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316 V Kanon unter den Bedingungen der Moderne Literatur Abaelard, Autobiographie, Hsg. Monfrin, J. (1959) Historta Calamitatum, Paris, Deutsch: Brust, E. 11938) Abaelard. Leidensgeschichte und Briefwechsel mit Haoise, Heidelberg. Abaelard, Ethik, Hsg. D. E. Luscombe (1971) Peter Abaelards Ethics. Oxford. Abaelard, Briefwechsel mit Hsg. 1. T. Huckle (1953) "The Personal Letters Between Abelard and Heloise", in: Medieval Stiidies 1.5, 47-94. Deutsch: Brost, E. (1938). Angenendt, A. (1983) "Peter Abaelard", in: Gestalten der Kirche 3, Mittelalter 1, Hsg. M. Greschat, Stuttgart, 148-160. Bernhard von Clairvaux, 1 isg. J. Leclercq – H. Rothais (1957-1977) Opera OmnW. Rom. Borst, A. (1958) "Abalard und Bernhard", in: Historische Zeitschrift 186, 497-526. Brost, E. (1938 und Ndd.) Abaelard. Leidensgeschichte und Briefwechsel mit ElAise. Berlin. Chenu, M.-D. (1969) L'Eveil de la Conscience ,dans la Civilisation Midie'vale. Paris-Montreal. Classen, P. (1981) "Die geistesgeschichtliche Lage. Anstöße und Möglichkeiten", in: Die Renais- sance der Wissenschaften im 12. Jh., Hsg. P. Weimar (= Zürcher Hochschulforum, Bd. 2), Zürich. 11-32. Denzinger, H./Bannwart, Cl., Hsg. ( 33 1965) Enchiridion symbolorum. Freiburg. Dinzelbacher, P. (1981) Vision und Visionsliteratur im Mittelalter Stuttgart. Gilson, E. (1955) EMoise und Abiilard. Zugleich ein Beitrag zum Problem von Mittelalter und Humanismus. Freiburg. Jacqueline, B. 11963) Papaute et Episcopat selon raint Bernard de Clairvaux. Paris. Johannes von Salisbury, Hsg. M. Chibnall (1956) Historni Pontificalis. London. Kolmer, L. (1981) "Abaelard und Bernhard von Clairvaux in Sens", in: Zeitschrift der Savignv- Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 67. 121-147. Ladner, G. B. (1982) "Terms and Ideas of Renewal", in: Renaissance and Renewal in the Twelfth Centurv, Hsg. R. L. Benson/G. Constable. Cambridge/Mass., 1-23. Le Goff, J. (1957) Les Intellectuels au moven ige. Paris. Miethke, J. (1975) "Theologenprozesse in der ersten Phase ihrer institutionellen Ausbildung: Die Verfahren gegen Peter Abaelard und Gilbert von Poitiers", in: Viator 6. 87-116. Thomas, R. Hsg. (1980) Petrus Ahaelardus (1079-1142). Person, Werk und Wirkung. Trier. Winfried Schulze Kanon und Pluralisierung in der Frühen Neuzeit Das Angebot zur Mitarbeit an der geplanten Kartierung der Kanon-Landschaft hat mich zu dem Versuch bewogen, eine wesentliche Epoche der europäischen Geschichte mit dem hier angebotenen Analyseinstrument anzugehen. Ich stelle also die Frage: Was kann der Begriff des Kanons für die Interpretation dieser Epoche bedeuten, wenn wir uns entscheiden, keine Institutionengeschichte der Zensur, keine Geistesge- schichte von einzelnen Kanonisierungs- oder Dekanonisierungsprozessen zu schreiben. Ich will vielmehr danach fragen, worin die Signatur dieser Epoche besteht und wie sich das Bemühen um Aufrechterhaltung des Kanons dazu verhält. Ein solches Verfahren ist notwendig verbunden mit einer relativ hohen Ebene der Verallge- meinerung, doch scheint dies angesichts des gesamten Vorhabens nicht zwangsläufig von Nachteil zu sein. In diesem Zusammenhang ist zunächst einmal nach der möglichen Bedeutung des Kanon-Begriffs zu fragen, denn gerade gegenüber dem Prozeß der Pluralisierung kann Kanon nicht allein auf den Bereich der religiösen Spaltung bezogen werden. Kanon soll vielmehr ein Oberbegriff für alle Versuche sein, gesellschaftliche Einheit und kultu relle Stabilität mit Normierungen und institutionellen Mitteln zu sichern. Im folgenden Beitrag soll vor allem die Frage gestellt werden, wie sich die Pluralisierungs- prozesse der Frühen Neuzeit auf den Kanonbegriff ausgewirkt haben. Es ist zu vermuten, daß Kanonisierung im Verlauf dieser Epoche eine grundlegende Wandlung erfährt. Mit einem Beispiel will ich den traditionellen Kanonbegriff erläutern, wie er noch im Lauf des 16. Jh. verteidigt wurde. Der Jurist Jakob Lersner schrieb 1587 eine "Antwort" auf die Frage: "Ob es besser sev, nach gewissen beschriebenen und sonst bewehrten breuchlichen Rechten, Gesetzen, Ordnungen und Gewohnheiten: oder nach eigener Vernunft, Sinn, Witz, Gutbedünken und selbst gefaßter billigkeit und eigenem Gewissen zu regieren, zu urthevlen, Regiment, Recht, Gleichheit, Gehorsam, Friede und Einigkeit zu erhalten." Die Antwort auf diese lange Frage war ein ausführ- liches Ja zur ersten Alternative. So verwundert es nicht, wenn der Verfasser den Grund für alle Ketzereien seines Jahrhunderts darin sieht, daß "ein jeder ohn unterscheidt davon hette schreiben, reden und urthevlen c_Iürffen". Lersner sah die neue "Richt- schnur" für seine in Unordnung geratene Zeit "in den Rechten", d. h. einer gesetz- lichen Verankerung des tradierten Sozialverhaltens, nur so könnten die elementaren Spaltungen überwunden werden.' Es war der Versuch – so könnte man sagen – den impliziten Kanon der Vergangenheit durch einen gesetzlich fixierten Kanon zu ersetzen und damit aufrechtzuerhalten. 1. Auf einen kurzen Nenner gebracht möchte ich folgende These wagen. Die europäische Frühe Neuzeit ist ganz allgemein durch die Dialektik von Kanon und

Historta Calamitatum, Kanon und Pluralisierung in der ... · der Annäherung an den Absolutismus ist eine Reaktion auf einen allgemeinen Zustand der Destabilisierung der europäischen

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316 V Kanon unter den Bedingungen der Moderne

Literatur

Abaelard, Autobiographie, Hsg. Monfrin, J. (1959) Historta Calamitatum, Paris, Deutsch:Brust, E. 11938) Abaelard. Leidensgeschichte und Briefwechsel mit Haoise, Heidelberg.

Abaelard, Ethik, Hsg. D. E. Luscombe (1971) Peter Abaelards Ethics. Oxford.Abaelard, Briefwechsel mit Hsg. 1. T. Huckle (1953) "The Personal Letters Between

Abelard and Heloise", in: Medieval Stiidies 1.5, 47-94. Deutsch: Brost, E. (1938).Angenendt, A. (1983) "Peter Abaelard", in: Gestalten der Kirche 3, Mittelalter 1, Hsg.

M. Greschat, Stuttgart, 148-160.Bernhard von Clairvaux, 1 isg. J. Leclercq – H. Rothais (1957-1977) Opera OmnW. Rom.Borst, A. (1958) "Abalard und Bernhard", in: Historische Zeitschrift 186, 497-526.Brost, E. (1938 und Ndd.) Abaelard. Leidensgeschichte und Briefwechsel mit ElAise. Berlin.Chenu, M.-D. (1969) L'Eveil de la Conscience ,dans la Civilisation Midie'vale. Paris-Montreal.Classen, P. (1981) "Die geistesgeschichtliche Lage. Anstöße und Möglichkeiten", in: Die Renais-

sance der Wissenschaften im 12. Jh., Hsg. P. Weimar (= Zürcher Hochschulforum, Bd. 2),Zürich. 11-32.

Denzinger, H./Bannwart, Cl., Hsg. ( 33 1965) Enchiridion symbolorum. Freiburg.Dinzelbacher, P. (1981) Vision und Visionsliteratur im Mittelalter Stuttgart.Gilson, E. (1955) EMoise und Abiilard. Zugleich ein Beitrag zum Problem von Mittelalter und

Humanismus. Freiburg.Jacqueline, B. 11963) Papaute et Episcopat selon raint Bernard de Clairvaux. Paris.Johannes von Salisbury, Hsg. M. Chibnall (1956) Historni Pontificalis. London.Kolmer, L. (1981) "Abaelard und Bernhard von Clairvaux in Sens", in: Zeitschrift der Savignv-

Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 67. 121-147.Ladner, G. B. (1982) "Terms and Ideas of Renewal", in: Renaissance and Renewal in the Twelfth

Centurv, Hsg. R. L. Benson/G. Constable. Cambridge/Mass., 1-23.Le Goff, J. (1957) Les Intellectuels au moven ige. Paris.Miethke, J. (1975) "Theologenprozesse in der ersten Phase ihrer institutionellen Ausbildung: Die

Verfahren gegen Peter Abaelard und Gilbert von Poitiers", in: Viator 6. 87-116.Thomas, R. Hsg. (1980) Petrus Ahaelardus (1079-1142). Person, Werk und Wirkung. Trier.

Winfried Schulze

Kanon und Pluralisierung in der Frühen Neuzeit

Das Angebot zur Mitarbeit an der geplanten Kartierung der Kanon-Landschaft hatmich zu dem Versuch bewogen, eine wesentliche Epoche der europäischen Geschichtemit dem hier angebotenen Analyseinstrument anzugehen. Ich stelle also die Frage:Was kann der Begriff des Kanons für die Interpretation dieser Epoche bedeuten, wennwir uns entscheiden, keine Institutionengeschichte der Zensur, keine Geistesge-schichte von einzelnen Kanonisierungs- oder Dekanonisierungsprozessen zuschreiben. Ich will vielmehr danach fragen, worin die Signatur dieser Epoche bestehtund wie sich das Bemühen um Aufrechterhaltung des Kanons dazu verhält. Einsolches Verfahren ist notwendig verbunden mit einer relativ hohen Ebene der Verallge-meinerung, doch scheint dies angesichts des gesamten Vorhabens nicht zwangsläufigvon Nachteil zu sein.

In diesem Zusammenhang ist zunächst einmal nach der möglichen Bedeutung desKanon-Begriffs zu fragen, denn gerade gegenüber dem Prozeß der Pluralisierung kannKanon nicht allein auf den Bereich der religiösen Spaltung bezogen werden. Kanonsoll vielmehr ein Oberbegriff für alle Versuche sein, gesellschaftliche Einheit und kulturelle Stabilität mit Normierungen und institutionellen Mitteln zu sichern. Imfolgenden Beitrag soll vor allem die Frage gestellt werden, wie sich die Pluralisierungs-prozesse der Frühen Neuzeit auf den Kanonbegriff ausgewirkt haben. Es ist zuvermuten, daß Kanonisierung im Verlauf dieser Epoche eine grundlegende Wandlungerfährt.

Mit einem Beispiel will ich den traditionellen Kanonbegriff erläutern, wie er nochim Lauf des 16. Jh. verteidigt wurde. Der Jurist Jakob Lersner schrieb 1587 eine"Antwort" auf die Frage: "Ob es besser sev, nach gewissen beschriebenen und sonstbewehrten breuchlichen Rechten, Gesetzen, Ordnungen und Gewohnheiten: odernach eigener Vernunft, Sinn, Witz, Gutbedünken und selbst gefaßter billigkeit undeigenem Gewissen zu regieren, zu urthevlen, Regiment, Recht, Gleichheit, Gehorsam,Friede und Einigkeit zu erhalten." Die Antwort auf diese lange Frage war ein ausführ-liches Ja zur ersten Alternative. So verwundert es nicht, wenn der Verfasser den Grundfür alle Ketzereien seines Jahrhunderts darin sieht, daß "ein jeder ohn unterscheidtdavon hette schreiben, reden und urthevlen c_Iürffen". Lersner sah die neue "Richt-schnur" für seine in Unordnung geratene Zeit "in den Rechten", d. h. einer gesetz-lichen Verankerung des tradierten Sozialverhaltens, nur so könnten die elementarenSpaltungen überwunden werden.' Es war der Versuch – so könnte man sagen – denimpliziten Kanon der Vergangenheit durch einen gesetzlich fixierten Kanon zuersetzen und damit aufrechtzuerhalten.

1.

Auf einen kurzen Nenner gebracht möchte ich folgende These wagen. Dieeuropäische Frühe Neuzeit ist ganz allgemein durch die Dialektik von Kanon und

3 18 V. Kanon unter den Bedingungen der Moderne

Pluralisierung zu charakterisieren. Diese Charakterisierung mag verblüffen angesichtsjener Auffassung, die den Zwangsaspekt dieser Epoche betont. Mit Kanon und Plura-lisierung will ich auf den für mich bedeutsamen Sachverhalt hinweisen, daß für dieNeuzeit nicht das Problem von Kanon und Dekanonisierung vorrangig ist, sonderndas Problem der konkurrierenden Kanones und ihrer Beziehung zueinander, unddamit die Frage nach der Gültigkeit des Kanonkonzepts angesichts der Relativierungund Multiplizierung der konkurrierenden Kanones. Dieses Konkurrenzverhaltenerscheint deshalb als ein relevantes Kriterium, weil die Konkurrenz als eine legitimebeansprucht und durchgesetzt wurde. Eine solche Überlegung ist auch deshalbwichtig, weil damit dem potentiellen Vorwurf begegnet werden kann, den Kanon alsunhistorische und zu wenig differenzierende Kategorie zu verwenden.

Diese These vom Zusammenhang von Kanon und Pluralisierung will ich folgender-maßen begründen. Der europäische Absolutismus bzw. seine verschiedenen Stufender Annäherung an den Absolutismus ist eine Reaktion auf einen allgemeinen Zustandder Destabilisierung der europäischen Gesellschaften im Lauf des 15. und vor allem des16. Jh.

Destabilisierung soll in diesem Zusammenhang zunächst bedeuten: den Verlust derkonfessionellen Einheit, die Herausbildung konkurrierender Bekenntnisse und in derFolge von aggressiven konfessionellen Parteien, damit eng verbunden die Entstehungdes bürgerlichen Individuums "im unpolitischen Innenraum", nämlich die Spaltungin einen "Menschen" und in einen gehorsamen "Untertan" (Reinhart Koselleck).2

Destabilisierung bedeutet daneben die Überlagerung ständisch gebundenerErwerbsformen durch kapitalistisch organisierte und orientierte Unternehmungenund den damit verbundenen Verlust genossenschaftlichen Sozialverhaltens.Wirtschaftshistorisch bedeutet dies den Sieg des Frühkapitalismus, unter rechtshisto-rischen Aspekten bedeutet es die Durchsetzung von umfasssenden Polizeiverord-nungen zur Regelung des Sozial- und Wirtschaftsverhaltens der Untertanen.' In derSprache der Verhaltensnormen ausgedrückt bedeutet dieser Vorgang: das auf Gewinnhin orientierte Wirtschaftsverhalten beginnt seinen Siegeszug über das "Nahrungs" -Ideal der mittelalterlichen Gesellschaft und wird zunehmend, spätestens seit demfrühen 18. Jh., in seinen gesellschaftlich wohltätigen Funktionen erkannt. Hinzu-weisen wäre hier auf Mandevilles Kurzformel der privaten Laster, die öffentlicheWohltaten bewirken und ihre weit zurückreichenden Anfänge.'

Destabilisierung wird auch verursacht durch ein neues Ausmaß sozialer Mobilitätund Differenzierung in der Folge neuer gesellschaftlicher Funktionen. Es zerbrichtdas herkömmliche Konzept fester Standeszuweisungen, am einsichtigsten ausge-drückt in der Vorstellung einer dreigeteilten Gesellschaft, von der Georges Dubygesprochen hat.'

Schließlich überlagern neue Formen des Wissens und Erfahrens die vertrautenFormen der Wahrheitsfindung und der gesellschaftlichen Kommunikation. Dies zieltsowohl auf die eigentliche Wissenschaftsgeschichte mit Probabilismus und Skepti-zismus, zielt aber auch auf die " printing press as an agent of change" (Elizabeth Eisen-stein).6

Die Wirkung dieser Destabilisierungsprozesse, die als solche natürlich schon einelange Geschichte haben, ist ein gesamteuropäisches intensives "Ringen um Stabilität",wie es der amerikanische Historiker T. C. Rabb formuliert hat und die damit

Schulze, Kanon und Pluralisierung in der Frühen Neuzeit 319

geschaffene Ausgangslage für absolutistische Lösungen.' Insofern scheint dereuropäische Absolutismus eine Antwort auf eine Fülle krisenhafter Erscheinungen zusein, die die Historiker zur Entdeckung immer neuer Krisen im 16. und 17. Jh. bewegt.'All diese Krisensymptome sind letztlich Folgen der oben beschriebenen Destabilisie-rungsprozesse und bewirken staatliche Interventionen. Der Absolutismus ist einewichtige Etappe der europäischen Geschichte, weil er zwar neue Stabilität bewirkt,diese neue Stabilität aber durchaus ambivalente Wirkungen auf die weitere Geschichteausübt.

Auf der einen Seite schafft der Absolutismus einen neuen Kanon, nämlich dasAxiom absoluter Herrschaft mit den damit verbundenen Formen der Repräsentationund der kulturellen Identitätsbildung. Insofern ist er notwendigerweise zwangshaft,zumal er in steigendem Maße über den dafür notwendigen Beamten- und Militärap-parat verfügt. Auf der anderen Seite entwickelt der Absolutismus eine enorme moder-nisierende Kraft.' Ich erwähnte schon den neuen "unpolitischen Innenraum", der erstmoderne Subjektivität möglich machte, andere Funktionen lassen sich mit dem Begriffder "Sozialdisziplinierung" umschreiben'', die u. a. den Abbau adeliger Privilegiennicht nur denkbar, sondern vor allem auch realisierbar machte. Ratio Status und neces-sitas bilden sich zu wirksamen Konzepten der Intervention des Staates in die gesell-schaftlichen Verhältnisse heraus und leisten der tendenziellen Nivellierung der Gesell-schaft zu einem einheitlichen Untertanenverband Vorschub. 11 Damit erst wird dieschon lange vorhandene Adels- und Privilegienkritik erst politisch relevant und findetihren Vollstrecker.

Ein anderer Gesichtspunkt macht den absolutistischen Staat in besonderem Maße"anfällig" für eine modernisierende Politik und damit zur langfristigen Unterstützungjener Konzepte, die seine Schwächung betreiben. Da der historische Auftrag desabsolutistischen Staates die Wiedergewinnung gesellschaftlicher Stabilität war, blieber von jener Legitimationsformel abhängig, die das öffentliche Wohl zum oberstenGesetz erklärte (salus publica suprema lex esto). Dies bedeutete die Verpflichtung zurhöchstmöglichen Entfaltung von Effektivität, konkret hieß dies die Einrichtung vonManufakturen, die Förderung der Landwirtschaft, des Handels, der Wissenschaft.Damit aber stützte sich der absolutistische Staat genau auf jene Bereiche, die potentiellKonzepte zur Schwächung absolutistischer Herrschaft beinhalteten und entwickelten.Zu erinnern ist nur an die Dynamik der modernen Rechtsentwicklung oder an dieadelskritische Tendenz physiokratischen Denkens. All dies bewirkte, daß die program-matisch betriebene Maximierung des Produzierens und Konsumierens unvermeidlichdie Schwächung des absolutistischen Kanons und seiner ausgefeilten Methoden derZensurierung bedeutete. Dieser notwendige Widerspruch ist den Regierenden selbstbewußt geworden und man kann z. B. auf jenen interessanten Brief Ludwig XVI. anseinen liberal gesinnten Minister Malesherbes vom 13. Dezember 1786 verweisen, indem der König zugab, daß die "Freiheit der Presse den Kreis der menschlichen Kennt-nisse" natürlich erweitere und es ohne Zweifel wünschenswert sei, daß sich dieSchriftsteller ohne den Zwang und die Einschränkung der Zensur äußern könnten."Aber leider", so fügte der König einschränkend hinzu, "gingen die Menschen immerüber die gesetzten Grenzen hinaus" und dies dürfe er nicht zulassen: "Ich weiß, jedeInquisition ist gehässig, aber die Zügellosigkeit muß in Schranken gehalten werden,denn ohne dieses Mittel würden Religion und Sitte bald ihre Macht und die königliche

320 V Kanon unter den Bedingungen der Moderne

Gewalt an Respekt verlieren, der immer in ihrer Begleitung sein muß."' Es ist deshalbkein Wunder, wenn gerade die Zensurpolitik der Endphase des Ancien Regime inFrankreich in ihrem Schwanken zwischen intensiver Kontrolle und den Anforde-rungen gesellschaftlicher Nützlichkeit keine Chance mehr besaß, die aufklärerischenÄußerungen einzugrenzen, vor allem dann, wenn sich das Parlament von Paris und derConseil du Roi gegenseitig durch Zensurmaßnahmen zu blockieren suchten. DieseSelbstblockade der tragenden Pfeiler des Ancien Regime machte den grundlegendenWiderspruch zwischen Aufrechterhaltung des absolutistischen Kanon einerseits unddem Modernisierungsdruck andererseits deutlich.

Das Grundthema von Kanon und Pluralisierung ist m. E. geeignet, diese Charakte-risierung der europäischen Frühneuzeit herauszustellen, Auf der anderen Seite wirktdie Erfahrung dieser Epoche des Umbruchs aber auch auf unseren Begriff von Kanoni-sierung zurück. Diese Erfahrung kann uns zeigen, daß Kanonisierungen auch positivehistorische Funktionen ausüben können und bestimmten realhistorischen Bedürfnis-konstellationen entgegenkommen können. Das Chaos konfessioneller Bürgerkriegeund sozialer Konflikte – so ließe sich resümieren – bedurfte angesichts fehlenderakzeptierter Entscheidungsstrukturen eines neuen Kanons, dem allein die Potenzzugemessen wurde, den Konflikt kontrollieren zu können. Insofern glaube ich sagenzu können, daß Kanonisierungsprozesse auch die Funktion haben können, inbestimmten historischen Konstellationen eine übergroße Offenheit der Entwicklungmit der Tendenz zum Chaos kontrollieren zu können. Daraus ergibt sich eine paradoxscheinende Schlußfolgerung: Der Weg zur Freiheit verdankt sich dem Kanon.

2.

Ich will nun versuchen, den hier ganz knapp skizzierten Prozeß der Auflösung desabsolutistischen Machtkanons an einem begriffsgeschichtlichen Beispiel zu belegen.Seit einiger Zeit beschäftige ich mich mit dem Concordia-Begriff des 16. und 17 inder Hoffnung, in der Verwendung dieses Begriffes im Zeitalter der realen DiscordiaKlarheit zu gewinnen über die Vorstellungen gesellschaftlicher Ordnung und Einheit,die diese Epoche der Frühen Neuzeit prägten» Concordia scheint mir dabei ein demKanonbegriff durchaus zuzuordnendes Konzept zu sein, denn zweifellos ist es dieFunktion eines Kanons, gesellschaftliche Einheit zu sichern. Die politische Literaturim weitesten Sinne läßt gar keinen Zweifel an der Concordia als der zentralen Leitideealler Formen von Vergesellschaftung. Ohne Concordia, zunächst verstanden als diegrundlegende Übereinstimmung von Herrschenden und Beherrschten, wird keineMöglichkeit gemeinschaftlicher Existenz gesehen. Wenn die Republik der VereinigtenNiederlande ihren Botschaftern im späten 17. Jh. Münzen mit dem Motto auf den Weggab "res parvae concordia crescunt" – gewissermaßen um sich als dem unsicherstenStaatswesen Europas im aristotelischen Sinne selbst Mut zu machen – dann ist dies nurein Beispiel für die breite Übereinstimmung der politischen Reflexion dieser Zeit. Dieentscheidende Frage ist nun für unseren Zeitraum neu erfahrener konfessionellerDiskrepanz, wie kann Concordia noch hergestellt werden unter den Bedingungenkonfessioneller Parteiung? Zwei Strategien standen traditionellerweise zur Verfügung.Die erste war die klassische Strategie, Concordia durch Kontrolle der menschlichen

Schulze, Kanon und Pluralisierung in der Frühen Neuzeit 321

Fehler und Laster herzustellen, durch Ordnungsmaßnahmen des Herrschers, der seinSchwert gegen die Übertreter der Gesetze richtete. Die klassische Formel von "un roi,une loi, une foi" beschreibt diese grundlegende Funktion des Herrschers, die von derEinsicht in die Tatsache ausging, daß die Vergesellschaftung des Menschen den Einsatzvon Herrschaft notwendig machte. Die historische Erfahrung zeigte jedoch bald, daßdieses Konzept langfristig nicht durchzusetzen war. Schon die Mitte des 16. Jh. zwingtzu der Einsicht in die Verschiedenheit der Gewissen und damit taucht die Frage auf,wie denn jenes Mindestmaß an Concordia hergestellt werden konnte, das im gesell-schaftlichen und politischen Bereich existentiell notwendig war. Während in Englandund Frankreich das Prinzip der einheitlichen Konfession – wenn auch mit Einschrän-kungen – durchgesetzt werden konnte, so kam diese Lösung für das Heilige RömischeReich nach der Herausbildung zweier konfessioneller Parteien nicht mehr in Frage.Die praktische Lösung dieses Problems ist bekannt, der Augsburger Religionsfriedenregionalisierte das Konfessionsproblem und schaffte damit zunächst einmal unter-schiedliche Möglichkeiten religiöser Existenz, ja eröffnete sogar die Möglichkeit zurAuswanderung für die dissentierenden Untertanen.w

Für unseren Zusammenhang ist es besonders wichtig, die Genese jener politischenKonzeption zu verfolgen, die 1555 zum Augsburger Religionsfrieden führte. Unterreichspolitischen Gesichtspunkten ist die Voraussetzung für diesen Kompromiß einerigorose Trennung zwischen den Problemen von Konfession und innerem Frieden, wiesie vor allem von den konfessionsneutralen Ständen des Reiches in den zweiJahrzehnten vor 1555 betrieben wurde. "So ist doch ein groß unterscheidt zwischenvergleichung der religion und dem friedstand in der religion, auch den vorigen reichs-abschieden nit ungemeß, daß die kaiserliche Majestät als das haupt den frieden unter-halte", hieß es noch 1552 in einer Beratung im Kreis dieser Stände»

Überblickt man die relative Stetigkeit dieser konfessionsneutralen Friedenspolitikim Reich, so erscheint die Schnelligkeit bemerkenswert, mit der sich eine Auffassungdurchsetzte, die Konfession und Frieden voneinander trennte. Binnen einerGeneration hatte sich die Einsicht durchgesetzt, daß Concordia in einem politischenGemeinwesen nicht unbedingt des dogmatischen Konsensus bedürfe. Letztlich setztesich eine Aufspaltung des Concordiabegriffs durch, die Martin Luther selbst in derKritik an den humanistischen Einheitsvorstellungen entwickelte, wie sie Erasmus vonRotterdam 1533 in seiner Schrift "De sarcienda ecclesiae concordia deque sedandisopinionum dissidiis" formuliert hatte. Luther unterschied hier zwischen einerconcordia fidei und einer concordia caritatis. Die letztere beziehe sich nur auf denpolitischen Umgang der Konfessionen, doch könne sie der concordia des Glaubensnichts präjudizieren. Die concordia caritatis sei unerträglich für das Gewissen und dieWahrheit, und es dürfe nicht mit undeutlichen Worten von den zentralen Fragen desGlaubens abgelenkt werden.' Eigentlich hatte schon diese Reaktion Luthers aufErasmus klargestellt, daß die alte concordia der Papstkirche ein unerreichbares Zielgeworden war und durch eine kompliziertere Verbindung von Dissens und Konsensersetzt werden mußte. Daß diese Einsicht in die Trennung von Konfession und Friedenvielen Zeitgenossen schwer fiel, mag ein Hinweis auf Äußerungen Martin Bucersbelegen, der zwischen dem "glesernen", "äußeren" oder "ungöttlichen" Frieden ohnedogmatische Einheit und dem "satten" Frieden unterschied, der auch konfessionelleEinheit bedeutete.

322 V. Kanon unter den Bedingungen der Moderne

Parallel zu dieser Aufspaltung des concordia-Begriffs setzte sich auch eine neueVersion der konfessionellen concordia durch, jetzt auf der Ebene der getrenntenBekenntnisse. Zum erstenmal wurde dies in der Wittenberger Konkordie von 1536sichtbar, ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung in der Formula concordiae von1577, einem nach langen Bemühungen endlich erreichten Kompromiß zur Beilegungvon Lehrdifferenzen im Lager der Augsburgischen Konfession. Für unseren Zusam-menhang ist dabei von besonderem Interesse, wie sich auch die neue Konfession dergleichen Mittel wie "die alte Kirche" bediente, um "zu gründlicher und beständigereinigkeit in der kirchen zu gelangen": ". . . so haben wir uns gegeneinander mit herzenund mund erklärt, daß wir kein sunderliche oder neue bekenntniß unseres glaubensmachen oder annehmen wollen, sondern uns zu den öffentlichen allgemeinenSchriften bekennen, so für solche symbola oder gemeine bekenntnisse in allen kirchender augsburgischen konfession je und allwege, eh denn die Zwiespalt ... entstanden-. . . gehalten und gebraucht werden.' In dieser Parallelität von Trennung zwischen

concordia fidei und politischer concordia einerseits und der neuen Bestimmung derkonfessionell verengten concordia mag für uns der Prozeß der Kanondifferenzierungdeutlich werden.

Die aus einem Machtkompromiß heraus entwickelte Lösung von 1555 bedurftefreilich neuer Einsichten in den Prozeß der Herstellung gesellschaftlicher und politi-scher Eintracht. Es war gerade die Epoche zwischen dem Augsburger Religionsfriedenund dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, die zur nüchternen Analyse politi-scher Concordia führte und ihre Voraussetzungen weiter komplizierte. Unter demDruck kaiserlicher Steuerforderungen entwickelten nämlich protestantische Ständeseit dem Reichstag von 1582 eine grundsätzliche Kritik des Mehrheitsverfahrens amReichstag. Sie dehnten die schon 1555 erreichte Regel, daß konfessionelle Angelegen-heiten nicht per Mehrheit entschieden werden durften, auch auf andere politischeFragen wie Steuerbeschlüsse aus. Damit ergab sich eigentlich schon gegen Ende des16. Jh. auf der theoretischen Grundlage der römisch-rechtlichen Maxime "Quodomnes tangit, ab omnibus debet approbari" eine Situation, die bei gegebenem Dissensder konfessionellen Parteien eine gütliche Einigung erforderte, d. h. eine politischeKompromißlösung ohne Mehrheitsverfahren.' Praktisch bedeutete dies eineAusweitung der politischen Fragen, in denen ein legitimer Dissens herrschen konnte.Der Bereich der notwendigen politischen concordia schrumpfte zumindest imVerständnis der Protestanten auf elementare Fragen wie Rechts- und Friedens-wahrung zusammen.

Diese noch relativ unbekannte Diskussion um die Grundlagen politischer Entschei-dungsfindung, die sich im Reich gegen Ende des 16. und zu Beginn des 17.) h. ergab,ist – so ließe sich konstatieren – das deutsche Pendant zur westeuropäischen Souve-ränitätsdiskussion. Während sich dort alles auf die Monopolisierung politischerKompetenzen hin konzentrierte, wurden in Deutschland schon die Grundlagen einespolitischen Systems vorgedacht, das erst nach 1648 seine Verwirklichung finden sollte.Im Westfälischen Frieden wurde schließlich für konfessionelle Fragen und für alleFragen des grundsätzlichen Dissenses zwischen den konfessionellen Corpora desReichstags die " itio in partes" und die " amicabilis compositio" zur Norm erklärt.

All dies zeigte, daß sich im Lauf des 16. Jh. neue Vorstellungen politischer Eintrachtdurchsetzten. Nachdem endgültig deutlich geworden war, daß die Rückkehr zur

Schulze, Kanon und Pluralisierung in der Frühen Neuzeit 323

concordia der alten Kirche nicht mehr möglich war, bedurfte man neuer Verfahren derKonsensusbildung, da die konfessionellen und die davon abhängigen politischenFragen nicht mehr durch Mehrheitsentscheidungen lösbar waren. Auf der Ebene derReichspolitik wurde eine Lösung dieses Problems dadurch erreicht, daß entschei-dende Fragen der Zustimmung aller Parteien unterworfen wurden, notfalls imRahmen eines Kompromisses. Auf der theoretischen Ebene setzte sich die Einsichtdurch, daß concordia eigentlich nicht der völligen Einstimmigkeit bedürfe, sonderndurchaus auch – wenn auch durch Zuhilfenahme einer "fictio juris" – durch eineMehrheitsentscheidung herbeigeführt werden könne. So formulierte DominicusArumaeus 1630, damit zweifellos auf die Diskussionen der letzten Jahrzehntereagierend, eine Theorie der doppelten concordia. "Duplex enim est concordia, unaplena et vere talis est quando scilicet omnes consentiunt, altera vera juris fictione protau quando scilicet major pars consentit." Und schon 1619 hatte Theodor Reinking dieneue, niedriger angesetzte Schwelle politischer Eintracht definiert, wenn er sagte, daßconcordia nicht mehr die Berücksichtigung aller einzelner Personen erfordere,sondern allein einen politischen Entscheidungsprozeß (" actus"), zu dessenVollendung schon die Mehrheit der betroffenen Personen ausreiche: "Verbum itaqueconcorditer et einmütiglich non refertur ad singulos, sed ad collegium, vel majoremejus partis." 19

Diese neuen Definitionen der Juristen reagierten mit einer gewissen Verzögerungauf die Entwicklung des späten 16. Jh., als zum erstenmal katholische Reichsstände dieGültigkeit einer politischen Entscheidung auf den Reichstagen vom ordnungsge-mäßen Zustandekommen eines Mehrheitsbeschlusses abhängig gemacht hatten.

Beide hier erwähnten Vorgänge, sowohl die protestantische Mehrheitskritik wieauch das katholische Beharren auf der Gültigkeit von Mehrheitsentscheidungen, sindinteressante Belege für unsere zentrale Frage nach den Begleitumständen von Dekano-nisierung im Sinne einer Pluralisierung. Dekanonisierung bedeutete im 16. Jh.zunächst einmal die Legitimierung des Dissenses, zunächst über konfessionelleFragen. Doch um diesen konfessionellen Kern konnten sich sehr bald andere Fragenankristallisieren. Zum anderen bedeutete eine solche Dekanonisierung auch dieAbkehr von der hohen Schwelle der Einstimmigkeit in politischen Entscheidungspro-zessen. Die schlichte Mehrheit genügte fortan, sofern der " actus" ihrer Herstellungbestimmten formalen Erfordernissen genügte.

Zu Anfang dieses Beitrags wurde die These vertreten, daß – unter dem speziellenBlickwinkel des Kanonbegriffs – die Frühe Neuzeit weniger durch einen Prozeß derDekanonisierung als vielmehr durch das Problem konkurrierender Kanones gekenn-zeichnet sei. Am Beispiel der konfessionellen Spaltung konnte gezeigt werden, wienach dem Zerbrechen des "alten" Kanons sehr bald neue Kanonisierungsversucheeinsetzten, freilich auf einer niedrigeren Ebene, d. h. mit begrenzterem Geltungsbe-reich. Solche Vorgänge lassen sich sowohl im alten wie im neuen Bekenntnisbeobachten, aber darüber hinaus auch bei den neu hinzukommenden Denomina-tionen. Allein die Formulierung neuer Kanones konnte dem "ungeheuren Bedarf

324 V. Kanon unter den Bedingungen der Moderne

dieses (16.) Jh. an Ordnung" – wie es einmal Lucien Febvre formuliert hat – entgegen-kommen. 1546 sprach Melanchthon von "viel Unordnung, Uneinigkeit, Unfleiß,Argernuß" im eigenen Lager "und wollen gleichwohl keinen Richter und keine Refor-mation leiden". Diese Lehre könne nicht weiterexistieren, "dieweil kein Kirchen-Regiment, kein Einigkeit" erhalten werde.

Insofern mußte die Problematik dieser Epoche notwendigerweise in der Regelungdes Nebeneinanders konkurrierender Normensysteme liegen, sobald an deren Existenznicht mehr zu rütteln war. Dies mußte um so eher gelten, da die konfessionellenKanones mit wichtigen politischen und wirtschaftlich wie sozial interessanten Privi-legien verbunden waren. Für diesen Vorgang erscheint mir der Begriff der Plurali-sierung besonders treffend, da sich hier eine spezifisch neuzeitliche Problemlageerkennen läßt. Wenn auch die Zerstörung des tradierten Kanons der römischen Kircheunumgänglich geworden war, so bedurfte die Gesellschaft der Frühen Neuzeit dochweiterhin der regulierenden Hilfe des Kanons.

Anmerkungen

Der Traktat erschien 1587 in Frankfurt am Main und wurde 1657 in Helmstedt erneutgedruckt. Wenn der Traktat sich auch in erster Linie mit der Frage von geschriebenem Recht undBilligkeitsrecht auseinandersetzte, so sind doch genügend Hinweise auch auf andere Bereiche dessozialen Lebens enthalten, um ihn hier als Exempel verwenden zu können.

2 Reinhart Koselleck (1973). Für den gleichen Zusammenhang auch Roman Schnur (1963).3 Dazu jetzt Marc Raeff (1983).

Vgl. dazu demnächst Winfried Schulze (1986a), zu Mandeville, vgl. Schrader, S. 34 ff.5 Georges Duby (1981).6 Elizabeth Eisenstein (1979).

Theodore C. Rabb (1975).8 Zuletzt zu diesem Komplex G. Parker – L. M. Smith (Hsg.) (1978) und Peter Clark (Hsg.)

(1985).9 Zu dieser dem Absolutismus eigentümlichen Ambivalenz jetzt den weiterführenden Beitrag

von Karl Georg Faber (1983).1° Dieser Begriff ist von Gerhard Oestreich in die Diskussion eingeführt worden, um einen

sozial übergreifenden Disziplinierungsprozeß im Absolutismus zu beschreiben. Vgl. ders. (1969),bes. 179 ff.

11 Zum Staatsräsonbegriff zuletzt R. Schnur (1975) und Michael Stolleis (1980). Zum Begriffder necessitas jetzt Johannes W. Pichler (1983).

12 Der Brief Ludwigs XVI. an Malesherbes vom 13. Dezember 1786 ist abgedruckt bei GustavLandauer (1961), 201 f.

13 Vgl. dazu demnächst Winfried Schulze (1986b).14 Dazu jetzt Martin Heckel (1983) 33 ff.15 Das Zitat ist nachgewiesen bei Albrecht P. Luttenberger (1982), 708.16 WA 38, S. 273 ff.° Vgl. dazu Jobst Schöne (1978). Das Zitat nach dem Druck der Formula in den Bekenntnis-

schriften.'8 Ausführlicher dazu Winfried Schulze (1978), 1.55 ff. und Klaus Schlaich (1983), 299-340.19 Ich zitiere hier nach Schlaich (1983), 335, Anm. 186.

Schulze, Kanon und Pluralisierung in der Frühen Neuzeit

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