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Fachthemen DOI: 10.1002/stab.201310065 464 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 82 (2013), Heft 6 Hochbelastbare CFK-Biege- und CFK-Querkraftträger: Nichtlineare Finite-Elemente-Analyse zu Traglast- und Stabilitätsuntersuchungen von Kastenträgern Marco Schürg Friedrich Gruttmann Hochbelastbare, dünnwandige Biegeträger aus Faser-Kunststoff- Verbunden haben vielfältige Anwendungen im konstruktiven In- genieurbau. Dünnwandige Bauteile neigen bei hoher Belastung zu Profilverformungen und Beulen. Daher müssen derartige Ver- sagensarten bei der Bemessung beachtet werden. Speziell bei Faser-Kunststoff-Verbunden können außerdem intralaminare und interlaminare Versagensarten auftreten. Diese Eigenschaften ver- bunden mit der heterogenen Struktur von Faser-Kunststoff-Ver- bunden führen zu einer aufwändigen Modellierung des Werkstoff- und Strukturverhaltens. Besondere Beachtung erfordert dort ins- besondere die numerische Umsetzung. Innerhalb des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts „Große, hochbelastbare Biegeträger aus Faser-Kunststoff-Verbunden“ sind Finite-Elemente-Modelle zur Analyse des Tragverhaltens hochbelasteter Faserverbund-Biegeträger entwickelt worden. Dabei wurden 4-knotige Schalenelemente mit fünf oder sechs Freiheitsgraden an den Knoten verwendet, damit auch Kanten abgebildet werden können. In dem implementierten Modell wer- den räumliche Probleme mit zweidimensionalen Schalenmodellen erfasst. Zur Untersuchung des Einflusses von Delamination kamen so genannte Interface-Elemente zum Einsatz, die auf einem Kohä- siv-Zonen-Modell basieren. In diesem Beitrag werden die Ergeb- nisse einiger mit dem entwickelten Modell durchgeführten nicht- linearen Finite-Elemente-Analysen vorgestellt. Highly loaded CFRP-beams: Load bearing and stability analysis of box girders. Highly-loaded, thin-walled girders are in high de- mand in structural engineering. Thin-walled structural elements are prone to exhibit warping of the cross section and buckling when subjected to high loads. Therefore, such phenomena need to be investigated. Additionally, with fiber-reinforced composites, intralaminar and interlaminar failure modes have to be considered. These characteristics along with the heterogeneous structure of fiber-reinforced composite plastics lead to complex modeling of the material and structural behavior. Special attention must be paid to the numerical implementation. In the joint project “Large high-strength fiber-reinforced polymer beams”, funded by the German Research Foundation, finite element models for the anal- ysis of load bearing characteristics of highly loaded fiber-rein- forced composite beams were developed. In the process 4-node shell elements with five or six degrees of freedom at the nodes were used, in order to be able to model shell intersections. With the approach used three-dimensional problems can be modeled with two-dimensional shell models. To investigate the influence of delamination, so called interface-elements were used, which are based on a cohesive zone model. In this article the results of some finite element analyses conducted with the developed model are presented. 1 Einleitung Hochbelastbare Biegeträger bestehen häufig aus dünnwan- digen Bauteilen, beispielsweise mit I- und Kasten-Profilen. Solche Bauteile aus Faser-Kunststoff-Verbunden haben vielfältige Anwendungen im konstruktiven Ingenieurbau, zum Beispiel im Brücken- und Kranbau. Die Vorteile sol- cher Werkstoffe gegenüber herkömmlichen Werkstoffen sind hohe Steifigkeiten und Festigkeiten bei geringem Ge- wicht, verbesserte Geräusch- und Vibrationseigenschaften sowie Korrosionsbeständigkeit. Dünnwandige Bauteile neigen im Allgemeinen bei ho- her Belastung zu Profilverformungen und Beulen. Zur Er- fassung solcher Verhaltensweisen in der mechanischen Modellrechnung ist die Verwendung einer geometrisch nichtlinearen Theorie erforderlich. Die heterogene Struk- tur von Faser-Kunststoff-Verbunden führt zu einer aufwän- digen Modellierung des Werkstoff- und Strukturverhaltens. Außerdem können bei solchen Werkstoffen intralaminare und interlaminare Versagensarten auftreten, was die Ver- wendung einer physikalisch nichtlinearen Theorie erfor- dert. Bei der Bemessung von dünnwandigen Bauteilen müssen Traglast- und Stabilitätsuntersuchungen durchge- führt werden. Solche Untersuchungen können oft nicht analytisch realisiert werden, so dass häufig die Finite-Ele- mente-Methode als numerisches Lösungsverfahren des Randwertproblems zum Einsatz kommt. Somit erfordert die numerische Umsetzung der entwickelten Modelle be- sondere Beachtung. Innerhalb des von der Deutschen For- schungsgemeinschaft geförderten Projekts „Große, hoch- belastbare Biegeträger aus Faser-Kunststoff-Verbunden“ sind Finite-Elemente-Modelle zur Analyse des Tragverhal- tens hochbelastbarer Faserverbund-Biegeträger entwickelt worden. Dabei wurden 4-knotige Schalenelemente mit fünf oder sechs Freiheitsgraden an den Knoten verwendet, da- mit auch Kanten abgebildet werden können [1]. Auf diese Weise können räumliche Probleme mit zweidimensionalen Schalenmodellen erfasst werden. Das verwendete 4-knotige Schalenelement basiert auf einem Dreifeld-Hu-Washizu-Funktional mit unabhängigen Ansätzen für die Verschiebungen, Spannungen und Verzer- rungen. Die Anzahl der globalen Freiheitsgrade wird je- doch durch die gegenüber einem reinen Verschiebungsele- ment zusätzlichen Ansätze für die Spannungen und Ver- zerrungen nicht erhöht, da die eingeführten Unbekannten

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Fachthemen

DOI: 10.1002/stab.201310065

464 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 82 (2013), Heft 6

Hochbelastbare CFK-Biege- und CFK-Querkraftträger: Nichtlineare Finite-Elemente-Analyse zu Traglast- und Stabilitätsuntersuchungen von Kastenträgern

Marco SchürgFriedrich Gruttmann

Hochbelastbare, dünnwandige Biegeträger aus Faser-Kunststoff-Verbunden haben vielfältige Anwendungen im konstruktiven In-genieurbau. Dünnwandige Bauteile neigen bei hoher Belastung zu Profilverformungen und Beulen. Daher müssen derartige Ver-sagensarten bei der Bemessung beachtet werden. Speziell bei Faser-Kunststoff-Verbunden können außerdem intralaminare und interlaminare Versagensarten auftreten. Diese Eigenschaften ver-bunden mit der heterogenen Struktur von Faser-Kunststoff-Ver-bunden führen zu einer aufwändigen Modellierung des Werkstoff- und Strukturverhaltens. Besondere Beachtung erfordert dort ins-besondere die numerische Umsetzung. Innerhalb des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts „Große, hochbelastbare Biegeträger aus Faser-Kunststoff-Verbunden“ sind Finite-Elemente-Modelle zur Analyse des Tragverhaltens hochbelasteter Faserverbund-Biegeträger entwickelt worden. Dabei wurden 4-knotige Schalenelemente mit fünf oder sechs Freiheitsgraden an den Knoten verwendet, damit auch Kanten abgebildet werden können. In dem implementierten Modell wer-den räumliche Probleme mit zweidimensionalen Schalenmodellen erfasst. Zur Untersuchung des Einflusses von Delamination kamen so genannte Interface-Elemente zum Einsatz, die auf einem Kohä-siv-Zonen-Modell basieren. In diesem Beitrag werden die Ergeb-nisse einiger mit dem entwickelten Modell durchgeführten nicht-linearen Finite-Elemente-Analysen vorgestellt.

Highly loaded CFRP-beams: Load bearing and stability analysis of box girders. Highly-loaded, thin-walled girders are in high de-mand in structural engineering. Thin-walled structural elements are prone to exhibit warping of the cross section and buckling when subjected to high loads. Therefore, such phenomena need to be investigated. Additionally, with fiber-reinforced composites, intralaminar and interlaminar failure modes have to be considered. These characteristics along with the heterogeneous structure of fiber-reinforced composite plastics lead to complex modeling of the material and structural behavior. Special attention must be paid to the numerical implementation. In the joint project “Large high-strength fiber-reinforced polymer beams”, funded by the German Research Foundation, finite element models for the anal-ysis of load bearing characteristics of highly loaded fiber-rein-forced composite beams were developed. In the process 4-node shell elements with five or six degrees of freedom at the nodes were used, in order to be able to model shell intersections. With the approach used three-dimensional problems can be modeled with two-dimensional shell models. To investigate the influence of delamination, so called interface-elements were used, which are based on a cohesive zone model. In this article the results of some finite element analyses conducted with the developed model are presented.

1 Einleitung

Hochbelastbare Biegeträger bestehen häufig aus dünnwan-digen Bauteilen, beispielsweise mit I- und Kasten-Profilen. Solche Bauteile aus Faser-Kunststoff-Verbunden haben vielfältige Anwendungen im konstruktiven Ingenieurbau, zum Beispiel im Brücken- und Kranbau. Die Vorteile sol-cher Werkstoffe gegenüber herkömmlichen Werkstoffen sind hohe Steifigkeiten und Festigkeiten bei geringem Ge-wicht, verbesserte Geräusch- und Vibrationseigenschaften sowie Korrosionsbeständigkeit.

Dünnwandige Bauteile neigen im Allgemeinen bei ho-her Belastung zu Profilverformungen und Beulen. Zur Er-fassung solcher Verhaltensweisen in der mechanischen Modellrechnung ist die Verwendung einer geometrisch nichtlinearen Theorie erforderlich. Die heterogene Struk-tur von Faser-Kunststoff-Verbunden führt zu einer aufwän-digen Modellierung des Werkstoff- und Strukturverhaltens. Außerdem können bei solchen Werkstoffen intralaminare und interlaminare Versagensarten auftreten, was die Ver-wendung einer physikalisch nichtlinearen Theorie erfor-dert.

Bei der Bemessung von dünnwandigen Bauteilen müssen Traglast- und Stabilitätsuntersuchungen durchge-führt werden. Solche Untersuchungen können oft nicht analytisch realisiert werden, so dass häufig die Finite-Ele-mente-Methode als numerisches Lösungsverfahren des Randwertproblems zum Einsatz kommt. Somit erfordert die numerische Umsetzung der entwickelten Modelle be-sondere Beachtung. Innerhalb des von der Deutschen For-schungsgemeinschaft geförderten Projekts „Große, hoch-belastbare Biegeträger aus Faser-Kunststoff-Verbunden“ sind Finite-Elemente-Modelle zur Analyse des Tragverhal-tens hochbelastbarer Faserverbund-Biegeträger entwickelt worden. Dabei wurden 4-knotige Schalenelemente mit fünf oder sechs Freiheitsgraden an den Knoten verwendet, da-mit auch Kanten abgebildet werden können [1]. Auf diese Weise können räumliche Probleme mit zweidimensionalen Schalenmodellen erfasst werden.

Das verwendete 4-knotige Schalenelement basiert auf einem Dreifeld-Hu-Washizu-Funktional mit unabhängigen Ansätzen für die Verschiebungen, Spannungen und Verzer-rungen. Die Anzahl der globalen Freiheitsgrade wird je-doch durch die gegenüber einem reinen Verschiebungsele-ment zusätzlichen Ansätze für die Spannungen und Ver-zerrungen nicht erhöht, da die eingeführten Unbekannten

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auf Elementebenen durch statische Kondensation eliminiert werden. Das finite Schalenelement besitzt eine Schnittstelle zu dreidimensionalen Stoffgesetzen. Untersuchungen haben gezeigt, dass dieses Element numerisch sehr robust ist, da es verhältnismäßig große Lastschritte in nichtlinearen Fi-nite-Elemente-Simulationen erlaubt. Außerdem wird eine Reihe unterschiedlicher Methoden angewendet, um das häufig auftretende Phänomen von Locking zu vermeiden. Für eine genaue Beschreibung des Schalenmodells inklu-sive der abgeleiteten Finite-Elemente-Gleichungen wird auf [1] und [2] verwiesen.

Zur Untersuchung des Einflusses von Delamination kommen so genannte Interface-Elemente zum Einsatz, die auf einem Kohäsiv-Zonen-Modell basieren. Die zugrunde-liegende Theorie beruht auf der Annahme, dass moleku-lare Kohäsiv-Kräfte im Bereich der Rissspitze wirken. Das Modell geht auf die in [3] und [4] beschriebene Arbeit zu-rück. Im folgenden Abschnitt werden einige mit Hilfe des beschriebenen Schalenelements durchgeführte Traglast- und Stabilitätsuntersuchungen vorgestellt.

2 Traglast- und Stabilitätsuntersuchungen

Bei den durchgeführten Untersuchungen handelt es sich um geometrisch und physikalisch nichtlineare Finite-Ele-mente-Simulationen eines Biegeträgers mit einem Kasten-profil. Untersucht wurde ein Drei-Punkt-Biegeversuch. Die genauen Parameter des Versuchsaufbaus wurden mit den Kooperationspartnern des DFG-Projekts festgelegt. Für die transversal isotropen, unidirektional faserverstärkten CFK-Einzelschichten gelten folgende Materialparameter: E1 = 125000 N/mm²; E2 = 7400 N/mm²; G12 = 4800 N/mm²; n12 = 0,34; n23 = 0,37. Für das in den Simulationen verwen-dete Modell wurden folgende Abmessungen festgelegt: Die Stützweite des Biegeträgers beträgt 2000 mm, die Außen-maße des Querschnitts betragen 100 mm in der Breite und 200 mm in der Höhe.

In der vorgestellten Untersuchung wird der Kastenträ-ger mit den beschriebenen finiten Schalenelementen dis-kretisiert. Anschließend werden zunächst geometrisch nichtlineare Simulationen durchgeführt. Die Simulationen ermöglichen es, kritische Lasten zu ermitteln und Abmes-

sungen zu identifizieren, die zu einem Beulverhalten füh-ren. Es werden Beispiele mit und ohne Steife bei Auflager und Lasteinleitung, unterschiedliche Steg- und Flanschdik-ken sowie verschiedene Laminataufbauten untersucht (Ta-belle 1). In den Stegen, deren hauptsächliche Aufgabe die Aufnahme von Schubkräften ist, wird ein –45°/+45°-Win-kelverbund angeordnet, während in den Flanschen, in de-nen hauptsächlich Zug- und Druckkräfte aufgenommen werden, zusätzlich 0°-Lagen vorgesehen werden. Bei der Diskretisierung des Kastenträgers wird die Symmetrie des Systems ausgenutzt. In den im Folgenden gezeigten Verfor-mungsfiguren des Kastenträgers ist der halbe Träger abge-bildet. Die genaue Anzahl der Elemente kann den Illustra-tionen entnommen werden. In den Last-Verschiebungskur-ven steht F für die Last und w für die Verschiebung in Lastrichtung. Das Auflager befindet sich bei allen Verfor-mungsfiguren am unteren Flansch am hinteren Ende des (halben) Kastenträgers, während die Lasteinleitung sich am oberen Flansch am vorderen Ende des (halben) Kastenträ-gers befindet.

Da der Kastenträger bis in den so genannten überkri-tischen Bereich hinein untersucht werden soll, in dem eine Eindeutigkeit der Lösung nicht vorausgesetzt werden kann, wird ein Bogenlängenverfahren gewählt. Dadurch kann beispielsweise der Nachbeulbereich des Kastenträ-gers untersucht werden. Dieses Verfahren erlaubt eine Ver-folgung des Lösungspfads über singuläre Punkte hinaus. Durch die Wahl einer Zwangsbedingung sind verschiedene Varianten des Bogenlängenverfahrens möglich. In den in den folgenden Abschnitten aufgeführten Beispielen kommen eine verschiebungsgesteuerte Variante und eine Variante, die auf einer Iteration auf der Normalenebene beruht, zum Einsatz. Für einen theoretischen Hintergrund zum Bogen-längenverfahren sei beispielhaft auf [5] und [6] verwiesen.

Zunächst wird der Kastenträger mit den beschriebe-nen Parametern ohne Steife bei Auflager und Lasteinlei-tung unter Verwendung einer verschiebungsgesteuerten Variante des Bogenlängenverfahrens untersucht. Bild 1a zeigt die Last-Verschiebungskurven der verschiedenen un-tersuchten Varianten des Kastenträgers. Zu Beginn der Simulation nimmt die Last-Verschiebungskurve einen line-aren Verlauf, der jedoch bei Erreichen der maximalen Last

Tabelle 1. Verschiedene Varianten des KastenträgersTable 1. Different versions of the box girder

Variante Komponente Schichtaufbau in ° Dicke in mm

1aSteg [45/–45/45/–45/45/–45/45/–45/45/–45]S 5

Flansch [45/–45/45/–45/45/–45/45/–45/45/–45/0]S 10

1bSteg [45/–45/45/–45/45/–45/45/–45/45/–45]S 5

Flansch [45/–45/45/–45/45/–45/45/–45/45/–45/0]S 15

2aSteg [45/–45/45/–45]S 5

Flansch [45/–45/45/–45/0]S 10

2bSteg [45/–45/45/–45]S 5

Flansch [45/–45/45/–45/0]S 15

3Steg [45/–45/45/–45]S 5

Flansch [45/–45/45/–45/45/–45/45/–45/0] 10

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der Verschiebungen w. Die schwarzen Kanten zeigen die Ausgangsstellung zu Beginn der Simulation. Die Profilver-formung des Querschnitts ist deutlich sichtbar, da keine Steife vorhanden ist.

In weiteren Untersuchungen ist bei Lasteinleitung und Auflager eine Steife berücksichtigt. In diesem Beispiel wird ebenfalls die verschiebungsgesteuerte Variante des Bogen-längenverfahrens eingesetzt. Die Last-Verschiebungskur-ven sind in Bild 2a abgebildet. Obwohl der qualitative Ver-lauf der Kurven ähnlich den Verläufen aus dem vorigen Beispiel ist, ist die erreichbare Traglast mit den Steifen we-

stark nichtlinear wird. Zu Beginn der Simulation kann mit größeren Lastschritten gerechnet werden, im nichtlinearen Bereich sind jedoch kleinere Lastschritte nötig, um eine Lösung zu finden und somit ein Gleichgewicht zu erreichen. In den beiden Konfigurationen mit den dickeren Flan-schen (Varianten 1b und 2b) ist die Traglast größer als in den drei Beispielen mit den dünneren Flanschen (Varian-ten 1a, 2a und 3). Eine Störlast muss aufgebracht werden, um die abfallenden Lösungskurven zu erreichen. Bild 1b zeigt die Verformungsfigur des Kastenträgers in der Vari-ante 2a am Punkt der höchsten Last mit einem Konturplot

Bild 1. Last-Verschiebungskurven und Verformungsfigur des Kastenträgers ohne Steifen: a) Last-Verschiebungskurven des Kastenträgers ohne Steifen; b) Verformungsfigur des Kastenträgers (Variante 2a) am Punkt der höchsten Last ohne Steifen mit Konturplot der Verschiebungen in Lastrichtung (in mm)Fig. 1. Load deflection curve and deformation figure of the box girder without stiffeners: a) load deflection curves of the box girder without stiffeners; b) deformation figure of the box girder (alternative 2a) at the point of highest load without stiffeners with contour plot of the displacements in load direction (in mm)

a) b)

a) b)

Bild 2. Last-Verschiebungskurven und Verformungsfigur des Kastenträgers mit Steifen: a) Last-Verschiebungskurven des Kastenträgers mit Steifen; b) Verformungsfigur des Kastenträgers (Variante 2a) am Punkt der höchsten Last mit Steifen mit Konturplot der Verschiebungen in Lastrichtung (in mm)Fig. 2. Load deflection curve and deformation figure with stiffeners: a) load deflection curves of the box girder with stiffeners; b) deformation figure of the box girder (alternative 2a) at the point of highest load with stiffeners with contour plot of the displacements in load direction (in mm)

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Variante des Bogenlängenverfahrens kommt es ebenfalls zu einem Ausweichen des Systems, jedoch gleichzeitig zu deutlich sichtbaren Beulen im Flansch und somit zu einem weiteren Verlust an Steifigkeit und einer geringeren Trag-last.

In einem weiteren Beispiel wird das Beulverhalten des Stegs untersucht. Die Simulation wird am Kastenträger in der Variante 1a durchgeführt, mit der Ausnahme, dass die Dicke der beiden Stege auf 2 mm verringert wird. Dadurch sind die Stege anfälliger für Beulen. Bild 4a zeigt die Last-Verschiebungskurve der durchgeführten Simulation, wäh-rend die Bilder 4b bis 4f die Verformungsfiguren mit Kon-turplots der horizontalen Verschiebungen, mit n bezeich-net, an fünf verschieden Punkten der Simulation zeigen. Die Lastschritte können der Last-Verschiebungskurve ent-nommen werden, da jedes Kreissymbol einen Punkt an-zeigt, an dem eine Lösung gefunden wurde. Nahe Punkt B liegt der so genannte Verzweigungspunkt, an dem sich die Kurve in zwei verschiedene Pfade aufteilt. Der lineare Pfad ist der so genannte Primärpfad, während der nicht lineare Pfad als Sekundärpfad bezeichnet wird. Punkte auf dem linearen Pfad werden in großen Lastschritten und ohne eine Störlast erreicht. Eine aufgebrachte Störlast in Verbin-dung mit kleinen Lastschritten nahe dem Verzweigungs-punkt führt auf den Sekundärpfad.

Punkt A befindet sich vor dem Verzweigungspunkt. Es hat bereits eine Verschiebung in Lastrichtung stattgefun-den, jedoch treten noch keine Beulen auf. Die Punkte B auf dem Primärpfad und D auf dem Sekundärpfad befin-den sich nahe beieinander. An Punkt B ist die Verschie-bung in Lastrichtung gegenüber Punkt A angewachsen und innerhalb des numerischen Lösungsverfahrens sind nega-tive Eigenwerte zu beobachten. Gleichgewichtspunkte auf diesem Lösungspfad sind instabil. An Punkt C ist die Ver-schiebung in Lastrichtung weiter angewachsen, es sind je-doch keine Beulen im Steg zu beobachten. An Punkt D

sentlicher größer als ohne die Steifen. Ein dickerer Flansch führt wiederum zu einer höheren Traglast. In Bild 2b ist die Verformungsfigur des Kastenträgers in der Variante 2a am Punkt der höchsten Laste mit einem Konturplot der Verschiebungen w abgebildet. Die Steife wird aus Darstel-lungsgründen herausgenommen. Der Effekt der Steife am Lasteinleitungspunkt in der Mitte des Kastenträgers ist deut-lich zu sehen, da es nicht zu einer Profilverformung des Querschnitts kommt.

In einer weiteren Simulation (Bilder 3a und 3b) wird die bereits angesprochene alternative Variante des Bogen-längenverfahrens eingesetzt, die auf einer Iteration auf der Normalenebene beruht, um den Einfluss des numerischen Lösungsverfahrens auf die Ergebnisse zu untersuchen. Bild 3a zeigt die Last-Verschiebungskurve des Kastenträ-gers in der Variante 2a. Das verwendete Bogenlängenver-fahren ist in der Lage, komplizierte Lösungspfade zu ver-folgen. In diesem Fall kann das Snap-Back-Verhalten er-fasst werden. Ein Vergleich der Last-Verschiebungskurven in Bildern 2a und 3a macht deutlich, dass in diesem Fall ein anderer Lösungspfad verfolgt wird. In diesem Fall wer-den die Verschiebungen bei Erreichen der maximalen Last kleiner, bevor sie wieder wachsen. In diesem Teil der Simu-lation müssen extrem kleine Lastschritte verwendet werden, um eine Lösung des Gleichungssystems zu finden. Das Phä-nomen von mehreren Lösungspfaden in naher Umgebung tritt in geometrisch nichtlinearen Stabilitätsanalysen wie dieser häufig auf. Bild 3b zeigt die Verformungsfigur des Kastenträgers in der Variante 2a am höchsten Punkt der Last-Verschiebungskurve. Die Steife ist wiederum aus Dar-stellungsgründen entfernt. Die unterschiedlichen Lösungs-kurven aufgrund der unterschiedlichen numerischen Ver-fahren führen zu unterschiedlichen Verformungsfiguren. Mit dem verschiebungsgesteuerten Bogenlängenverfahren weicht der Kastenträger in der Mitte zur Seite aus, was zu einer geringeren Steifigkeit führt. Mit der lastgesteuerten

a) b)

Bild 3. Last-Verschiebungskurve und Verformungsfigur des Kastenträgers mit alternativem Bogenlängenverfahren: a) Last-Verschiebungskurve des Kastenträgers mit Steifen (Variante 2a); b) Verformungsfigur des Kastenträgers mit Steifen (Variante 2a) am Punkt der höchsten Last mit Konturplot der Verschiebungen in Lastrichtung (in mm)Fig. 3. Load deflection curve and deformation figure of the box girder with different version of the arc-length-method: a) load deflection curve of the box girder with stiffeners (alternative 2a); b) deformation figure of the box girder (alternative 2a) at the point of highest load with contour plot of the displacements in load direction (in mm)

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a)

e)

b)

f)

c) d)

Bild 4. Last-Verschiebungskurve und Verformungsfiguren der Untersuchung des Beulverhaltens in den Stegen: a) Last-Ver-schiebungskurven; b) Verformungsfigur am Punkt A; c) Verformungsfigur am Punkt B; d) Verformungsfigur am Punkt C; e) Verformungsfigur am Punkt D; f) Verformungsfigur am Punkt E; b) bis f) jeweils mit Konturplot der horizontalen Verschie-bungen (in mm)Fig. 4. Load deflection curve and deformation figure of the study of the buckling behavior in the webs: a) load deflection curves; b) deformation figure at point A); c) deformation figure at point B; d) deformation figure at point C; e) deformation figure at point D; f) deformation figure at point E; each from b) to f) with contour plot of the horizontal displacements (in mm)

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geren Steifigkeit des Bauteils und somit zu einem früheren Abknicken des Lösungspfads. Das Finite-Elemente-Netz wird in diesem Bild aus Darstellungsgründen nicht gezeigt.

Literatur

[1] Klinkel, S., Gruttmann, F., Wagner, W.: A mixed shell formu-lation accounting for thickness strains and finite strain 3d material models, 74 (2008), pp. 945–970.

[2] Schürg, M.: Theoretical modeling and parallel programming of a nonlinear composite finite shell element based on a mixed global-local variational principle. Forschungsberichte des Instituts für Mechanik der Technischen Universität Darm-stadt, 27. Technische Universität Darmstadt, Studienbereich Mechanik, Darmstadt, 2012.

[3] Dugdale, D. S.: Yielding of steel sheets containing slits. Jour-nal of the Mechanics and Physics of Solids, 8 (1960), pp. 100–104.

[4] Xu, X. P., Needleman, A.: Numerical simulations of fast crack growth in brittle solids. Journal of the Mechanics and Physics of Solids, 42 (1994), pp. 1397–1434.

[5] Wagner, W.: Zur Behandlung von Stabilitätsproblemen der Elastostatik mit der Methode der finiten Elemente. Habilations-schrift, Institut für Baumechanik und Numerische Mechanik, Universität Hannover, 1991.

[6] Wriggers, P.: Nichtlineare Finite-Elemente-Methoden. Berlin: Springer Verlag 2001.

Autoren dieses Beitrages:Dipl.-Ing. Marco Schürg, [email protected],Prof. Dr.-Ing. Friedrich Gruttmann, [email protected],TU Darmstadt, Fachgebiet Festkörpermechanik, Hochschulstraße 1, 64289 Darmstadt

jedoch, an dem die Verschiebung in Lastrichtung in etwa der Verschiebung an Punkt B entspricht, befinden sich Beulen in den Stegen. Diese Beulen werden ausgeprägter, je weiter die nichtlineare Simulation und die Verschiebun-gen in Lastrichtung voranschreiten, bis Punkt E erreicht ist.

Als abschließendes Beispiel wird der Kastenträger auf Einfluss von Delaminationen untersucht. Anders als in den vorhergehenden Beispielen befinden sich in diesem Bei-spiel an den Übergängen zwischen Steg und Flansch Run-dungen. Die Rundungen haben einen Radius von 3,5 mm. Für die Modellierung wird ein Interface-Element verwen-det, das auf einem Kohäsiv-Zonen-Modell beruht. Die Ver-wendung des Interface-Elements erfordert die Eingabe eini-ger zusätzlicher Materialdaten, die für das untersuchte Material folgendermaßen festgelegt sind: sc = 51 N/mm², Gc = 0,5 kJ/m2.

Das Interface wird in die Mitte von Steg, Flansch und den Rundungen gelegt. Die Simulation wird am Kastenträ-ger in der Variante 2a (mit zusätzlichen Rundungen) durch-geführt. Bild 5a zeigt die Gegenüberstellung der Last-Ver-schiebungskurven mit und ohne Interface-Element. In bei-den Fällen wird die Variante des Bogenlängenverfahrens gewählt, die auf einer Iteration auf der Normalenebene beruht. Die Simulation mit dem Interface-Element kommt auf eine geringere Traglast und führt früher zu einem nicht-linearen Verhalten. Der Grund für das frühere Versagen des Bauteils ist die Delamination, die, wie in der Verformungs-figur in Bild 5b zu sehen, für den Bereich der Rundungen vorausgesagt wird. In diesem Bereich nimmt die so genannte Schädigungsvariable, die den Grad der Schädigung be-schreibt, den höchsten Wert 1 an. Dies führt zu einer gerin-

Bild 5. Last-Verschiebungskurve und Verformungsfigur der Untersuchung auf Delamination: a) Last-Verschiebungskurven; b) Verformungsfigur mit Konturplot der SchädigungsvariableFig. 5. Load deflection curve and deformation figure of the simulation investigating delamination: a) load deflection curves; b) deformation figure with contour plot of the „damage“-variable

a) b)