Upload
others
View
0
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Hilfe für Angehörige Suchtkranker jenseits des Co-Abhängigkeitsmodells:
Das Community Reinforcement Ansatz basierte Familien-Training (CRAFT)
Dr. Gallus BischofUniversität zu Lübeck
Klinik für Psychiatrie und PsychotherapieForschungsgruppe S:TEP
(Substanzmissbrauch: Therapie, Epidemiologie und Prävention)
Hintergrund In Deutschland gelten ca. 5-7 Mio. Angehörige von
Alkoholabhängigen als von der Abhängigkeitunmittelbar mitbetroffen (Jahrbuch Sucht 2001)
Erhöhte Rate stressbedingter Erkrankungen beiAngehörigen (Orford et al., 2005)
Gegenüber Referenzpopulation deutlich erhöhteBehandlungskosten (Svenson et al., 1995; Ray et al. 2009)
Leidensdruck erhöht
Hintergrund
Einbeziehung von Angehörigen in die Behandlung von Alkoholabhängigen verbessert:BehandlungsaufnahmeHaltequoteOutcome(Zweben et al., 1983)
70,9% keine
14,5% geringfügig
14,5% weitergehend
TACOS Studie, Rumpf, Meyer, Hapke, Bischof & John (2000). Sucht,46, 9-17
Inanspruchnahme von suchtspezifischer Hilfe bei Alkoholabhängigen
Absichts-losigkeit
Absichts-bildung
Handlung
16 %
26 %
58 %
TACOS Studie, Rumpf, Meyer, Hapke, & John (1999). General Hospital Psychiatry, 21; 348-353
Änderungsbereitschaft bei Alkoholabhängigkeit
Nutzen des
Verhal-tens
Kosten des Verhaltens
Nutzen der
Ände-rung
Kosten der
Ände-rung
Absichts-bildung
Absichts-losigkeit
Hand-lung
6 % aller Inanspruchnehmer
~ 0,25% der Angehörigen
Hildebrand et al. (2009), Sucht,55, S15-S34.
Inanspruchnahme von ambulanter suchtspezifischer Hilfe bei Angehörigen
Behandlungsangebote und KonzepteAktuell dominierend für die Angehörigenarbeit in Selbsthilfeund Beratung ist das Konzept “Co-Abhängigkeit”:
“Er/sie (der/die Co-Abhängige) ist ein Kompagnon, einunwissentlich Verbündeter des Abhängigen und ein doppelterTeilhaber an der Krankheit: Er kriegt "seinen Teil ab“ und erträgt ungewollt seinen Teil dazu bei, dass die Abhängigkeitsich festigt” (Schneider 1998)
Oftmals undifferenziert verwendet für ALLE Angehörigenvon Suchtmittelabhängigen
Behandlungsangebote und Konzepte
“Co-Abhängigkeit ist Beziehungsstörung und -abhängigkeit. Co-Abhängige unterstützen ihre Partner bis zur eigenenSelbstaufgabe. Sie sind nicht in der Lage, die Aussichtslosigkeit ihres Verhaltens zu bewerten und sichentsprechend zu verhalten. Co-Abhängigkeit kann soweitführen, dass Co-Abhängige sich selbst nicht mehr fühlen und wahrnehmen – zumindest in der Beziehung zum Süchtigen, oft aber auch darüber hinaus. Co-Abhängigkeit ist also Irrtum, Versäumnis und Verstrickung.” (BKK/Freundeskreis (Hrsg.) Co-Abhängigkeit erkennen. Angehörige von Suchtkranken im Blickpunkt ärztlich-therapeutischen Handelns. Broschüre, o.J.)
Oftmals undifferenziert verwendet für ALLE Angehörigen von Suchtmittelabhängigen
Behandlungsziele nach dem Konzept der Co-Abhängigkeit
CRAFT: Begriffsklärung
Community = Gemeinschaft: Familie, Freunde, Arbeit/Schule, Glaubensgemeinde, Sozial + Freizeit-Kontakte
Reinforcer = Verstärker im Sinne der Lerntheorie
Angehörige = die am Programm teilnehmenden, nichtsuchtkranken Angehörigen
IP = Indexpatient (der suchtkranke Angehörige)
CRAFT= Community Reinforcement Ansatz: Das Familien-Training
Einzelintervention für Angehörige OHNE den IP Individualisiertes, zieloffenes Vorgehen Basiert auf verhaltenstherapeutischen Konzepten Strukturierte Bausteine zur Vermittlung von Fertigkeiten Anwendbar für unterschiedliche Beziehungsarten
(Partner, Kinder, Freunde) Wirksamkeit nachgewiesen für Alkohol, Drogen,
pathologisches Glücksspiel
CRAFT: Ziele
o Verringerung des Substanzkonsums des IPo Behandlungsaufnahme durch den IPo Unabhängige Verbesserung der Lebens-
zufriedenheit der Angehörigen
CRAFT: Grundlagen
Beendigung der Verstärkungvon konsumierendenVerhalten
Gezielte Verstärkung von abstinenten, funktionalenVerhaltensweisen
CRAFT: AufbauCRAFT: Gundlagen
•Motivieren der Angehörigen•Gewaltpräventive Strategien•Verbesserung der eigenen Lebensqualität•Kommunikationstraining
Absichts-bildung
Absichts-losigkeit
Hand-lung
Nutzen des Verhal-tens Kosten des Verhaltens Nutzen der Ände-rung
Kosten der Ände-rung
•Zulassen negativer Konsequenzen•Aussetzen positiver Verstärkung bei Konsum
Absichts-bildung
Absichts-losigkeit
Hand-lung
Nutzen des Verhal-tens Kosten des Verhaltens Nutzen der Ände-rung
Kosten der Ände-rung
•Nutzung (positiver) Verstärkung•Beeinflussung von Kontingenzen (Funktionale Analyse)•Vorbereitung einer Behandlung für IP
CRAFT: Funktionale Verhaltensanalyse
Sonstige
Finanziell
BeruflichPos. GefühleDauerWann ?
JuristischPos. Gedanken
EmotionalKonsumzeit/ -gelegenheit
MengeGefühleWo ?
KörperlichKonsumort
Zwischen-menschlich
Mit-konsumenten
SubstanzGedankenMit Wem ?
Langfr. Neg. Konsequenzen
Kurzfr. Pos. Konsequenzen
Konsum-verhalten
Interne Auslöser
Externe Auslöser
CRAFT: Funktionale Verhaltensanalyse
Herr M.Herr M., seit zwei Jahren arbeitslos, trifft sich üblicherweiseNachmittags mit zwei ebenfalls arbeitslosen Nachbarn zum
Kartenspielen.Dabei wird Bier und Korn getrunken. Seine Frau (die Klientin) kommt normalerweise gegen 16.00 Uhr von der Arbeit und trifft ihren Mann angetrunken an. Die vereinbarten Haushalts-
Tätigkeiten hat er „vergessen“. Obwohl sie sich wiederholtüber sein Trinken beklagt hat, setzt sie sich dazu und versucht,
„gute Miene zum bösen Spiel“ zu machen.Samstags geht Frau M. mit ihrem Mann normalerweise in die
Stadt einkaufen und Sonntags bei gutem Wetter Fahrradfahren; sein Alkoholkonsum ist dann deutlich geringer.
CRAFT: Funktionale Verhaltensanalyse
Externe Auslöser:Mit wem ? Harald + Dieter (Nachbarn)Wo ? Zu HauseWann ? Ab nachmittags
Interne Auslöser:Gedanken ? “Ich bin allein”; “Ohne Arbeit bin ich nichts wert”Gefühle ? Niedergeschlagenheit
Konsumverhalten:Substanz ? Bier und KornMenge ? Etwa 4 l. Bier und 10 “Kurze”Dauer ? Ca. 5 Stunden
CRAFT: Funktionale Verhaltensanalyse
Kurzfristige positive Konsequenzen:Mitkonsumenten ? Zuwendung, Lockerer seinKonsumort ? Endlich etwas los !Zeit/Gelegenheit ? Tag geht schneller vorbeiGedanken ? “Wenigstens geht es anderen auch so wie mir”Gefühle ? Erleichterung
Langfristige negative KonsequenzenZwischenmenschlich ? Ärger mit FrauKörperlich ? Verschlechterung LeberwerteEmotional ? Wird fahrigerJuristisch ? –Beruflich ? Verpasst Termine beim Amt, bewirbt sich nichtFinanziell ? Geld wird knappSonstige ? -
Effektivität von Interventionen bei Angehörigen: Empirische Befunde bei Alkohol
130 Angehörige (91% w., 47J.) wurden randomisiert den folgenden Interventionsbedingungen zugewiesen:
• Al-Anon Facilitation Therapy (AFT; 12x1Std.)• Johnson Institute Intervention (JII; 6x 2Std.)• Community Reinforcement (CRAFT; 12x1Std.)
Quelle: Miller, Meyers & Tonigan (1999). Engaging the unmotivated in treatment for alcohol problems: A comparison of three strategies for intervention through family members. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 67: 688-697.
Behandlungsraten zum follow-up Zeitpunkt
13,622,5
64,4
010203040506070
p<.0001
Al-Anon Johnson CRAFT
Miller, Meyers & Tonigan (1999)
BDI-Depressions-Scores
0
2
4
6
8
10
12
Intake Month 3 Month 6 Month 12
Miller, Meyers & Tonigan (1999)
71%67% vs. 29%
+
74%74% vs. 17%
+
64% vs. 23% vs. 13%
+
86% vs. 0%
+
Nicht randomisiert
Randomisiert(CRAFT/AA)
Nicht randomisiert
Randomisiert(CRAFT/AA)
Randomisiert(CRAFT/JI/AA)
Randomisiert(CRAFT/AA)
CannabisKokain
CannabisKokainStimulanzien
KokainCannabisStimulanzienOpiate
KokainHeroin
AlkoholAlkohol
43 Angehörige
90Angehörige
62 Angehörige
32 Angehörige
130 Angehörige
14 Angehörige
Waldron et al., 2003
Meyers et al., 2002
Meyers et al. 1999
Kirby et al., 1999
Miller et al. 1999
Sisson & Azrin 1986
Studien zu CRAFT & Substanzmissbrauch: Überblick
?
„Psychosoziale Interventionen bei Angehörigen vonPersonen mit chronischer Alkoholabhängigkeit“
Studiendesign
E t3
Angehörige aus Beratungsstellen und Arztpraxen
Ausschluss
Ablehnung
Sofortige Intervention
Warteliste
E t0Inter-
ventionRandomi-sierung
E t3
Nach 6 Monaten
Nach 12 Monaten
Inter-vention
Diagnostik
E t0
E t1
E t1
E t2
E t2
Nach 3 Monaten
E t3
Angehörige aus Beratungsstellen und Arztpraxen
Ausschluss
Ablehnung
Sofortige Intervention
Warteliste
E t0Inter-
ventionRandomi-sierung
E t3
Nach 6 Monaten
Nach 12 Monaten
Inter-vention
Diagnostik
E t0
E t1
E t1
E t2
E t2
Nach 3 Monaten
Studienteilnehmer
• >18 Jahre alte Angehörige von Personen mit alkoholbezogener Störung
• Mit IP zusammenlebend oder mind. 20 Std./Woche Kontakt• Einschluss von 107 Angehörigen nach Baseline-Diagnostik
(t0)• 18 dropouts von t0 zu t3 (IP verstorben, Abbruch, Trennung)• N = 89 Studienteilnehmer
– Wartegruppe (WG) n=37– Interventionsgruppe (IG) n=52
Stichprobe• 83 Frauen, 6 Männer• Beziehung zum Indexpatienten:
– 60,7 % Ehepartner– 15,7 % Lebenspartner– 10,1 % Kind– 7,9 % Elternteil– 6,6 % andere Beziehung
• 62,9% haben bereits wegen des Alkoholproblems anderweitige Hilfe in Anspruch genommen (Selbsthilfe 28,1%, Beratungsstelle 32,6%, andere 29,2%)– Diese wird von 64% als eher oder garnicht hilfreich beurteilt
Inanspruchnahme suchtspezifischer Hilfe
• Erhoben wurde die Inanspruchnahme verschiedener Hilfen durch den Indexpatienten:• Beratungsstellen• Selbsthilfegruppen• Ambulante Gruppen• Stationäre Aufenthalte (Entgiftung, Entwöhnung)• Andere Beratungen durch Fachkräfte
(Psychologe, Pastor, Psychiater, Sozialarbeiter…)
Inanspruchnahme (kumulativ)
38,5
13,5
48,140,5
51,945,9
0
10
20
30
40
50
60
Baselinebis 3 MK
Baseline-6MK
Baseline-12MK
Interventionsgruppe Wartegruppe
•Signifikant höhere Inanspruchnahme in IG zu 3MK
•Kein Unterschied zur 6-und 12MK zwischen den Gruppen
*p=0.009
Veränderung des Alkoholkonsums
Erhoben wurde• Fremdanamnestisch der AUDIT-C (durch Schätzung der
Angehörigen) zur 3 und 6MK• Einschätzung der Veränderung des Alkoholkonsums
durch Angehörige (9-stufige Ratingskala) zur 3 und 6MK
Veränderung Alkoholkonsum –AUDIT-C
•Signifikant niedrigerer AUDIT-C Summenscore zur 3 MK in der IG
•Angleichung zur 6- und 12 MK
7,68,7
6,67,3
6,9 6,8
0
2
4
6
8
10
3 MK 6 MK 12 MK
Interventionsgruppe Wartegruppe
*p=0.038
Psychische Gesundheit der Angehörigen
• Erhebungsinstrumente:• Beck Depressions Inventar (BDI)• Five Item Mental Health Inventory (MHI-5)• Symptom Check List 90-R (SCL 90-R)
BDI Summenscore
13,412,2
9,510,9
8,3 8 98
0
2
4
6
8
10
12
14
Baseline 3 MK 6 MK 12 MK
IG WG
*p=0.004
*p<0.001
MHI-5
8,27 8,68
10,34
8,84
11,2210,43
0
2
4
6
8
10
12
Baseline 3 MK 6 MK
Interventionsgruppe Wartegruppe
*p<0.001 P=.044P=.004
Zum Weiterlesen.........
Fragen, Kritik, Anregungen, Wü[email protected]
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !