEN? Der Ge­danke war naheliegend. Ich sah auf der an­deren Seite der Zinne in die Tiefe, auf Tha­lia herab. Wenn dieses Wrack die KNIE­GEN war, was dann …

Egal, wir hatten keine andere Wahl. Unser Weg konnte nur dorthin führen, zu diesem Raumschiff, dessen Schirmfeld verriet, daß es noch nicht völlig zerstört war. Vielleicht … unser ganzes Hoffen lag in einem Viel­leicht.

Ich sah, wie Thalia zu mir hinaufblickte. Sie machte eine fragende Geste; ich antwor­tete, gleichfalls in der Zeichensprache. Sie warf mir eine Kußhand zu.

Langsam stieg ich zu ihr hinab. Wenn wir unverzüglich aufbrachen, uns selbst und den prallen Reitschweinen keine Pause gönnten, dann konnten wir am Abend die Nähe des Raumschiffs erreicht haben.

Ich berichtete Thalia haarklein, was ich gesehen hatte. Sie hörte aufmerksam zu, und sie stellte sofort die gleiche Frage, die auch mich beschäftigt hatte.

»Die KNIEGEN?« Ich schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich ein anderes Schiff«, er­

klärte ich ihr. Thalia sah sich um, fuhr sich mit der Zun­

genspitze über die Lippen. »Dann müssen wir uns beeilen«, sagte sie.

»Wir müssen das Schiff erreichen, bevor die Eingeborenen es in ihren Besitz gebracht ha­ben.«

Das Argument saß. Die Vorstellung, von der Laune der Obeds abhängig zu sein, war angsterregend. Wenn sie das Schiff in die Hände bekamen, waren wir wahrscheinlich dazu verurteilt, für alle Zeit auf diesem Wü­stenplaneten zu leben. Zwar traute ich den merkwürdigen Eingeborenen nicht recht zu, daß sie mit einem modernen Raumschiff fer­tig wurden aber das hieß noch lange nicht,

daß sie außerstande waren, dieses Raum­schiff derart zu zerstören, daß es nie wieder flugfähig wurde. Ich wollte den Obedianern lieber keine Gelegenheit geben, ihre destruk­tiven Fähigkeiten ausgerechnet an dem für uns so unsagbar kostbaren Raumschiff aus­zuprobieren und unter Beweis zu stellen.

Thalia half mir, die Tiere für den Marsch fertig zu machen. Die Reitschweine waren diesmal alles andere als willig. Offenbar wollten sie sich erst einmal ausruhen. Die Strapazen des Anmarsches hatten sie des­halb so willig ertragen, weil ihnen gar nichts anderes übrigblieb, wenn sie überleben woll­ten. Nun, im Angesichts des verlockenden Sees, hatte ihre Willfährigkeit ein Ende.

Ich mußte alle Körperkraft aufbieten, um mein Tier ruhig zu halten, während Thalia den Sattel auflegte und festschnallte. Mit ih­rem Reittier gab es ähnliche Schwerarbeit zu verrichten. Die Tiere traten um sich, und ich mußte höllisch aufpassen, mir keinen Tritt einzuhandeln.

Wir brauchten eine Stunde, dann saßen wir in den Sätteln und konnten die Tiere an­treiben. Murrend setzten sie sich in Bewe­gung.

In dem Gelände kamen wir ohnehin nur sehr langsam von der Stelle. Die Tiere muß­ten bei jedem Schritt Halt suchen – ein Fehl­tritt konnte sie in Felsspalten und Schluchten verschwinden lassen, auf Nimmerwiederse­hen und selbstverständlich zusammen mit dem Reiter. Wir ließen den Tieren daher Zeit, und sie erledigten ihre Arbeit vorzüg­lich.

Kurz nach Mittag hatten wir die höchste Erhebung des Gebirgszugs hinter uns ge­bracht. Von jetzt an konnten wir das Raum­schiff ständig vor unseren Augen liegen se­hen – verheißungsvoll und bedrohlich zu­gleich. Denn eines stand fest – konnten wir das Schiff mit bloßem Auge erkennen, wa­ren wir für die Optiken der Besatzung noch leichter auszumachen.

Daran konnte sich erst später etwas än­dern. Von dem Gebirge führte ein Ausläufer auf das Schiff zu, genauer gesagt ein schma­

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ler Streifen von Geröll, einer Moräne nicht unähnlich. Wenn wir uns nach rechts wand­ten und versuchten, uns zwischen den Fel­strümmern der Moräne zu verbergen, konn­ten wir uns bis auf knapp einhundert Meter an das Raumschiff heranschleichen, ohne gesehen zu werden.

Freilich war das nicht ungefährlich, ob­wohl mir bewußt war, daß wir uns ohnehin schon so nahe am Schiff aufhielten, daß uns eines der kleineren Geschütze mühelos hätte auslöschen können. Was das betraf, ließ sich die Gefahr schwerlich steigern. Wohl aber mußten wir damit rechnen, daß man uns das heimliche Anschleichen übelnahm.

»Was meinst du?« fragte ich Thalia zu diesem Problem.

»Versuchen wir es«, sagte sie nach kurz­em Nachdenken. »Wenn wir … Atlan!«

Ich sah nach dem Schiff. Thalia deutete darauf. Im ersten Augenblick begriff ich nicht, was sie erregt hatte. Dann aber ver­stand ich ihren Aufschrei.

Das Schirmfeld des notgelandeten Schif­fes war erloschen. Der Rumpf lag vor uns, klar erkennbar.

Es war ein Organschiff, ein Scuddamo­ren-Schiff. Diesen Schiffstyp kannte jeder im Marantroner-Revier, und jeder fürchtete ihn.

»Was mag dort geschehen sein?« fragte Thalia.

Ausfall der Reaktoren, die das Schirmfeld mit Energie versorgen, sagte der Logiksek­tor. Ich gab die Bemerkung an Thalia weiter. Sie preßte die Lippen aufeinander.

Das Schiff war nun nicht mehr geschützt, aber das hieß noch lange nicht, daß es auch wehrlos war. Mochte der Zusammenbruch des Schirmfelds auch bedeuten, daß wir das Schiff selbst würden erreichen können, so hieß dies aber auch gleichzeitig, daß der Ge­brauchswert des Schiffes weiter gesunken war. Im Licht der Sonne waren die Beschä­digungen sehr gut zu erkennen, die das Scuddamoren-Schiff bei seiner Landung da­vongetragen hatte. Der Anblick dieser Be­schädigungen bestätigte den anfänglichen

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Kommentar des Logiksektors – von Lan­dung konnte man kaum reden. Absturz war das passende Wort, und jeder Blick auf das Wrack ließ meine Befürchtungen wachsen, daß wir das Schiff niemals wieder in die Hö­he bringen konnten.

»Wir müssen es trotz allem versuchen«, sagte Thalia. »Also warten wir nicht länger, machen wir uns auf den Weg.«

Sie gab ihrem Reitschwein die Fersen. Das Tier pfiff leise und setzte sich in Bewe­gung.

Wir behielten unseren ursprünglichen Plan bei. Wir ließen die Tiere einen ziemlich steilen Abhang hinabsteigen, dann wandten wir uns der Moräne zu. Große Felstrümmer, von Geröll umsäumt, bildeten unsere Weg­markierungen. Die Felstrümmer boten uns Sichtschutz, und auf den Geröllmassen der Moräne kamen wir einigermaßen flott voran. Ich fragte mich allerdings ab und zu, wie diese Gebirgsformation entstanden sein mochte. Kaum ein Winkel dieser trostlosen Öde ließ an einen Gletscher denken, der die Moräne hätte hinterlassen können.

Indes hatte ich wichtigere Probleme zu lö­sen als diese. Ich drängte den Gedanken zu­rück.

Als wir einen Punkt knapp einen Kilome­ter vor dem Raumschiff erreicht hatten, lie­ßen wir unsere Tiere zurück. In dem Gewirr der Felsblöcke war mit den Tieren nur schwer voranzukommen.

Dann schlichen wir zu Fuß weiter.

8.

Nichts rührte sich. Vor uns lag das Scuddamoren-Schiff, reg­

los, verlassen. Der riesige Rumpf bewegte sich nicht, auch die Organhaut des Schiffes schien wie tot. Die Kuppel am Bug war ge­borsten, ein Netz feiner weißer Risse über­zog das glasähnliche Material. Daher konn­ten wir auch die Galionsfigur nicht erken­nen.

»Dort drüben lebt nichts mehr«, murmelte Thalia.

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»Es sieht so aus«, sagte er nachdenklich. Wir brauchten nur hinüberzugehen, um

die Probe aufs Exempel zu machen. Ich war mir allerdings der Gefahr bewußt, daß dieses Verfahren recht lebensgefährlich ausfallen konnte. Wir waren mit primitiven Waffen ausgerüstet, gegen die Besatzung des Schif­fes hatten wir keine Chance – Armbrüste ge­gen Energiewaffen, das Ergebnis einer sol­chen Auseinandersetzung stand von vorne­herein fest.

Irgend etwas warnte mich, hielt mich da­von zurück, einfach aufzustehen und zu dem Wrack hinüberzugehen, eine Ahnung, ein Instinkt. Der Extrasinn schwieg. Er hatte keine zusätzlichen Informationen, konnte aus der Lage ebensowenig vernünftige Schlüsse ziehen.

»Ich versuche es«, sagte ich schließlich. »Wir haben keine Zeit für lange Überlegun­gen.«

Ich stand auf und machte zwei Schritte. Die rechte Hand umklammerte den Griff des Schwertes, eine sinnlose Geste. Wenn ich aufsah, starrte ich genau in die Abstrahlöff­nung eines Geschützes – wenn auf der ande­ren Seite jemand auch nur den kleinen Fin­ger krümmte, war ich so schnell in Atome aufgelöst, daß ich meinen eigenen Tod prak­tisch gar nicht erleben würde.

»Deckung!« Ich gehorchte dem Impuls des Extrasinns

ohne Zögern. Mit einem gewaltigen Satz warf ich mich auf die Seite. Mit der Brust schlug ich auf Steinen auf, ich rollte trotz des aufzuckenden Schmerzes in einer flüssi­gen Bewegung ab. Nur der Tatsache, daß mein Brustkorb aus gegeneinander ver­schiebbaren Knochenplatten bestand und keine Rippen aufwies, hatte ich es zu ver­danken, daß mir Knochenbrüche erspart blieben.

Ich rollte mich noch einmal zur Seite, dann sah ich nach vorn.

Sie waren zu zehnt und so unverkennbar wie das Schiff, aus dem sie hervorgestürzt kamen.

Scuddamoren, die Geißel des Marantro­

ner-Reviers. Die schwärzlichen Schatten­schilde waren gut zu erkennen, auch die zuckenden Entladungen, die aus den Schil­den hervorbrachen und einen Fels zer­schmolzen, der erschreckend genau den Ort bezeichnete, an dem ich gerade gestanden hatte.

Ich drückte mich platt an den Boden. Mit meiner primitiven Bewaffnung hatte ich ge­gen die Scuddamoren keine Chance. Ich wälzte mich auf den Rücken. Eine Rauch­säule war zu sehen, an ihrem Fuß eine Lache verflüssigten Gesteins. Thalia hatte dort ge­standen.

Sie hat sich in Sicherheit gebracht, infor­mierte mich der Logiksektor.

Jetzt war die Reihe an mir, das Weite zu suchen. Die Scuddamoren kamen langsam näher, und immer wieder betätigten sie ihre Waffen. Offenbar hatten sie mich nur flüch­tig gesehen und jetzt Schwierigkeiten, mei­nen Standort auszumachen.

Es fiel mir nicht ein, ihnen die Arbeit zu erleichtern. Ich robbte in den Sichtschutz ei­nes Felsens, dort erst richtete ich mich auf. Mit den Augen tastete ich den Weg ab, den ich in den nächsten Minuten einschlagen wollte. Ich mußte mir jeden Schritt genau überlegen, jede Deckung nutzen. Keinen Herzschlag lang durften mich die Scudda­moren zu Gesicht bekommen. Die Strahlen aus ihren Waffen waren lichtschnell – weg­ducken half da nicht.

Ich kam auf die Füße. Geduckt rannte ich los, ein Stück gerade­

aus, dann nach rechts, in den Schutz eines mehrfach mannshohen Felsens. Eine kurze Pause, ein paar Herzschläge, nicht mehr, dann ging es weiter. In großen Sätzen über­querte ich eine freie Fläche, und genau am vorausberechneten Punkt sprang ich – ich hörte das Zischen der Strahlschüsse, spürte die Gluthitze in meinem Nacken.

Ich überließ mich den Impulsen des Ex­trasinns. Wieder einmal hatte ich ihm das Leben zu verdanken. Der Logiksektor er­rechnete gleichsam meinen Fluchtweg und sorgte dafür, daß die Scuddamoren mich

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nicht so leicht unter Beschuß nehmen konn­ten.

Einen Augenblick lang sah ich Thalia, weit vor mir. Sie hatte sich offenbar recht­zeitig in Sicherheit bringen können, bevor die Scuddamoren sie entdeckt hatten – die Herren des Marantroner-Reviers hatten es auf mich abgesehen.

Ich zickzackte durch das Felsengewirr, aber ich wußte, daß ich diese Kraftanstren­gung nur kurze Zeit ertragen konnte. Da ich mir praktisch keine Sekunde Ruhe erlauben durfte und zudem sprang, mich wandte und drehte, mich auf den Boden warf, wieder auf die Füße kam und weiter rannte, abrupt stoppte, wieder losrannte … für solche Ver­renkungen war meine Muskulatur nicht ge­dacht. Auch meine Reflexe waren an diesem Tag nicht die besten. Ich spürte, wie sich un­ter meinem linken Fuß etwas bewegte, dann verlor ich den Halt. Während ein rasender Schmerz in dem Bein hinaufzuckte zum Hirn, kippte ich zur Seite und schlug hart auf den Boden. Sekundenlang war ich be­nommen, mein Schädel war auf einen Stein geprallt. Als ich wieder einigermaßen klar sehen konnte, war die Hatz beendet – jeden­falls für meinen Teil.

Die Scuddamoren hatten mich entdeckt, und es entsprach ihrer Gemütsverfassung, mir keineswegs rasch den Garaus zu ma­chen. Sie nahmen meine Umgebung unter Feuer und zwangen mich so, in meiner Deckung liegenzubleiben.

Ich hatte bereits eine Gefangenschaft in Scuddamoren-Hand hinter mir, nach einer zweiten Gefangenschaft stand mir nicht der Sinn. Ich griff an den Gürtel. Noch hatte ich mein Messer … Die Alternative zu den Scuddamoren, deren beispiellose Grausam­keit mir nur zu gut in Erinnerung war. Mochte das Mittlere Fort auf Breisterkähl-Fehr auch zerstört sein, die Scuddamoren hatten für ihre Gefangenen sicherlich einen Ersatz, der dem Mittleren Fort an Grauen­haftigkeit in nichts nachstand. Ein zweites Mal sollten sie mich nicht lebend fangen.

Ich wälzte mich herum, um nach Thalia

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zu sehen. Diese Närrin! »Zurück!« schrie ich mit aller Kraft. Thalia arbeitete sich an mich heran. Sie

gab sorgsam acht, nicht vor die Strahler der Scuddamoren zu geraten, aber daß sie noch nicht getroffen worden war, lag einzig dar­an, daß die Scuddamoren offenbar zwei Gimpel mit einer Rute fangen wollten. Sie brauchten nur abzuwarten, dann konnten sie uns beide auflesen.

»Rette dich!« rief ich der Odinstochter zu. »Ich helfe dir!« gab sie in gleicher Laut­

stärke zurück. Sinnloses Heldentum, dachte ich. Wozu

das? Ein Blick ins Tal hinab. Die Scuddamoren

kamen langsam näher. Sie arbeiteten ge­schickt mit ihren Strahlern. Jetzt hatten sie sich auch auf Thalia eingeschossen. Ihr Feu­er ließ der Odinstochter nur einen Weg – zu mir, und damit geradewegs in die Gefangen­schaft.

Schweratmend kam Thalia bei mir an. Sie lächelte sogar.

»Närrin«, sagte ich. »Was hat du davon, mit mir gefangen zu werden?«

Sie zuckte mit den Schultern. Und dann kamen die Scuddamoren. Es

war sinnlos, sich noch länger auf dem Boden herumzuwälzen – wenn sie uns hätten töten wollen, hätten sie mehr als genug Zeit dafür gehabt.

Thalia half mir auf die Beine. Etwa zwan­zig Waffen waren auf uns gerichtet. Eine Fingerbewegung genügte, um uns zu töten.

Dann fiel der erste Scuddamore um. Sein Schuß stieg senkrecht in die Höhe. Ein zwei­ter drückte ab und verfehlte uns. Auch er brach zusammen.

Ich riß Thalia mit hinab in die Deckung. Gleichgültig, wer sich in den Kampf einge­mischt hatte, wir taten gut daran, von dem Präsentierteller herunterzukommen, auf den wir uns gestellt hatten.

»Wer greift die Scuddamoren an?« fragte Thalia.

Ich sah in die Höhe. Etwas flog über un­

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sere Deckung hinweg auf die Scuddamoren zu.

Pfeile und Speere. »Die Obedianer«, erklärte ich Thalia.

»Wir können uns freuen. Von der Traufe ha­ben wir uns in den Regen geflüchtet.«

*

Sie ließen uns erst aufstehen, als der Kampf vorüber war, den sie mit gnadenloser Erbitterung geführt hatten. Von den Scudda­moren lebte keiner mehr, auch einige der Obedianer hatten den Tod gefunden.

»Nun, Freunde seid ihr nicht gerade ge­wesen«, stellte der Düstere der Obeds grim­mig fest. »Wir schenken euch daher das Le­ben – vorläufig.«

Ich unterdrückte eine bissige Bemerkung, die nur den Zorn des Obeds erregt hätte. Er war übrigens nicht allein – alle Obeds hatten sich eingefunden, der Knabe mit dem irren Blick ausgenommen. Weit entfernt wünsch­te ich mir die hagere Frau der Obed-Sippe. Die Blicke, mit denen sie mich bedachte, ge­fielen mir noch weniger als die Blicke des Düsteren, der mit jeder Geste anzeigte, daß er uns liebend gerne die Schädel eingeschla­gen hätte. Zum Ausgleich stierte der Kraft­protz der Sippe – er stand malerisch auf sei­nen Speer gestützt – Thalia höchst eindeutig an, dazu ein Grinsen produzierend, das ei­nem Alpdrücken bereiten konnte.

»Könnt ihr mit dem Schiff umgehen?« Der Denker der Obed-Sippe – Carnat hieß

er – hatte die Frage gestellt. Vor ihm mußten wir uns besonders in acht nahmen. Ich hatte schnell herausgefunden, daß er in dem Heer­zug der Obedianer der eigentliche Befehls­haber war. Er war der gefährlichste unserer Gegner.

»Vielleicht«, sagte ich und wiegte den Kopf. »Es käme auf einen Versuch an.«

Der Denker trug sich mit dem gleichen Plan wie ich – er wollte die Gegenpartei für Handlangerdienste verwenden und dann um ihren Anteil prellen.

In meinem Fall hieß das Konzept: Schiff

reparieren, Obeds von Bord bringen, starten und verschwinden. Im Fall des Obeds laute­te der Plan: Schiff reparieren, Berater – also uns – von Bord bringen und verschwinden lassen, starten.

»Geht voran!« bestimmte Carnat-Obed. »Und wißt, daß unsere Speere auf eure Her­zen zielen.«

Ein halbes Dutzend Speerspitzen zielte auf mich. Thalia erfreute sich ähnlicher Auf­merksamkeit. An Flucht war nicht zu den­ken – wohin auch? Unsere Tiere waren längst dem Troß der Obedianer einverleibt worden.

Wir gingen sehr vorsichtig auf das wracke Schiff zu. Nicht nur, daß es an Bord überle­bende Scuddamoren geben konnte, die nur darauf warteten, daß wir ihnen vor die Ge­schützrohre liefen – das Schiff konnte auch in jedem Augenblick explodieren. Von bei­dem würden wir vermutlich nicht viel mer­ken, dennoch war mir alles andere als be­haglich zumute, und ich bewegte mich nur langsam. Die Obedianer hatten es nicht we­sentlich eiliger. Mit prozessionshafter Lang­samkeit schlichen wir auf das Organschiff zu. Ab und zu liefen Schauder über die Or­ganmasse des Schiffes.

Das Bild war grauenerregend. Zu wissen, daß dieses Gebilde auf geheimnisvolle Wei­se lebte, war beklemmend.

Nichts rührte sich, als wir näherkamen. Aus den Augenwinkeln heraus konnte ich sehen, daß sich uns zwei der Obeds ange­schlossen hatten – Carnat, der Denker, und Kuron, der Hüne. Santhillia und der düstere Drumuuhl waren zurückgeblieben.

»Stehenbleiben!« befahl Carnat. Der Trupp stoppte.

Wir standen unmittelbar vor einem klaf­fenden Loch in der Haut des Organschiffs. Ein widerlicher Geruch hing in der Luft, vermutlich stammte er von der Organmasse, in die ein riesiges Loch gebrannt worden war. Im Innern des Schiffes war ein Reaktor explodiert.

»Steigt durch das Loch ein!« befahl Car­nat.

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Wir überwanden die Ekelgefühle und kletterten über verschmorte, stinkende Or­ganmasse hinweg in das Innere des Schiffes. Es war hell. Zwar waren viele Leuchtkörper ausgefallen, aber der Rest funktionierte noch. Es gab also noch technische Anlagen im Schiff, die arbeiteten.

Das machte Hoffnung, auch wenn die Speere in unserem Rücken eine sehr unsanf­te Erinnerung an die Wirklichkeit darstell­ten. Insgeheim belustigte mich die Vorstel­lung, daß ich am Speer eines primitiven No­maden sterben sollte – ich, der ich über Schlachtflotten geboten hatte.

»Suche dir einen anderen Zeitpunkt aus, dich an deine glorreiche Vergangenheit zu erinnern!«

Der kurze Impuls des Extrasinns führte mich in die Realität zurück.

Vorsichtig stieg ich über Trümmer hin­weg, immer tiefer in das Innere des Schiffes hinein. Wir mußten einen Gang finden, der einigermaßen unzerstört war, von dort aus konnten wir alle Teile des Schiffes errei­chen. Ab und zu stießen wir auf Tote, die reglos in den Winkeln lagen. Ich wußte nicht, um was für Lebewesen es sich handel­te, wahrscheinlich um Gefangene der Scud­damoren.

»Wir müssen zur Galionsfigur«, sagte Thalia. »Nur wenn der Lotse noch lebt, ha­ben wir eine Chance.«

Ich nickte. Wenn auch der Lotse starb, war dieses Organschiff nichts weiter als ein verfaulender Klumpen Organischer Masse mit einigen technischen Innereien, die ohne die organische Hülle und den Lotsen völlig nutzlos waren. Der Lotse und das feinver­ästelte System, das ihn mit allen Abteilun­gen des Organschiffs verband, stellte gleich­sam das Nervensystem des Schiffes dar. Starb das Gehirn ab – also die Galionsfigur – war auch der Rest wertlos. Ich erreichte einen Gang, der einigermaßen intakt zu sein schien.

»Langsam!« bestimmte eine gebieterische Stimme von hinten. Carnat-Obed hatte wohl Angst, wir würden uns im Innern des Schif-

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fes davonmachen. Wahrscheinlich hatte er niemals ein Organschiff von innen gesehen, und seine Obedianer hatten womöglich noch mehr Angst vor dieser unheimlichen Stätte als er. Das Beben der Speerspitzen ließ sich jedenfalls nicht auf Kälte zurückführen – es war erstickend heiß im Innern des Organ­schiffs.

Ich schlug einen Weg ein, der mich zur Kuppel des Schiffes führen mußte. Dort war für gewöhnlich die Galionsfigur zu finden, die das Schiff im Auftrag der Besatzung zu steuern hatte. Ich wußte, daß der Verbund von Organschiff und Lotse unwiderruflich war – die Galionsfigur konnte sich niemals wieder von dem Organschiff trennen. Starb der eine Teil dieser unfreiwilligen Symbio­se, war auch der andere Teil zum Tode ver­urteilt.

Ein Hindernis tauchte auf. Ein metallener Träger war beim Aufprall geborsten und ragte jetzt in den Gang hinein.

»Stehenbleiben«, kommandierte Carnat von hinten. »Kuron, geh voran!«

Ganz offenkundig traute uns der Obed nicht. Kein Wunder, ich hätte an seiner Stel­le auch niemandem getraut. Zudem hatte ich den kurzen Wechselreden der Obeds unter­einander entnehmen können, daß sich nicht einmal die Mitglieder der Sippe untereinan­der geheuer waren. Wenn ich an den mord­lüsternen Knaben Tehtleyn dachte, verstand ich die Obeds sehr gut.

Der starke Kuron schob sich an mir vor­bei. Er wollte die günstige Gelegenheit nüt­zen – der Gang war eng und spärlich er­leuchtet – ein wenig nach Thalia zu grab­schen, unterließ das aber, als er meinem Blick begegnete. Knurrend schob er sich an mir vorbei. Er wollte mir auf den Fuß treten, den ich aber rechtzeitig zurückgezogen hat­te. Statt dessen trat er auf etwas Spitzes, das ihm ein unterdrücktes Wutbrummen ent­lockte.

»Gib acht, daß die beiden sich nicht da­vonmachen«, rief Carnat von hinten.

»Mir entkommt keiner«, verkündete Kuron und sah mich böse an. »Wen ich zu

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fassen bekam, den behalte ich auch.« Jetzt war die Reihe an mir, das Hindernis

zu passieren. Ich handelte mir ein paar Faustschläge ein, gegen die ich mich nicht zur Wehr setzen konnte. Ich brauchte beide Hände, um mich durch die Engstelle zu zwängen, der Obed aber konnte mit sechs Fäusten zuschlagen, wenn auch nicht son­derlich kräftig. Es reichte aber, mich in Wut zu versetzen.

Ich funkelte den hageren Wüstenbewoh­ner drohend an, und der Bursche begriff. So weit ich sehen konnte, wagte er keine weite­re Belästigung der Odinstochter, allerdings um den Preis, daß er mir bei der ersten gün­stigen Gelegenheit die Gurgel durchschnei­den würde. Sein Blick war so beredt wie der meine und verhieß Unheil.

Mir war das vorläufig gleichgültig. Ich wollte vor allem wissen, was aus der Gali­onsfigur geworden war.

Ein einziger Blick genügte, mir zu zeigen, welche Hoffnungen ich mir machen konnte. Ich erreichte die Bugkuppel, sah den Lotsen – und wußte, daß das Spiel verloren war.

Man brauchte kein Exobiologe zu sein, um zu wissen, daß die spinnenähnliche Kreatur in der Kanzel die nächsten Stunden nicht überleben würde. Der Lotse des Or­ganschiffes lag im Sterben, sein Zustand war um keinen Deut besser als der seines Schif­fes.

Eine der Gliedmaßen des Spinnentiers be­wegte sich sacht, als das Wesen mich er­kannte. Ich versuchte die Geste zu erwidern.

»Kann ich dir helfen, Lotse?« Die Galionsfigur gab ein knarrendes Ge­

räusch von sich. »Helfen, mir? Ich danke dir, Fremder,

aber mir ist nicht mehr zu helfen. Ich werde den Raum nicht wieder sehen, die Schwärze ist für mich verloren, das große Alles-Nest wird mich aufnehmen, bald …«

Die Stimme des Lotsen klang merkwürdig ruhig. Der Lotse wußte also, daß er im Ster­ben lag, und der Respekt vor dem Leben ge­bot es mir eigentlich, den Sterbenden mit sich und seinen Gedanken allein zu lassen.

Ihn mit Fragen zu behelligen war grausam – aber mir blieb keine andere Wahl.

»Warum bist du hier abgestürzt?« fragte ich sanft.

Der Lotse machte eine fahrige Geste. Die dunklen Facettenaugen trübten sich ein we­nig.

»Etwas«, sagte der Lotse leise, mit immer schwächer werdender Stimme. »Etwas hat uns … ich kann es nicht genau beschreiben … es war stärker als ich und mein Schiff. Eine Strahlung, seltsam und rätselvoll, und dazu unwiderstehlich. Ich werde das Rätsel nicht mehr … vielleicht die anderen …«

»Anderen?« fragte ich, im höchsten Maße alarmiert. »Welche anderen?«

»Freunde«, sagte der Lotse. Ich sah, daß sich die Facetten weiter zu trüben begannen. Die Frist des Lotsen war abgelaufen.

»Hast du einen Hilferuf abgesetzt«, fragte ich drängend. »Und wenn ja, wann werden sie kommen.«

»Freunde«, krächzte der Lotse, dann wur­de seine Sprache unverständlich.

Wenig später ging ein Ruck durch seinen Körper, er riß sich förmlich von seinem Sitz hoch, mit wütenden Bewegungen zerfetzte er die Verbindungen zwischen ihm und dem Schiff, dann brach der Lotse tot zusammen.

Ich wußte, was das zu bedeuten hatte. An­gesichts des Todes war der Bann verflogen, unter dem der Sklave der Scuddamoren ge­lebt hatte. Im letzten Augenblick seines Le­bens hatte der Lotse erkannt, was für ein Le­ben er geführt hatte, und mit dem Einsatz der letzten Kräfte hatte er die Verbindungen zerrissen.

Der Lotse war als freies Wesen gestorben.

9.

Was für ein Schicksal uns bevorstand, ließ sich unschwer abschätzen. Wenn es dem Lotsen des abgestürzten Schiffes wirk­lich gelungen war, noch einen Notruf abzu­setzen, dann würden die Scuddamoren nicht lange auf sich warten lassen. Eine Macht wie diese konnte es sich einfach nicht erlau­

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ben, das Schicksal eines eigenen Schiffes ungeklärt zu lassen. Wir brauchten folglich gar nicht erst zu hoffen, das abgestürzte Schiff könnte in Vergessenheit geraten oder dergleichen mehr.

Ich sah Thalia an. Die Odinstochter hatte die Konsequenzen aus den Informationen des sterbenden Lotsen ebenso rasch gezogen wie ich – wir mußten von hier verschwin­den, und das mit größtmöglicher Geschwin­digkeit.

»Heda!« rief Carnat-Obed. »Was gibt es? Was hat dieses Tier gesagt?«

»Tiere sprechen nicht«, gab Thalia empört zurück.

»Gleichviel, was hat er gesagt? Warum seid ihr so aufgeregt?«

Ich drehte mich zu Carnat um. Es war sehr düster in den Innenräumen des Scudda­morenschiffs, das für einen ihrer Sklaven zum Grab geworden war. Das Gesicht des Mannes war kaum zu erkennen.

»Der Pilot des Schiffes hat noch einen Notruf absetzen können«, gab ich bekannt. »Es wird also recht bald ein weiteres Schiff hier auftauchen – ein funktionstüchtiges Schiff.«

Trotz der miserablen Beleuchtung konnte ich sehen, daß Carnat-Obed blaß wurde. Er machte eine Geste des Erschreckens.

»Sie werden dieses Schiff hier finden und annehmen, daß wir es zerstört haben«, stieß Kuron hervor. »Und sie werden uns dafür zur Rechenschaft ziehen.«

»Vermutlich«, bestätigte ich. »Dann gibt es nur eines, das wir tun kön­

nen«, rief Carnat. »Wir müssen so schnell wie möglich zurück nach Ringtor.«

Aha! Mehr sagte der Extrasinn nicht. Der kurze Impuls genügte mir. Es hatte seine Be­wandtnis mit der seltsamen Anlage von Ringtor, und vermutlich würden wir sehr bald in dieses Geheimnis eingeweiht wer­den.

»Du hast recht«, sagte Kuron. Der Unter­ton seiner Stimme wollte mir gar nicht ge­fallen. »Vorher sollten wir aber … ich kann es kaum erwarten …«

Peter Terrid

»Du wirst dich zurückhalten müssen«, be­schied ihn Carnat mit scharfer Stimme. »Wir brauchen die beiden noch.«

»Wozu?« zischte Kuron wütend. Ich vermutete, daß er sich schon darauf

gefreut hatte, mir seinen Dolch zu kosten zu geben. Was das betraf, unterschieden sich die einzelnen Mitglieder der Sippe wenig voneinander. Daß Carnat nicht so blutdurstig war wie seine Verwandten, lag keineswegs daran, daß er ein umgänglicher Geselle ge­wesen wäre. Er sah nur einstweilen keinen Vorteil darin, uns abschlachten zu lassen.

»Also zurück«, entschied Carnat-Obed. »Wie lange, Atlan, wird es wohl dauern, bis das nächste Schiff Sinkle-Eehl anfliegt?«

»Ich weiß es nicht«, sagte ich aufrichtig. »Es können Stunden sein, Tage, vielleicht gar Wochen. Sicher ist nur eines – kommen werden die Scuddamoren in jedem Fall.«

Carnat murmelte eine Verwünschung. »Los, beeilt euch«, schrie er seine Leute

an. »Seht zu, daß wir dieses Schiff verlas­sen!«

Ich war froh, aus dem Schiffsinnern her­auszukommen, zum einen, weil ich Kurons Schwert in meinem Rücken wußte, zum an­deren, weil mir der technische Zustand des Wracks überhaupt nicht gefiel. Es war nicht auszuschließen, daß das ganze Schiff explo­dierte.

Sobald wir das Freie erreicht hatten, rann­ten wir auf die Moräne zu, wo der weitaus größte Teil der angereisten Obedianer warte­te. Ohne langes Zögern schwangen wir uns auf die Reitschweine und trieben die Tiere an.

Mein Tempo steckte die Obedianer an. Sie fragten nicht lange, warum wir es so ei­lig hatten. Die Bewohner von Ringtor sahen vielmehr zu, daß sie unserem Beispiel folg­ten. Auf diese Weise kam es ohne langes Reden zu einer Art Massenflucht.

Erst nach dem Überqueren des Ge­birgspasses erlaubte ich meinem Reittier ein langsameres Tempo. Das schweratmende Tier hatte noch keinen Kilometer zurückge­legt, als der Boden zitterte, dann wurde es

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hinter uns strahlend hell, und einige Augen­blicke später erreichten uns die Schallwellen der Explosion. Ich brauchte nur den Kopf zu wenden, um hinter uns eine Rauchsäule auf­steigen zu sehen – in einer Gestalt, die kei­nen Zweifel zuließ, was da explodiert war.

»Das war knapp«, sagte Thalia. Sie hatte viel Mühe damit, ihr Tier zu beruhigen, das vor Angst fast verrückt geworden war. Noch immer zitterte der Boden unter den Nach­wirkungen der nuklearen Explosion.

Carnat-Obed trieb mit Mühe sein er­schrecktes Reitschwein an mein Tier heran und sah mich schreckensbleich an.

»Was war das?« wollte er wissen. »Der Reaktor des Schiffes ist explodiert«,

erklärte ich. »Aber das ist nur ein kleiner Vorgeschmack von dem, was uns erwartet, wenn die Scuddamoren kommen.«

Carnat sah mich lange an, dann winkte er ungeduldig seinen Leuten zu, sie sollten sich beeilen. Die Angst saß dem Obed im Nacken, ich konnte das sehr gut verstehen. Ich konnte mir nämlich nicht vorstellen, daß die Scuddamoren auf Sinkle-Eehl eine lang­wierige Untersuchung anstellen würden. So wie ich die Scuddamoren einschätzte, wür­den sie auf alles Schüsse abgeben, was auf höheres Leben hindeutete.

Wir sahen uns unversehens in einen Wett­lauf eingespannt, dessen Preis unser Leben war.

*

»Endlich«, ächzte Carnat-Obed. »Ringtor!«

Die Siedlung lag vor uns. Es war Nacht, der Silbermond stand wieder am Himmel.

Hinter uns lag ein Gewaltritt durch eine lebensfeindliche Landschaft, die unsere letz­ten Kräfte aufgezehrt hatte. Carnat-Obed, der das Kommando über die Heerschar der Obedianer übernommen hatte, hatte uns nicht die kleinste überflüssige Pause ge­gönnt. Wenn wir überhaupt ab und zu eine Stunde der Rast eingelegt hatten, dann nur, um unseren Tieren ein wenig Erholung zu

gönnen. Unablässig hatten die Obeds ihre nomadischen Gefolgsleute vorangetrieben, weg von der atomaren Gluthölle des explo­dierten Raumschiffs.

Es verstand sich, daß wir in dieser Zeit kein Anzeichen eines herannahenden Scud­damorenschiffs bemerkt hatten. Offenbar gab es selbst bei den Herren des Marantro­ner-Reviers so etwas wie eine Bürokratie. Möglich war auch, daß der Lotse sich geirrt oder den Funkspruch unverständlich abgege­ben hatte – es erschien mir nur sehr unwahr­scheinlich. Daher hatte ich mich nicht gegen das kräfteverschleißende Tempo gewehrt, daß die Obeds hatten einschlagen lassen. Ei­nige Dutzend Obedianer waren mit müden oder verletzten Tieren zurückgeblieben, der größte Teil der Truppe aber hatte das Tempo durchhalten können. Die seltsamen Reittiere der Obedianer waren überaus zäh und gedul­dig, das hatten sie einmal mehr bewiesen. Jetzt allerdings, in Sichtweite der Stadt, ver­rieten ihre Bewegungen, daß sie sich zum letzten Mal zu einer Kraftanstrengung auf­rafften. Die Nähe der Stadt gab ihnen neue Kraft, danach brauchten sie eine längere Pause, in der sie ihre Kräfte ergänzen und wiederherstellen konnten. Den Reitern ging es nicht viel besser. Die meisten hingen schwer auf ihren Sätteln und hatten Mühe, sich auf den Tieren zu halten. Wir alle hat­ten in den letzten Tagen zu wenig gegessen, fast nichts getrunken und praktisch keine Stunde geschlafen.

»Vorwärts!« krächzte Carnat. »Es wird nicht mehr lange dauern!«

Wir trieben noch einmal unsere erschöpf­ten Tiere an. Langsam setzten sie sich in Be­wegung, wurden schneller und fielen schließlich in einen verhaltenen Galopp.

Ich drängte mein Tier an Carnats Reit­schwein heran. Ich hatte schon einige Male versucht, das Thema anzuschneiden, hatte aber niemals eine brauchbare Antwort be­kommen. Carnat war wortkarg, und er hatte vermutlich seinen Verwandten befohlen, ebenfalls zu schweigen. Was der geheimnis­volle Ring um die Festung zu bedeuten hat­

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te, war mir noch immer ein Rätsel. Ich deutete auf den Ring, der seltsam zu

leuchten schien. »Was ist das für ein Gebilde?« fragte ich

ohne Umschweife. »Der Ring?« »Ja, der Ring!« »Hmmm«, machte Carnat. »Halt der

Ring, mehr nicht.« »Wozu dient er?« »Der Ring?« Ich hätte ihm den Hals umdrehen können.

Ich sah aber ein, daß aus dem maulfaulen Nomaden nichts herauszuholen sein würde, wenn mir nicht irgendein Trick einfiel, ihn gesprächiger zu machen.

»Könnt ihr den Ringtransmitter wenig­stens bedienen?« fragte ich.

An der Reaktion des Nomadenhäuptlings war abzulesen, daß ich mit meiner Frage ei­nigermaßen präzise getroffen hatte. Das selt­same Ding hatte also eine Funktion. Es sah aus wie eine Kreuzung aus einem Teilchen­beschleuniger und einem Transmitterfeld, vielleicht stellte es beides darf.

»Wir können gar nichts«, murmelte Car­nat.

»Der Transmitter ist vielleicht die einzige Chance, den Planeten zu verlassen, wenn die Scuddamoren kommen.«

Der Bursche versuchte allen Ernstes, mich für dumm zu verkaufen.

»Warum sollten wir Sinkle-Eehl verlassen müssen?«

»Die Scuddamoren werden euch für den Untergang des Schiffes verantwortlich ma­chen.«

»Wir haben das Schiff nicht abstürzen las­sen«, versetzte Carnat.

»Macht das den Scuddamoren klar«, gab ich spöttisch zurück. Ich mußte an das Ge­heimnis der Anlage herankommen, sonst war unser Leben keinen lausigen Skalito mehr wert. Ich hatte genug Erfahrung im Umgang mit den Herrschern des Marantro­ner-Reviers.

Carnat gab keine Antwort. Er beugte sich tief über den Hals seines Reittiers, dann

Peter Terrid

richtete er sich im Sattel auf, wandte den Kopf zu mir und sah mich an.

»Würdet ihr uns helfen?« »Helfen wobei?« »Das Geheimnis von Ringtor zu ergrün­

den«, sagte Carnat langsam. Daher also wehte der Wind. Die Herren der seltsamen Anlage wußten selbst nicht Bescheid und brauchten unsere Unterstützung. Das ließ unsere Hoffnungen sinken, Ringtor schnell für unsere Zwecke dienstbar machen zu kön­nen. Wenn wir erst das Geheimnis zu er­gründen hatten …

»Ist das Geheimnis schon lange in Ver­gessenheit geraten?«

»Jahrhunderte, Jahrtausende, wir wissen es nicht mehr. Keiner von uns kann sich er­innern, vielleicht ist das der Preis, den wir zahlen müssen.«

»Wofür?« Wieder versank Carnat in Schweigen.

»Wirst du das Geheimnis für dich behal­ten, wenn ich es dir verrate?«

»Das hängt von den Einzelheiten und Be­dingungen ab.«

»Du müßtest einer von uns werden, und wenn deine Gefährtin ebenfalls informiert werden soll, müßte sie zu unserer Sippe ge­hören.«

Das hieß im Klartext, daß ich die Ehre ha­ben würde, Santhillia zu ehelichen, während Thalia unter den männlichen Obeds die freie Wahl hatte – wer von uns beiden dabei zu beneiden war, ließ sich nicht feststellen. Bei dem bloßen Gedanken sträubten sich mir die Haare.

Lüge, Narr, schimpfte der Logiksektor. Schwindle um dein Leben. Wenn du auf dem Planeten bliebest, währte dein Leben ohne­hin nicht mehr lange genug!

»Ich werde die Bedingung erfüllen«, ver­sprach ich. »So gut ich kann.«

Damit war die Lüge weitgehend abge­schwächt. Carnat überlegte lange. Er sah sich nach seinen Verwandten um, dann trieb er sein Tier ganz dicht an meines heran.

»Es ist so«, sagte er sehr leise, »daß wir Obeds nicht altern, solange wir in der Fe­

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stung leben.« Ich ließ einen leisen Pfiff aus. Das war al­

lerdings ein hochkarätiges Geheimnis. »Trifft das auf alle Lebewesen zu, die sich

im Innern der Festung aufhalten?« Carnat schüttelte den Kopf. »Es gilt nur für uns Obeds«, sagte er.

»Vielleicht auch für euch, das läßt sich fest­stellen.«

»Hoffentlich«, sagte ich kläglich. Die Vorstellung, mit der unsterblichen Santhillia … man dachte den Gedanken besser nicht zu Ende, wenn man bei Verstand bleiben wollte.

»Wir entfernen uns daher niemals von Ringtor«, fuhr Carnat fort. »Dies ist eine Ausnahme, und ich kann deutlich spüren, daß mich dieser Ausflug Lebenszeit gekostet hat.«

Ich schwieg, denn mir war plötzlich eines klargeworden: wenn die seltsame Anlage von Ringtor dazu diente, den Obeds das Le­ben zu verlängern, dann half uns diese Ma­schinerie gar nichts.

Der Rand der Zeltstadt wurde erreicht. Es war still im Lager, wie damals, als wir ge­flüchtet waren. Es war eine beklemmende Stille, die uns umfing.

Thalia hielt sich an meiner Seite, hinter ihr ritt, das Auge nicht von der Odinstochter wendend, Drumuuhl-Obed.

Unsere Reittiere hatten es eilig, zum Was­ser zu kommen. Auf den letzten Metern fie­len sie sogar in einen holprigen Galopp. Erst in der Nähe des großen Wasserbeckens blie­ben sie stehen.

Wir stiegen aus den Sätteln. Der Ring leuchtete geheimnisvoll in der

Dunkelheit. Wer mochte die Anlage erbaut haben, und vor allem: wofür? Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sich irgendeine Rasse ausgerechnet diesen reichlich trostlosen Pla­neten ausgesucht hatte, um darauf ein Leben ohne Ende zu führen.

»Ringtor steht seit unzähligen Jahren«, sagte Carnat. »Wir haben längst vergessen, was es damit auf sich hat. Nur eines hat sich uns unauslöschlich eingeprägt – Ringtor ist

für die Obeds Verheißung und Fluch zu­gleich.«

Ich runzelte die Stirn. Gerade wollte ich eine Frage stellen, als es plötzlich um uns herum taghell wurde.

Auf den Dächern der Festungsgebäude lo­derten riesige Feuer auf, in den Zelten wurde es lebendig. Wir waren erwartet worden. Tehtleyn-Obed hatte für einen Empfang ge­sorgt, der nur eines bedeuten konnte – unse­ren Tod.

Ich griff zum Schwert. »Tehtleyn, du schändlicher Bube!« schrie

Carnat. Er griff nach seinem Schwert und zog es. Mit einer herrischen Geste befahl er alle Obedianer zu sich, die in seiner Nähe standen.

»Hehehe!« Auf einem der Dächer erschien die

schmale Gestalt des Jungen. Tehtleyn ki­cherte, und das bedeutete bei diesem Kna­ben bestimmt nichts Gutes.

Gegen die Übermacht hatten wir keine Chance, das stand von vornherein fest. Un­sere kleine Truppe war viel zu erschöpft, um lange Widerstand leisten zu können, oben­drein hat ten die Obedianer vermutlich we­nig Lust, sich von ihren Brüdern und Ver­wandten abschlachten zu lassen.

»Wir müssen Tehtleyn fangen«, rief ich Thalia zu. Die Odinstochter nickte, und sie setzte sich praktisch zur gleichen Zeit in Be­wegung wie ich. Für die Geschmäcker der Obedianer waren wir Hünen. Dementspre­chend wirkten unsere Körperkräfte. Ich brauchte nur ein paarmal mein Schwert zu schwingen, um in der Menge der Angreifer eine breite Gasse zu schaffen.

»Fangt sie lebendig«, keifte der Knabe über unseren Köpfen. »Mit meinen Ver­wandten macht, was ihr wollt, aber fangt mir diese beiden lebend. Ich will ihnen …«

»Tehtleyn, du Lump«, keifte Santhillia zurück. »Wenn ich dich zu fassen bekomme …«

Mit einigen Sätzen hatten Thalia und ich das Tor der Festung erreicht. Für die Obe­dianer mochte es sich um dicke Balken han­

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deln, für uns handelte es sich um Latten, nicht gerade leicht zu bewältigen, aber auch nicht unüberwindlich. Ich spürte das Holz unter meinen Fäusten ächzen, dann splittern.

Ein Schreckensschrei ging durch die Menge, als der Balken des Großen Tores brach. Den lautesten Schrei hatte Tehtleyn ausgestoßen.

Fassungslos starrte er auf uns herab, dann wandte er sich zur Flucht.

»Alles hört auf mein Kommando!« schrie Carnat. »Ergreift Tehtleyn und bringt ihn zu mir. Ich verspreche dem, der den Wahnsin­nigen herbringt, die Hand von Santhillia!«

Die Stille nach diesen Worten ließ vermu­ten, daß auch die Obedianer einige Zeit brauchten, bis sie dieses noble Angebot recht zu würdigen wußten.

Thalia und ich warteten nicht länger. Die beiden Posten, die hinter dem Tor auf uns warteten, wurden nach kurzem Gefecht nie­dergeschlagen, dann war der Weg in das In­nere der Festung frei.

»Ich begleite euch!« rief Carnat uns nach. »Wagt es nicht, allein in der Festung herum­zulaufen. Es würde euer Tod sein!«

Seine Verwandten folgten seinem Bei­spiel; an der Spitze der laut schreienden Meute der Obedianer drangen sie auf das Tor ein. Tehtleyns Aufstand war praktisch beendet, bevor er recht begonnen hatte.

»Ihr bleibt zurück!« befahl Carnat seinen Gefolgsleuten. »Mit Tehtleyn werden wir al­lein fertig!«

Die Obedianer gehorchten. Das Innere des Riesengebäudes war ihnen unheimlich, kein Wunder, wenn man daran dachte, daß sie gewohnt waren, ihr Leben hauptsächlich un­ter freiem Himmel zuzubringen.

»Bleibt an meiner Seite«, sagte Carnat-Obed. »Es ist nicht ungefährlich hier. Ring­tor birgt Geheimnisse, die nicht einmal wir recht kennen.«

»Und diese Geheimnisse willst du ihnen verraten?« fragte Santhillia. »Fremden?«

»Keineswegs«, sagte Carnat mit schauer­lichem Lächeln. »Nicht Fremden, Verwand­ten!«

Peter Terrid

10.

Ungeachtet der Drohung des Obeds arbei­teten wir uns vor. Mochte auch das Damo­klesschwert einer Verwandtschaft mit den Obeds über uns schweben, wir durften uns darum nicht kümmern.

Eines fiel mir sofort auf – Ringtor war in seinem Inneren erheblich besser ausgestat­tet, als man von außen hätte vermuten kön­nen.

Die ersten Gebäude, die wir durchschrit­ten, paßten noch genau zu dem Rahmen, der von dem Zeltlager der Nomaden vorgegeben war. Die Räume waren niedrig und düster, wurden von Fackeln erhellt und sahen de­mentsprechend verrußt aus. In den Räumen hing eine muffige Luft, die auf schlechte Lüftung und mangelndes Reinlichkeitsemp­finden der Bewohner schließen ließ.

Dann aber besserten sich die Verhältnisse. Ich sah etwas an der Wand, das unzwei­

felhaft wie ein Lichtschalter aussah und sich auch so betätigen ließ. Ich war dennoch überrascht, daß nach meinem Handgriff tat­sächlich eine indirekte künstliche Beleuch­tung aufflammte. Santhillia stieß einen spit­zen Schrei aus, Carnat riß den Mund weit auf.

»Woher kennt ihr diese Geheimnisse?« fragte er entgeistert. »Niemand außer uns kann den Diener des Lichtes beschwören.«

»Pah«, sagte ich. Möglich, daß die Obeds körperlich un­

sterblich waren – ihre geistigen Fähigkeiten hatten unter dieser Lebenserwartung ganz offensichtlich zu leiden gehabt.

Ein weiterer Knopfdruck ließ die Belüf­tungsanlage anlaufen. Die Obeds kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Irgendwie taten sie mir leid – sie gehörten nach ihrem Selbstverständnis nicht zu den Nomaden, auf die sie herabsahen. Andererseits paßten sie aber auch nicht in die Festung, mit der sie nichts anzufangen wußten.

»Tehtleyn muß sich hier irgendwo verbor­gen halten«, sagte Carnat. »Dort sind seine

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Spuren!« In diesem Fall kam uns die Tatsache zu­

statten, daß die Obeds keine sehr reinlichen Leute waren. Der fingerdicke Staub auf dem Boden ließ die Fußspuren des Knaben genau erkennen. Wir brauchten ihnen nur zu fol­gen.

Ich hielt das Schwert in der Hand, obwohl ich mir dabei eher komisch vorkam. Die Waffe paßte nicht zum technischen Stand der Räume, durch die wir uns bewegten.

»Wozu dient das alles?« fragte Thalia. »Wir wissen es nicht«, sagte Drumuuhl-

Obed kläglich. »Der größte Teil der Räume ist noch nie von einem von uns betreten worden. Es gibt da eine Weissagung …«

Ich blieb stehen. »Wie lautet diese Weissagung?« Drumuuhl zögerte. Er sah erst seine Ver­

wandten an und holte ihr Einverständnis ein, bevor er antwortete.

»Es heißt«, sagte er dann zögernd, »daß es tief im Innern von Ringtor geheimnisvolle Anlagen gibt. Sie stehen bereit für den Fall der größten Not – und sie werden aller Not ein Ende machen.«

»Bislang wurde das so ausgelegt, daß uns dieses Geheimnis den sicheren Tod bringen wird«, setzt Carnat die Erklärung fort. »Es heißt auch, daß kein Obed diesen Planeten jemals wird verlassen können.«

»Wann wurde die Weissagung ausgespro­chen?«

»Vor vielen Jahrtausenden«, sagte Carnat. »Vielleicht Millionen von Jahren, auch das wissen wir nicht.«

Er bot einen seltsamen Anblick. Ein schmaler sechsarmiger Nomade, gehüllt in weite, vom Staub des Wüstenritts bedeckte Gewänder, in einer mageren, bebenden Hand ein Kurzschwert – beleuchtet von elektrischem Licht in einem Raum, der Jahr­tausende von ihm entfernt zu sein schien.

Die Obeds sahen uns an. Sie waren nicht länger die Herrscher von Ringtor, in dieser Umgebung wirkten sie eher kläglich.

»Weiter!« bestimmte ich. Irgendwo in der Festung trieb sich Teht­

leyn herum. Ich kannte mich zwar in der Psychologie von wahnsinnigen Knaben nicht aus, aber ich vermutete, daß Tehtleyn ohne Wissen seiner Verwandten in den Gän­gen und Kammern der Festung herumgestö­bert hatte. Vielleicht hatte er bei dieser Su­che Dinge gefunden, die dem technischen Standard seiner Verwandtschaft überlegen waren. Wir mußten damit rechnen, daß uns Tehtleyn mit einer Energiewaffe entgegen­trat – und dieser Ausrüstung hatten wir prak­tisch nichts entgegenzusetzen.

Wir folgten den Fußspuren, die Tehtleyn bei seiner Flucht hinterlassen hatte und die auf dem staubigen Boden bestens zu sehen waren. Nach der Schrittlänge zu schließen, hatte es Tehtleyn sehr eilig gehabt. Das ließ entweder darauf schließen, daß er entsetzli­che Angst hatte – oder aber darauf, daß er sich in diesem Teil der Festung auskannte und genau wußte, wohin er rannte. Diese zweite Möglichkeit wollte mir nicht gefal­len, aber ich konnte nichts daran ändern.

Mir fiel auf, daß wir uns langsam in die Tiefe bewegten. Nach meiner Schätzung hielten wir uns schon einige Meter unterhalb des Bodenniveaus auf. Die Wände der Räu­me, durch die wir schritten, waren mit einer hellen Plastikmasse verkleidet – auch das ein sicheres Zeichen, daß die Nomaden draußen im Zeltlager wenig mit Ringtor zu tun hatten. Ich fragte mich, wo die Fabrikati­onsstätten sein mochten, in denen das Mate­rial erzeugt worden war. Ansonsten waren die meisten Räume völlig leer. Ab und zu stießen wir auf kärgliche Möblierung, Betten und Stühle, die meisten stark beschädigt – und auch diese Möbel bestanden aus Kunst­stoff, den die Obeds nicht herstellen konn­ten.

»Wer hat die Festung gebaut?« wollte ich wissen. »Unsere Vorfahren«, lautete die Auskunft. »Aber das ist schon lange her. Damals waren wir Obeds die Herren des Marantroner-Reviers …«

Diese Zeit mußte schon sehr lange zu­rückliegen. Man brauchte einige Phantasie, sich die primitiven Bewohner von Sinkle­

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Eehl als Herrscher über ein so großes Gebiet wie das Marantroner-Revier vorzustellen. Sie hatten einen beachtlichen technischen Abstieg hinter sich. Ich vermutete, daß das Volk der Obeds praktisch bis auf die fünf skurrilen Gestalten ausgestorben war – das Bewußtsein dieses Zustands mußte für die ehemaligen Herrscher schwer zu ertragen sein. Dann erreichten wir den Schacht.

Ich erkannte die Röhre sofort. Es war ein ganz normaler Antigravschacht, wie ich ihn schon Tausende von Malen gesehen hatte. An der Einstiegsöffnung hörten die Fußspu­ren von Tehtleyn auf.

»Der arme Junge«, seufzte Santhillia, die offenbar annahm, Tehtleyn sei in den Schacht gefallen.

Mir bewiesen die letzten Schritte, die auf dem Boden zu erkennen waren, daß der Knabe sehr genau gewußt hatte, wie ein An­tigravschacht zu bedienen war.

Der Richtungsanzeiger wies nach unten, die Betriebslampe leuchtete.

»Er steckt dort unten«, erklärte ich mei­nen Begleitern. »Wohin führt der Schacht?«

»Führen? Was heißt führen?« Ich versuchte den Obeds zu erklären, was

es mit dem Schacht auf sich hatte – und sie begriffen schneller, als ich angenommen hatte. Wahrscheinlich lag das daran, daß die Obeds von Naturwissenschaften keine Ah­nung hatten. Sie waren bereit, alles zu glau­ben, und als ich mich in den Schacht schwang und vor ihren Augen langsam in die Tiefe sank, folgten sie nach nur kurzem Zögern.

Es war natürlich möglich, daß Tehtleyn-Obed irgendwo dort unten lauerte und einen unscheinbaren Knopf betätigte, wenn er uns entdeckte. Üblicherweise waren aber diese Knöpfe, mit denen man einen Antigrav­schacht ausschalten konnte, sehr versteckt angebracht – eben damit nicht jeder Knabe die Möglichkeit hatte, bluttriefende Scherze zu treiben.

Trotzdem war ich gespannt, was uns er­wartete. Wir sanken langsam in die Tiefe, einer Unterwelt entgegen, die für uns voller

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Rätsel war. Der Schacht führte sehr tief in den Boden

des Planeten hinab. Wir verließen ihn vor seinem Ende – ich sah rechtzeitig, daß Teht­leyn den Schacht verlassen hatte.

Im Lauf der Jahrtausende hatte sich der Staub bis in diese Tiefe hinabsenken kön­nen. Er war zwar nicht so dick wie in den oberen Etagen, aber es genügte, um deutli­che Spuren zu hinterlassen.

»Ich habe Angst«, sagte Santhillia, als wir den Schacht verlassen hatten. »Dies alles paßt nicht zu uns. Es ist gefährlich. Wir soll­ten umkehren.«

»Unsinn«, wehrte Carnat ab. Ich sah, daß seine Augen glänzten. »Überlege, was wir hier alles finden könnten.«

Ich wußte, woran Carnat dachte. Der Obed war gewitzt genug sich zu sagen, daß wir keine Götter waren – was immer wir konnten, konnte er lernen. Und er konnte deutlich sehen, daß uns die technischen Wunder dieser Unterwelt völlig vertraut wa­ren. Wenn er all diese Informationen zusam­mengetragen hatte, die wir ihm liefern konn­ten, dann konnte er eine Herrschaft etablie­ren, die keiner mehr brechen konnte.

Seine Verwandtschaft betrachtete diese technifizierte Welt mit nicht geringem Grau­sen. In den langen Jahrhunderten ihres Le­bens auf Sinkle-Eehl hatten sie sich weitge­hend dem kulturellen Niveau der von ihnen beherrschten Obedianer angepaßt. Sie waren Nomadenherrscher geworden, von Raum­fahrt verstanden sie nichts mehr.

Nicht einmal Tehtleyn verstand etwas da­von. Der Knabe hatte herausgefunden, wie man einen Antigravschacht bediente, zu mehr hatte sein Wagemut nicht gereicht.

Wir fanden ihn in einer Schaltzentrale. Bei unserem Erscheinen schrie er laut und versuchte sich in einem Winkel des Raumes zu verstecken. Drumuuhl hob sofort sein Schwert und marschierte auf ihn zu.

»Elende Ratte!« zischte der Obed. »Zurück!« bestimmte Carnat. »Wir sind

zu wenige, als daß wir uns gegenseitig töten dürften. Über Tehtleyn sprechen wir später.

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Jetzt möchte ich wissen, was dies alles zu bedeuten hat.«

Tehtleyn war sichtlich erleichtert, daß man ihm nicht an den Kragen wollte. Den­noch blieb er wohlweislich in sicherer Deckung, während er uns von seiner Ent­deckung berichtete. Danach war er vor eini­gen Jahren beim Spielen auf den Schacht ge­stoßen. Beim Herumfingern an den Knöpfen hatte er zufällig den richtigen Knopf ent­deckt. Die Wirkung des Antigravfelds hatte er herausgefunden, als er versucht hatte, einen gleichaltrigen Spielkameraden in das Loch zu stoßen. Zu Tehtleyns Leidwesen war der Kamerad nicht tödlich abgestürzt, sondern langsam in die Tiefe geschwebt. Daraufhin hatte Tehtleyn auf eigene Faust seine Erkundungen angestellt. Da er all dies ohne Wissen seiner Verwandten betreiben mußte, hatte er bisher nicht sehr viel heraus­finden können.

»Warum hast du uns nichts davon er­zählt?« wollte Santhillia wissen.

Tehtleyn schwieg, weil er sich mit der Wahrheit neuen Ärger eingehandelt hätte. Schwerlich hätte er wahrheitsgemäß erklä­ren können, er habe gehofft, mit den neu er­worbenen Kenntnissen seine Verwandt­schaft abschlachten zu können.

Tehtleyn wurde eine Antwort erspart. In dem Augenblick nämlich, in dem er zu einer Erklärung ansetzte, schrillte eine Sirene.

Die Obeds standen erst starr und verkro­chen sich dann in die Winkel des Raumes. Ich sah mich um und entdeckte ein rotes Blinklicht. Neben dem Licht war ein Hebel zu sehen. Ich griff danach.

Jeder Fehler konnte uns den Tod bringen – theoretisch. Ich vertraute darauf, daß tech­nische Anlagen dieser Art in aller Regel ge­gen krasse Bedienungsfehler abgesichert waren.

Ich legte den Hebel um. Ein paar Sekun­den verstrichen, dann flammte ein Bild­schirm auf.

Er zeigte den Weltraum in der Nähe von Sinkle-Eehl. Während die Obeds vor Angst kreischten, sah ich das Bild genauer an.

»Das habe ich erwartet«, sagte ich zu Thalia. »Dort hinten, am rechten Bildrand!«

Thalia nickte nur. Was unsere Beobachtung bedeutete, war

auf den ersten Blick klar. Eine Flotte näherte sich Sinkle-Eehl. Die Scuddamoren rückten an.

*

»Ihr habt nicht mehr viel Zeit«, sagte ich laut. »Kommt aus euren Verstecken, bevor es zu spät ist.«

»Wieso zu spät?« Carnat kroch unter einem Instrumenten­

pult hervor. Ich deutete auf den Schirm, auf dem sich

die leuchtenden Punkte in beängstigendem Tempo der Projektion des Planeten Sinkle-Eehl näherten.

»Die Scuddamoren kommen«, sagte ich. »Wenn uns nicht ein Ausweg einfällt, wird unser Leben nur noch ein paar Stunden wäh­ren.«

Die Obeds schwiegen bedrückt. »Wir wissen nichts«, sagte Carnat

schließlich. »Wir sehen dies alles zum ersten Mal.«

»Ich kenne mich auch nicht aus«, sagte Tehtleyn hastig.

Unsere Lage war verzweifelt. Eine Flotte der Scuddamoren raste heran, ich zählte mindestens sechzig Schiffe. Die Scuddamo­ren kannten keinen Pardon, sie waren offen­bar gewillt, das Problem gründlich zu lösen.

Ich ließ die Obeds einfach stehen und wandte mich zu den Instrumenten und Be­dienungshebeln der Zentrale von Ringtor.

Es mußte doch irgendeine Möglichkeit geben …

Ich suchte auf dem Pult nach Symbolen, die ich verstehen konnte. Der größte Teil der Piktogramme war mir fremd, ein anderer Teil sehr eindeutig, aber nutzlos. Ich hätte eine Armada von Reinigungsrobots los­schicken können, die in einem sorgsam ab­geschotteten Arsenal auf ihren Einsatz war­teten, aber das hätte nichts genutzt.

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Und dann entdeckte ich, mitten auf dem wichtigsten Schaltpult, ein vertrautes Zei­chen.

Nachdem ich den Staub heruntergepustet hatte, gab es keinen Zweifel mehr.

Ich sah einen großen Knopf mit einer Si­cherung und daneben in das Metall graviert eine stilisierte Abbildung – Ringtor.

Ich wechselte einen kurzen Blick mit Tha­lia. Die Odinstochter wies stumm auf den Bildschirm. Die Scuddamoren waren näher­gekommen. Ich klappte die Sicherung zur Seite und leckte mir die Lippen. Dann drückte ich den Knopf in seine Fassung.

*

Als der Planet näherzukommen schien, machten die Kanoniere der Scuddamoren­flottille ihre Geschütze einsatzfertig. Der Auftrag der Flotte war einfach. Er ergab sich daraus, daß im Zug allgemeiner Forschun­gen Hinweise gefunden worden waren, die Chirmor Flog verraten hatten, daß es zum einen noch überlebende Obeds gab und daß zum anderen diese Obeds ein Etwas besa­ßen, daß auf den Namen Ringtor hörte und bislang ungeklärte Funktionen aufwies. Dar­aufhin war ein Schiff der Scuddamoren los­geschickt worden, das sich mit den Obeds und Ringtor hatte beschäftigen sollen. Nach kurzer Zeit jedoch hatte sich das Schiff – die LARZIER – über Funk gemeldet, etwas von einer merkwürdigen Strahlung berichtet und dann von einem Absturz. Der Verlust der LARZIER schien mit dem geheimnisvollen Ringtor in Zusammenhang zu stehen.

Daraufhin war unverzüglich eine Flotte in Marsch gesetzt worden. Sie hatte den sim­plen Auftrag, die Ursache für den Absturz der LARZIER zu beseitigen.

Nun war diese Flotte im Anflug auf Sinkle-Eehl, und auf den Schirmen der Zen­tralen zeichnete sich das Bild des Planeten deutlich ab.

Der Zufall wollte es, daß die Scuddamo­renFlotte praktisch genau auf Ringtor zura­ste. Auf den Schirmen der Schiffe war Ring-

Peter Terrid

tor bereits frühzeitig zu sehen. Daraufhin wurde Gefechtsbereitschaft

hergestellt. Und wenig später begann auf den Schir­

men Ringtor aufzuleuchten und eine ge­heimnisvolle Strahlung zu verbreiten.

Die Kommandanten gaben die vorbereite­ten Befehle.

*

»Ich habe Angst«, sagte Carnat-Obed. »Das wird nicht gutgehen!«

Seine Verwandten nickten betreten. Mit deutlich erkennbarer Angst starrten sie auf das Loch im Boden der Zentrale.

Ich hatte den geheimnisvollen Knopf kaum in die Fassung gepreßt, als sich der Boden der Zentrale geöffnet hatte. Ein großes, kreisrundes Loch war sichtbar ge­worden, und wenn man in das Loch hinab­sah, sah man in der Tiefe ein bläuliches Leuchten. Der Schimmer erinnerte an den Ring um die Festung.

Ein Transmitter, bestätigte der Extrasinn meinen Verdacht.

»Wir haben keine Zeit mehr«, stieß ich hervor.

Wieder bebte der Boden. Seit sieben Mi­nuten wurde Sinkle-Eehl von den Scudda­moren mit Bomben belegt. Auf den Bild­schirmen war zu sehen, daß sich die Bewoh­ner der Zeltstadt in wilder Flucht davon­machten. Die Scuddamoren kümmerten sich nicht um die Nomaden. Sie zogen vom Ab­sturzplatz des Organschiffs bis nach Ringtor eine gerade Spur der Verwüstung. Noch hat­ten sie die Festung nicht erreicht.

»Es heißt«, murmelte Drumuuhl-Obed, »daß keiner von uns diesen Planeten wird verlassen können.«

Ich verlor die Geduld. »Wenn ihr es nicht anders wollt«, stieß

ich hervor. »Thalia, komm!« Wir standen am Rand des Antigrav­

schachts, machten einen Schritt. Das Feld ließ uns langsam in die Tiefe sinken. Ich sah erst auf das blaue Leuchten unter mir, das

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langsam näherkam, dann spähte ich nach oben.

Gegen die Öffnung des Schachtes sah ich die Silhouetten der Obeds, die noch einen Augenblick lang zögerten, dann aber eben­falls ihr Heil auf diesem verzweifelten Wege suchten. Sie folgten uns. Das blaue Leuchten wurde stärker. Und wieder zitterte der Bo­den. Eine Bombe war in unmittelbarer Nähe der Festung detoniert. Die nächste Bombe mußte treffen. Unser Abstieg wurde schnel­ler. Es hatte fast den Anschein, als seien wir in einen Sog geraten. Immer näher kam das Leuchten. Noch arbeitete der Transmitter … wenn es tatsächlich ein Transmitter war. Ich hörte, wie die Obeds vor Angst schrien, dann griff ein grauenvoller Schmerz nach mir, ein greller Blitz schien durch mein Be­wußtsein zu rasen, danach war alles schwarz.

*

Die Flotte der Scuddamoren blieb zwei Stunden im Orbit um Sinkle-Eehl. Nach Ab­lauf dieser Frist stand fest, daß es kein tech­nisch höherstehendes Leben mehr auf Sinkle-Eehl gab.

Das abgestürzte Scuddamorenschiff war restlos zerstört, desgleichen das strahlende Gebilde auf Sinkle-Eehl. Davon waren nicht einmal Reststrahlungen übriggeblieben.

Nach den Beobachtungen der Scuddamo­ren existierte auf Sinkle-Eehl nur noch ein kleines Völkchen primitiver Nomaden.

Der Kommandant der Flotte hatte keine Anweisung, auch dieses Volk zu vernichten.

Er hatte seinen Auftrag erfüllt. Ringtor und seine Herrscher existierten nicht mehr.

E N D E

Weiter geht es in Atlan Band 416 von König von Atlantis mit: Landung auf Atlantis von H. G. Ewers