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17. September 2016, Kursaal Bern HERZVERTRAUEN Prof. Dr. med. Roland von Känel, Chefarzt Psychosomatische Medizin Klinik Barmelweid Helsana-Gesundheitsforum zum Thema Herz-Kreislauf

Herzvertrauen Gesundheitsforum 17Sep2016 def - helsana.ch · Zahlenbroschüre 2012 der Schweizerischen Herzstiftung: . Häufige Reaktionen der Betroffenen auf eine Herzerkrankung

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17. September 2016, Kursaal Bern

HERZVERTRAUEN

Prof. Dr. med. Roland von Känel, Chefarzt Psychosomatische MedizinKlinik Barmelweid

Helsana-Gesundheitsforum zum Thema Herz-Kreislauf

Bedeutung von Herz-Kreislauf-Krankheiten

• Häufigste Todesursache in industrialisierten Ländern• Schweiz: 36% der Todesfälle in der Gesamtbevölkerung im 2009

- Koronare Herzkrankheit (inkl. Herzinfarkt): 14%- andere Herzkrankheiten (v.a. Herzinsuffizienz): 9% - Hirnschlag: 6%- weitere (v.a. hoher Blutdruck): 7%

Zahlenbroschüre 2012 der Schweizerischen Herzstiftung: www.swissheart.ch

Häufige Reaktionen der Betroffenen auf eine Herzerkrankung – normal!

• Schock• Ungläubigkeit• Warum gerade ich?• Schuldgefühle: was falsch gemacht?• Tiefe Verunsicherung: Was darf ich noch? • Trauer• Angst, Zukunftsangst• Berufliche Fragen• Bewusstwerden der eigenen Endlichkeit• Auch möglich: Dankbarkeit, Erleichterung, Entlastung

Bilder sagen mehr als 1'000 Worte!

Princip et al, Health Psychol Open 2015

Herzschaden Gefässblockierung

Emotionen

Herzgrösse

Klinische Bedeutung von Herz-Zeichnungen

Je grösser die beschädigte Fläche, umso…

• … grösser das Stresserleben während dem Infarkt

• … mehr negative Einstellungen zur Herzgesundheit und den Auswirkungen auf das weitere Leben

• … länger geht es bis Arbeitsfähigkeit wiedererlangt wird

• … mehr Traumatisierung 3 Monate nach Infarkt

Broadbent et al, J Psychosom Res 2004, Princip et al, Health Psychol Open 2015

Häufige Reaktionen des Umfelds auf eine Herzerkrankung – normal!

• Verlustängste, Sorgen, Trauer• Hilflosigkeit, Ohnmacht

• Schonen der Betroffenen

• Konflikte vermeiden

• Entlastung der Betroffenen – Überlastung der Angehörigen

• Überbehüten, um eigene Ängste abzubauen

• Nicht über Krankheit reden, schweigen

Als Grund für den Herzinfarkt nannte er zu wenig Schlaf, zu viel Stress und zu schweres Essen.

«Die Angst begleitet mich ständig». Am Handgelenk trägt er meist eine Pulsuhr («um meine Stressfaktoren zu ermitteln»). «Ich muss mehr auf meinen Körper hören, ohne gleich zum Hypochonder zu werden.»

Schweizer Illustrierte, 28. Juni 2014

"Schützt sein Herz jetzt besser: Bäumle führt nach Herzinfarkt akribisch Buch über Energiebilanz"

Nach dem "Schuss vor den Bug" will er:1. mehr Sport treiben2. sich entspannen3. gelassener reagieren4. gezielt Ruheoasen frei halten5. nicht mehr 24 Stunden erreichbar sein

"…es gibt nur noch mageres Rindersteak und Rotwein."

Aargauer Zeitung, 6.4.14 & Tagesanzeiger, 2.4.14

Tagesanzeiger, 2.4.14

«Ich muss lernen, mehr Vertrauen zu schenken und Aufgaben zu delegieren»

~ 1 Jahr danach: Herr Bäumle sieht deutlich besser aus!

Wenn das Herz-Vertrauen verloren geht

und nicht mehr zurückkehren will…

«Philosophie des Vertrauens» mit Herzbezug

• Vertrauen in das eigene Herz zu haben ist eine Verhaltensweise, die alltägliche Entscheidungen und Handlungen beeinflusst.

Normalfall: «blindes Vertrauen in das eigene Herz, der Herzinfarkt ist etwas für die Anderen»

• Wer vertraut, gibt die Kontrolle über zukünftige Ereignisse ab.

Ein Infarkt wird als Vertrauensbruch und Kontrollverlust erlebt.

"OhnejeglichesVertrauenkönntederMenschmorgensseinBettnichtverlassen.UnbestimmteAngstundlähmendesEntsetzenbefielenihn.“ (LuhmannN,1989)

"OhnejeglichesVertraueninseinHerzkönntederHerzpatient morgensseinBettnichtverlassen.UnbestimmteAngstund

lähmendesEntsetzenbefielenihn.“

Klinische Extremformen von erlebtem „Vertrauensbruch“

Herzpatient/innen, die…

• sich nicht mehr aus dem Haus getrauen

• quälende Angst haben, Schlafen zu gehen

• jegliche Anstrengung und Arbeit vermeiden

• den Körper permanent nach Infarktzeichen absuchen

• sich notfallmässig immer wieder ins Spital einweisen

Angst spielt offenbar eine wichtige Rolle!

Bei der Angst können verschiedenste Symptome von unterschiedlicher Ausprägung vorliegen:

Gefühle: Hilflosigkeit, Furcht, PanikGedanken: Sorgen, Angst zu sterben, absichernVerhalten: Vermeidung / Flucht vor

angstauslösenden SituationenKörper: Atemnot, Druck auf Brust, Herzrasen,

Schwitzen, Zittern, Schwindel etc.

75 % aller Angstsymptome sind körperliche Symptome!

Die Angst ist dann als behandlungsbedürftige Erkrankung zu verstehen, wenn sie…

• … unangemessen stark ausfällt• … in der Situation nicht angemessen ist• … überdauert oder immer wieder auftritt• … keine Reduktion oder Bewältigung möglich ist• … vermieden wird und so das Leben beeinträchtigt

… zu „Angst vor der Angst“ führt: So entstehen Erwartungsangst und Vermeidungsverhalten!

„Gesundheitstipp“ Oktober 2012, pp. 25-26: Der Albtraum danach. Warum ein Herzinfarkt die

Patienten in eine schwere Krise stürzen kann.

Ein Herzinfarkt kann Patient/innen und Angehörige traumatisieren!

• Stresserleben und Todesangst während Infarkt: bei 20% stark, bei weiteren 50% mittelschwer.

• Symptome einer PTBS: bei 10-20%, oft anhaltend

• Schlechte Prognose: Erhöhtes Risiko für erneute Spitaleinweisung bei mehr Todesangst, Hilflosigkeit und posttraumatischen Symptomen.

• Angehörigenperspektive: Stress, Ängste, Depressivität bei Partnerinnen stärker ausgeprägt als bei Patienten.

Whitehead et al, Am J Cardiol 2005; van den Broek et al, Pacing Clin Electrophysiol 2010; Guler et al, Clin Cardiol 2009; von Känel et al, BMC Psychiatry 2011; von Känel et al, J Cardiol 2011;

Edmondson et al, PLoS One 2012; Edomondson & von Känel, Lancet Psychiatry (in press)

Verlust von Herzvertrauen über längere Zeit - ein Teufelskreis und seine Folgen

• Funktionseinschränkungen im Alltag- Beruf, Familie, Freizeit

• Verminderte Lebensqualität• Therapien und Lebensstiländerungen nicht umsetzbar• Ungünstiger Verlauf des Herzleidens

- Rückfälle, höhere Sterblichkeit

- Unnötige Abklärungen

• Psychische Folgekrankheiten- Angststörungen, Depressionen- Schlafstörungen, Substanzgebrauch

Depression in 20-40% nach Herzinfarkt

Es können verschiedene Symptome auftreten, die von Mensch zu Mensch ebenso verschieden ausfallen können:

Gefühle: Niedergeschlagenheit, Freudlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Wertlosigkeit

Gedanken: Vergesslichkeit, Konzentrationsstörung, tot seinVerhalten: Sozialer Rückzug, reduzierte AktivitätenKörper: Schlafprobleme, veränderter Appetit, Müdigkeit

Eine Depression soll dann behandelt werden, wenn mehrere Symptome über längere Zeit bestehen und diese das Funktionieren im Alltag klar einschränken.

Die Lösung! - Herzvertrauen zurückgewinnen und erhalten

• «Um eine Vertrauensbeziehung aufzubauen, muss, dass das Herz Gelegenheit bekommt, sich vertrauenswürdig darzustellen.»

Vertrauen «einreden» hilft nur bedingt.

Kognitive Verhaltenstherapie: positive Erfahrungen machen, Vermeidungsmuster abbauen, bedrohliche Annahmen korrigieren.

• «Vertrauenswürdig bleibt das Herz, wenn es bei dem bleibt, was es über sich selbst mitgeteilt hat.»

Realität: Trotz aller Absicherungsversuche, Therapien und Lebensstiländerungen bleibt Vertrauen ins Herz ein Risiko.

Umgang mit Restrisiko lernen: anerkennen, arrangieren, akzeptieren.

Zitate adaptiert nach Luhmann N, 1989

Komponenten einer psychokardiologischen Therapie, um Herzvertrauen und Herzgesundheit wieder aufzubauen und zu erhalten

Agorastos et al, Nervenarzt 2015

Angst Depression

Trauma

Psychokardiologische Versorgung in der Schweiz

• Hausarztmedizin / kardiologische Praxis:- Psychokardiologische Grundversorgung, langfristige Nachsorge- Vernetzung mit erfahrenen Psychotherapeuten

• Kardiale Rehabilitation (SAKR)- Stressmanagement

- psychosoziale Betreuung (Gruppenberatung)- praktischen Ratschläge für soziale / berufliche Wiedereingliederung- Intensivieren psychologischen Beratungsbedarf erfassen

• Ambulante regionale Herzgruppe- Gesundheitsbildung- gegenseitige psychologische Unterstützung

von Känel. Praxis (im Druck)

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«Ich mit Herzkrankheit»=

Gelungene Anpassung

HerzereignisHerzkrankheitBehandlung

10 praktische Tipps mit auf den Weg zu mehr

Herzvertrauen

«Rezept Herzvertrauen zurück gewinnen»

1. Information und Sicherheit durch ärztliche Kontakte (Leitlinien)

2. Vertrauensverlust, Ängste, schlechte Stimmung thematisieren

3. Soziale Unterstützung und Psychotherapie in Anspruch nehmen

4. Überwachte und angeleitete sportliche Tätigkeit (Physiotherapie)

5. Körperliche Empfindungen differenzieren (Flöhe u. Läuse Problem)

6. Vermeidungsverhalten vermeiden

7. "Katastrophen-Gedanken" vermeiden (sokratischer Dialog)

8. Entspannung lernen (Atemtherapie, Achtsamkeits-Training etc.)

9. Keine Verleugnung, etwas Optimismus und Vertrauen bewahren

10. Ggf. an einem kardialen Rehabilitationsprogramm teilnehmen

HERZlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Psychokardiologie Klinik Barmelweid

[email protected]