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Hintergrund: Irak Nr. 21 / April 2014 | 1 Votum in unruhiger Zeit – Ein Ausblick auf die Parlamentswahlen im Irak Falko Walde Am 30. April 2014 wählt der Irak ein neues Parlament. Der Premierminister Maliki, ein Schiit, strebt sei- ne dritte Amtszeit an. Iraks Sunniten, aber auch Teile des schiitischen Lagers suchen dies zu verhindern. Die Lage im Land ist dramatisch: Die Gewalt hat den höchsten Stand seit 2008 erreicht. Die Zahl der Binnenflüchtlinge wächst zusehends. Irak droht, von seinen ungelösten Problemen überwältigt zu wer- den. 592 Tote, darunter 484 Zivilisten, wurden nach Angaben der Vereinten Nationen im Irak bei Anschlä- gen getötet – allein im Monat März. Diese Zahlen enthalten noch nicht die Toten in der westlichen Provinz Anbar, wo die Sicherheitskräfte seit Monaten die radikal-islamische Organisation „ISIS“ (Isla- mischer Staat im Irak und der Levante) bekämpfen, die Teile der Städte Falluja und Ramadi besetzt hält. Täglich kommen neue Anschlagsopfer hinzu. Die Ausnahmesituation – im Irak ist sie zu einem deprimierenden Normalzustand geworden. Dies ist das Klima, in dem der irakische Wahlkampf begonnen hat. Es geht um die Besetzung der 328 Sitze des Parlaments. Für die Wahl des Präsidenten und des Premierministers zuständig, handelt es sich um eine wichtige Institution im politischen System des Irak. Und obwohl die Reputation der Ab- geordneten in der Bevölkerung überwiegend schlecht ist, an Kandidaten mangelt es nicht: über 9000 bewerben sich landesweit um den Einzug ins Parlament. Neben politischem Einfluss lockt dabei auch das Geld. Die Vergütung der Parlamentarier ist sehr ansehnlich. Zu Diäten, die weit über dem Durch- schnittsgehalt des Landes liegen, kommen Immunität, Privilegien und vielfacher Zugriff auf staatliche Mittel. Die ungewöhnlich hohe Zahl an Kandidaten führte dazu, dass die Straßen Iraks mit Postern und anderen Wahl-Werbemitteln regelrecht überschwemmt wurden. Der Abgeordnete Emad Yokhanna aus Kirkuk drückte in einem Interview für diesen Bericht seinen Unmut darüber aus: „Viele der Kandi- daten und Kampagnen sind inhaltsleer und völlig verwechselbar. Manche versprechen eine Verwand- lung des Landes zum Paradies quasi über Nacht. Das macht es den seriösen Parteien schwer, zu den Bürgern durchzudringen.“ Hintergrund: Irak Nr. 21 / 24. April 2014

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  • Hintergrund: Irak Nr. 21 / April 2014 | 1

    Votum in unruhiger Zeit

    Ein Ausblick auf die Parlamentswahlen im Irak

    Falko Walde

    Am 30. April 2014 whlt der Irak ein neues Parlament. Der Premierminister Maliki, ein Schiit, strebt sei-

    ne dritte Amtszeit an. Iraks Sunniten, aber auch Teile des schiitischen Lagers suchen dies zu verhindern.

    Die Lage im Land ist dramatisch: Die Gewalt hat den hchsten Stand seit 2008 erreicht. Die Zahl der

    Binnenflchtlinge wchst zusehends. Irak droht, von seinen ungelsten Problemen berwltigt zu wer-

    den.

    592 Tote, darunter 484 Zivilisten, wurden nach Angaben der Vereinten Nationen im Irak bei Anschl-

    gen gettet allein im Monat Mrz. Diese Zahlen enthalten noch nicht die Toten in der westlichen Provinz Anbar, wo die Sicherheitskrfte seit Monaten die radikal-islamische Organisation ISIS (Isla-

    mischer Staat im Irak und der Levante) bekmpfen, die Teile der Stdte Falluja und Ramadi besetzt

    hlt. Tglich kommen neue Anschlagsopfer hinzu. Die Ausnahmesituation im Irak ist sie zu einem

    deprimierenden Normalzustand geworden.

    Dies ist das Klima, in dem der irakische Wahlkampf begonnen hat. Es geht um die Besetzung der 328

    Sitze des Parlaments. Fr die Wahl des Prsidenten und des Premierministers zustndig, handelt es

    sich um eine wichtige Institution im politischen System des Irak. Und obwohl die Reputation der Ab-

    geordneten in der Bevlkerung berwiegend schlecht ist, an Kandidaten mangelt es nicht: ber 9000

    bewerben sich landesweit um den Einzug ins Parlament. Neben politischem Einfluss lockt dabei auch

    das Geld. Die Vergtung der Parlamentarier ist sehr ansehnlich. Zu Diten, die weit ber dem Durch-

    schnittsgehalt des Landes liegen, kommen Immunitt, Privilegien und vielfacher Zugriff auf staatliche

    Mittel. Die ungewhnlich hohe Zahl an Kandidaten fhrte dazu, dass die Straen Iraks mit Postern

    und anderen Wahl-Werbemitteln regelrecht berschwemmt wurden. Der Abgeordnete Emad Yokhanna

    aus Kirkuk drckte in einem Interview fr diesen Bericht seinen Unmut darber aus: Viele der Kandi-daten und Kampagnen sind inhaltsleer und vllig verwechselbar. Manche versprechen eine Verwand-

    lung des Landes zum Paradies quasi ber Nacht. Das macht es den serisen Parteien schwer, zu den

    Brgern durchzudringen.

    Hintergrund:

    Irak

    Nr. 21 / 24. April 2014

  • Hintergrund: Irak Nr. 21 / April 2014 | 2

    Ausgangslage

    Der Irak ist in einer bedenklichen Lage. Manche Experten beschreiben das Land inzwischen als dys-

    funktional. Das Staatsoberhaupt, Prsident Talabani, ist seit Jahren gesundheitsbedingt arbeitsunfhig

    und zur Behandlung auer Landes. Er galt frher als eine der wenigen integrierenden politischen Ge-

    stalten des Irak. Die schwachen politischen Institutionen bewltigen indes kaum die wichtigsten Prob-

    leme; nicht einmal der Staatshaushalt kann wegen politischer Streitigkeiten verabschiedet werden.

    Leidtragende sind die Brger. Trotz enormer Rohstoffvorkommen krankt das Land an einem desolaten

    Zustand des ffentlichen Sektors und seiner Dienstleistungen. Elektrizitt, Wasser, Abwasser, Mllab-

    fuhr Weniges funktioniert im Irak. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, und die Armutsquote steigt. Die

    technischen und politischen Voraussetzungen fr Frderung und Export des ls sind unstet. Zudem ist

    das Land vom l bzw. dessen Preis auf dem Weltmarkt vllig abhngig. Eine Diversifizierung der

    Wirtschaft hat in den letzten Jahren kaum stattgefunden.

    Hinzu kommt die Sicherheitslage: Seit Mo-

    naten verben Selbstmordattentter An-

    schlge auf weiche Ziele: Marktpltze, Ca-fs, Trauerfeiern, und zwar besonders in

    schiitischen Vierteln. Schiitische Milizen und

    Regierungstruppen gehen wiederum hart,

    zum Teil rcksichtslos, gegen sunnitische

    Provinzen vor. Der irakische Staat droht so-

    mit erneut, entlang ethnisch-konfessioneller

    Linien auseinanderzubrechen. Symptome

    zeigen sich in allen Landesteilen: Im Westen

    sind nach Wochen anarchischer Gewalt in

    der Provinz Anbar ber 300.000 Menschen

    zu Binnenflchtlingen geworden. Im Osten

    sind konfessionell motivierte Morde in der Provinz Diyala an der Tagesordnung. Im Norden befindet

    sich Mosul, wo Al Qaeda ganze Landesteile kontrolliert. Im lreichen Sden radikalisieren sich schiiti-

    sche Milizen in Basra. Iraks Kurden denken derweil laut ber eine Loslsung vom irakischen Staat

    nach. Die Auseinandersetzung zwischen Kurden, Arabern, und Turkmenen um die sogenannten Um-

    strittenen Gebiete im Norden des Landes und in deren Zentrum das lreiche Kirkuk schwelt weiter.

    Auch die Hauptstadt Bagdad ist beinahe tglich von verheerenden Anschlgen betroffen und bndelt

    viele der Probleme. Zudem ist der Irak von dramatischen Konflikten umgeben es sei nur das Nach-

    barland Syrien erwhnt, in dem der Brgerkrieg inzwischen in sein viertes blutiges Jahr geht. Die hu-

    manitren und politischen Konsequenzen sprt auch der Irak.

    Anstatt die Brger in dieser bedrohlichen Situation zusammenzufhren, ist der Wahlkampf erneut von

    persnlichen Angriffen der Parteifhrer aufeinander und vom Schren ethnisch-konfessioneller

    Ressentiments dominiert. Was dringend fehlt, sind Programme, die die dramatischen Missstnde im

    Land aufgreifen. Die staatlichen Entscheidungstrger vertieften nach Krften die Spaltungen im Land,

    anstatt eine nationale Ausshnung anzustreben und vorzuleben. Rechtsstaatliche Grundstze werden

    dabei hufig missachtet, Korruption und Nepotismus haben epidemische Ausmae erreicht.

    Hatte es 2010 zumindest noch Anzeichen dafr gegeben, dass sich die politische Kultur nicht aus-

    schlielich an ethnisch-konfessionellen Linien weiterentwickeln wrde, sind die Grben 2014 tiefer

    geworden, und der Wahlkampf spiegelt dies wider. berkonfessionelle Politik ist rar geworden. Effekti-

    Fallujah, James Gordon / Foto auf: https://www.flickr.com/photos/

    james_gordon_losangeles/

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    ver sind Botschaften an die jeweils eigene, sprich sunnitische, schiitische oder auch kurdische Whler-

    schaft. Deprimierend ist, dass die Chancen auf eine Verbesserung der Lage nach den Wahlen nicht gut

    stehen. Erstens sind langwierige Koalitionsverhandlungen zu erwarten. 2010 bentigten die Parteien

    acht Monate, um eine Regierung zu bilden. Dieses Mal drfte es nicht einfacher werden. Zweitens

    haben sich viele Iraker von der Politik abgewendet. Zu enttuscht sind sie, zu abgestoen von Vet-

    ternwirtschaft und Abgehobenheit von Parlament und Regierung. Wenige Iraker glauben, dass der

    Wahlausgang fr ihr persnliches Wohlergehen von wesentlicher Bedeutung sein wird.

    Nuri Al Maliki vom Kompromisskandidaten zur dominierenden Figur

    142 Parteien sind im Rennen. Sie treten in 41 Koalitionen an, von denen keine allein die Mehrheit der

    Sitze erringen drfte. Die besten Chancen kann sich die Rechtsstaatskoalition des Premierministers

    Nuri Al Maliki ausrechnen. Sie besteht aus 11 Parteien, darunter Malikis Dawa-Partei, der Bloc of Independents des stellvertretenden Premiers Hussain Al Shahristani sowie die Dawa-Party Iraq Orga-

    nisation von Vize-Prsident Khudayr Al Khuzai. Sollte es dieser Koalition gelingen, ihr Stimmenpoten-zial auszuschpfen und nach der Wahl geeignete Partner zur Bildung einer Regierung zu gewinnen,

    knnte Maliki sein Ziel einer dritten Amtszeit erreichen.

    Ein Blick auf die dominierende Figur der irakischen Politik: 2007 war

    Nuri Al-Maliki im Wesentlichen aufgrund seiner vermeintlichen

    Schwche von den rivalisierenden schiitischen Mehrheitsparteien zu

    ihrem Bannertrger gewhlt worden. Die Erwartungen der Bevlkerung

    an ihn waren eher gering. Doch Maliki agierte klug und konsolidierte

    rasch seine Macht. Vor allem aber hatte er das Gespr fr das richtige

    Image zur richtigen Zeit. Zur berraschung vor allem der schiitischen

    Koalitionsparteien, die Maliki glaubten kontrollieren zu knnen, pr-

    sentierte er sich als Fhrungsperson des gesamten Irak, die die Anlie-

    gen sowohl der schiitischen als auch der sunnitischen Iraker ernst

    nahm. Effektiv ging er auch gegen schiitische Milizen vor und gewann

    somit breite Zustimmung, die sich in Erfolge bei den Provinz- und

    Parlamentswahlen in dieser Phase bertrug.

    Danach jedoch nderte der Premierminister seine Strategie. Vor die Wahl gestellt, entschied sich Mali-

    ki nicht dafr, den Kurs einer nationalen Einheit weiterzuverfolgen, sondern das Land zu spalten. Die

    Unterlegenen Skulare und Sunniten wurden nicht eingebunden, sondern ausgegrenzt. Entgegen

    frherer Versprechen bot Maliki seinen rgsten Kontrahenten keine Regierungsmter an. Im Gegenteil:

    die strategisch wichtigsten behielt er sich selbst vor.

    Im Laufe der letzten vier Jahre jagte Maliki den Vizeprsidenten und den Finanzminister die wich-

    tigsten sunnitischen Politiker des Irak mit Haftbefehlen aus dem Amt und sogar aus dem Land. Sein politisches Fortkommen sah Maliki mit der Ausschaltung seiner Gegner verknpft, und Politik wurde

    endgltig zum Nullsummenspiel.

    Malikis Regierung nahm autokratische Zge an. Zu sehr missachtete der Premierminister demokrati-

    sche Grundregeln, griff ein ums andere Mal in unabhngige Staatsinstitutionen ein, deckte Korruption

    in seinem Umfeld und unterhielt nur ihm selbst unterstehende Polizeieinheiten und Justizvollzugsein-

    richtungen. Die mter des Verteidigungs- und des Innenministers hlt er zustzlich zu dem des Pre-

    mierministers bis heute selbst.

    Premierminister Maliki / Foto auf:

    http://en.wikipedia.org/wiki / File:

    Nouri_al-Maliki

  • Hintergrund: Irak Nr. 21 / April 2014 | 4

    Sunnitische Opposition

    Zu verhindern, dass Maliki an der Macht bleibt, ist der wichtigste Vorsatz seiner politischen Rivalen und oft eint sie nicht wesentlich mehr als das. Dass die Sunniten Iraks grtenteils gegen Maliki ste-

    hen, ist nicht dabei verwunderlich: die Bevlkerungsminderheit, die unter Saddam Hussein den

    Staatsapparat dominierte, fhlt sich seit dem amerikanischen Einmarsch 2003 ausgegrenzt und poli-

    tisch marginalisiert. Malikis gewaltsame Niederschlagung sunnitischer Aufstnde Ende letzten Jahres

    hat die konfessionellen Grben nochmals erheblich vertieft. Einige sunnitische Stmme verweigern

    ihm und damit der irakischen Regierung offen die Gefolgschaft und kmpfen an der Seite radikal-islamischer Milizen im Westen Iraks gegen die staatliche Armee.

    Der prominenteste sunnitische Block ist der des Parlamentssprechers

    Osama Al-Nujaifi, Mutahidun. Er vereint die Mehrheit jener sunniti-schen Parteien, die bei den letzten Parlamentswahlen 2010 unter dem

    Dach der Iraqiya-Koalition des frheren Interimpremiers Iyyad Allawi angetreten waren. Auch die grte sunnitische Turkmenen-Partei des

    Landes, die Iraqi Turkoman Front, tritt als Teil von Mutahidun an. Das Programm des Bndnisses konzentriert sich auf Dezentralisierung.

    Hierbei spielt auch der vielen Sunniten wichtige Gedanke eine Rolle,

    eine eigenstndige sunnitisch dominierte Region bilden zu knnen,

    um der schiitischen Regierung in Bagdad etwas entgegenzusetzen.

    Nujaifis wichtigster Rivale im sunnitischen Lager ist Vizepremier Saleh

    Al Mutlak mit seiner Arab Coalition. Al Mutlak ist ein Skularist, der

    anders als Nujaifi eine starke Zentralregierung befrwortet und z.B. auch die kurdischen Autonomiebestrebungen im Irak ablehnt. Bei skularen Irakern und Nationa-

    listen verschafft dies Al Mutlak Sympathien. Unterminiert wird seine Kritik an der Regierung insbe-

    sondere bezglich ihrer Behandlung der sunnitischen Provinzen jedoch dadurch, dass Mutlak selbst Teil der Regierung ist.

    Schiitische Konkurrenz

    Die grte Gefahr fr Premierminister Malikis politische Karriere geht jedoch nicht von den sunniti-

    schen Koalitionen aus, sondern von rivalisierenden schiitischen Bndnissen. Die wichtigsten sind der

    Islamic Supreme Council of Iraq (ISCI) und die Sadristen. Bei ISCI handelt es sich um eine Partei, die

    2005-2008 das schiitische Lager dominierte hatte. Zwischenzeitlich verlor sie erheblich an Einfluss,

    seit den Provinzratswahlen 2013 hat sie sich allerdings unter Kleriker Ammar Al Hakim wieder zurck-

    gemeldet.

    Die Sadristen wiederum treten unter dem Namen Ahrar Bloc an. Ihr Anfhrer, Muqtada Al Sadr, hat-

    te zur berraschung Vieler kurz vor Beginn des Wahlkampfs angekndigt, sich aus der Politik zurck-

    zuziehen. Wie sich dies auf die Wahlchancen der Sadristen am 30. April 2014 auswirken wird, bleibt

    abzuwarten. Jedenfalls zwang es seine Partei dazu, sich neu aufzustellen.

    Dynamik im kurdischen Lager

    Parlamentsprsient Nujayfi / Foto auf:

    http://en.wikipedia.org/wiki/

    File:Usama_al-Nujayfi

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    Die kurdischen Stimmen werden mehrheitlich wieder auf die zwei tra-

    ditionell strksten Kurdenparteien entfallen, die Kurdistan Democratic Party (KDP) und die Patriotic Union of Kurdistan (PUK). In der Regi-

    on Kurdistan-Irak haben sich die beiden Parteien vor Jahren effektiv

    die Pfrnde aufgeteilt, und auf nationaler Ebene sprachen die Kurden

    durch das Duopol lange Zeit mit einer Stimme. So konnten sie ihren

    Einfluss in Bagdad maximieren. Inzwischen hat sich die Situation ver-

    ndert. KDP und PUK werden durch eine dritte ernstzunehmende Kur-

    denpartei herausgefordert: Gorran (deutsch: Wandel). Bei den letzten

    Parlamentswahlen in Kurdistan-Irak schnitt Gorran bereits stark ab

    und verwies PUK auf den dritten Platz in der Region.1 Die kurdische

    Politik wurde dadurch erheblich durcheinander gebracht. So zwang

    Gorrans Erfolg KDP und PUK dazu, erstmals ber inhaltliche Kompro-

    misse nachzudenken und Posten nicht mehr nur zwischen den jeweils

    von KDP und PUK gehaltenen Territorien aufzuteilen. Wie schwierig

    dies fr die etablierten Kurdenparteien ist, lsst sich daran ablesen,

    dass sie sich auch sechs Monate nach den Wahlen nicht dazu durchringen konnten, eine Regie-

    rung (mit Gorran) zu bilden. Interessant ist, dass KDP und PUK bei den jetzt anstehenden nationalen

    Parlamentswahlen in vielen Wahlbezirken nicht mehr wie bei frheren Wahlen blich auf einer

    gemeinsamen Liste antreten. Der KDP-Fhrer und Prsident der Region Kurdistan, Barzani, betonte

    dabei jngst das Recht der Kurden auf einen eigenen Staat. Seine Aussage, dass der Fderalismus im

    Irak pass und stattdessen eine Konfderation anzustreben sei, wird ihre Wirkung im Wahlkampf nicht

    verfehlen.

    Skulare Spuren

    Ex-Premier Iyyad Allawi tritt mit seiner Partei Wataniya an. Er stellt v.a. auf nationale Ein-heit/Vershnung, Rechtstaatlichkeit, Ausschaltung der Milizen und den Kampf gegen Korruption ab.

    Allawi kritisierte in diesem Zusammenhang den ungerechtfertigten Ausschluss von Kandidaten seiner

    Liste durch die Wahlkommission. 2010 gelang es Allawi, viele Sunniten und Skulare hinter sich zu

    versammeln. Mit Versprechen auf eine weniger konfessionell geprgte Politik wre er beinahe Premi-

    erminister geworden. Damals setzte sich jedoch Maliki knapp durch. Heute sind Allawis Chancen auf

    bedeutenden Einfluss im Irak deutlich geringer.

    Verlauf des Wahlkampfs

    Problem Nr. 1 Wahlkommission tritt zurck

    Zu den Kapriolen des Wahlkamps gehrte die Ankndigung des Rcktritts der Unabhngigen Wahl-

    kommission des Irak, IHEC. Geschlossen hatte ihr Vorstand damit gegen die Einmischung von Politik

    und Justiz in seine Arbeit protestiert. Im Vorfeld der Wahl besteht diese u.a. darin, darber zu ent-

    scheiden, welche Personen von einer Kandidatur fr die Wahlen ausgeschlossen werden. Regierung

    1 Siehe Bericht aus Aktuellem Anlass: Parlamentswahlen in Kurdistan-Irak: Neue Machtverhltnisse in Erbil, abrufbar un-

    ter: http://www.freiheit.org/Politische-Berichte-aus-aktuellem-Anlass/415c27766i1p/index.html .

    Kurdenprsident Barzani / Foto auf:

    http://en.wikipedia.org/wiki /

    File:Mesud_Barzani.jpg

  • Hintergrund: Irak Nr. 21 / April 2014 | 6

    und Parlament stritten ber die Kriterien fr den Ausschluss der Kandidaten und machten IHEC ent-

    sprechend divergierende Vorgaben.

    Der Ausschluss von Wahlen ist im Irak ein sensibles Thema. Bereits 2010 hatte die Nicht-Zulassung

    von Hunderten von Kandidaten zu den Wahlen den politischen Prozess erheblich unterminiert. Maliki

    sah sich damals der Kritik ausgesetzt, auf die zustndigen Stellen Druck ausgebt zu haben, um politi-

    schen Rivalen durch ihren Ausschluss von einer Kandidatur abzuhalten.

    Der Rcktritt der IHEC Kommission htte vermutlich eine Verschiebung der Parlamentswahlen erfor-

    derlich gemacht. Erst nach Gesprchen mit nationalen und internationalen Organisationen, darunter

    mit der UN-Mission in Bagdad, revidierte IHEC ihre Entscheidung.

    Dennoch ist es bemerkenswert, dass die Grabenkmpfe anders verlaufen als noch 2010. Damals war

    der Hauptstreitpunkt die frhere Zugehrigkeit zu Saddam Husseins Baath-Partei als Grundlage fr

    die Aberkennung des passiven Wahlrechts gewesen. 2014 spielt dies hingegen eine geringere Rolle,

    obwohl 244 der 312 bisher ausgeschlossenen Personen gerade wegen frherer Verbindungen zur

    Baath-Partei ausgeschlossen wurden (die brigen aufgrund von Vorstrafen). Allerdings betraf dies

    Personen sowohl aus dem sunnitischen als auch aus dem schiitischen Lager.

    Problem Nr. 2 Sicherheitslage vereitelt Teilnahme an der Wahl

    Viele Brger werden an der Wahl aus Sicherheitsgrnden berhaupt nicht teilnehmen knnen, so etwa

    in weiten Teilen der Provinz Anbar. Seit Ende Dezember 2013 liefern sich dort Regierungstruppen und

    Milizen des Al-Qaeda Ablegers ISIS heftige Kmpfe. Wie beschrieben, sind auch lokale Stmme auf

    beiden Seiten des Konflikts beteiligt. Bisher gelang es den radikalen Islamisten, Teile der Provinz-

    hauptstadt Ramadi und den Groteil der nahe gelegenen Stadt Fallujah zu erobern. Seit kurzem kon-

    trollieren sie auch mehrere strategisch wichtige Staudmme mit bedenklichen Auswirkungen fr grere Teile Iraks, die von deren Wasserzufuhr abhngig sind.

    Die Abwesenheit der sunnitischen Kerngebiete Anbar bei der Wahl am 30. April vergrert die Be-

    frchtungen der Sunniten Iraks, politisch weiter an den Rand gedrngt zu werden. Iraks Wahlkommis-

    sion sieht sich jedoch auerstande, Mitarbeiter in die Provinz zu schicken, die in der Tat ein Kriegsge-

    biet ist. Das Flchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) geht inzwischen von mehr als

    300.000 Binnenflchtlingen durch die Anbar-Krise aus. Bisher seien 50.000 Familien durch die Kampf-

    handlungen vertrieben worden, der Groteil von ihnen in andere Teile der Provinz, und werden deswe-

    gen voraussichtlich nicht whlen gehen knnen.

    Problem Nr. 3 Rolle des Sicherheitsapparats

    Anlass zur Sorge gibt Beobachtern auch, dass die irakischen Sicherheitskrfte ber eine Million Menschen aus Armee und Polizei bereits zwei Tage vor dem Rest der Bevlkerung whlen werden.

    So will es das Wahlgesetz. Weil aber hochrangige Militrs und Polizeibeamte als relativ loyal gegen-

    ber der Maliki-Regierung gesehen werden, bestehen Sorgen, dass sie auf ihre Untergebenen entspre-

    chenden Einfluss ausben werden. Berichte aus der Armee legen dies nahe. In Anbar, wo die Soldaten

    dabei sind, gegen sunnitische Aufstndische zu kmpfen, ist eine neutrale Wahl besonders unwahr-

    scheinlich. Und gerade hier wird es wegen der Sicherheitslage keine internationalen Wahlbeobachter

    geben.

    Andere Beobachter weisen hingegen darauf hin, dass wachsende Teile der Armee die Strategie der

    Maliki-Regierung in Anbar kritisieren. Fr einen Guerillakampf nicht vorbereitet und ausgerstet, gibt

  • Hintergrund: Irak Nr. 21 / April 2014 | 7

    es Berichte ber eine schwindende Untersttzung fr Maliki in den Regimentern, die in Anbar einge-

    setzt werden.

    Besonders Besorgnis erregend aber sind Gerchte darber, dass manche Soldaten zwei Wahlkarten

    erhalten haben sollen eine in ihrer Funktion als Angehrige des Militrs, eine zweite als Zivilisten. Der Gleichheitsgrundsatz der Wahlen wre dahin.

    Ausblick

    Ohne den politischen Willen aller politischen Akteure im Irak, ohne ihre dramatisch wachsende Kom-

    promissbereitschaft untereinander und ohne eine erhebliche hhere Orientierung am Gemeinwohl

    wird das Land seine substanziellen Probleme nicht lsen knnen. Im Rckblick ist es betrblich, welch

    geringe Fortschritte der Irak in seiner politischen und sozio-konomischen Entwicklung seit den ersten

    Parlamentswahlen nach dem Sturz des Saddam-Regimes 2005 gemacht hat. Erst recht schockierend

    ist aber, wie sehr sich das politische und gesellschaftliche Klima seit den letzten Wahlen 2010 und

    dem Abzug der US-Armee 2011 noch einmal verschlechtert hat. Chancen auf Aufarbeitung und Aus-

    shnung, vor allem aber auf eine Weichenstellung fr eine vielversprechende knftige Entwicklung

    wurden von den Spitzenpolitikern des Landes nicht genutzt. Dies rcht sich umso mehr, als die ohne-

    hin volatile Region sich inzwischen noch weiter destabilisiert hat und insbesondere der Brgerkrieg in

    Syrien auch die Situation Irak auf vielfltige Weise beeintrchtigt. Selbst eine stabile Gesellschaft mit

    funktionierender Wirtschaft und einem staatlichem Apparat, der von der Mehrheit seiner Brger ge-

    tragen wird, htte Probleme damit, solche Herausforderungen zu bewltigen. Fr den Irak in seiner

    jetzigen Verfassung hingegen wirken diese kumulierten Probleme zunehmend berwltigend.

    In vielerlei Hinsicht bentigt der Irak weiterhin internationale Untersttzung insbesondere die der

    Vereinten Nationen. Die internationale Gemeinschaft wird weiterhin eine wichtige Rolle dabei spielen

    mssen, den Irak auf dem Weg zu einer friedlichen und wirtschaftlich erfolgreichen Entwicklung zu

    untersttzen.

    Falko Walde ist der Projektkoordinator der FNF im Projektbro Amman.

    Impressum

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF)

    Bereich Internationale Politik

    Referat fr Querschnittsaufgaben

    Karl-Marx-Strae 2

    D-14482 Potsdam