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Hevia Cosculluela - Pass Nr.11333

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Manuel Hevia Cosculluela

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Manuel Hevia Cosculluela

.11 . Acht Jahre bei der CIA

Militärverlag der Deutschen Demokratischen

Republik

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Originaltitel: Manuel Hevia Cosculluela Pasaporte 11 333

, Ocho anos con la CIA © Editorial de Ciencias Sociales. La Habana, 1978

Ins Deutsche übertragen von Jochen 'Martin

Der Verfasser dankt allen aufrichtig, die durch freundlichen Rat und durch tatkräftige Unterstützung mitgeholfen haben, das Buch zum Druck vor­zubereiten und schließlich herauszugeben.

© der deutschen Übersetzung: Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik

(VEB) - Berlin. 1982 1. Auflage

Lizenz-Nr.5 LSV: 7353

Lektor: Ursula Ulbricht Schutzumschlag und Einband: Wolfgang Ritter

Karte: Manfred Gneckow Typografie: Anne-Katrin Jeschke

Printed in the German Democratic Republic Lichtsatz: INTERDRUCK Graphischer Großbetrieb Leipzig - III/18/97 Druck und buchbinderische Weiterverarbcltung: Offizin Andersen Nexö,

Graphischer Großbetrieb Leipzig, IlI/18/38 Bestellnummer: 7463926

DDR5,70M

Einleitung

Als dieses Buch in meine Hände gelangte, die den Umgang mit unveröffentlichten Manuskripten gewohnt sind, überraschte mich die beachtliche, bei einem angehenden Autor seltene stilistische Reife. Trotzdem möchte ich nicht vordergründig bei literarischen Maßstäben verweilen, denn diese Buchseiten las­sen uns an einem Leben teilhaben, das die Umstände wendeten und zerlegten, bis es durch die Rückkehr in unser Vatedand gekrönt wurde. Als kubanischen Patrioten und Revolutionär erwartete Manuel Hevia eine schwere Aufgabe. Ohne daß er fortan ein anderes Recht gehabt hätte, als mit grenzenloser Hingabe den von der kubanischen Revolution erhaltenen Auftrag zu erfüllen, war er in eine Welt versetzt worden, in der ein allgegenwärtiges und diabolisches System des Druckes und des Zwanges herrschte. Wenn er sich dort behaupten konnte, um danach dieses~System bloßzustellen und den Nebelschleier der Entfremdung, mit dem die spätkapitalistische Gesellschaft ihren Überbau zu verhüllen pflegt, durchschaubar zu machen, so in erster Linie deshalb, weil ihm die Transparenz und die Anziehungskraft einer auf der Liebe zum Menschen beruhen­den Ideologie den Weg wies. Insofern ist natürlich sein Sieg zugleich ein Sieg der Arbeiterklasse und ihrer Weltanschauung, und wir begingen einen Fehler, würdigten wir seine Leistung ausschließlich als individuellen Erfolg. Durch ihn wird viel­mehr ein übriges Mal die Unüberwindlichkeit einer Sache be­stätigt und gefestigt, für die die Geschichte der Neuzeit die Bürgschaft übernommen hat.

War Uruguay, jenes als ungemein gemütlich und politisch­soziale Oase Lateinamerikas gepriesene Touristenland, tat­sächlich eine Legende, die heute von eine'r zerstörerisch ver-

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anlagten Wirklichkeit ausgelöscht worden ist? Nein, durchaus nicht. Freilich kostet die Begründung dieses Nein etwas mehr Mühe als die Antwort, die uns vielleicht glatt von den Lippen geht. Dennoch bleibt die Antwort allenthalben die gleiche: Uruguay vermochte nicht länger als jene weltbekannte, aber irreale Version einer »amerikanischen Schweiz« fortzubestehen weil die Realität jede 'Fiktion einmal trifft und damit ih; Schicksal besiegelt. Jenes alte, unerschütterliche, unerhört friedliche und - im dramatischen Kontext der la.teinamerika­nischen Problematik gesehen - fast außerirdische Land steht nicht mehr außerhlllb der Auseinandersetzungen. Uruguays Unterdrücker mußten sich, ob sie wollten oder nicht, demas­kieren, ja, sie mußten sogar die eigenen traditionellen Herr­schaftsgelüste unterdrücken. Ihr Mummenschanz erfüllte nicht mehr seinen Zweck. Und auf die letzte Nacht des propagandi­stischen Karnevals' folgte ein schreckliches Erwachen - ein Morgen, gerötet vom Blut des Volkes, das der langen Session der Maskeraden und Opiate überdrüssig ist.

Der Verfasser von »Paß Nr.11333« hat zweifellos einen für diesen Vorgang entscheidenden Entwicklungsabschnitt mit­erlebt. Sein Zeugnis aus erster Hand führt uns zu den Anfängen der US-amerikanischen Eskalation, die später besonders im Bereich der polizeilichen Repressivorgane ungeheure Ausmaße annehmen sollte. Viele Uruguayer wird überraschen, in welch exakter und lückenlos aufeinander abgestimmter Zeitenfolge die Preisgabe und die Absorbierung von Machtpositionen in ihrem Lande stattfanden. Doch wenn sich einheimische Oligarchen und ausländische Berater zusammentun, um ein einziges. Unterwanderungsprogramm auszuführen, gerät schon allein deswegen Uruguays Dasein in Widerspruch zu jenen fernen Tagen, da Präsident Jose Batlle y Ordofiez1

, als die Periode der Bürgerkriege um die Jahrhundertwende endlich bewältigt war, die Fundamente für den Genuß einer beschau­Hehen bürgerlichen Demokratie errichtete, die in großer na­tionaler Eintracht und bei reger Beteiligung von Luis Alberto de Herrera2 immerhin dreißig Jahre währte. Außerdem sind die Zeiten der sagenhaften Exporte von Häuten und Wolle, von Fleisch und Getreide vorbei. Damit schloß ein Kapitel in Uruguays Geschichte, und ein neues begann. Das aber war durch die Gewährung nordamerikanischer Kredite und An-

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leihen gekennzeichnet, die den Ausverkauf von Wirtschaft und eine unablässige Abwertung seines einst begehrten Pesos zur Folge hatten.

Gegenwärtig leben 25 Prozent der Uruguayer außerhalb ihres Landes. Eine perfide Minderheit, die Emigranten nach Ar-' gentinien, Brasilien, den Vereinigten Staaten? Spanien, Para­guay, Australien oder Neuseeland trieb, hat Uruguay von Technikern, Ingenieuren, Architekten, Schriftstellern, Künst­lern und selbst Unternehmern entblößt, und das Vakuum füllten nach einem feststehenden Gesetz US-amerikanische Berater: Spezialisten in Sachen Unterdrückung, Leute von der traurigen Berühmtheit eines Dan Mitrione.

Ebendiese Protagonisten, derenschmutiige Hände Url;lguays Antlitz besudeln, prangert Hevia in seinem Buch an. Der Kontakt mit diesen Personen ermöglichte es ihm, sie in der Intimität zu beobachten. Auch ihn, Hevia, wollten sie als Figur bei ihrem kontinentalen Schach einsetzen. Tatsächlich, die Yankees scheinen ihr Spiel am lateinamerikanischt::n Bre,tt immer noch für ungewöhnlich variantenreich zu halten und an Alternativen der unterschiedlichsten Art zu glauben. Doch in. Wahrheit ist das Dollarimperium nur mehr imstande, UnS

miserable Endpartien vorzuführen. Die Gegenwehr des utu­guayischen Volkes wird seine Machthaber - und wenn es das Opfer Tausender Märtyrer erfordert - unweigerlich e;in we17 teres Mal matt setzen.

Nackt und unverhüllt treten da Mörder, Mittelsmänner und Opportunisten als Gegenpartei einer Konfrontation von nicht vermuteter Dramatik auf und geben der Szenerie in Hevias »Paß Nr.11333« ein düsteres Gepräge. Ihr lichtscheues Ge .. werbe ist zugleich ein tausendfach verfluchter Katalysator. Sie bespitzeln sich gegenseitig, einer hegt Mißtrauen und Neid gegen den anderen und fürchtet und haßt ihn genauso, wie sie '. allesamt das uruguayische Volk verabscheuen. Uruguays Un~ terdrücker wollten ihre Macht abstützen, aber das gelangihnert nicht. »Alles begann einzustürzen, zunächst langsam und dann mit überraschender Geschwindigkeit«3, schreibt Rodolfo PUl .. gross im Zusammenhang mit dem schon erwähnten Mythos von der »amerikanischen Schweiz«.

Während der letzten Jahre stieg in Uruguay die Inflationsrate mehrmals über die Hundertprozentmarke. Der Realwert

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Löhne und Gehälter sank jedoch bis 1976 im Vergleich zu 1968 auf weniger als die Hälfte. Die Auslandsverschuldung erreichte 1976 rund 1,6 Milliarden US-Dollar; im selben Jahr wurde der uruguayische Peso 20mal abgewertet. 700000 Uruguayer waneerten bei einer Bevölkerung von knapp 3 Millionen Ein­wohnern auf der Suche nach einer besseren Zukunft aus. Im Jahre 1976 hatte Uruguay 7000 politische Gefangene (heute dürfte ihre Anzahl erheblich größer sein), und 15000 Bürgern war das Wahlrecht entzogen worden. Die Pressezensur, total gehandhabt, dauerte an.

Benötigt der Leser weitere Beispiele? Hevias Buch zeigt uns die gewöhnlich unsichtbare, die

Kehrseite dieser Medaille. Der Autor führt uns die für diesen Niedergang Verantwortlichen in Wort und Tat vor. Statt der sonst heuchlerisch fürs Publikum gefärbten Sprache gebrau­chen sie einen vulgären, faschistischen Leitbildern entlehnten Jargon. Unverhohlen kommen die geheimen Leidenschaften der Unterdrücker - so die Hitleranbetung - in jenen intimen Eingeständnissen zum Durchbruch, die der kubanische Re­volutionär in ihren Wohnungen, ihren klimatisierten Büros oder ihren Privatwagen hörte.

Ebenso sicher, wie sich die Legende früher - selbst in weitesten Kreisen der Bevölkerung Uruguays für bare Münze genommen - eines beständigen Wertes erfreute, verfällt sie heute, da sie sich als Wechsel erweist, der gegen den erklärten Willen der Geschichte kursiert. Im Rausch der Betäubung verharrend, setzte sich die kleine, von dem großen nord­amerikanischen Imperium heimgesuchte Nation lange Zeit nicht kritisch mit der Geschichte auseinander, während sich die Aggressoren ~ entgegenkommend urid selbstgefällig zugleich -jenes außergewöhnlichen Gestern bedienten, das Uruguay kultisch verehrte. Die Uruguayer hatten eine Vergangenheit, an die sie glauben konnten. Daher die - bisweilen kollektive - Selbsttäuschung in der anfänglichen Bewertung einer kate­gorisch gegenwärtigen Situation, für die es im Dasein der Nation keinen Präzedenzfall gab und die nunmehr durch eine völlig andere Optik betrachtet wird.

Der Gegner aus dem Norden läßt sich keine verwundbare Stelle entgehen. Als sich - ausgelöst durch innere Widersprüche - Schwächeanzeichen in Uruguays Herrschaftsgefüge bemerk-

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bar machten, beschloß der USA-Imperialismus, auf der uru­guayischen Szene umgehend mit speZifischen Mitteln Boden zu gewinnen., In Uruguays Polizei waren beispielsweise tra­ditionell die wichtigsten Funktionen höheren Armeeoffizieren vorbehalten, und Polizeibeamte bekamen mit Ausnahmen, die sich alle zehn oder zwanzig Jahre ereigneten, keine höhere Dienststellung als die eines Amtsdirektors übertragen. Selbst­redend war das OffiZierskorps der Streitkräfte mehr politisiert als die Beamtenschaft und die Offiziere der Polizei.

Also begannen die Yankees zur Eröffnung ihrer Eskalation zunächst die uruguayische Polizei zu unterwandern, indem sie deren Kader in ihren persönlichen Ambitionen bestärkten. Diese Strategie wird in »Paß Nr.11333« bloßgelegt und ent­tarnt.

Die Erkenntnisse, die uns Hevias Bericht vermittelt, sind, wie gesagt, bitter. Doch wir bauen auf den Willen des uruguay­ischen Volkes zu überleben. Dem US-amerikanischen Adler wird es nicht gelingen, seiner vermeintlichen Beute den Todes­stoß zu versetzen. Falls er das versucht, riskiert erse1ber den Kopf. Dann stimmt Artigas'4 Schwert, gehärtet durch das Leid und im erbitterten Ringen seines Volkes, die Hymne der end­gültigen Unabhängigkeit Uruguays an.

Joaquin G. Santana5

Havanna, im Oktober 1977

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Denen, die schweigend kämpfen und schweigend sterben.

Für Haydee. Für Regino.

Im Kofferraum

Eines Tages - es war Mitte 1967 - wurde ich in Montevideo folgendem Verhör unterzogen:

»Sind Sie Kommunist?« »Nein.« »~wingt Sie jemand, gegen die Außenpolitik der Vereinigten

Staaten zu arbeiten?« »Nein.« »Haben Sie für ein anderes Land als die Vereinigten Staaten

nachrichtendienstliehe Aufträge ausgeführt oder dienstliche Informationen weitergeleitet?«

»Nein.« Mit schleppenden, müden Bewegungen löste der Techniker

die Elektroden und stellte die Meßwerke des Registriergeräts ab. Ich verließ den kleinen Raum und nahm gern die Zigarette, die mir Cantrell anbot. ,

Die Prozedur hatte am Morgen begonnen, als wir zur USA­Botschaft in Uruguay gefahren waren, um einen Spezialisten aufzusuchen, der den dort befindlichen Polygraphen - gemein­hin auch Lügendetektor genannt - bediente. , Unmittelbar vor der Überprüfung hatte mir mein Bekannter erklärt, wie diese vonstatten ginge. Dabei hielt er es für wichtig anzumerken, daß sie alle in gleicher Weise »auf den Detektor« geschickt wurden.

Hinterher sprach Cantrell mit dem Techniker und vertraute mir danach, mich zu einem Glas einladend, an, daß er mit dem vorläufigen Ergebnis zufrieden sei.

»Negative Werte oder unklare, widersprüchliche Kurven«, sagte er, »wären für mich 'ein schöner Schlag ins Kontor ge­wesen, denn beim Sieben hatte ich immer einen guten Rie­cher.«

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Vergebens suchte ich ihn von dem Thema, das ihm offenbar Sorgen machte, abzubringen. '

»Nur ein paar Wochen noch; die Zeit müssen wir uns ge­dulden. Aber sobald Washington die Daten ausgewertet und Okay gegeben hat, ist die Sache gelaufen.«

Ich schmunzelte, denn ich wußte, daß die Nachforschungen in wenigen Wochen von vorn anfangen würden. .

Das war weder die erste Überprüfung, noch würde es die letzte bleiben.

Drei Jahre zuvor, nach einer Reise in mehreren Etappen, war ich in Montevideo eingetroffen. Eine lange und verwickelte Geschichte, und auf der Rückfahrt ins Stadtzentrum in Ge­sellschaft von Bill Cantrell hatte ich allen Grund, erneut die Umstände zu überdenken, die mich, in jene Lage gebracht hatten.

»Beeil dich, es klappt gerade!« . Dieser harmlos klingende Satz prägte sich mir unauslöschlich

ins Gedächtnis ein. Mit ihm begann für mich ein Lebensab­schnitt, in dessen Verlauf ich meine Persönlichkeit gleichsam zerteilen mußte.

Das geschah im November 1962 in Havanna, an der Schwelle eines kubanischen Winters. Uruguayer und andere Latein­amerikaner dürfen ihn freilich als Bagatelle abtun, handelt es sich doch um eine Jahreszeit mit Temperaturen, die oft genug 20 Grad Celsius übersteigen, während der Regen völlig aus­bleibt.

Bei solchem »Winterwetter« waren selbst gegen Mittag im Stadtviertel V edado am Schnittpunkt der Straßen 19 und H nicht viele Leute unterwegs.

Emilio Bonifacio zeigte sein ausdruckslosestes Gesicht, als wir, miteinander plaudernd, auf das Heck seines Wagens -eines Plymouth mit Diplomatenkennzeichen - zuschritten. Dort angelangt, blickte er sich rasch um, öffnete mit einem Griff die Kofferraumklappe und gebot mir mit den bewußten Worten, sofort zu handeln. .

Binnen fünf Sekunden lag ich zusammengerollt im Koffer­raum. Die Klappe über mir schloß sich und tauchte mich ins Dunkel. Dennoch atmete ich erst eine halbe Minute später, als der Wagen motor lief, die unwillkürlich angehaltene Luft aus.

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Die Reise in Bonifacios Wagen sollte etwa eine halbe Stunde dauern. Mit übermäßiger Sorgfalt ruckte ich mich zurecht. Zum Glück war der Kofferraum nicht allzu klein, auch an Luft fehlte es nicht. Schließlich stellte ich mir den Fahrer vor und sein Bemühen, scharfes Bremsen und schnelles Kurven zu vermeiden.

Als ich dann in Uruguay die Colachata kennenlernte, was soviel wie neues, großes und geräumiges Auto oder Pracht­kutsche heißt, konnte ich allerdings nur noch lächeln, wenn ich an jenen bescheidenen Laderaum dachte.

Bald darauf glaubte ich, die Einfahrt zum Haus der Asy­lanten wahrzunehmen, wohin mich Bonifacio, um die vor­beugenden Kontrollen in der Botschaft zu umgehen, bringen wollte. Ein kurzer Gruß für die Wachposten. Das Eisentor, das aufgestoßen wird. Langsames Wiederanrollen des Wagens und eine Kurve, damit der Kofferraum vor neugierigen Blicken sicher ist.

Wir schrieben Sonnabend, den 24. November 1962. Ich hatte soeben die ersten Meter auf dem Weg ins Exil zurückgelegt. Kuba und die Revolution blieben hinter mir.

Bonifacio hatte den Kofferraum geöffnet, und da ich wegen des einfallenden Sonnenlichts zögernd blinzelte, sagte er: »Ende der Reise.«

»Ihr Anfang«, murmelte ich und klopfte mir den Staub von den zerknitterten Hosen.

Erst Monate später, in Montevideo, fand ich heraus, wie das Ganze eigentlich vor sich gegangen war. Seit meiner Rückkehr nach Kuba nach dem Sturz Batistas hatte ich verschiedene Tätigkeiten im Apparat der Revolutionären Regierung aus­geübt. Zuerst war ich beim Ministerium für Öffentli{:he Ar­beiten stellvertretender Treuhänder eines Bauunternehmens gewesen, dann im Ministerium für Auswärtige Angelegen­heiten Leiter der Sektion Diplomatenpässe und darauf Leiter der Sektion Beglaubigungen.

Mitte 1960 wechselte ich zum Zentralen Planungsrat - Junta Central de Planificacion oder JUCEPLAN - über, wo man mich nacheinander als Personaldirektor und Chef des Mini­sterbüros, 'als kommissarischen Direktor der Allgemeinen Verwaltung und zuletzt als Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen einsetzte.

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In dieser Funktion hatte ich unter anderem die Dienstauf­sicht über das Restaurant »La Torre«, das seinerzeit in eine Art Klub für ausländische Techniker verwandelt worden war und danach auch Angehörigen des Diplomatischen Korps offen­stand.

Dort begegnete ich Mitte 1962 den Mitgliedern einer Kommission aus Uruguay. Sie hatten den Auftrag, das seltsame Gebahren einiger Vertreter ihres Landes in Havanna zu unter­suchen. Das wurde um so dringlicher, als einiges schon an die Öffentlichkeit gedrungen war. Der uruguayische Geschäfts­träger, Gualberto Urtiaga, führte ein so ausschweifendes Leben, daß seine Amtskollegen vom Diplomatischen Korps nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten und ihn praktisch schnitten.

Nachdem die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) Kuba im Januar 1962 ausgeschlossen hatte, unterhielten nur wenige lateinamerikanische Staaten Vertretungen in Havanna. Dies nutzten Angehörige der Botschaft Uruguays und wan­delten das diplomatische Asylrecht - eine juristische Beson­derheit Lateinamerikas - in ein zünftiges Gewerbe um.

Für jeden Asylplatz verlangten sie einen Wucherpreis. Etwa 400 Asylanten, in der Mehrzahl Kriminelle und Prostituierte, steckten mittlerweile in einem großen Haus, das Urtiagaeigens zu diesem Zweck gemietet hatte, nachdem die Räumlichkeiten der Botschaft zu eng geworden waren.

Mario E. Saravia, ein uruguayischer Diplomat, und ein »ver­trauenswürdiger« Botschaftsangestellter namens Pepin hatten sich auf den Devisen- und Juwelenschmuggel spezialisiert: Zugleich betätigten sie sich für die vielen rauschgiftsüchtigen Asylanten als Drogenhändler .

Da sich die Sache zu . einem öffentlichen Skandal aus­zuwachsen drohte, hatte die kubanische Regierung Saravia zur Persona non grata erklärt.

Urtiaga und andere diplomatische Vertreter Uruguays schä­digten bei ihren Manipulationen auch das Außenministerium des eigenen Landes. Sie forderten von dort imaginäre Summen j

für Mietbeträge an, die angeblich für Villen zu zahlen waren, in denen die unablässig herbeiströmenden Asylsuchenden un­tergebracht werden sollten. In Wirklichkeit hatten kubanische Konterrevolutionäre, die sich im Asyl befanden oder noch in

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Kuba aufhielten, den Spekulanten ihre Luxusvillen übierebn)l~tt.. um diese dem Gesetz über die Mietreform zu entziehen. Die aus Uruguay eingehenden Mietgelder verschwanden in den Taschen ... dieser Diplomaten. Infolge solcher Machenschaften waren die' Beziehungen zwischen Havanna und Montevideo äußerstgec spannt.

Die Gruppe der Untersuchungsbeauftragten, die die uru­guayische Regierung nach Kuba entsandt hatte, bestand aus drei Militärs: Oberstleutnant Willie Purtscher, Hauptmann Juan Carlos Salaberry und Leutnant Danilo Micale, Ge .. neraldirektor im Innenministerium. Zwei Berufsdiplomaten.",:­Emilio Bonifacio und Dr. Carlos M. Romero, Rechtsberater des

.. Außenministeriums - begleiteten die Kommission. Purtscher war zu jener Zeit Kommandeur der Guardia

Metropolitana, einer motorisierten Spezialtruppe des Polizei­präsidiums Montevideo zur Bekämpfung von Aufruhr und Straßenunruhen, die nicht nur innerhalb der Polizei, sondern im Rahmen aller bewaffneten Kräfte der Nation über die stärkste Feuerkraft verfügte; ferner war ihr Personal im Ein­satz chemischer Kampfmittel ausgebildet.

Wir sahen uns täglich im »La Torre«. Zu Beginn trug ~""~L.'~.· Bekanntschaft protokollarischen Charakter, doch allmählich. wurde sie ungezwungener, und ich traf die Uruguayefauch bei anderen als rein diplomatischen Anlässen, vor allem Micale; Bisweilen stellte er mir politische Fragen, er wollte meinen Standpunkt zu verschiedenen Aspekten der kubanischen Re~ volution hören.

Wochen nach ihrer Ankunft setzte die Kommission noch für die meisten Asylanten die Ausreise durch, obwohl sie aus 00:.. greiflichen Gründen Urtiagas Methoden, Asyl zu gewähren,. nicht billigte.

Später erzählten mir einige Asylanten, die damals nicht ausreisen durften, daß es zwischen den Untersuchungsbeauf­tragten und dem Geschäftsträger zu immer heftigeren Zusam­menstößen gekommen war.

Ihrer Schilderung zufolge hatte sich Urtiaga bis zum letzten Augenblick dagegen gesträubt, die Asylanten ausreisen zU· lassen, und Purtscher mußte ihn buchstäblich mit vorgehalte-­ner Pistole zwingen, die nötigen offiziellen Schritte einzuleiten. Nach jener Massenausreise kehrten Micale, Purtscher und

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Romero nach Montevideo zurück, um der Regierung über die Lage zu berichten.

Vor ihrer Abreise gaben mir Purtscher und Micale zu ver­stehen, daß ich, falls ich eines Tages Kuba verlassen wolle, Asyl in der uruguayischen Botschaft fände. Außerdem versprach Micale, mir Arbeit in Montevideo zu besorgen. Ich könne von Glück reden, fügten ·sie hinzu, daß wir uns kennengelernt hätten, denn sonst wäre ich auf Urtiagas Machenschaften angewiesen und müßte für das Asyl bezahlen. Und da ihre Beziehungen zu Urtiaga denkbar schlecht seien und er mich insgeheim mit ihnen gleichsetze, solle ich mich, wenn ich Asyl suchte, an Hauptmann Salaberry wenden, der noch etwas länger in Havanna bleibe, beziehungsweise an Bonifado, der nunmehr der Botschaft als 2. Sekretär angehöre.

Salaberry wartete wenig später mit einer Neuigkeit auf. Nicht das Asyl werde zum Problem, wohl aber das Visum der yereinigten Staaten, wo ein Zwischenaufenthalt unerläßlich sei.

)}In Ihrem Falle«, sagte er, )}stellen die Yankees natürlich Bedingungen, bevor sie es erteilen.« .

Ich muß dem MUitär bescheinigen, daß er auf jede Deutelei verzichtete und ohne Umschweife zur Sache kam. Man spürte seinen Ärger, den ihm das unverschämte Ansinnen der US-Amerikaner bereitete.

Er flog regelmäßig nach Miami, um Visa zu beantragen, und dort hatten sie meinen Fall mit ihm besprochen. Die eIA wollte mir durch Salaberry ein paar Bogen Papier übermitteln, die chemisch präpariert waren, so daß sie zweifach - einmal geheim und einmal offen - beschriftet werden konnten.

Auf diesem Papier sollte ich nach einem Verfahren, das mir Salaberry oder sein Vertreter erläutern würde, die verlangten Informationen niederschreiben. Bonifacio hatte den Auftrag, die beschrifteten Bogen nach Miami zu bringen und neue In­struktionen einzuholen.

Man sicherte mir zu, daß ich mich nach wenigen Monaten ins Asyl begeben könne; dann wollte man mir ein Flugticket für Montevideo und eine zusätzliche finanzielle Unterstützung verschaffen. Mehr wurde vorläufig nicht erwähnt.

Die Alternative war klar: Lehnte ich das Angebot ab, bekam ich kein Einreisevisum für die Vereinigten Staaten. Es für ein

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anderes Land zu erhalten war nahezu unmöglich; und selb'st:C\.

dann blieb immer noch das Problem, die Flugkosten Montevideo aufzubringen.

Der Zwischenaufenthalt in den Vereinigten Staaten ließ s.ich praktisch nicht umgehen. In einer Asylantengruppe, die kürz., lich ausgereist war, hatten einige kein Visum gehabt. Sie wurden sofort interniert, und noch 1964 befanden sich fünf oder sechs Mann aus dieser Gruppe in Lagern in Texas.

Da Salaberry nach Uruguay zurückkehren mußte, flogBo­nifado nach Miami, um Papier und Anweisungen zu empfan­gen.

Zu den Informationen, die die eIA mit der Zeit vonmir verlangte, gehörte als erstes eine Liste von sämtlichen in Ku~a tätigen Technikern aus sozialistischen und kapitalistischea" , Ländern; außer den Personalien sollten auch die Institutionen oder Betriebe, bei denen die Spezialisten beschäftigt waren, und die Aufgaben, die sie erfüllten, angegeben werden.

Dazu kamen zweitens die Verträge, die Kuba zur In-', anspruchnahme von technischer Hilfe abgeschlossen hatte, sowie die künftigen Vorhaben auf diesem Gebiet. Drittens, interessierte sich die eIA für die Namen solcher Wissenschaft­ler und Ingenieure aus kapitalistischen Ländern oder inter.; nationalen Organisationen, die kubafreundlich eingestellt. waren und sich anschickten, auf der Insel zu arbeiten. Viertens wollte sie wissen, welche Prioritäten die kubanische Regierung für den Einsatz ausländischer Fachkräfte bestimmt hatte, und letztlich, in welchen Bereichen der größte Mangel an Spezia­listen herrschte oder der Zustand als kritisch angesehen wurde.

Eine Zeitlang befaßte ich mich also damit, die geforderten Informationen zu liefern, bis ich "beschloß", mich ins Asyl zu. begeben.

Aber ich war überzeugt, daß die Nordamerikaner danach trachteten, mich länger auf der Insel zu halten. Deshalb be·:/ schleunigte ich den Gang der Dinge, indem ich Bonifado sagte, mir wären die kubanischen Sicherheitskräfte auf der Spur,und falls ich jetzt den Asylplatz nicht bekäme, müßte ich mir ir­gendein Motorboot nehmen - am besten von der Küsten-, fischerei, die JUeEPLAN organisierte - und das Weite su~ ehen. .

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Mir war bekannt, daß Bonifado von Purtschers und Micales Versprechen wußte und daß er, sollte mein Schritt ins Asyl unumgänglich sein, auch das Visum unschwer erhalten würde. So geriet ich in den Kofferraum des alten Plymouth.

Wie mir Micale später anvertraute, hatte er kurz vor seiner Kubareise als Untersuchungsbeauftragter der Regierung in­offiziellen Besuch von der Politischen Abteilung der USA­Botschaft in Uruguay gehabt.

Ein gewisser Flores bat ihn, während seines Aufenthalts in Havanna· kubanischen Führungskadern und Fachkräften, zu denen er Verbindungen anknüpfen sollte, diskret auf den Zahn zu fühlen und festzustellen, wer von ihnen gewillt war, mit einem nordamerikanischen Informationsdienst zusammen­zuarbeiten oder zumindest der Revolution den Rücken zu kehren.

Der Auftrag wurde natürlich unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit erteilt, und Flores bestand darauf, daß Micale' ihn persönlich - »als praktischen Beitrag zum Kampf der freien Welt gegen den Kommunismus« - übernahm.

Des weiteren bemerkte er, man habe das Anliegen nicht offiziell vortragen wollen, um Uruguay keine Schwierigkeiten zu bereiten, da es diplomatische Beziehungen zu Kuba unter­hielt und bestimmte Bevölkerungsschichten »Unter dem Ein­fluß der verlogenen Propaganda der Kommunisten« mit der kubanischen Revolution sympathisierten.

Keinesfalls möge Micale, sagte Flores abschließend, sein Ersuchen als Einmischung in die Angelegenheiten Dritter werten. Es handle sich nur um die rein private Bitte, ihm zu helfen.

Als Micale wieder in Montevideo eintraf, nannte er meinen Namen und bezeichnete mich als enttäuschten Funktionär, der jeden Augenblick das Land verlassen könne.

Das war offensichtlich der Zeitpunkt, da der Stein ins Rollen kam und die Kette von Ereignissen auslöste, die mich in einen CIA-Agenten verwandelten, der in naher Zukunft in und gegen Uruguay arbeiten sollte.

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Das Feigenblatt'

Welch teuflische Mikrowelt beherbergte das Bauwerk, das die Uruguayer den Asylanten zugewiesen h' atterr1L"/i Der ganze Kehricht der vorrevolutionären Gesellschaft "rt""t' sich hier anzuhäufen - Tagediebe, Kupplerinnen, t<al[SCllSPletjer,'····; Homosexuelle, Prostituierte, Hochstapler, Mörder, Folterknechte, Batistasubjekte -, alles zusammengewürfelt, vertreten.

Und ob es mir gefiel oder nicht, ich gehörte nun zu ihnen. \1(;lat ein Schmutzstück mehr.

Hin und wieder verschlug es einen Winkeladvokaten einen Arzt hierher. Mit einem Mäntelchen aus pr<)tessic)nt~lle:nl " Gehabe versehen, taten sie sich wichtig. Mitunter tauchte ein alter Dickwanst auf und mimte den »ehrbaren K.a.ut:mann:{(~···.·. der vor dem »roten Terror« floh. Eitle Selbsttäuschung törichtes Blendwerk. Die wanren Absichten des Advokat(!n; des gewissenlosen Arztes und des Geschäftemachers sprachen aus ihrem Tun. . .

»Revolutionäre« gab es ebenfalls. Die »Fidelanhänger Fidek Was für eine schwülstige Frustration! Was für akte, wenigstens eine revolutionäre Terminologie beizut>eh~, ten, und wenn sie noch so fehl am Platze war!

Verachtet von Jedermann, suchten sie ihre jener Botschaft mit hypothetischen »vaterländischen J.,.".;a.Ll';'J:1~) zu rechtfertigen. Mochten sie daran glauben öder picht, Grunde ahnten sie schon, daß es mit ihnen unau:th~t1ts:anl' .• : abwärtsging, bis sie schließlich, nur noch nach der Pfeife CIA tanzend, nicht mehr von den geflüchteten natlst:akltea1CU ... [ ren und Ausbeutern zu unterscheiden wären.

Eine Woche nachdem ich mich ins Asyl begeben hatte, schien in Havanna eine weitere Kommission aus Uruguay. gehörten die Generale Olegario Magnani und Santiago 1-'0{11011',

sowie - abermals als Rechtsberater - Dr. Romero an. setzten Urtiaga ab, und unter seinem Nachfolger Zuley Cabeda verminderten sich die Asylbewilligungen lieh.

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Ich hatte mir ursprünglich vorgenommen, binnen dreißig Tagen in den Vereinigten Staaten zu sein. Aber daraus wurde nichts: Unstimmigkeiten in der Anzahl der Asylanten und Verzögerungen bei der Visaerteilung durch die Nordamerikaner bewirkten, daß ich nicht vor Juni 1963 ausreisen konnte.

Wie viele bedrückende Erlebnisse bescherte mir diese sieben­monatige Wartezeit! Beim Abflug nach Miami atmete ich erst einmal erleichtert auf.

Den Rest des Monats Juni verbrachte ich damit, die er­weiterte kubanische' Mikrowelt von Miami kennenzulernen. Die gleichen Emigrationsführer, das gleiChe Klima im Refugee Center - der Erfassungsstelle für Flüchtlinge. Die gleichen haßgeladenen Gesichter ringsum - alle dort Versammelten haßten Kuba, die Yankees, die Welt, sich selber. Sie haßten das Leben. Am angemessensten handelten noch diejenigen, die zu vergessen suchten, was vergangen war, und sich wie Ein­wanderer verhielten, die einen neuen Anfang erstreben. Ver­mutlich blieben sie die einzigen, die eines Tages nach ihrem armseligen individuellen Zuschnitt glücklich würden.

Die übrigen dürften in den eigenen Erinnerungen schmoren und bald übler dran sein als die geflohenen russischen Aristo~ kraten nach 1917 in Paris, die sich in pompöser Portiers uniform vor irgendeinem Restaurant noch eine historisch unmögliche Revanche herbeiträumen konnten.

Nicht lange nach der Ankunft folgten die »Befragungen«. Manche fanden im Marinefliegerstützpunkt Opalocka statt, andere gleich im Büro des Einwanderungsamtes. Wir alle wußten, daß die CIA dahintersteckte, aber fiktionsversessen, wie die Nordamerikaner sind, wahrten sie den Schein bloßer »Immigration Officers«.

Mit zweien von ihnen bekam ich täglich zu tun. Der eine -er nannte sich Carlos Fuentes, wenn ich mich recht erinnere -war der typische Cowboy, dumm und brutal. Trotz seiner unverkennbar lateinamerikanischen Abstammung sprach er das Spanische mit übertriebenem Yankee-Akzent. Er fragte direkt, und seine Fragen klangen dreist. Mag sein, er gebärdete sich betont naßforsch-reaktionär, um den Makel, der ihm seiner Herkunft nach in jener rassistischen Gesellschaft anhaftete, wettzumachen.

Der andere - »Chet« van Duren - war Abteilungs- oder

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Unterabteilungsleiter in der Zweigstelle Miami des Hü,,,,.,:H':'

derungsamtes. Höflich und redegewandt bis zur A""''''6"A'-'

seine Bildung mochte von einer Universität an der herrühren -, gab er sich als toleranter, fortschrittlicher Zeit­genosse, der keinen vernünftigen Gedanken von vornherein zurückweist. Die Gebrechen Lateinamerikas schrieb er kor" rupten Regierungen und unfähigen Yankee-Diplomaten zu. Das entsprach. ganz dem Bild, das sie uns damals von sich unterzuschieben suchten; dem Klischee vom liberalen US-amerikanischen Intellektuellen. .

Obwohl sich van Duren den Luxus leistete, Verachtung Fuentes an den Tag zu legen, stellte sich nach kurzer Zelt. heraus, daß beide Hand in Hand arbeiteten. Grundsätzlich unterschieden sich ihre Auffassungen nicht, jeder benutzte nur seine takti6(;htr Variarite. Wie mir später klarwerden sollte,sind die Nordamerikaner nach wie vor auf die klassische Polizei­arbeitsteilung mit einem »Bösen« und einem »Guten« ein;o. geschworen.

Ich rechnete mit längeren, möglicherweise auch scharfen Verhören zu meiner vielseitigen Tätigkeit im revolutionären kubanischen Staatsapparat und insbesondere zu den Fragerr,· fhr die sich die CIA bereits schriftlich durch Vermittlung von Bonifacio interessiert hatte.'

Doch zunächst handelten sie ganz andere Themen ab. So befragten sie mich ausgiebig über mein Zusammengehen .mir Manuel Ray während des Kampfes gegen Batista und~er unsere Aktion. Ray hatte eine illegale Gruppe der »Bewegt;thg des 26. JUli«6 geleitet. Nach der Flucht des Diktators zum Minister für Öffentliche Arbeiten in der ersten Revolutionären Regierung Kubas ernannt, wurde er ein Exponent ihres rechteni

Flügels. Schließlich übte er Verrat und war nun Chef einer der. vielen konterrevolutionären Gruppierungen, die in Miami und anderen Gebieten der Karibik operierten.

Danach kamen die Organisationsprinzipien des kubanischen Außenministeriums, die Charakterisierung seiner leitenden Mitarbeiter sowie die Struktur des Zentralen Planungsrates mit den Namen der Direktoren, der Bereichs- und der Abteilungs'­leiter an die Reihe. Bei den Angaben zur Person wollten· . nahezu alles wissen: Privatleben, Neigungen, Freunde.

Ähnlich verfuhren sie bei jedem anderen Führungskader odet

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ehemaligen Illegalen, von dem sie annahmen, daß ich ihn kannte. Häufig bezogen sich die geforderten Auskünfte auf Leute, die schon in den Vereinigten Staaten weilten.

Schließlich kamen sie auf die ausländischen Spezialisten zu sprechen. Ein Kapitel für sich widmeten sie dem Klubrestau­rant >}La Torre«; hier schien ihnen jedes Detail von Belang: die Kellner, das Küchenpersonal, die Verwaltungskräfte, die Bar, das Restaurant, die Klubräume, die Leitung der Einrichtung oder vielmehr die Aufsicht und Kontrolle. Wiederholt ließen sie sich Informationen, die ihnen bereits aus Kuba zugegangen waren, ergänzen oder bestätigen.

Erschien mir das alles noch verständlich, so setzte mich eine weitere Seite der Verhöre doch sehr in Erstaunen. Einen Groß­teil unserer fast täglichen >}Sitzungen« widmeten sie den uru­guayischen Militärs, die ich in Havanna kennengelernt hatte.

Gegen Micale bekundeten sie Argwohn und gegen Purtscher schlecht verhohlene Feindseligkeit. Zugegeben, der befand sich - soweit ich es überblicken konnte - in keiner angenehmen Lage. Er hatte sich als Kommandeur der Guardia Metropoli­tana den Staatsstreichplänen des Polizeichefs von Montevideo, des damaligen Obersten Aguerrondo, widersetzt. Damit war seine Position unter Aguerrondo unhaltbar geworden, und Micale, gleichfalls ein Putschgegner, hatte erreicht, daß man Purtscher - sozusagen als Auftakt für einen »eleganten« Ab­gang aus der Hauptstadt - in die Kubakommission der uru­gu~yischen Regierung übernahm.

Meines Wissens lag damals aber auch den Nordamerikanern nichts an einem Staatsstreich. Eher wachten sie wohl dar­über, daß er als äußerstes Mittel nicht vorzeitig ausgespielt wurde.

Da zudem die Mehrheit des uruguayischen Offizierskorps pflichtgetreu die Verfassung achtet,e, brauchte ich - sogar bei den Möglichkeiten, die ich bald haben sollte - eine ganze Weile, bis ich eine Erklärung für das feindselige Verhalten der Yankees Purtscher gegenüber fand.

Erst Monate später stieß ich auf die wirkliche Ursache. Purtscher hatte an einem von der USA-Armee veranstalteten Qualifizierungslehrgang für lateinamerikanische Militärs in Panama teilgenommen und sich dort eines Tages dagegen verwahrt, daß ein Ausbilder die uruguayische Uniform und

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seinen Dienstgrad nicht respektierte. Auf diese reagierte der Nordamerikaner beleidigend, und 1-'1l1rt!:lohp

feigte ihn. Der Vorfall wurde totgeschwiegen, doch FeH, _,C'.,

leutnant brach den Lehrgang ab und kehrte unverzüglich Hause zurück. Seitdem hatte er ständig >}Pech« in Karriere.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß man gut daran tut, im Auftreten der Nordamerikaner eines stets zu berücksichtigen Sie bemänteln ihre wahren Absichten. Ein en1tsprec:heJtldt}$ Feigenblatt läßt sich immer finden. Das lehren auch die der CIA an Micale und andere uruguayische ' gerichteten >}Bitten«.

Sie behaupten jederzeit steif und fest, die >}erbetene« arbeit sei absolut >}freiwillig«, und haben >}humanitäre« stets serienweise bei der Hand. Überhaupt bringen sie Unmögliche fertig, ihr rüdes Verlangen in die n, ,eteuet:1ln,g( lauterer Absichten zu kleiden, einschließlich des Wunsches, keineswegs irgendwo einmischen zu wollen. In letzter I"'<'r,'-'''''~~' greifen sie natürlich zu Bestechnung, zu versteckten odet fenen Drohungen.

Die Feigenblattmethode wandte man auch mir 5"'15v."l,Au ..... ,"'!"',t;

den Verhören zur Tätigkeit der uruguayischen Ulplo,m~LtellUltl'l1·. Militärs an. Jener Mühe unterzog sich van Duren, der bildete«. Er suchte mir begreiflich zu machen, daß alle tfral2:erl" über die Uruguayer dem Zweck dienten, sie gegen mC'gllcm~ •.. Verleumdungen abzuschirmen.

>}Hier handelt es sich doch um Freunde«, betonte er, >}die . nicht zu überwachen braucht. Sie muß man im \:..:re:gerrt beschützen.«

Kaum zu fassen, diese väterliche Fürsorge!

Zwei Monate nach meiner Ankunft erklärten die kaner die Vernehmung für beendet. Ich glaubte zu spüren, sie sich von mir enttäuscht sahen. Ich empfand ähnlich; da eine bestimmte Frage, die ich erwartet hatte und delretioo:eJ.ten ich bei ihnen weilte, nicht vorgelegt worden war.

Nun mußte ich noch ein Gespräch mit dem n.L"Ja.LA,..;"UL~ ten des Außenministeriums im Bundesstaat Florida, dÄ.·:t" ... ;

Federal Building von Miami residierte, durchstehen. schien aus dem gleichen Holz geschnitzt wie van Dmen:

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glattes Benehmen, höfliche Worte, umfassende BUdung mit vorgeblich großer Toleranz und enormem Verständnis.

Zu Beginn der Unterredung versicherte er mir, er könne meine »progressive« Haltung während der Landung in der Bay of Pigs -so bezeichnete er die Invasion vom AprU 1961 bei Playa Gir6n - schon verstehen. Daran finde er nichts Außerge­wöhnliches, viele Leute hätten sich gleich mir geirrt. Sie hätten für eine demokratische Revolution gekämpft und danach er­lebt, wie die Kommunisten die Regierung an sich rissen.

Ein Verhör im eigentlichen Sinne wurde das Gespräch nicht. Der Vertreter des State Department stellte vielmehr eine Reihe von Betrachtungen oder Spekulationen an, als müßte er laut nachdenken, ehe er meine Ansichten prüfte. Am Ende fragte er sich selber, ob der Begriff »Castrokommunismus«, den sie geprägt hatten, um das Verhältnis der kubanischen Führung zu den Kommunisten anzuprangern, nicht etwa das Entgegen­gesetzte bewirkte. Immerhin lasse das Wort auf die Existenz einer neuen oder andersartigen Form des Kommunismus schließen und trage so dazu bei, den Irrtum im Hinblick auf Kuba zu konservieren.

Die Unterredung fand 1963 statt. Worüber mag der Ku­babeauftragte in Florida wohl heute meditieren?

Ein paar Tage darauf erhielt ich die Genehmigung, Miami zu verlassen. Außerdem lernte ich bei meinem letzten Besuch im Einwanderungsamt jeman~en kennen, der den üblichen Feigenblättchendekor für überflüssig erachtete.

Mein neuer Gesprächspartner erklärte mir, er bedaure die Unterbrechung meiner Mitarbeit infolge des dringlich gewor­denen Asyls sehr. Und obgleich durchaus nichts gegen mich vorgelegen habe, sei es doch richtig gewesen, daß ich meine Abkehr von früheren »Fehlern« durch positives Handeln be­wiesen hätte.

Falls ich mich jetzt also in Montevideo niederlassen wolle, könnten sie mir - er sagte tatsächlich »wir Ihnen«, was brauchte ich mehr? - behilflich sein, dort Fuß zu fassen. Dann würde ich in dieser Stadt bald viele nützliche Verbindungen haben.

Sie seien daran interessiert, daß ich den Bekanntenkreis meiner Freunde beobachtete und auch aufmerksam die Re- . gungen jener verfolgte, die mein Vaterland unterjocht hatten.

Konkreter möchte er meinen Auftrag derzeit nicht formu-

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lieren, denn die komplizierte Lage in Uruguay daß ich mit Purtscher und Micale bereits während suches in Havanna freundschaftlichen Verkehr gepflegt hätte,. erforderten ein höchst umsichtiges Vorgehen. Für den Anfang solle ich nicht mehr tun, als in Montevideo heimisch werden und möglichst enge Beziehungen zu leitenden Offizieren und Beamten des Innenministeriums anknüpfen. Später bekäme ich weitere Verhaltensmaßregeln, aber sie könnten mir versichern~ daß sich meine Aufgabe wie bisher ausschließlich auf die Aufklärung und Nachrichtenübermittlung erstrecken werde.

Zuvor müsse ich mich nach New York begeben, um den ersten Teil einer Ausbildung zu durchlaufen; beenden würde ich sie in Washington. Und ich müsse mir an beidenOrten irgendeine Beschäftigung suchen, damit die Herkunft des Geldes, das sie mir für die Flugreise und als StarthUfe aus­händigen wollten, glaubhaft sei.

Das, betonte mein Gesprächspartner, sei äußerst wichtig, weil Micale von meiner Mitarbeit in Havanna wisse, während meine künftige Tätigkeit wesentlich davon abhinge, daß er annahm, es bestünden keinerlei Bindungen mehr zwischen mir und »ihnen«.

Die kubanische Kolonie in New York unterschied sich augen.,. fällig von der in Miami. Sicher, ähnlich wie im Süden, be­gegneten einem da Verbitterung und Groll und Leere, doch weniger häufig. Zum einen arbeiteten viele und hatten den Weg der Anpassung an die gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA beschritten; am Rande versteht sich, aber jedenfalls so, daß sie sich einige Hoffnungen machen durften.

Zum anderen wohnten zahlreiche Kubaner schon seit Jahren - lange vor dem Sieg der kubanischen Revolution - in New Y ork, und ihnen fiel es natürlich schwer, sich mit den Absichten und Plänen sowie mit der Mentalität der Neuankömmlinge zu identifizieren; ein Umstand, der paradoxerweise bewirkte, daß diese kaum Publikum für ihr Gejammer fanden.

Deshalb verwunderte es mich nicht, in der Zeitung zu lesen, daß man mehrere Kubaner wegen Betätigung in pazifistischen Zentren und patriotischen puertorikanischen Organisationen verhaftet habe. Hier handelte es sich um eine andere Ge~ neration: Die Jungen lehnten das nordamerikanische System ab und bekämpften es.

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N ach drei Wochen Aufenthalt in New Y ork - übrigens ohne jede Ausbildung - erhielt ich den Bescheid, nach Washington weiterzureisen. Die dort ansässigen Kubaner waren besser si­tuiert. Überwiegend bei internationalen Institutionen oder bei großen Finanzunternehmen beschäftigt, verhielten sie sich distanzierter, vielleicht auch skeptischer.

Nachdem ich mich hinreichend eingelebtbatte, begann ich mich von der kubanischen Gemeinde abzusondern. Ich mußte die für Uruguay erforderliche neue Identität gewinnen, und das war gemäß den aus New Y ork empfangenen Richtlinien die eines ungläubig gewordenen Kubaners, der seine Eingliederung in eine andere Nation betrieb. Gleichzeitig sollte ich durch eine ausgesprochen bescheidene Lebensführung » Ersparnisse« von meinem Gehalt als Restaurantkassierer rechtfertigen.

Vormittags hatte ich Ausbildung. Sie um faßte ergänzende Instruktionen zu der Schreibtechnik, die ich bereits in Kuba benutzt hatte, Anleitungen für den Einsatz von Kameras und die Filmentwicklung und vor allem Unterricht in der Ge­schichte Uruguays und seiner Politik bis zur Gegenwart. Am meisten machte mir bei dem ganzen Programm die Sorge zu schaffen, daß ich nicht versehentlich meine wahren Kenntnisse zeigte.

Trotz des privilegierten politischen Status, den ich in New Y ork und Washington genoß, beeindruckte mich nachhaltig, was sich in Verbindung damit hinter den Kulissen abspielte. Dies war nicht mein erster Besuch in den Vereinigten Staaten. Ich hatte früher schon zwölf Jahre hier verbracht und glaubte, die berühmt-berüchtigte amerikanische Lebensweise einiger­maßen zu kennen.

Jetzt erlebte ich das Land und seine Gesetze unter einem völlig anderen Blickwinkel- dem des geduldeten Exilkubaners, den man auf Schritt und Tritt beobachtete, dessen Worte einzeln auf die Goldwaage gelegt wurden. CIA und FBI schienen allgegenwärtig. Eine übelgenommene . Bemerkung konnte bewirken, daß man die Hilfe des Refugee Center verlor, das einem recht und schlecht zu leben half. Sie konnte aber auch ein unangenehmes Verhör, die Deportation oder das Gefähgnis zur Folge haben. Die Wohnung, die Arbeitsstelle, die Snackbar, Freunde, Bekannte, reinweg nichts entging der Überwachung durch jene Organe. Und alles wurde in der Akte des frag­würdigen Exilanten festgehalten.

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Schließlich bekam ich meine speziellen Mann namens » Thomas« würde in Montevideo 1\..ont~tKt aufnehmen; darauf bliebe ich in seinen Händen.

Die Formalitäten für die Reise nach Uruguay hatte idi zu erledigen. Viel Zeit kostete mich die Flugbuchung, Transitvisum auf sich warten ließ. Aber in der KOJl1Sullar'1SCh'el:p. Praxis der amerikanischen' Staaten wurden Exilkubaner einmal wie unerwünschte Personen' denen normalerweise kein Visum erteilt. Ein bejmerK(~nswe~rt(:r gensatz zur offiziellen Propaganda.

Notwendige Einfügung

Kuba verließ ich 1963 mit der Überzeugung, daß das der begonnenen Revolution und das Fortbestehen Ul1lsel'et' Nation aufs engste miteinander verknüpft waren oder anders gesagt - für uns Kubaner die eigene l'latlOnaJl1talt dem Spiele stand. Gewiß erschien auch mir das

~"_U"V~A

bende Tempo, mit dem die Umwälzungen in unserem . Form und Gestalt annahmen, noch immer kaum faßbaf.'> ich hatte mich unwiderruflich für den Sozialismus Trotzdem fällt es mir selbst heute nicht leicht, im darzulegen, was nur als Ergebnis eines langwierigen lnll1er,e{l: Vorgangs, einer nichtübertragbaren persönlichen J::!,rrarlrtllJl~{: begriffen werden kann. Genauso wird sich der Leser besondere der uruguayische Leser - meine schwerlich erklären können, wenn er nicht einiges Vergangenheit erfährt. Deshalb sei mir gestattet, ein {l"lrat"rlß'/~!l" Kapitel einzufügen.

Im Januar 1959, nach dem Sturz der Batistaryrannei, ich mich vielleicht einen revolutionären Demokraten U".uU''''~J;,. Es ist müßig, darüber zu streiten, daß ich diese und· B maer:e Begriffsbestimmungen - zugegebenermaßen ein generis - nach meiner heutigen Betrachtungsweise VOrm~lJll1~~' damals waren meine Einschätzungen weit Vf"rjlrlhU70(\f

und gefühlsbetonter. Revolutionärer Demokrat sein di~ Fortführung des . revolutionären Prozesses der

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Jahre7 eintreten, für die Vollendung unserer gescheiterten ~ Volksrevolution. Wir gingen davon aus, daß Kuba nicht zu den Ländern gehörte, in denen die ökonomische Wirklichkeit den juristis2h~h Rahmen gesprengt hatte. Das kubanische Grund­gesetz' von 1940 enthielt solche für die damalige Zeit fort­schrittlichen Zielvorstellungen wie die Beseitigung des Latifun­diums, das Recht auf Arbeit oder die soziale Funktion des Eigentums. Schöne Worte. Dessenungeachtet beruhte die große Einhelligkeit, mit der wir die Verfassung des Jahres 1940 als Waffe im Kampf gegen die Batistadiktatur handhabten, auf ebenjeneri überwiegend th"e@retischen Errungenschaften. Das Grundgesetz symbolisierte unsere Forderungen, für die sich die Batistaleute nie einsetzen würden, und bildete zugleich das Minimalprogramm, dem wir alle zustimmen konnten. Einige stellten sich die Rückkehr zur Konstitution als Wiederkehr des freien Spiels - oder Gegenspiels - der parteipolitischen Kräfte vor, manche sehr Gutwillige auch als gewissen Fortschritt, der ihnen zu folge langsam, aber sicher angesteuert werden müsse, während andere von uns darunter die sofortige und konse-' quente Yerwirklichung aller Verfassungs postulate in der Praxis verstanden.

Gemeinsam übersahen wir damals jedoch - auf Grund der Klassenherkunft offenbar gewohnt, die Ausübung der poli­tischen Macht für ein besonderes Vorrecht zu halten -, daß eine neue Realität vorhanden, daß ein neuer Protagonist auf den Schauplatz der Geschichte getreten war. Mit dem Sieg der Revolution beanspruchten die Volksmassen, die Ausgebeuteten und Entrechteten, die Opfermut bewiesen und einen hohen Blutzoll gezahlt hatten, die Entscheidungsgewalt. Und ihnen bedeutete das Grundgesetz aus dem Jahre 1940 - wie jede x-beliebige Verfassung in diesem historischen Augenblick -nicht mehr als ein Stück Papier; für sie war es ein anachroni­stisches Objekt sinnloser Betrachtungen.

Es widerstrebt mir, hier den eigenen Werdegang zu schildern, aber um der Glaubwürdigkeit meiner Ausführungen willen möchte ich nicht darauf verzlchten. Von Haus aus wurde ich in nationaler Tradition erzogen. Ich war stolz auf meinen Großvater, der am Unabhängigkeitskrieg teilgenommen hatte, und habe seine Schriften gegen die Abtretung der Isla de Pinos an die Vereinigten Staaten und für die Annullierung der En-

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mienda PlattS, des US-amerikanischen Nachtrags zur nischen Verfassung, gelesen. Ich achtete den Kampf 11l";Hl~;1i' Vaters und meiner Onkel gegen die Machadodiktatur in dreißiger Jahren. Mich befriedigte auch das wissenschaftliche Ansehen meines Großvaters mütterlicherseits, der durch seine archäologischen Entdeckungen bekannt geworden war.

Bald sollten indes völlig andere Einflüsse auf mich einwirken. Ich war meinem Vater - er stand im diplomatischen Dienst­in und durch die USA gefolgt, und an seiner Seite lernte ich in dem Maße, wie es mir die. Jahre erlaubten, mich mit de~ Dünkel der rückschrittlichsten' Elemente dort auseinan­derzusetzen. Das exklusive College im Bundesstaat Connecti,. cut - gegründet von einem Bruder des ehemaligen Präsidenten Taft (1909 bis 1913) -, das ich schließlich besuchte, war eine Brutstätte des schlimmsten republikanischenKonservatismus. Also für einen ungeduldigen Lateinamerikaner eine Schule,die ihn geradezu das Aufbegehren lehrte. .

Der Koreakrieg9 und die peronistische Entwicklung in Ar­gentinien10 wurden -zwei für meine politische Evolution be­deutsame Ereignisse. Ohne den strikt liberalen Standpunkt aufzugeben, fand ich an den Vorgängen in Korea etwas, was meiner Logik zuwiderlief. Welch böse >}Aggressoren<{ die aus dem Norden auch sein mochten, schlußfolgerte ich seinerzeit, so gehörten sie doch zweifellos mehr in dieses Land als die Tausende von US-Amerikanern, Engländern und Türken, die beim Süden mitkämpften. A~ders verhielt es sich im Fall Peron. Ich war gegen ihn.:..,

Ehrensache, als Liberaler -, aber ich konnte nicht umhin, seine selbstbewußte, trotzig-herausfordernde Haltung zu billigen; Besonders weil ich inzwischen erkannt hatte, daß dieSym­pathien und Antipathien meiner Mitschüler mit meinen eigenen kaum übereinstimmen konnten. Insofern mißtraute ich unserer einhelligen Ablehnung Perons und hatte ein ungutes Gefüht dabei. Ich fing an, die Leute nach ihren Gegnern zu beurtei­len.

Die >}objektiv<{ und paternalistisch-bevormundend zurecht­gemachten Geschichtslehrbücher jenes Colleges bestätigten in. kontinentalem Ausmaß, was ich zu Hause über die Vereitelung unserer Unabhängigkeit11 gelernt hatte, über das Verbrechen an Mexiko12

, die Ausplünderung Mittelamerikas13 oder den

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Raub der Antillen14: die Niedertracht von eineinhalb Jahr­

hunderten destino manifiesto - »eindeutigen Schicksals«. Batistas Staatsstreich15 vom 10. März 1952 beschleunigte den

Zusammenschluß der unruhigen, oppositionellen kubanischen Jugend. Damals war ich achtzehn. Ich beteiligte mich am Kampf gegen Batista, und zwar zunächst in der »Triple A«, einer Widerstahdsorganisation, die, obgleich von Politikern der traditionellen Parteien gelenkt, auch etliche fortschrittliche Kräfte heranzuziehen vermocht hatte. Später wechselte ich zur »Bewegung des 26. Juli« über.

Währenddessen geschah etwas für uns kämpfende und suchende Kubaner sehr Wesentliches: Der heimtückische Überfall auf Guatemala 195416 bewies uns, daß eine progressive Regierung, die in Lateinamerika nichts anderes vorhatte, als ihr Land dem 20. Jahrhundert zuzuführen, dies nicht nur hinter dem Rücken der Vereinigten Staaten, sondern vor allem gegen sie tun mußte.

Den früheren kubanischen Generationen lastete deI; geo­politische Fatalismus trotz bewundernswerter Ausnahmen wie ein Alp auf der Seele; als die ungehemmte, rohe Gewalt nicht mehr genügte, half er, »die Verstockten zur Vernunft zu brin­gen«. Das autonomistische Antivatedand, bislang der spa­,nischen Herrschaft ergeben, söhnte sich bald mit den neuen Herren aus und wurde der entstehenden Republik zwangsweise einverleibt. 1933 verkleidete sich der ID)perialismus als »guter Nachbar« und konnte wiederum viele betrügen. Guatemala trug dazu bei, die letzten Fetzen dieser paternalistischen Draperie hinwegzufegen. Nicht wenige unter uns dachten, daß wir nun die psychologische Befangenheit gegenüber den Ver­einigten Staaten überwunden hätten; weil lieben und hassen manchmal auch nur irgendwie abhängen heißt.

Aber es kam anders. Was heute sonnenklar zu sein scheint, verwirrte noch jahrelang die Gemüter. Der geopolitische Schicksalsglaube wurde raffinierter dargeboten; man tischte uns, die wir entschlossen waren, ja darauf brannten, uns gegen die Vereinigten Staaten im Bewußtsein ihrer unheilvollen Rolle in Amerika durchzusetzen, das Märchen vom liberalen nord­amerikanischen Intellektuellen auf. Playa Giron zerriß 1961 das Lügengespinst: Eine Plejade von Politikern und Beratern, die sich bis dahin als Progressisten ausgegeben hatten, war an der

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Inszenierung der Invasion beteiligt gewesen. das ruchbar geworden, versuchte eine liberale und Propagandawelle aus den USA, den Invasionsplan ,als Eisenhowers, den Kennedy »automatisch« geerbt habe, zustellen. '

Der alte Fatalismus war also wieder da, und Überängstlich~ fragten sich, ob sich Kuba angesichts seiner vorteilhaften ' ,,' nach dem Sieg bei Giron jetzt nicht mit den in Washington regierenden Liberalen arrangieren könne. Dieser Irrtum hätte, das Ende der Revolution bedeutet; er hätte am Anfang eind .. , Entwicklung gestanden, die uns diskreditiert und unweigerlich, dem Verrat in die Arme getrieben hätte. Würdelos, von ' Zugeständnis zum anderen, wären wir entartet und hätten mit • schwindenden Machtpositionen und bei hohler RhetorikSchritt um Schritt den traurigen Weg zurückgelegt, den schon soviele Revolutionen gingen, weil sie die Kraft der Unversöhnlichkeit nicht hatten oder nicht begriffen.

Abermals schwankten einige, denn die Macht, der sich Kubi widersetzte, war groß: Sie vergaßen, im Großen zu denken. Jahre später zeigte mir Uruguays Beispiel, daß kein Zugeständ.:: nis an den Imperialismus ihn beschwichtigt; sobald er eine Schwachstelle entdeckt zu haben glaubt, wird er nur, noch. dreister.

Um dem Leser gegenüber aufrichtig zu bleiben, muß ich ein weiteres Problem behandeln. Wir neigen dazu, es politischen: wie psychologischen Erörterungen zu entziehen,obwohles dicht unter der von solchen Interpretationen gebotenen Hülle steckt. Ich meine hiermit, daß ich einer größeren Reife . ,. , . bis ich am Ende den Stier bei den Hörnern packte. weiß ich nicht, inwieweit es mir gelingt, die ........ ' """UUl''-1l.Uql11f;'''-,

mit wenigen Zeilen deutlich zu machen. Allgemein heißt es, daß einen entweder der Zwang der materiellen Verhältnisse zum Revolutionär werden läßt oder die Fähigkeit,. a~f anderen angetanes Unrecht zu reagieren. Meiner Ansicht nach entsteht ein ganzer Revolutionär jedoch erst im Ergebnis beider Trieb':, kräfte. So gab es auch in Kuba einen Zeitpunkt, da - leher .. >

wähnte es in Verbindung mit der Konstitution von 1940- fü'r etliche die Stunde der Wahrheit schlug: für uns junge hörige der kubanischen Bourgeoisie, die wir uns der KC'1l01utl'QU verpflichtet fühlten. Was aber passiert, wenn ein anigellellictet

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Revolutionär, den das Unrecht eines bestimmten Regimes motiviert - eines Regimes, das er nicht zweifelsfrei mit einer ganzen Gesellschaftsordnung gleichzusetzen vermag -, zugleich die materielle Basis, die ihn bisher stützte, gefährdet sieht?

Und diejenigen, die zurückwichen? Die Mentoren, denen man Respekt gezollt hatte? Die Kameraden der studentischen Protestaktionen, der - teils vernünftigen, teils phantastischen - Aufstandspläne des Exils in Mexiko oder der Illegalität in Havanna? Über die Opportunisten lohnt es nicht zu reden. Solche, die alt gewordene Politiker als junge Alte abzulösen trachteten, desertierten, sobald sie verstanden, daß eine wahre Revolution im Gange war. Und die übrigen? Weiter oben dürfte eine Erklärung für ihrHandeln zu finden sein. Manche wollten ihre Vorurteile, andere ihren Egoismus nicht ablegen. Die Unglückseligsten schützten familiäre Gründe vor. Jene unter ihnen,' die sich noch einen Funken Urteilsvermögen bewahrt haben, werden sich wahrscheinlich inzwischen die Leere und die Frustration, die ihrem Schritt folgte, eingestehen. Die ei­gene Unsicherheit hat sie verraten. Es ist eben nicht leicht, seine Klassenherkunft zu verleugnen, paternalistischen Vormund­schaftsansprüchen entgegenzutreten, elitäre Maßstäbe auf-zugeben. !

Was verhinderte, daß ich mich bei ihnen befand? Schon 1958 war ich zu der Einsicht gelangt, daß unsere Länder nur über staatliche Institutionen, deren Einfluß zudem ständig wachsen mußte, und über zentral gesteuerte Wirtschaften auf dem revolutionären Weg vorankommen würden. Das ermöglichte es mir, zu anderen, nicht derart versimpelnden Auffassungen vorzudringen. .

Doch bestimmend war die feste Überzeugung, daß La De­majagua, Baragua, Dos Rios, EI Morrillo, Moncada und Giran17

jeweils ein Glied in der Kette ein und desselben folgerichtigen historischen Ablaufs waren. Deshalb blieb mir, als Giran kam, strenggenommen gar keine Wahl: Hier stand Kuba, dort das Antikuba. Eine andere Entscheidung gab es nicht. Wir wach­sen mit der Gefahr.

Es bestätigte sich eine Konsequenz: Wer sein Vaterland wirklich liebt, wird unbedingt danach streben, ihm als Patriot zu dienen. Ein aufrechter Patriot aber wird bei uns in Latein-

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amerika zwangsläufig ein Revolutionär. Und ein ehrlicher Revolutionär wird sich zum Sozialisten und der studierende Sozialist zum Marxisten-Leninisten weiterentwickeln.

Auftrag: Übersiedlung nach Uruguay

Nachdem ich 1961 meinen Entschluß gefaßt hatte, leitete sich alles Weitere ganz normal daraus ab. Wie bereits geschildert, brachten mich protokollarische Verpflichtungen Mitte 1962 in Havanna mit den Mitgliedern der Kommission aus Uruguay zusammen, während Micale und Purtscher unsere Bekannt­schaft veranlaßte, politische Fragen aufzuwerfen.

Ich bewegte mich freilich schon lange genug auf jenem Parkett, um zwischen Fragen und »Fragen« unterscheiden zu können. Vertreter aus fast allen Ländern der Erde gaben sich bei JUCEPLAN die Klinke in die Hand; die einen als geladene Gäste, andere lediglich als Besucher. Minister Boti mit seiner reichen internationalen Erfahrung empfing sie, wobei er den Wohlgesinnten freundlich und zuvorkommend begegnete und solche, die Hintergedanken hatten, gebührend zu nasführen wußte.

In diesem Zusammenhang waren politische Diskussionen nichts Außergewöhnliches. Die ganze Welt interessierte sich damals für die kubanische Revolution, und der Wunsch, ihre Voraussetzungen und künftigen Projekte kennenzulernen, lag nahe. Aber die Fragen der Uruguayer, besonders die Micales, überstiegen die übliche Wißbegier.

Folglich unterrichtete ich Dr. Regino Boti - seinerzeit Wirtschaftsminister und Technischer Sekretär des Zentralen Planungsrates - von der gefährlichenWendung der Gespt:'äche. Ich erhielt umgehend die Weisung, mich abwartend zu ver­halten und möglichst herauszufinden, was die curuguayischen Abgesandten damit bezweckten. Als Micale von Tag zu Tag eindringlichere Fragen stellte, wurde mir geraten, ich solle durchblicken lassen, daß ich mit der politischen Lage in Kuba nicht voll einverstanden sei. Von jenem Zeitpunkt an war ich

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der unzertrennliche Gefährte der drei Militärs; tagsüber und nachts. Vor allem nachts.

Schließlich gelang es festzustellen, daß sie - gemessen an dem, was nachJiolgte - mir gegenüber relative Harmlosigkeiten im Schilde führten: Asylrecht in ihrer Botschaft und die Chance einer Beschäftigung in Uruguay, falls ich dorthin übersie­delte.

Nach ihrer Abreise beließ ich die Möglichkeit, daß ich das Asyl aufsuchte, eine Zeitlang in der Schwebe, weil ich mich vergewissern wollte, ob die Sache in der uruguayischen Bot­schaft endete. Dann flog Salaberry nach Miami, um das USA­Visum zu beantragen, und übermittelte mir, daß die Yankees Geheiminformationen als Vorleistung für ihr Transitvisum verlangten.

Bis dahin hatten wir alles bereichs intern bei JUCEPLAN -selbstverständlich mit beratender Unterstützung durch die auf solche Fälle spezialisierten Organe - abwickeln können.

Es war die Zeit der wilden Treibjagd auf Kuba, der ständigen Provokationen, der regelmäßigen Versuche, Angehörige freier Berufe, Techniker, Ingel1ieure und Führungskader zur Deser­tion zu bewegen. Hin und wieder genügte es, ihnen einfach eine Gelegenheit zur Ausreise zu verschaffen; in anderen Fällen wurde mit Bestechungen und Drohungen nachgeholfen. Wir waren es schon gewohnt. Die gehen wollten, mochten sich wegscheren! Doch sie sollten nicht wagen, unseren Aufbau zu sabotieren.

Das Spionageansinnen erforderte natürlich eine andere Be­handlung. Wenn die Yankees Informationen haben wollten, sollten sie diese bekommen, sogar ausführliche. Aber wir mußten vorsichtig seiri,

Eines Abends, nach der wöchentlichen Sekretariatssitzung des Planungsrates, bereiteten wir im Arbeitszimmer von Dr. Boti unter Hinzuziehung einiger Fachleute das Nötige vor.

Mehrere Wochen transportierte Bonifacio chemisch prä­pariertes Papier von Miami nach Havanna und zurück. Ent­sprechend den Aufträgen der CIA lieferte ich Material, das bei uns zusammengestellt worden war. Ich beschriftete die Bogen mit Spezialtinte, darüber schrieb ich einen unverfänglichen Brief.

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Die Tage der Oktoberkrise des Jahres 1962 brachen' Aggressionen verschärften sich. Die Vereinigten ::;t~w.tenwa,rejk;;t: entschlossen, das »gefährliche Beispiel« Kuba mit Stumpf unq Stiel auszurotten. Kurz zuvor hatten unsere Sicherheitsorgane nachweisen können, daß vertrauliche Angaben von erheblicher Bedeutung für unsere Wirtschaft zum Gegner durchsicker~ ten.

Da wir drei mögliche Nachrichtenquellen vermuteten, lan­cierten die Genossen von der Sicherheit ebenso viele Fehl­informationen. Es blieb nur abzuwarten, welche davon -:- sie waren genügend originell und standen in keiner Beziehung zueinander - in den Besitz der Nordamerikanergelangen würden, dann konnte der Schuldige ausfindig gemacht oder zumindest die Quelle auf eine einzige Institution öder Abtei:., lung reduziert werden. . ..

Ein Problem war allerdings noch zu lösen: zu ermitteln, was. bei der CIA ankam. Das oblag mir, weil anzunehmen war, daß man dort alle Angaben überprüfte.

Die Fehlinformationen waren so abgefaßt, daß uns die bloße Erwähnung des Themas einen entscheidenden Hinweis geben würde; alle drei hatten irgendwie mit den zentralen Wh:t-. schaftsvorhaben unseres Landes zu tun. Andererseits war JUCEPLAN, der neuralgische Punkt, wo die Hauptrichtungen für die ökonomische und technische Entwicklung Kubas er .. arbeitet wurden, nicht leicht zu übersehen; hier sollte uns die sprichwörtliche Freundschaft, die Boti und mich verband, weiterhelfen. Wir würden eine angemessene Zeit warten, damit Bonifacio genügend weitere Instruktionen für meinen )>Verrat« überbringen konnte.

Erhielten wir auf diesem Weg die Aufforderung, die be­wußten Daten zu liefern oder nachzuprüfen, jedoch nicht~was inzwischen sehr wahrscheinlich war -, mußte ich mich ins AsyL begeben.

Wir wußten von den langen Verhören, denen alle in Miami eintreffenden Exilkubaner unterzogen wurden. Von Sicher­heitsmotiven abgesehen, verfolgten die USA-Behörden bei solchen de-briefings, wie sie genannt wurden, das Ziel, syste­matisch ihre Angaben zu den unterschiedlichsten Aspekten der kubanischen Revolution zu ergänzen.

Bei meiner Biographie durften wir damit rechnen, daß sie.

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nicht nur versuchen würden, das ihnen zugespielte Material zu überprüfen, sondern auch danach trachteten, Näheres hierüber zu erfahren. Wurden dabei Daten aus unseren Fehlinforma­tionen erwähnt, und sei es nur nebenher, hatten wir den Schlüssel zu dem begangenen Verrat in der Hand. War das erreicht, sollte ich unverzüglich nach Kuba zurückkehren.

Soweit die Geschichte, die mich in den Kofferraum brachte. Die Geschichte, die mich nach Uruguay weiterleitete, habe ich allein den Nordamerikanern und besonders der CIA zu ver­danken.

Als ich im November 1962 in die uruguayische Botschaft kam, war meine revolutionäre Einstellung allenthalben bekannt. Daraus ergab sich, daß ich mich als weiteren » Fidelanhänger ohne Fidel« ausgeben und zunächst dem Klüngel ,der Ex­revolutionäre anschließen mußte, von denen die meisten nie wirkliche Revolutionäre gewesen waren. Als ich das freie Geleit bekam, trennte ich mich von meinen neuen »Bundesgenossen«. Ich hatte genaue Anweisungen, in welcher Form ich Abstand von den Exilierten und vor allem ihren Organisationen zu wahren hatte. Wir wußten, daß die CIA diese Gruppierungen lückenlos kontrollierte - und damit zugleich ihr internes Machtgezänk und gegenseitiges Befehden unterstützte - und sie nicht eine Aktion ohne Erlaubnis der Nordamerikaner ausführen durften. Zu meiner Befriedigung berücksichtigten die Anweisungen auch meine Bitte, keinen Kontakt zu Ver­wandten oder alten Bekannten herstellen zu müssen, es sei denn im äußersten Notfall.

Danach, bei den Befragungen in Miami-Opalocka, zogen sich die Sitzungen über Monate hin, ohne daß auch nur der kleinste Hinweis auf unsere Fehlinformationen erfolgte. Natürlich kamen viele interessante Dinge zur Sprache, die uns bestimmt nützen würden, aber im Grunde schien meine Mission zum Scheitern verurteilt. ,

Mitunter gab es Momente, die einer gewissen Komik nicht entbehrten. Fuentes, der »Cowboy«, glaubte offensichtlich rundweg alles, was die Yankee-Meinungsmacher über uns verbreiteten, und baute auf die Wirkung dieser Propaganda. So entspann sich eines Tages, als wir eine Pause eingelegt hatten, um nach einem Glas Cola erfrischt wieder an die »Arbeit« zu gehen, folgender Dialog:

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»Kennst du den )Rotbart<?« »Wen?« »PHieiro.« »Comandante Pifieiro? Ja, den kenne ich. Wer hätte

nicht von ihm gehört?« »Nein, ich meine, persönlich?« » Ja, das auch. Bei JUCEPLAN ging doch jeder ein

aus.« Der CIA-Mann trarikeinen Schluck und bemerkte nach

Weile: »Sie haben ihn abgesetzt. Und fast alle seine Leute verhaftet.«

»So? Na ja! Damit muß man eben rechnen.« Das war ein Schuß aufs Geratewohl gewesen. Wah'fscbei:u"

lich hofften sie, den mutmaßlichen Agenten mit der »Säu rung« so zu schrecken, daß er sich selbst stellte.

Nach der Unterredung, in der mir vorgeschlagen wurde, als CIA-Agent in Uruguay anzusiedeln, stand ich vor ernsten Entscheidung. Mehrere Monate waren vergangen, ich hatte meine eigentliche Aufgabe nicht gelöst. AndererseitS überschritt der Vorschlag den mir in Havanna zUI~evvie;serlen:, Aktionsbereich. Ich versuchte, ein wenig Zeit für n."'u''',",,,,'''­tionen zu gewinnen und neue Weisungen zu erhalten.

Der Imperialismus wollte uns auf die Knie zwingen. wenn die USA letztlich bereit wären, Kuba abzuschreiben; konnten es nicht tun, Kubas Signalwirkung war ihnen zu fährlich. Sie mußten uns einfach niederzwingen. ihre Feigenblattmethode funktionierte sogar auf höchster .LJlJ'"U'~''' Gingen sie gegen uns vor, dann nicht etwaJm Namen Finanzkapitals und seiner Bastardinteressen, Namen der Demokratie, im Namen des int:enlmerikaJ11s<cht:n' Systems, im Namen der OAS.

Regierungen, die sich nicht fügten, wurden destabilisiert, sie stürzten. Uns wollten sie mit Hilfe Amerikas aUi>lö1;chien~ doch wir hatten in Amerika und mit den Völkern Amerikas lebens bedrohliche Herausforderung angenommen. Wo '."'"y,." es also einen Yankee gab, der im dunkeln gegen die unserer Völker konspirierte, um die Zukunft zu dort mußten wir ihm entgegentreten und ihn bekämpfen. war klar, daß jede Nation den konkreten Weg der Ke'vOfutlOn

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finden wird. Kuba hatte die Aufgabe, in seiner Bastion aus­zuharren und die Umtriebe des Geiers im Adlergefieder zu vereiteln, soweit das in seinen Kräften stand. Das Große Vaterland erwachte.

Ich bekam die Genehmigung weiterzumachen. Ich sollte als CIA-Spion nach Uruguay abreisen.

Eine peinliche Lage

Auf diese Weise gelangte ich im Februar 1964 nach Montevideo. Danilo Micale holte mich am Flugplatz ab, und die ersten zwei Tage wohnte ich bei ihm. Danach quartierte ich mich in einer Pension in der Maldonadostraße ein.

Für den Anfang hatte ich den besten Eindruck. Vielleicht trug dazu auch der Umstand bei, daß Montevideo derzeit mitten im Karneval lebte und Micale sich verpflichtet fühlte, die ihm in Havanna erwiesenen Aufmerksamkeiten zu ent­gelten.

Während dieser turbulenten Tage bekam ich des öfteren zu hören: »Der Karneval ist nicht mehr das, was er einmal war.« Das verwunderte mich, denn die ausgelassene Stimmung dauerte länger an, als im Kalender vermerkt war. Später sollte ich erfahren, daß für gewisse uruguayische Kreise das ganze Jahr über »Karneval« ist.

Uruguay zeigte sich dem, der unvermittelt aus den Ver­einigten Staaten mit ihrer zunehmend enttäuschten und von bitterem Haß erfüllten Gesellschaft hierher kam, als ver­gnüglich-geruhsames Ferienland. Seine sorglose Atmosphäre konnte bei einem oberflächlichen Beobachter leicht die Vor­stellung erwecken, er sei in eine Art Paradies geraten. Vermißte ich auch das Hochgefühl jener, die ihre eigene Zukunfterbauen, und die in meiner Heimat vorherrschende Entschlossenheit, das Errungene um jeden Preis zu schützen, so fiel doch der Ver­gleich Uruguays mit seinen großspurigen Nachbarn und ande­ren Staaten des Kontinents ermutigend aus. Aber ich beurteilte ein Land, von dem ich glaubte, es sei die uruguayische Realität und nicht sein - wie ich heute weiß - aufgeputztes Äußeres,

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geschminkt auf ein gewesenes Gestern, hergerichtet· für d~n Konsum ahnungsloser Fremder.

Eine gewisse Stagnation schimmerte freilich schon durch; erste Anzeichen des stufenweisen Abstiegs. Die internationaleo Bedingungen, die Uruguay für geraume Zeit einen dekorati­veren Lebensstandard als seinen Nachbarländern gestattet hatten, waren im Schwinden begriffen, und der Krake aus dem Norden spannte seine Fangarme an. Ganz hatte er es auch früher nie unterlassen, doch deutete zu Beginn nur wenig darauf hin, daß die »Schweiz Amerikas« nicht länger eine Ausnahme in der Geschichte der lateinamerikanischen Republiken sein sollte. .

Meine Ankunft in Uruguay löste eine Verwechslungs­komödie aus, die Jahre andauerte. Da war zunächst Micale, der mich als »Sonderberater« benutzte. Dann die CIA, die Infor­mationen über Micale und weitere Politiker verlangte. Gefällig war ich beiden; denn mein Auftrag blieb ein anderer.

Kurz nach meiner Ankunft bat mich Micale, ein paar Mappen mit Fotos und Personalangaben der in Montevideo akkreditierten kubanischen Diplomaten durchzusehen. Er wolle nur wissen, erklärte er mir, ob es unter ihnen irgendeinen Agitator gäbe.

Obschon mich verblüffte, daß die uruguayische Regierung über so ausführliche Angaben verfügte, maß ich der Angelegen­heit keine sonderliche Bedeutung bei.

Uruguay unterhielt schließlich diplomatische Beziehungen zu . den Vereinigten Staaten, Clem Land, aus dem diese Infotma ... tionen stammten. Zudem brauchten die Unterlagen nicht unbedingt der Regierung zu gehören, sie konnten auch Danilö Micale persönlich übergeben worden sein. Um ihn nicht zu verstimmen, »studierte« ich sie. Ich erkannte keinen Agitator, und die Sache war erledigt. Zumindest dachte ich das.

Wenige Tage darauf ersuchte mich Danilo, einen Vordruck auszufüllen. Der hatte verteufelte Ähnlichkeit mit den Bogen, die ich in Miami im Dutzend hatte vollschreiben müssen. Ich erhob keine Einwände; ich nahm das Papier, als handelte es sic;h um einen normalen Vorgang. Dann stellte er mir einige Fragen. Doch welche Ironie: Sie stimmten haargenau mit denen über­ein, die mir die Nordamerikaner über ihn selber gestellt hatten (und ähnelten jenen, die sie mir Jahre später wiederum vorlegen

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würden). Ich hütete mich natürlich sehr, dazu ein Wort laut werden zu lassen, und hatte den amüsanten Zwischenfall bald vergessen.

Die ersten Wochen in Uruguay kann ich nicht schildern, ohne das lebhafte Interesse, das Verständnis und die weitverbreitete Sympathie für die kubanische Revolution zu würdigen.

Die Anteilnahme am Geschehen in Kuba brachte mich in arge Verlegenheit. Ich war Exilkubaner, und das sprach Bände, vor allem in Uruguay. Immerhin mußte die hiesige Öffentlich­keit die »Enthüllungen« so mancher Hausierer der Konter­revolution über sich ergehen lassen, denen die Yankees gestattet hatten, aus dem Status des Exilkubaners ein lukratives Ge­schäft zu machen.

Zum Glück erlaubten mir die CIA-Instruktionen, den ku­ban ischen Problemen gegenüber Gleichgültigkeit vorzu­täuschen. Man wollte, daß ich als Liberaler auftrat, ohne mich in den »Fall Kuba« einzumischen, damit meine Integration in Uruguay nicht auf Schwierigkeiten stieß.

Für die Uruguayer stand eines aber fest: Die US-amerika­nische Unterstützung für die Exilkubaner und die konter­revolutionäre Bewegung hatte wenig nUt Hilfe und schon gar nichts mit Uneigennützigkeit zu tun.

Also versuchte ich, mich auf die Aussage zu beschränken, ich hätte mich auf Grund meiner Erziehung und Ausbildung nicht wieder in Kuba eingewöhnen können. Das berechtige mich jedoch keinesfalls, etwas zu bekämpfen oder zu schädigen, was die Mehrheit meiner Mitbürger guthieß.

Es war in der Tat eine peinliche Lage. Manchmal, bei Besuchen im Landesinneren, konnte ich.

Fragen ausweichen, indem ich bestätigte, daß ich Kuba ver­lassen hätte, aber lange vor dem Sturz Batistas. Danach hätte ich in Mexiko gelebt und Havanna ein einziges Mal - 1962 -besucht. Die Leute dort schienen zufrieden gewesen, doch darüber hinaus könne ich nichts sagen, da ich mich lediglich einige Tage in der kubanischen Hauptstadt aufgehalten hätte. Die Geschichte taugte zwar für jedermanns Geschmack, war aber nur anwendbar bei Personen, denen man ein-, zweimal begegnete.

Vom überwiegenden Teil der Uruguayer wurde Kuba weit-

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gehendes Verständnis entgegengebracht. Es war ""."u""", nicht klassenmäßig begrenzt. Natürlich galten die pathiebekundungen der Fortschrittskräfte und der Werk:tät:il ;

gen vorrangig den revolutionären Umgestaltungen, allenthalben gab es eine zustimmende, solidarische Haltungzu4 dem kleinen Volk, das angesichts des rabiaten, err)rel>se]ris(~heJf> Riesen nicht verzagte und die Hände hob. In gewissem projizierte diese Einstellung das Nationalgefühl des vom nationalen Gorillatum18 bedrohten Uruguay in das kuba:niseh(~> Volk.

Möglicherweise wird der nichturuguayische Leser kaum verstehen, wie umfassend jenes Mitempfinden verbreitet war Nun, ich bekam es während meiner Reisen ,durchs Land zu spüren: Bezirkspräfekten, Parlamentsabgeordnete, Stadt-und Gemeinderäte, Viehzüchter, Journalisten, Studenten, Händler, bescheiden Lebende wie Wohlhabende, Vertreter aller Bevol':' kerungsschichten - ausgenommen die reaktionärsten Kreise sprachen in dieser oder jener Form darüber.

Sogar als die Zeit schon ziemlich vorgerückt war - Ende. 1968'-:', zollte Mario Heber19 in seinem Sommerhaus in Punta del Este der kubanischen Entwicklung noch Lob und Beifall, und viel fehlte nicht, er hätte mir geraten zurückzukehren: Auch Aqgehörige der Oligarchie durften sich eben den Luxus leisten, Toleranz einem Kuba gegenüber an den Tag zu w,' ... ", ..

das sie in Zeit und Raum weit entfernt wähnten. So vergalJJje:n sie nie, ,an ihre anerkennenden Worte für irgendeine Errun~ genschaft der kubanischen Revolution oder den Mut und die Ehrenhaftigkeit ihrer Führer das Schwänzchen au.<.UllalJl"C;j'F

»Ja, in Kuba war das bestimmt nötig, dort führten sich die Amerikaner wie die Herren auf. Doch hier ist das anders, wir hier brauchen keine Revolution.«

Die Jahre 1964 und 1965 vergingen. Die seit langem latente. Wirtschaftskrise war noch nicht voll ausgebrochen. Der offene Kampf stand noch bevor. Die alte liberale Denkweise hattelh/: historisches Daseinsrecht schon verloren, doch . wirkte sie weiter. Uruguay hatte sich objektiv L8ltel.name:nß,a schon angeschlossen, aber nicht alle Uruguayer waren dessen bewußt. Scheinbar konnte man noch immer in Beobachterposition verharren.

Nach und nach wurden die Felder abgesteckt. Zu K

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Stellung zu nehmen hieß immer öfter, sich im Inneren fest­zulegen. Das werktätige Volk wurde revolutionär, und seine Sympathie für die kubanische Revolution verwandelte sich in wirksame ideologische Solidarität, als es erkannte, daß gleich­artige Übel eine gemeinsame Wurzel haben. Andere, denen es nie gelang, von einer verschwommenen Nostalgie loszukom­men, fragten sich, wo das alte Uruguay geblieben oder woran es zugrunde gegangen sei. Und die ehrlichsten der National­gesinnten konnten sich des unangenehmen Verdachts nicht erwehren, daß Kuba den Weg gewiesen hatte.

Meine Beziehungen erweiterten sich. Anfangs logischerweise in Micales Bekanntenkreis. Darunter befanden sich Beamte des Innenministeriums und solche persönlichen Freunde des Ge­neraldirektors, die ihn in seinem Büro aufzusuchen pflegten.

Einmal in den Kreis aufgenommen, war ich im Ministerium sehr bald wie ein gescheckter Papagei bekannt und kannte dort ebenfalls fast jedermann. Manchen Leuten wurde ich auch in Bars und Kabaretts, in denen sich Danilo und seine Leute gern aufhielten, vorgestellt. Fortan schloß ich Bekanntschaften vielfältiger Art.

Dazu gehörten beispielsweise Mario Tarabai, Inhaber der Firm,a Hugo Davinson, die Erzeugnisse von Max Factor und Philip Morris vertrieb; sein Kompagnon und Schwager Majör Julio Deus, später stellvertretender Kommandeur des Luft­waffenstützpunktes Camino Mendoza; Estanislao Pacheco­der »Pole« genannt -, seinerzeit Konzessionär der Nachtlokale »Bonanza« und »Ei Cubilete«; Rodrigo Acosta, Amtsdirektor und Chef des Bereichs Technische Sektoren im Innenmini­sterium.

Ferner Pande »Chiche« Odllakoff, ein Verwandter Micales und Leiter der administrativen Abteilung in der Depar­tementspolizei Cerro Largo, mit dem ich schnell einen guten Faden spann; Dr. Sampognaro, Rechtsberater des Innenmini­steriums; Jorge »CUCO« Diaz, angehender Grundbesitzer und profilierter Schmuggler; Jose »Pepe« Cantisani, der intimste Freund Micales, stets hinter Geschäften her, die ihm das große Geld einbringen sollten, ohne daß er einen Finger krumm zu machen brauchte - da war er natürlich nicht der einzige; Jorge Vazquez, ein Neffe von Senator Ubillos und Teilhaber des

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»Polen«; Camarota, Besitzer des Hotels »Grillon«, dessen der Freundeskreis bevorzugte; San Maiamud, GeneralbevolI .. mächtigter des britischen Textilunternehmens Sudamtex; Giro Ciompi aus der Fremdenverkehrsbranche.

Soweit einige N amen, an die ich mich erinnere. Jede Vor.;. stellung bedeutete eine Beziehung, die für die CIA nützlich sein konnte. Außerdem kam ich auf diese Weise mit Figuren der politischen Szene in Kontakt. Es ging darum, Fuß zu fassen. Micale zeigte mich wie einen exotischen Vogel herum. Ich ließ ihn erzählen und sich brüsten,wie er mich überredet habe, Kuba . zu verlassen.

Indes, in Washington hatte man mir vor der Abreise erklärt, daß »wir mit Ihnen« in Verbindung treten würden, sobald ich mich in Montevideo eingelebt hatte.

»Wir« war dann besagter »Thomas«, ein Nordamerikanet, hager, sonst ohne besondere Kennzeichen. Obwohl es bei ihm mit dem Spanischen haperte, bestand er darauf, daß wituns ausschließlich in dieser Sprache verständigten. Unser erstes Rendezvous verlief recht prosaisch: Begegnung auf dem Boulevard Artigas/Ecke Straße des 8. Oktober, ein Zwa:nzig- . minutengespräch, während wir den Boulevard in Richtung Heeresoffiziersschule entlangspazierten.

Ich sah ihn nur wenige Male. Er wurde alsbald durch einen baumlangen Kerl abgelöst, der sich ebenfalls »Thomas« nannte und gleich seinem Vorgänger an der fixen Idee litt, spanisch wie. ein Einheimischer zu sprechen. Der dritte »Thomas« tauchte drei Jahre später für jeweils kurze Augenblicke auf. Er blieb genauso undefinierbar wie die anderen beiden. Der Wechsel erschöpfte sich darin, daß er klein und dick war und englisch redete. Ich vermochte nie, einen jener drei CIA-Sendboten zu identifizieren.

Doch zweierlei ergab sich klar und deutlich aus den Treffen. Erstens sollte ich nordamerikanische und anglo-uruguayiscne Kreise meiden. Zweitens: Mein Aktionsbereich um faßte den uruguayischen Mittelstand und bestimmte Gruppen der. Groß:­bourgeoisie - diesen Terminus benutzten die »Thomase« natür­lich nicht. Als sich Tarabal und Malamud nach einigenMo.c naten für meine Aufnahme in den Country Club verwendeten, erhob der zweite »Thomas« Einspruch. Es bedurfte unzähliger

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Argumente, meinen uruguayischen Bekannten jenes Vorhaben zumindest auszureden, denn restlos überzeugen konnte ich sie nicht.

pin anderes Gesprächsthema war die Umsetzung des in Miami Vereinbarten. Sie gedachten auch, mich finanziell zu unterstützen, ich müsse mir aber eine Tarnung für meine Ein­künfte suchen und dürfe diese nicht sofort verwenden. Über­haupt solle ich vorerst abwarten, bis Micale mir eine Stelle besorgt hatte. Danach würden wir weitersehen.

Die aus den Vereinigten Staaten mitgebrachten Dollars schmolzen beängstigend dahin. Ich mußte rasch Arbeit finden. Der Direktor des Hotels »Victoria Plaza«, wo mir eine Be­schäftigung in Aussicht stand, war gestorben. Damit riß die Verbindung dorthin ab. Mein Ausländerstatus verbot es, mich regulär beim Innenministerium anzustellen. Hinbiegen ließ sich jedoch, daß ich dort zeitweise als »Sachverständiger« unter Vertrag genommen wurde. Das mußte, weil das politische Pflaster zu heiß war, geheim bleiben, aber auch so konnte ich Danilo Micale mehrfach in »wichtigen« Angelegenheiten be­hilflich sein.

Eines Tages gab er mir den Tip, bei Ambrois und Co., Autoimporte, vorzusprechen. Das Ministerium bezog Fahr­zeuge über diese Firma, und Danilo unterhielt gute B~ziehun·­gen zu einem ihrer Chefs, einem gewissen Napoli. Dieser hatte ihm gesagt, er brauche einen neuen Verkaufsleiter. Nachdem ich mich beworben hatte, traf in Montevideo ein Mercedes­Benz-Vertreter ein, um mit den Kandidaten Eignungsgesprä­che zu führen. Ich absolvierte mein Gespräch und hörte vorder­hand nichts mehr von der Sache.

Etwa zur selben Zeit entstand die ATU, Asodadon Turi­stica del Uruguay, ein Zweckverband der Besitzer von Hotels, Gaststätten, Nachtlokalen, Reisebüros, Geldwechselstellen u'nd Werbeagenturen, also aller an dei Förderung des Fremden­verkehrs interessierten Unternehmer. Die ATU suchte einen Geschäftsführer. Nun, in Havanna belegte INIT, die Touris­mus-Dachorganisation Kubas, die oberen Stockwerke dessel­ben Gebäudes, in dem JUCEPLAN untergebracht war. Diese Bagatelle bliesen wir - Micale, Tarabai und ich - dermaßen auf, daß ich fast als ehemaliger kubanischer Minister für

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, .

Tourismus dastand. Alles umsonst. Man wird aus kein Fremdenverkehrsexperte. Oder vielleicht doch aber hatten kein Glück. ' .

Jedenfalls blieb ich weiterhin ohne festes Arbeitsverhältnis. Schließlich bekam ich die Nachricht, ich solle nochmals Am" brois und Co. aufsuchen und mich an Casimiro Etchevarren, aen Buchhalter und Syndikus der Firma, wenden.' Er wa,r außerdem Direktoriumsmitglied des Abendblattes »Acd6il«j . Sprachrohr der Liste 15 der Colorado-Partei2o. '

Etchevarren teilte mir mit, bei Ambrois und Co. sei zwar keine Stelle frei, aber ich habe auf den Eignungsprürer keinen schlechten Eindruck gemacht, so daß er annehme, ich könne bei der vorgesehene~ Reorganisation der Zeitung nützlich seit'}, Er gab mir einen Uberblick über die )}Acd6n«, danach ver:" abredeten wir uns für den nächsten Tag am selben Ort.

Ich trat ins Reich von Jorge dem »Erleuchteten«21, ein,düCIT bevor ich mich speziell mit ihm befasse, ist es erforderlich, noch einige Zusammenhänge zu erläutern.

Ein unentschlossener General und' der Niedergang eines Regententums

Ich brauchte nicht lange, bis ich merkte, daß etwas faul war in der »Schweiz Amerikas«. Kaum hatte ich meine Tätigkeit bt:li der »Acd6n« aufgenommen, bat mich MicaJe, die Meinung verschiedener Leute von der Liste 15 zu sondieren undfest~ zustellen, inwieweit sie und ihr führender Kopf Luis Batlle Berres22 mit dem Militärputsch, von dem gemunkelt wurde,zu tun hatten.

)}Du mußt auf jede Äußerung achten«, schärfte mir Micale ein.

Seine Worte machten mich hellhörig, belegten sie doch nichts anderes, als daß es auch in Uruguay Militärs gab, die ihr Putschistensüppchen kochten. Aber wie konnte meit'} Freund annehmen, daß ich etwas aufzudecken in der Lage sei?

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Bei der Zeitung, wo sich die Hauptfiguren von Luis BatlIes Liste bestimmt regelmäßig trafen, war ich erst ein paar Tage. Meine Beziehungen zu Politikern, die der Nationalpartei - den Blancos - nahestanden, waren bekannt. Obendrein war ich Ausländer.

Dies gereichte mir andererseits zum Vorteil: Das tra­ditionelle politische Gerangel schien mich wenig zu kümmern. Mit der Zeit trat übrigens noch ein günstiger Umstand zutage: Ich war Exilkubaner, ein Staatenloser, und insofern jemand, der sich einem beliebigen Lager anzupassen vermochte.

Viel konnte ich nicht erfahren. Die Redaktion der »Acd6n« vertrat den Standpunkt der Liste 15, den von Luis Batlle, und ihm durfte ich mich nicht nähern. Er tolerierte, daß sein Sohn einen Exilkubaner eingestellt hatte, und hielt es wohl für eine Überspanntheit. »Das sieht Jorgito ähnlich«, bemerkte er. Doch er gestattete nicht, daß ich meine Nase in andere als rein ver­waltungsmäßige Dinge steckte. Erst sein Tod sollte dies än­dern.

Dank Etchevarren bekam ich zu hören, daß die Liste 15 wegen des vermuteten Staatsstreichs sehr beunruhigt war und in der Hinsicht auch der Blanco-Regierung nicht ganz traute, aber darüber hinaus vernahm ich nichts.

Micale neigte auf Grund seines Temperaments oder vom Mechanismus der Politik getrieben, dazu, sich Freunden und Bekannten anzuvertrauen, die nicht direkt an das Innenmini­sterium gebunden waren. Deshalb konnte ich die Ereignisse aus der Nähe verfolgen.

Der betriebsamste Verschwörer war Oberst Mario Aguerrondo, ein notorischer Faschist, der, Ende der sechziger Jahre zum General befördert, für die Umwandlung des MUitär­bezirks Nr.l in ein Bollwerk der Gorillas sorgte. . Da Aguerrondo Chef der hauptstädtischen Polizei gewesen war, hegte man den Verdacht, daß er dort von einigen ihm ergebenen Offizieren, insbesondere dem derzeitigen Komman­deur der Guardia Metropolitana, Major Alberto Ballestrino, unterstützt wurde. .

Ich fand allerdings nicht heraus, welche politischen Kräfte - falls es sie gab - hinter dem Putschvorhaben standen. Damals entdeckte man nur Zusammenkünfte von Militärs in eindeutig konspirativer Form. Die als Anführer ermittelten Offiziere

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waren Blancos, ihre Partei - die Nationalpartei -keineswegs einhellig für die Verschwörung ein.

Micales Fall war eine Sache für sich. Er gehörte zu den »Herreristen«, also jenem Flügel der Nationalpartei, der sich auf Luis Alberto de Herrera berief, und war mit der Gruppierung um Alberto »Titito« Heber liiert.

Heber wurde letzter Vorsitzender des Präsidialrates der Republik (und damit Staatspräsident), ehe ein Volksentscheid im. November 1966 jenes Gremium abschaffte. Er zeichnete sich durch Demagogie und Unbeständigkeit aus, sogar die Nordamerikaner mißtrauten ihm. Aguerrondo, der auch mit Hebers Fraktion in Verbindung stand, war ein persönlicher Feind Micales. Der wiederum hatte den Posten des Ge­neraldirektors im Innenministerium dank der politischen Rückendeckung durch seinen Schwiegervater, den gewichtigen und wendigen Blanco-Caudillo von Cerro Largo, Saviniano »Nano« Perez, erhalten. »Nano« Perez fungierte mehrmals als Präfekt in Cerro Largo und war jederzeit der starke Mann im· Bezirk.

Das Amt meines Freundes galt als Vertrauensstellung, und er wußte die gebotenen Möglichkeiten so zu nutzen, daß er es die ganze Blanco-Regierungszeit hindurch ausüben konnte. Die Minister kamen und gingen, er dagegen blieb, und jeder neue Minister braucl),te ihn nötiger als sein Vorgänger.

Was im Ministerium anfänglich bloßer Einfluß des Schwiegervaters war, ergänzte Danilo Micale mit der Zeit durch eigene Wirksamkeit und Machtenfaltung. Seine Position als Generaldirektor verschaffte ihm in der Hierarchie des In.., nenministeriums den dritten und - da sich die wechselnden Staatssekretäre nur mit Verwaltungs angelegenheiten befaßten - strenggenommen sogar den zweiten Platz.

Doch. Danilo war als Leutnant aus der Luftwaffe aus., geschiede~, um die Beamtenlaufbahn einzuschlagen, und s.o stand er trotzdem weit unter den Polizeichefs und -komman-danten mit ihrem Obristenrang. .

Hochmütig ignorierten sie den »frechen kleinen Leutnant«, und das ertrug Danilo nur schwer. In seinem Fall war es daher Ehrensache, daß er Gegenmaßnahmen traf, wenn Aguerrondo putschen wollte. Er beorderte sämtliche Einheiten der Policia Caminera - 300 motorisierte Streifen zu je zwei Mann - nach·

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Montevideo und inszenierte· mit ihnen eine Aktion der psycho­logischen Kampfführung.

»Die Caminera ist zwar keine Streitmacht«, erklärte Danilo, aber sie hat eine vorzügliche Organisation.« Das stimmte, denn

er hatte diese Straßensicherungspolizei nach Kräften aus­gebaut. Nicht minder bedeutsam war, daß sich ihr Personal überwiegend aus dem Verwaltungsbezirk Cerro Largo re­krutierte. »)Nano( fängt sie mit dem Lasso ein, und ich über­nehme sie«, sagte er uns dazu.

Die Streifenfahrzeuge der Caminera wurden an mehreren Punkten der Stadt konzentriert. Drei von ihnen parkten gut sichtbar einen Häuserblock von Aguerrondos Residenz ent­fernt. Zwei weitere folgten ihm in nächster Nähe, wohin immer er sich begab.

Schließlich postierten wir uns - Danilo Micale und ein paar seiner Freunde - an einem Cafe in Pocitos, wenige Meter neben dem Haus des Gorillas in spe. Das Cafe befand sich in einer Seitenstraße des Boulevard Espafia zwischen der Ellauri und der Libertad. Wir bildeten zwei Wagenbesatzungen. Während die eine im Auto wartete, hielt sich die andere im Cafe auf.

So verstrichen 36 Stunden. Die Caminera war vor drei Tagen in die Hauptstadt eingerückt. Aguerrondo konnte nicht ent­gangen sein, daß man ihn Tag und Nacht beschattete und drei Streifenwagen unweit seines Hauses in Bereit;schaft standen. Zumal auch das Cafe, in dem wir uns aufhielten, von ihm und seinen Freunden frequentiert wurde.

Durch unsere Aktion sollten die Putschisten lediglich zu einer beschleunigten Entscheidung herausgefordert werden; wir wollten ihnen zu verstehen geben, daß sie auf Widerstand stoßen würden.

Als Micale seinen privaten Kleinkrieg veranstaltete, bahnten sich . zugleich auf anderen Ebenen starke Gegenzüge an. Mehrere Umstände trafen zusammen, an denen die Pläne der Verschwörer scheiterten.

Auf der einen Seite stellten Aguerrondos Militärs Kontakte zu einer weiteren, von General Juan Pedro Ribas geführten Gruppe her. Dieser General im Ruhestand betätigte sich als Oberhaupt der Putschanhänger in der Colorado-Partei. Wäre der Vergleich nicht unpassend, könnte man Ribas einen Fa-

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schisten des 19. Jahrhunderts nennen. Nicht zu Unrecht lJ.W",U,>

er. jedenfalls, nachdem seine Gelegenheit gekommen Operettenfigur auf der Strecke. Die Verschwörer augenscheinlich Probleme ~it der Führung.

Auf der anderen Seite regten sich die verfassungstreuen Militärs, deren höhere Dienstgrade schon mIndestens' eine Besprechung abgehalten hatten. Sie waren etwa ein Dutzend, darunter der Kommandeur der Heeresoffiziersschule, General . Santiago Pomoli, und Oberstleutnant Purtscher.

Micale wußte, daß ich Pomoli während meines Aufenthalts im Asyl in Havanna flüchtig kennengelernt hatte, und bat mich, dem General ein Schreiben zu überbringen. Pomoli zeigte sich sehr betroffen, als er merkte, daß ich über die Lage Be­scheid wußte, war aber immerhin so höflich, mir nichts direkt zu sagen.

Von diesem Zeitpunkt an verminderte sich mein Einblick in die Ereignisse. So gab es Anzeichen dafür, daß Washington Beltran - ein für sein zweideutiges Verhalten bekanntes Prä: .. sidialratsmitglied - an der Beratung der Verfassungstreuen teilgenommen hatte, ich konnte jedoch nicht feststellen, ob es tatsächlich der Fall gewesen war.

Beltran gehörte damals der Blanco-Mehrheit des Präsidial­rates an. Er war Caudillo der Liste 400 in der Demokratischen Blanco-Unionder Nationalpartei, außerdem Playboy von Beruf und Aristokrat aus Überzeugung.

Sieht man vom möglichen Erfolg unserer »psychologischen V erteidigung« ab, entschied offensichtlich die Alarmierung der Offiziers schüler, mit denen Pomoli bis zur letzten Konsequenz Widerstand leisten wollte, über den Ausgang des Staatsstreich­versuchs.

Die Gegner des Militärputsches vermochten ihre Kräfte zu entfalten, weil es Aguerrondo an Entschlossenheit mangelte. Er verschob, um absolut sicherzugehen, die Ausführung seines Planes von einem Tag auf den anderen: .

Schließlich löste sich die Verschwörung, wie es schien, in Wohlgefallen auf.

Einige Zeit danach hatte ich ein Gespräch mit demin,.. zwischen zum Oberstleutnant beförderten Ballestrino, und al~ die Rede auf Aguerrondo kam, klang seine Stimme mit einem~ mal verächtlich; Ich gehe gewiß nicht fehl in der Annahme,

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daß diese Verachtung eine Folge der unverkennbaren Feigheit des Putschi~tenführers in jenen Tagen war. Auch der jüngste Sohn von General Ribas äußerte sich später recht abfällig über den kläglich gescheiterten Aguerrondo.

Ein paar Worte mehr sind hier noch zu Oberstleutnant Ballestrino angebracht. Etwa vier Jahre nach dem Putsch­versuch konnte ich es mir erlauben, vertraulich mit ihm zu sprechen und zu verhandeln. Das Konstante an seinem Leben war die Gewalt; häufig verfiel er in hemmungslose Wut. Sorgsam kultivierte er den Ruf eines rechtschaffenen und charakterfesten Mannes, was ihm zu einem gewissen Aufstieg im Polizeiapparat verhalf. Doch welche Ideale hatte er, welcher Methoden bediente er sich! Nur seine Brutalität konnte ihm den abnormen Gedanken eingeben, die Hände der in Montevideo aufgegriffenen pungistas - der Taschendiebe - mit Stock­schlägen zu traktieren,

Als Bewunderer Hitlers hatte Ballestrino dessen Bild in seinem Schlafzimmer hängen. Er sammelte alte deutsche Abzeichen und Embleme und gefiel sic!?! im Nazigruß. Über­haupt interessierte er sich brennend für dieses Phänomen einer dekadenten Gesellschaftsordnung; sein erklärtes Ziel war ein Staatsstreich, durch de,n die » Würde«. Uruguays auf der Basis der Peitsche und des Terrors wiederhergestellt werden sollte. Andersgesinnte stempelte er ausnahmslos als Kommunisten ab. Unentwegt trachtete er nach dem Posten des Polizeipräsidenten von Montevideo, aber selbst die rigorosesten Vertreter der·· Oligarchie wiesen eine solche Möglichkeit schaudernd weit von sich. Deshalb blieb er eine Randfigur. Allerdings nicht für die Nordamerikaner. Auf ihn würden sie zurückgreifen, wenn die Masken fielen und das uruguayische Volk und das USA-Im­perium einander direkt gegenüberstünden. Dann würden sie die Bestie loslassen, und Ballestrino dürfte seine ultranationali­stischen Gelüste befriedigen und die Rolle des Bluthundes übernehmen.

Die Ruhe hielt nicht lange an. Kaum hatte sich die Aufregung gelegt, setzten die Putschistengruppen ihre Winkelkonzile unter größerer Geheimhaltung fort. Mitte 1965 drohte d~e Krise von neuem auszubrechen.

Diesmal in vielernst~rem Au~maß, da sich den Leuten, die

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schon in den letzten Putschversuch verwickelt der. Verteidigungsminister , General Pablo Möratorio, ein be", trächtlicher Teil der Luftwaffenoffiziere und verschiedene Politiker hinzugesellt hatten.

Die wahren Absichten der »roten« oder »weißen« Politiker, die Pläne der zahlreichen Flügel, Gruppierungen und Fraktio" nen waren schwer zu durchschauen. Niemand wußte genau, welche politischen Kräfte aktiv an der Verschwörung teil-· nahmen, wie viele nur eingeweiht waren und gemächlich warteten, ehe sie sich entschieden, und welche ihr energisch entgegentraten.

Die Liste 15 der Colorado-Partei gehörte sicherlich zu den Putschgegnern. Sie wurde nach dem Ableben Luis Batlles von seinem Vertrauten Amikar Vasconcellos23

- Mitglied des Prä .. sidialrates - geführt. Er bekannte sich zu einem eindeutig legitimistischen Standpunkt und mißtraute insofern der C010 .. rado- und Batllisten":Union, weil einige ihrer Parteigänger enge persönliche Beziehungen zu General Ribas unterhielten.

In der Nationalpartei herrschte um diese Zeit ein wirres Durcheinander. Gemeinhin wurde angenommen, daß 'die Demokratische Blanco-Union die Verschwörung ablehnte. So erklärte der damals neue Innenminister, Ad01fo Tejera24, .er werde nicht nachgeben und Widerstand )}bis zum äußerstem<. leisten. Das Präsidialratsmitglied Washington Beltranver~ urteilte in der Öffentlichkeit jede gewaltsame Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung, traf sich aber insgeheim mit Nicohis Storace25

, der mit Aguerrondo unter einer Decke steckte.

Persönliche Ambitionen und finanzielle Interessen wucher~ ten, wie Unkraut miteinander verflochten, in dieser konftisen politischen Landschaft. .

Das Mitglied des Präsidialrates Alberto Heber unterstützte ., den Putsch und hielt sich für den künftigen zivilen Chef der Meuterer. Micale fühlte sich besonders getroffen, führte »Ti­tito« doch seine Gruppierung an. Außerdem hatte er noch einen Grund zur Besorgnis: Viele seiner Waffengefährten von den Luftstreitkräften gehörten zu den Verschwörern. Später erfuhr ich, daß man ihm sogar nahegelegt hatte, sich zu fß.gen.

Wie die Krise gebannt werden konnte, ist mir im einZelnen nicht bekannt. Micale, Odllakoff und ich hatten ein Apparte.,

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ment über dem Restaurant »Tip Top« am Boulevard Espaiial Ecke Rambla gemietet. Hier ließ sich während der gefähr­lichsten Zeitspanne der Konfrontation - Ende Juni! Anfang Juli 1965 - Innenminister Adolfo Tejera nieder.

Von der Wohnung aus sollte inoffiziell mit den )Hoten« Putschgegnern Fühlung genommen und die Verbindung zu den »weißen« Könstitutionalisten aufrechterhalten werden. Der Minister hatte schnell sein Hauptquartier aufgeschlagen; er ließ Waffen und eine Kiste Whisky herfahren. So gerüstet, schickte er sich an, den Gorillas Paroli zu b~eten.

AufMicales Bitte teUte ich dem Sekretariat der »Accion« die Anschrift unseres Appartements sowie die Absicht Tejeras mit, hier ein geheimes Treffen mit einem Vertreter der Liste 15 durchzuführen. Die Nachricht gelangte zu Jorge Batlle, der bereits seine eigene Strategie entwickelte, um Vasconcello auszubooten und die Zügel der Fraktion in die Hand zu be­kommen.

Wie ich hinterher hörte, hatte Jorge das Treffen wahr­genommen. Das fiel ihm verhältnismäßig leicht und erregte auch keine Aufmerksamkeit, denn er wohnte unserem Appar­tement gegenüber. Da hinsichtlich mancher Personen Beden­ken gehegt werden mußten, unterblieben sämtliche offiziellen Kontakte. Außerdem überwachte die Polizei der Hauptstadt unter Oberst Ventura Rodriguez vermutlich bereits das Innen­ministerium.

DanUo Micale hatte sich ungeachtet Hebers Position mit Tejera zusammengetan und führte seinen Privatkrieg weiter. Er rechnete jeden Augenblick damit, daß Putschistentruppen das Innenministerium und dessen Funkanlagen besetzten.

Für diesen Fall war in einem Wohnhaus in der Marseiller Straße eine Reservefunkstelle aufgebaut worden, die Kommis­sar Juan Carlos Brasseiro mit zwei Technikern ständig besetzt hielt. Micale hatte den Befehl über die Caminera übernommen und befand sich in ihrer Leitstelle. Von dort fuhr er regelmäßig zudem von Tejera belegten Appartement. Erhebliche Mengen Waffen und Munition wurden in eine alte Kneipe - sie gehörte Odllakoff - außerhalb Montevideos gebracht. Zweifellos gab es wiederum Querverbindungen zu den verfassungstreuen Mi­litärs, aber da blieb ich als Mittelsmann ausgeschaltet. Trotz­dem wußte ich, daß Offiziere der Kriegsmarine einen Gegen-

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putschplan ausgearbeitet hatten und daß mehrere H<:~ei(~stjrul)~ penteUe dank der konsequent verfassungstreuen Generale Pomoli und Seregni neutralisiert werden konnten.

Darauf ebbte die Krise abermals ab. Bewältigt war sie indes erst, als im Dezember jenes Jahres der Polizeichef von Mon­tevideo, Ventura Rodriguez, des Postens enthoben und durch .. Rogelio Ubach - bislang Militärattache in Paraguay und des­wegen an den letzten Ereignissen unbeteiligt - ersetzt wurde.

Nachträglich erfuhr ich noch, daß der 1. Sekretär der USA­Botschaft Mario Heber den Rat gegeben hatte, sich dem Putsch zu widersetzen, da er Kettenreaktionen und Unruhenhefürch-. tete, die jeder Kontrolle entgleiten konnten.

Die Krisenbewältigung warf schließlich weitere Leute aus dem Sattel, obwohl die eigentlichen Gründe andere waren. So mußte Adolfo Tejera gleichzeitig mit Ventura Rodriguez zu., rücktreten; sein Nachfolger wurde Storace Arrosa.

Auch Micales Regentschaft im Innenministerium ging 1966 zu Ende.

Die Unzertrennlichen

Meine ersten Begegnungen mit den Nordamerikanern in Montevideo verliefen ausgesprochen harmlos. Wenn wir von Micales Fragebogen und den Gesprächen mit »Thomas{~ Nr,l absehen, spürte ich monatelang fast nichts von ihrem Wirken in Uruguay.

Anfang 1965 bat mich Danilo um eine Gefällig~eit, eine gtlUchada, wie die Uruguayer sagen. Er erklärte mir, daß die uruguayische Regierung mit der AID26 ein Abkommen über technische Hilfe geschlossen habe, das auch einen Passus für· die Unterstützung der Polizeikräfte enthalte.

Obgleich es sich um eine Angelegenheit handelte, die selbst in Regierungskreisen noch sehr umstritten war, setzte sich· Danilo nachdrücklich für die Anwendung des vor kurzem in Kraft getretenen AID-Abkommens ein.

»Ich brauche genaue Informationen darüber, was vom sonderen Inhalt des Abkommens zu den Leuten von

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)Acdon( durchgesickert ist und ob die Liste fünfzehn die Sache politisch auszuschlachten gedenkt«, sagte er.

»Es wird nicht leicht sein, das herauszukriegen«, erwiderte ich, »aber versuchen kann ich es ja.«

»Du mußt; wissen, daß in Montevideo demnächst zwei Fern­meldespezialisten eintreffen, um sich mit den Funknetzen des Innenministeriums zu befassen. Unsere Anlagen sollen vor­rangig erneuert werden.«

»Inwiefern könnte das denn ausgeschlachtet werden?« fragte ich.

»Wir wollen diese Art der technischen Hilfe so lange wie möglich geheimhalten, damit im Ministerium oder anderswo kein dummes Zeug geschwätzt wird.« .

Vielleicht übertrieb Danilo, doch gleich darauf ließ er mich wissen, daß er seinen ganzen politischen Einfluß zugunsten jenes Projekts aufgeboten habe. Käme es jetzt zu einem Skan­dal, würden die Nordamerikaner die Realisierung trotz ihres lebhaften Interesses womöglich aufschieben und einen günsti­geren Zeitpunkt abwarten. Zugleich wolle er verhindern, daß die technische und finanzielle Hilfe für lange Zeit weitgehend vom hauptstädtischen Präsidium und damit letztlich von Aguerrondo gelenkt und genutzt werde. Auf den ersten Blick paradox, schien das beim großen spezifischen Gewicht dieser Behörde durchaus denkbar.

Den vorläufigen Regelungen des Abkommens zufolge hatte das Ministerium, wenn AID-Fachleute zu ihm entsandt wur­den, einen Dolmetscher zu stellen.

Danilo wünschte, daß ich die Aufgabe - verbunden mit der eines zu jeder Stunde wirkungsvollen Cicerone - übernahm und bei der »Accion« Urlaub beantragte.

Die USA-Botschaft hatte meinen Namen akzeptiert, und wir bezweifelten nicht, daß die »Accion« keine Einwände erheben würde, wenn sie den Grund meines Antrags erfuhr. Man mußte natürlich eine Erklärung abgeben, die nicht alle Einzelheiten des Vorhabens enthüllte.

Als »Betreuer« würde ich leicht feststellen können, welche Eindrücke die Nordamerikaner gewannen und wie sie das Projekt beurteilten. Sollten von ihnen wesentliche Änderungen vorgeschlagen werden, konnte Micale rechtzeitig Maßnahmen treffen, damit sie unter den Tisch fielen.

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Mein Urlaub wurde genehmigt, und so begleitete ich als er zu Adolph B. Saenz, funkelnagelneuer Chef der Öffentliche Sicherheit bei der hiesigen AID-Vertretung FBI-Mann, in dessen Wohnung fuhr. Saenz weilte schon einige Monate in'Montevideo und hatte enge Freundschaftsbande zu Danilo Micale geknüpft. Selbstverständlich war er genauso ah der Verwirklichung des Projekts interessiert wie Danilo.

Am selben Abend empfingen wir auf dem FlugplatzCarras\:':Q den Verantwortlichen für die Funkdienstprogramme der AID, Paul Katz, sowie Charles Redlin, Berater für Fernmeldetechnik· bei der AID-Mission in Kolumbien und Assistent von während des dreiwöchigen Aufenthalts in Uruguay.

Es folgten Besprechungen im Ministerium, Trinkspruche, offizielle Essen, Trinksprüche, Höflichkeits~ und Arbeits .. ; besuche, wieder Trinksprüche, technische Analysen und neue. Trinksprüche.

Redlinzog praktisch in unser Appartement in Pocitos UnL

Wir stellten ihm ein junges Wesen vor, das sich sehr bemühte; • sowohl als Friseuse wie auch als Tänzerin und. Animierdame zu bestehen. Solch heißes Blut hatte er noch nicht ken­nengelernt; Marta wurde selber ein Projekt der wirtschaftlichen' Zusammenarbeit und Auslandsinvestitionen. Schließlichwat der »Hilfsfonds« erschöpft, und Redlin mußte mit Katz iib~r eine » Anleihe« verhandeln. .

Diesel.' Redlin bereitete uns mehr als einmal Scherereien. Als wir in Rivera zu tun hatten, beschloß die Studiengruppe, einen Abstecher über die Grenze zu machen und in der brasilianischen Nachbarstadt Livramerito ein Nachtlokal von zweifelhaftem Ruf zu besuchen. .

Wir hielteri uns schon geraume Zeit dort auf, als plätzlichein Mordsspektakel einsetzte. Redlin hatte eine Zimmertür auf, gebrochen und widmete sich seinem Lieblingssport: ein Mäd~ ehen zu schlagen, mit dem er sich über den Preis nicht einig geworden war. Es gelang uns knapp zu verschwinden, bevor die brasilianische Polizei auftauchte und wir uns hätten aus~ weisen müssen. Der langaufgeschossene, grobschlächtige Nord­amerikaner kehrte danach nicht mehr nach Kolumbien zurück. Von Montevideo flog er direkt nach Washington, und wenige Tage darauf wurde er nach Vietnam geschickt. So hieß es später.

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Trotzdem bin ich mir nicht sieher, ob Redlins Manier allein seinem Gutdünken entsprang. Ich habe viele Male solche Yankee-Paare auftreten sehen: den Guten und den Bösen, den Dicken und den Dünnen, den Freundlichen und der Unheim­lichen. Vielleicht meinen sie, die latins - so ihre at:)fällige Be­zeichnung für Lateinamerikaner - brauchten diese Art Zer­streuung. Auf der einen Seite agiert der sympathische, um­gängliche Nachtschwärmer, der Zechbruder und scheinbar Ineffektive. In seinem Schatten aber wirkt der routinierte, konzentriert arbeitende Fachmann, der alles analysiert und auch die Wahrnehmungen des anderen empfängt. Sie konnten der ungehobelte Brutale und der verständnisvolle Gebildete aus Miami sein, oder Benitin und Äneas aus der nordamerika­nischen Comic-Serie, dargestellt diesmal von Katz und Redlin; im Grunde wiederholte sich das Schema ohne nennenswerte Abweichungen.

Die Spezialisten machten sich zunächst mit dem Fernsprech­netz der Casa de Gobierno - dem Sondernetz der Regierung­vertraut. Wir besichtigten die Zentrale in der Uruguaystraße. Dann suchten wir beim Innenministerium den Sektor Funk­wesen auf und lernten dessen Büros und Anlagen, darunter die Funkstelle Melilla, kennen. Ferner inspizierten wir die Leit­stelle der Caminera. Auch dem Polizeipräsidium wurden mehrere Besuche abgestattet.

Die Arbeit ging in zwei Richtungen vor sich: Zum einen galt sie den eigentlichen technischen Belangen, zum anderen dem Bekanntwerden mit dem Bedienungspersonal und weiteren Beamten. Der zweiten Aufgabe widmete sich vorrangig Redlin, obwohl er natürlich an allen Veranstaltungen teHnahm.

Saenz begleitete uns fast nie, es sei denn, Redlin wollte ihm einen neuen Freund vorsteHen. Über Politik wurde nicht ge­sprochen, die angebahnten Beziehungen beschränkten sich auf rein professionelle Fragen. Zweifellos blickten die· AID-V er­treter jedoch in die Zukunft. So nahm sich, wenn es sich um fähige, hochqualifizierte Ingenieure wie Kommissar Brasseiro handelte, Katz der Sache selber an.

Katz eilte ein fragwürdiger Ruhm voraus. Der überschlanke, nervöse Mann brüstete sich selbstgefällig damit, ein Handfunk­sprechgerät entwickelt und seine Erprobung im Dschungel

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Vietnams abgeschlossen zu haben, das die Kampfhandlungen erheblich beschleunigen würde. Nach Katz' Meinung wäre der Widerstand der »Vietcongs« binnen weniger Monategebro,. ehen. .

Als Brasseiro keine Neigung zum Umgang mit Katz verriet, trat Saenz auf den Plan, um jene wichtige Bekanntschaft zu pflegen. Ebenso erging es Rey Guerin, dem Leiter des Funk-: dienstes im Präsidium der Hauptstadt.

Daran schloß sich eine Fahrt ins Landesinnere an. Wir be .. suchten die Departements Salto, Artigas und Rivera. Das Programm verlief jedesmal nach dem gleichen Muster:eiri kurzer Besuch der Polizeidirektion und eines nahe gelegenell Kreiskommissariats, außerdem eine Höflichkeitsvisite beim Präfekten des Verwaltungs bezirks. Damals interessierte die Nordamerikaner das Landesinnere nicht allzusehr. Das änderte sich erst zu Mitriones Zeiten, als die von der AID geschenkten Funkanlagen in den Departements installiert wurden. Dann spürte man auch dort, was der scheinbar harmlosen Besuchs­tätigkeit jener einst so belächelten Figuren nachfolgte.

Jorge, der "Erleuchtete"

Als ich bei der »Acci6n« anfing, war ich weit davon entfernt, mir vorzustellen, daß ich mich in ein Teilchen des Räderwerks verwandeln könnte - ein winziges, versteht sich, aber immerhin ein Teilchen des Getriebes -, das Jorge Batlle benutzep würde, um sich die Alleinherrschaft über die Liste 15 oder vlelmehr das, was davon übrigblieb, zu sichern. .

Luis Batlle, der anerkannte und unbestrittene Caudillo jenes Flügels der Colorado-Partei, verfolgte argwöhnisch die Pläne seines Sohnes zur Umgestaltung der Z~itung in ein ausschließ­lich kommerzielles Unternehmen. Aber er ließ ihn gewähren.

Vielleicht übersah der Vater trotz seines Scharfblicks und. Scharfsinns auf anderen Gebieten nicht genau, welchen Weg sein Erbe einschlug. Oder vielleicht doch, und er sah, daß der Juniordirektor seine Augen mehr auf das politische Vermögen ..... der Liste 15 gerichtet hielt denn auf die mutmaßliche Rendife ..

. der » Acci6n«.

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Als unliebsames Hemmnis in meiner Arbeit stellte sich mir Carlos M. Fleitas in den Weg. Diesem Jorge bedingungslos ergebenen, jedoch ängstlich auf seine Autorität in admini­strativen Fragen bedachten Verwaltungsdirektor der Zeitung mußte ich irgendwie beizukommen versuchen. In gewisser Hinsicht konnte man ihn sogar begreifen. Aus ärmlichen Ver­hältnissen stammend, hatte er seine Jugend unter großen Entbehrungen im Departement Rocha verlebt. Danach gelang es ihm zu studieren. Er wurde Rechtsanwalt und stieg in die Politik ein. Nachdem Luis/ Batlle der Liste 14 den Kampf angesagt hatte, nahte ein kritischer Punkt in Fleitas' Karriere. Er war Privatsekretär bei einem Caudillo der Vierzehnerleute - bei dem PräsidialratsmitgliedCarlos Fischer, soviel ich weiß, und als sich die Auseinandersetzungen zuspitzten, lief er mit Papieren, die seinen damaligen Chef kompromi~tierten, zur Liste 15 oder, richtiger, dem Kern über, aus dem später diese Gruppierung entstand.

Vom ersten Tag an wertete Fleitas meine Anwesenheit in der Zeitung als Eingriff Etchevaxrens in das Verwaltungsressort. Deshalb wurde ich bald darauf Jorge direkt unterstellt, um Reibereien zwischen Etchevarren und Fleitas zu vermeiden. Jorges Vater war unterdessen gestorben, und er selbst war neuer Direktor geworden. Das stachelte ihn an, den Kampf um die vakante Machtposition in der Liste 15 aufzunehmen, obwohl Vasconcellos noch an der Spitze der Liste stand und ihrer Führung so einflußreiche Politiker wie Abdala27

, Segovia und Flores Mora angehörten.

Jorge Batlle war der Prototyp des modernen Unternehmers. Bar jeglichen Traditionalismus, ohne eine Spur Gefühlsduselei, ließ er sich kalt und berechnend von Nutzeffekten und Er­gebnissen leiten. Selbst sein Rassismus war utilitaristisch und frei von Emotionen. Als wir einmal auf die japanische Ein­wanderungswelle in Paraguay zu sprechen kamen, sagte er, zwar scherzhaft, aber dennoch ganz ernst gemeint: »Jedenfalls . muß man zugeben, daß sich die Japaner zu Weißen hoch­gearbeitet haben.{<

Ausgehend von diesem Grundmotiv, verfocht er die Schaf­fung eines Kordons von europäischen Einwanderern entlang der brasilianischen Grenze, »Um die Mischlingsinfiltration zu stoppen, die die rassische Einheit Uruguays untergräbt«.

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Jorge erörterte die Vorzüge und Nachteile der "f>t·<ir't.ii.

Nationen, als redete er von Rindern. für seine Y oung. Er hielt es für erforderlich, den Anteil des Blutes in Uruguay unter Beibehaltung der wichtigsten .LJ~l"'V''': schaften des V ülkes zu erhöhen. Den Italienern mißtraute Selbst wenn sie früher einmal brauchbare Einwanderer O-P''''P,,,Pn

waren, durchlebten sie - seiner Meinung nach - lYP(yp ... , ... ,ii' ..... "'· einen Degenerationsprozeß, der vor Jahrhunderten belJ;ortnen habe. Die Besten kämen aus der Lombardei. Mittel-und italien sei zu sehr von Mauren und Sarazenen durchsetzt ..

Ungeachtet dessen war es eine makabre Ironie, daß " .... .... ,.Hp," führenden Politikern der traditionellen Parteien au:sg(;rec:hnet Jorge die uruguayische Krise am treffendsten zu a.I1"UV"'C:"CII

vermochte; natürlich vom Standpunkt seiner Klasse hatte die Strukturkrise bis zur letzten Konsequenz np<y"H'hH"

und so pl~nte er - innerhalb des bestehenden Systems '~ sentliche Anderungen, von denen er wußte, daß sie keinen hatten, wenn die internationalen Gegebenheiten nicht IJCIUI.-I~­sichtigt wurden ..

Wahrscheinlich hielt er sich für einen Patrioten; jeder tnUJ.;}'bC.;"

finden, daß er rational urteilte. Ich möchte annehmen, die Lage begriffen hatte und nicht gewillt war, sie schamhaft zu bemänteln wie andere oder eine Vogel-Strauß-Politik zu betreiben. "

Als eigentlicher Schöpfer des ökonomischen Kurses Pacheco Areco wäre er sicherlich beweglicher als dieser bei seiner Einführung gewesen. Dort, wo sich Pacheco bloß starr" köpfig verhielt, war er hartnäckig und flexibel zugleich .. ''''olL ..... >·. ihn kennenlernte, entwarf er bereits die wirtschaftlichen linien, die Gestidos28

. Nachfolger später recht und " ... 'U'.-\ .. UIi

anwandte. Wer seine. Reden, Erklärungen und Aufrufe folgen konnte, wird es bestätigen.

Jorge Batlle verwarf die. Antiwährungsfondspolitik Vaters, weil er erkannt hatte, daß man in Amerika den amerikanern ni<;:ht entgegentrete.n konnte, ohne solche Ände~ rungen vorzunehmen, die einzuleiten er nicht bereit war.

Immer wieder sagte er, Herr könne Klein-Uruguay werden, es habe zu wählen zwischen Hilfs- oder V Daher sein größenwahnsinniges Streben nach . Integration: Uruguay genügte ihm nicht. Ihm schwebte eine Neuauflagede~

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Vereinigten La-Plata-Provinzen vor, natürlich ohne die ge­ringste Ähnlichkeit mit dem Artigasschen Ideal.

Jorge strebte vorerst den wirtschaftlichen Zusammenschluß an, doch später sollte er von einem starken Staat gekrönt werden, der in der Lage war, die brasilianischen Vorstöße abzufangen und sich zum Vertreter oder Regionalgendarmen der Yankees in Südamerika zu entwickeln. Griff er dieses Thema auf, glich er einem Erleuchteten. Sorgen bereitete ihm allein der negative Rassenfaktor Boliviens und Paraguays, aber das ließe sich - meinte er - schon irgendwie regeln.

Innerhalb dieser Parameter bewegte sich Jorge. Gewiß trug dazu auch der Umstand bei, daß seine Frau aus einer der reichsten Familien Argentiniens stammte.

Zum Thema Geld wäre noch hinzuzufügen, daß man ]orge beschuldigte, aus vertraulichen Informationen über eine grö­ßere Abwertung des uruguayischen Pesos, die Mitte der sech­ziger Jahre durchgeführt wurde, erheblichen Nutzen gezogen zu haben. Seine Transaktionen anläßlich dieses Währungs­schnitts sollen ihm einen fabelhaften Gewinn gebracht· haben.

Ein Vertrauensbruch, was Geld betrifft, konnte freilich die, die Jorge kannten, kaum überraschen. Er betrachtete Geld nur als Mittel zum Zweck und nicht als Ziel an sich - das überließ er Politikern, die nicht so hoch flogen wie er - und glaubte tatsächlich, das bloße Bekenntnis dessen verschaffe ihm die nötige Makellosigkeit. Der scheinbare Widerspruch zwischen jener Behauptung und seinem Vorhaben, die »Accion« in eine kommerzielle Zeitung zu verwandeln, erklärte sich objektiv aus der internen Liste 15 im Jahre 1964.

Um in dem vorauszusehenden Machtkampf zu bestehen, wollte Jorge Batlle die Zeitung von den Fünfzehnerklubs und Gruppierungen, die ihn vorläufig in keiner Weise unterstützten, unabhängig machen. Seine wahre Leidenschaft wurde voll und ganz von dem Drang bestimmt, an die Schalthebel der Macht zu gelangen. Dabei war ihm jedes Mittel recht.

Als neuer Direktor der »Accion« beauftragte mich Jorge mit der Untersuchung der vordringlichsten Rationalisierungs­maßnahmen. Die »Accion« sollte früher erscheinen, ohne daß der Redaktionsschluß beeinträchtigt wurde. Dazu mußten Arbeitsablauf- und Leistungsstudien in den einzelnen Berei-

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ehen, vor allem in der Redaktion und der Druckerei, d~rch-· geführt werden. Es war für die Reporter. nicht leicht, ihre Beiträge nach einem Stundenplan und in der Reihenfolge zu schreiben, wie die Seiten gesetzt wurden. Die Titelseite blieb Fernschreiben und Meldungen der letzten Stunde vorbehal­ten.

Bedingt durch den Charakter solcher Studien, mußte ich alle Ecken und Winkel der »Accion« ablaufen und viele Fragen stellen. Es lag auf der Hand, daß ich unerwünscht war. Zur Not noch in der Verwaltung akzeptiert und in der Redaktion toleriert, wurde ich in der Druckerei und in der Expedition geradezu gehaßt. Hinzu kam die ohnehin vorhandene Abnei­gung gegen mich als Exilkubaner.

Sobald wir die Arbeiten zur Verbesserung der Organisation und Effektivität abgeschlossen hatten, überprüften wir das Vertriebsnetz in der Haup'tstadt und danach im Landesinneren. Während dieser Zeit sah ich Jorge regelmäßig. Er besprach mit mir die jeweils nächsten Aufgaben.

Schließlich kam für uns der Moment, den Vertrieb der »Accion« zu reorganisieren. Wir hatten die Sache in Piedras Blancas ausprobiert. In Montevideo hätte man in der Hinsicht zwar mehr tun können, aber hier war es politisch zu riskant; noch kontrollierte Jorge die Liste 15 nicht:

Wir entwarfen einen Plan, der festlegte, wie jedem Zeitungs.., händler heimlich der Tagesbedarf seines Vertriebs bereichs abgekauft werden sollte, und begannen damit im Randgebiet der Hauptstadt. Eine Vertrauensperson zeigte ihr Gesicht, während die »Accion« im Hintergrund die Drähte zog.

Sollten wir imstande sein, die Zeitungs händler zu überlisten, konnten wir versuchen, ein Direktbezugssystem aufzubauen.

. Doch einiges war bei dem Test, den wir in der Gegend Ser­vidumbre - Camino Repetto wagten, durchgesickert, so daß wir das Projekt auf unbestimmte Zeit vertagen mußten.

Darauf wandten wir uns dem Landesinneren zu, und ich bereiste die Departements Maldonado, Artigas, Salto, Paysan­du, Lavalleja, Colonia, Treinta y Tres und Cerro Largo. In T reinta y T res und Cerro Largo arbeiteten wir besonders gründ­lich. Dort suchten wir knapp zwanzig Orte auf, selbstredend auch Meio: Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß mir »Nano« Perez sofort eine Subskription unterschrieb.

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Unser Verfahren war überall das gleiche. Von Jorge bekam ich eine Visitenkarte für den Caudillo der Liste 15 im Ver­waltungsbezirk und von dem wiederum eine für jeden örtlichen Caudillo. Im Grunde handelte es sich nur um meine Vorstel­lung.

Außerdem erhielt ich einen Brief an einen führenden Colo­rado der Liste 15, der Jorge persönlich ergeben war (sie nannten sich bereits Jorgisten). So fuhr ich beispielsweise nach Treinta y Tres mit einer Visitenkarte für den Direktor der Pensions­kasse und späteren Senator Pintos sowie mit einem Brief an Professor Anastasia, einen rivalisierenden Fünfzehnermann.

Pintos befand sich in Montevideo, und so verhandelte ich statt mit ihm mit dem ehemaligen Polizeichef Tomatti und -sicherheitshalber - mit Ademar Carnales. Auf diese Weise entstanden (für die »Acci6n«) zwei parallele Apparate der Liste 15, ohne daß vorzeitig Verdacht erregt wurde: der offizielle Apparat, gestützt auf den iew~i1s stärksten Caudillo der Fünfzehnerleute, und der jorgistische Apparat als ver­traulicher Kern, mit dem Jorge einmal seine uneingeschränkte Führetschaft zu diskutieren gedachte.

Anfangs wußte ich nicht recht, wie das Ganze funktionieren sollte. Merkwürdigerweise war es dann eine Randfigur - Ca..; ballero, der Leiter des kleinen Kraftwerks in dem Nest Char­queada, wo ich einige Tage verbrachte -, die mir den erfor­derlichen Aufschluß gab.

Meine Reisen hatten für ]orge den zusätzlichen Vorteil, daß er die Partei meinung erforschen konnte, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, er verfolge Gruppeninteressen, da er jemanden benutzte, der der Politik fernstand. Nach jeder Reise berichtete ich ihm ausführlich \lnd beantwortete viele Fragen, von denen die meisten in keinem Zusammenhang mit dem Zeitungsver-' trieb standen.

Für mich war es das reinste Karussell. Offiziell reiste ich im Auftrag der »Acci6n« und der Liste 15. ]orge erwartete einen Bericht über die Jorgisten, Micale wollte über Jorge und die Jorgisten informiert sein, und die CIA forderte Angaben über Micale und Jorge und die Jorgisten. Ein wenig kompliziert waren jene Runden schon, doch mitunter auch zum Schmun­zeln.

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Im Apri11965 führte mich eine Reise durch das Cerro Largo nach Melo.· Ich hatte die Stadt bereits des örtereflc pr~vat besucht, seitdem ich im September des Vorjahres mit' MlCale und Odllakoff dort gewesen war und sie mich bei ihrem Schwiegervater »Nano« Perez eingeführt hatten. Mit ihm und seiner Familie verstand ich mich gut. Ich hatte auch einen weiteren Schwiegersohn »Na~os«, OberstleutnantWaitet »Chulo« Franceses, kennengelernt. Er war Kommandeur clesin Melo stationierten 8. Kavallerieregiments und Sohn desGe~ nerals Antonio Franceses (später Verteidigungs minister unter Gestido und Pacheco Areco und starker Mann dieser Regie .. ' rungen, wobei er jedoch die verfassungsmäßige wahrte). . . ~un überbrachte ich dem FünfzehnerabgeordnetenHectot »Piola« Silveira Diaz ein Schreiben Jorges. Ich blieb etwa einen .' Monat in Melo, und bezeichnend für die vielfältigen Be­kan~tschaften und Beziehungen, die ich damals pflegte, war, daß lCh entweder im Hause» N anos«, des Caudillos der »weißen« Herreristen, übernachtete oder im Gästezimmerder Fraktion »Piolas«, der hiesigen Schlüsselfigur des »roten« Batllismus ..

Doch .dann, bei einem mehrtägigen Aufenthalt in Artiga~, stellte slch zweifelsfrei heraus, daß die Konfrontation der Gruppierungen in der bis dahin ehernen Colorado-Liste IS' nahte. Unversehens geriet ieh in ein Gefecht zwischen den Vasconcellisten um Otto Fernandez u~d den Jorgisten um Atilio Ferrandiz.

Die Lage verschärfte sich noch dadurch, daß Jorge seinerzeit - und wohl auch später - nicht alle Anhänger des Präfekten und künftigen Senators Ferrandiz auf seiner Seite hatte. Ich sollte mit ihm zusammenarbeiten, aber nicht ohne Vorbclu~lte und mich im übrigen auf Asdnibal Martinez -Besitzetvoh Radio Frontera und Korrespondent der »Acci6n«...,.. stützen. '.' .. Hierbei artete eine Beratung, in der Zeitungsprobleme orter:. wurden, in einen Tumult wechselseitiger politischer Anwurfe und Beschuldigungen wegen des Abdrucks vbnBei" trägen einer jeden Gruppierung aus. Zu meinem größten Leid.;. wesen wurde ich Mittelpunkt und Schiedsrichter der Diskus­sion. Jorges Briefe waren diesmal zu unverblümt gewe~en.

Nach Montevideo zurückgekehrt, erwartete mich »Thomafi{< Nr.2 mit besorgter Miene. Der Zusammenstoß Jorge"",V~ls-.

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concellos war unabwendbar. Flores Mora und Segovia hatten schon P~rtei ergriffen, bald würden es weitere Colorados der Liste 15 tun. Und ich konnte mich nicht heraushalten. Ich war dank Etchevarrens Vermittlung zur Zeitung gekommen, und der hielt damals zu Vasconcellos.

Auf der anderen Seite zwang mich meine direkte Unter., stellung unter Jorge zur Entscheidung. Der Vorfall in ~rtigas bestätigte es. Ich war tatsächlich etwas gewo~?en, was die CIA um jeden Preis verhindern wollte. Ich würde ~rger b~ko:nme~, mein Aktionsbereich würde eingeengt, meme Nutzhchkelt gemindert werden. Ich wäre nicht mehr der leidenschaftslose, etwas ungläubige, für alle Meinungen empfängliche Beobach­ter. Folglich mußte ich die »Acci6n« verlassen, jedoch in e~ner Form, die mein Verhältnis zu BatUe und zu Etchevarren mcht

,zerstörte. Und überdies so überzeugend, daß der ebenfalls besorgte Micale keinen Verdacht schöpfte.

Einstieg ins Labyrinth und das Gespann der CIA

Die Gelegenheit, aus der »Acci6n« auszuscheiden, bot sich einige Monate später. »Chiche« Odllakoff hat~e sich entschl?s­sen, einen Steinbruch zu überne;;hmen, den sem Vater betneb und wegen fehlenden Erweiterungskapitals schließen mußte ..

Dieser Steinbruch lag an der Fernverkehrsstraße 101, die vom Flugplatz Carrasco nach Pando führt. Mit der ~ir ~och zustehenden Weihnachtsgratifikation, dem Gehalt fur emen Monat Urlaub und einer kleinen Beihilfe der »Company« stieg ich in das Unternehmen ein. » Thomas« hatte das Vorhaben ge­billigt; es wurde Zeit, daß ich die Fassade eines geachteten Geschäftsmannes erwarb. Er wußte nicht, auf welch schwan­kenden Boden ich mich begab, aber nur so konnten meine Pläne

aufgehen.' . ' . . Mich an dem Unternehmen zu beteihgen war w1rklich eme

Gefälligkeit Odllakoffs, denn mein Beitrag zum Kapital war fast gleich N uU. Ich wollte es kompensieren, indem ich »Chiche« bei der kaufmännischen Leitung unterstützte. Die Hälfte der

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Firma gehörte Micale; er hatte die Kredite beschafft; erlaubten, den Maschinenparkzu überholen und die Pf'()du,kti:OIT in Gang zu setzen. Ich verm utete, es würde Folgen haben, daß er sich den Löwenanteil zugeschanzt hatte, doch -zwischen meinen Teilhabern kam es gar nicht erst zum Streit: Binnen kurzem waren wir bankrott. Es ließ sich nicht vermeiden. Da wir mangels Liquidität gegen bar verkaufen mußten, nutzten die Zwischenhändler und großen Baufirmen unsere Lage aus und drückten die Preise an die Selbstkostengrenze. »Chiche« und ich zogen in den Steinbruch um, aber alle Anstrengungen' waren umsonst.

Odllakoff kehrte auf seinen Posten bei der Polizeidirektion in Melo zurück. Micale hatten Ereignisse, die ich in einem anderen Kapital schildere, inzwischen gezwungen, das Mini.;' sterium unter der Formel »Unbefristet beurlaubt« zu verlassen, was ihm allerdings gestattete, nach einem Jahr die Penskllliee; rung zu beantragen.

Ich blieb im Steinbruch, angeblich, um die restlichen Ge­schäfte abzuwickeln und mir das Nötigste zu verdienen, in Wahrheit suchte ich jedoch eine Entscheidung zu beschleuni­gen, die mich in meinen Plänen voranbringen sollte. .

Ich hatte nicht in das CIA-Netz eindringen, ja nicht einmal meine Kontaktleute identifizieren können. Sie benutzten mich, ohne daß wir sie neutralisieren konnten. Gewiß, ich iiber­mittelte, was mir geeignet schien, und hatte mich mit der Lage· in Uruguay sowie der politischen Bühne verti'aut gemacht. Aber nicht deshalb hielt ich mich hier auf. .

Es war eine harte Zeit. Schließlich verwandte sich Micale Hk mich bei Saenz, mit dem er trotz seiner Entthronung weiterhin befreundet war, und ich erhielt einige Übersetzungs aufträge von der AID-Mission.

»Thomas« war einverstanden. Der Bankrott des Steinbruchs beendete meinen Aufstieg zur sozialen Mitte, zu dem die CIA mich aus.ersehen hatte.

Statt dessen stieg ich ein ins Labyrinth. Das war schon etwas.

Durch die AID vermochte ich die nordamerikanische Infiltra~ tion besser unter die Lupe zu nehmen. Das fiel mir insofern nicht schwer, als ich mich unbefangen in Kreisen der uru-

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guayischen Regierung, Politik und Wirtschaft bewegen konnte oder vielmehr hinter den Kulissen dieser Kreise, wo man weder durch Schminke noch durch gleißendes Rampenlicht getäuscht wird.

Meine Beziehungen erstreckten sich auf Anhänger beider traditionellen Parteien. Ich wußte, wie Jorge Batlle und seine Gruppierung vorgingen und welcher Mechanismus die Putsch­versuche antrieb. Ich kannte Präsidialratsmitglieder, Minister, Senatoren, Präfekten, Polizeikommandanten. An den geselli­gen Runden des Innenministeriums war ich gleichfalls beteiligt. Mir wurden intime Angaben zum Privatleben von Haupt­akteuren der nationalen Szene enthüllt. Manche Dinge schienen unverständlich oder unlogisch, aber ich behielt sie im Gedächt­nis. Sie würden sich noch an der richtigen Ste1le einfügen, und dann bekam ich ein Bild, wie es genauer kaum sein konnte.

In diesem Sinne halfen mir die verschiedenen Funktionen, die ich bei den Nordamerikanern ausübte, sehr viel weiter. Die Sachbereiche ihres Geheimdienstapparats sind exakt vonein­ander abgegrenzt. Da ich je~och mehrere Ressorts »belegte«, gewann ich mit der Zeit einen gründlichen Überblick über das Zusammenspiel aller Yankee-Aktivitäten in Uruguay, über ihre Methoden des Eindringens und die Manier, nach der sie be­wußte oder unfreiwillige Helfer ausnutzen. Auch die früheren Erfahrungen mit der CIA in Kuba und in den Vereinigten Staaten kamen mir dabei zustatten.

Später werde ich mich im einzelnen mit der Unterwanderung der Polizeikräfte befassen.

Im Milieu jener Personen, die ich bis dahin in Uruguay kennengelernt hatte, operierte die CIA auf eine andere Weise. Hier legte sie Wert auf Analysen und Einschätzungen. Als ich nach zwei Jahren Verschlußsachen übersetzte, bestand ein gut Teil des zu bearbeitenden Materials aus· solchen Berichten über Zeitungsunternehmen, Gewerkschaftsorganisationen, die Studentenbewegung, die Kirche, Parteien und dergleichen mehr. Ein weiterer beträchtlicher Teil enthielt Psychoanalysen von Politikern und ihren Familienangehörigen. Alle Einschät­zungen hatten unverkennbar Uruguayer oder Leute, die seit langem im Lande lebten, verfaßt. Ein paar Episoden per­sönlicher Art oder aus erster Hand mögen den Arbeitsstil veranschaulichen.

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1964, kurz vor den Präsidentenwahlen in den USA; die »Accion« mit dem Gedanken, mich in die Vereinigte1'l Staaten zu schicken, damit ich die Methoden der PO!ltlSClle1Ji.·

Propaganda und den Einsatz der Massenmedien bei einem Wahlfeldzug studierte. ..

Wir hatten nicht viel Zeit und machten uns Sorgen wegen des Papierkriegs um das Visum. Darauf rief Jorge den nord­amerikanischen Botschafter über dessen Direktapparat an, und im Konsulat, das auf dem Gebiet der Visaerteilung normaler­weise weitgehende Entscheidungsfreiheit und Autonomie ge:­nießt, stand unserem Auftrag nichts mehr im Wege. Die Reise unterrlahm ich schließlich aus anderen Gründen nicht, aber jene Direktverbindung verriet eine außergewöhnliche Vertraulich­keit.

Seinerzeit f~nd in meinem Appartement in Pocitos - eigentlich war es die Wohnung Micale-Odllakoff-Hevia - eine kurze Besprechung statt. Teilnehmer waren wir dreiund ein Vertreter der Firma Dupetit, zugleich Generalbevollmächtigter der Banco Transatlantico de Uruguay (BTU). Er unterbreitete ein interessantes Angebot. Der Steinbruchbetrieb, den wir, wieich schon erzählte, anzukurbeln beabsichtigten, sollte Eigentum einer Aktiengesellschaft - gebildet von uns dreien - werden, für die die BTU mit 50000 Dollar bürgen wollte.

Bei Micales Unterwäsche, dem Mate und der Thermosflasche »Chiches« und meiner Zahnbürste als stille Reserve eine groß­zügige Offerte, denn der Steinbruch war keine 5 000 wert. So erhielten wir nur 20000, machten bald darauf Pleite, und die Geschichte sollte über die Bücher geregelt werden.

Odllakoff zögerte. Der Steinbruch war noch auf den Namen seines Vaters eingetragen. Er fürchtete einen Skandal, der womöglich den alten Herrn ins Gerede brachte, und hatte die vernünftige Idee, die Manipulation zurückzuweisen. Deshalb blieben wir davon verschont, als Ableger der BTU bei ihrem halbwegs betrügerischen Konkurs zu gelten.

Die Episode verdiente kaum erwähnt zu werden, wennmich Saenz nicht hinterher damit aufgezogen und gesagt hätte, ich sei doch nur um Haaresbreite nicht mit hineingerasselt. Wie hatte er das herausgefunden? Ich habe die Gewißheit, daß meine Partner »Chiche« und Micale daran unbeteiligt waren. .

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Während des Konkursverfahrens gegen die BTU bat mich Micale, mit der Frau eines Beschuldigten - er hieß Canessa Pando und saß in Untersuchungshaft - zu sprechen. Er mied die Pandos, weil die Affäre in die Öffentlichkeit gedrungen und noch brandheiß war.

Ich redete mit der Frau. Sie verlangte indes ein Gespräch mit Micale oder Jorge BatIle. Beide hatten sich jedoch bislang verleugnen 'lassen. So gab sie schließlich mir gegenüber an, sie besitze vertrauliche Informationen, die ihrem Mann helfen könnten. Die versteckte Drohung in ihrem Ton war nicht zu überhören.

Ich besprach die Sache mit,dem Buchhalter Etchevarren, und der riet mir, mich in nichts einzumischen. Zu viele Leute beider Parteien stünden auf den geheimen Listen der Bank. Obwohl der Skandal teilweise Blanco-Politiker bis hin zum Direktor der Bank der Republik, Mario Fullgraff, belastete, wurde ich aus der Sache nicht schlau.

Ich unternahm natürlich nichts mehr in dem Fall, aber zwei Jahre später bewies mir Saenz, daß er ihn in allen Einzelheiten kannte, einschließlich meines Besuchs bei Frau Pando.

Als Glizman Acosta y Lara zum Arbeitsminister ernannt wurde, unterlief den Nordamerikanern eine Panne: Sie ver­wechselten ihn mit einem Verwandten, der ins revolutionäre Kuba gereist war. Aber es gab noch einen dritten Familien­angehörigen - einen Vetter des Ministers - des gleichen Na­mens. Dieser Vetter hatte zusammen mit einem Gutsbesitzer - er hieß Damboriarena - ein Junggesellenappartement über dem Restaurant »EI Malec6n« bezogen. Weil Damboriarena danach nicht bereit war, die Intimfreundin gleich der Wohnung zu teilen, trug er mit seinem nunmehrigen Kontrahenten einen flotten Boxkampf aus.

Auch diesen Zwischenfall hatten die Yankees registriert, und sie kamen darauf zurück, als Guzman Minister wurde.

Die Verwechs·lung der drei Verwandten löste ein kleines Chaos aus. Doch sobald die Geschichte aufgeklärt war, konnte der neue Minister seine Zeitung, die das Büro des Attaches für Arbeitsfragen der USA-Botschaft finanzierte, ohne Schwierig­keiten herausgeben. Außerdem wurde vielleicht ein wirrer Y ankee-Bürokrat noch nach Vietnam versetzt.

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Einzeln genommen schienen diese Beispiele im Zusammenhang mit vielen anderen ergaben sie Bild von der Lage. Die Nordamerikaner hatten sich einen Mechanismus geschaffen, der es ihnen erlaubte, direkt in die inneren Angelegenheiten Uruguays einzugreifen. Sie kon­trollierten alle Geheimdienste des Landes und weite Bereiche der Polizei. Ihr Informationsnetz erfaßte sowohl uruguayis(:he Staatsgeheimnisse 'wie auch die Seitensprünge eines Ministers, eines Amtsdirektors oder der Gattin eines Abgeordneten. informationsüberprüfung und Überwachung der eigenen Quellen hatten sie zugleich ein Kontroll- und Gegenkontrolls)T"" stern auJgebaut. Es glich einem im Kreise trabenden Gespann.: Das jeweils hinten laufende Pferd beaufsichtigte das vordere, während über ihnen die CIA und die Politische Abteilung der' Botschaft die Peitsche schwangen.

Ich möchte mich nicht zum Richter übet jene Uruguayer' aufwerfen, die das Entstehen und Fortbestehen dieses Yankee,;. Dominiums zu verantworten haben. Dennoch genügt die Korruptheit eines Systems schlechthin wohl nicht, um alle Fälle zu erklären. Meiner Ansicht nach sind die Gründe tiefer zu suchen und wurzeln, auf einen Nenner gebracht, in Geisteshaltung: Man billigte ausdrücklich odet 'resigniert den Anspruch der Vereinigten Staaten, in ganz Amerika das ent;" scheidende Wort zu sprechen.

Solcherart Kollaborateure könnte man in drei Gruppen ein., teilen. Die einen wollen die Yankees als Rückendeckung [ur persönliche Zwecke ausnutzen und glauben, ungeschorenda.:. vonzukommen, bleiben aber in deren Netz verstrickt. Andere meinen, sich angesichts der gemeinsamen)}kommunistIschen Gefahr« entscheiden zu müssen, und sind zu jeder Art Zu sam:" menarbeit bereit, obwohl sie die »Johnnk!s« verachten.Zl.Jt dritten Kategorie gehören Leute vom Schlage des Herrn Ab­geordneten Milton Fontaina und seines Bruders Raul,die das Sendernetz Radio Carve und Television SAETA (Kanal1Q) sowie zahllose andere Unternehmen kontrollieren. Diese Slib~ jekte haben sich nicht den Yankees ausgeliefert; sie sindeinfa.ch Yankees geworden, so eng ist ihre Bindung an die USA-Bot.: schaft.

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Das Spinnennetz

An dieser Stelle empfiehlt es sich, ein wenig zu verweilen und dem Leser kurzgefaßt· die Struktur der nordamerikanischen Botschaft und der ihr beigeordneten Einrichtungen zu be­schreiben. Ihren Sitz hatte die diplomatische Vertretung während der von mir geschilderten Zeit im Edificio Banco de Seguros in der A venida Agraciada. Missionschef war 1966 Botschafter Henry Hoyt, sein Vertreter der 1. Sekretär John L. Topping.

Zu den wichtigsten Abteilungen der Botschaft gehören die Politische, die Wirtschaftspolitische und die Administrative Abteilung, jede geleitet von einem Diplomaten im Range eines Sekretärs.

Mit der Politischen Abteilung werden wir uns gesondert befassen.

Die Wirtschaftspolitische Abteilung war für sämtliche Fragen zuständig, die die ökonomische Politik Uruguays be­trafen; die Administrative Abteilung für alle botschafts inter­nen technisch-organisatorischen Funktionen und Dienstlei­stungen, wobei ihr später noch die Verwaltungsorgane weiterer Dienststellen wie der AID und des USIS29 angegliedert wur­den.

Dann gab es die Büros der Spezialattaches: das des Presse-, des Kultur-, des Landwirtschaftsattaches, des Attaches für Arbeitsfragen, des Militär-, des Luftwaffen- und des Kriegs­marineattaches. Sie waren dem Botschafter direkt unterstellt. Außerdem existierten vier ständige Missionen: eine Militär-, eine Luftwaffen-, eine Kriegsmarine- und eine Wirtschafts­rnission.

Der Unterschied zwischen dem Personal eines Attachebüros und den Angehörigen einer Mission besteht darin, daß die einen ihren genau definierten diplomatischen Rang haben, während die anderen, die gleichfalls die Privilegien und Immunität von Diplomaten genießen, als Berater gelten: als Berater der In­stitution des Empfangsstaates, bei der sie akkreditiert sind.

Natürlich handelt es sich um einen spitzfindigen, mehr

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formalen als realen Unterschied, der mit Rücksicht auf emp':' findliehe Leute gemacht wird. Ihm liegt die Theorie der Nord­amerikaner zugrunde, daß es nicht das gleiche sei, ob in einer Kaserne der uruguayischen Armee ein Gehilfe des Militäratta­ches der Vereinigten Staaten Befehle erteilt oder - wie es in der Praxis geschieht - ein Mitglied der Militärrnission. Denn ein Offizier der Mission ist kein Diplomat, sondern eben Berater. »Praktisch ein uruguayischer Militär«, wie die Yankees frech behaupten.

Ähnlich verhielt es sich mit der formell von der USA-Bot­schaft unabhängigen Kulturallianz Uruguay - Vereinigte Staaten und ihrer Artigas-Washington-Bibliothek. 0 bwohl die Allianz als uruguayische Vereinigung und juristische Person eingetragen war, beaufsichtigte sie der Kulturattache - neben den Agenten, die die CIA ohnehin in sie eingeschleust hatte.

Die Wirtschafts mission war die hiesige Vertretung der AID, der bereits mehrfach erwähnten Agency for International Development. Sie hatte ihre Büros im Zwischengeschoß und im ersten Stock des Gebäudes an der Paysandu und Rio Negro. Geleitet wurde sie damals von Frank Steward, einem Politiker aus dem Bundesstaat New Mexico, den Präsident Lyndon B. Johnson für die Unterstützung im Wahlkampf mit diesem Posten belohnt hatte. Sie gliederte sich in die Abteilung Volks­bildung, Landwirtschaft, Finanzen, Programmarbeit und Öffentliche Sicherheit. Es sei daran et1nnert, daß die AID in Weiterführung des unter der Trumanregierung ausgearbeiteten »Point Fout« - des sogenannten Auslandshilfeprogramms der USA -entstand, um die Infiltration anderer Länder wirksamer betreiben zu können.

Die Abteilung Öffentliche Sicherheit war der jüngste AID­»Geschäftsbereich«. Washington hatte lange Zeit hindurch versucht, bei den Polizeikräften lateinamerikanischer, afrika­nischer und asiatischer Staaten Sonderrnissionen unterzubrin­gen, aber die Beweggründe dafür waren zu durchsichtig ge­wesen. Die Einrichtung der Militärrnissionen hatte schon genug Beschwerden und Proteste ausgelöst.

Von der Schaffung jener Abteilung innerhalb der AID-Fi­lialen versprach sich Washington, daß die Unterwanderung der Polizei des Gastlandes zumindest anfänglich unbemerkt blieb. Ein zusätzlicher Vorteil war, daß AID-Abkommen gewöhnlich

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global - also ohne Aufschlüsselung der technischen Hilfe -ratifiziert werden. Das war auch beim Abkommen mit Uruguay der Fall. Vorübergehend arbeitete die AID in Montevideo nur mit vier Fachabteilungen. Im geeigneten Augenblick kam dann die Abteilung Öffentliche Sicherheit hinzu.

Die neue Abteilung gab des öfteren Anlaß zu internen Reibereien, da die Mehrzahl der AID-Spezialisten dem Uni­versitätsmilieu entstammte. Vor ihnen wurde die Allgegen­wärtigkeit der Geheimdienste sorgfältig verborgen. Einige der Leute waren zwar direkte CIA-Agenten, aber die anderen betrachteten sich als Techniker üder Fachleute, auch wenn sie sich darüber im klaren waren, daß die vün ihnen zusammen­getragenen Angaben letztlich in die Archive der »Company« üder des Natiünalen Sicherheitsrates der Vereinigten Staaten wanderten.

Demgegenüber wurde das Persünal der Öffentlichen Sicher:" heit hauptsächlich vüm Federal Bureau üf Investigation - dem Bundeskriminalamt - sowie verschiedenen lükalen und bundes­staatlichen Polizeibehörden gestellt. Die in dieser Abteilung Beschäftigten waren Pülizisten; das künnten und wüllten sie auch nicht verhehlen. Und die »zivilen« AID-Beamten sahen auf sie herab, wübei sich ein übriges Mal das Feigenblattschema wiederhülte.

Danilü Micale und der Innenminister verlüren 1965 ihren Kampf mit dem Polizeipräsidium vün Müntevideü. Die Nord­amerikaner waren dem Präsidium mehr gewogen und setzten sich dürt fest. Sie hatten ihre Gründe für diese Wahl. Das hauptstädtische Präsidium war ein latentes Verschwörungs­zentrum, und da präsent, künnten sie die Ereignisse aus der Nähe verfolgen und ihren Interessen anpassen .. Außerdem wechselten der Minister und Beamte in Vertrauensstellungen des Innenministeriums entsprechend dem Auf und Ab der Politik. (Micale mit seinen acht Jahren als Generaldirektor bildete eine Ausnahme.) Wenngleich das auch mit den Militärs passierte, die zu Polizeiehefs und -kümmandanten ernannt wurden, so, blieben düch die Amtsdirektüren und Dezernats­leiter auf ihren Posten und übten die unmittelbare Befehls~ gewalt aus.

Ferner mußten der Minister und seine nächsten Mitarbeiter

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als Politiker die öffentliche Meinung ins Kalkül :41CHCIJf.,'

Pülizeipersünal aber hielt nicht viel vün der Meinung und ebensüwenig vün den Pülitikern und ihren teien.

Diese Geringschätzung kam den Nürdamerikanern gelegen. Sie strebten danach, in den Pülizeikräften einen Korps­geist zu entwickeln; einen - wie wühl nicht betont zu werden braucht - außerparteilichen und von ihnen leicht manipulier-baren Korpsgeist. .

So" wie der Pülizeibeamte die öffentliche Meinung miß­achtete, so fühlte er sich seinerseits mißachtet und war tn-­folgedessen für Interesse bekundende Schmeicheleien um so, empfänglicher. .

Die Abteilung Öffentliche Sicherheit - vün uns allen die Missiün genannt - hatte zwei Büros: ein nüminelles bei den anderen Abteilungen im AID-Gebäude und ihr eigentlichesith Pülizeipräsidium Montevideo. Es lag im ersten Stock zwischen dem Zimmer des Diensthabenden vom Wachkümmandü und den Räumen des Kriminalamtsdirektürs, genau gegenüber dem Kürridür, der zum Bürotrakt des Pülizeipräsidenten, seiMs Stellvertreters und des Chefs des Hauptstab~s führte. Außer~ dem verfügte sie über einen grüßen Lagerraum im Keller des Präsidiums, zu dem wir mit dem persünengebundenen Lift des Pülizeipräsidenten gelangten.

An der Spitze der Abteilung stand Adolph B. Saenz, den an läßlich des Aufenthalts von Katz und RedHn schon· er­wähnte. Er war bei den marines gewesen und danach in seinem Heimatstaat New Mexico in den Polizeidienst getreten. Später· gelang es ihm, nach Lüs Angeles/Kalifornien versetzt zU

werden. Dort übernahm ihn das Bundeskriminalamt. Als die AID-Vertretungen um die Abteilung Öffentliche Sicherheit erweitert wurden, gehörte er zu den hierfür bereitgestellten FBI-Beamten.

Saenz war überempfindlich und mißtraUisch, beruflich privat. Er war der klassische Bürükrat, der, um den bemüht und bestrebt, seine Position zu halten, in J",",""Je1<U."1

einen möglichen Widersacher sah. Der Umstand, daß er verheiratet und seiner Frau hörig

hinderte ihn keineswegs an ständigen Seitensprüngen. :'üJtan:~e:: sich diese auf die ledigen Bürodamen der Botschaft

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AID beschränkten, wurden sie von seinen Vorgesetzten mehr oder weniger toleriert.

Dann kam der Zeitpunkt, da es ihn »abwärts« zog und er, begleitet von Unterkommissar Juan Carlos Bonaudi, Bordellen und Spelunken seinen Besuch abstattete. Der Unterkommissar tat sich seinerzeit bei der Mission als Verbindungsbeamter hervor; später wurde er zum stellvertretenden Chef der Prä­sidentenleibwache befördert.

Saenz gab sich sehr gewissenhaft und verlangte von seiner Sekretärin, daß sie jeden Morgen auf dem Chefsessel Platz nahm, damit sie den Raum von derselben Stelle aus betrachtete, von der er es tun würde. Es komme ihm sehr auf den äußeren Eindruck an, erklärte er. Dann mußte sie die Schreibtisch­schübe überprüfen und nachsehen, ob dort alles seine Ordnung hatte:

Eines schönen Tages entdeckte der Sohn des Obersten Acuna, was hinter Saenz' Anweisungen steckte: Er hatte Angst vor einem Attentat; irgendein in die uruguayische Polizei in­filtriertes Element - er verdächtigte mehrere Leute - könnte ihm eine Sprengladung am Sessel oder Schreibtisch angebracht haben. Also sorgte er dafür, daß sie vor seiner Ankunft hoch­ging.

CesarP. Bemal, Texaner, war Berater für Ausbildung und daneben - die AID hatte die Planstelle nicht besetzt - auch für das Fernmeldewesen.

Bemal führte sich zusammen mit seinem Chef als »sym­pathischer Typ« der Mission ein. Doch während Saenz sich seine Rolle durch Plumpheiten und Komplexe gründlich verdarb, hielt Cesar sie bis zum Schluß durch.

Er paßte sich schnell an das Leben in Uruguay an, stellte freundschaftliche Beziehungen zu Beamten des Präsidiums her und war emsig bei Familienbesuchen, spielte Basketball in einem durchaus nicht exklusiven Klub seiner Wohngegend, wurde Fan von Peiiarol, einer Profi-Fußballmannschaft, und imitierte sogar die hiesigen Spracheigentümlichkeiten.

Sein einziger Fehler war, daß ihm der Beraterposten ge­legentlich zu Kopf stieg. Immerhin war er nur Funk­streifensergeant in San Antonio/Texas gewesen, ehe er nach einer Kurzausbildung beim FBI den Sprung zur AID machte.

Als er sich unvermittelt von hochrangigen Militärs und

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Polizeibeamten, ja gar dem Innenministerpersönlich, rreUFliGF, lieh aufgenommen und beachtet sah, genoß er mit Behagen seine neue Tätigkeit; lediglich am Monatsende fluchte er, wenn er seinen Bericht abfassen und darin sämtliche außerdienst':' lichen Aktivitäten sowie den Inhalt der Privatgespräche mit seinen uruguayischen Freunden und Bekannten angeben mußte. .

Bei solch einem Anfall von Selbstzufriedenheit stieß er Oberst Ramiro Chavez, Architekt und derzeit stellvertretender Polizeipräsident, zusammen. Das war allerdings nicht normal bei Cesar, denn er glaubte wirklich, daß er Uruguay einen' hervorragenden Dienst erwies, und ihn verdroß die - wie er es hitzig eifernd nannte - )}Undankbarkeit von ein paar Radika~ len, Böswilligen oder Machtversessenen«.

Das Gegenstück jener beiden AID-Akteure war William A. Cantrell. Er traf im zweiten Halbjahr 1966, als Kri­minalistikberater der AID getarnt, in Uruguay ein. Er sollte einen modernen uruguayischen Geheimdienstapparat aufbauen und gewährleisten, daß dieser unter nordamerikanischer Kontrolle stand. Es gelang ihm, seinen Auftrag zu erfüllen; als er nach vier Jahren das Land verließ, stieg er in. eine wichtige Dienststellung auf. .

Bill Cantrell führte ein ruhiges, geordnetes Leben. Nichts ging ihm über eine gemütliche Plauderei daheim bei Frau und Kindern. Er hatte stets seine Tabakspfeife zur Hand und las auch gern gute Bücher. .

Er war ein lobenswerter Familienvater. Einmal, auf der Avenida des 18. Juli, überraschte ich ihn dabei, daß er ver~ stohlen zu einem hübschen Mädchen, dem wir begegneten; hinblickte.

)}Normalerweise sehe ich so etwas gar nicht«, entschuldigte er sich gleichsam bei mir. )}Mir geht es da wie dem Hund, det bellend einem Auto nachjagt und, hat er es eingeholt, nicht weiß, was er machen soll.«

Ein Regenguß prasselte nieder, und noch lachend flüchteten. wir in eine bescheidene alte Kaffeestube. Der Kelln.er brachte uns die beiden bestellten Espressos, und nun warteten wir,daß:~ der Regen aufhörte, damit wir in die Abteilung Sicherheit oder vielmehr in die Mission zurückkehren konn­ten.

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Was würden die Stammgäste des Lokals wohl sagen, wenn sie erführen, daß sich der respektable Herr, der neben mir saß, in der BRD und in Liberia als Militär ausgezeichnet, danach beim Secret Service30 in Washington gedient und während jener Zeit zum Begleitschutz der USA-Präsidenten Eisenhower und Kennedy gehört hatte? Sie würden es vermutlich nicht glau­ben.

Und das nicht nur wegen seines Äußeren. Denn so effektiv und besonnen, wie er arbeitete, hätte seine Beratertätigkeit bei der uruguayischen Polizei durchaus zu positiven Ergebnissen führen können. Aber er hatte eben ein anderes, weniger sicht­bares Betätigungsfeld im Rahmen der Politischen Abteilung der Botschaft. Diese Abteilung wurde 1966 vom 2. Sekretär Nicholas V. McClausland geleitet.

Ihre Hauptarbeitsgebiete waren: die operative Arbeit unter Juan Noriega, die Polizeikräfte unter William A. Cantrell und das Instituto Uruguayo de Estudios Sindicales (Uruguayisches Institut für gewerkschaftliche Weiterbildung), theoretisch dem Attache für Arbeitsfragen unterstellt, de facto jedoch von einem CIA-Beamten geleitet.

Zum damaligen Zeitpunkt räumte die CIA in Uruguay den Polizeikräften den absoluten Vorrang ein und befaßte sich nur indirekt mit der Armee. Der Grund: Die Polizei war zahlen­mäßig stärker, als alle drei Teilstreitkräfte zusammengenom­men.

Außerhalb des offiziellen Dienstweges hatte die Politische Abteilung direkten Kontakt zum Regionalbüro des CIA­Hauptquartiers für den sogenannten Süd kegel ; die Verbindung hielt William Horton. Cantrells eigentliche Arbeit in der Po­litischen Abteilung bestand darin, CIA-gelenkte Spionage- und Diversionsaufgaben zu lösen. Nicht einmal die uruguayischen Polizeibeamten, die über die ausgiebigen Sicherheits- und Vorsichtsmaßregeln ihres erprobten Beraters redeten und tu­schelten, vermuteten dergleichen.

Mitunter löste Cantrells Verhalten auch komische Zwischen­fälle aus. So wunderte sich beispielsweise das uruguayische AID-Personal, warum er manchmal plötzlich zu uns ins Vor­zimmer kam, mir geheimnisvoll etwas ins Ohr raunte und eiligst den Raum verließ.

Der Trick endete an dem Tag und bildete fortan eine Ziel-

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scheibe von Spott und Gelächter, als ein jjuro~tn.2estJ beiläufig hörte, wie Cantrell mir zuflüsterte: John<, also: »Ich muß mal verschwinden.«

Soweit Bill Cantrells bekannteste Wesenszüge, sein öffent., liches Ego. Der wirkliche Cantrell war nicht so simpel. Unsere Beziehungen wurden erst nach und nach vertraulicher, und wir führten ernste, grundlegende Dialoge.

Anfangs beschränkten sie sich auf Ereignisse meines Lebens",: die ihn interessierten. Dann richtete er sein Augenmerk auf Micale und andere Politiker der Blanco-Partei, um meine. Verbindung zu ihnen genau zu erforschen.

Bald genügten ihm die Gesprächsnotizen, die er sich hin und. wieder machte, nicht mehr, und er bat mich, ausführliche' Berichte über die erörterten Themen abzufassen.

So ging es weiter, bis schließlich die ersten psychologischen Tests und Intelligenzüberprüfungen stattfanden. Während der. ganzen Prozedur dachte ich stets an den Ratschlag eines'" Freundes: » V ersuche ja nicht, den Schlauen zu spielen und etwa einen Intelligenzkoeffizienten, der niedriger als der tatsächliche ist, vorzutäuschen.«

Solch einen Luxus durfte ich mir nichtleisten. Obwohllängst erahnt, wurde ich mir dessen voll bewußt, als ich bei der USA-Botschaft zu arbeiten begann.

Ihre Politische Abteilung zu betreten, wo sich die CIA~' Station befindet, war niemals leicht. Ich konnte die verschlos­sene Tür dreimal durchschreiten, jedesmal von einem sehr aufmerksamen, mit einem Karabiner bewaffneten Marinein­fanteristen begleitet und nachdem mir die Fingerabdrücke abgenommen worden waren.

Neben Cantrell möchte ich aus dieser Abteilung noch Juan Noriega etwas näher vorstellen. Als Sohn eines in· den Ver,; einigten Staaten naturalisierten Spanier~ unterhielt er enge Beziehungen zur spanischen Kolonie von Montevideo.

Er gehörte nicht der Mission an, sondern war - ich sagte es schon - der verantwortliche Mann für die operative Arbeit der Politischen Abteilung. Er suchte regelmäßig das Polizeiprä­sidium auf und ließ sich sogar im fünften Stock, wo die Prä.., sidiumsleitung mehrere Schlafräume hatte, ein Büro einrichten. In seinen Methoden glich er Cantre11

1 nur daß er weniger ge.,

wissenhaft zu handeln pflegte.

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Durch den ständigen Umgang mit diesen und anderen Beratern gewann ich ein Verhältnis zu ihnen, das über rein arbeits mäßige Beziehungen hinausging. Ich lernte sie und ihre FamUienc

angehörigen gründlich kennen und ihre Denk:- und Handlungs­weisen verstehen.

Als Saenz 1967 mit vier Monaten aufgespartem Urlaub in die Vereinigten Staaten reiste, bat er mich, in seine hiesige Woh­nung umzuziehen, damit sie nicht von Dieben und »Terroristen« heimgesucht werde. Das Polizeipräsidium Montevideo stellte ihm zwar einen Wachposten, aber der war für ihn nicht aus­reichend genug; überdies bezweifelte er dessen Ergebenheit.

Somit ließ ich mich wie ein gutsituierter Herr in Saenz' Residenz in der Copacabana in Carrasco nieder. Es war recht bequem, in seinem Dienstwagen, den der ihm als Chauffeur zugeteilte Sergeant steuerte, zur Arbeit und zurück gefahren zu werden.

Im folgenden Jahr richtete Cantrell die gleiche Bitte an mich. Er wohnte damals in der Garcia-Cortinas-Straße, einen halben Häuserblock von dem Gefängnis entfernt, aus dem etwas später zahlreiche Tupamaros31 ausbrachen.

Auch in seiner Wohnung konnte man sich sehr wohl fühlen.

Ein neues Panorama

Die uruguayischen Präsidentschaftswahlen 1966 gaben Anlaß zu aufschlußreichen Gesprächen. Jeder USA-Berater und -Diplomat hatte seine eigenen Ansichten und urteilte anders. Es war interessant festzustellen, wen sie entsprechend dem Bildungsgrad und a"em Überblick über die politische Szene bevorzugten.

Sie ließen sich im Grunde drei Gruppen zuordnen. In der unteren, in jener mit der geringsten Weitsicht und auch Bil­dung, würden wir Saenz und Bernal vorfinden. Ihnen ging es allein darum, daß nichts geschah, was ihre Arbeit störte. Ein Wechsel könne nur von Übel sein, argumentierten sie. Das hieße nämlich neue persönliche Beziehungen anknüpfen, den neuen Leuten auf den Zahn fühlen, abwarten, wie sie reagierten, ihre

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schwachen Seiten ermitteln. Da Leute wie Saenz und Bemal lediglich ausführten, was ande're beschlossen, und da ihr Ma­schinchen bestens lief, wünschten sie nichts anderes, als daß die Blancos an der Macht blieben - und innerhalb der »Weißen« Heber.

Doch weshalb Heber? Wir sahen bereits, wie eng Danilo Micale mit der Mission

zusammengearbeitet hatte. Dennoch wurde er unbequem. Er hatte wohl seinen Posten zu lange inne, so daß sich bei ihm eine gewisse Großsp'urigkeit entwickelte. Er hielt sich für unersetz­bar und meinte sogar, Gefechte mit Politikern, weit über seiner Ebene, bestehen zu können. Außerdem gestattete er sich, schlecht über manch ehemaligen Innenminister zu reden. Schließlich versagte er selbst Personen, denen er seine Stellung verdankte, den gebührenden Respekt. Das war seine Lage, als wenige Monate vor den Wahlen eine Regierungskriseeintrat.

)}Titito« Heber sagte etwas von sowjetischer Einmischung in die Gewerkschaften. Tejera und Micale erklärten auf Saenz' Betreiben hin, daß sich zwei Gewerkschaftsführer in der UdSSR-Botschaft versteckt hielten. Die Geschichte wuchs sich rasch zum Skandal aus, und natürlich konnte nachgewiesen werden, daß sie erstunken und erlogen war.

Tejera mußte zurücktreten, während sich Micale, ge­schwächt durch das Kräftemessen mit den Putschisten, ge­nötigt sah, Urlaub zu beantragen, der ihm unbefristet und bei Fortzahlung seiner Dienstbezüge genehmigt wurde. Obwohl er nominell Generaldirektor blieb, sollte er die Funktion künftig nicht mehr ausüben. Einstweilen vertrat ihn der Leiter des Bereichs Technische Sektoren, Amtsdirektor Rodrigo Aco­sta.

Heber fiel es leicht, Danilo Micale zu opfern. Dessen Plän­kelei mit Aguerrondo und Kumpanen war )}Titito« als mögli­chem zivilen Chef einer De-facto-Regierung wie auch als Caudillo der Gruppierung, der Danilo angehörte, zunehmend lästig geworden. Außerdem erreichte er ein seit drei Jahren von ihm und allen Herreristen angestrebtes Ziel: den Vertreter der Demokratischen Blanco-Union vom Portefeuille für Inneres zu Vertreiben und dort Storace Arrosa, den eigenen Vertrauens­mann und Aspiranten auf die Vizepräsidentschaft, unter­zubringen.

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Storace löste Tejera ab, und der Mission waren Tür undToJ; . im Innenministerium geöffnet. Von nun an konnten ihre Leute nach Belieben schalten; der Minister verlangte nur hin und wieder die Delegierung eines Freundes oder Sinnesgenossen zu einem Lehrgang nach Washington.

Die Nordamerikaner schätzten Micales Rührigkeit, aber an einem Minister lag ihnen mehr als an einem Generaldirektor. Deshalb waren Saenz und Bernal Anhänger des Status quo. Sie hofften, daß dem einen» Heberjahr«32 weitere folgen würden.

Zu der Zeit operierten Cantrell und Noriega auf einem höheren Niveau. Als CIA-Residenten bauten sie auf ihren Untergrundapparat und hatten keine Vorzugskandidaten. Das heißt, sie wußten, wen sie nicht wollten. Michellini33 beispiels­weise schien ihnen unannehmbar, doch er beunruhigtesienicht, weil sie ihm keine Chancen einräum ten. Auch Vasconcellos lehnten sie ab. Infolge gewisser demagogischer Artikel der )} Acdon« fiel ein Schatten des Mißtrauens sogar auf ]orge. Aber nur vorübergehend.

Die Kandidatur des Generals Gestido betrachteten sie nicht ohne Vorbehalt. Allerdings nicht wegen der Person des Ge­nerals oder seiner Parteigänger von der Colorado- und Batlli­sten-Union sowie vom erzreaktionären Tageblatt )}EI Dia« mit Pacheco Areco34 als Direktor. Nein. Sollte Gestido jedoch gewählt werden, würde seine Regierung auf die Unterstützung durch jene Senatorengruppe, die sich von der Liste 15 getrennt hatte, angewiesen sein. In diesem Falle könnte die Gruppe ~ darunter auch Frau Dr. Roballo - beträchtlichen Einfluß gewinnen. Und Cantrell und Noriega meinten, die Senatorin Roballo habe das Zeug dazu, eine fanatische »Terroristin« zu werden; sie sahen sie schon mit einem Dolch in der einen und einer Bombe in der anderen Hand.

Ebensowenig erfreute sich »Titito«, der alles mögliche ver­sprach, der Gunst der CIA. Er war ihr zu unsicher und nicht seriös genug. Manche Erklärungen, die er abgab, verleiteten sie zu Gespött.

Überhaupt fielen Cantrell und Noriega trotz der höheren Stufe, auf der sie standen, durch ihre eigenartigen Witze auf.

)}Rat mal, was das ist«, sagte Cantrell zu mir. »Essieht rot aus, redet wie ein Roter und handelt wie ein Roter: Das kann doch nur ein Colorado sein. Ist Vasconcellos nun ein) Roter< oder nicht?« .

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Und Noriega, der sich nicht minder geistvoll zeigen wollte, äußerte folgendes über Jose Batlle y Ord6fiez: )}Der mit der Pelerine war doch nur ein alter Gauner. Er brachte aus Europa vier anarchistische Gedanken mit, würzte sie mit französischem Rationalismus und verabreichte sie einem Land, das gar nicht existierte. Der Batllismus stellt weiter nichts als einen Versuch dar, diesem Salat etwas ideologischen Gehalt zu geben. Dabei ist es letzten Endes' einerlei, ob man Batlle oder Herrera her­aufbeschwört: Das Volk hier will zwar weder argentinisch noch brasilianisch werden, aber es möchte auch nicht uruguayisch leben.«

Doch bei all dem Scharfsinn, mit dem Noriega brillieren wollte, war er gegen Irrtümer nicht gefeit. So nahm er eines Tages Anstoß an einem Übermaß von roten Fahnen und ver­langte die sofortige Untersuchung des Vorkommnisses, bis man ihm erklärte, daß es sich um die Farben der Colorado-Partei handelte.

Auf der obersten Stufe träfen wir schließlich Mr. Topping, den Geschäftsträger, an. Dieser erprobte Berufsdiplomat würde sich hüten, seine Ansichten unumwunden auszuplau­dern. Außerdem konnte er sich in seiner Dienststellung Zu­rückhaltung leisten. Er sprach von ho her Warte und vermied Details.

Nichtsdestoweniger ließ er eine besondere Vorliebe für Jorge und für den Kandidaten der Demokratischen Blanco-Union, Dr. Gallinal, durchblicken. Wer von ihnen das Rennen machte, schien ihm im Grunde egal. Er betonte, daß Uruguay eine selbstlose, überparteiliche Führung brauche, und redete gerührt vom Patriotismus der beiden, die sich einander, falls sie nicht gewählt wurden, ihrer Sympathie versichert hatten. Häufig erwähnte er auch ein aus )}Roten« und )}Weißen« gemeinsam gebildetes Kabinett.

Die Wahlen fanden statt und brachten einen Personenwechsel. General Gestido, der neue Präsident, würde in drei Monaten sein Amt übernehmen. Bis dahin gab es viel zu tun.

Zunächst mußte schleunigst ermittelt werden, wie sich die . Regierung des Generals a. D .. zusammensetzte und - soweit möglich - wer für die zweite Reihe in Frage kam.

Jede Botschaftsabteilung hatte ihren Aktionsbereich. Die

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Mission befaßte sich natürlich mit dem Innenministerium schließlich der nachgeordneten Dienststellen und ganz sonders mit dem Polizeipräsidium Montevideo.

Saenz besuchte den künftigen Innenminister, Dr. Augustü Legnani. Die Beziehungen.zu Polizeibeamten mit)}roter« gangenheit wurden enger geknüpft. Ein Glücksumstand steuerte Angaben bei, die zu gegebener Zeit den Umgang mit dem neuen Staatssekretär Alejandro Rovira erleichtern konn­ten.

Zugleich mußte Schwierigkeiten der letzten Stunde vor­gebeugt werden.

Obwohl die Nordamerikaner zu allen Putschistengruppen Verbindung hielten, um auszuschließen, daß sie ihnen aus der Hand glitten, hatten sie bislang jedem Staatsstreich systema,.. tisch Einhalt geboten. Ein Putsch würde ihnen das Bild Uru­guays, das Beispiel einer parlamentarischen Demokratie,ver'" derben. Außerdem wollten sie verhindern, daß nichtabseh,.. bare und insofern potentiell gefährliche Gegenwirkungen aus,­gelöst wurden. Ein friedliches, keinen größeren Veränderungen unterworfenes Uruguay eignete sich damals vortrefflich .als. Basis für Operationen gegen angrenzende Staaten.

Der Coup blieb ein Notbehelf für den Fall, daß fortschritt­liche Kräfte oder die Volksmassen den Wahlsieg davontrugen. Aber Ende 1966/ Anfang 1967 herrschte trotz wirtschaftlichen Niedergangs und wachsender Unterdrückung keine revolutio-näre Situation. .

Die Yankees zogen es vor, das Land über verfassungsmiißige Mechanismen zu kontrollieren, und diese Politik setzten sie noch jahrelang unverändert fort; erst ziemlich am Ende meines Aufenthalts in Uruguay bemerkte ich gewisse Korrekturen.

Als General Gestido im Dezember 1967 starb, war es be-: . zeichnenderweise William Horton, der Kontaktmann zur CIA- . Station in einem Nachbarland, der Dr. Manini Rios berlach~ richtigte und veranlaßte, daß er sofort den Vizepräsidenten Pacheco Areco vereidigte und damit einen Staatsstreichversuch durchkreuzte. Jene Putschisten waren Colorado~Militärs, von denen nachher viele Pacheco Areco unterstützten .

Vor Gestidos Amtsantritt mußten folglich die überwacht werden, weil sie abermals mit Aguerrondo spirierten. Die Unbeständigkeit der herreristischen ,-,aUUU1""'.

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konnte das labile Gleichgewicht gefährden, das die Nord­amerikaner hergestellt hatten, um das internationale Ansehen Uruguays als »südamerikanische Schweiz« zu wahren.

Jede USA-Dienststelle traf ihre Maßnahmen. Die Berater setzten sich mit Unterinspektor Braida, der zur Casa de Gobierno abkommandiert war, in Verbindung. Braida hat'te einige Jahre zuvor den vom Polizeipräsidenten Aguerrondo angeordneten Überfall auf die Universität geleitet.

Danach war es zu einem Riesenskandal gekommen, und wenngleich das Polizeipräsidium offiziell mitgeteilt hatte, es habe sich um »Unbekannte Elemente« gehandelt; wurde rasch ein Sündenbock gebraucht. Den sollte Braida abgeben. Darauf kündigte er Aguerrondo an, daß er nicht nur sämtlicheEinzel­heiten des Unternehmens, sondern auch bestimmte andere auf seinen Befehl ausgeführte Aufträge publik machen werde.

Für den Augenblick rettete diese Drohung Braida, aber anschließend mußte er das Präsidium verlassen. Sein Chef entzog ihm,.der bei seinen Unterstellten verhaßt und in seinen Geschäften wenig wählerisch war, die Rückendeckung. Doch nur wenig später forderte ihn das Präsidialratsmitglied Beltran für sein Sekretariat in der Casa de Gobierno an. Heber war es gelungen, Aguerrondo mit dem Unterinspektor auszusöhnen, und er protegierte ihn nun ebenfalls.

Mir ist nicht bekannt, was die Abteilung Öffentliche Si­cherheit bei jenem Gespräch aushandelte. Jedenfalls kehrte Braida ins Polizeipräsidium zurück, und nur ein an Insubor­dination grenzender Protest der Beamten der Kriminaldezer­nate verhinderte, daß er wieder als stellvertretender Kri­minaldirektor eingesetzt wurde.

Im Rahmen der Operation, die die Unruhe unter den Heber­leuten neutralisieren sollte, versuchten Cantrell und Noriega, deren Dienst- und Privattelefone anzuzapfen. Dazu mußten sie das Dezernat Aufklärung und Verbindung hinzuziehen und brachten damit seinen Leiter, den Kommissar Otero, in arge Verlegenheit.

Er war mit Aguerrondo befreundet, und damals stellte die Gesprächsüberwachung bei Regierungsmitgliedern - und in diesem Falle bis hinauf zum Vorsitzenden des Präsidialrates u~d damit Staatspräsidenten - noch eine sehr schwerwiegende Maßnahme dar. Kommissar Otero wandte ein, daß das Vor-

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haben äußerst riskant sei. Es fehlten wichtige Voraussetzungen, außerdem könne ihnen das Personal der Usinas y Telefonos del Estado (UTE), der Staatlichen Elek~ trizitäts- und Fernsprechgesellschaft, unter dem es zahlreiche Kommunisten gab, leicht auf die Spur kommen.

Obwohl ich das Ergebnis nicht kenne, dürfte die CIA Mittel und Wege gefunden haben, ihr Ziel zumindest teilweise zu erreichen.

Schließlich ging am 1. März 1967 der Regierungswechsel ohne größere Unannehmlichkeiten vonstatten, und wenige Tage danach wurde das Polizeipräsidium Montevideo von der neuen Mannschaft in folgender Zusammensetzung übernommen: Oberst Raul Barlocco, Präsident; Oberst Ramiro Chavez, stell-' vertretender Präsident; Oberst Santiago Acuna, Chef des Hauptstabes; Oberstleutnant Alfredo Rivero, Kommandeur der Guardia Metropolitana; Oberstleutnant Angel Barrios, Kommandeur der Guardia Republicana, der berittenen Be- . reitschaftspolizei.

Auf diese Weise sicherten sich die nordamerikanischen Be­rater das Wohlwollen und die Bereitwilligkeit des neuen Innen:.: ministers Legnani zur Zusammenarbeit. Die großen Pläne, die sie hatten, mußten sie allerdings verschieben, denn Washington gab plötzlich bekannt, daß das vorgesehene Gipfeltreffen amerikanischer Präsidenten im Seebad Punta del Este ab:.: gehalten würde.

Das zweite Gesicht der Gipfelkonferenz

Die Ankündigung von,Lyndon B. Johnsons Reise zu der Mitte April 1967 nach Punta del Este einberufenen Konferenz brachte alle USA-Organe für Sicherheit in Bewegung. Der Mission oblag die Verantwortung für das Fernmeldewesen sowie die Spezialausbildung und Kontrolle der uruguayischen Polizei. Deshalb wurde in der Militärrnission mit sämtlichen Beratern, die in Uruguay weilten, eine Besprechung durch­geführt. Dort wurde auch festgelegt, daß Saenz als Leiter der .

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Abteilung Öffentliche Sicherheit die Maßnahmen auf den verschiedenen Gebieten koordinieren sollte. Die Armee stellte zwar mehrere Einheiten unter General Gonzalez für den Konferenzschutz bereit, doch den Hauptteil der Arbeit hatte die Polizei zu leisten.

Überdies unterhielt der neue Chef des Polizeihauptstabes, Oberst Acuiia, freundschaftliche Beziehungen zu General Gonzalez und hatte sich den Nordamerikanern recht wohl­gesinnt gezeigt.

Da die Zeit drängte, beschränkte sich die Ausbildung auf einen intensivkurs im MPi-Schießen für die Guardia Me­tropolitana und eine Unterweisung für die Leiter der zu bildenden Wach- und Sonder kommandos.

Mit der Leitung des im Hotel » Victoria Plaza« eingerichteten Akkreditierungsbüros wurde Unterkommissar Molina beauf­tragt; sein Vertreter war Kriminalassistent Freitas. Obwohl das Büro nominell Acuiia unterstand, wurde seine Tätigkeit direkt von einem USA-Berater überwacht, den die Mission für die Konferenzdauer zur Verstärkung erhalten hatte.

Molina durfte Identitätskarten nur ausstellen, wenn der betreffende Delegierte, Journalist oder Diplomat namentlich in einer Liste, die beim Außenministerium eingereicht werden und von diesem bestätigt sein mußte, aufgeführt war.

Damit die Mission auf dem laufenden blieb und die Namen der akkreditierten Personen dem FBI und der CIA übermitteln konnte, hatte Freitas aus dem Aufklärungs- und Verbindungs­dezernat den Auftrag, die Listen zu kopieren.

Ebenso überwachte die Mission den Aufbau der Funkver­bindungen in Punta del Este oder vielmehr jenes Netzes, dessen Betrieb der Kompetenz der uruguayischen Polizei unterlag, weil die CIA zu unbekannten Zwecken ein eigenes Kommunika­tionszentrum errichtet hatte.

Zur Lösung dieser Aufgabe begab sich ein weiterer, auch soeben bei der Mission eingetroffener Nordamerikaner nach Punta del Este. Begleitc;t wurde er vom stellvertretenden Leiter des Funkdienstes im Präsidium Montevideo und dessen Mit­arbeitern Felix Carssen und Manuel Gonzalez.

Eine andere heikle Aufgabe der Mission bestand darin, so früh wie möglich die Anschrift oder den Namen der chalets -' also der Ferien- oder Sommerhäuser - festzustellen, in denen

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die jeweiligen Präsidenten und Delegationen während Aufenthalts am Konferenzort wohnen würden. Da es die meisten Botschaften ablehnten; die Residenz ihres Staatschefs vorzeitig anzugeben, mußten parallele »Bemühungen{< über das uruguayische Außenministerium eingeleitet werden.

Allzuviel über die Arbeit, die die CIA leistete, erfuhr ich freilich nicht: Noriega und Cantrell hatten sich zu Beginn der Konferenzvorbereitungen praktisch in Luft aufgelöst; ich sah sie erst eine Woche nach Johnsons Abreise wieder.

Ganz am Anfang war Cantrell einmal mit mir nach Punta ,del Este gefahren. Wir fertigten Skizzen von bestimmten Geländeobjekten -- zumeist Brücken -- an. Besonders eingehend befaßten wir uns mit der Brücke über den Arroyo Potrero. Fast eine Stunde spazierten wir in ihrer Umgebung herum.

Durch solche Ermittlungen, die wir im Auftrag vonSaenz und nicht der CIA durchführten, sollten gefährliche Strec.kenabschnitte aufgeklärt werden.

Nach Abschluß des Gipfeltreffens schätzten die Berater, daß aus diesem Anlaß allein vom FBI über 200 Agenten iri; Uruguay eingetroffen waren. Sie hatten aber keinen ständigen Kontakt mit uns. Die Mission hatte drei zusätzliche Berater bekommen. Der wichtigste -- Tetaz, ein Nordamerikaner französischer Herkunft - war bei der AID-Zentrale inWa:' shington stellvertretender Leiter des Bereichs Funkdienstpro­gramme.

Sein Chef, Benitin Katz, nahm an dem Sondereinsatzin Uruguay nicht teil. Er hatte dringend nach Vietnam fliegen müssen, um dort festzustellen, warum das von ihm konstnlierte »handliche klei~e Gerät« versagte und nicht, wie jedermann erwartete, den Angriffsdruck der vietnamesischen Patrioten erlahmen ließ. . ,

Tetaz gab allgemeine Hinweise für das Polizeifunknetz,legte' die Frequenzen fest und übertrug alles übrige Bernal ~ndden uruguayischen Technikern, da er anschließend mit denCIA­Experten zusammenarbeitete und darauf nach Washingtön zurückreis te.

Die beiden anderen zugeteilten Berater -- de Lopez und Quick aus den AID-Filialen Caracas und Quito -- quartierten sich für rund sechs Wochen in unseren Büroräumen ein. beaufsichtigten das uruguayische Fernmeldewesen beziehungs:,: weise das Akkreditierungsbüro.

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Außer ihnen verblieb nur Bernal in der Mission. Er hatte den Auftrag, den Streifendienst zu kontrollieren sowie die auf Weisung von Saenz gebildeten sogenannten Eingreif trupps, die - zivil gekleidet - in der Hauptstadt ihr Unwesen trieben.

Mehrmals begleitete ich Bernal zur Universität. Studenten hielten das Universitätsgelände besetzt, um gegen die faktische Okkupation Montevideos durch die Yankee-Sicherheits kräfte zu protestieren, und ein Kommando der Guardia Metropoli­tana, befehligt von Major Varela, hatte es hermetisch ab­geriegelt.

Bernal riet dem Major, die Universität nicht im Handstreich zu nehmen, weil sich der nächstamtierende Schnellrichter Purpura bereit erklärt hatte, bei der Vertreibung der Besetzer und ihrer - worauf es eigentlich ankam - »erkennungsdienst­lichen Erfassung« mitzuwirken.

Wir waren in unmittelbarer Nähe der Universität in Dek­kung gegangen und beobachteten, wie sich Saenz' »Eingreif~r« die Sorglosigkeit der Studenten zunutze machten und sich im Internatsgebäude unter die jungen Leute mischten. Diesen Morgen bombardierten sie die Guardiapolizisten mit schweren Schraubenmuttern, abgefeuert aus Gummibandschleudern .. Es gab Verwundete. Zu meiner inneren Genugtuung wurden die Provokateure entdeckt und mit Fußtritten davongejagt.

Das Präsidententreffen lieferte Stoff für eine ganze Anek­dotensammlung, aber die Geschichten zu erzählen entspricht nicht dem Anliegen dieses Buches. Viele werden sich noch der vietnamesischen Fahne erinnern, die uruguayische Jungkom­munisten zur Verzweiflung von Saenz und Oberst Acuna· ge­genüber dem Kasino »San Rafael«, der Tagungsstätte, gehißt hatten.

Erwähnt sei auch der Yankee-Reporter, der ungeachtet der zahl- und maßlosen Sicherheitsvorkehrungen einen ganzen Nachmittag durch den Konferenzsaal schlenderte, während ah seiner Jackettbrust statt des vorgeschriebenen Presseabzei­chens ein gleichfarbiges Kärtchen mit der Aufschrift steckte: »Luis Dimitrov. Russischer Spionagechef.«

Es waren Tage fieberhafter Aktivität. Die Polizei kräfte hatten ein enormes Pensum zu bewältigen. Bei einer Vorankündigung von wenigen Wochen errichteten sie einen regelrechten Wehr-

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gang zum Schutz der Besucher vom Schlage eines wrmS.I[)n, Stroessner, Ongania oder Costa e Silva, einer Gorillas, Halbgorillas und Westentaschendiktatoren.

Jede Delegation von Rang brachte ihr eigenes Sicherheits- .. korps einschließlich eigener Vorstellungen für seine Entfaltung mit. Diplomatische Komplikationen und der Umgang mit seht wichtigen und noch wichtigeren Personen bereiteten. manch einem Verdruß.

Während der Vorbereitungen lernten. die Yankees nicht. schlechthin nur Leu te kennen, sie gewannen auch Erkenntnisse über sie. Sie konnten sich ein Urteil über ihre Befähigung und Brauchbarkeit, ihre Neigungen und ihre Schwächen bilden. Zll keiner anderen Zeit erforschten oder durchschauten Beratet und »Beratene« einander gründlicher.

Die Konferenztage rückten Namen ins Licht, die später )Ton sich reden machten: Piriz Castagnet, verantwortlich für die Kontrollposten an der Interbalnearia, der Autobahn nach Punta del Este; Oberstleutnant Legnani, der auf einige Tage kam und drei Jahre blieb; Lucas vom 9. Kommissariat der Hauptstadt und in jener Woche Leiter eines Sonderkomman­dos.

Aber für viele andere, für die übergroße Mehrheit, brachen schwarze Tage an. Tage des Hungers, der Schlaflosigkeit und der Enttäuschung. Die milicos, wie die einfachen Polizisten in UruguaY' genannt werden, galten weniger als nichts. Sie hun~ gerten tatsächlich und waren obendrein Schikanen ausgesetzt. Ihre Tagegelder verschwanden, die Verpflegung ebenfalls. Wer noch ein paar Pesos hatte, konnte sich etwas zu essen kllufen, wer nicht, mußte zusehen, wie er über die Runden kam ..

N ur der Erfahrung eines altgedienten Beamten - des Unter­kommissars Fuster - war es zu danken, daß die Einheit, die den Wassertank von Punta del Este bewachte, nicht den Gehorsam verweigerte und nach Montevideo desertierte.

In jenen Tagen kamen vermehrt kleine und große. Whis':: kyflaschen und weitere »Aufmerksamkeiten« zum Vorschein: so die Feuerzeuge mit Joh118ons Widmung - schade, daß meines Jahre später wie andere Dinge bei der Rückkehr nach Kuba verlorenging - und natürlich die heimtückischen Empfehlun:­gen der Nordamerikaner, die ein System von Verdiensten und

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Nichtverdiensten ganz nach Gutdünken einführten. Das FBI, die CIA, der Secret Service und die Mission hatten Montevideo, Maldonado und Punta del Este faktisch besetzt.

Sie waren schon keine Berater mehr, sondern Chefs, die Befehle erteilten, und wehe dem, der das nicht begriff. Zwei Monate lang bekamen die »Schweizer Amerikas« ihre Um­gangsformen zu spüren, einen. Teil des ihnen zugedachten Hinterhofdaseins a la Puerto Rico.

Davon können alle Polizeibeamten ein Lied singen. Ganz gleich, welche politischen Ansichten sie vertraten, wie sie über »unser Amerika« dachten und ob sie später womöglich die Umstände, ihre Erziehung, ihr Mangel an Bildung dahin brachten, sich ehrlos zu verhalten -das spielte alles keine Rolle. Damals, als die Würde des uruguayischen Polizeibeamten mit Füßen getreten wurde, gab es keinen unter ihnen, der sich nicht wenigstens ein bißchen als Antiimperialistgefühlt hätte, auch wenn er die Bedeutung dieses Terminus nicht genau kannte.

Geschäft bleibt Geschäft

Von Mai bis September 196J, als Saenz in Urlaub war, leitete Cantrell die Abteilung Öffentliche Sicherheit. Während dieser Monate legte in Montevideo ein britischer Flottenverband, bestehend aus drei oder vier Kriegsschiffen, an.

Tags darauf. kam ein Beamter der Abteilung Öffentlich­keitsarbeit, der im Büro des Polizeipräsidenten, Oberst Bar­locco, ,Dienst tat, zu mir. Walter Pardeiro, der Sekretär des Chefs, schickte ihn.

Die britische Botschaft hatte angerufen und übermittelt, der Chef des Flottenverbandes beabsichtige, dem Polizeipräsiden­ten der Hauptstadt seinen Respekt zu bezeugen und einen Höflichkeitsbesuch abzustatten.

Pardeiro wollte wissen, ob es mir etwas ausmachen würde, dieses Gespräch zu dolmetschen. Ich griff zum Hörer und redete mit ihm. Er sagte, er wisse nicht, ob der Engländer oder sein Attache spanisch spreche, die Englischkenntnisse des alten Obersten Barlocco seien jedenfalls gering, und er bezweifle, daß

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die für vertrauliche Unterredungen in Frage komnifei;iÜe Be.amten des Präsidiums zu einer simultanen Wiedergabein1:" stande seien.

Ich erwiderte, daß ich selbstverständlich nichts gegen dnell solchen Einsatz hätte, nur müsse ihn - reine Formsache "'"7 der Missionschef genehmigen.

Das geschah auch, und damit wäre die Geschichte erledigt gewesen, wenn mir Cantrell nicht anderntags einen erschöp­fenden Vortrag über die Schwierigkeiten gehalten hätte,auf die er in seiner Arbeit stieß. Ich sollte nichts anderes als seine Besorgnis über den Besuch der Briten teUen, den er als Ein­mischung in die von der Mission bei den PolizeikräftenUru-guays zu leistende Arbeit betrachtete. .

Seiner Meinung nach war der Besuch nur ein Vorwand, Möglichkeiten für eine britische technische Hilfe zu sondieren.·. Durch ein Schimpfwort bekräftigte er, daß die. Briten auf diesem Gebiet für ihn Dilettanten waren. Ihr System habe Ende des vorigen Jahrhunderts funktioniert, im Zeitalter der pax britannica, aber heutzutage sei es ein Gütezeichen für Mittelmäßigkeit.

Während er sich weiter ereiferte, behauptete er, :ihr amateurhaftes Auftreten hinreichencl zu kennen, es habe ihm in der BRD genug Scherereien eingebracht und mehr als eine '. gut eingefädelte. Sache verpatzt.

. »Die sollen sich gefälligst um ihre Schiffchen kümmern und ihre Pfot~n von wirklich wichtigen Vorhaben lassen«, schloß er erbost.

Mithin wollte Cantrell feststellen, ob ich bereit wäre, ihn über den Inhalt des bevorstehenden Gesprächs zu informieren. Er stieß damals bei seiner InfUtrationsarbeit tatsächlich auf Hindernisse, denn Barlocco war nicht geneigt, seine Aufklä~ rungsorgane bedingungslos der USA-Botschaft zu i"'''Ä .. ~ .. ",L

len. . Anfangs erwogen wir, mich mit einem TaschenrekOfder

auszustatten. Juan Noriega sollte mir das Gerät übergeben . seine Handhabung erklären. Er verwarf aber unseren Plan, wir verblieben so, daß ich einen vollständigen Bericht über die Unterredung anfertigen sollte. .

Allgemeine Fragen des britisch-uruguayischen Vt;ll:l<Ul.IU~l)I;O:S· interessierten sie nicht, meinten Noriega und Cantrell

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schärften mir ein, wachsam zu sein, sobald irgendwelche An­gebote zur technischen Unterstützung der üruguayischen Po­lizei - sei es durch Ausrüstungen,· Studienplätze oder Lehr­gänge - erwähnt würden. Das gefürchtete Gespräch dauerte eine knappe halbe Stunde, und meine Mitwirkung blieb be­grenzt, da der Attache spanisch sprach und das Englisch des Chefs nicht so übel war, wie wir dachten. Ich legte einen kompletten Bericht vor, beantwortete einige Fragen Cantrells und hörte nichts mehr von der Angelegenheit. Von nun an übertrug mir Cantrell kleinere Arbeiten, die, wenn auch keine geheimen Verschlußsachen, immerhin vertraulicher Art waren.

Einige Zeit danach fragte ich mich, warum die Nordameri­kaner eigentlich nicht den Sekretär des Chefs, Pardeiro, benutzt hatten, gehörte er doch zu ihren Leuten und hatte ihnen die Unterwanderung des Präsidiums in vielem erleichtert. Die einzig mögliche Erklärung war, daß sie ihm nicht bis zu diesem Grade trauten. Nun begriff ich, weshalb die Nordamerikaner meine Eigenschaft als Ausländer positiv bewerteten.

Ende 1967 waren die Beziehungen zwischen der Mission und dem Innenministerium gespannt. Das Ministerium hatte einen Plan für die Modernisierung des Kfz-Parks der Polizei kräfte ausgearbeitet. Die Mission hatte bei der Planung mitgewirkt und angegeben, welche Fahrzeugmodelle die verschiedenen Dienstzweige entsprechend ihren spezifischen Aufgaben ein­setzen sollten. In den meisten Fällen empfahl sie den Kauf des Ford-Kompakt.

Darauf wurden andere nordamerikanische Autokonzerne mobil - besonders Chrysler -, und die AID-Zentrale erteilte Saenz wegen eigenmächtiger Auswahl eines bestimmten Her­stellers einen Rüffel. Zugleich wies sie ihn an, sich auf die Beschreibung des erforderlichen Wagentyps zu beschränken und keine Modelle zu nennen, wobei die Beschreibung natürlich zwingend den Ankauf von Fahrzeugen aus den USA vorsehen müsse.

Bei den Fahrzeugen handelte es sich, wie gesagt, nicht um ein Geschenk. Sie sollten vielmehr im Rahmen des Vertrages zwischen Uruguay und der AID finanziert werden, der fest­legte, daß die uruguayische Seite die Unterhaltungskosten für

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die AID-Mission in Montevideo zu tragen hatte und rechnung jener Kosten der AID Fahrzeuge und Waffen kaufen konnte. Uruguay würde sie demnach voll bezahlen selbst wenn das betreffende Abkommenskonto vorübergehend überzogen war. Später glich Uruguay den Saldo wieder aus, zumal es für einen Teil der Swingüberschreitung bereits Gold hinterlegt hatte.

Bei diesem Stand der Dinge wagte ein Regierungsmitglied, den Import westdeutscher Volkswagen vorzuschlagen. Sie sollten mit nichttraditionellen Exporterzeugnissen bezahlt .. werden. Aber das Vorhaben wurde durch massiven diploma­tischen Druck vereitelt.

Danach regte ein anderes europäisches Land ein langfristiges Außenhandelsgeschäft zu äußerst günstigen Zahlungsbedill­gungen und gleichfalls auf der Basis nichtherkömmlicher Exportwaren an. Sein Lieferangebot umfaßte neben Fahr­zeugen auch Fahrzeugmotoren, Gerät und automatische Waffen. Die Offerte war zu verlockend, um rundweg abgelehnt zu werden, und hatte den zusätzlichen Vorteil, daß sie gewissen Spielraum für Gewinne bot, wenn die mit der Realisierung Beauftragten nur wendig genug zu Werke gingen._

Das Studium des waffentechnischen Teils wurde dem Die.. rektor des Instituts für professionelle Ausbildung, Oberstleut­nant Ramon Trabal, übertragen. Trabal war ein Mann von streng konservativer Denkart und erklärter Anhänger des verfassungsmäßigen Weges. Als stiller Kritiker schon so manchen unsauberen Geschäfts sammelte er mit pedantischer Genauigkeit - als wäre es sein Hobby - kompromittierende Daten.

Zwischen ihm und den Nordamerikanern war es in letzter Zeit mehrfach zu Reibereien gekommen, weil er die Tatsache, daß die Mission Lehrgänge im Landesinneren organisierte" als wiederholte und absichtliche Mißachtung des von ihm geleite­ten Instituts - der Höheren Polizeischule Uruguays - ansah.

In seinem Bericht empfahl Trabal, die Transaktion aus tech­nischen wie aus politischen Gründen durchzuführen. Zum einen bestätigte er die Gebrauchsfähigkeit und Eignung der Waffen. Den Preis hielt er für niedrig und die Garantie für ausreichend. Zum anderen betonte er, daß der Bezug von Waffen und Gerät aus mehr als einem Land Uruguay zur.

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nötigen Autonomie bei außenpolitischen Entscheidungen ver­helfen und es von einem gewissen in jüngster Zeit ausgeübten Druck befreien werde. Uruguay dürfe in der Waffenversorgung nicht von einer Macht allein abhängig sein.

Saenz gelang es, in den Besitz des streng geheimen Berichts zu kommen. Den Namen der Person, die s~ch vermutlich dazu hergab, ihn zu beschaffen, möchte ich nieht nennen. Doch ich habe allen Grund anzunehmen, daß es jemand war, der mit dem Hauptstab des Präsidiums - dem nunmehrigen Hauptamt für exekutive Koordinierung - in Verbindung stand, auch wenn das Dokument bei der Generalinspektion des Heeres entwendet worden war.

Ich ziehe es vor, eine Beschuldigung, die des vollen Beweises entbehrt, nicht auszusprechen. Tatsache ist jedenfalls, daß Oberstleutnant Trabal wenig später als Institutsdirektor ab­gelöst und ohne Dienststellung wieder in die Streitkräfte ein­gegliedert wurde; das heißt, er wurde kurzerhand zur Ver­fügung gestellt. Seinen Posten übernahm Oberstleutnant Legnani, bis dahin stellvertretender Chef des PoHzeihaupt­stabes.

Die Yankees hatten sofort und drastisch auf den Trabal­report reagiert. Sie teilten dem Innenminister offiziell mit, daß die AID-Mission bei Abschluß der bewußten Außenhandels­vereinbarung aus Uruguay abgezogen würde. Außerdem hiel­ten die USA fällige Ersatzteillieferungen für die Streitkräfte zurück und annullierten einen Importvertrag über Pfirsiche, naturell und konserviert. Parallel dazu deutete die Presse der Vereinigten Staaten Restriktionen gegenüber Uruguay an.

Soweit das wenige, was ich erfahren konnte. Uruguay kaufte in den USA 300 Ford-Wagen und die von der Polizei benötigten Waffen.

Der Bericht existierte. Ich habe ihn in meiner Eigenschaft als Leiter der Geschäftsstelle des Technischen Beratungsbüros der AID-Mission im Polizeipräsidium Montevideo selbst in den Händen gehabt und gelesen.

Ich verstehe, daß gewisse Leute das bestreiten wollen, bin mir aber sicher, daß es in Uruguay zumindest eine Person gibt, die mir glauben wird: Oberstleutnant Trabaps.

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Verschlußsachen

Auf Schritt und Tritt sprang einem das Mißtrauender Nord~ amerikaner gegen ihre uruguayischen Verbündeten in die Augen.

Die CIA unterstellt jedermann ohne Rücksieht auf seinen Ergebenheitsgrad, daß er ein potentieller Feind ist. Unabläs'sig spürt sie Politikern und Industriellen, Militärs und Polizei." beamten nach, um bereits das kleinste Anzeiehen einer Ab­neigung oder Unzufriedenheit zu registrieren. Jeder halbwegs Prominente, auch jeder Bundesgenosse, hatte seine Akte, in der Angaben über sein Vorleben, seine persönlichen V sowie seine dienstlichen und privaten Beziehungen festgehaltea wurden.

Das Wichtigste war in den mit L und Q gekennzeichneten. Dossiers erfaßt. Die mit einem Lversehenen Mappen ent., hielten ein Psychogramm des Betreffenden und eine Einschät,. zung seiner voniussiehtlichen berufliehen und politischen Entwieklung.

Die Q-Mappen enthielten Material, das zum gegebenen Zeitpunkt dazu dienen konnte, Druck auf den Erfaßten aus': zuüben. Eigentlich waren es nur Hinweise auf derartiges Material, und die interessierten Stellen konnten es im Bedarfs.,. fall anfordern, Die belastenden Dokumente selbst und' er~, gänzende Unterlagen wurden irgendwo in der Botschaft auf.

. bewahrt. Aber Dossiers bekam ich zweimal zu Gesicht. Zum' besseren Verständnis muß ieh noch einige frühere

Ereignisse schildern. .

Ende 1964 leitete das Innenministerium ein Dienststrafver", fahren gegen den Direktor des Ausländermeldeamtes . späteren Außenminister der Diktatur, AlejandroRovira,ein. Sollten die erhobenen schweren Beschuldigungen wahr sein, erwartete ihn eine harte Strafe. Rovira, ein Beamter mit vielen Dienstjahren, gehörte der Colorado-Partei - also der damaligen Opposition - an. .

Damit nicht der Verdacht aufkam, das Verfahren

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darauf ab, die Oppositionspartei zu verleumden, ging man außergewöhnlich vorsichtig zu Werke. Mehrere Unter­suchungsrichter ermittelten und prüften das Beweismaterial. Die Zeugenvernehmung ergab, daß sich Alejandro Rovira mit dem Besitzer einer Geldwechselstelle in der Nähe des Mini­steriums zusammengetan hatte, um Gebührenmarken zu Über­preisen zu verhökern. Jedem Besucher, der in Roviras Amt nach solchen Marken fragte, wurde mitgeteilt, hier seien keine mehr vorrätig, aber er könne sie wahrscheinlich nebenan erwerben.

Auf dieses erste Vergehen hin wurde die Suspendierung des )>Unkorrekten« Beamten verfügt, während die Untersuchung weiterlief. Amtsdirektor Rodrigo Acosta übernahm bis auf Widerruf die Leitung des Ausländermeldeamtes. Danach wurden größere Unregelmäßigkeiten aufgedeckt, und plötzlich kam es zu einer unvorhergesehenen politischen Komplikation. Der Senator und Direktor der herreristischen Zeitung »EI Debate«, Washington Guadalupe, der schon Innenminister Gil und dessen Nachfolger Tejera heftig angegriffen hatte, blies jetzt in Verteidigung Roviras zum Sturm. Das war unverständ­lich, berücksichtigte man die frühere Haltung des Senators.

Die Attacken auf die Innenminister lagen Monate zurück. Der Chef der Departementspolizei Canelones, Bessio Villa, ein Caudillo der ruralistischen Bewegung36 und notorischer Psycho­path, hatte - ohne selbst gefährdet gewesen zu sein und damit unter Mißbrauch seiner Amtsbefugnisse - zwei Gelegenheits­diebe niedergeschossen, wobei besonders verwerflich war, daß er sie zur Tat angestiftet hatte.

Guadalupe wollte sich zum Sprecher der Ruralisten auf­schwingen und kreidete Bordaberry seine Colorado-V ergangen­heit an. Er nannte ihn »Mißgeburt von rotemWiesel«. Auch Nardones Witwe verschonte er nicht: Sie sei unfähig und ehr­geizig; Und Zabalza sei ein Träumer - was bei ihm soviel wie biederer Trottel hieß. In Wahrheit betrieb er nur die Interessen Garis als Möchtegernführer des Ruralismus und damit seine eigene Karriere.

Guadalupe war Micales Schwager. Wenige Wochen nach meiner Ankunft in Uruguay begleitete ich Danilo Micale zu einem Gespräch, bei dem sie das Thema Bessio erörterten. Micale ließ den Senator wissen, daß Minister Gi! den Polizei­direktor nunmehr absetzen wolle. Gil sei der Meinung, er ver-

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halte sich schon entgegenkommend genug, wenn er Bessio w'egen des letzten Vorkommnisses wie auch anderer Hand;,. lungen der Polizei in Canelone~, die Häftlinge mißhandelte und folterte und im Stadtgefängnis mindestens einen Mord be­gangen hatte, nicht gerichtlich belangen lasse.

Weiter schilderte er dem Senator, mit welchem Vergnügen Bessio einigen Bekannten während einer Tagung des Inter­amerikanischen Wirtschafts- und Sozialrates (CIES) seine Verhör- und Folterpraktiken beschrieben hatte. Die Opfer waren allesamt w~gen geringfügiger Delikte verhaftet ge­wesen.

Guadalupe beeindruckte das nicht. Er erklärte, die Partei­verbundenheit verlange, Bessio und Urtiaga, den amtsentho­benen ehemaligen Botschafter in Havanna, in Schutz zu nehmen.

»Hier müssen die Blancos von den Colorados lernen«, sagte er. »Die verteidigen bedingungslos die eigenen Leute.«

Er erinnerte Micale an Fälle, bei denen Colorado-Regierun­gen einen Mantel des Schweigens über die Verfehlungen ihrer Parteigänger gebreitet hatten, und meinte zum Schluß: )}Ob Recht oder Unrecht, wir halten zu unseren Leuten.«

Aber damit war das Problem nicht erschöpft. Die Fraktion, die Guadalupe vertrat, erklärte sich mit Bessios Absetzung einverstanden, wenn sie als Gegenleistung das Amt des Staats­sekretärs im Innenministerium erhielt. In diesem Zusammen­hang wurden verschiedene Namen genannt, die ich jedoch, da sie damals völlig neu für mich waren, nicht behalten habe.

Wie die späteren Ereignisse zeigten, ging es Guadalupe und anderen Herreristen in Wirklichkeit darum, Gari das Portefeuille des Inneren zuzuschanzen oder zumindest mehrere Polizeidirektionen im Landesinneren zu ergattern. Die näch­sten zWei Jahre standen ganz im Zeichen dieses Planes, obwohl sich Guadalupe am Ende mit einem kühnen Salto noch auf die Seite seines alten Feindes Echegoyen37 schlug, weil er den ihm teuren Senatorensessel nicht verlieren wollte.

Insofern sah er im Fall Rovira einen willkommenen Anlaß, die Attacken zur Schwächung der Minister von der Demokra­tischen Blanco-Union fortzusetzen und dabei selber ein hehres Beispiel von »Überparteilichkeit« zu lieferl}, verteidigte er doch " einen Colorado.

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Durch diese politische Erpressung wurde der Prozeß gegen den Direktor des Ausländermeldeamtes verschleppt. Die Untersuchungsrichter lösten einander ab, ohne das geringste zu entscheiden. Minister Tejera reichte beim Präsidialrat eine Beschlußvorlage ein, aber Alberto Heber, schon auf Stimmen­fang auch bei den Ruralisten aus, schaffte es mit Nicolas Storace, die Sache auf Eis zu legen.

Zum Zeitpunkt des Colorado-Wahlsieges 1966 amtierte Oberst Berta als dem Innenministerium zugeteilter Unter~ suchungsrichter. Wenig später war zu erfahren, daß das ver­dienstvolle Mitglied der Colorado- und Batllisten-Union Ale­jandro Rovird zum Staatssekretär für Inneres im Kabinett des Generals Gestido ernannt werden sollte.

Ich erwähnte schon, daß die Abteilung Öffentliche Sicherheit zwei sichtbare Büros hatte: Eines, untergebracht im Polizei­präsidium und für den Kontakt mit· den Repressiv- un~ Ge­heimdienstkräften bestimmt, gestattete die unmittelbare Über­wachung der polizeilichen Aktivitäten; das andere im AID­Haus an der PaysandUiEcke Paraguay diente administrativen Zwecken und wurde auch für vertrauliche Besprechungen genutzt. Saenz residierte unterschiedslos an beiden Orten, so daß ich ebenfalls pendelte.

Kurz vor Gestidos Amtsantritt weilte ich eines Nachmittags im Büro in der Paysandu. Saenz war sehr nervös, das passierte damals öfter und deutete darauf hin, daß ihn gerade eine Liebesaffäre beschäftigte.

Vermutlich handelte es sich um Brenda Memoli, die Bi­bliothekarin der Mission und Freundin Juan Noriegas. Brenda, eine U ruguayerin, hatte auf eine etwas außergewöhnliche Weise das USA-Visum erhalten und schickte sich an, in die Ver­einigten Staaten zu reisen. Falls irgendein Bürokrat merkte, daß das Visum gefälscht war - einige Botschaftsbeamte wußten davon -, würde esÄrger geben. Ob Saenz die Sache nun ausbügeln wollte oder ob es nur um eine simple Dreiecks­geschichte ging, bekam ich nie heraus.

Als ich bei Saenz eintrat, sagte er mir, er habe einen wichtigen Auftrag für mich, und übergab mir einen Aktenkoffer. Er enthalte einen v.?r~ang, den ich. sogleich zwein:al auf .dem Thermokopiergerat - es stand elO Stockwerk tiefer bel der

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Allgemeinen Verwaltung der AID - ablichten solle. mich beeilen. Käme Oberst Berta, ehe er zurück sei, einen Satz Kopien in einen Umschlag stecken und ihm diesen samt den Originalen und dem Aktenkoffer aushändigen. Wenn er fragte, wieviel Kopien angefertigt worden seien, sollte ich ihm antworten, die Zeit hätte nur für je eine gereicht. Den zweiten Satz möchte ich in die Mappe legen, die ich im Mittel­fach von Cantrells Schreibtisch fände.

Am Abend klärte mich Saenz ein wenig näher über jene sonderbare Prozedur auf. Alles erzählte er mir nicht, aber er wußte ja auch nicht, daß ich den Fall Rovira gut kannte und· sogar bei den Ermittlungen in der Wechselstube mitgewirkt und eine geschädigte Prostituierte befragt hatte. ..

Kurzgefaßt sagte er folgendes: Oberst Berta mache sich' Sorgen wegen seiner Teilnahme am Verfahten gegen Rovira und wolle sich vor möglichen Repressalien schützen. Die gesamten

• bisherigen Untersuchungsergebnisse einschließlich der Zeu­genaussagen - der vervielfältigte Vorgang - belegten, daß korrekt ermittelt worden sei.

Dennoch befürchte er, daß Rovira die Akte verschwinden lassen werde, sobald er das Staatssekretariat übernommen habe. Also habe er die Unterlagen heimlich aus dem Ministe­rium mitgehen lassen, damit sie kopiert werden konnten, bevor es zu spät sei, und sie dann wieder zurückgebracht.

Oberst Berta hatte Saenz anläßlich des ersten Qualifizie" rungslehrgangs - er war in Salto durchgeführt worden..;.. kennengelernt und wußte, daß die Mission ein Schnellkopier~ gerät besaß. Vielleicht wollte Berta auch nur die USA-:Bot.';; schaft rechtzeitig und in der irrigen Annahme informieren,sie würde sich für ihn einsetzen, falls er Schwierigkeiten bekam.

Während ich meine Arbeit erledigte, achtete ich darauf, ob unterdessen Saenz oder der Oberst kam. Ro~ira hatte sich niCht nur am Wertmarkengeschäft bereichert. Er besaß eine geradezu krankhafte Schwäche für Prostituierte; das wußte ich bereits, aber jetzt hielt ich etwas Konkretes in der Hand. Unter Miß ... brauch seiner Befugnisse im Meldeamt hatte er brasilianische· und andere ausländische Staatsbürger unter Druck gesetzt und mit der Deportation bedroht. Der ermittelte Tatbestand war wirklich abstoßend. So hatte Rovira ein Verhältnis mit einer Uruguayerin, die sich gelegentlich mit Prostitution abgab,

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gehabt. Sie hatte ein Kind von einem Ausländer bekommen, der sie anfangs verließ, aber später wieder mit ihr zusammen­leben wollte.

Rovira als Direktor des Ausländermeldeamtes erteUte die' beantragte Aufenthaltserlaubnis unter der Bedingung, daß ihm die Frau weiterhin zu WUlen war. Sollte sie sich weigern, würde er den Kindesvater zwangsweise über die Grenze abschieben lassen. Die Akte enthielt sämtliche Zeugenaussagen zu diesem skandalösen Fall und zu weiteren Nötigungen.

In der EUe, endlich fortzukommen, verletzte Saenz wieder einmal die Geheimhaltungsbestimmungen. Dafür hätte er längst bestraft werden müssen, und ein anderer Botschafter hätte ihm solche Verstöße bestimmt nicht nachgesehen. Wie­derholt hatte die Nachtkontrolle festgestellt, daß der Stahl­schrank in seinem Zimmer nicht verschlossen war. Beim letztenmal hatte ihn der diensthabende Sergeant frühmorgens um zwei geweckt und gezwungen, sofort mit, ihm zur AID­Vertretung zu fahren, wo er dann fluchend Inventur machte und einen Bericht verfaßte. '

Im mittleren Schub seines Schreibtischs lag tatsächlich eine Mappe mit der Aufschrift >}Rovira«. Im Nebenfach befand sich eine ähnliche, aber aus dünnerer Pappe und mit einem dia­gonalen roten Streifen, der das Wort >}CLASSIFIED« (Streng geheim) hervortreten ließ. Es war nicht außergewöhnlich, daß er derartige Mappen in seinem Schreibtisch liegenließ.

In der ersten Zeit fürchtete ich, das sei eine Falle. Später begriff ich, daß es aus reiner Nachlässigkeit geschah. Diesmal handelte es sich um die Q-Mappe der Akte Rovira, also das Inhaltsverzeichnis des Dossiers. Gewiß widersprach es der Logik anzunehmen, daß Rovira irgend etwas gegen die T ätig­keit der Mission einzuwenden hatte, trotzdem gab es für alle Fälle Mittel, die ihn davon überzeugen konnten, daß ihm gar nichts anderes übrigblieb, als mit den Yankees zusammen­zuarbeiten.

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,',Information und Aufklärung"....; ein CIA-Produkt

Die Geschichte des Amtes für Information und Aufklärung unterlag entsprechend der jeweiligen politischen Konstellation', mannigfachen Einflüssen, so daß ihre Erläuterung zweckmäßig erscheint. ' "

Im März 1967 übernahm Oberst a. D. Raul Barlocco die " Leitung des Polizeipräsidiums Montevideo. Er hattemöglieftet';," weise gute Vorsätze, aber keinen Sinn dafür, daß 25 Jahre seit .. seiner Ernennung zum Chef der Feuerwehr vergangen Wareu.

Hervorzuheben ist, daß die nordamerikanischenPolli:ei~ berater nie viel von ihr hielten. Doch die uruguayische Feuer, wehr stellte ~ nach französischem Vorbild aufgebaut....,. eine disziplinierte und schlagkräftige mUitärisch ' , ',' , Truppe dar, nur ihre Ausrüstung war in letzter Zeit kaum, modernisiert worden. Während der dreißiger Jahre karilihr solche Bedeutung zu, daß Präsident Terra seinen Staatsstreich; allein auf sie gestützt, zuwege brachte.

Der 0 berst versuchte, korrekt und energisch vorzugehen und d.ie Moral des Polizeipersonals zu heben. Dabei. vergaß er abel;/ steh um verbesserte Lebensbedingungen der materiell schlecht gestellten Polizisten zu kümmern. Auch verstand er es nicht, die ihm direkt nachgeordneten Beamten und Offiziereztl kontrollieren, so daß er auf der ganzen Linie scheiterte. "

Andererseits widersetzte er sich der US-amerikanischen Unterwanderung. Oberst Acufia, sein Stabschef und Vertrauter, verriet ihn jedoch. Desillusioniert und von zunehmenden Repressionspolitik angewidert, reichte er schließ-lieh seinen Rücktritt ein. '

Das Durcheinander der ersten Tage nach der Amtsüper:'" nahme erleichterte Acufia und der Mission die Arbeit. Die Colorado-Mannschaft mußte Posten neu besetzen Gewährs.::: leute unterbringen, das Präsidium dirigieren lern~n und Präsidenten konferenz in knapp sechs Wochen vorbereiten. Acufia war Heeresgeheimdienstchef gewesen und hatte mehr vor, in der Polizei einen ebenso perfekten f\piparat alt", zuziehen.

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Atilio Galan, Kriminalanwärter und Acuna sehr ergeben, schien von dem Plan gehört zu haben, denn gemeinsam mit seinem Freund Nelson Bardesio, auch aus dem Kriminatamt, erarbeitete er einen Entwurf für die Organisation des Polizei­geheimdienstes und legte ihn dem neuen Stabschef v~r. . .

Bardesio - ders"elbe, den die Tupamaros 1972 fur ellllge Monate entführten und danach wieder freiließen - und Galan waren zwei junge Leute, die offenbar viele Romane gelesen hatten. Jedenfalls waren sie gebildet, wollten vorwärtskommen und zeichneten sich durch Fleiß und Elan und 'nicht zuletzt durch ihre zahlreichen und vortrefflichen Beziehungen aus. Galan hatte sie als Sohn des gleichnamigen Expolizeipräsiden­ten, während Bardesios Vater eng mit dem Senator der Liste 15, Hector Grauert, liiert war. Als Cantrell davon erfuhr, begann er sie zu ermuntern und in seinem Arbeitszimmer zu empfan-, gen.

All das führte zusammen mit dem Widerstand, auf den die Schaffung des neuen Geheimdienstes bald stoßen sollte, und natürlich Intrigen dazu, daß zwei Kriminalanwärter einen ihrem Rang unangemessenen Einfluß und Einblick in die Zusammenhänge erlangten.

Nach dem Präsidentengipfeltreffen wurde beschlossen, erste Maßnahmen zum Aufbau des neuen Apparats einzuleiten, und Oberst Acuna, Cantrell und Noriega wählten jene fünf Beamte aus, die sie für die Spitzenfunktionen geeignet hielten.

N oriega ließ sich praktisch in Acunas Büro nieder. Er woll ~e möglichst persönlich unterbinden, daß Subalterne nach Wei­sungen von Kommissar AlejandroOtero, Leiter des Dezernats Aufklärung und Verbindung im Kriminalamt, arbeiteten.

Gleichzeitig delegierte die Mission diese fünf zu einem Sonderlehrgang in die Vereinigten Staaten, damit dort ihre Tauglichkeit für die neuen Aufgaben festgestellt wurde.

Zu den für die Leitung vorgesehenen Beamten gehörte In­spektor Piriz Castagnet. Damals ohne Planstelle, stand er zur Verfügung. Während der Konferenz von Punta del Este war es ihm durch sein Auftreten und seine Zusammenarbeit mit den Yankees gelungen, Eindruck zu schinden. Obwohl »weiß« vorbelastet, sah man in ihm einen Professionellen außer halb der traditionellen Parteibindungen, da er solche als Gefühlsduselei bezeichnete.

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Robust, bedächtig, aber schlau, glich er einem Walroß, hoffte, auf einer Eisscholle in Ruhe leben zu können. Er ver­fügte über keine nennenswerten Beziehungen und hing völlig von Cantrell ab, wenn er in der ihm zugedachten Dienststellung verbleiben wollte: Leiter des neuen Amtes, solange es innerhalb der Polizei aufgebaut wurde.

Der zweite Kandidat war Unterinspektor Aldo Conserva, Literaturdozent an der Höheren Polizeischule Uruguays,ein hochgebildeter Mann, dem in der künftigen Leitung diemeistefl J

analytischen Fähigkeiten zugeschrieben wurden. Er war spin.;. deldürr und hatte Manieren, die einen entfernt an Sherlock Holmes erinnerten. In seinen Bewegungen glich er eher einem Geiger als einem Geheimdienstbeamten. Da der Dozent vor Jahresfrist noch mit Vasconcellos sympathisiert hatte, wurde seine Kandidatur streng überprüft. Schließlich gab Cantrell einen für ihn günstigen Bericht.

Als letzte Polizeibeam te wurden die Kommissare Juan Matia Lucas und Jose Pedro Macchi nominiert. Der eine war der »hübsche Bursche« aus den Hollywood-Filmen, der andere der »große Galan«. Beiden klebte schon Blut an den Händen. Lucas, ein junger und intelligenter Beamter, leitete in Mon­tevideo das 9. Kommissariat. Macchi war seinerzeit als »Roter« von Aguerrondo verfolgt worden und fast unter die Räder; . gekommen. Aber Micale hatte ihn noch rechtzeitig in 'die Kommission zur Schmuggelbekämpfung, die beim Innenmini­sterium bestand, versetzen können. Als die Regierung im MärZ '. wechselte, reklamierte er seinen alten Posten mit allen· Be.:: förderungen, die ihm gebührt hätten, wäre er im Polizeiprä­sidium geblieben.

Der fünfte Auserkorene war ein Militär, und zwar Oberst- . leutnant Legnani, Verwandter des neuen Innenministers, Di­rektor der Departementspolizei Canelones und Schlüsselfigur in Acunas Plänen.

Nun wurde sichtbar, daß ein Am t mit zentralen Funktionen, eine auch auf andere bewaffnete Kräfte und deren Geheim­dienste übergreifende Behörde entstehen sollte. Das aber lehnte Oberst Barlocco ab, sei es, daß er eine bescheidenere Organi;" sation im Rahmen des Präsidiums wünschte oder weil ihm die Präsenz der Nordamerikaner allmählich lästig fiel. Vielleicht steckte auch etwas anderes dahinter. .

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Die fünf Lehrgangsteilnehmer waren unterdessen aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt. Acufia erwirkte, daß sie vorläufig freigestellt und nicht eingesetzt wurden. Lucas erhielt sogar bezahlten Sonderurlaub, aber wenig später befahl ihm Barloccö, sofort sein Kommissariat wieder zu übernehmen, und fügte hinzu, die Verwendung beim Geheimdienst könne er sich aus dem Kopf schlagen.

Angesichts dieser Behinderung mußte eine höhere Ebene 'eingeschaltet werden, und der Leiter der Politischen Abteilung der USA-Botschaft, McClausland, trug das Problem dem 1n­nenminister vor. Legnani erklärte dem Diplomatenchef der CIA-Leute, er habe gegen den Wunsch der Nordamerikaner, die vorbereitenden Arbeiten fortzusetzen, nichts einzuwenden, doch sie möchten jeden Zusammenstoß mit Oberst Barlocco vermeiden, da der Oberst mit Präsident Gestido und seinem Verteidigungsminister, General Franceses, eng befreundet sei.

Legmini sagte weiter, er könne das Vorhaben aus politischen Gründen weder genehmigen noch öffentlich unterstützen: Nach diesem Gespräch wurde Noriega zum Verbindungsmann zwischen der im Präsidium formierten Gruppe und dem' Mi­nister bestimmt, während Cantrell ihre Tätigkeit beaufsichti­gen sollte.

Kommissar Otero, der die Hoffnung aufgegeben hatte, Direktor des neuen Amtes zu werden, brach endgültig mit der CIA und sabotierte fortan das Projekt. Dabei konnte er sich auf den Chef der Mission, Saenz, stützen, weil der gleichfalls seine Autorität und seinen Einfluß innerhalb des Polizeiprä­sidiums schwinden sah.

Die Situation wurde noch gespannter, als sich Saenz wei­gerte, die Delegierung des nächsten Lehrgangskandidaten, des Kriminalassistenten Lemos Silveira, zu bestätigen. Später sollte die C1A die Machtprobe gewinnen, und Lemos würde die USA-Reise antreten, allerdings nur zur Internationalen Polizei­Akademie und nicht zu einem Speziallehrgang der CIA.

Saenz hatte mit Rückendeckung durch die A1D verkündet, die reguläre Polizei dürfe nicht zu sehr geschwächt werden und Cantrell möge die Spezialausbildung in Montevideo selbst durchführen.

Einstweilen verblieb Lemos im Dezernat Aufklärung und

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Verbindung, und Kommissar Otero untersagte' während des Dienstes oder in den Bürostunden autZtISücu<;n:., Deshalb mußten die Zusammenkünfte spätabends oder Lemos' Freizeit abgehalten werden~ Sie fanden in Cantl'ellls. Arbeitszimmer statt, und da dieser noch nicht spanisch OIJLLL'-'L'

dolmetschte ich, wenn Noriega verhindert war. Bei späteren Beratungen dieser Art mit anderen Leuten

wurde das zur Gewohnheit, bis mich Saenz daran erinnert~, daß ich bei der A1D und nicht bei der. Politischen Abteilung a1'l'" gestellt sei und somit bitteschön in der Geschäftsstelle zu ten habe.

Entsprechend Cantrells Direktiven begannLemos, im,!)e: zernat seines Chefs Otero Personal auszuwählen, das zuny gegebenen Zeitpunkt in das neue Amt versetzt werden konnte, Als neue Figur nahm an allen Fragen Sergeant Vazquez, Se .. kretär und guter Freund Oberst Acufias, regen Anteil, hQrfte er doch, daß bei der Gelegenheit auch für ihn etwas-Lukratives heraussprang. .

Die Beteiligten handelten nach dem Rat des Ministers und. vermieden frontale Zusammenstöße mit dem Polizeipräsideu"": ten, so daß sich ihre Lage zunächst nicht veränderte. Gruppe quartierte sich halb illegal in einem kleinen Raum den ihr Lucas im 9. Kommissariat bereitgestellt hatte. Dort führten Cantrell und Noriega schließlich die '. durch.

Außerdem hatte Cantrell Acufia überredet, die l'>1.11HllUGtilGttJ,.c.

wärter Galan und Bardesio zu der Dann würde nur ein Mann ausfallen, nämlich Conserva, wieder an der Polizeischule unterrichten' mußte. Cantrell nicht davon ab, die beiden jungen Leute zu Spitz1enl(ötlOe,1'il:'; hochzutrimmen. Sie glaubten schon, alles drehe sich nur um sie, bis das Maß voll war und sie zu spüren bekamen, sie keinen anderen Rang als den von bloßen Anwartern u",'e"",,,. Die zwei versuchten aufzubegehren, aber sie wurden zur gebracht und kehrten vorläufig ins Kriminalamt zurück.

Acufia und Cantrell verfolgten unbeirrt ihren Plan. leutnant Legnani wurde zum stellvertretenden Chef des zeihauptstabes ernannt. Barlocco gab sich keinen mehr hin; er fühlte sich alt und erschöpft. Sein lan,~W:l,nrJ.g@l~,/ Gefährte und Verbündeter, General Gestido, war ... P(· ... At·hp.,..

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Das veranlaßte ihn endgültig, seinen Rücktritt einzureichen. Seine Stelle übernahm Oberst Aguirre.

Darauf wurden Piriz Castagnet, Conserva, Lucas, Macchi, Bardesio und Galan kommissarisch zum Hauptstab versetzt, wobei Bardesio ausschließlich Cantrell zur Verfügung stand. Lemos wurde später in die Gruppe eingereiht .

. Dennoch lähmten die Furcht vor einem politischen Skandal, Oteros Machenschaften, Saenz' Sabotage und das Tauziehen zwischen Militärs und Polizeibeamten den Fortgang des Pro­jekts.

Erst im August 1968 verfügte der neue Innenminister Eduardo Jimenez de Arechaga, die Gruppe solle sich eigene Diensträume suchen. Aber selbst diese Anweisung erteilte er mündlich und mit der Einschränkung, daß das Ganze inoffiziell geschehen müsse.

Nach intensiver Suche einigte man sich darauf, daß das Polizeimuseum der geeignetste Ort sei. Es lag neben Lucas' Kommissariat nahe der Straßenkreuzung A venida 18. Juli und Juan Paultier. Die Gruppe disponierte vorausschauend, denn sie plante bereits, künftig das ganze 9. Kommissariat mit zu belegen.

Ungeachtet des fehlenden legalen Status nahm das neue Amt allmählich Gestalt an. Doch solange Otem nicht abgesetzt war, behielt sein Dezernat für Aufklärung und Verbindung den größeren Teil des Personals, und beide Dienststellen funk­tionierten parallel.

Diese Situation kam den Nordamerikanern nicht ganz un­gelegen, gestattete sie ihnen doch, weiterhin sorgfältig nur ihnen genehme Leute auszuwählen und die übrigen bei Otero zu belassen. Er durfte die verwaltungstechnischen und opera­tiven Aufgaben lösen, während die eigentliche Geheimdienst­arbeit dem neuen Amt vorbehalten blieb.'

Ursprünglich beabsichtigten die Yankees und Oberst Acufia, ein Nationales Hauptamt für Aufklärung zu schaffen, dessen Chef dem Innenminister oder gar dem Präsidenten der Republik unterstand.

Jene Behörde sollte die Aktivitäten aller uruguayischen Geheimdienstorgane koordinieren. Den Nachrichtendiensten der Streitkräfte wäre zwar eine teilweise Autonomie ein­geräumt worden, aber auch sie würden, neben ihren Vor-

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gesetzten, der zentralen Behörde gegenüber berichtspflichtig sein. Sie allein sollte die einzuschlagende Politik bestimmen sowie über die nötigen Kontrollmechanismen verfügen.

Allerdings gab es einen Umstand, der den Aufbau des an­gestrebten Hauptamtes wesentlich beeinträchtigte.

Interne Meinungsverschiedenheiten

Einer verbreiteten Ansicht zufolge betätigt sich das FBl in­nerhalb der territorialen Grenzen der Vereinigten Staaten. Vor·

, einigen Jahren fing es jedoch an, seine Aktivitäten unter ver­schiedenen Vorwänden, daninter der Auslegung von nord':: amerikanischen Gesetzen, auf andere Länder auszudehnen.

Natürlich widersetzte sich die ClA dem Einfall in ihr Ak­tionsgebiet, obwohl sie paradoxerweise eine umgekehrte Ein­mischung betrieb. Die Regierung der USA akzeptierte diese . Tendenz und ging aus Gründen außenpolitischer Taktik auf den Vorschlag des State Departement ein, der AlD einen Bereich für Sicherheitsfragen anzugliedern. Er sollte in den betroffenen Ländern als die von mir bereits beschriebene . Abteilung Öffentliche Sicherheit bekannt werden.

Das Personal des neuen Bereichs rekrutierte sich über­wiegend aus aktiven oder »beurlaubten« FBl-Angehörigen. Nun unterstehtdieAlD dem Außenministerium, und so wider­spiegelten sich in ihrer Politik die Rivalität und die taktischen Gefechte zwischen State Departmcnt und ClA. Eine der Meinungsverschiedenheiten betraf die Form, in welcher die Repressivkräfte eines bestimmten Landes zu beeinflussen seien.

Die CIA trachtet nach einer direkten und unverzüglichep Kontrolle und, wenn nötig und möglich, der unmittelbaren Befehlsgewalt bei Operationen. Das Außenministerium hin­gegen zieht es vor, die Effektivität jener Kräfte zu erhöhen und sie erst danach durch wirtschaftlichen Druck und über hörige Regierungen indirekt zu steuern.

Ich erwähnte bereits, wie krankhaft empfindlich Adolph Saenz war und daß er sich immer wieder in seiner Autorität

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bestätigt sehen mußte, um seine psychische Labilität zu stüt­zen. Saenz, der Leiter der Abteilung Öffentliche Sicherheit, wußte, daß Cantrell CIA-Agent war, doch als Kenner des Modus operandi maß er dieser Tatsache anfangs keine sonder­liche Bedeutung bei.

Cantrell freilich urteilte und handelte alsbald sehr selbstän­dig. Er erfüllte gewissenhaft Saenz' Weisungen, was die Auf­gaben der Abteilung Öffentliche Sicherheit betraf, aber er gewährte ihm nicht den geringsten Einblickin das Arbeitsfeld der Politischen Abteilung.

Als der Aufbau des Amtes für Information und Aufklärung begann, trat die Krise offen zutage. Obschon das neue Amt voll der CIA-Zuständigkeit unterläge, stand doch gleichfalls fest, daß es im Rahmen der Struktur und mit Beamten des Polizei­präsidiums, das zweifellos zum Verantwortungsbereich der AID gehörte, aufgebaut wurde; insofern erwartete Saenz, daß er konsultiert werde. .

Zuerst machten sich harmlose Unstimmigkeiten bemerkbar. So hatte Saenz - noch vor den Wahlen 1966 - Cantrell ermahnt, daß er zu viel Ze~t in der Botschaft verbringe, statt sich im Präsidium aufzuhalten. Cantrell korrigierte sich, aber in seiner scheinbaren Fügsamkeit lag eine Herausforderung, die auffällig zu Bernals Unterwürfigkeit kontrastierte und von Saenz weder übersehen noch falsch gedeutet werden konnte.

Als die Präsidentenkonferenz nahte, berührten die Ausein­andersetzungen wichtigere Fragen. Saenz ließ aus dem Per­sonalbestand des Polizeipräsidiums ein nicht uniformiertes Eingreif- oder, besser gesagt, Schlägerkommando aufstellen, das Provokationen in Montevideo anzetteln sollte. In diesem Fall konnte er sich auf Richtlinien, die der Botschafter per­sönlich ausgegeben hatte, berufen, und da Cantrell vorüber­gehend verschwand, löste sich die Spannung von selbst.

Aber der Streit mit der CIA als Institution setzte sich ~ährend der Konferenzvorbereitung fort, und nur die Ankunft des Secret Service verhinderte den Ausbruch offener Feind­seligkeiten. Der Secret Service, der für den Präsidentenschutz der Vereinigten Staaten absoluten Vorrang hat und sämtlichen Sicherheitsorganen und -Amtspersonen gegenüber, einschließ­lich Regierungsmitgliedern und hohen Militärs, .weisungs­berechtigt ist, übernahm einige Tage vor dem Eintreffen John-

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sons den Befehl über. alle Maßnahmen und letzte Konsequenzen der internen Rangelet

Es kam natürlich der Zeitpunkt, da Saenz begriff, daß er nicht in den Aufbau des neuen Polizeiamtes einmischen durfte. Er' wagte es nicht, die Arbeiten direkt zu sabotieren, aber<'!r. belastete Cantrell durch zusätzliche Aufträge dermaßen,'daß Noriega diesem bei der Spezialausbildung im Polizeimuseum und später im 9. Kommissariat helfen mußte.

Zugleich versuchte Saenz, einen ähnlichen Informations"' und, falls es klappte, Aktionsapparat zu schaffen. Obwohl er wußte, daß er auf dem Gebiet niemals mit der CIAkonkur­rieren könne, tat er es dennoch. Er wollte seine Wirksamkeit herausstreichen und vor dem Botschafter mit eigenen Infor.;· mationen glänzen. Das war eine klare Verletzung der althet .. gebrachten Rollenteilung.

Als sich die Politische Abteilung beschwerte, erklärte Saenz, die Zusammenarbeit mit dem Präsidium habe sich ganz normal erweitert. Solange Hoyt Botschafter war, gab er dem Missiöns-" chef im allgemeinen recht. Selbstverständlich hätte die CIA versuchen können, dem Botschafter, au<th wenn er als höchste. Autorität im Lande angesehen würde, irgendwie beizuköm.:' men, aber bei einem starken Außenminister in der Regierung; - und das war Rusk unter Johnson - wurde fast immer der Standpunkt des Botschafters gebilligt.

Hoyt starb 1968, und seinen Posten übernahm Sayre, ein CIA-Mann. Fortan verminderte sich Saenz' Einfluß in dieser und in anderen Fragen. .

Ich geriet unversehens zwischen die Widersacher, weil ich eine gewisse Bedeutung fÜr sie erlangt hatte. Einige Intetna aus dem Polizeipräsidium Montevideo mögen das veranschaiJlf;; chen.

Es gibt Probleme, die - so viele Weisungen die Leitung auch erteilen und so groß die Aufmerksamkeit der Vorgesetzten auch sein mag - ohne den guten WUlen desjenigen, der sie erledilgen. soll, einfach nicht mit dem gewünschten Ergebnis werden. Um in der Polizeigarage ein Auto halbwegs u~ .... ~~ repariert zu bekommen, brauchte man einen Sondetauftrag Inspektor Carreras. Dennoch war es ratsam, anschließend mit dem Mechaniker zu sprechen, wenn man den Wagen zum. Cl;;

hofften Termin zurückhaben wollte.

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Die Leitung ließ in den Werkstätten Schlagstöcke für den Lehrgang im Departement Salto anfertigen. Da sich die Tischler nicht sonderlich beeUten, wäre die vorgesehene Aus­bildung beinahe ausgefallen. Dergleichen Fälle mehr könnte ich für jede Dienststelle und jede Einrichtung aufzählen, seien es die verschiedenen Werkstätten, die Kantine oder das Zentralar­chiv.

Unsere Räume wurden nicht auf Veranlassung von Saenz oder eines Amtsdirektors saubergemacht, sondern weil es die fajineros - die Soldaten vom Reinigungskommando der Armee - einer der Mission zugeteilten uruguayischen Schreibkraft zuliebe taten.

Die Nordamerikaner trachteten natürlich danach, solche für sie wichtigen einfachen Angestellten für sich einzunehmen, und Bernal gelang das häufig. Aber eine Schranke konnte auch er nicht überwinden: Er war USA-Berater und damit sogar für viele Beschäftigte des Präsidiums ein Symbol fremder Vor­herrschaft.

Ich war trotz meines Status als ExUkubaner bei allen Nachteilen, die einem selbst im Pblizeipräsidium daraus er­wuchsen, immerhin Lateinamerikaner. Das subalterne Perso­nal durfte mich als einen der ihren betrachten und konnte sich auch einfacher mit mir verständigen. Für Bernal dagegen war es beispielsweise undenkbar, mit jemandem in die Eckkneipe zu gehen und eine grappa - einen uruguayischen Branntwein -zu trinken. Er konnte sich keine Späßchen erlauben. Ob er es nicht durfte oder von sich aus nicht wollte, war dabei neben-sächlich. .

Als Geschäftsstellenleiter bildete ich eine Art Brücke zwi­schen den Beratern und der Polizei. Ich war Angestellter der Mission, aber kein Berater; ich war kein Uruguayer, aber wenigstens auch kein Yankee. Ich kannte die Mentalität der uruguayischen Angestellten, die der Mission zugeteUt waren; ich konnte sie ohne größere Schwierigkeiten anleiten und kontrollieren.

Außerdem gereichten mir jene Beziehungen zum VorteU, die ich früher zu alten Berufsbeamten des Innenministeriums und zu führenden Leuten des politischen und gesellschaftlichen Lebens angeknüpft hatte. Die Bekannten im Ministerium waren daran gewöhnt, mich ständig mit Micale zusammen zu .

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sehen. In Gedanken brachten sie mich mit ihm in Velrbitidull;lg, ich erinnerte sie gleichsam an »die guten Zeiten mit Micale«.

Wollte die Mission im Ministerium irgendeine Sache be:': schleunigen oder in die Wege leiten, bat Saenz mich, das zu regeln. Er konnte es offiziell veranlassen und setzte auch seine gekauften Subjekte - oder solche, die danach gierten, sich zu verkaufen - an, darüber hinaus war aber jedesmal eine freund­schaftliche Geste empfehlenswert.

Nach näherer Bekanntschaft mit Saenz wurde mir klar, warum er mich für ein relativ wichtiges Teilstück seines Ge..; triebes hielt. Ich konnte die Verwaltungsarbeit in der Mission abwickeln und bestimmte Dinge vermitteln, heikle Telefon ... gespräche entgegennehmen und schließlich als Anlaufpunkt dienen, wenn er und die anderen Berater nicht anwesend waren.

Der Umstand, kein Uruguayer zu sein, befreite mich von der Fessel besonderen Respekts, wie der, kein Yankee zu sein, mich nicht als möglichen Rivalen in Betracht kommen ließ. In Bernal, in Cantrell, in jedem Berater, in jedem Nordamerikaner erblickte Saenz einen Anwärter auf seinen Posten. Ferner spielte eine Rolle, auf welche Weise wir uns vor zwei Jahren anläßlich des Besuchs der Funkexperten kennengelernt hatten. Er kannte mich als Freund Micales, mit dem ihn noch immer persönliche und geschäftliche Beziehungen verbanden.

Saenz beging unverständliche Indiskretionen./Er mußte alles kommentieren. Manches, was er sagte, war reiner Blödsinn, anderes entsprang Intrigen; mitunter gab er sich aber auch ernsthaften Erörterungen hin.

Es war schwer, mit jenem Paranoiker vernünftig auszukom" men. Als er 1967 aus dem Urlaub zurückkehrte, begann sich meine Lage zu verschlechtern. Während seiner Abwesenheit hatte Cantrell den Dienstbetrieb im Büro reorganisiert, weiler etwas Ordnung in das offensichtliche Chaos bringen wollte, Saenz traf in gereizter Stimmung ein. Verärgert knurrteet, wenn er nachtragend wäre, würde er uns - Cantrell,Bernal und mich - wegen eigenmächtigen Handelns zur Rechenschaft ziehen.

Andererseits legte er eine gewisse Sicherheit an den Tag, hatte er doch den Rückflug in Bolivien unterbrochen, um dort an Sonderaufgabenmitzuwirken. Aber dieses Selbstgefühl schwand bald dahin.

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Während Saenz in Urlaub war, hatte ich neben der normalen Büroarbeit im Auftrag Cantrells einige Übersetzungen für die Politische Abteilung angefertigt. Zuvor war ich natürlich »polygraphisch« überprüft worden. Cantrell hatte mir die Überstunden flUS Mitteln der Mission bezahlt. Nach der Rück­kehr des Chefs informierte er ihn und sagte, wenn er nicht damit einverstanden sei, werde die Politische Abteilung die Über­stunden übernehmen: Saenz erwiderte, er genehmige. die zu­sätzlichen Arbeiten, nur müsse die Mission sie auch künftig bezahlen. Durch solche Maßnahmen behielt er die Kontrolle.

Im März 1968 bot mir Cantrell einen Posten in der Politischen Abteilung an. Es handle sich um eine sehr wichtige Aufgabe, meinte er und versicherte mir, auf die Dauer werde meine Lage bei Saenz ohnehin unhaltbar.

Folglich ßollte meine Mitarbeit im parallelen Apparat auf diese Weise CIA-amtlich bestätigt werden.

Am Lügendetektor

Der Weg von den ersten Übersetzungen für S~enz über die Leitung der Geschäftsstelle der Mission bis zur Ubernahme in die Politische Abteilung fiel mir keineswegs leicht. Schwierig­keiten und Augenblicke der Angst waren meine ständigen Begleiter, während ich Stufe um Stufe höheren Anforderungen genügen mußte. Gleich am Anfang - bei Cantrell - war ich meinen alten Bekannten wiederbegegnet: den Fragebogen.

Ich erinnere mich noch an den ersten Vordruck, den ich ausfüllte. Er enthielt eine Frage zu meiner rechtlichen Stellung in Uruguay; das zwang mich, über die Antwort nachzuden­ken.

Ich war als Tourist eingereist und hatte wenige Tage danach eine Daueraufenthaltsgenehmigung beantragt.

Durch den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Kuba verzögerte sich die Übersendung der geforderten Aus­kunftaus dem Strafregister. Wegen der guten Beziehungen, die ich zum Innenministerium hatte, kümmerte ich mich jedoch nicht sonderlich um die bürokratische Abwicklung meines

. Antrags.

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Außerdem war ich einer von Tausenden in einer ähnlichen Lage befanden. Den lokalen Behörden gegen..; über erklärte ich damals jedenfalls, daß ich mich für immGr Uruguay niederlassen wolle. Ich tat genau das Gegenteil von· dem, was sich die Nordamerikaner vorstellten. Kurz darauf· erfuhr ich, daß sie nicht an Leuten interessiert waren, die eine. allzu große Verbundenheit oder Loyalität zu ihrem Aufent­halts- oder Heimatland bekundeten.

Dann kam die Zeit, da Cantrell »zwanglose« Gespräche führen mußte, die in schlecht verhüllte und geiielte Verhöre übergingen. Der Kriminalistikberater erwähnte nicht im ge" ringsten meine früheren Unterredungen mit »Uns« inden· Vereinigten Staaten. Er stellte sich wahrhaftig so an, als nähme; • er den ersten Kontakt mit mir auf. Demzufolge ließ auch ich nichts von alledem verlauten, sondern richtete mich nach der· Instruktion von » Thomas« N r. 2, meine Beziehungen nur <:tann zuzugeben, wenn man mich direkt und ausdrücklich in seinem Namen danach fragte. .

Eine harte Bewährungsprobe war zweifellos meine Über­prüfung mit dem Polygraphen - ich habe die Szene eingangs kurz geschildert. Vorangegangen waren Nachforschungen bei meinen Nachbarn, bei meinen Bekannten und selbst an Orten, die ich gewöhnlich aufsuchte. Reine Routine das Ganze.

Ich wußte auch, daß meine Post und mein Telefon überwacht wurden. Daran fand ich nichts Besonderes, wurden doch selbst. Leute wie der Sohn von Oberst Acuiia derart bespitzelt. Wes: halb sollte man ausgerechnet mich auslassen?

An jenem Tag Mitte 1967, während der Techniker die Apparatur vorbereitete, unterhielten Cantrell und ich unsi111 Empfangsraum der Botschaft. Freimütig erklärte er mir,daß der Polygraph - ein Meß- und Schreibgerät - Veränderungen des Blutdrucks und der Atmung registriere. Seine Wirkungs.;. weise beruhe auf der Theorie, daß die geistigen Anstrengungen eines Menschen, der lügt, bei ihm zwangsläufig physiologische Reaktionen auslösen. Ich müsse also verschiedene Fragen beantworten, und danach würde eine ganze Serie von Kurven vorliegen, die Aufschluß über mein Verhalten gäbe. Der perte wisse zwischen Abweichungen zu unterscheiden, infolge erhöhter Belastung beim Lügen auftreten, und sol.ch~;h,: .. :

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die ein Ergebnis der bei derartigen Prozeduren unvermeidlichen Erregung sind. Die Messungen würden mehrmals w~ederholt, um Bezugsgrößen oder eine Norm zu erhalten. Die Fragen wären stets die gleichen; der Techniker würde sie nur anfangs in gleicher Reihenfolge stellen, später nicht mehr. .,

Nach dieser kurzen Einleitung, sagte er, werde er mir d1e »)Interviewfragen« vorlesen. Ich solle mich bei den Antworten auf ein knappes Ja oder Nein beschränken. Hegte ich an der Form einer Frage den leisesten Zweifel, möge ich es ihm sagen, damit sie neu formuliert werden könne. So kam es, daß wir die Frage »)Haben Sie. für ein anderes Land als die Vereinigten Staaten nachrichtendienstHche Aufträge ausgeführt oder dienstliche Informationen weitergeleitet?« in »)Haben Sie, ab­gesehen von dem, was Sie uns über Mi~ale und Uruguay erzählten für ein anderes Land als ... « abanderten.

Merkw'ürdigerweise dienten die ersten Fragen dazu, meine Identität glaubwürdig zu bestätigen. »)Sind Sie Manuel Hevia Cosculluela?« - »)Haben Sie die Taft School in Watertownl Connecticut besucht und in Havanna Rechtswissenschaften studiert? «

Drei Stunden später, nach vielen Korrekturen, hatten wir an die zwanzig Fragen beisammen. . '

Ich ging in ein Zimmer hinauf, wo der Techmker all~rle1 Kabel, Elektroden und sonstige Meßfühler an mir befestigte. Die eigentliche Prüfung dauerte etwas über eine Stunde ...

Monate vergingen, dann fand ein weiterer Test unter ahn­lichen Umständen, jedoch mit zwei Technikern statt. Bei der Vorbereitung fiel mir auf, daß die Frage nach meinem Studium erweitert worden war. Ich überlegte. Kurz nach meiner An­kunft in Uruguay hatte ich festgestellt, daß es in Montevideo recht vorteilhaft war, wenn man einen akademischen Titel führte. Deshalb machte ich mir zunutze, daß man in Latein­amerika Hochschulabsolventen mit »)Sefior doctor« anredete, und wandelte ohne größeres Schamgefühl meine vier Jahre Jura in den Grad eines Doktors der Rechtswissenschaften um. Niemand nahm jemals daran Anstoß, und aus reiner Gewohn-

. heit hatte ich ihn versehentlich sogar in Cantrells Fragebogen eingetragen. Ein solcher Fehler konnte mich teuer zu stehen kommen und nicht absehbare Folgen haben, aber ich merkt~ es rechtzeitig.

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Als die betreffende. Frage an der Reihe war, erläuterte ich die Sache und gestand meine Leichtfertigkeit ein. Es 'gelang mir, dem Argwohn des Beraters zuvorzukommen.

Offenbar hatten die Nordamerikaner mein Vorleben erneut überprüft; diesmal hatten sie so gut wie nichts außer acht gelassen.

Zwischen beiden Überprüfungen tauchte »)Thomas«, der kletne Dicke, auf und bekräftigte, was mir der zweite») Thomas« zur Tarnung der finanziellen Unterstützung, die ich erhielt, vorgeschlagen hatte. Weiter sagte er, man habe meine Akte genaustens durchgesehen und ich könne verantwortungsvollere Aufgaben übernehmen. Wie bisher solle iCh absolutes Still­schweigen über meine Bezieh~ngen zu ihm oder seinen Vor­gängern bewahren. Cantrell sei nunmehr im Bilde, aber es sei überflüssig, darüber zu reden. Künftig bekäme ich alle Wei­sungen direkt von ihm.

Nach jener Beförderungsansprache hör te ich von der »)Drei­einigkeit der Thomase« nichts mehr.

Der parallele Apparat

Keiner möge sich von Meinungsverschiedenheiten bei den In­filtrationsorganen täuschen lassen. Persönliche Probleme blei­ben, was sie sind: Einzelpersonen berührende Fragen. Und Rivalitäten zwischen verschiedenen Dienststellen kommen immer wieder vor. Jede strengt sich an, ihrem Aufgabenbereich entsprechend Einfluß zu gewinnen. Auch Elemente wie Saenz können vorübergehend ihr Spiel des Mißtrauens treiben. Über dem Ganzen steht jedoch ein Plan, der erfüllt werd~n muß.

Die Mission, also die Abteilung Öffentliche Sicherheit, be­fand sich nach einem Rahmenabkommen über technische Hilfe das die Regierung unterzeichnet und das Parlament ratifizier; hatte, in Uruguay. Damit war sie eine legale Hinrichtung und hatte offizielle Aufgaben.

Trotz unterschwelliger Vermutungen wurde ihr unterstellt, daß sie lediglich die Arbeit der uruguayischen Polizei verbessern wolle. Natürlich strebte sie selber gleichfalls eine höhere

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Effektivität der Repressivorgane an, aber eingebettet in die globalen Ziele des Programms.

Zu den Aufgaben der Mission gehörte auch die verbesserte Tätigkeit des Kriminalamtes, wofür der Kriminalis~ikberat~r Cantrell zuständig war. Der wiederum schlug, als seme Arbe1t einigermaßen angelaufen war, vor, das Kripodezernat Auf­klärung und Verbindung in den Rang eines selbständigen Amtes zu erheben.

In jenen Tagen wurde der Aufbau des neuen Amtes ab­geschlossen. Der Leser wird sich erinnern, daß seine Mitarbeiter sorgfältig ausgewählt worden waren. Sie kamen den Empfeh­lungen ihrer Berater nach, und gewiß stimmten ih~~ Int:resse.n und politischen Ansichten mit denen der Yankees. uberem. D1e CIA benutzte sie für alles mögliche, sei es zur Überwachung eines ExUanten, zur Entführung eines Reisenden oder zur Beschaffung einer Information.

Aber das genügte nicht. Es reichte nicht aus, wenn sie nur unter dem Einfluß der CIA standen und deren Befehle aus­·führten. Mit dem Amt für Information und Aufklärung mußte ein zweites geheimes Netz geschaffen werden, ein noch fügsa­meres, ein blind ergebenes Netz, das nicht alle~n a~f Grund bloßer Interessenübereinstimmung oder nach Hmwelsen han­delte sondern auch direkt im Sold der Nordamerikaner operi~rte. Solche Erwägungen spielten bald darauf bei der strategischen Organisation des Amtes eine wichtige Rolle ..

Cantrell begann seinerzeit die Arbeit im Präsidium damit, daß er Kontakte zu den einzelnen Dezernaten des Kriminal­amtes anbahnte. Es handelte sich um eine Arbeit, die ihn offenkundig wenig interessierte. Er mußte sich ihr aber unter­ziehen, da sie ihm gestattete, das Personal kennenzulernenund zu analysieren, sich mit dem Dienstablauf vertraut zu machen und sein öffentliches Image zu pflegen.

Nachdem er sich das Dezernat Aufklärung und Verbindung vorgenommen hatte, interessierten ihn die übrigen Bereiche überhaupt nicht mehr. . .

» Um Diebstähle und Erpressungen38 sollen sich memetwegen die Halunken kümmern«, sagte er.

Anfangs waren die Beziehungen zum Dezernatsleiter, Kommissar Alejandro Otero, herzlich. Otero glaubte sich schon von Saenz zu einem Speziallehrgang in die Vereinigten Staaten

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delegiert. Bald wurde er ständiger Gast im Zitmuler'ldes amerikanischen Beraters. Sie sprachen über :Sic:herht:itsttl3tgeh im allgemeinen, die Lage in Uruguay oder die Überwachung subversiven Kräfte.

Das Amt für Sicherheit~chickte auf Anweisung seines Chefs, Inspektor Fernandez Regueiro, der Mission jeden Morgen eine Ausfertigung des Rapports, den sie der Leitung des Präsidiums vorlegte. Aber die meisten Vorkommnisse, über die berichtet wurde, interessierten den Berater gar nicht. Die Bezeichnung »Amt für Sicherheit« täuschte. Ihm unterstand in Wirklichkeit die uniformierte Schutzpolizei mit ihren Posten und Streifen, und sogar ein Cantrell hatte sich vom Namen jener Dienststelle irreführen lassen.

Dann begann Otero, ihm Durchschriften der vertraulichen Tagesmeldungen seines Dezernats· zu übersenden; Durch .. schriften mit einem besonderen Anhang, in dem die Vorkomm­nisse analysiert wurden. Cantrell fühlte sich sehr geschmeichelt, doch zufrieden gab er sich nicht. Fortan suchte er regelmäßig den vierten Stock auf, wo Otems Leute untergebracht waren.

»Um ihre Aufmerksamkeit zu erwidern«, sagte er zu mir; Er mischte sich in alles ein, erfragte alles und blätterte die Akten durch, bis Otero seinen Besuch weniger erfreut empfing. Das begann etwa im Dezember 1966. Eine illegale Organisation war entdeckt worden, und es hatte wiederholt Schießereienge .. geben. Wie die Presse berichtete, nannten sich ihre Angehörigen zu Ehren der Gauchos von Artigas Tupamaros. Bei einem' Einsatz gegen die Rebellen war der Chef des Funkstreifendien­stes, Unterkommissar Silveira Regalado, Absolvent der Intere: nationalen Polizei-Akademie, erschossen worden.

Allerdings hatten ihn nicht die Tupamaros getötet, sondern Kommissar Rodriguez Moroy, der in panischer Angst hinter Regalados Rücken abgefeuert hatte.

Auch Cantrell nahm an Einsätzen teil. Er wollte sogar die Razzien oder Großfahndungen leiten. Doch seine Anwesenheit wurde zu offensichtlich, so daß ihm Otero Zurückhaltung anriet. Bei einer Razzia hätte sie der Bildreporter eines Morgen­blattes beinahe zusammen fotografiert. Otero aber war nicht geneigt, seine dem Berater erwiesene GeHÜligkeit öffentlich bekanntzumachen.

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Hierzu darf ich einen Absatz aus Cantrells Jahresabschluß­bericht für 1968 zitieren. Der Berater schrieb: )}Otero reagiert sehr empfindlich auf außerdienstliche Einwirkungen. Er hat die Seele eines Politikers. Für das neue Vorhaben werden jedoch unpolitische Leute gebraucht. Ich muß darauf hinweisen, daß ihn seine Beamten wegen seiner Feigheit und seines hyste­rischen Geschwätzes verspotten. Ein Mann wie er wäre an der Spitze des neuen Amtes verfehlt.{<

Ich gestatte mir hinzuzufügen: Auf Grund seiner Be­rufserfahrung eignete er sich schon, aber er war zu unabhängig und zu glatt. Ferner hätte man ihn außer der Reihe zum In­spektor befördern müssen.

Allmählich gelangte Otero zu der Überzeugung, daß ihn die CIA niemals unterstützen werde. Daraufhin wechselte er die Taktik. Das neue Amt mußte vom Parlament als Bestandteil der Reorganisation, die für das Präsidium insgesamt vorge­schlagen worden war, bestätigt werden. So sollte der Polizeistab zu einem Hauptamt für exekutive Koordinierung umgebildet werden.

Dahinter verbarg sich mehr als eine nominelle Änderung. Bisher unterstanden die Amtsdirektoren und die bdden Guar­dia-Kommandeure dem Polizeipräsidenten, und der Stabschef handelte ihnen gegenüber nur im Auftrag (der stellvertretende Polizeipräsident befaßte sich ausschließlich mit Verwaltungs­fragen). Künftig aber würden sie dem Hauptdirektor für exekutive Koordinierung - Acufia in diesem Falle - und nicht mehr dem Präsidenten unmittelbar unterstehen.

Eine weitere Neuerung bestand darin, daß ein Amt für unterstützende Dienste geschaffen werden sollte, um solche bis dahin verstreut zugeordneten Einrichtungen wie die Huhde­schule, die Werkstätten und die weibliche Polizei zusammen­zufassen.

Otero verlegte sich darauf, Verschleiß arbeit zu leisten. Konnte er nicht Direktor werden, dann mußte er eben die bestehende Lage bis zu einem günstigeren Zeitpunkt verlän­gern. Vorläufig war sein Dezernat die offiziell anerkannte Dienststelle, und somit durfte er weiterhin alle Einsätze leiten und die Schlagzeilen der Presse beanspruchen.

Solange die Auswahl und die Ausbildung des Personals andauerte, wollte ihn die CIA gewähren lassen. Anschließend

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- so plante man - sollte Acufia oder Leitung der Aktionen übernehmen und dazu Personal \:.on."",,,"" zen, das Oteros Dezernat kommissarisch abzugeben hatte, heißt die Angehörigen des künftigen Geheimdienstamtei;,

Trotzdem ergaben sich weitere Komplikationen, da das ja ursprünglich in zwei Etappen aufgebaut werden zunächst innerhalb des Polizeipräsidiums Montevideo danach als ~oordinierendes Organ auf der Ebene des .... u,""' .. ·>

ministerium~ oder des Präsidenten der Republik. Nachdem die CIA ihr anfängliches Mißtrauen

hatte, wurde Inspektor Conserva Amtsdirektorkandidat für zweite Etappe. Doch alsbald fanden die Berater heraus, da.ß sich die Militärs keinesfalls dem Kommando eines ... n'"i'7P'_.

beamten unterordnen würden. Schon regtenskh Obristen und ließen ihre Beziehungen spielen, um den wicbr tigen Posten selbst einzunehmen.

Als lautstärkster Anwärter trat nach dem Ausscheiden Conservas Oberst Acufia auf, Kenner aller' pisherigen internen Vorgänge um das Amt mit einer eigenen Operationsbasis inr Polizeipräsidium und mit einschlägigen Erfahrungen. Acufia glaubte sich von den Nordamerikanern unterstützt, ohne bemerken, daß er nicht die geringste Chance hatte. .

Die Nordamerikaner nützten Acufias Dienste weidlich aus;. solange er sich als Stabschef oder Hauptdirektor für Koordi-:

, nierung hielt, aber seine Besuche in der Barmobar, wo er betrank, bis er einer Kellnerin in die Arme sank, hatten ihn die Leitung des. Geheimdienstamtes disqualifiziert.

Als Oberst Barlocco zurücktrat, waren es beson,:tere Acufias Barbesuche, die seine Ernennung zum denten unmöglich machten. An seiner Statt erhielt Alberto Aguirre Gestido, ein Vetter des verstorbenen sidenten, den Posten. Acufia wurde nahegelegt, entweder Aguir,re im Präsidium zu bleiben oder zum Inlllerlmmli;tenum als MHitäradjutant für Geheimdienstfragen überzuwechsdn.

Er entschied sich für die Stelle im Innenministerium, weil meinte, dadurch dichter ans Machtzentrum und seine Pläne besser verwirklichen zu können. In büßte er jedoch die direkte Befehlsgewalt ein und bewirkte, sein Nachfolger, Oberst Romeo Zina Fernandez, für "".~.",",' gefährlichsten Rivalen beim Griff nach der Leitung des tralen Geheimdienstamtes wurde.

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Trotzdem war Acufia noch längere Zeit nützlich. Beweis dafür ist, daß man ihn in eine Aktion einschaltete, die überdies anschaulich belegt, wie die Nordamerikaner vorzugehen pfle­gen. Am 18. September 1968 kam es in Montevideo zu schweren Zusammenstößen zwischen demonstrierenden Studenten und der Polizei; ein Polizist erschoß, ohne selbst gefährdet gewesen zu sein, heimtückisch den Studenten und Kommunisten Liber Arce. Darauf beschloß Oberst Aguirre, eine Untersuchung einzuleiten - ob in ehrlicher Absicht oder bloß zum Schein, das bleibe dahingestellt -, und befahl der hauptstädtischen Polizei, den Dienst ohne Schußwaffe, also nur mit Säbel oder Schlagstock zu versehen.

Die milicos verweigerten den Gehorsam. Sie erklärten, sie würden massakriert werden, wenn sie sich so auf der Straße zeigten. Aguirre schwankte, ob er seinen Befehl zurücknehmen oder die Disziplin erzwingen sollte.

In den ersten Nachmittagsstunden am Tag von Libers Be­gräbnis begleitete ich Noriega zum Innenministerium zu einer Unterredung mit Oberst Acufia, der schon Militäradjutant war. Acufia sollte Minister Jimenez de Arechaga,· einen Ver­fechter des harten Kurses, dazu bewegen, vorübergehend die Taktik zu ändern, und erreichen, daß er den Polizeipräsidenten bei seinem Entwaffnungsbefehl unterstützte.

Saenz war vom Botschafter angewiesen worden, mit Noriega in jeder Hinsicht zusammenzuarbeiten und ihm alles, was er benötigte, zu vermitteln. Deshalb traf sich der Missionschef zur selben Zeit mit dem Direktor des Kriminalamtes, Inspektor Emilio Guerra, und befahl ihm -:- ihn brauchte man um nichts zu bitten, bei ihm genügte ein Befehl -, abends einen Ein­greif trupp zur Universität zu schicken. Diese Leute sollten die Studenten beschimpfen, provozieren und sich anschließend zurückziehen.

Die Noriega und damit der CIA unterstehenden operativen Gruppen, die aus Zivilisten und Polizeiangehörigen zusammen­gestellt und bereits in die Universität eingeschleust waren, erhielten den Auftrag, die Studenten zu Ausschreitungen und Krawallen anzustiften.

Durch die Aktion sollte der Bevölkerung vor Augen geführt werden, was alles geschehen könne, fehlte die polizeiliche Kontrolle. Zugleich verfolgte sie das Ziel, die Basis der Sym-

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pathie für die Studenten zu schmälern und die den Mord an Liber zu neutralisieren.

Inspektor Guerra konnte man, wie gesagt, Befehle "'L.',"'W~U, : er würde stillschweigend in der Gewißheit gehorchen, daß er mit der Unterstützung der Nordamerikaner rechnen durfte, falls Schwierigkeiten auftraten, und daß auch er seinen Whisky, seine Zigaretten und andere kleine Zuwendungen bekam.

Außerdem träumte er den Traum eines jeden Amtsdirektors: eines Tages Polizeipräsident zu werden; und zwar lange bevor sich die These der Nordamerikaner im Präsidium herumge­sprochen hatte, daß der Chef ein Polizeibeamter 'sein müsse, weil für sie Polizeibeamte gefügiger und willfähriger alsArmee':' offiziere waren.

Aber Guerra war, abgesehen von seiner geringen Qualifika..: tion, verwundbar. Ihn hatten bereits die Engrosschmugglet in, .' der Hand; sie steckten ihm monatlich 250000 Peso (damals 1000 Dollar) zu und bezahlten außerdem ein Luxusapparte­ment für seine Gespielin - sich eine Geliebte halten zu können, war auch ein Traum des alten Inspektors gewesen.

Ein derartiger Mann paßte der CIA nicht ins Konzept; Er konnte jederzeit einen Skandal heraufbeschwören. Benutzen ' würde sie ihn trotzdem, doch genauso stand außer Zweifel, daß sie ihn im geeigneten Augenblick fallenlassen würde.

Die Auslese der Auslese

Die Männer des parallelen Apparats hatten ein geordnetes Leben zu führen. Waren sie verheiratet, um so besser. Sie solften ,gute Familienväter, liebenswürdige Nachbarn und mustergül­tige Bürger sein, die keine große Aufmerksamkeit erregten.

Obwohl die CIA das Amt für Information und Aufklärung total und uneingeschränkt kontrollierte, erachtete sie es für nötig, diese Dienststelle zusätzlich zu überwachen. Womöglich besann sich ein Geheimdienstbeamter darauf, daß er Uru­guayer war. Oder es kam zu taktischen Meinungsverschieden,­heiten mit der Regierung.

Damit sind wir bei der Auslese der Auslese angelangt.

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Die Berater hatten das gesamte Personal des Amtes aus­gewählt. Nun suchten sie darunter Elemente zu finden, die informierten und bereit waren, auch gegen den Befehl eines Vorgesetzten mit ihnen zusammenzuarbeiten, sollte so ein Fall wirklich einmal eintreten.

Diese Leute würden natürlich eine feste Vergütung erhalten. Sie mußten, ich wiederhole, ein normales Leben führen und absolut zuverlässig sein. Außerdem sollten sie nach Möglichkeit von dem ihnen zugeschobenen Extragehalt abhängig gemacht und - darum kümmerten sich die Berater - in Schlüsselposi­tionen des Amtes lanciert werden. Allerdings nicht alle; ein paar mußten als Reserve in untergeordneten Stellungen ver­bleiben, falls sich jemand widerspenstig zeigte und seine Aus­wechslung geboten war.

Damals stand ich mit fünf Angehörigen des parallelen Apparats in Kontakt. Ihre Namen habe ich an anderer Stelle bereits erwähnt, hier möchte ich etwas näher auf sie eingehen.

Nelson Bardesio war Cantrell auf Anhieb ins Netz gegangen. Man konnte ihn jederzeit emsig und ausdauernd beim Lernen oder beim Versuch, von irgendwem neue Kenntnisse zu er­langen, antreffen.

Eine ganze Weile arbeitete er 16 Stunden täglich. Trotzdem fand er Zeit, in Cantrells Wohnung, in die ich während der Abwesenheit des Besitzers übergesiedelt war, zu kommen, damit ich ihm früh um drei Englischunterricht erteilte.

Bardesio war auf das Polizeipräsidium nicht gut zu sprechen. Seine Verbitterung resultierte aus dem festen Glauben an die eigene Tüchtigkeit, während sich nach seiner Ansicht im Kriminalamt eine Kumpanei von Tagedieben zusammen­gefunden hatte. Sie waren hohe Beamte, er dagegen einfacher Anwärter. Das war sein schwacher Punkt, an den Cantrell anknüpfte, um ihn möglichst lange hinzuhalten. Bardesio hoffte, bald Kriminalassistent, zumindest aber Unterassistent zu werden, und Cantrell versprach es ihm mehrmals.

Dann beschloß Bardesio, sich bei passender Gelegenheit an Senator Gravert zu wenden, um mit dessen Hilfe bei dem neuen Innenminister Lepro seine- Versetzung ins Landesinnere zu erwirken. Nur so konnte er zum Beamten ernannt werden und vielleicht nach einem Jahr mit einem respektablen Rang in die Hauptstadt zurückkehren. Cantrell war damit natürlich nicht

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einverstanden, weil es seine Pläne sagte ihm, er werde in Kürze eine größere Aufgabe

Bardesio begriff, daß er betrogen worden war. Er bei keinem einschmeicheln wollen, und um irgendeine SOfldef';, vergütung hatte er nie gebeten, sondern sie im Gegenteil abgelehnt. Doch nun willigte er ein. Genau das hatte v"'ULl\.>U. c

beabsichtigt. Bardesio war für ihn als Gewährsmann Otero äußerst nützlich und eine verläßliche Stütze bei "",,,,,,.,,. anderen Dingen.

Später arbeitete er Jm Dezernat von Kommissar LU<."'''-U.t, ......

dieser wegen der gefährlichen Neigung, zahlreiche",u",vuu"A'L"".!~ des Dezernats in seine Sauf touren mit einzubeziehen, wacht werden mußte. Schließlich übernahm Bardesiö Leitung der Speziallaboratorien, die das Amt in der PaullieriEcke A venida des 18. Juli eingerichtet hatte. Er abermals Zeit zum Lernen, besuchte mehrere Lehrgänge spezialisierte sich auf das Fachgebiet Laborfotografie. dem befaßte er sich mit Filmaufnahmen mit versteckter mera. Diese Tätigkeit behielt er auch bei, als er 1970 ins von Inspektor Conserva und des stellvertretenden Poliz(~iplr~ sidenten Eleazar Agosto versetzt wurde.

Ein weiteres Mitglied des parallelen Apparats war Galan, als Angehöriger der Gruppe von Kommissar zuständig für Provokationen und von den Y ankees hP,:lt1t"t't'~I9'j-· Jorge Vazquez zu überwachen. Vazquez hatte auf die HU"'-U''''.

Karte -nämlich auf seinen Chef Acufia - gesetzt ............. , .. "." das Vertrauen der CIA verloren.

Ähnlich war es Kommissar M6nica Tellechea .... i.~; .. H~"'J .• ,'_

wenngleich aus anderen Gründen. Tellechea, ein CAU',",U'.,""uu

Autodidakt, hatte patriotische Gedanken geäußert, undd1is mißfiel den Nordamerikanern verständlicherweise. . ....

Dem parallelen Apparat gehörte ferner Manuel tiet~nand(~z," Fleitas, der klassische käufliche Beamte, an. Obwohl er: geordnetes Leben führte, brauchte er zunehmend mehr Er hatte ein Appartement in der Joaquin Requena zu halten, die Kosten für sein Wochenendhaus in Punta dei Parada Nr. 5, aufzubringen, einen geschmuggelten biwage'n abzuzahlen und ähnliche Ausgaben zu finanzi~rerr.

Fernandez Fleitas, der einzige Beamte, der seinen nicht den Nordamerikanern verdankte, war - so W1C1eJ:S1(lnl,

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es scheinen mag - zugleich der billigste, der ihnen unter die Finger geriet. Einen Lehrgang in Washington, ein paar Ein­ladungen und Aufmerksamkeiten Cantrells und 3000 Peso monatlich an Unkosten genügten.

Das war die Quittung dafür, daß er darauf erpicht war, sich zu verkaufen. Ewig befangen wirkend, ja kleinmütig mit sei­nem sehnsüchtigen Blick und dem nervösen Lächeln, leitete er die Einsatzgruppe des Dezernats Interpol auf dem Flughafen Carrasco. Sein Chef war Kommissar Jaureguizar, und solange er amtierte, hatten die Nordamerikaner keine Schwierigkei­ten.

Doch dann sprach sich herum, daß allzu viele Akten über Schmuggler verschwanden, und Jaureguizar wurde durch Kommissar Chavez abgelöst, der keine Anstalten machte, sich den Yankees auszuliefern. Fleitas arbeitete zwar für sie wei­terhin' auf dem Flugplatz, aber er mußte von den »Launen« seiner jeweiligen unbeständigen Chefs befreit werden. Folglich wurde in die Wege geleitet, das Dezernat rnterpoldem Amtfür Information und Aufklärung anzugliedern, wo es derartige Probleme nicht gab.

Inspektor Guerra, der bisher keinen Vorschlag dieser Art abgelehnt hatte, protestierte, allerdings dann nie wieder, denn man sagte ihm, er sei undankbar, wenn er vergesse, wer seine Ernennung nach dem Ableben des vorigen Kriminalsamts­direktors CopeUo durchgesetzt und ihn somit Inspektor L6pez Pachiarotti, dem eigentlichen Nachfolger, vorgezogen hatte.

Das Interpolproblem bestand darin, daß jenes Dezernat außer den Flugplätzen vor allem noch den Überseehafen von Montevideo, eine wahre Goldgrube, kontrollierte. Obwohl Dividenden aus dem Schmuggelgeschäft bis in die höchsten Kreise verteilt wurden, verblieb der Löwenanteil im Krimi­nalamt.

Letztlich einigten sich die Beteiligten auf eine Abmachung unter Caballeros. Die Kriminalpolizei behielt das Dezernat InterpoliFlugplatz-, Wasserstraßen- und Hafenaufsicht, je­doch ohne die Einsatzgruppe Carrasco. Sie wurde dem Amt für Information und Aufklärung unterstellt, wobei sie in Routinefragen mit dem Kriminalamtsdezernat zusammen­arbeiten sollte.

Alle waren höchst zufrieden, die Kripobeamten mit ihrem

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»Schatz« und die Nordamerikaner mit der Ha~stür des Beim Zoll im Überseehafen hatten sie bereits ihre Leute, zu<;;tern/ herrschte dort nicht so starker Personenverkehr' wie in/ rasco.

Sobald die Kontrolle über den Flugplatz gesichert war, erhielt Fleitas den Auftrag, die Einsatzgruppe zu säubern und»Un~. zuverlässige Elemente« durch Männer seines Vertrauens zu ersetzen. Schon zu Barloccos Zeiten hatte das Kriminalam{ einige Neuerungen in Carrasco eingeführt. Nun wurde, um jeden Ein- oder Ausreisenden zu fotografieren, Schnellschußkamera für automatische Serienaufnahmen Sofortentwicklung installiert. Einen Satz Fotos schickte Einsatzgruppe weisungsgemäß an das Informations­Aufklärungsamt. Ein zweiter Satz landete inden schränken der USA-Botschaft.

Die Anwerbung von Lemos Silveira durch Cantrell glich Liebe auf den ersten Blick; die beiden schienen sich gesucht ' gefunden zu haben. Nachsichtig geurteilt, war der Starrkopf Lemos Silveira der integerste jener fünf, zu denen ich Ver'­bindung hatte. Er verriet sein Vaterland nicht; er glaubte fest daran, daß Uruguays Wohl und Wehe ganz in den Händen der Nordamerikaner lag, und war selber einer VOn ihnen gewoi~ den. '

Aber ich möchte den Fall Lemos nicht sarkastisch betrach .. , ten. Meiner Meinung nach war er davon überzeugt, seine Pflidii zu tun. Als Cantrells Schlüsselfigur leitete er zunächst di~ Labors des Geheimdienstamtes und bildete neues Personal auS: '" Noch wichtiger war seine Mitarbeit in der Inspektion für • Sicherheit, das heißt der kleinen Gruppe, die den Auftrag hatt<;, die Angestellten und Beamten des Hauses zu überwachen.

In diesem Sinne konnte die Gruppe, wenn sie es für ert0t" derlich hielt, Ermittlungen durchführen. Manchmal, über .. schritt sie allerdings ihre Befugnisse und ermittelte sogar l2:e'ten. ", Amtsdirektor Piriz Castagnet. Sie zapfte auch seinem vertreter Conserva ohne Erlaubnis die Telefone an, alsde't Verdacht aufkam, er könnte homosexuell sein, und ~ ... o, ... u ... " .. ·", .. ",

ihn Tag und Nacht. Als danach immer noch Zweifel bestanden, ,.,r.rr"''''-'''

Alles deutete darauf hin, daß es sich schlimmstenfalls um.

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»seit Jahren stabile Beziehung« handelte und ein Skandal eigentlich nicht drohte. Griff Cantrell trotzdem ein, würden die CIA-Chefs sein Auslesetalent und Urteilsvermögen in Frage stellen, da er Conserva selbst vorgeschlagen hatte.

Tat er nichts und die Sache wurde ruchbar oder kritisch, brächte ihn das ebenfalls in keine beneidenswerte Lage. Es war das einzige Mal, daß ich ihn mit solchen persönlichen Er­wägungen befaßt erlebte. Schließlich, entschloß er sich, mit Inspektor Conserva zu reden und ihm den Rat zu geben, »er möge doch seinen Freund bitten, ihn künftig nicht mehr während der Dienstzeit zu besuchen oder anzurufen«.

»Ihre Ehrenhaftigkeit steht außer Zweifel, Inspektor. Wir wollen nur Geschwätz unter dem Personal vermeiden«, sagte er ihm dann.

Conserva blieb auf seinem Posten, und Lemos Silveira be­wahrte strengste Diskretion.

Eine Blitzkarriere

Der fünfte Vertreter der A1,lserwählten, den ich näher kannte, arbeitete im Bereich der Departementspolizei Maldonado.

»Poroto« Concepci6n stieg blitzartig auf: In kürzester Zeit brachte er es zum Stellvertretenden Leiter des Kommissariats Punta de1 Este.

Gleich nachdem er die Polizeilaufbahn eingeschlagen hatte, war sein Interesse für geheimdienstliche Aufgaben erwacht, und er legte eine stümperhafte Kartei über verschiedene Fer­nandinos, das heißt Einwohner des Departements Maldonado, an.

Für die Yankees bedeutete er eine Entdeckung. Bill Horton und Noriega lernten ihn während der Vorbereitung der Prä­sidentenkonferenz kennen und stellten ihn danach Cantrell als CIA-Verantwortlichen für Polizeifragen vor. »Poroto« wurde

" sofort ein Mann des parallelen Apparats. Ich lernte Concepci6n im Oktober 1968 kennen. Damals fuhr

ich häufig nach Punta deI Este, weil ich dort ein Restaurant eröffnen wollte. Bei einer dieser Fahrten gab mir Cantrell einen

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Brief für den stellvertretenden Kommissariatschef mit, worauf ich von ihm ebenfalls einen verschlossenen Umschlag bekam.

Mit der Zeit entfielen solche Förmlichkeiten, und statt des Briefkuverts übergab mir Cantrell einen Geldbetrag, dessen Höhe anfangs schwankte, dann aber bei monatlich 12000 Peso konstant blieb. Den Bericht empfing er weiterhin in einem verschlossenen Umschlag; nur einmal, als ich ihn mündlich übermittelte, erhielt der stellvertretende Polizeichef eine ernste Verwarnung von dem nordamerikanischen Berater.

Concepci6n baute nach Cantrells Direktiven im Raum Maldonado - La Barra - Punte del Este ein ausgedehntes Netz auf. Sein wichtigster Helfer war Dreyfus, der Inhaber einer Schmuckwarenladenkette gleichen Namens mit zahlreichen Filialen in dieser Gegend. Beide hatten den Auftrag, junge Frauen anzuwerben, die zu prominenten Besuchern des.inter­national bekannten Badeortes Verbindungen anknüpfen konn­ten. Ferner sollten sie Bedienstete von chalets gewinnen, die bereit waren, Informationen über die Gäste zu beschaffen, sowie bei deren Abwesenheit ungehinderten Zutritt zu den Häusern ermöglichten. Des weiteren hatten sie die Residenzen ausländischer Diplomaten zu überwachen, das angeheuerte Personal in Nachtlokale und renommierte Bars einzuschleusen sowie die politischen Aktivitäten in Maldonado und Umgebun.g zu kontrollieren. . 1

In einem Bericht teilte Concepci6n mit, daß der Polizei­direktor des Departements Rocha zur Kollaboration bereit sei. Anschließend wurde über einen Uruguayer, der in diesem Bezirk wohnte, der Kontakt hergestellt.

Obwohl Concepci6n das Geld sehr gelegen kam, strebte er in Wahrheit etwas anderes an. Er wollte Kommissariatsleiter in Ptinta del Este werden. Davon erhoffte er sich nicht nur Einkünfte, wie sie beim Schmuggel und Drogenhandel abfielen, sondern auch eine gesellschaftliche Aufwertung.

Er hatte es bereits geschafft, den Platz des zweiten Mannes einzunehmen, und sägte nun emsig am Stuhle seines Chefs Arist6bulo de Le6n. Aber Kommissariatsleiter Arist6bulo war auch nicht von gestern. »Weiß« unter den Blancos und »rot« unter den Colorados, hatte er über so manches Vergehen ein­flußreicher Le.ute hinweggesehen und sich viele zu Dank ver­pflichtet.

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Trotzdem wurde er 1967 nach dem Amtsantritt der Colo­rado-Regierung in das Provinznest Jose Ignacio versetzt. Er war in Ungnade gefallen. Concepcion vertrat ihn. Er hatte Kontakt zu den Yankees und sonnte sich im Ruhm, denn bald würde er Polizeichef von Punta deI Este sein.

Aristobulo spielte seine Trümpfe aus, doch vergebens. Ein paar Wochen später mischte er die Karten neu und kombinierte meisterhaft. Der dritte Fortbildungslehrgang für Polizei­beamte, der diesmal in Colonia stattfinden sollte, war vor­bereitet. Da erklärte Aristobulo, er wolle als Instrukteur teil­nehmen. Cantrelllehnte das ab, und Saenz beschloß, die CIA wegen eines Individuums, das in Polizeikreisen für seine Sauf­gelage und das Verprügeln Untergebener bekannt war, nicht herauszufordern. Außerdem bestand die Möglichkeit, daß es Ärger mit seinen Instrukteurkollegen gab. Doch Aristobulo blieb hartnäckig, und Saenz, dessen Besuche in Punta del Este dank Aristobulos Entgegenkommen jederzeit recht angenehm verlaufen waren, mußte sich etwas einfallen lassen, um ihn abzuwimmeln. Schließlich sagte er ihm, die Instrukteure seien bereits ausgewählt und das Ministerium habe sie schon bestä­tigt; wäre es nicht so, würde er ihn gern mitnehmen.

Am Tag der Lehrgangseröffnung stellte sich Aristobulo de Leon, angetan mit seiner Galauniform, in Colonia ein und teilte Saenz mit, daß er sich als ehrenamtlicher Ausbilder an dem Kurs beteiligen werde. Wahrhaftig bezog er nicht in der Ka­serne, sondern in einem Hotel Quartier. Sein ganzer Unterricht bestand allerdings darin, daß er sich jeden Tag, im Schmuck seiner Uniform prangend, auf dem Kasernenhof sehen ließ.

Der Lehrgang endete mit einem außergewöhnlichen Erfolg - einer Parade der Teilnehmer. Getreu ihrer Politik, die Polizei­kräfte aufzuwerten, widmeten die Berater der Vorbereitung auf die Parade viel Zeit, wußten sie doch, daß sich zum Ab­schlußzeremoniell zahlreiche hohe Armeeoffiziere, die seit jeher die Leistungsfähigkeit und Disziplin der Polizei geringschätz­ten, einfinden würden.

Tatsächlich zeigten sie sich lebhaft vom kriegerischen Aus­sehen jener Polizeibeamten beeindruckt, die 45 Tage zuvor ein bloßer Haufen Männer gewesen waren. Nebenher wurde die Parade eine billige Reklame für die Segnungen der Yankee­Ausbildung angesichts solcher Militärs, die noch der englischen oder der französischen Methode anhingen.

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Am Abschlußtag trat Arist6bulo am tnP1~r".n··i·", nung. Er nahm am Empfang teil,. plauderte mit Minister Legnani und mit dem Lehrgangskoordinator, Oberst Viola und umarmte Saenz in aller Öffentlichkeit, der es unter diese~ Umständen vorzog, ihn nicht zurückzuweisen. Dadurch ver"" mochte sich der in Ungnade Gefallene als Vertrauter der Nordamerikaner auszugeben.

Sobald Aristobulo »all> Mann der Mission« erneut Kredit genoß, ließ er seine »roten« Beziehungen spielen oder vielmehr di~ seiner: Saufkumpane in Punta del Este. Schließlich gelang e~ ,Ihm, s~lllen alten Posten zurückzuerhalten. »Poroto« Concep~ Clons Traume vom Aufstieg waren ausgeträumt. Die Rückkehr von Aristobulo de Leon ins Kommissariat Punta del Este traf den kleinen Emporkömmling hart. Er hatte seine Feindschaft zu offen bekundet und rechnete nun mit Repressalie!). Doch die hatte es früher auch gegeben, jetzt baute er vor allem auf die CIA. Aber er war, wenngleich noch nützlich, nicht mehr der geeignete Mann für die' zunehmend wichtiger werdenden Aufgaben. .

Sein Verhältnis mit einer weiblichen Polizeiahgehörigen, die der Amtsdirektor von Maldonado ebenfalls hofierte, war be~ kannt geworden und hatte zu Auseinandersetzungen in der Polizeidirektion geführt. Hinzukam, daß er durch seine Trunksucht, seine Habgier und seinem angelnde Verschwkgen- . heit bei Geschäften wieder einmal in die Klemme geriet. »Poroto« verlor das seelische Gleichgewicht. Captrdl würdeihti weiter einsetzen, aber er sollte nicht mehr nach Punta deI Est~ zurückkehren. So wurde er benutzt, bis er seinen Traum von Luxus und gesellschaftlicher Anerkennung endgültig vergaß; Da jagte er sich eine Kugel in den Kopf. . '

Der Selbstmord zwang den parallelen Apparat,schnellzt} handeln. Bei Concepcion zu Hause befanden sich noch immer Unterlagen und Karteikarten, obwohl Cantrel1ausdrücklich . angewiesen hatte, sie zu vernichten; womögHchhatte er sich auch nicht abgewöhnt, seine Berichte mit einer Durchschrif.t· an~ufertigen. A~ jenem Abend jedenfalls wurde Concepci6ns W Itwe von Fernandez Fleitas teils überredet, teils genötigt, das gesamte Privatarchiv herauszugeben. Es durfte keine Panne eintreten.

Concepci6ns Vorliebe für vertrauliche

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herumgesprochen, und noch andere Leute wollten sich ihrer bemächtigen. Als Fernandez die Wohnung verließ, stieß er fast mit einigen Beamten aus Maldonado zusammen. Sie nahmen die Verfolgung auf, und erst nach einem Schußwechsel gelang es Fernandez zu entkommen und auf Umwegen Montevideo zu erreichen.

Doch offensichtlich gab es weitere Interessenten. Jenen Abend hielt sich auch Kommissar Macchi in Begleitung einer Dame im Bezirk Maldonado auf. Sie saßen in meinem Restau­rant. Macchi - in merkwürdig gespannter Erwartung - trank kaum etwas. Sollte das ein Zufall gewesen sein?

Nach dem Tode Concepci6ns übernahm Oberst Vigorito· dessen Obliegenheiten. Er wurde wenig später zum Polizei­direktor des Departements Maldonado ernannt. Dieser Posten eignete sich nicht für operative Aufgaben, abgesehen davon, daß ihn kaum jemand lange behielt. Es schien geraten, Vigorito für andere Arbeiten einzusetzen. Bald trat eine weitere Miß­lichkeit zutage: Vigorito pflegte persönliche Querelen und Streitereien nicht von seinen dienstlichen Verpflichtungen zu trennen.

Mitte 1970 forderte das Innenministerium die Chefs der Departementspolizei auf, alle gefährlichen Personen, die über­wacht und in Krisensituationen verhaftet werden sollten, zu melden .. Vigorito erfaßte in der Übersicht auch den Militär­präfekten des Küstengebiets Punta del Este, einen seiner per­sönlichen Feinde.

Zufällig weilte der Marineoffizier im Polizeipräsidium Montevideo, als die Meldungen dort ausgewertet wurden, und stellte zu seinem Erstaunen fest, daß er und seine Frau in der Liste des Departements Maldonado aufgeführt waren. Durch derlei Eskapaden machte sich Vigorito bei sdnen Yankee-Chefs unmöglich.

Als ich Punta del Este verließ, hatte sich der parallele Apparat im Bezirk voll entfaltet. Aus der Hütte, die ihm .der karrierebesessene und enttäuschte unglückselige Provlfiz­polizeibeamte » Poroto« in seiner Manie errichtet hatte, war ein monströses Gebäude geworden.

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Ausbildung und Unterwanderung

Während meines Aufenthalts in Uruguay betätigte si,h die Mission vorrangig in Montevideo. Zugleich schuf sie jedoch die. Voraussetzungen, um ihren Einflußbereich auf das Landesiri­nere auszudehnen. So sollte Anfang 1967 ein Qualifizierungs­lehrgang für die Polizeikräfte der Departements Artigas, Salto und Paysandu stattfinden. Als Veranstaltungsort wählte Salto, da dort die beste Unterbringung für Teilnehmer und Ausbilder gewährleistet war. Minister Storace bestätigte das Vorhaben und ernannte Oberst Berta, einen seiner Militäradju-: tanten, zum Lehrgangskoordinator.

Damit erhielt er keinen leichten Auftrag. Als Koordinatot mußte er gegen das Mißtrauen der Departementspolizeidirek­toren ankämpfen, hatte zu gewährleisten, daß die Ämtet des. Präsidiums in der Hauptstadt sowie diebeiden paramilitä:' rischen Guardias die angeforderten Instrukteure freigaben, ünd mußte die Verpflegung und Ausrüstung sicherstellen,

Einerseits lehnte es selbstverständlich jeder Chef ab, sich von einem fähigen Mann zu trennen. Andererseits bestanden Saenz und Bernal darauf, die Instrukteure alle selber auszuwählen: Sie verlangten, daß der Betreffende wenigstens einen Lehrgang an der Internationalen Polizei-Akademie in Washington folgreich abgeschlossen hatte. . ..

Den Beratern zufolge garantierte das ein Mindestmaß an beruflichem Können und Bildung. Ferner sollte der Ausbilder ein aufgeschlossener und sympathischer Polizeibeamter sein; damit er rasch Kontakt zu den Lehrgangsteilnehmern . . und einen günstigen Eindruck auf die Zivilbevölkerung machte. . •.

Bei jenem ersten Lehrgang unterlag die Auswahl keinen besonderen politischen Kriterien. Natürlich kam die I-<A •• nö.~" nach Abschluß der Polizei-Akademie einer Vorauslese aber darüber hinaus wurde gewisse Flexibilität geübt. Nordamerikaner warteten ab, für sie war das engmaschigere Sieben nur eine Frage der Zeit.

Das Ausbildungspersonal des ersten Kurses setzte sich wie

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folgt zusammen: Lehrgangsleiter - Inspektor Emilio Guerra; Öffentlichkeitsarbeit - Kommissar Eduardo Molina Ferraro; Gaseinsatz und Auflösung von Kundgebungen - Leutnant Herve Castro, von seinen Freunden zu deutsch der »Führer« tituHert;Ausbildungsmethodik - Leutn~nt Luis Lobatti; Krimipalistik - Unterkommissar Fuster; Schießausbildung -Kommissar Alfredo » Poto« Pereira; Polizeiliche Aktionen -Unterkommissar Juan C. Bonaudi. Außerdem wirkten In­strukteurgehilfen wie Kriminalassistent Romero und andere mit. Hauptfächer waren der Gaseinsatz und gleich danach -welche Ironie - die Öffentlichkeitsarbeit.

Den Lehrgang leitete praktisch der Berater Ces ar Bemal. Er blieb die ganze Zeit über in Salto, um den Unterricht zu kontrollieren und die Instrukteure auf ihre Eignung zu prüfen. Saenz reiste mehrmals an und gab einige Stunden im Fach Polizeiaktionen, wobei er aber jeden außerdienstlichen Kontakt zu Teilnehmern oder Ausbildern vermied und sich darauf beschränkte, mit Inspektor Guerra und Oberst Berta nähere Bekanntschaft zu schließen.

Später, bei einem Essen in Bernals Wohnung, als man den dritten Jahrestag der Yankee-Ausbildung in Uruguay beging? wurde in kleinem Kreise offen eingeschätzt, daß jener Lehrgang 'der einzige sei, bei dem sich die Instrukteure wirklich motiviert fühlten. Nicht wenige glaubten - manche vielleicht auch erst im nachhinein -, tatsächlich eine nützliche Arbeit geleistet zu haben. Ich muß jedoch daran erinnern, daß die Nordamerikaner damals noch Zurückhaltung übten und ihre wahren Absichten schwer zu durchschauen waren.

Die Fortbildungslehrgänge und das System der Studienplätze stellten ein wirksames Instrument zur Unterwanderung der uruguayischen Polizeikräfte dar. Unter dem Vorwand, die professionelle Qualifikation erhöhen zu wollen, gestatteten sie der CIA und dem FBI, Erkenntnisse über Polizeibeamte zu gewinnen, zu denen sie über ihre Fragebogen kaum gelangen würden. Bei dieser Gelegenheit konnten sie auch das persön­liche Profil der Beamten beeinflussen.

Zur einfachsten Form der Unterwanderung gehörten die Englischstudienplätze bei der Kulturallianz Uruguay - Ver­einigte Staaten. Ihr steht ein Kuratorium vor, das den Direktor bestellt. Der ist ebenso wie sein Stellvertreter und die wich-

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tigsten Angestellten Nordamerikaner. MehrereJahte dete der in Uruguay ansässige Mr. King diesen Posten; löste ihn jemand aus den Vereinigten Staaten ab. Die VV.UU""'l'­

Linie wurde der Allianz vom Kulturattache der USA' schaft - ich erwähnte es schon - und dem USIS vorgegeben,

Die Allianz betreibt die Washington-Artigas- oder - für das breite uruguayische Publikum - die Artigas-Washington,c Bibliothek mit ihren sorgfältig ausgewählten Bänden un<i weiteren Attraktionen des ideologischen Klassenkampfes. Von den Aktivitäten der Bücherei interessiert uns hier die Lehr.:. tätigkeit.

Der Englischunterricht hatte bestenfalls dUl:ch:schnit"tlicbe Qualität, obwohl die technischen Einrichtungen und Lehr':' mittel unlängst modernisiert worden waren. Die AID gewährte unentgeltlich Studienplätze und zahlte der Bücherei dafür einen, Pauschalbetrag. Saenz wiederum über diese stellen im Rahmen seines Programms für das ihm die Polizei kräfte gewogen machen sollte.

Wenn etwa ein halbes Dutzend Schüler den Unterricht mit echtem Interesse wahrnahm, so bildete das eine Ausnahme. Die Lehrgangsteilnehmer aus der Polizei besuchten gewöhnlich nur die ersten vier, fünf Unterrichtsstunden. Viele hatten sich in dem Glauben einschreiben lassen, daß ihnen der Englischkurs zu einem schnellen Weg nach oben oder zur Gunst der Nord­amerikaner verhelfen werde. .

Letzteres traf zu, allerdings' nicht in dem Maße, wie es die meisten erhofften, und so wurden sie bald müde. 'fei·.steHcl:l} für Englischkurse bekamen auch die Anwärter auf einen Lehr:"" gangsbesuch in Washington. Trotzdem erschien die Mehrzahl der vermeintlich Bevorzugten nicht zum Unterricht, weil sie das. für unvereinbar mit ihrer Würde, ihrem Alter oder ihrer Dienststellung hielten. Insofern hatten die Freistellen .eine begrenzte Bedeutung, was jedoch Saenz keineswegs hinderte,. in einem Augenblick des Enthusiasmus zu verkünden, daß nach und nach das ganze Präsidium in den t:<.,nlglisctlUr[teirri(~ht einbeziehen wolle.

Grundlegend für die Unterwanderung waren die Delegie;.,: rungen an die Internationale Polizei-Akademie in Wa."lllU,~""'H" eine Institution, die dem Bereich Sicherheits fragen eier Zentrale und mithin dem State Department untersteht

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deren Dozenten überwiegend das FBI stellt. Die dort gelehrten Fächer unterscheiden sich, einzeln betrachtet und die Spezial­gebiete Gaseinsatz und Chemische Keule ausgenommen, nicht wesentlich von dem Wissensstoff, wie ihn jede andere Polizei­hochschule der Welt vermittelt. In ihrer Gesamtheit laufen sie jedoch eindeutig auf den Versuch hinaus, eine bestimmte Doktrin zu verbreiten.

Die Hörer der Akademie kommen aus allen Erdteilen, wobei das größte Kontingent auf Asien und Lateinamerika entfällt. Die Lateinamerikaner werden lehrgangsweise zusammen­gefaßt, um einen interamerikanischen Korpsgeist zu schaf­fen.

Anfangs wurden die uruguayischen Stipendiaten ent­sprechend ihrem politischen Einfluß ausgewählt. Das geschah zu der Zeit, als die Nordamerikaner die leitenden Beamten des Innenministeriums und des hauptstädtischen Polizeipräsidiums für sich einnehmen wollten. Deshalb handelte es sieh im all­gemeinen um Inspektoren. Die Berater wußten natürlich genau, daß die Ausbildung in fachlicher Hinsicht kaum Früchte tragen würde, da jene Beamte in wenigen Jahren in den Ru­hestand traten, aber durch ihre Delegierung wurde der passive Widerstand ausgeschaltet, den sie als Veteranen anderenfalls leisten konnten.

So waren Ende 1966 die Inspektoren Copello, Guerra, Fer­nandez Regueiro und Guerrero bereits in Washington gewesen oder befanden sich dort. Noch beteiligten sich die Nord­amerikaner nicht aktiv an der Auswahl, sondern ließen es dabei bewenden, hin und wieder einen verheißungsvollen jungen Beamten vorzuschlagen. Noch traten die Wölfe im Schafspelz auf. Die Beamtenspitze war begeistert: eine Gratisreise in die USA, kostenloser Aufenthalt und nebenher die Möglichkeit, ein Radio, einen Fernseher und andere hübsche Sachen zollfrei einzukaufen.

Als die Mission bei der Stipendiatenauswahl schon ein Wörtchen mehr mitredete, wurden vorzugsweise Beamte de­legiert, die sich den Beratern gefällig zeigten und den Umgang mit ihnen pflegten. Ideologische Gesichtspunkte spielten vor­erst noch eine untergeordnete Rolle, obwohl man natürlich die Personalakte des Kandidaten anforderte und deren Angaben überprüfte.

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Das Hauptziel bestand nunmehr darin, Bundesgenos~en unter der jüngeren Beamtenschaft zu finden und sie der jegli­chen Neuer~ngen .abholden alte~ Polizistengarde entgegen­zustellen. Dieses Ziel gedachten die Nordamerikaner zu errei­chen, indem sie Eindruck schunden und vor den jungen Leuten das Bild einer künftigen Polizei entwarfen, die, hochwirksam und gut ausgerüstet und demzufolge von Gewicht im innen­politischen Leben der Nation, imstande sein würde, sich an Einfluß mit den Militärs zu messen.

Von dem Zeitpunkt an absolvierte die Mehrheit der jüngeren Beamten ihr Studium in Washington; danach standen sie ihren Meistern als Instrukteure für die weiteren QualifiZierungslehr­gänge in Uruguay zur Verfügung; zur Verfügung deshalb weil die Mission das Mitspracherecht des Innenministeriums b~i der Benennung der Instrukteure auf ein Minimum reduziert hatte und sie mittlerweile von sich aus nominierte, wenn sie nicht gerade in dem einen oder anderen Fall dem jeweils amtierenden Minister einen besonderen Dienst erweisen wollte.

Vom dritten Lehrgang ab wurden schließlich Beamte aus dem Landesinneren, die sich bei der Ausbildung durch die Yankees hervortaten und auch sonst entgegenkommend ver­hielten, nach Washington geschickt. Später mußte die Mission nachdem ihre Selbstherrlichkeit zu Rivalitäten und innen: politischen Verwicklungen geführt hatte, die Studienplätze auf der Grundlage von Ausschreibungen vergeben. Dank ihrer Vorsorge blieb das allerdings eine leere Geste, denn sie behielt sich sowohl die endgültige Entscheidung über die ersten fünf Kandidaten vor wie auch das Recht, Beamte zu berücksichti­gen, die sich bei der Ausschreibung nicht hatten placieren können.

Der zweite uruguayische Fortbildungslehrgang fand Mitte 1967 in Parque del Plata, Departement Canelones, statt. Der dortige Polizeichef, Oberst Eduardo Legnani, freundete sich rasch mit den Nordamerikanern an. Da Inspektor Guerra kurz vorher zum Direktor des Kriminalamtes ernannt worden war, leitete Hauptmann Gervasio Somma von der Guardia Re­publicana den Lehrgang.

Dessenungeachtet unterstützte Guerra weiterhin die Aus­bildung, ja, er hielt sogar mehrere Lektionen. Für die Berater war das äußerst wichtig. Sein Auftreten verschleierte, daß die

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nordamerikanische Speerspitze auf die altgedienten Beamten zielte, und verhalf den Lehrgängen zu einem gewissen Pre­stige.

Cantrell sah sich als Vertreter von Saenz gezwungen, der Ausbildung einige Aufmerksamkeit zu schenken, und so nutzte er die Zeit, um Beziehungen zu Beamten aus dem Landesin­neren anzuknüpfen. Die Zusammensetzung des Ausbildungs­personals hatte sich nicht wesentlich verändert. Der aus Washington zurückgekehrte Leiter des Kommissariats von Bella Uni6n, Raul Tomas Ferrer, wurde sogleich als Instrukteur eingeteilt.

Die Berater waren mit dem Lehrgang in Canelones sehr zufrieden; so zufrieden, daß Saenz nach seiner Rückkehr nei­disch wurde. Sie hatten ein gutes Verhältnis zu den Teilneh­mern herstellen können und Verständnis beim ,Chef der De­partementspolizei, Oberst Legnani, gefunden. Ein Absolvent war zum Inspektor befördert worden; der Kommissariatsleiter des Seebades Atlantida hatte versprochen, Leonel Brizzola, Exgouverneur des brasilianischen Bundesstaates Rio Grande do Sul und Schwager des 1964 durch einen Staatsstreich rechter Militärs gestürztetf Präsidenten Goulart, zu überwachen und die Mission über jeden Schritt des Verdächtigen zu informieren; ein anderer Teilnehmer - Unterkommissar Alcaire - hatte seine Eignung als Instrukteur überzeugend nachgewiesen.

Den dritten Lehrgang führte die Mission in Colonia durch. Inspektor Guerra ließ sich im Kriminalamt vertreten und übernahm wiederum die Leitung. Seitdem vorigen Kurs hatten weitere drei Polizeibeamte aus dem Landesinneren die Hörsäle der Akademie in W,ashington durchlaufen: ein ausgezeichneter Beamter aus dem Reisanbaugebiet des Departements Treinta y Tres, einer aus Artigas und der dritte aus Colonia, der während des Lehrgangs für die Verbindung zur Depar­tementspolizeidirektion zuständig war. Er hatte vor Jahren das Präsidium in Montevideo wegen Teilnahme an einer Ver­schwörung, die von Treinta y Tres auf die Hauptstadt über­zugreifen drohte, verlassen müssen.

Bei diesem Lehrgang ging es nicht ganz ohne Reibungen ab. Die vom Ministerium bestellten Koordinatoren der bisherigen Kurse - Oberst Berta für den ersten und Dr. Sampognaro für den zweiten- vertraten die Ansicht, daß ihre Behörde in allen

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Lehrgangsfragen das letzte Wort z~ sprechen habe. Die hatte Dr. Sampognaro zwar konsultiert, aber seine nUltS(:Uel'"'

dungen nur schlecht und recht beachtet. Deshalb wurde für diesen Lehrgang noch Oberst Viola, ein Militäradjutant Innenministers, zur Seite gestellt.

Beide versuchten, das - in wirklich wichtigen Belangen ohnehin nur auf dem Papier stehende - Primat des Ministe­riums zu verteidigen, aber die Berater fühlten sich schon "~"'."'A>' ,

genug, ihren Willen durchzusetzen, und ahnten, daß Minister Legnani am Ende seine eigenen Vertreter nicht unterstützen würde. Sampognaro gab den Kampf bereits während der Vorbereitung des dritten Kurses auf und ignorierte fortan olympischer Gelassenheit und Würde feindselig schweigend alles, was die Lehrgänge betraf.

Viola, der Dickschädel, kämpfte bis zum Schluß, obwohl er von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Er tat rpir leid, als ich ihn am letzten Lehrgaqgstag die Ehrengäste begrüßen sah, wobei er seine gedrückte Stimmung hinter betont förm· licher Höflichkeit verbarg. Er war zur Zielscheibe des "n(~rh"~ von Ausbildern, Teilnehmern und Beratern geworden.

Während dieses Lehrgangs ließen die Nordamerikaner durch­blicken, daß es zweckmäßig sei, den Posten des Polizeichefs il'i allen Departements künftig mit einem Berufsbeamten zu be'" setzen. Ein gewiß sehr löbliches Kriterium. Doch eben gebracht in der Überzeugung, daß die von ihnen aw;gebilejet:en Polizeibeamten fügsamer sein würden als die Militärs.

Weitere Lehrgänge fanden in den Bezirken Florida, donado, Cerro Largo und T reinta y T res statt. Aber zu der arbeitete ich schon in der Politischen Abteilung .und Irn'''ßrPi·

n;Jich, obgleich ich die Mission ziemlich regelmäßig aujrsu~ctlt:e. mit den Ausbildungsinterna nicht mehr befassen.

In dem Maße, wie die Berater die Lehrgänge der J. .... '-'~n~~J.l"' .. des Innenministers entzogen, änderte sich die LusalnrrlcnSct!!'··. zung des Ausbildungspersonals. Zu Beginn wählten die amerikaner die Instrukteure nur nach fachtechnischen sichtspunkten aus, dann erhöhten sie die politischen rungen, und schließlich verlangten sie völlige Ergebenheit.

An den letzten Lehrgängen, von denen ich etwas wirkte aus der Anfangsmannschaft der Instrukteure nur

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so ein alter' Beamter wie Kommissar Fuster mit, der den Yankees dank seiner Erfahrung und seinem Können unent­behrlich war und von ihnen trotzdem nie ganz akzeptiert wurde. Bonaudi und Guerra waren mit Hilfe der Berater in höhere Dienststellungen aufgestiegen, andere, wie Castro, infolge Krankheit ausgeschieden. Jene aber, die sich nicht gefügt hatten, waren abserviert worden und in ihrem Dienstalltag Schikanen ausgesetzt. Keiner sollte mehr aufmucken.

Dabei konnte von ideologischen oder taktischen Unstimmig­keiten nicht die Rede sein. Anlaß zum Streit gaben überwiegend methodische Fragen und manchmal der Wunsch, wenigstens den äußeren Schein zu wahren. Die Berater stellten derart dreiste Ansprüche, daß ablehnende Reaktionen einfach nicht ausbleiben konnten, zumal es sich um Menschen handelte, die es gewohnt wareQ., sich als Bürger eines souveränen Staates, des Musterbeispiels der Demokratie in Lateinamerika, zu betrach­ten.

Ab 1970 hatten die Lehrgänge im Landesinneren Vorrang. Und der neue Berater für Ausbildung - Bernals Nachfolger­gehörte der CIA an. Er setzte andere Programme als die bisher geschilderten durch. Diese Entwicklung war abzusehen. Die Vorherrschaft, die sich die Yankees in der Hauptstadt gesichert hatten, sollte ausgedehnt werden.

"B undesgenossen"

Die obenbeschriebenen Lehrgänge gestatteten .den Nord­amerikanern, Direktbeziehungen herzustellen. Jene Polizei­beam te, die am gefügigsten schienen, nahmen sie sich gesondert vor. Einige lieferten sich sofort aus, andere wurden allmählich eingefangen. »Kesseltreiben« und schwarze Listen gehörten zu den unvermeidlichen Folgen der Kurse.

Einmal besuchte ich in Melo, wo der Lehrgang für den Bezirk Certo Largo stattgefunden hatte, mit ein paar Bekannten ein kleines Tanzlokal am Rande der Stadt. Dort kam es zu einem erzählenswerten Zwischenfall.

Kaum hatte die Musik zu spielen begonnen, fand sich der

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hiesige stellvertretende Polizeichef - Techera, wenn ich recht entsinne - ein. Sein Amtsbereich erstreckte sich auf und Umgebung, ausgenommen die Innenstadt. Er beabsich­tigte, nach unerlaubtem Waffenbesitz zu fahnden und sich nebenbei die fällige ~fia de arriba - ein nicht zu knappes GJas auf Geschäftskosten - abzuholen. Wichtigtuerisch stolzierte. der schlanke, rotwangige Unterkommissar mit dem Wiesel- ' gesicht durch den Saal.

Schließlich unterbrach er den Tanz und musterte jeden Anwesenden einzeln. Dann zog er sich nach draußen zurück; um seinen brasilianischen Whisky »on the rocks« in Empfang zu nehmen. Dort stellte irgendwer mich ihm vor, wobei er­gewiß versehentlich - hinzufügte, daß ich Saenz' Sekretär sei. Die bis dahin abweisende und gleichgültige Miene des Unter ... kommissars änderte sich im Nu. Höflich bat er mich, Saenz zu übermitteln, daß er die verlangten Listen schon vorbereitet . habe. '

»Ich habe sie aber nicht abgeschickt«, sagte er mir, »weHich der Dienstpost nicht recht traue. Sie wissen ja, wie manche Leute sind.«

Auch das erklärt, warum die Einmischung in einigen FälleIl und mangelnder Takt in anderen sogar bedingungslos ergebene' Leute zum Aufbegehren veranlaßt haben. Saenz und Bernal unterhielten sich in meiner Gegenwart des öfteren über einen Diensteid und die Vor- und Nachteile, die es brächte, ihn,zu fordern. Ich schenkte dem damals keine sonderliche Beachtung, weil ich glaubte, es handle sich um eine Formsache. Aber es steckte mehr dahinter.

Im Januar 1970 hatte ich ein Gespräch mit Unterkommissar Fernandez Fleitas, Jorge Vazquez und einem weiteren Ange .... hörigen des Amtes für Information und Aufklärung .. Wir re ... · deten über Fleitas' bevorstehende Abreise zum nächsten Lehr:.. gang an der Internationalen Polizei-Akademie in Washington. Da meinte Vazquez, als Grundbedingung für das Studium, werde verlangt, durch eine eidesstattliche Erklärung nicht nur der Regierung Uruguays, sondern auch den USA und ihrer Politik Treue zu geloben.

Vazquez hatte die Unterschrift verweigert, und seine De". legierung war zurückgezogen worden. Als Fernandez Fleitas>' einwandte, daß es so ein Dokument überhaupt nicht gebe,

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ihn Vazquez an: )}Erzähl hier keine Märchen. Du weißt ganz genau, daß sich der Unterzeichner sogar verpflichten muß, das Vorhandensein der Erklärung abzustreiten.«

»Es gibt sie aber trotzdem nicht«, beharrte Fleitas. »Wenn du durchaus willst, kann ich sie dir Wort für Wort

hersagen. Ich kenne den Text auswendig. Außerdem habe ich eine Kopie an einem sicheren Ort. Vielleicht brauche ich sie eines Tages noch ma1.«

Schließlich gestand der Unterkommissar, den Diensteid unterschrieben zu haben. Hätte er es nicht getan, hätte erden Studienplatz verloren und seine Position im Geheimdienstamt wäre unhaltbar geworden. Er war eben kein Sohn eines vet~ storbenen Obersten wie Vazquez mit weitreichenden Bezie­hungen, hatte keinen Acuna, mit dessen Unterstützung er rechnen konnte, sondern hing völlig von den Nordamerikanern ab.

Danach sprachen die drei über die Unzufriedenheit, die in ihrem Amt wegen der Gewohnheit der Berater herrschte, ständig Informationen abzufordern, ohne die Möglichkeit ein­zuräumen, an deren Verarbeitung teilzuhaben. Gegendienste leisteten die Yankees offenbar nur, wenn sie ihnen in den Kram paßten. Und während sie im Amt im dunkeln tappten, werde allerlei gemunkelt. So, die USA-Botschaft wolle hinter dem Rücken der uruguayischen Regierung Verbindung zu den Tupamaros aufnehmen. Oder es werde ein Staatsstreich mit verfassungstreuen Kräften vorbereitet.

Derartige Gerüchte ließen erkennen, wie sehr jene Uruguayer verunsichert waren und daß sie befürchteten, als Ver­suchskaninchen bei einem Experiment benutzt zu werden, das sich die Nordamerikaner zur Rettung des Regimes in Uruguay ausgedacht hatten.

Neben den Studienplätzen an der Internationalen Polizei~ Akademie vergab die Mission auch solche für eine technische Spezialausbildung. Manuel Gonzalez aus dem Präsidium ab­solvierte beispielsweise einen Halbjahreslehrgang für Funk­techniker in den Vereinigten Staaten und wurde darauf Ver­bindungsbeamter des Präsidiumsfunkdienstes bei der Mis­sion.

Um die Qualifizierungslehrgänge im Landesinneren attrak­tiver zu gestalten, wurden als Bestandteil des Abschlußzere-

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moniells Geschenke überreicht. An erster kleine Aufmerksamkeiten oder »Spiegelchen und chen«, wie Saenz sagte. Zu dieser Kategorie gehörten .• anderem die famosen Untersuchungsbestecke, mit denen nur ein Kriminaltechniker etwas anzufangen verstand. Freilich taugten sie dazu, die Chefs zu beeindrucken, die sie zunächst all ihren Freunden zeigten, bevor sie das Zeug in eine Ecke warfen.

Die zweite Kategorie Geschenke bestand aus Waffen und Zubehör. Schießausbildung war ein wichtiges Fach bei den Lehrgängen; und die Mission verfügte über einen Anfangs­bestand von 500 Revolvern Kaliber 38. Die Hälfte gab sie Montevideo aus. Der Rest war für den Abschluß eines jeden Lehrgangs bt;stimmt. Mit den Waffen wurde zugleich eine entsprechende Menge Munition verteilt.

Die Guardia Republicana protestierte, weil sie leer aus-. gegangen war. Doch die Mission hatte die berittene Bereit­schaftspolizei schon immer zurückgesetzt. Sie wußte, daß sie. ein veralteter Dienstzweig war, der über kurz .oder lang ver", schwinden mußte oder bestenfalls eine modern bewaffo;te Schwadron behalten sollte.

Dringlicher erschienen der Mission bestimmte Ausrüstungen zur Bekämpfung von Aufruhr und Straßenunruhen. Ich meine damit die im Rahmen der zweiten Kategorie für die Guardia Metropolitana und die Sonderschwadron beschafften Plasthelme mit Gesichtsschutz. Die Sonderschwadron, auf" gestellt auf Initiative der Berater, wurde vom Amt für Sicher~

. h~it des Präsidiums ausschließlich für den Streifendienst auf der Avenida des 18. Juli verwendet. Gleichzeitig beschaffte die Mission jene »Aufruhrbekämpfungsgewehre«, die mit ihren Plastepatronen so viel bitteres Leid über Montevideo brachten. Die Berater erklärten bei der Übergabe an die Leitung des Kriminalamtes: »Vorsicht, ihre Schußweite ist grÖßer alsclie eines normalen Polizeikarabiners.«

Die dritte Kategorie Geschenke um faßte chemische Waf~ fen. Das waren die Gasgranaten, die die Guardia Metro­politana einsetzte. Sie erhielt davon zwei Arten: die einen mit dem üblichen Tränengas CN gefüllt, die anderen mit einem Reizkampfstoff vom Typ CS, der auf das Nervensystem wirkt und die Atmung lähmt. Allein im Jahre 1967 wurden minde..; stens 17800 Gasgranaten mich Uruguay geliefert.

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Es gelang mir freilich nie, die genaue Anzahl der nach Uru­guay gebrachten Waffen und chemischen Kampfmittel fest:" zustellen. Das dÜrfte auch heute kaum jemandem möglich sein. Nicht alle Sendungen waren ordnungsgemäß deklariert und an die Botschaft adressiert. Solche Beamte wie Oberst Borges, Verantwortlicher für Zoll fragen im Innenministerium, können das bezeugen. Manche Lieferungen trafen getarnt als Wer­bematerial für den USIS oder andere USA-Filialen ein.

Nach meiner Schätzung erfaßten die Presseenthüllungen jener Jahre nicht einmal die Hälfte dessen, was die Nord­amerikaner wirklich einschleusten, und schon gar nicht das für die Streitkräfte bestimmte Material. Doch sie st~ebten an, gleiChzeitig mit der moderneren Ausrüstung im Militärbezirk Nr.1 auch die Position der Guardia :(V1etropolitana als Truppe mit der stärksten Feuerkraft zu festigen. Deshalb versorgten sie die Metropolitana außerdem noch mit Schnellfeuergewehren und schweren Waffen. So wurden die Voraussetzungen für die Trauertage geschaffen, die bald darauf in Montevideo anbre­chen sollten.

Das FBI gibt nach

Man darf wohl annehmen, daß selbst ein Mann wie Saenz kaum glaubte, er könne mit dem parallelen Apparat der CIA kon­kurrieren. Solche Illusionen hatte er nicht. Er bezweckte etwas anderes."

Nebenbei bemerkt, gibt es keine Beweise dafür, daß das FBI als Institution versucht hat, einen zweiten Apparat auf­zubauen. Der Kampf beschränkte sich eher darauf, bei wich­tigen Entscheidungen nicht übergangen zu werden und die. Eigenständigkeit zu betonen. Aber lassen wir es vorläufig mit dieser Hypothese bewenden.

Saenz organisierte ein eigenes Netz, weil er sich den innerhalb des Präsidiums erlangten Einfluß sichern wollte. Dazu konnte er durchaus Instruktionen oder Empfehlungen des FBI erhalten haben. Das Informationsnetz ermöglichte es ihm, des öfteren beim Botschafter vorzusprechen und mit Neuigkeiten auf-

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zuwarten. Eine Sache, an der er sowohl aus pe:rsonuc;m~.tL Gründen wie auch von Amts wegen sehr interessiert war.

Und das traf nicht nur auf Saenz zu. Selbst ein so hart.;. gesottener Typ wie Cantrell maß der geringsten Kleinigkeit, mit der er vor seinen Chefs oder vor dem Botschafter glänzen konnte, große Bedeutung bei. Eines Tages, als Cantrell ins Innenministerium zu einer Unterredung mit Dr. Sampognaro gefahren war, wurde eine Farbbombe gegen das Botschafts.,. gebäude geworfen.

Ich hörte davon über den Polizeifunk und versuchte, Cantrell anzurufen, aber Sampognaros Telefon war gestört. Also machte ich mich auf den Weg zum Ministerium. Cantrell brach die Sitzung sofort ab und eilte zur Botschaft, um sich sehen zu lassen und seine Wachsamkeit zu zeigen. Hinterher bedankte er sich bei mir, daß ich so umsichtig gewesen sei und ihm im· Ministerium Bescheid gesagt hätte. Es sei für ihn ," •. r-ht·IO".

gewesen, selber am Ort des Geschehens geweilt zu haben, fügte er hinzu. Mochte seine Abwesenheit noch so gerechtfertigt erscheinen, sie hätte ihm bestimmt abträgliche Kritiken ein­gebracht.

Ein ähnlicher Fall ereignete sich, als Barlocco zurücktrat und . OberstAguirre dessen Posten übernahm. Purtscherbesuchte während jener Tage zufällig das Präsidium. Wie sich der Leser erinnern wird, stand er auf der schwarzen Liste der Botschaft. Ein Witzbold kam auf die Idee zu behaupten, daß er, obwohl ein Blanco, zum Stabschef ernannt worden sei oder jedenfalls zur Guardia Metropolitana zurückkehre. Mit einigem Ver,,­gnügen beobachteten wir, wie Saenz, Cantrell und sogar Bernal sich beeilten, die ersten zu sein, die diese Nachricht der Bot~ schaft übermittelten.

Es gab natürlich noch ein letztes Motiv dafür, daß Saenz einen eigenen Apparat aufzuziehen versuchte. Sanktionierte der Botschafter sein Vorhaben, bekäme er eine perfekte Fas':' sade für seine Geschäftchen. Doch Saenz' Netz blieb in den Anfängen stecken. Fehlende Mittel zwangen ihn, es im wesent­lichen auf Versprechungen, auf seinen persönlichen Einfluß im Präsidium und auf kleine Geschenke zu gründen.

Ich kannte ein paar der Leute, die Saenz' angehörten; so Imazul Fernandez vom USIS oder John Bell um} Norman Moore-Davis, zwei bei der AID beschäfti~te An..,

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glouruguayer. Auch andere waren ihm behilflich, allerdings nur in seiner Eigenschaft als leitender Beamter der Nordamerika­ner . Deshalb schließe ich hier die Inspektoren Guerra, Guerrero oder Moran Charquer039 nicht mit ein.

Unseren Büros war eine Anzahl uruguayischer Polizisten zugeteilt. Einer von ihnen war der Kriminalanwärter Walter Spinelli. Er verkörperte den typischen Greifer, war nahezu Analphabet - er konnte kaum seinen Namen schreiben - und hegte einen Haß gegen die Zivilbevölkerung, der ans Patholo­gische grenzte. Wenn er den Kombiwagen der Mission fuhr, klammerte er sich fest ans Steuer und hielt Ausschau nach Fußgängern, um sie zu provozieren und auf diese Weise seine Frustration an jener Gesellschaft abzureagieren, die ihn ver­urteilte, weil er in ihr nur wenig mehr als ein Tier geworden war.

Spinelli wohnte, besser gesagt, er hauste in einem Loch in der Inca Nr. 2400, wo seine Frau und die Kinder dahinvegetierten. Bis er die Familie verließ, lebte seine Frau von Abtreibung zu Abtreibung und wußte nicht, wie sie das Allernötigste an Lebensmitteln auftreiben sollte, während er mit Saenz Whisky trank und, die Lebensweise der nordamerikanischen Berater imitierend, das Geld verjubelte, das er zusätzlich einzustreichen verstand.

Er verabscheute die Disziplin, zu der Cantrell ihn zwingen wollte, und sperrte sich dagegen, indem er ihn ignorierte. Er war schon Saenz' Kumpan gewesen, als der dem abwärtigen Milieu Besuche abzustatten begann, und nun erhob ihn Cantrells Feindschaft zum Vertrauten des Missionschefs. Von Lauf­burschen- bis zu Kupplerdiensten erledigte er so ziemlich alles für Saenz, .bis dieser ihn am Ende zu fürchten hatte, weil er zuviel wußte.

Saenz entledigte sich des unerwünschten Zeugen seiner licht­scheuen Betriebsamkeit und schob ihn ins Dezernat Öffent­liche Ordnung ab, wobei er ihm vorsichtshalber die Lieferung von Schnaps und Zigaretten durch die Mission nicht sperrte. Als Saenz jedoch abreiste, fiel Spinelli auch in dieser Hinsicht in Ungnade. Trotzdem erholte er sich bald wieder von dem Schlag, denn seine Skrupellosigkeit machte ihn zu einer preis­werten Ware. Er wurde Leibwächter von Oberst Zina Fernan­dez, der damals zum Präsidium versetzt worden war, und seine

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unter Saenz gesammelten Erfahrungen dürften Festivitäten des Obersten im Landhaus des Präsidiums zupaß gekommen sein.

Spinelli war überwiegend bei operativen Einsätzen nützlich. Nur einmal konnte er Angaben von einigem Wert beschaffen: Er hatte seine Geliebte Liliana Rodriguez, die das Lehrerbil­dungsinstitut in der Ecitda Paullier besuchte, Saenz vorgestellt, und der gab ihr den Auftrag, in eine Studentengruppe ein;­zudringen.

Von den Einsätzen, an denen Spinelli teilnahm, möchte ich zwei anführen. Kurz vor den Wahlen 1966 wurde ein Trupp· Kriminalpolizisten zusammengestellt. Sie durchstreiften Montevideo, um die Sichtwerbung bestimmter Gruppierungen zu zerstören und auf Kundgebungen und in Versammlungen von Parteien, die provoziert werden sollten, zu randalieren.

Dieselben Polizisten stellten auch den Löwenanteil für das Eingreifkommando, das sich während der Vorbereitung der Präsidentenkonferenz damit befaßte, über Bürgerherzufallen,

. die Flugblätter verteilten, Plakate klebten oder Protestlosun~ gen riefen, und sie so zu mißhandeln, d~ß es Verletzte undin mehreren Fällen Schwerverletzte gab.

Später spezialisie~te sich der Kern des Kommandos darauf fortschrittliche Abgeordnete zu überfallen. Diese Aktione~ befehligte Fähnrich Sartorio von der Guardia Republicana, Absolvent der Internationalen Polizei-Akademie und führen:. des Mitglied der Legion Artiguista, einer halbmilitärischen " faschistischen Organisation oder Schlägerbande, deren Ange'­hörige schon lange auf den Moment gewartet hatten, daß man sie endlich von der Leine ließ.

Um diese Zeit kontrollierte die CIA bereits Saenz' privates Informationsnetz ; Spinellis Platz als Y ankee-Vertrauter im Kommando nahm ein anderer Polizist des Kriminalamtes ein~ Vita oder Vifia, der gleichfalls von Anfang an dabei war una •• wenig später ins Amt für Information und Aufklärung versetzt wurde. -.

Zum Privatnetz des Missionschefs gehörte ferner Somma, Hauptmann der Guardia Republicana und Leiter des Lehrgangs in Canelones. Da seine Frau Erbin eines großen Vermögens war, hatte der Hauptmann keine Geldsorgen. Ihm.

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lag vielmehr daran, daß die Nordamerikaner die Putschpläne von Elementen aus der Colorado- und Batllisten-Union unter­stützten. Als guter Freund Bernals kam er beizeiten mit Saenz in Verbindung ; danach diente er Cantrell als Informations­quelle während der Gehorsamsverweigerung der Guardia Republicana.

Inzwischen verstrichen, was die Vereinigten Staaten betraf, die Jahre, in denen Johnson abwirtschaftete und Nixon die politische Bühne betrat. Seit der Hexenjagd auf alle Fort~ schrittskräfte während der McCarthyzeit, einem Höhepunkt in der Geschichte des FBI, hatte ein allmählicher Niedergang. dieser überwiegend auf die innere Ordnung ausgerichteten Organisation eingesetzt.

Nachdem die junge und machthungrige CIA ihre Positionen im Ausland gefestigt hatte, drang sie nun durch die Hintertür in den bis dahin unverletzlichen Hoheitsbereich des USA­Justizministeriums ein. Heuchlerisch bezeichnete sie das als ganz natürliche Ausdehnung ihres Operationsfeldes und recht­fertigte es mit der Ausbreitung des kalten Krieges.

Das FBI war organisatorisch nicht gewappnet, um sich gegen die neuen, durch den Aufstieg <fes Sozialismus und das Ent­stehen der dritten Welt gekennzeichneten Zeiten zu stemmen. Es trat den Rückzug an, doch es verzichtete nicht auf jeden Kampf. Um zu prüfen, ob es sich an die veränderten Umstände anzupassen vermochte, dehnte es sich mit Hilfe des State Department in Richtung Ausland aus, wo es bisher nur am Rande operiert hatte. Ich habe diese Problematik bereits an­gedeutet.

Diese und andere Widersprüche, die ich hier nicht zu be­schreiben brauche, widerspiegelten sich bei den Querelen in Montevideo. Es handelte sich um taktische Widersprüche, entzündet an einem Überbleibsel US-amerikanischer Verfas­sungstradition.

T rotz gewisser Anfangserfolge mußte Saenz scheitern - seine Organisation zog den kürzeren. Außerdem war er leicht ver­wundbar. Das Privatleben bildete den Punkt, wo die CIA ihm den Gnadenstoß gab, um ihn von der uruguayischen Bildfläche verschwinden zu lassen.

Ende 1969 reiste Saenz aus Montevideo ab, praktisch aus der Mission gefeuert, weil er die innere Sicherheit des Yankee-

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Apparats gefährdet hatte. Einer ernsten np~:rr,:jrl nur wegen der guten Referenzen, die über seine an,l:allg11ctJre' Arbeit in Uruguay vorlagen. '

Von da an rückte das FBI an die zweite Stelle. Es sich nur noch mit seiner herkömmlichen Aufgabe -der Über­wachung des nordamerikanischen Personals - und schmiedete Zukunftspläne. .

Ein interessantes Institut

Schon seit März 1968 übersetzte ich dank den Bemühungen meines Freundes Cantrell Verschlußmaterial für die Politische Abteilung. In gewisser Hinsicht zielte die von mir geleistete. Arbeit genau darauf ab, und ausführlichen Weisungen zufolge:1 die ich erhielt, sollte ich meine Position auf diesem Gebiet weiter ausbauen.

Nachdem ich Saenz mehrmals gesagt hatte, daß ichbez' absichtige, ein amtlich zugelassener Übersetzer zu werden was mir gestatten würde, offiziell Übersetzungen auszufüh~ ren -, kündigte ich bei ihm. Als Grund gab ich an, daß ich mich selbständig machen wolle, um meinen Kundenkreis besser bedienen zu können.

Ich sollte die Zusammenarbeit mit der Mission fortsetzen; jedoch in aller Öffentlichkeit in meinem angeblichen Über.;.: setzungsbüro und nicht als Angestellter der AID. Die CIA stellte mir so viel Geld zur Verfügung, daß ich bescheidene' Räume mieten und Geschäftskarten drucken lassen konnte.

Sein~rzeit verhandelte ich bereits wegen eines Appartements in der Rivera, indes, ich kam nicht dazu, es zu benutzen, da det Plan plötzlich geändert wurde. Mich überraschte das nicht, weit ich dergleichen gewohnt war und mittlerweile als normal ansah.

Die CIA hatte mir schon einmal zu meiner Tarnung Stelle bei der Pan American auf dem Flughafen Carrasco reser~ viert. Diese Beschäftigung hätte nebenbei den Vorteil gehabt, daß 'ich mich mit Angestellten anderer Fluggesellschaften anfreunden konnte, um Informationen über Platzreservierun:

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gen und Flugbuchungen zu erlangen, denn einige Gesellschaf­ten wie Air France oder SAS weigerten sich, ihre Passagierlisten den Flugplatzbehörden vor dem festgesetzten Zeitpunkt zu übergeben.

Fernandez Fleitas wollten sie durch solch eine zweitrangige Aufgabe nicht zusätzlich gefährden. Damit meine Einstellung nicht auffiel, hatte ich mich bei der PAN AM beworben, Fürsprecher gesucht und Empfehlungen eingereicht - eine davon stammte von Saenz. Jene Arbeit sollte ich am Ende aber doch nicht aufnehmen, weil mir dann die nötige Zeit für das Übersetzen gefehlt hätte. .

Ungewollt verdarb mir diesmal Micale gründlich das Kon­zept. Er schickte sich an, nach den Vereinigten Staaten aus­zuwandern, und besuchte einen Englischintensivkurs am EMER-Institut. Als er von meiner AbsiCht hörte, die Mission zu verlassen, riet er mir, lieber noch etwas anderes zu suchen für den Fall, daß bei der Übersetzerei eine Flaute eintrat, und er erbot sich, mir eine Stelle am Institut zu verschaffen.

Beiläufig erzählte ich das Cantrell, und daraufhin wurde der Plan umgehend geändert. Wie sich herausstellte, interessierte sich die CIA schon lange für das EMER-Institut. Inhaber und Leiter dieser Einrichtung waren Oberst Nery Egafia, der Operationschef der Luftstreitkräfte, sowie Hauptmann der Reserve Saul Rey, zugleich bei der Staatlichen Elektrizitäts­und Fernmeldegesellschaft beschäftigt. Ein weiterer Reser­veoffizier - Oberst Armagno, bis vor kurzem noch Geheim­dienstchef der Luftstreitkräfte - leitete das Verwaltungsres­sort. Die Schüler setzten sich größtenteils aus Piloten und anderen aktiven Offizieren zusammen.

Oberst Egafia unterhielt gute offizielle Beziehungen zur Luftwaffenmission der USA, war aber dennoch für seine ver­fassungstreue Haltung bekannt. Die CIA besaß eine Menge Angaben zur Person Egafias, so daß ich keine derartigen In­formationen zu beschaffen brauchte. Ich sollte vielmehr die Besucher und Schüler des Instituts identifiZieren, darunter vor allem die von den Luftstreitkräften.

Ferner hatte ich mich zu vergewissern, ob irgendwelche Zusammenkünfte stattfanden und ob dazu ein bestimmter Raum oder der Hörsaal benutzt wurde. Im übrigen sollte ich die Entwicklung der Ereignisse aufmerksam verfolgen und

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notfalls ein paar elektronische Geräte zu Hilfe U"'lllUl;;U.

sonderes Interesse erweckte damals ein Dokument, das Luftstreitkräften anläßlich der Absetzung Oberst Mallins zirkulierte. .

Malan war ein Offizier mit exzentrischen Ideen. Bei einer Inspektion des Militärflugplatzes Durazno hatte er sich in unfeinen Worten über die Geschäfte und Praktiken Jorge Batlles, seinerzeit politisches Faktotum der Regierung Pacheco Areco, ausgelassen. N ach Mon tevideo zurückgekehrt, wurde er . verhaftet und im Luftwaffenstützpunkt Camino Mendoza unter Arrest gestellt. Von dort aus gelang es ihm, seine Version' der Vorgänge zu verbreiten. .

Als Gegenmaßnahme gab die Generalinspektion der Luft,,: streitkräfte eine amtliche Darstellung des Zwischenfalls in Umlauf, beging aber den Fehler zu glauben, daß ihr das Offizierskorps das Papier unterschreiben würde, obgleich. es wohlweislich keine Gelegenheit bekam, es wirklich zu lesen .. Das Verhalten der Generalinspektion wurde als Mangel an militärischer Höflichkeit gewertet und führte zu einer all­gemeinen Unzufrjedenheit, die mögliche und Malan durchaus. zuzutrauende konspirative Bestrebungen in den LuftstreiN kräften einstweilen überdeckte.

Kurz nach diesem Zwischenfall stellte mich das Institut als Dozent ein. Meine Beziehungen zur Politischen Abteilung blieben absolut geheim. Weder Saenz noch Bernal hoch irgend­ein Botschaftsmitarbeiter außerhalb der Politischen Abt~ilung ahnten etwas davon. Saenzschickte mir hin und wieder Zu übersetzendes Material, was Cantrell gleichfalls tat; jedoch nur, um nicht das Mißtrauen des Missionschefs zu erwecken.

Hauptsächlich übersetzte ich dagegen während jener Zeit die Beschreibungen für sämtliche Geräte und Anlagen, die Tech~ niker der CIA in den Labors des Informations- und Aufk1ä~ . rungsamtes installierten, ins Spanische. '.

Ich erteilte auch Privatunterricht, wobei ich mich mit Cantrell abstimmte, damit die Übersetzung der technischelI . Dokumentation nicht in Verzug geriet. Plötzlich erblickteet' darin neue Möglichkeiten und teilte mir mit, ich solle ihm, UrIl

nicht meine Zeit für irgendwen zu verschwenden, vorher die Namen der sich anmeldenden Schüler nennen. .

Damit wurde .eine weitere Datenquelle erschlossen.

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CIA an der betreffenden Person gelegen, genehmigte sie den Unterricht und bezeichnete die Art der Information, die ich einholen sollte. Ich bekam fortan sehr unterschiedliche )} Pri­vat«schüler: einen Angestellten aus der Zentrale der Bank der Republik; einen Gymnasiallehrer, der mit der Tochter eines Generals verheiratet war; die Frau des Besitzers einer be­kannten Möbelspedition; den Leiter einer Bankfiliale oder einen Oberstleutnant der Luftstreitkräfte.

Einmal erhielt ich den Auftrag, dem Institut eine Schülerin abspenstig zu machen und sie - die Tochter des Botschafters eines mittelamerikanischen Landes - privat zu unterrichten. Weshalb so etwas geschah, erfuhr ich nie genau. In allen Fällen spielten jedoch die Informationsbeschaffung und die Kontrolle eine Rolle. Ich sollte jeden überwachen, sogar Bardesio, und möglicherweise war er beauftragt, mich zu überwachen. Oder auch nicht. Ich hatte bereits einen anderen Status.

Und das ist nicht minder bezeichnend. Ein Polizist durfte einen Kommissar bespitzeln, ein Amtsdirektor einen Sergean­ten, ein Minister seine~ Sekretär und der Sekretär seinen Mi­nister. Für sie als Uruguayer mochte es eine Rangordnung und Abstufungen geben, doch in den Augen der Nordamerikaner zählte nicht die Dienststellung, sondern allein die Nationalität, und insofern gehörten die Uruguayer allesamt ein und derselben Kategorie an: der Kategorie der »Eingeborenen«. .

Nach den Yankees, die natürlich auf dem Gipfel thronten, kamen die Anglos - in Uruguay ansässige Engländer. Danach die nichturuguayischen Lateinamerikaner. Und in dem Maße, wie die Leiter abwärts führte, verwischten sich die Grenzen. Dieses Schema gilt genauso für andere Länder: In Brasilien zum Beispiel sitzen die Brasilianer auf der untersten Stufe.

Ich war eine Art Bastard und Exilkubaner. Ich mußte kurz vor oder nach den Anglos rangieren. Deshalb glaube ich nicht, daß Bardesio mir nachspionierte.

Für die Yankees leiteten sich daraus heikle Fragen ab oder ungeschriebene Gesetze. So war 5S dem US-amerikanischen Personal gestattet, mit Einheimischen zu fraternisieren. Frei­lich nicht zu sehr. Nur so viel, daß sie bei Laune blieben. Sexuelle Beziehungen wurden· akzeptiert - besonders bei Männern -, wenn sie nicht zu dauerhaften oder allzu ver­traulichen Beziehungen führten.

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Auch nordamerikanische Damen durften unter mit Toleranz rechnen. Nicht einmal die nächtlichen die die Chefin der Abteilung Volksbildung der AID UU •• "Ul'<>lH.U,

zogen größere Konsequenzen nach sich. Und)} Juanita« kaum imstande gewesen, das Äußere ihrer Zufallsbekannt..: schaften von der Avenida des 18.Juli zu beschreiben, ge­schweige denn deren Namen anzugeben.

Mary Bogan, die zwiegesichtige Chefsekretärin des AID­Direktors Steward, bekam gleichfalls keine Schwierigkeiten, solange sie sich nicht betrank. Aber Mary war ein Sonderfalb Sie hatte das clearance in ihrer Akte, den Sichtvermerk; der . als empfangsberechtigt für Verschlußsachen aller Geheim..: haltungsgrade auswies. .

Folglich hielt sich Mary nicht lange in Montevideo. Ich entsinne mich der fidelen Parties, die sie für uruguayische Angestellte der AID und der Botschaft in ihrem Appartement im Edifido Panamericano veranstaltete, obwohl man ihr aus gegebenem Anlaß untersagt hatte, Einheimische in die Woh­nung einzuladen.

Im Sommer 1967 besuchte ich sie mehrmals in dem Wochen- . endhaus, das sie mit zwei Freundinnen in der Parada Nr.5in Punta del Este gemietet hatte. Sie hatte Prohibition gelobt, unterhielt jedoch nach wie vor ein reichhaltiges Getränkela­ger.

Ich beabsichtige keineswegs, Puritanern oder Heuchlerndas Wort zu reden. Ich habe dieses Thema vielmehr aufgegriffen; um das System der zwei Maßstäbe zu verdeutlichen das die' nordamerikanische Diplomatie ihrem Personal aufzwingen muß, sobald sie die Politik der Unterwanderung auslöst. Durch· eine gefühlsmäßige Distanzierung zwischen Interventen Intervenierten soll das berüchtigte Sicherheitsrisiko vermindert werden. Denn tiefere menschliche Bindungen können durchaqs ein solches Risiko heraufbeschwören.

Gelegentlich mag einer gegen diese Monotonie aufbegehren. Doch das fällt ihm nicht leicht. Einerseits gewähren die Gesetze: der USA den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes Privile­gien und Schutz, andererseits bieten diese gesetzlichen Bestim- . mungen aber auch genug Handhaben zu ihrer sofortigen prüfung oder Entlassung. .

In eine derartige Situation geriet eine Sekretärin der

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tischen Abteilung nur deshalb, weil sie und ein Verkäufer des Modesalons » London-Paris« sich ineinander verliebt hatten und heiraten wollten. Man redete mit ihr, doch sie änderte ihre Absicht nicht. Darauf schickte man sie nach Washington zurück. Ihren Verlobten, dem sie in weiser Voraussicht ein Visum besorgt hatte, nahm sie mit. Sie mochte zwar arbeits­rechtlich gegen eine Entlassung aus diesen Gründen geschützt sein, aber ich bezweifle, daß sie je wieder ins Ausland gefahren ist.

Dieser Fall ereignete sich zwischen 1964 und 1965, noch vor meiner Anstellung in der Mission. Die Nachfolgerin von Miss Dupress, die neue Sekretärin Juan Noriegas und Assistentin der Politischen Abteilung, Bunny Denharn, beeindruckte die Geschichte sehr.

vs-übersetzer

Juan Noriega beteiligte sich rege an der Bildung des Amtes für Information und Aufklärung. Dazu hatte er sich in Acuiias Büro einquartiert; später zog er offiziell in die Zimmer im obersten Stockwerk, die der Leitung des Präsidiums als Be­helfsschlafräume dienten.

Die eigentliche Aufgabe Noriegas bestand jedoch darin, die operativen Arbeiten der Politischen Abteilung zu führen, wobei er sich ebenfalls mehrgleisig betätigte. Da waren zunächst die ihm unterstellten Diplomaten sowie die - auch mit einem Diplomatenpaß in Uruguay eingereisten - Elektronikspeziali­sten, Labortechniker, Polygraphenbediener und sonstigen tech­nischen Fachleute.

Des weiteren unterstanden Noriega die Verhörexperten, die an wichtigen Vernehmungen im Polizeipräsidium teilnahmen und die viele Verhaftete gern vergessen möchten. Auch für » Vertreter«, wie beispielsweise zwei Kubaner von der uru­guayischen Pepsi-Cola oder einen Kolumbianer von Philip Morris, war er zuständig.

Und schließlich gebot er über eine Sorte Uruguayer, die auf Bestellung irgendwen beschatteten, jemanden verprügelten

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oder ab und zu einen Mord begingen. Ich bekam diese sehr selten und einige von ihnen rein zufällig zu '-J\.,~L'-,H~.

Während Cantrells Urlaub im Jahre 1968 betreute Noriega< beide Arbeitsgebiete und war sehr überlastet. Zugleich mit den Übersetzungen mußte ich ihm alle vierzehn Tage meinen Be­richt über Egaiia, Rey und die ausgewählten Schüler des In-' stituts überbringen. Solche Berichte wurden zwar fast immer schriftlich eingereicht, außerdem aber noch mündlich erläu~ tert.

Cantrells Verfahrensweise war einfach. Ich rief den Hatis­apparat 60 oder 61 der Botschaft an und verlangte Guillermo ' für Antonio. Cantrell sagte mir eine Uhrzeit durch, und wir / Jegten auf. Das Treffen sowie das Gespräch, währenddessen wir frühstückten, fand in der Bar» EI Gamarote«, Ronreu/Ecke; Mercedes statt.

Juan bevorzugte die Sorocabana am Cagancha-Platz. Da er es stets eilig hatte, stieg ich in seinen cremefarbenen VW zu und gab meinen Bericht, während er seine Tour erledigte. So sparte er etwas Zeit, und wir fuhren meinethalben von Paso Alto nach Puente Carrasco und von dort zum Rod6-Park. Überall geschah das gleiche. Er hielt an und lief los, ich wartete inzwischen im Auto. Minuten später kehrte er zurück, und wir setzten unseren Dialog bis zum nächsten Halt fort. Manchmal konnte ich seine Gesprächspartner sehen. Alle schienen Uruguayer zu sein und' waren durchweg bescheiden gekleidet.

Eines Tages spannte er mich in seine langweiligen Über­wachungen ein. Diesmal galt sie einem Verwandten des Innen~ ministers Jimenez de Arechaga und fand in der Pablo de Mafia statt. Ich hielt mich damals in Cantrells Appartement auf, sonst wohnte ich jedoch knapp zwei Querstraßen vom Objekt errh fernt. Noriega bat mich; die Arbeit zu übernehmen, da sie mir leichtfiele und ich keine Aufmerksamkeit erregte.

Er legte mir mehrere Fotos vor. Sie zeigten alle dieselbe Person, einen Mann in gesetzten Jahren. Ich sollte beobachten, wann welche Besucher das Haus in der genannten Straße betraten und verließen, und dazu die genaue Uhrzeit sowie .gen Namen der Betreffenden, falls ich sie erkannte, notieren. Natürlich interessierte ihn besonders, ob die Person ·auf Fotos das Haus aufsuchte.

Hin und wieder passierte es, daß sich der Wachposten

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sein Herumlungern verdächtig machte und die Polizei ihn verhaftete. Er durfte sich dann unter keinen Umständen zu erkennen geben; derlei Arbeiten wurden ohne jeden Ausweis getan. Auf dem Polizeirevier oder -kommissariat durfte er nur einen Decknamen nennen, der periodisch wechselte. Diesen Namen erfuhr irgendein Angehöriger des parallelen Apparats - entweder im Kommissariat oder im Präsidium -, der dar­aufhin eine bestimmte ebenfalls regelmäßig geänderte Tele­fonnummer wählte und das Vorkommnis meldete.

Ich stand acht Stunden als Torhüter an der Ecke zu Jimenez de Arechagas Haus und war der Sache so über - oder podrido, wie der Uruguayer sagt -, daß Noriega sich diese Art Ge­fälligkeit von mir nur noch einmal erbat. Die Bedingungen im zweiten Fall waren ähnlich, wenngleich das Objekt noch aus­gefallener. Einzelheiten und die Namen der Betroffenen will ich allerdings verschweigen, da sie hier ohnehin belanglos sind und eine geachtete uruguayische Familie nur ins Gerede bringen könnten.

Statt dessen möchte ich mich wieder dem Thema Überset­zungen zuwenden. Diese bestanden, die Dokumentation f~r die Laboreinrichtungen ausgenommen, hauptsächlich aus Uber­tragungen aus dem Spanischen ins Englische. Der Grund lag auf der Hand: Abgesehen von verhüllter oder offener In­doktrinierung sowie genau dosierter technischer und operativer Unterweisung liefern die Nordamerikaner keine Informatio­nen, sondern beziehen welche.

Nachdem die Laboratorien ausgerüstet waren, fielen kaum noch Übersetzungen ins Spanische an, denn die operativen Instruktionen erteilten die USA-Berater und -Speztalisten im wesentlichen direkt. Eine Ausnahme war die von der Poli­tischen Abteilung zur Verfügung gestellte Analyse des Movi­miento Revolucionario Oriental (MRO), einer uruguayischen revolutionären Bewegung, die mit der Kommunistischen Partei an der Schaffung der bis 1970 bestehenden Frente Izquierda de Liberaci6n (FIDEL) beteiligt war.

Bei allen anderen Übersetzungen in die spanische Sprache handelte es sich um Propagandamaterial, von den Yankees Instruktionsliteratur genannt. Diese Texte konnte man bis auf ein paar verzierende Details in Nachrichtenmagazinen wie »Time« oder »Newsweek« nachlesen. Sie befaßten sich mit

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Abweichungen der Kommunistischen Partei amerikanischen Landes, untersuchten, warum sie pekinghörig geworden sei, und griffen ähnliche Themen

Vorrang bei den Übersetzungen ins Englische hatten Zeitlang die Dreifragentests; ich bekam über achtzig in trag. Dem Test wurden sämtliche Beamte und Angestellte Amtes für Information und Aufklärung sowie die :;C!lrusselti.:. guren unter den Vertrauensleuten unterzogen. Lemos Silveira wickelte die Aktion ab und lieferte den Nordamerikanern eIne Durchschrift des Ergebnisses. Solch ein Test war einfach gebaut. Der Betreffende mußte sich dreifach beschreiben: einmal, wie ihn ein Feind beurteilen würde, dann, wie es. ein Freund täte, und zuletzt, wie er sich selber einschätzte. Die Beschreibung sollte kurz sein. Einige Testantyvorten be~ital1cre:n; nur aus einem Satz, ausführliche füllten eine ganze Seite. Mit begegnete so manches bekannte Konterfei aus dem unlängst der Taufe gehobenen Geheimdienstamt wieder.

Wie ich mich erinnere, übersetzte ich auch eine Studie Englische, die Meinungsverschiedenheiten in der Leitung ANCAP (Administraci6n Nacional de Combustible, A1cohol y Portland; Nationale Verwaltung für Brennstoff, Alkohol und Zement) analysierte und Möglichkeiten zur Infiltration Agenten in die einander befehdenden Gruppen beschrieb, Ferner übersetzte ich einen Auskunftsbericht über den Mo .. vimiento Liberaci6n Nacional (Nationale Befreiungsbewe­gung) mit den Steckbriefen von 37 Tupamaros als Anlage eine Einschätzung zur Situation der katholischen Kirche in Uniguay.

Darauf folgte eine w\':üiger umfängliche Übersetzung, in dargestellt wurde, daß eine Konfrontation mit der unvorteilhaft sei und man )}demokratische« Priester zur Neu .. tralisierung der progressiven Tendenzen benutzen solle. Dazu kamen die Biographie des Bischofs von Salta; eine Analysede~ hauptstädtischen Tageszeitungen und des Journalistenverhan­des; eine Einschätzung Jorge Batlles und der internen Lage ddt Colorado-Partei; eine Darstellung des Weges von Martin Echegoyen und ein Hinweis auf die Gefahr, daß f'., ~ .. t-,orr, .. ;++1

katholische Kreise sich der Zeitung )}BP Color« belnai~m~lg.'c ten.

Zur Aufbewahrung der Originale und der

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hatte mir Cantrell eine Stahlkassette übergeben. Die Arbeiten erled~~te ich bei mir zu Hause oder an einem gesonderten Ort. Die Ubertragungen ins Englische und zwei Übersetzungen ins Spanische - die Analyse des MRO und eine Studie zur Kirche­waren Verschlußsachen. Sie konnten den Vertraulichkeits­grad A, B oder C haben. Arbeiten mit dem Vertraulichkeits­grad B und natürlich auch C (geheim) durfte ich in meiner Wohnung nicht anfertigen, dazu mußte ich mich zu Cantrell begeben. Während seines Urlaubs wurde die Prozedur aus­nehmend lästig. Noriega hatte kaum Zeit, zud~m eignete sich seine Wohnung nicht für diesen Zweck.

Also brachte mir ein gewisser David - ein Nordamerikaner mit leichtem mexikanischem Akzent - das Material in Can­trells Appartement, wo ich vorübergehend wohnte, und ich übersetzte in seinem Beisein. War die Arbeitszeit beendet, nahm David Original und Übersetzung in Verwahrung, bis er am nächsten Tag erneut zu mir kam. Aus verständlichen Gründen möchte ich davon absehen, den Inhalt von Über­setzungen mit dem Vertraulichkeitsgrad C in meinem Buch wiederzugeben.

Ich durfte Arbeiten dieser Art ausführen, weil ich das höchste clearence hatte, das jemand erhalten konnte, ohne die nordamerikanische Staatsbürgerschaft zu besitzen. Nur mit streng geheimen (als classified ausgewiesenen) Unterlagen durfte ich mich nicht befassen, sie waren ausschließlich USA-Staats­bürgern vorbehalten.

Das operative Restaurant

Seit September 1968 besuchte ich in regelmäßigen Abständen Punta del Este. Ich hielt es für zweckdienlich, in jenem Tou­ristenzentrum ein Saisongeschäft zu betreiben. Nach mehreren Besuchen fuhr ich nach Melo in der Hoffnung, »Chiche« Odllakoff für das gewagte Unternehmen zu erwärmen. Zuerst hatte er Bedenken, da er, falls er sich beteiligte, ab und zu seiner Arbeit fernbleiben müßte, doch dann begeisterte er sich zu­sehends und gestand mir sogar, daß ihm des öfteren schon die gleiche Idee gekommen war.

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Es interessierten sich noch drei Leute für das darunter der Sohn des Chefs der Departementspolizei . Largo, und wir begaben uns auf die Halbinsel, um eine pa!;setKle Lokalität zu suchen. Die Mieten waren für unser winziges Kapital fast unerschwinglich. Am Ende gaben wir uns mit einer Art Saal - einer früheren Kneipe - in der Ram6n Guerra zufrieden. Dort, unweit des Gymnasiums in der Maldonado, richteten wir ein Grillrestaurant ein.

Cantrell war von dem Vorhaben nicht sehr angetan, hatte· aber auch nichts dagegen, wenn ich mich an den Wochene!lden in Punta deI Este aufhalten und meinen Geschäftspartnern helfen würde. Wenige Tage später änderte er seine Meinung und zeigte plötzlich lebhaftes Interesse. Es stimmte natürlich, daß' man das Restaurant als Operationsbasis oder zumind~st als Anlaufpunkt für den stellvertretenden Kommissariatsleiter Concepci6n verwenden konnte.

Die wahre Ursache dieses jähen Sinneswechsels lag indes in der Person des Lokalvermieters Don Florencio Collazo, früher Direktor des Gymnasiums und nunmehr pensioniert. Er hatte aus erster Ehe einen Sohn, der Abgeordneter des Moviri:liento Revolucionario Oriental war. Der CIA ging es demnach um Ariel Collazo, einen bekannten Politiker der Linken, und. Cantrell schmiedete mit Noriega Pläne, wie der Vater zu über­wachen und der Sohn zu kompromittieren sei.

Zu der Zeit verbrachte Ariel Collazo eine Woche Urlaub in einem kleinen Haus, das seinem Vater gehörte und gegenüber· unserem Restaurant lag. Noriega entschied sich für eine Aktion großen Stils, um den Parlamentsabgeordneten in eine schm1:lt~ zige Sache zu verwickeln, die gestatten sollte, ihn in Verruf oder jedenfalls so in Verlegenheit zu bringen, daß es seinem Ansehen. empfindlich schadete. . .

Zwei Frauen des parallelen Apparats stiegen in einem Hotel in der Maldonado ab und warteten auf Anweisungen. Das­chalet wurde mit Abhörgeräten und einer Kamera präpariert und der Abgeordnete Tag und Nacht überwacht. Meine Auf:, gabe beschränkte sich darauf, als KontaktsteIle zu dienen und zu berichten, wann »Esteban« - das war der Deckname für. Ariel - kam und ging. Obwohl die Aktion zu nichts führte,; wurde beschlossen, mich im Departement Maldonado Zu be­lassen, damit ich ähnliche Möglichkeiten fül' die' L.t4l\.U:U.Lt;/'

prüfte.

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Ich sollte regelmäßig nach Montevideo fahren - ich mußte mich schließlich um Übersetzungs aufträge kümmern - und die Verbindung zu Concepci6n halten.

)}Chiche« machte kein Hehl aus seiner Dienststellung bei der Polizei in Cerro Largo, und unser anderer Partner war der schon erwähnte Sohn des dortigen Chefs. Wenn sich bei uns dieser oder jener Polizeibeamte einstellte, erweckte das mithin kaum Verdacht. )}Chiche«, gesellig und vor allem redegewandt - ein Straßenhändler hatte nicht soviel Talent, ein Gespräch an­zuknüpfen, wie er -, kannte Leute aus den unwahrschein­lichsten Gegenden. Ebensowenig fielen Besucher auf, die aus­schließlich mich interessierten.

Da das Restaurant während der Saison knapp die Kosten deckte, erwogen wir, nach Melo beziehungsweise Montevideo zurückzukehren. Doch dann kam uns der Gedanke, in einem Teil des geräumigen Lokals Holzwände einzuziehen und im Winter Zimmer an Geschäftsreisende zu vermieten; im Som­mer sollten sie vorwiegend von Saisonbeschäftigten genutzt werden.

Cantrell billigte die Modifikation. Unsere Zimmer eigneten sich selbstverständlich auch als Unterkunft für Agenten des parallelen Apparats, die in der Zeit des großen Touristerf­zustroms als Kellner, Verkäufer oder sonstiges Dienstpersonal eingesetzt wurden. Diese Idee verwarf Cantrell jedoch alsbald wieder, weil ihm »Chiches« nationale Gesinnung nicht behagte. Gewiß huldigte er keinen radikalen Ansichten, aber es genügte, daß er für die Souveränität seines Vaterlandes eintrat.

Punta deI Este. bot vielfältige Möglichkeiten zur Nach­richten beschaffung wie auchzur Einmischung und Infiltration. Einmal verhängte Noriegaohne Voran kündigung förmlich den Belagerungszustand, und es gelang, den Expräsidenten Brasi­liens, Goulart, der hier eingetroffen war, scharf zu überwachen. Zur normalen Kundschaft, auch unseres Restaurants, gehörten Vertreter sämtlicher politischer Richtungen. Für mich ein -nach Auffassung der CIA - idealer Wirkungsbereich.

Wer fand sich da nicht alles ein! Ein Anarchist; leitende Beamte des Innenministeriums; Mitarbeiter des Amtes für Information und Aufklärung; Angehörige linker Organisatio­nen; zwei Pachecoleute; der Privatsekretär von Jorge Batile; ein Grüppchen Herreristen; davongelaufene Ehefrauen; leichte

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Mädchen; Oberste; Provinzcaudillos ; Zeitungsreporter schistoide Elemente ebenso wie geschäftstüchtige Künstler. Jede Branche schien vertreten.

Doch wie ich bereits schilderte, war meine Übeniahme vott der Mission in die Politische Abteilung so vollzogen worden,' daß sie absolut geheim blieb und nicht einmal die USA-Berater und -Diplomaten außerhalb dieser Abteilung davon etwas wußten. Deshalb brachten mich alte Bekannte immer wieder mit meiner vergangenen Tätigkeit in Zusammenhallg. Sosehr ich mich auch verstellen mochte, in Polizeikreisen wurde ich eben mit Saenz und der Mission und beim Geheimdienstamt mit Cantrell, Noriega und der CIA gleichgesetzt.

Und nun lief ein raffinierter psychologiscner Mechanismus an. )}Cabanexy«, unser Restaurant, verwandelte sich in einen allgemeinen Treffpunkt für die Polizei- und Geheimdienst-. beamten, die zur Halbinsel reisten. Das hatte Cantrell weder geahnt noch gewollt. Die Rollenverteilung kam völlig durch­einander. Einige Beamte sangen mir Loblieder auf die Nor,(I­amerikaner und hofften, daß ich es ihnen übermittelte. Andere trugen mir ihre Beschwerden vor, um zu sehen, ob sie beachtet wurden. Wieder andere suchten ganz einfach ein 'gemütliches Fleckchen, wo man billig essen, seine geschmuggelte Flasche. Whisky mitbringen und obendrein die Nacht in einer normaler­weise jenseits der eigenen finanziellen Möglichkeiten gelegenen Umgebung verbringen konnte. .

Lucas, Jorge Vazquez, Fernandez Fleitas, Macchi und Bar­desio tauchten - neben anderen und aus verschiedenen Grün., den - mehr oder weniger häufig auf. Obligatorische Besuche statteten auch Odllakofs Amtskollegen oder Freunde ab, wenn sie in der Nähe weilten.

Spontan und von der CIA-Regie nicht vorgesehen, entwik­kelte sich »Cabanexy« zu einer inoffiziösen Filiale des Infor­mations- und Aufklärungsamtes. Im Februar 1970 erschien Jorge Vazquez mit geheimnisvoller Miene, und mit zwei Beam­ten im Gefolge. Er leitete ein Sonderkommando, das in Er-; wartung von Tupamaros-Aktionen den Gegenschlag führen sollte.

Die Leute seines Kommandos waren schon untergebracht; nur er und seine beiden Assistenten noch nicht. 'Er kam nicht nur, um Quartier zu erbitten, sondern ich sollte ihn auch bei

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Spaziergängen durch Punta del Este begleiten, damit sich die Ortsansässigen an seinen Anblick gewöhnten und er dann keine Aufmerksamkeit erweckte. Dann bedeutete soviel wie Haupt­saisonbeginn, wenn Tausende Uruguayer auf der Suche nach einer Beschäftigung oder einem Platz für ihr Kleinwanderge­werbe anreisen würden.

Während jener Tage wohnten zwei komplette Orchester in unserer Restaurantpension. Vazquez schloß sich der Herbergs­gesellschaft als ein Mann mehr an. Bedingt durch die Art der Gäste und die freundschaftlichen Beziehungen ging es bei uns manchmal zu wie in einer großen Familie. Auch kam es öfter vor, daß uns irgendein Gast beim Saubermachen, bei Besor­gungen oder in der Küche helfen mußte.

Ein paar Wochen lag Vazquez mit seinen anderswo in Punta del Este sowie in Maldon.ado und San Carlos einquartierten Leuten auf der Lauer. Keinem Menschen fiel das auf. Seltsamerweise unternahmen die Tupamaros nicht eine einzige Aktion. Aber Jorge reiste zufrieden ab. Bald darauf heiratete er die Sängerin des einen Orchesters.

Die BID~Gouverneure

Über die Absicht, eine Escuadron de la Muerte aufzustellen, hörte ich zuerst von Vazquez und dann von Kommissar Macchi. Formiert werden sollte sie aus Personal des Geheimdienstarn tes und Mitgliedern der Legion Artiguista. Da ich die finstere Vergangenheit der uruguayischen Faschistenorganisation und einige ihrer gegenwärtigen Aktivitäten kannte, wunderte es mich nicht, sie in solche Pläne verstrickt zu sehen.

Doch Vazquez war nicht richtig informiert. ~r äußerte nichts anderes als die Mutmaßungen eines Polizisten, der sich gescheitert wußte und bereit war, die von seiner eigenen Klasse aufgestellten Spielregeln zu durchbrechen. Konkret hatte er nur erfahren, daß Fleury, der Begründer der brasilianischen Todes­schwadron, Uruguay demnächst mit einem Besuch beehren wollte.

Macchi war mit dem Projekt besser vertraut. Aus taktischen

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Gründen sollte die uruguayische Variante der vorerst weder gegen prominente Persönlichkeiten noch führende Politiker vorgehen, sondern ausschließlich HilY""""'"

der mittleren Ebene beseitigen oder vielleicht auch nur prügeln und einschüchtern, Personen also, die die öffentliche .. Meinung nicht sofort mit einer bestimmten Partei oder fort­schrittlichen Bewegung in Verbindung bringen würde. Ihr eigentliches Handeln begänne, wie Macchi erzählte, später, . aber bisdahin müsse man die Organisation aufgebaut haben.

>>Vorläufig arbeiten wir mit dem Florett«, sagte er. >}Der Tag des Säbels kommt schon noch.«

Ihn befriedigte sehr, daß die Nordamerikaner - sie waren bisher gegen derartige Operationen gewesen; weil sie den Zeit­punkt für verfrüht hielten - ihre Haltung endlich geändert hatten. Künftig, dank ihrer Hilfe, brauchten sich er und seine Leute nichts mehr von Brasilien und solchen Angebern wie Fleury vormachen zu lassen, sie konnten selber handeln und sich einen lang gehegten Wunsch erfüllen: eine eigene Killertruppe zu besitzen.

Auf diese Weise, mit Routinearbeit ausgefüllt, verstrichen die Wochen, bis man beschloß, daß ich zur Mission zurück­kehren sollte. Bevor ich dort meine Tätigkeit wieder aufnahm, teilte mir Bernal mit, daß das Uruguayische Institut für Meinungsforschung einen Dolmetscher für streng vertrauliche Verhandlungen benötige. Es erW$lrte den Besuch Gallups, des Chefs des gleichnamigen Demoskopieunternehmens in den' . Vereinigten Staaten. Sein Unternehmen ist durch Verträge mit ähnlichen Institutionen in Lateinamerika verbunden, was· ein­geschleusten CIA-Agenten eine vorzügliche Tarnung bietet.

Die Verhandlungen sollten in Punta del Este stattfinden. Ich begleitete Mitarbeiter der Botschaft zu dem Institut in der Rio Negro in Montevideo, sprach mit dem Direktor und machte mich mit der Tätigkeit der Einrichtung vertraut. Aber in letzter Stunde wurde der Plan umgestoßen. Martinez, der Cantrell als Kriminalistikberater abgelöst hatte, eröffnete mir, ich solle nicht für Gallup arbeiten, da dessen Besuch zeitlich mit der Jahresversammlung der BID-Gouverneure zusammenfalle ich bei der BID - Banco Interamericano de Desarrollo (Inter~ amerikanische Entwicklungsbank) mit Sitz in Washington nötiger gebraucht werde.

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Für die Dauer der Bankkonferenz sollte ich Mr. White, dem Leiter des Organisations büros im BID-Sekretariat, als As­sistent zugeteilt werden. White 'var zugleich Sicherheitschef der Entwicklungsbank, und auch meine Aufgaben lagen, ebenfalls getarnt durch eine andere Beschäftigung, auf diesem Gebiet. Um den Formalitäten Genüge zu tun, füllte ich ein Einstel­lungsgesuch in dem Personalbüro aus, das die BID vorüber­gehend in Montevideo eingerichtet hatte.

So wurde ich einer von Whites Gehilfen. Wenig später er­nannte er mich zu seinem Hauptassistenten und unterstellte mir das gesamte uruguayische Personal des Organisationsbüros. Das Büro war zuständig für die technische Vorbereitung und Sicherstellung der Konferenzarbeit. Es mietete die Räume, kümmerte sich um Möbel und Telefonanschlüsse, sorgte für einen Fuhrpark, übernahm odel," verteilte BID-Dokumente und verwaltete das Büromaterial.

Cantrells Nachfolger hatte mir gesagt, daß er nicht nach Punta del Este fahren könne. Ein anderer CIA-Beamter werde aber zum gegebenen Zeitpunkt Kontakt mit mir aufnehmen und mir weitere Instruktionen geben. Der Agent war dann der stellvertretende Chef des Begleitschutzes für den USA-Finanz­minister, der im »Edificio Lafayette« residierte.

Eines Abends suchte ich mit ]orge Vazquez das Gebäude auf. Nachdem er mich selbstgefällig der ganzen Leibwache· des Ministers vorgestellt hatte, zechten wir mit ihnen bis spät in die Nacht, und Jorge war mächtig stolz auf seine neuen Freunde. Das Ironische unseres Besuches entging ihm freilich, da er nicht wissen konnte, daß ich am Vormittag schon einmal in diesem Appartement gewesen war, um meine Instruktionen zu empfangen. Den Yankee sah ich erst während der Konferenz wieder. Da flitzte er, den Miniaturhörer seines Walkie-talkie im Ohr, wie ein Besessener umher.

In Wirklichkeit hatte er wenig zu tun. Die uruguayjsche Sicherungsgruppe hatte auf der Suche nach Stätten fUr ihr stilles Wirken bereits das Nachtlokal »Barrabas« erkundet. Es bekam als einziges die Genehmigung, während der Bankkon­ferenz zu öffnen - die Saison war schon beendet -, so daß die Konferenzteilnehmer und das Sekretariatspersonal eine an­gemessene Zerstreuung nach den trockenen Wirtschaftsdebat­ten nicht missen mußten.

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Unterdessen überwachte ich diskret die leitenden ten der Bank der Republik, die als Mitarbeiter der des Gastgebedandes auf organisatorischem Gebiet den. Mir fiel dabei lediglich auf, wie gekonnt sie es '(""'r"j,'<l"f

ein rundes Sümmchen für sich aus den Transportverträgen der Firma Cufietti herauszuschlagen. ,

Dann brauchte ich Möbelträger. Die BID zahlte gut. Natür~ lich fragte ich sofort alle Stammgäste unseres Lokals, ob sie die Arbeit übernehmen und sich das Geld verdienen wollten, damit sie ihre Schulden bezahlen konnten. Sie kamen, und wir ' gossen nicht wenig Schweiß mit dem Bemühen, Möbel rücken und zugleich den Putz im » Edificio« zu schonen.

Für mich waren vier turbulente Wochen angebrochen, denn die Hauptverantwortung in allen Sicherheitsfragen trug die CIA. White vertrieb sich die Zeit mit Angeln. Also begleitete ich die Chefs der uruguayischen Sicherungsgruppe, Major Albornoz und Hauptmann Mufioz,' beide von der Guardia Republicana, auf ihren Rundgängen. Auch Kommissar Lucas und seine Leute ließen sich, wie vereinbart, regelmäßig beimlr im Restaurant sehen, sonst befaßten sie sich allerdings halapt" sächlich mit der » Überwachung« der weiblichen Polizei. "

Die meiste Aufregung herrschte an dem Tag, als Pacheco Areco die Konferenz besuchte. Während seiner Ansprache standen Mufioz und ich hinter dem Vorhang auf dem Prä.: sidiumspodest. Die rückwärtigen Fenster hatten wir mit Blenden versehen, um jede Gefahr durch ie,c kertsdlützen auszuschließen. Ebenso hatten wir einen Blick unter das Podest geworfen, damit eine möglicherweise gelegte Bombe nicht unentdeckt blieb und beizeiten entfernt werden konnte. ' bewaffnet und wachsam, gaben wir nun dem Präsidenten nötige Rückendeckung.

Nachdem die BID-Konferenz beendet war, erhielt ich der Order zur Rückkehr nach ~ontevideo die Weisung, länger im Departement Maldonado zu bleiben und nur hin wieder zwecks anderer Aufgaben in die Hauptstadt zu HUU"JeL,

Die Guardia Republicana hatte sich empört, und im Raum Punta del Este fanden Zusammenkünfte von Politikern Militärs statt.

Besonderes Interesse galt damals jenen Herreristeri in, Nationalpartei oder, genauer gesagt, bestimmten

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der Gebrüder Heber - jedoch ohne sie selbst -, die eine direkte Konfrontation mit der Colorado-Regierung befürworteten. Ich aber unterhielt freundschaftliche Beziehungen zu Alfredo Lara, dem Caudillo der »Fernandinos« unter den Heberleuten. Gleichzeitig vermutete man in den bewaffneten Kräften erneut eine Strömung zugunsten der alten verfassungstreuen Linie, wohl auch genährt von sozialer Unzufriedenheit.

In dieser Situation meuterte die berittene Bereitschafts­polizei. Die Rebellen standen offenbar mit der kleinen fort­schrittlichen Gruppe aus dem Heberanhang in Verbindung,. und das rief einige Besorgnis in Regierungskreisen und bei der USA-Botschaft hervor. Wie zum Hohn hatte Hauptmann Somma keine genauen Informationen geliefert.

Die Explosion in der Guardia Republicana war unvermeid­lich gewesen und hätte sich auch in jeder anderen Polizeifor­mation ereignen können. Die Tupamaros-Bewegung hatte den Ordnungskräften mehrere Aufrufe zukommen lassen und ihre Passivität als Begünstigung der Unterdrückungspolitik der Re­gierung und der von gewissen Polizeikommandos und -dezerna­ten begangenen Verbrechen gebrandmarkt.

Die Unruhe unter den Polizisten wuchs, als die Tupamaros - mit vorgehaltener Pistole - einem Guardiasergeanten einen Brief aushändigten, in dem sie ihre Ausführungen in schärferem Ton wiederholten. Die Guardiapolizisten baten um die Erlaub­nis, in Zivil in die Kaserne kommen zu dürfen und erst dort die Uniform anzulegen. Ihr Kommandeur lehnte das ab, wobeLer behauptete, sie wären Feiglinge.

In der Guardia Republicana hatte sich nicht wenig Miß­stimmung und Groll angesammelt. Die Bereitschaftspolizisten leisteten beispielsweise Wachdienst für Privatbetriebe, und die entsprechenden Gebühren, die die Unternehmer direkt an das Guardiakommando zahlten, sollten dazu beitragen, die Lebens­bedingungen in den Kasernen zu verbessern. Aber viele Millio­nen Pesos verschwanden. Die Polizisten fühlten sich betrogen, doch sie schwiegen. Solche Manipulationen stellten nichts Neues dar.

Eines Tages war freilich das Maß voll. Ein Guardiapolizist beantragte bei Major Albornoz, dem stellvertretenden Kom­mandeur, 24 Stunden Kurzurlaub; um sein schwer erkranktes Kind zu besuchen. Albornoz fertigte den Antragsteller mit dem

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Hinweis ab, daß wegen außerordentlicher men - es herrschte wieder einmal Ausnahmezustand­Ausgang und Urlaub gesperrt sei.

Aber der Vater, in großer Sorge, wußte, daß täglich me:llr<~re" seiner Kameraden trotzdem die Kaserne verließen; es jene, die Albornoz für die Fertigstellung seines neuen Pr''('''''I"':','

hauses einsetzte. Ein paar Polizisten ersuchten deshalb deQ Major, seine Entscheidung nochmals zu überdenken. Albornoz erwiderte schroff, er denke nicht daran und betrachte ihr Verhalten als Meuterei. Die Fürsprecher begaben sich wieder in den Mannschaftsaufenthaltsraum, in dem sich zunehmend mehr Guardiapolizisten einfanden.

Der Major befahl ihnen herauszutreten, doch vergebens, rührten sich nicht. Einige Offiziere, vornweg Leutnant Lobatti - ehemaliger Instrukteur der Ausbildungslehrgänge im desinneren - rieten den Verstockten nachzugeben, und be .. schworen sie, keinen Blödsinn zu machen. Wutentbrannt schrie: der stellvertretende Kommandeur sowohl die Polizisten wie. auch die vermittelnden Offiziere an, denen er Feigheitvotwarf; weil sie einen Zusammenstoß mit ihren Männern vermeiden' wollten. ..

Schließlich bedrohte und beschimpfte er ausnahmslos und nur dem Eingreifen Lobattis und anderer Offiziere zu danken, daß er nicht an Ort und Stelle gelyncht Darauf erklärte sich der Rest der Mannschaftsdienstgrade und ein Teil der Offiziere mit den Gehorsam solida~ risch. Während jene gemeinsam in der M~mnlSCllattst.anlcl<l:e> blieben, um sich zu beraten, verständigte Albornoz das präsidium. Im Nu rückte ein Eingreifkommando der Metropolitana aus. Aber als sich die Polizisten der M(~tr()O(lli;" tana der Centenario-Kaserne näherten und. merkten, ",,,,Ir"",,"" Aufgabe ihnen zugedacht war, weigerten sie sich, .gegen Kameraden vorzugehen, und fuhren sofort zur eigenen .c,lIl:flel~" zurück.

Am nächsten Tag ergaben sich die Empörer, doch die gierung wagte es nicht, drastische Maßnahmen zu en~rei[telll. Das Innenministerium verfügte, daß die aufsässig ge';!lOJrde~nerr Offiziere in ihren Wohnungen und die von ihnen besetzten Baracke zu verbleiben hatten. standen sie alle un:ter Arrest.

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Diese zweideutige Situation dauerte mehrere Wochen an. Die Besorgnis der Regierung und der USA-Botschaft verstärkte sich, als sie erfuhren, daß Lobatti und andere Offiziere die sie betreffende Verfügung negierten. Sie hatten die Redaktion des Herreristenblattes »EI Debate«, die damals mit einer Art dritter Position kokettierte, aufgesucht und waren danach in die K~serne zurückgekehrt. Zu Lara - er war zugleich Reser­veoffizier der Armee - sowie zu anderen Gegnern Pachecos unter den Heberanhängern hielten sie außerdem noch Ver­bindung. Obwohl die Spannung mit der Zeit nachließ, deutete der Zwischenfall unmißverständlich auf enorme Widersprüche innerhalb der Repressivkräfte hin.

Dan Anthony Mitrione

Anfang 1970 bestellte mich Cantrell nach Montevideo in seine Wohnung. Er sollte demnächst nach Washington abreisen und einen neuen Posten übernehmen. Wir sprachen lange über die Lage in Uruguay und auch über meine Situation.

Cantrell schätzte ein, daß ich höchstens noch ein Jahr in Punta d.el Este bleiben könne. Schon zu viele Angehörige des parallelen Apparats und des Informations- und Aufklärungs­amtes wüßten um meine wirklichen Aufgaben, und das führe über kurz oder lang dazu, daß mich die Politische Abteilung nicht mehr einsetzen dürfe. Er erwog drei Möglichkeiten. Falls ich in die Vereinigten Staaten zurückzukehren wünschte, wäre es für mich nicht schwer, nach Ablauf der erforderlichen Frist die USA-Staatsbürgerschaft zu erlangen. Bis dahin werde die . CIA dafür sorgen, daß ich jederzeit eine Beschäftigung hätte. Sollte ich in Uruguay bleiben wollen, könnte ich natürlich auf gastronomischem Gebiet weiterarbeiten; ich müßte aber, um die Unterstützung durch >>unser Programm« nicht zu verlieren und Mitarbeiter der Politischen Abteilung zu bleiben, den Raum Punta del Este verlassen. Dort würde mich jemand, der noch nicht »verbrannt« sei, ersetzen.

Eine weitere Möglichkeit, sagte er, bestehe auch darin, in Uruguay zu bleiben, selbst wenn es hier noch mehr wirtschaft- .

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lieh bergab ginge, und meine alte Tätigkeit in der Mission wiederaufzunehmen. Dabei würde ich keineswegs die Bindung an >>Unser Programm« aufgeben. Außerdem unterhielten sie beste Beziehungen zu dem neuen Leiter der Abteilung Öffent­liche Sicherheit, Dan Mitrione, der Saenz vor etlichen Monaten abgelöst hatte.

Die letzte und zugleich einzige Möglichkeit, die ich selber . erwog, war jene, die mich später in die Lage versetzte, meine Erinnerungen aufzuschreiben: in Uruguay mit einem anderen Beauftragten der kubanischen Sicherheitsorgane in Kontakt zu treten, den die CIA gleichfalls angeworben hatte, um Spionage in diesem Land zu treiben.

Von Mitrione hör~e ich erstmals kurz vor Saenz' Abreise. Cantrell war überaus zufrieden. Seiner Überzeugung nach könnte nun, nachdem die AID den labilen Beraterchef endlich abberufen habe, sehr viel wirksamer als bisher gearbeitet werde.n. Er kannte den Nachfolger zwar nur flüchtig, zeigte sich aber recht beeindruckt von dessen Format, habe er doch in Brasilien Beachtliches geleistet.

Zu jener Zeit lernte ich auch Cantrells Nachfolger, Mr. Richard Martinez, einen Mestizen aus New Mexico, ken,. nen. Er war fortan mein neuer Chef.

Noriega reiste wesentlich überstürzter ab, denn wenige Tage später erfuhr die breite Öffentlichkeit von der Existenz der kleinen Telefonabhörzentrale, auf die sowohl die Leitungen der UdSSR-Botschaft wie auch die anderer diplomatischer Ver­tretungen im Pocitosviertel geschaltet waren. Als Noriega das Land verließ, deuteten schon alle Anzeichen darauf hin: Die »Sowjets« mußten Wind bekommen haben. Und Techniker der Politischen Abteilung hatten die Abhörzentrale installiert, während Leute vom operativen Apparat der Abteilung für die Sicherheitsmaßnahmen eingesetzt waren!

Doch Noriega hatte ungedeckt gehandelt und durch seinen Leichtsinn künftige Aktivitäten zunichte gemacht. Das her­angezogene Personal bestand bis auf eine Ausnahme - Lemos Silveira - ausschließlich aus Nordamerikanern. Der Auftrag war als top secret eingestuft. Sogar der jederzeit gut informierte Bardesio wußte nur, daß Lemos eine Arbeit von großer Wichtigkeit ausführte.

Auch Bemal stand kurz vor der Abreise. Binnen zwölf

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Monaten wurde das ge~amte USA-Personal der Mission aus­getauscht. Sie hatten sich vier Jahre in Uruguay aufgehalten. Ihre Namen erschien~n zu oft in den Enthüllungen der fort­schrittlichen Presse. Sie waren verbraucht.

Anfangs sah ich Martinez selten. Er war noch mit seiner Einarbeitung befaßt. Ich, in Maldonado, hatte ebenfalls keinen Mangel an Beschäftigung. Hinter uns lag eine miserable Saison, und so hatte ich trotz der beträchtlichen Hilfe eines benach­barten Lokalbesitzers alle Hände voll zu tun, den Geschäfts­betrieb ordnungsgemäß abzuwickeln. Wir waren sehr ver­schuldet und wollten die Großzügigkeit jenes Freundes nicht länger mißbrauchen. Andererseits betrachtete ich den Auftrag als erfüllt und war der Ansicht, daß ich nach Montevideo zurückkehren sollte.

Persönlich hatte ich keine,finanziellen Probleme,wenngleich mit der Einschränkung, daß ich meine Einkünfte von der CIA nicht beisteuern durfte, weil es keine Erklärung für sie gab. In dieser Hinsicht herrschten strenge Sitten. Nur einmal pfiff ich auf Cantrells Weisungen und beglich Geschäftsschulden, um das Restaurantabenteuer fortsetzen zu können.

Martinez nahm mich schließlich einmal zu Mitrione mit und ich verbrachte ungefähr zwei Stunden bei ihm. Seine A~gen schienen aus Plaste, so leblos blickten sie. Mitrione legte dar, welche Aufgaben auf mich zukämen, und verbreitete sich über neue Arbeitsweisen, Ausbildungsmethoden und Dimensionen die erschlossen werden müßten. '

Aus dem Ablauf dieses Gespräches und aus späteren Unter­haltungen mit Martinez ergab sich zweifelsfrei, daß für die Nordamerikaner die erste Phase ihrer Arbeit in Uruguay beendet war. Das Amt für Information und Aufklärung hatte sich gefestigt. Otero war natürlich auch eliminiert worden. Die Infiltration und die Beherrschung des Polizeipräsidiums von Montevideo sowie des Innenministeriums entsprachen den Anforderungen.

Bisher hatten sieben Fortbildungslehrgänge stattgefunden und die Grundlagen für die Unterwanderung des Landesinne­ren geschaffen. Der Aufbau des republikweiten Polizeifunk­netzes nach dem AID-Programm hatte begonnen, Die Männer der ersten Etappe waren »verbrannt« und wurden konsequent abgelöst.

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Was mich betraf, so durfte ich noch wichtige Aufgaben in Montevideo bei der Mission unter der Bedingung übernehmen, daß ich nicht auffiel oder mich allzu sehr hervortat. Martinez sollte vorläufig nicht nur Cantrdl ersetzen, sondern ebenfalls Bernal, bis de~sen Nachfolger eintraf. Nach seiner Ankunft behielt Martinez jedoch beide Fachgebiete, so daß nun, wie früher schon die Kriminalistik, auch die Ausbildung CIA­direkt gesteuert wurde.

Meine Rückkehr in die Mission war also beschlossen. Obwohl ich Mitrione bereits kennengelernt hatte, fuhr Bernal mit mir zur Botschaft, um mich ihm vorzustellen. Solche Mißverständ­nisse kamen seinerzeit häufig vor. Wir sprachen zehn Minuten in Cesars Beisein über meine wahrscheinliche Wiedereinglie-

, derung in das Büro der Mission im Polizeipräsidium. In den Tagen vor der Guardiameuterei hatte ich eine weitere

Unterredung mit Mitrione. Diesmal erklärte er, die geänderte Arbeitsweise der Mission verlange, daß sich er und die anderen Berater möglichst wenig im Präsidium sehen ließen. Deshalb übertrage er mir die Leitung des dortigen Missionsbüros, und zu meinen Obliegenheiten gehöre es, Martinez bei der Orga­nisation der Ausbildung zu unterstützen, in Routinefragen mit den Präsidiumsbeamten zusammenzuarbeiten und ihnen gegen­über ~ls sein - Mitriones - Mittelsmann aufzutreten.

Der neue Beraterchef erblickte seine wichtigste Aufgabe darin, ausgewählte Offiziere und Beamte in der Verhörtechnik bei politischen Gefangenen zu unterweisen. Von Cantrell wußte ich, daß dies seine Hauptbeschäftigung in Brasilien gewesen war. Und Mitrione würde die Spezialausbildung per­sönlich leiten. Deswegen wollte er im Präsidium nicht in Er­scheinung treten. Allerdings würde er regelmäßig die Büros des Geheimdienstamtes und die Zellen der politischen Häftlinge aufsuchen, um die Praxis zu überwachen.

Wir bekamen in Malvin ein Haus zugewiesen, das die Mindestanforderungen erfüllte: ein Kellergeschoß, das zu einem kleinen Hörsaal umgebaut und schallisoliert werden konnte, eine Garage mit Innentür zum Wohnungstrakt und die Nachbarhäuser weit abgelegen.

Im selben Augenblick verwandelte sich Mitrione in einen Perfektionisten, der alles selber überprüfte: das neutrale Ge­lände, die Grundstücksgrenzen, jede Einzelheit der Elektro-

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installation. Ich mußte im Keller einen Plattenspieler auf volle Lautstärke drehen - Hawaiimusik gefiel ihm -, während er im Wohnzimmer saß und lauschte. Zufrieden tauchte er wieder bei mir auf, er hatte nichts gehört. Trotzdem, das genügte noch nicht. Ich mußte einen Schuß abfeuern.

»Gut«, sagte er, »sehr gut.« Auch diesmal hatte er absolut nichts gehört. » Jetzt bleibst du hier, und ich gehe in den Keller.« Er schien kein Ende zu finden.

Die Spezialausbildung wurde gruppenweise für höchstens ein Dutzend Teilnehmer durchgeführt. Der erste Schub bestand aus .Kriminalbeamten von entsprechendem Ruf, die inzwischen dem Amt für Information und Aufklärung angehörten. Für den zweiten Schub wurden Beamte ausgewählt, die die Internatio­nale Polizei-Akademie in Washington besucht hatten. Vier Plätze waren für die Polizeidirektionen Cerro Largo, Mal­donado, Rivera und Salto reserviert. Von deren Kandidaten wurde nicht verlangt, daß sie Akademie-Absolventen waren, sie mußten jedoch ihre Teilnahme an einem hiesigen Fortbil­dungslehrgang der Mission nachweisen sowie ihre psycholo­gischen Testbogen auf dem neuesten Stand haben.

Dann erhielt Martinez den Auftrag, die Namensliste für den dritten Durchgang, an dem überwiegend Angehörige des parallelen Apparats teilnehmen sollten, vorzubereiten. Die Rede war auch von Offizieren der uruguayischen Armee. Hierzu hatte es ein Vorgespräch zwischen der USA-Militärmis­sion und der CIA gegeben, aber noch herrschte keine Klarheit, wie den Streitkräften der »Weisheit letzter Schluß« am besten beigebracht werden könnte.

Dennoch ließen einige Militärs, die an solcherart 'Qualifi­zierung anscheinend stark interessiert waren, ihre Beziehungen spielen und erreichten, daß sie nachträglich in den ersten Durchgang aufgenommen wurden, SQ Oberst Buda. Auch Oberst Hontou und ein gewisser de Michelis, Oberstleutnant, die aber anschließend aus irgendwelchen Gründen wieder gegen einen Hauptmann aus Paysandu und einen anderen Offizier aus dem Landesinneren ausgewechselt wurden.

Der Unterricht begann mit einer naheliegenden Thematik: Anatomie, Funktionsbeschreibung des menschlichen Nerven­systems, Flüchtlingspsychologie, Häftlingspsychologie. Es

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folgte soziale Prophylaxe - ein glattzüngiger Euphemismus, da nie jemand zu erfahren bekam, worin sie bestehen sollte - und . dergleichen mehr.

Bald nahm der Unterricht eine unangenehme Wendung. Für den praktischen Teil standen drei Bettler - in Uruguay bi­chicomes genannt -, Bewohner der Elendsviertel am Stadtrand Montevideos, sowie eine Frau, offensichtlich aus dem Grenz­gebiet zu Brasilien, als Testpersonen zur Verfügung. Es fanden jedoch keine Verhöre statt, sondern es wurde die Wirkung von unterschiedlich hohen elektrischen Spannungen an den Kör­perteilen des Menschen demonstriert. Außerdem wurde - wozu oder weshalb, blieb unklar - die Wirkung eines Brechmittels und einer weiteren chemischen- Substanz gezeigt.

Die vier starben. Nach den Lehrvorführungen schied Kriminalassistent

Fontana aus dem ersten Durchgang aus. Es hieß, er habe den Militärs Platz gemacht und werde am nächsten Sonderkurs teilnehmen. In Wahrheit hatte Fontana einen schwachen Magen. Wer hätte das gedacht, Fontana, der gefürchtete Folterer zu Oteros Zeiten.

Doch er wußte schon, warum er ausgeschieden war, denn was nun in jeder Unterrichtsstunde geschah, war tatsächlich grauenhaft. Einen Schein des Unwirklichen, das Gept;äge be­sonderer Abscheulichkeit gab ihnen Mitriones kaltes und ge­lassenes Verhalten: sein Lehreifer, sein Augenmerk für Kleinig­keiten, die Exaktheit seiner Bewegungen, die Sauberkeit und Hygiene, die er von allen verlangte, als befänden sie sich im Operationssaal eines modernen Krankenhauses.

Er bestand auf »sparsamer Gewaltanwendung«, wie er es nannte. Kein unnützer Kraftaufwand. Kein Schlag auf die verkehrte Stelle. Die Vorbehandlung diente ausschließlich dem Weichmachen. Alles Weitere mußten dann Informationen zutage bringen. Ihn störte die Lüsternheit, mit der Buda an männlichen Geschlechtsorganen hantierte. Die gemeine Spra~ che Macchis wirkte auf ihn befremdend. »Kommissar«, er­mahnte er ihn, »es ist besser, wenn wir für diese Körperteile die korrekten Bezeichnungen verwenden. Ich bitte Sie, die einem

. vorbildlichen Polizeibeamten angemessene Disziplin zu wah­ren.«

In den Unterrichtsstunden wurden auch die Verhöre aus-

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gewertet, die die Lehrgangsteilnehmer in ihrer Dienststelle vorgenommen hatten. Mitrione lobte das Geschick des einen und wies auf Fehler des anderen hin. Allmählich erreichte der Unterricht in der aseptischen Klinikatmosphäre des Hauses in der Rivera ein Niveau kaum faßbarer Scheußlichkeit. Mit der Zeit fanden dort echte Verhöre statt, die oben geschilderten

. waren Übungsverhöre; mir sei es erspart, die anderen zu be­schreiben. Zum Glück mußte ich nur bei zwei solcher Verhöre anwesend sein. Diese Begrenzung ergab sich aus meinen Reisen, dem Hin und Her zwischen Maldonado und der Hauptstadt. Dazu kam eine andere Reise, auf die ich mich seit einiger Zeit vorbereitete.

Im feuchten uruguayischen Winter 1970 hatte ich die seltene Gelegenheit, einen Blick hinter die lakonische Barriere Dan Mitriones zu werfen. Ich war ziemlich spät aus Maldonado eingetroffen und rief, statt mich in die Botschaft zu begeben, in seiner Wohnung an. Er bat mich, zu ihm zu kommen.

Wir saßen uns in einem kleinen Zimmer seiner einladend aussehenden Villa gegenüber. Welchen Grund er hatte, mich dorthin zu bestellen, weiß ich bis heute nicht; wir beschränkten uns drei Stunden lang darauf, ein paar Gläschen zu trinken und über seine Lebensphilosophie zu reden.

Für Mitrione war das Verhör eine schwierige Kunst. Eröffnet werden müsse es durch Schläge und Beleidigungen der üblichen Art. Das Ziel bestehe darin, den Gefangenen zu demütigen, ihm seine Wehrlosigkeit bewußt zu machen und ihn von der Umwelt zu isolieren. Keine Fragen, nur Schläge und Be­schimpfungen. Darauf wieder Schläge, aber schweigend aus­geteilt.

Erst dann beginne das eigentliche Verhör. Dabei dürften keine anderen Schmerzen verursacht werden als die von dem benutzten Instrument hervorgerufenen.

» Präziser Schmerz an der präzisen Stelle in präziser zweck­entsprechend gewählter Dosierung.«

Während der Vernehmung solle man vermeiden, daß das Individuum jede Hoffnung verliert, lebend davonzukommen; es könne sonst störrisch werden oder aufbegehren.

»Man muß ihnen stets eine Hoffnung lassen, ein schwaches Licht. Ist das Ziel erreicht, und ich erreiche es immer«, sagte

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er, »muß die Spezialbehandlung noch etwas hingezogen: gegebenenfalls durch die Mittel der ersten fhase ergätlL:t. werden. Natürlich nicht, um Informationen het~auszllholer1l •. Nein, das dient zur Warnung, es soll die gesunde Portion.An,gst erzeugen, damit sich das Individuum nie wieder mit Zersetzung und Aufwiegelei befaßt.«

Danach erläuterte er, warum der Häftling bei der Über- . nah me sofort gründlich ärztlich untersucht, weshalb seine. Widerstandsfähigkeit genau ermittelt werden müsse.

»Ein vorzeitiger Tod«, betonte er, »kommt einer Niederlage des Verhörtechnikers gleich.« .. .

Also bestehe ein anderes wichtiges Problem darin, rechtzeitig zu erfahren, wie weit man in Anbetracht der politischen Lage oder der Persönlichkeit des Gefangenen gehen könne. Mitrione redete fasziniert weiter, er brauchte Zuhörer, und in mir hatte er einen gefunden. »Es ist sehr wichtig, im voraus zu wissen, ob ich mir den Luxus leisten kann, daß das Individuum stirbt.« Zum ersten und letzten Mal in jenen Monaten bemerkte ich ein gewisses Leuchten seiner plasteähnlich starren Augen.

Schließlich· faßte er zusammen. »Vor allem aber - Wirk':' samkeit. Nur den Schaden anrichten, der exakt nötig ist, kein Jota mehr. Wir dürfen uns keinesfalls von der Wut hinreißen lassen. Wirksam handeln, sauber wie ein Chirurg und perfekt wie ein Künstler. Wir führen einen Kampf auf Leben und Tod. Diese Leute'6ind meine Feinde. Ich habe eben eine harte Arbeit; die irgendwer erledigen muß. Unbedingt. Und weil sie mir zugefallen ist, muß ich sie perfekt machen. Wäre ich. Boxer, würde ich versuchen, Weltmeister zu werden, aber ich bin .es nicht. Trotzdem, in diesem Beruf, in meinem Beruf bin ich der Beste.«

Das war unser letztes Gespräch. Bevor ich abreiste, sah ich Dan Mitrione noch einmal, aber da hatten wir uns schon nichts· mehr zu sagen.

Havanna, Juni 1972

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Nachwort des Autors

Als ich kurz nach meiner Rückkehr nach Kuba vor rund vier Jahren diese Aufzeichnungen zu Papier zu bringen begann, beschäftigte mich nur beiläufig der Gedanke, daß ich sie am Ende zu einem Buch vereinigen könnte. Für den Augenblick genügte es mir, einige Erinnerungen an meinen Aufenthalt in ' Uruguay geordnet niederzuschreiben. Später dachte ich - viel­leicht ein wenig vermessen -, daß die Aufzeichnungen über den Wert hinaus, den sie als uruguayische Erfahrungen für mich haben, von gewissem Belang und nützlich sein könnten. Nütz­lich, indem sie jenen in Lateinamerika den wahren Sachverhalt enthüllen, die gutgläubig meinen, es sei heute immer noch wie zuweilen in der Vergangenheit möglich, den realen Fortschritt unserer Länder und die Interessen des Imperialismusaufein­ander abzustimmen. Indem sie denen helfen, die Wirklichkeit zu begreifen, die nicht erkannt haben, daß längst ein Kampf auf Leben und Tod entbrannt ist. Um ihnen trotz der un­bestrittenen Tatsache, daß in jeder unserer Nationen enorme Widersprüche, starke Rückschrittsfaktoren und erhebliche materielle und psychologische Schwierigkeiten bestehen und wirken, zu der Einsicht zu verhelfen, daß die USA-Interessen als Hauptstörfaktor auftreten und somL die wesentliche Ur­sache der Rückstände und problematischen Verhältnisse sind. Und daß sich der Imperialismus, selbst wenn ihm durch poli­tische Leidenschaften verblendete oder von krankhaftem Ehrgeiz getriebene Leute dann und wann die Tore des eigenen Landes geöffnet haben, mitnichten darauf beschränkt, passiv das Geschehen abzuwarten, sondern aktiv und ausdauernd die Voraussetzungen für sein Eindringen schafft. Jene anderen, die nicht verstehen wollen, vermag ohnehin kein Mensch zu über­zeugen. Sie haben sich bereits entschieden.

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Dem wäre noch manches hinzuzufügen, solcherart würden im Rahmen dieses Buches Der Tag wird kommen, da Uruguay meinen ständigt, und insofern ist auch mein literarisches zweitrangiger Bedeutung. Ausschlaggebend bleibt Genugtuung, dazu beigetragen zu haben, daß die schaften der Mitriones, der Cantrells, der Noriegas einheimischen Marionetten vereitelt oder neutralisiert konnten.

Wenn sich ein Mitrione unter ihnen befand, so war dies bloßer, obgleich nicht unwichtiger Begleitumstand. Mitriones wird es geben, solange der Imperialismus CA.ll>Uc<;;J;'lk

Er kommt ohne sie nicht aus. Oder um es mit seinen Worten zu sagen: »Ich habe eben eine harte Arbeit, wer erledigen muß.«

Ich beanspruche nicht, dem Leser auf diesen Seiten Imperialismusstudie vorgelegt zu haben. Ich wollte anderes, als verschiedene Methoden des Imperialismus machen. Deshalb könnte es mitunter scheinen, als ob sich Problem radikal lösen ließe, indem wir die CIA, das FB AID und die sonstigen Infiltrationswerkzeuge dU,><,'-<l1"''' Aber sie sind nur die Tentakel des Polypen und bei weitem alle Mittel, über die er gebietet.

Der Imperialismus ist kein Rassenphän9men, etwa den im Ergebnis der Autarkie- und der Vr.,",~" .... cr

bungen einer Nation oder als traumatische Folge einer lerischen Moral. Derartige Erscheinungen sind llV<'-ln'''''-Jl>'',

sätzliche Faktoren, die der Yankee-Version ihr präge geben. Ein natürlicher Vorgang bei einem überlebten System.

Notwendigerweise wird das nordamerikanische Volk falls den Weg finden, auf dem es - freilich nicht ohne greifende Wandlungen seiner eigenen Struktur - zur gelangt. Doch bis dahin ist es wohl noch weit. herrscht in den USA der Imperialismus, und der braucht Uns und die übrigen Länder der sogenannten dritten W von dorther - geholt wie auch gebracht-der YdIIlM<A.-L",_U standard stammt, der in jüngster Zeit allerdings schon ramponiert worden ist.

Das beste, was einem unterdrückten Volk widerfahren

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ist, daß es für seine Rechte kämpfen muß. Dann bürgt fortan jeder vergossene T rapfen Blut für die reale Unabhängigkeit und warnt eindringlich vor erniedrigenden Zugeständnissen. In Uruguay sah ich das vorrevolutionäre Kuba widergespiegelt: das Schwanken der Demokraten ohne feste Überzeugung; die mit guten Vorsätzen gepflasterten Straßen zur Hölle; den Egoismus, die Ausbeutung, die Unterwanderung, das Zögern und schließlich das Erwachen eines Volkes.

ICh habe es vorgezogen, keine Zeile des damals Nieder­geschriebenen nachträglich zu ändern. Der Leser wird richtig und falsch Beurteiltes abzuwägen wissen. Manche Personen schweigen jetzt. Und bei anderen hatte ich mich in der Polari­sation geirrt; sie marschierten in der Stunde der Entscheidung gegen ihr Vaterland.

In Uruguay fallen nunmehr die Masken. Die»Mißgeburtvon rotem Wiesel« ist ein letzter dürftiger Zierrat an der herunter­gekommenen Fassade.

Eine Zeitlang glaubte ich, Ballestrinos Reaktion sei nicht abzusehen, wenn er aufwachte und merkte, daß er sein Leben vergeudet hatte, als er den verbissenen Soldaten spielte. Aber Ballestrino wird nicht aufwachen, sein maßloser Nationalismus wird Bestandteil seines Traumes bleiben; ein Hirngespinst und Selbstbetrug. '

Inzwischen haben die Yankees die Bestie losgelassen, und sie darf, umgeben von ihren geliebten Hakenkreuzen, im Polizei­präsidium der Hauptstadt residieren. Die CIA weist in Montevideo jeden Regierungsbeschluß an, jeden Tribut an den Abwertungs- und Rückentwicklungsfonds. Uruguay gleicht einem Konzentrationslager. »Uncle Sam« setzt aufatmend wieder etwas Speck an, während der Subgendarm befriedigt grunzt.

Jede Revolution ist im Recht, wenn sie die tiefen Wurzeln ihrer Vergangenheit als ihr Eigentum beansprucht. Denen, die zögern und im Schatten verharren, bleibt wenig Zeit. Die Stunde der Schmiedefeuer ist da, wie Jose Marti einst sagte. Die Stunde der Völker.~ Auch die Stunde der »Republik ost­wärts des Uruguay«.

Manuel Hevia Cosculluela Havanna, im Januar 1975

Fußnotenverzeichnis

1 Jose Batlle y Ordofiez, Politiker der Colorado-Partei und PräsidentUru­guays im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Führte im Interesse der nationalen Bourgeoisie umwälzende Reformen durch wie die der' ANCAP (Nationale Gesellschaft Verwaltung für Brennstoffe, und Portlandzement), Errichtung eines staatlichen Eisenbahn- und ßennetzes, Erhebung von Schutzzöllen zur Förderung der uruguayischen Industrie, Schaffung einer mehrköpfigen Exekutive statt des ' Präsidenten, Trennung der Kirche vom Staat, Einführung des ArlhN,tnn.L'

dentages und einer allgemeinen Altersrenterur Arbeiter und .o-1I1'."'L\;;1IL,,:

u.a.m.

Die Colorado-Partei oder Partei der »Roten« (eigtl. Partido Batlli!UllO!':~ Colorado, Batllisten-Partei Colorado) ist eine traditionelle bÜl:gelrlic]he>'"', Partei, welche die Interessen der Großbourgeoisie, eines Teils der \..TIm".', <,

grundbesitzer und der bürgerlichen Mittelschichten vertritt.

2 Luis Alberto de Herrera, einflußreicher Politiker der Blanco-Partei. Anhänger - die orthodoxen Herreristen - bildeten einen großen dieser Partei. Die Blanco-Partei oder Partei den) Weißen« (eigtl. Partido Nacional Nationalpartei Blanco) ist eine traditionelle konservative büI:gerUdl<\> Partei. Interessenvertreter der Mehrheit der Großgrundbesitzer und fl",·"nft ..

mit dem Auslandskapitalliierten Bourgeoisie. »Rot(, und »Weiß(, Farben der Colorados bzw. der Blancos, die z. Z. der geschilderten eignisse in mehrere sich befehdende Fraktionen gespalten waren.

3 RodoHo Puigross, La despoblaci6n de Uruguay (Die Entvölkerung guays). In: »Servicio Especial de Prensa Latina«, Nr.3934/1976.

4 Gervasio Jose de Artigas (1764-1850), uruguayischer Nationalheld Revolutionär. Führte die Volksrnassen von 1811 bis 1820 bei den "'-"1111'~"1l':, gegen die portugiesische Vormacht und für die politische Unabttän,gig1k'lilil,> Uruguays.

5, Joaquin G. Santana, kubanischer Schriftsteller und Literaturkritiker.

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6 »Bewegung des 26. Juli«: Entwickelte sich nach der fehlgeschlagenen Aktion vom 26. Juli 1953 gegen die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba unter der Führung Fidel Castros zur ausschlaggebenden Kraft des natio­nalen Widerstands gegen die Batistadiktatur. Sie vermochte ab 1956 die Bauern und Landarbeiter um ihr Rebellenheer zusammenzuschließen und die Stadtbevölkerung zu mobilisieren, so daß sich Ende 1958 die Masse des kubanischen Volkes - Proletarier, Bauern, Kleinbürgertum und nationale Bourgeoisie gegen die Diktatur und die Herrschaft des proimperialisti­schen Kapitals empörte. Verwirklichte nach dem Sieg am Neujahrstag 1959 über den Machtapparat der Diktatur die --, mit der Ideologie Jose Martis proklamierten radikalen Reformen (Beseitigung der Rassendiskriminierung, Durchführung einer Agrarreform, Trennung der kubanischen Gewerk­schaftsbewegung von der reformistischen nordamerikanischen, Nationali­sierung der Banken, großen Industrieunternehmen und Handelsgesellschaf­ten, Aufhebung des Haus- und Grundeigentums in den Städten) und leitete 196f- die sozialistische Phase der kubanischen Revolution ein. Begann zugleich (im Juni 1961 gemeinsam mit der Sozialistischen Volkspartei und dem Revolutionären Studentendirektorium) mit dem Aufbau einer mar­xistisch-leninistischen Partei, die sich 1965 zur Kommunistischen Partei Kubas konstituierte.

7 Revolutionärer Prozeß der dreißiger Jahre: Nach dem Sturz des Dik­tators Machado im August 1933 durch die streikenden Volksmassen kam es zu einer Auflehnung der Unteroffiziere und Soldaten sowie des Stu­dentendirektoriums von Havanna gegen die von den USA aufgezwungene »Revolutionsjunta(<. Eine nationalbürgerliche Regierung übernahm die Macht. Sie konnte zwar dank der politischen Aktivität der Volksmassen die angedrohte US-amerikanische Intervention abwenden und bewahrte in der Außenpolitik eine standhaft antiimperialistische Position, besaß aber nicht die Kraft, ihr Programm der gemäßigten sozialen Veränderungen durchzusetzen, zumal es keiJ.le Einheit der revolutionären Kräfte gab. 1934 setzte der ehemalige Sergeant Fulgencio Batista - ein von den USA-Im­perialisten gekaufter Lumpenproletarier und nunmehr Oberbefehlshaber des Heeres - die legale kubanische Regierung ab und errichtete eine maskierte Militärdiktatur.

8 Enmienda Platt: Von dem US-amerikanischen Senator Orville H. Platt aus Connecticut eingebrachter Zusatz zur kubanischen Verfassung als Voraussetzung für die Aufhebung der nordamerikanischen Militärherr­schaft über Kuba. Dieses verschleierte Kolonialstatut enthielt acht Bestim­mungen, die den USA das Interventionsrecht zubilligten, wenn eine kuba­nische Regierung nicht ihren Interessen entsprach. (»Die Regierung von Kuba erkennt den Vereinigten Staaten das Recht zu, zur Wahrung der kubanischen Unabhängigkeit, zur Erhaltung der Regierung, die den Schutz des Lebens, Eigentums und der individuellen Freiheit garantiert, wie zur Erfüllung der Verbindlichkeiten hinsichtlich Kubas, die der Vertrag von Paris den Vereinigten Staaten auferlegt hat und wie sie jetzt von der kubanischen "Regierung übernommen werden müssen, zu intervenieren.(,) Ferner erhielten die USA die Möglichkeit, kubanische Territorien - so die

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strategisch wichtige Bucht von Guantanamo »kaufen(,. Angesichts der Alternative Fortdauer der Olcktlpa"tion CJ(

Souveränität nahm die kubanische konstituierende 12. Juni 1901 den Plattzusatz in die Verfassung auf.

9 Koreakrieg: Von der südkoreanischen Reaktion mit Unter'sruttZllr auf Betreiben der USA durch den bewaffneten Überfall am auf die Koreanische Volksdemokratische Republik ausgelöster Krieg. Die USA-Imperialisten trachteten nach dem Besitz Bodenschätze im Norden Koreas und hofften, die gesamte Stützpunkt gegen die Sowjetunion, die VR China und die naj:iorl!!cl~ freiungsbewegung in Asien ausbauen zu können. Den Interventen, Aggressionskrieg unter Mißbrauch der Flagge der UNO führten, jedoch trotz technischer Überlegenheit und der Anwendung chcemtscller biologischer Waffen nicht, ihre Ziele zu erreichen. Im Juli 1953 Aggressoren zu dem Waffenstillstandsabkommen von Panmunjon gen.

10 Per{mistische Entwicklung in Argentinien: Durch einen Militärputsch gelangte 1943 der Oberst und spätere General Per6n in Argentinien an die Macht. Um sich eine führte er einige soziale Reformen durch (u. a. Einführ einer Unfall- und Krankenversicherung sQwie eines dcceiz,mllten lohns, Durchsetzung der Gewerkschaftsbywegung mit seinen Demokratische Kräfte wurden jedoch brutal unterdrückt. Nach dem zweiten Weltkrieg lautete Per6ns Schlachtruf: die' sition(': Weder USA noch Rußland! Weder Imperialismus noch mus! Damals, noch vor den revolutionären Ereignh;;en in iU~l.teimalal Kuba, hielten manche Lateinamerikaner eine solche Losung schrittlich und brauchbar. 1955 wurde Per6n - ebenfalls durch Militärputsch - gestürzt. 1973 kehrte er aus dem Exil nach ' zurück, wurde zum Präsidenten gewählt und starb 1974.

11 Vereitelung der kubanischen Unabhängigkeit: Errichtung amerikanischen Militärherrschaft über Kuba (1898--1902) im des von den USA provozierten amerikanisch-spanischen Krieges, die kubanische Befreiungsbewegung über die spanische 1'.L>lUlIIaJlll

gesiegt hatte.

12 Verbrechen an Mexiko: Annexion der mexikanischen l'ern1torien und Kalifornien durch die USA im Jahre 1845. Im an:schliell)C!lden verlor Mexiko auch die heutigen USA-Bundesstaaten Colorad(), j

New Mexico, Nevada, Utah und einen Teil von Oklahoma heißt die Hälfte seines Landes, an die Vereinigten Staaten.

13 Ausplünderung Mittelamerikas: Die »Bananisierung« SUl<.:nt'r"I amerikanischer Republiken wie Guatemala, EI Salvador, Nikaragua zu Beginn des 20. Jahrhunderts, das heißt ihre

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unter das Diktat von USA-Monopolen, die dort Bananen, Kaffee, Baum­wolle und Zucker anbauen ließen und die Wirtschaft jener Länder de­formierten.

14 Raub der Antillen: Im Friedensvertrag zu Paris (1898) wurde Spanien gezwungen, auf jedes Recht der Souveränität und das Eigentum über Kuba zu verzichten. Es mußte dieses Recht auf die USA übertragen und außerdem Puerto Rico an sie abtreten.

15 Batistas Staatsstreich vom 10. März: Anfang März 1952 stand fest, daß bei den Präsidentenwahlen am L Juni in Kuba der Kandidat des natio­nalistischen Bürgertums, Roberto Agramonte von der Orthodoxen Partei, den auch die Kommunisten unterstützten, siegen würde. Am 10. März 1952 vertrieb Batista, nachdem er die Generalität und die eingesessene Herr­schaftsclique auf seiner Seite und sich von den USA gefördert wußte, den amtierenden Präsidenten Prio Socamis aus dem Präsidentenpalast und erließ eine neue diktatorische Verfassung. Einen von der Sozialistischen Volkspartei ausgerufenen Generalstreik unterdrückte er mit Waffenge-walt. '

16 Guate~ala 1954: Sturz der 1951 gewählten fortschrittlichen Regierung Jacobo Arbenz. Diese verkündete im Juni 1952 eine Agrarreform mit dem Ziel, »die kapitalistische Wirtschaft der Bauern und die kapitalistische Landwirtschaft im allgemeinen zu entwickeln{<, und begann sie zu ver­wirklichen. Nichtsdestoweniger bereitete die CIA (unter ihrem Chef Allan Dulles, der zuvor dem United-Fruit-Direktorium angehört hatte) eine militärische Intervention vor, in deren Ergebnis die Regierung Arbenz im Juni 1954 gestgrzt wurde und die United Fruit und andere enteignete Grundbesitzer ihre' Ländereien wiedererlangten. ,>Wir mußten uns einer kommunistischen Regierung entledigen, die die Macht ergriffen hatte«, erklärte später der damalige USA-Präsident Dwight D. Eisenhower. Seit­her wird Guatemala von brutalen Diktaturregimes, die das Land mit politischem Mord und Terror überziehen, regiert.

17 Wegmarken im Befreiungskampf des kubanischen Volkes. La Demajagua: Zuckerplantage bei Manzanillo, in der Carlos Manuel de cespedes am 10. Oktober 1868 das »Manifest der Revolutionären Junta der Insel Kuba an ihre Landsleute und an alle Nationen{< postulierte und der kubanischen Unabhängigkeitsbewegung patriotischen Auftrieb gab. Am selben Tag rief er in Yara ,>Cuba Libre{<, das Freie Kuba, aus und leitete die erste Unabhängigkeitsrevolution ein. Der anschließende zehnjährige Guerillakrieg gegen die spanische, Kolonialmacht wurde 1878 durch das Übereinkommen von Zanj6n beendet, den das kampfmüde Revolutions­komitee des Rebellenzentrums Camagüey schloß. Baragua: Da die Truppen unter General Antonio Maceo den Widerstand gegen die spanische Kolonialherrschaft fortsetzten, begab sich der spanische Befehlshaber Martinez Campos nach Manjos de Baragua, um Maceo zur Anerkennung des Paktes von Zanj6n zu bewegen. Dieser beharrte jedoch auf seinem Standpunkt - Unabhängigkeit oder Kampf.

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Dos Rios: Ort, an dem sich Jose Marti, der geistige Führer der zweiten kubanischen Unabhängigkeitsrevolution (1895-1898) am 19. Mai 1895 in den spanischen Kugelregen stürzte und den Märtyrertod fand. EI Morillo: 1896 unternahm General Antonio Maceo, der ,>bronzene Titan{<, mit seinen Mambi-Reitern einen Gewaltritt durch die kubanische Insel von der Provinz Oriente bis nach Pinar del Rio. Dieser Streifzug entschied praktisch den Ausgang des Unabhängigkeitskrieges ; die spanische Kolonialmacht war stark angeschlagen. General Antonio Maceo fiel am 7. Dezember 1896 in einem Gefecht südwestlich Havanna. Moncada: Versuch von 165 todesmutigen und selbstlosen jungen Kuba­nern, am 26. Juli 1953 - im 100. Geburtsjahr Jose Martis - die Moncada­Kaserne in Santiago de Cuba zu stürmen, um der Nation ihre Selbst­bestimmung wiederzugeben. Die' militärische Niederlage wurde zu einem politischen Sieg. Gir6n: Von den USA-Imperialisten organisierte Invasion, bei der am 17. April 1961 ein in den Vereinigten Staaten ausgebildetes und ausgerü­stetes Truppenkontingent kubanischer Konterrevolutionäre in der Bahia de Cochinos (Schweinebucht) bei Playa Gir6n landete. Es wurde nach 72 Stunden heldenhaften Kampfes der kubanischen Streitkräfte und Volks­miliz vernichtend geschlagen. Damit erlitt der USA-Imperialismus seine erste militärische Niederlage in Amerika.

18 Internationales Gorillaturn : Abgeleitet von der in Lateinamerika übli­chen Bezeichnung ,>Gorillas« für Diktatoren.

19 Mario Heber, Präsident der Abgeordnetenkammer und Bruder von Al­berto Heber, dem Caudillo, Führer einer herreristischen Gruppierung in der Nationalpartei (Blanco). Widersprüchlich wie jede volkstümelnde Be­wegung, setzte sich diese Gruppierung aus einer Vielzahl von Elementen - von ausgesprochenen Konservativen bis hin zu einigen fortschrittlichen Politikern - zusammen, die folglich die unterschiedlichsten Ideen vertra­ten.

20 Liste 15: Mit Liste bezeichnet man in Uruguay die Fraktionen von poli­tischen Parteien. Bei Wahlen werden diese durch ihre Nummer auf dem Wahlzettel bzw. der Liste gekennzeiFhnet. Die Liste 15 war damals die in der Colorado-Partei vorherrschende Grup­pierung.

21 Jorge BatUe Ibaiiez, bis 1966 Colorado-ParIamentarier, gelangte im selben Jahr an die Spitze der Liste 15, fügte ihrer Bezeichnung spornstreichs den Wahlspruch Einheit und Erneuerung hinzu und kandidierte bei den Prä­sidentschaftswahlen der Republik. Dabei unterlag er General a. D. Gestido, gleichfalls Kandidat der Colorado-Partei, stellte sich 1971 erneut zur Wahl und wurde wiederum von einem angeblichen Gesinnungsgenossen -Bordaberry - durch ein flinkes Manöver Pacheco Arecos und der tra­ditionellen (rechten) Colorados geschlagen.

22 Luis Batlle Berres, Exstaatspräsident im Rahmen des Kollegialsystems

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(vgL dazu Fußnote 32), war Begründer und Führer des wichtigsten Flügels der Colorado-ParteL Bei aller Zwiespältigkeit seiner Politik ist anzuerken­nen, daß er sich gegen die Eingriffe des Internationalen Währungsfonds in die Wirtschaft Umguays wandte. Nach seinem Tod spaltete sich der bürger­lich-demokratische Colorado-Flügel in mehrere Fraktionen, deren zahlen­mäßig stärkste sein Sohn Jorge übernahm.

23 Amikar Vasconcellos, Präsidialratsmitglied der Colorado-Minderheit, verfolgte eine bürgerlich-demokratische Innen- und progressive Außen­politik und bekämpfte hartnäckig die US-amerikanische Einmischung in die politischen und wirtschaftlichen Belange Umguays. Von Jorge Batlle später praktisch aus der Liste 15 ausgeschlossen, gründete er die Liste 315, um bei den Präsidentenwahlen 1966 zu kandidieren, und wurde im selben Jahr Senator.

24 Adolfo Tejera, ehemaliger Journalist, war Vertreter der Liste 97 (De­mokratische Blanco-Union) innerhalb der NationalparteL

25 Nicolas Storace, Inhaber einer großen Wurstwarenfabrik und Exponent der rurali~tischen Gruppierung der Nationalpartei (vgl. dazu Fußnote 36). In der ersten Blanco-Regierung wurde er Innenminister. Als Intimus der Brüder Heber kandidierte er 1966 unter Alberto Heber für die Vi­zepräsidentschaft.

26 AID: Agency for International Development; zentrale Vetwaltungs­behörde für die sogenannte Entwicklungshilfe der USA.

27 Alberfo Abdala, Expräsidialratsmitglied der Colorado-Minderheit, war ab 1967 Senator der Liste 15. Als Senator mit den meisten Wählerstimmen wurde er kurz darauf Vertreter des Staatspräsidenten Pacheco Areco - es gab keinen Vizepräsidenten mehr, nachdem Pacheco Amtsnachfolger von Präsident Gestido geworden war. Als die Pachecoadministration ins Schwanken geriet, wurde sein Name im Zusammenhang mit einer Aus­weichlösung genannt.

28 General a. D. Gestido, vor 30 Jahren Chef der uruguayischen Luftstreit­kräfte und nunmehr zweites Präsidialratsmitglied der »roten« Minderheit - er hatte für die ultrarechten Colorados kandidiert. Seine wichtigsten Parteigänger kamen aus der Colorado- und Batllisten-Union und einem Kreis um die stockkonservative Tageszeitung »EI Dia«, deren Direktor Jorge Pacheco Areco war, zunächst bloßer Gesinnungsgenosse Gestidos ohne den mindesten politischen Einfluß, bald jedoch sein Vertreter und Amtsnachfolger. Im Ergebnis des Kampfes um die Kontrolle der Liste 15 unterstützte eine Gruppe unterlegener Politiker, geführt von den Senatoren Glauco Segovia, Manuel Flores Mora, Carrere Saptiza und Dr. Alba Ro­ballo, die Präsidentschaftskandidatur des Generals. Auf diese Weise ge­stärkt, entwickelte sich Gestido zu einem mächtigen Rivalen Jorge Batlles. Mit Rücksicht auf ihre Wählerschaft gingen die Senatoren bei ihrem Fraktionswechsel allerdings sehr vorsichtig zu Werke. Besonders die Seha-

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törin Roballo bekundete eine strikt nationale Haltung. 1971 brach sie schließlich mit der Colorado-Partei und schloß sich der Frente Amplio (Breite Front) an. Diese politische Bewegung wurde am 5. Februar 1971 von Vertretern verschiedener progressiver politischer und sozialer Strömungen Uruguays gebildet, um im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen am 28. November 1971 eine Volksfront der Fortschrittskräfte zu konstituieren. Ihr gehörte u. a. die Kommunistische Partei Uruguays an. Präsident der Frente Amplio wurde General Liber Seregni (1973174 und seit Januar 1976 von der Diktatur eingekerkert).

29 USIS: United States Information Service, territoriale Niederlassung im jeweiligen Land der USIA (United States Information Agency), des regie­rungsoffiziellen Auslandspropagandaorgans. 1953 gegründet, dient es der psychologischen Kriegführung. Da der Ruf des USIS immer mehr Menschen auf Distanz gehen ließ, beschloß die Carteradministration, das Image aufzupolieren und das Aushängeschild zu wechseln. Der USIS wurde 1978 Bestandteil des neugeschaffenen Propagandaamtes der USA, ICA (Inter­national Communication Agency). Aber die \ktivitäten der ICA blieben so anrüchig und die Assoziation zur CIA so naheliegend, daß ihre Mit­arbeiter überall für Berufsspione gehalten wurden. Darauf griff Washing­ton 1981 kurzerhand auf die alte Bez.eichnung USIS zurück.

30 Secret Service: Wachkommando und Begleitschutz des Präsidenten der USA mit geheimdienstlichen Fuilktionen. .

31 Tupamaros: Gruppen, die sich als Stadtguerillas auch des individuellen Terrors bedienten. Ihren Namen leiteten sie von Tupac Amaru - einem Nachkommen des Inka - ab, der Ende des 18. Jahrhunderts an der Spitze eines großen Aufstands gegen die spanische Kolonialmacht stand. Er wurde von einem seiner Befehlshaber verraten und an die spanischen Unterdrücker

. ausgeliefert, die ihn grausam ermordeten.

32 Heberjahr: Beim alten Kollegialsystem lösten die ersten vier Präsidial­ratsmitglieder (der Blanco- oder der Colorado-Mehrheit) einander jährlich in der Präsidentschaft ab. ~iJi'e exekutiven Vollmachten waren gering, sie hatten mehr protokollarische Aufgaben. Trotzdem übten sie gewissen psychologischen Einfluß aus. Den Präsidialratsvorsitz für das letzte Jahr jener Mandatsperiode übernahm Alberto Heber. In Vorbereitung des Volksentscheids über die Wiedereinführung der Einzelpräsidentschaft und zur Propagierung seiner eigenen Kandidatur nach der zu ändernden Ver­fassungsbestimmung gaben die Herreristen der Blanco-Partei die Losung vom sogenannten Heberjahr aus. Damit wollten sie den Eindruck erwecken, daß das herreristische Präsidialratsmitglied Heber imstande sei, dem letzten Jahr des Kollegialsystems ein besonderes Gepräge zu verleihen. Zugleich wurde sein Name mit dem eines Einzelregenten verknüpft, was den Staats­streichplänen des Generals Aguerrondo nicht widersprach.

33 Michellini, Senator und Führer der progressiven Kräfte in der Liste 15. Trennte sich noch zu Lebzeiten Luis Batlles von ihm, um die Liste 99 zu

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gründen, die ihn 1966 als Präsidentschaftskandidaten aufstellte. Michellinis politischer Weg führte ihn bei den Wahlen 1971 mit seiner Gruppierung in die Frente Amplio, die General Seregni als Kandidaten aufstellte.

34 Pacheco Areco, 1966 zum Vizepräsidenten gewählt, wurde nach Gestidos Tod 1967 Staatspräsident. Er betrieb während seiner Amtsperiode, in der die latente Krise ausbrach, eine Politik der verschärften Unterdrückung und des beschleunigten Abbaus der Souveränität.

35 Oberstleutnant Trabal: Nach den hier geschilderten Ereignissen wurde Trabal bei Amtsantritt des Präsidenten Bordaberry im März 1972 Chef des Armeegeheimdienstes, doch kurz darauf ging er ins »goldene Exil« als Militärattache nach Paris. Dort fiel er einem Attentat zum Opfer, für das - der amtlichen Version zu folge - ein Tupamaros-Kommando die Ver­antwortung übernommen haben soll. Uns sagte der Autor, um seine Meinung gefragt, daß er diese Version stark bezweifle. Er halte es wegen der konsequent verfassungstreuen Position Trabals für ausgeschlossen, daß er sich jene Übergriffe zuschulden kommen ließ, deren er bezichtigt wurde. Der Autor möchte nur daran erinnern, mit welcher Schärfe Trabal, solange er ihn kannte, die Korruptheit hoher uru­guayischer Offiziere und die von ihnen begangenen Veruntreuungen anprangerte. Da er die Gewohnheit hatte, Beweise für solche Vergehen zusammenzutragen, sei vielmehr anzunehmen, daß er der herrschenden Militärclique auf Grund der Informationen, die er als Geheimdienstchef erlangen konnte und weil er der Diktatur nicht bedingungslos ergeben war, zu gefährlich wurde. (Anmerkung der kubanischen Redaktion)

36 Ruralistische Bewegung: So bezeichnete sich eine Gruppierung um den Rundfunkkommentator Benito Nardone, der sich zum Interessenvertreter der Agrarkreise Uruguays ernannt hatte. Die Abgeschiedenheit des Lan­desinneren - der Batllismus ist eine vorwiegend städtische Bewegung - und die zunehmende Krise hielten ein heterogenes politisches Gebilde zusam­men, das sich hauptsächlich auf die Großgrundbesitzer stützte, aber auch die Hoffnungen der Bauernschaft und der Landarbeiter zu kanalisieren verstand. Der Ruralismus setzte sich über die traditionellen Parteischran­ken hinweg und erfaßte sowohl Blancos als auch Colorados, von letzteren vor allem die Riveristen, die vom Batllismus verdrängten Konservativen des rechten Flügels. Luis Alberto de Herrera erkannte den politischen Wert der ruralistischen Bewegung und ging ein Bündnis mit Nardone ein. Dadurch gelang es ihm, die Partei der »Weißen« nach 90 Jahren »roten< Herrschaft an die Macht zu führen. Allerdings vermehrte diese Allianz die internen Gegensätze der Blancos - die Konservativen von der Demokratischen Blanco-Union und die Herreristen befehdeten einander - schon vorher, so daß ihre acht Regierungsjahre durch heftige Fraktionskämpfe gekennzeichnet waren. Als Nardone starb, stritten sich beide Parteien um den hinterlassenen Ruralismus. Die »Weißen«, um ihn unverändert am Leben zu halten, und die »Roten«, um ihn für sich zurückzugewinnen. Offizieller Nachfolger

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Nardones war der Colorado-Senator und Großgrundbesitzer Juan Maria Bordaberry, det nebenher der Witwe Nardones die emotionale Führung überließ. Juan Jose Gari, ein hinter den Kulissen agierender herreristischer Blanco-Caudillo und eigentlicher Besitzer von»E! Debate«, spekulierte glcichfalls auf das politische Erbe Nardones. Dazu benutzte er den Direktor der Zeitung, Senator Guadalupe, der schon immer als Pulcinell und Seil­tänzer der Herreristen auftrat.

37 Martln R. Echegoyen, Prototyp des konservativen rechten Politikers, war zuerst Laufbursche und dann politischer Testamentsvollstrecker bei Luis Alberto de Herrera. Doch bald hatte er die von seinem Meister als Erbe übernommene Popularität verbraucht und wurde ein Chef mehr jener Fraktionen, in die sich der Herrerismus spaltete.

38 Diebstähle und Erpressungen: Ein Dezernat des Krimina'iamtes, spe­zialisiert auf die Aufklärung von Eigentumsdelikten wie Raub, Diebstahl, Hehlerei usw. Andere Dezernate dieses Amtes waren damals: Über­wachung, Öffentliche Ordnung, InterpoIlFlugplatz-, Wasserstraßen- und Hafenaufsicht sowie Aufldärung und Verbindung.

39 Moran Charquero, zunächst mehr als Bonvivant denn aJs Polizeiinspektor bekannt, war darauf bedacht, sich nicht in politische Fragen einzumischen, da die Geschäfte florierten, die ihm seine Dienststellungermöglichten. Als sich der Kampf gegen die Stadtguerillas verschärfte, fühlte er sich dorthin gezogen, bis aus ihm ein berüchtigter Vernehmer und Folterer wurde. Seine letzte Schandtat: Er riß einer Verhafteten mit der Zange eine Brustwarze heraus. Der vornehm gekleidete Herr, der die Internationale Polizei­Akademie in Washington absolviert hatte, ließ ihr auch den Kopf mit einem Rasiermesser scheren. Nach diesem Verbrechen beschlossen die Tupamaros,

. ihn exemplarisch zu bestrafen, und richteten ihn hin.

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Inhalt

Einleitung . . .

Im Kofferraum.

Das Feigenblatt

Notwendige Einfügung

Auftrag: Übersiedlung nach Uruguay

Eine peinliche Lage . . . . . . . . . .

5 11

19 27 33 38

Ein unentschlossener General und der Nieder­

gang eines Regententums 45

Die Unzertrennlichen . . . . . . . . . . . . .. 53 Jorge, der »Erleuchtete« . . . . . . . . . . . .. 57 Einstieg ins Labyrinth und das Gespann der

CIA. . . . . . . . . . 64 Das· Spinnennetz. .. . 70

Ein neues Panorama. 78

Das zweite Gesicht der Gipfelkonferenz 85

Geschäft bleibt Geschäft . . . . . 90

Verschlußsachen . 95 »Information und Aufklärung« - ein CIA­

Produkt. . . . . . . . . . . . . . . . 101

Interne Meinungsverschiedenheiten· . . . . . . 107

187

Page 96: Hevia Cosculluela - Pass Nr.11333

Die Auslese der A}.lslese. Eine Blitzkarriere ....

Ausbildung und Unterwanderung » Bundesgenossen« . . . . .

Das FBI gibt nach. , . . . Ein interessantes Institut . VS-Übersetzer . . . . . . .

Das operative' Restaurant. Die BID-Gouverneure

Dan Anthony Mitrione Nachwort des Autors Fußnotenverzeichnis . .

'" . . 112

115 121 126 131 138 142 147 152 156 160 166 174 177