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Freiwillige Basler Denkmalpflege 2012 – 2015 Hochhäuser für Basel – Chancen und Probleme

Hochhäuser für Basel – Chancen und Probleme - fbd.ch · Mit dem 178 m hohen Roche-Turm ist vorläufig ein neuer Höhepunkt in Basel und in der Schweiz überhaupt erreicht. Ernsthafte

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Freiwillige Basler Denkmalpflege 2012 – 2015

Hochhäuser für Basel – Chancen und Probleme

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Inhalt

Impressum

Redaktion: Thomas Bachmann, Anne Nagel, Franz EggerGestaltung: Sibylle Ryser, BaselLayout: Andrea Gruber, BaselLithos: Bildpunkt AG, MünchensteinDruck: Krebs AG, Basel© 2016 Freiwillige Basler Denkmalpflege. Alle Rechte vorbehalten.Nachdruck nur mit Quellenangabe und Genehmigung der Redaktion gestattet.

Titelbild: Wohnhochhäuser Entenweid, 1950 /51Foto 1950er Jahre, Kantonale Denkmalpflege Basel-Stadt

5 CHRISTIAN EICH

Vorwort

Hochhäuser für Basel – Chancen

und Probleme

9 KLAUS SPECHTENHAUSER

Visionen und Realitäten. Eine Rückschau auf ausgewählte Basler Hochhäuser und Hochhausprojekte 1930 – 1970 35 BEAT AEBERHARD

Hochhäuser in Basel – Grundlagen und Konzept

51 MEINRAD MORGER

Hochhaus – ein Typus für die Zukunft. Vorschläge zur vertikalen Verdichtung der Städte am Beispiel von Basel-Stadt

60 Autoren 60 Bildnachweis

Jahresberichte 2012 – 2015

61 Jahresberichte 68 Jahresrechnungen 70 Mitgliederverzeichnis

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Der vorliegende Vierjahresbericht der Freiwilligen Basler Denkmalpflege umfasst die für unseren Verein ereignisreichen Jahre 2012–2015. Sie werden wie gewohnt im hinteren Teil dieser Publikation ausführlich dargestellt. Was aber den Haupt-teil angeht, so ist der Vorstand einig geworden, ihn in diesem Jahr ganz dem Thema «Hochhäuser für Basel» zu widmen. Der Untertitel «Chancen und Probleme» soll verdeutlichen, dass wir uns nicht grundsätzlich für oder gegen Hochhäuser aus-sprechen, sondern darlegen wollen, worin die Herausforderungen bestehen. Seit einigen Jahren wird das Thema in der ganzen Schweiz diskutiert; vielschichtig und zum Teil sehr kontrovers. Aber an kaum einem Ort sind die Platzverhältnisse derart eng. Landes- und Kantonsgrenzen geben uns das ungemütliche Gefühl, die Stadt platze aus ihren Nähten. Dazu kommt die vor vielen Jahren ausgegebene Devise der Verdichtung. Was also bleibt uns in dieser anscheinend ausweglosen Situation anderes übrig als in die Höhe zu bauen? Die fiebrige Hochhausdebatte fand einen vorläufigen Höhepunkt mit der Fertigstellung des Roche-Turms. Das Thema ist endgültig in der breiten Bevölkerung angekommen. Ein Ende der Debatte ist nicht abzusehen. Die Freiwillige Basler Denkmalpflege hat bereits einen Beitrag geleistet, indem sie im Oktober 2015 zu einer öffentlichen Veranstaltung unter dem Titel «Hochhäuser für Basel – Chancen und Probleme» eingeladen hat. Diese Veranstaltung – Referate mit anschliessender Diskussion – war sehr gut besucht und hat gezeigt, dass das Interesse an einer fundierten Auseinandersetzung gross ist. Die hier versammelten Textbeiträge sind das Resultat dieser Veranstaltung.

CHRISTIAN EICH

Vorwort

FlyerzurVortragsreihe

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Hochhäuser für Basel – Chancen und Probleme

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KLAUS SPECHTENHAUSER

Visionen und Realitäten. Eine Rückschau auf ausgewählte Basler Hochhäuser und Hochhausprojekte 1930–1970

Mit dem 178 m hohen Roche-Turm ist vorläufig ein neuer Höhepunkt in Basel und in der Schweiz überhaupt erreicht. Ernsthafte Diskussionen über diesen mächti-gen Bau und seine vielfältigen Konsequenzen für die Stadt am Rheinknie wurden eigentlich nie geführt. Weder in der Fachwelt noch in der breiten Öffentlichkeit. Erst als das Bauwerk Geschoss für Geschoss in den Basler Himmel wuchs, regten sich die Gemüter. Aber auch dann überwog – mit wenigen Ausnahmen – diskrete Zurückhaltung. Vielleicht trauerten ja viele noch insgeheim der ursprünglich geplanten Doppelhelix nach, die immerhin mit ihrer formalen Extravaganz zu be-stechen vermochte. Der Roche-Turm hat unmissverständlich Fakten geschaffen: Der enorme Massstabssprung, die Konfrontation mit der gebauten Stadt, die städte-bauliche Zufälligkeit des Standorts, letztlich die fast schon beängstigende Zur-schaustellung von Wirtschaftspotenz stellen alles Bisherige in den Schatten. Eine Rückschau auf projektierte und umgesetzte Hochhäuser in Basel scheint vor diesem Hintergrund lohnenswert und erhellend.

Transatlantischer ImportBegonnen hatte alles in Amerika, in Chicago – das «Great Fire» 1871 legte die Grund- lage – und wenig später in New York. Hier entstanden gegen Ende des 19. Jahr-hunderts die ersten Hochhäuser, aus denen bald Wolkenkratzer wurden. Voraus-setzung dafür waren neue technische Erfindungen: das Stahlskelett als sichere Konstruktionsmethode, der Lift zur Vertikalerschliessung, die Zentralheizung, nicht zuletzt das Telefon. Als die Wolkenkratzer immer dichter in die Höhe strebten, begannen sich jene unverwechselbaren Skylines zu bilden – der Loop in Chicago, Manhattan in New York –, die rasch zum Sinnbild für den amerikanischen Traum wurden.

In Europa begann der Wolkenkratzer bereits vor dem Ersten Weltkrieg die Archi-tekten zu faszinieren, ehe dann in den 1920er Jahren zahlreiche Hochhauspro- jekte zu einem Facelifting der Grossstädte führen sollten. Aufsehenerregende Pro- jekte – etwa von Ludwig Mies van der Rohe – wurden 1921 zum Wettbewerb für ein Hochhaus an der Friedrichstrasse in Berlin eingereicht, 1922 sorgten Auguste und Gustave Perret, die schon 1905 davon geträumt hatten, «ein Haus mit zwanzig Stockwerken zu bauen», mit dem Projekt für Villes-tours für Aufsehen, im gleichen Jahr präsentierten Le Corbusier und Pierre Jeanneret am Pariser Salon d’Automne

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ihre Vision einer Ville contemporaine de trois millions d’habitants, die als Plan Voisin 1925 das Stadtzentrum von Paris in eine Hochhaus-City verwandeln sollte. Auch in der Schweiz wurden damals visionäre Entwürfe ersonnen, in denen neue Hochhäuser den Städten ein metropolitanes Flair verleihen sollten – etwa die Gen-fer Projekte von Maurice Braillard oder dann verschiedene Arbeiten von Architek-turstudenten an der ETH Zürich, wo dank der Professur Karl Mosers ein aufgeschlos-senes Klima für neue Tendenzen und Strömungen bestand.

Einer der spektakulärsten Hochhaus-Entwürfe aus jener Zeit führt uns nach Basel (Abb. 1). Hier ersannen Hannes Meyer und Hans Wittwer ihr Wettbewerbsprojekt für den Völkerbundpalast in Genf (1926 / 27). In maximaler Kontrastwirkung zu einem horizontalen Saalbau mit eiförmigem Versammlungsraum sahen sie als Sekretariatsbau ein 80 m hohes Bürohochhaus in Stahlskelett-Konstruktion vor, das sich aus zwei zueinander versetzten und mit einem Erschliessungsturm verbun-denen Scheiben mit je 24 Geschossen zusammenfügte. Das radikal konstruktive Projekt vermag heute noch zu verblüffen. Es hat weit ausgestrahlt, die Architekten international bekannt gemacht und wird bis heute vielfach als Musterbeispiel einer rein funktionalen Architektur aufgeführt. Hannes Meyer selbst sah es als wichtigen Schritt zu einer «Verwissenschaftlichung der Architektur». Darüber hinaus aber

waren die Gestaltung und die Wahl eines Hochhauses (das der grosszügige Bau-grund nicht zwingend nötig machte) von erheblichem Symbolgehalt. Die Archi- tekten wollten hier ein signifikantes Zeichen setzen; es sollte zum von weither sichtbaren Markstein für zukunftssichernde Völkerverständigung werden.

Vom bescheidenen Anfang zur Grossstadt-VisionDas erste richtige Hochhaus der Schweiz wurde 1930–1932 in Lausanne errich-tet und gar als «gratte-ciel» apostrophiert: das Immeuble Bel-Air Métropole von Alphonse Laverrière. Die Errichtung des Baukomplexes mit dem 52 m hohen Kopf-bau war von einer Polemik begleitet, fürchtete man doch, dass der Neubau in ungute Konkurrenz mit der Kathedrale treten könnte. Letztlich aber wurde er rasch zu einem der Wahrzeichen der Stadt. Ähnlich dimensionierte Folgebau-ten in der übrigen Schweiz blieben aber aus. Vielmehr tastete man sich um 1930 mit eher bescheidenen «Turmhäusern» an die neue Bauaufgabe heran. Umgesetzt wurden davon etwa das Volkshaus in Biel (Eduard Lanz, 1929–1932), das Verwal-tungsgebäude der Winterthur-Versicherung in Winterthur (Lebrecht Völki, 1929–1931) oder das Kirchgemeindehaus in Zürich-Wipkingen mit seinem markanten, über das Dach aufragenden Eckturm (Vogelsanger und Maurer, 1930–1932).

Und auch in Basel wurde als erster Versuch in Richtung Hochhaus 1929 / 30 von der Basler Lebensversicherung das «Turmhaus» am Aeschenplatz errichtet (Abb. 2). Das Bürogebäude mit quadratischem Grundriss an der Ecke zur St. Jakobs-Strasse verfügt über immerhin acht Geschosse und eine aufgesetzte Laterne, was eine Höhe von 30 m ergibt. Zum Vergleich: Der 1900 / 01 gebaute Rathausturm ist 42,5 m hoch, der 1926 fertiggestellte Getreidespeicher der Schweizerischen Schleppschifffahrts-genossenschaft («Bernoulli-Silo») im Rheinhafen Kleinhüningen brachte es auf 50 m. Die Architekten des Turmhauses waren Ernst und Paul Vischer, die damals repräsentative Geschäfts- und Bürohäuser für Basler Versicherungen, Chemiebe-triebe und andere Unternehmen errichteten. Sie pflegten eine neuklassizistisch-frühmoderne Architektursprache, bisweilen mit einem klaren Hang ins Monumen-tale. Eine revolutionäre Geste war von ihnen am Aeschenplatz nicht zu erwarten. Wohl gerade deshalb konnten sie ihr Projekt auch umsetzen. Trotz seiner mode-raten Höhe und der eher zurückhaltenden Gestaltung ist das Turmhaus längst zu einem identitätsstiftenden Bauwerk am Aeschenplatz geworden. Es hat alle Verän-derungen und Neugestaltungen überstanden, ist Akzent und Ruhepol zugleich, überzeugt nach wie vor durch die kluge stadträumliche Setzung.

Das Turmhaus ist in diesem Kontext ein wichtiges Zeugnis für die damaligen Pla-nungen, die die Innenstädte samt den Randzonen zum Schauplatz intensiver City-Bildung machten. Auch in Basel wurde über Altstadtsanierung, Stadterweiterung und Stadterneuerung diskutiert. Es galt für diese Modernisierungsbestrebungen op-timale Bedingungen zu schaffen und so kam es, dass Basel als erste Schweizer Stadt

1 HannesMeyer,HansWittwer,WettbewerbsprojektfürdenVölkerbundpalastinGenf,1926/27.ÜberarbeitetesProjekt.PerspektiveausSüd-West.

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per 11. Februar 1930 eine «Verordnung für den Bau von Hochhäusern» erliess. Als Hochhäuser bezeichnet werden darin Bauten, die mehr als zehn Geschosse besitzen oder wenigstens 28 m hoch sind und deren oberer Bereich für Wohnzwecke genutzt wird. Interessant ist §2, der Folgendes besagt: «Hochhäuser dürfen nur an städte- baulich (ästhetisch und verkehrstechnisch) geeigneten und sorgfältig ausgewähl-ten Punkten erstellt werden. Historische und künstlerische Werte dürfen insbe-sondere im Gebiete der Altstadt nicht beeinträchtigt werden. Bei der Prüfung der Projekte ist hinsichtlich der Gestaltung aller Fassaden des Gebäudes ein besonders strenger Massstab anzulegen.»

Diese neue Verordnung gleich auf die Probe stellen wollte offenbar Hans E. Ryhiner. Beflügelt durch seine ein Jahr vorher fertiggestellte Markthalle (mit Ing. Alfred A. Goenner), präsentierte er 1930 ein Projekt für ein dreizehngeschossiges Hoch-haus an der Stelle von Melchior Berris klassizistischem Stadtcasino am Steinen-berg (Abb. 3). Ryhiner erarbeitete mehrere Varianten mit unterschiedlicher Höhen-entwicklung und Gliederung des Baukörpers und studierte mittels Fotomontagen die stadträumliche Wirkung seines Casino-Turms. Das Projekt, letztlich eine eben-so provokante wie konsequente Interpretation der damaligen Erneuerungs- und Modernisierungspläne für die Basler Innenstadt, musste selbstverständlich Papier bleiben. Es schien dann wohl doch zu grossstädtisch; und zudem hätte die neue Hochhausverordnung gleich wieder ausser Kraft gesetzt werden müssen. Abgeris-sen wurde das alte Casino dann trotzdem. Dem 1938–1941 errichteten Neubau (Willi Kehlstadt, Wilhelm Brodtbeck und Fritz Bohny; Bräuning, Leu, Dürig) fehlte dann aber jegliche Kühnheit; er entsprach vielmehr dem damaligen Ruf nach einer Architektur, die auf grosse Gesten verzichten und wiederum auf allgemein-verständliche, traditionelle Werte setzen sollte.

Weit besser standen die Chancen, beim Centralbahnplatz ein Stück Grossstadt zu realisieren. Die Verwandlung von Bahnhöfen und Bahnhofplätzen zu repräsenta- tiven Stadteingängen stand damals hoch im Kurs. Die Zeichen der Zeit erblickte 1930 eine private Immobiliengesellschaft und veranstaltete einen Wettbewerb für ein Hochhaus-Hotel «der Klasse 1a» beim Centralbahnplatz, wobei der Standort in gebührender Distanz zum historischen Stadtzentrum bereits vorab gutgeheissen wurde. Das Wettbewerbsprogramm gab am prominenten Standort Ecke Nauen-strasse / Aeschengraben ein rund 42 m hohes Erstklasshotel vor, mit mindestens 150 Betten sowie Restaurant, Bar, einem Festsaal für 200 Personen, repräsentativen Gesellschaftsräumen und einer unterirdischen Garage. Dazu sollte ein separates «Apartment-House» mit etwa 25 Wohnungen errichtet werden. Den Wettbewerb gewonnen hat Otto Rudolf Salvisberg. Er setzte seinen Hochhausbau mit leicht zurückgenommenem Mittelteil quer zum Aeschengraben (Abb. 4). Das geforderte Apartmenthaus wäre als dynamisch gerundeter Annex bei der Einmündung der Nauenstrasse zu stehen gekommen. Als spektakulären Höhepunkt sah Salvisberg

3 HansE.Ryhiner,ProjektfüreinCasino-HochhausamBarfüsserplatz/Steinenberg,1930.FotomiteingezeichnetemProjekt.

2 ErnstundPaulVischer,BürogebäudemitTurmhausderBaslerLebensversicherungamAeschenplatz,1929/30.

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ein gläsernes Palmenhaus auf dem Dach des Hochhauses vor. Das visionäre Projekt bringt die damalige Begeisterung für die moderne Dynamik der Grossstadt auf den Punkt. Der Entwurf zeugt mit seiner geschickten Gliederung der Baumassen von ausgeprägtem Gespür für die stadträumliche Wirkung an diesem prominen-ten Standort: eine souveräne Geste, die elegante Grossstadtarchitektur nach Basel gebracht hätte. Nicht zufällig klingen in diesem Projekt die expressiven Schöpfun-gen Erich Mendelsohns an oder gar die New Yorker Hochhaus-Visionen von Hugh Ferriss. Dass Salvisbergs Hochhaus-Hotel nicht umgesetzt wurde, hatte wohl zu einem erheblichen Teil mit der einsetzenden Wirtschaftskrise zu tun. Interessant bleibt trotzdem die Frage, ob auch es – wäre es tatsächlich gebaut worden – dem neuen «Baloise Park»-Cluster hätte weichen müssen.

Projektieren und provozierenWeniger vor dem Hintergrund von Sanierungs-, Erneuerungs- und Modernisie-rungsbestrebungen, als vielmehr im Kontext eines gesteigerten Bewusstseins für eine koordinierte Stadtplanung ist das 1943 vorgelegte Projekt für die Neubebau-ung Kleinbasels zwischen Rhein, Greifengasse / Clarastrasse, Messe und Wettstein-platz zu betrachten (Abb. 5). Ausgearbeitet hatten es die Architekten-Mitglieder der Künstlervereinigung Gruppe 33 Paul Artaria, Ernst Egeler, Otto Meier und Ernst Mumenthaler. Sie betrachteten ihren radikalen Vorschlag – der mit seiner Tabula rasa-Haltung einen ähnlichen Grad an Provokation wie Karl Mosers Projekt für das Zürcher Niederdorf von 1933 aufwies – in erster Linie als Kritik an den beste-henden Verhältnissen, die eine koordinierte Stadtentwicklung verunmöglichen würden. Einflussreich waren bei solch einer Haltung insbesondere zwei Faktoren: die Forderungen Hans Bernoullis (der das Projekt 1944 auch in der Schweizerischen Bauzeitung besprach) nach einer Vergesellschaftung von Grund und Boden und die während der Kriegsjahre einsetzende Orts-, Regional- und Landesplanung, die das Ziel verfolgte, zukunftsträchtige Richtlinien für eine koordinierte und verträgliche Entwicklung der zentralen Bereiche Wirtschaft, Verkehr, Wohnen und Landschaft auszuarbeiten.

Dem Projekt für Kleinbasel gebührt unsere Aufmerksamkeit, da es als erstes im lokalen Kontext auch Hochhausbauten in eine planmässige Bebauung integriert: zurückversetzt und abgedreht entlang der Clarastrasse und bei der Messe. Sie sind nicht solitäre Fremdkörper, sondern Teil einer durchmischten Bebauung mit ver-schiedenen, in ihrer Dimensionierung, Anlage und Höhe unterschiedlich ausge-prägten Gebäuden. Städtebauliche Vorstellungen und Theorien aus verschiedenen Lagern treffen in dem Plan zusammen; gezeigt wird aber programmatisch eine koordinierte Lösung für ein ganzes Gebiet – im Unterschied zur planlosen Errich-tung von Einzelgebäuden. So säumen die fünf abgedrehten Wohnhochhäuser die städtebaulich bedeutsame Achse der Clarastrasse in zweiter Reihe und füh-ren auf das höhere, stadträumlich prominent gesetzte Hochhaus beim Messeplatz zu. Letzteres zeichnet diesen wichtigen Ort an der zentralen Achse Mittlere Brü-cke–Badischer Bahnhof aus, steht als von weitem erkennbares Zeichen zwischen der Mustermessehalle von Hermann Herter und der geplanten Baumessehalle am Riehenring. Diese Ausprägung der Hauptachse durch Kleinbasel im Bereich der Messe mittels zeichenhafter Grossbauten ist bis heute ein zentrales Thema ge-blieben. Vorerst wollte Hans Hofmann im Zug seiner Planungen für die Muster-messe die Achse zum Badischen Bahnhof mit einem zwölfgeschossigen Scheiben-hochhaus schliessen und somit die Grundlage für einen neuen «Stadtplatz von Kleinbasel» legen. Anfang des 21. Jahrhunderts dann fanden die Vorstellungen des Architektenteams der Gruppe 33 ihre Umsetzung: mit dem 2001–2003 errich-teten, 105 m hohen Messeturm von Morger & Degelo und Daniele Marques. Des-sen stadträumliche Setzung und Wirkung ist allerdings seit kurzem erheblich

4 OttoRudolfSalvisberg,WettbewerbsprojektfüreinHochhaus-Hotel,Aeschengraben/Nauenstrasse,1930/31.AnsichtgegendenCentralbahnplatz.

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beeinträchtigt: Nach dem Abriss von Hermann Herters Messebau wurde mit der neuen Messehalle von Herzog & de Meuron entlang des Riehenrings dem Messe-turm ein Riegel vorgeschoben und die Hauptachse durch Kleinbasel unterbrochen. Städtebau und Stadtplanung sind dem wirtschaftlichen Druck geopfert worden. Der liegende Gigant ist gebautes Abbild der expandierenden Messeindustrie am falschen Standort. Weitere Grossbauten und Hochhäuser ohne Bezug zu den an-grenzenden Stadtteilen – dafür mit aufwändig konfektionierten Haute Couture-Fassaden – werden folgen. Eine Veränderung, die zumindest diesen Teil Kleinbasels richtig «weltstädtisch» (Pierre de Meuron) machen wird. Gespannt blicken wir also in die Zukunft, wenn die Ödnis des neuen Stadtplatzes, der schon jetzt trendbe-wusst «City-Lounge» heisst, Vergangenheit sein wird und sich hier moderne Zeitge-nossen ein adäquat-weltstädtisches Stelldichein geben werden.

Neue Akzente setzenNach dem Zweiten Weltkrieg gewann das Thema Hochhaus in ganz Europa neue Aktualität, sowohl als Wohn- wie auch als Büro- und Geschäftshochhaus. Im Rah-men des Wiederaufbaus und der einsetzenden Boomjahre schienen visionäre Pro-jekte aus der Zwischenkriegszeit nunmehr umsetzbar, wie dies etwa Le Corbusier mit seiner Unité d’habitation (1946–1952) in Marseille unter Beweis stellte. Zudem stieg der transatlantische Einfluss: Mit der 1946 unter massgeblichem Einfluss von Le Corbusier einsetzenden Planung und anschliessenden Umsetzung (1948–1952) des Hauptquartiers der Vereinten Nationen (UNO) in New York durch Wallace K. Harrison wurde eine Art «second skyscraper age» eingeläutet, das weit über die Grenzen der USA ausstrahlte.

Auch in der Schweiz waren die Nachkriegsjahre von Aufbruchstimmung und Elan geprägt. In Basel bot der 1948 ausgeschriebene Wettbewerb zur Neugestaltung des Gebiets um den Bahnhof Basel SBB den Architekten eine erste Chance, sich entspre-chend zu profilieren. Seit jeher war dieses Gebiet insbesondere verkehrstechnisch eine städtebauliche Knacknuss: Es gilt verschiedene Verkehrsführungen, Ringstras- sensysteme, Aus- und Einfallstrassen sowie die Verbindung zur Innenstadt unter einen Hut zu bringen. Dazu kommt die Gewichtung zwischen motorisiertem Indi-vidualverkehr, Tram- und Buslinien, Velos sowie Fussgängern. Auf dem Programm standen zudem die Anlage ausreichender Parkplätze, der Bau eines neuen Post-gebäudes sowie eines Hotelhochhauses und weiterer Neubauten. Der Blick auf die bestplatzierten Projekte zeigt erkenntnisreich, wie mit der Bauaufgabe Hoch-haus umgegangen wurde: Zum einen ist eine erstaunliche typologische und ge-stalterische Vielfalt zu registrieren, zum andern wurden Hochhäuser durchwegs überlegt als Akzente gesetzt und stets im Zusammenspiel mit anderen Neubauten und der bestehenden Bebauung betrachtet. Der erstplatzierte Otto Senn ging mit seinem Projekt, das einen längsgelegten Bahnhofsplatz vorsah, am weitesten auf die komplexen Wettbewerbsvorgaben ein. Auf die durchgrünte Elisabethenschanze

5 ArbeitsgemeinschaftPaulArtaria,ErnstEgeler,OttoMeier,ErnstMumenthaler,StädtebaulichesErneuerungs-projektfürdasKleinbaslerGebietzwischenRhein,Greifengasse/Clarastrasse,MesseundWettsteinplatz,1943.

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setzte er vier schlanke Hochhäuser zur Auszeichnung des neuen städtischen Zent-rums im Bereich des Bahnhofs (Abb. 6). Auch der zweitplatzierte Hermann Baur sah hier Hochhäuser vor: zwei von einem eleganten Flugdach abgeschlossene Punkt-häuser mit Y-förmigem Grundriss, die zusammen mit der projektierten schlan-ken Hochhausscheibe an der Ostseite des Centralbahnplatzes die städtebauliche Situation sowohl hervorheben als auch rahmen sollten (Abb. 7). Walter Senn auf dem dritten Rang plante – wie schon Otto Rudolf Salvisberg – ein Hotelhochhaus an der Ecke Aeschengraben / Nauenstrasse und setzte dem Bahnhof ein langge-strecktes Scheibenhaus mit leicht geknickten Längsseiten gegenüber. Dieses lässt Le Corbusiers erstmalig bei seinem Projekt für die Rentenanstalt in Zürich (1933–1935) entwickelten «type lentille» anklingen. Auch Fritz Rickenbacher und Paul W. Tittel, die den vierten Preis erhielten, integrierten wie selbstverständlich drei Hochhäuser – zwei davon mit Y-förmigem Grundriss – in ihren sehr aufgelockerten Bebauungsplan, während der fünftplatzierte Hans Schmidt in einer klassizieren-den Gesamtanlage den Bahnhofplatz mit wuchtigen Blockrandbebauungen ein-fasste und den Übergang zur Stadt mit zwei Hochhäusern westlich und östlich der Elisabethenanlage markierte. Bei all diesen Projekten sind die Hochhäuser nicht Selbstzweck, sondern Teil eines sorgfältig konzipierten Gesamtplans. Die Wettbe-werbseingaben reflektieren – Hans Schmidts Projekt nur bedingt – die damaligen Ansätze, ging es um die Bebauung grösserer zusammenhängender Gebiete: Vorge-sehen wurden stets in Höhe und Volumetrie unterschiedlich ausgebildete Gebäude, locker angeordnet in Zeilen oder Gruppen und eingebettet in grosszügige Grünflä-chen. Die in angemessener Distanz zur Altstadt gelegenen Hochhäuser leisten da-bei eine weiträumige Hervorhebung bzw. Rahmung der städtebaulichen Situation.

Umgesetzt worden sind von den Wettbewerbsergebnissen nur einige Fragmente im Bereich der Verkehrsplanung. Eine zwiespältige Akzentuierung des Bahnhofsge-biets mit einem Hochhaus erfolgte später mit dem Bau des 69 m hohen Rundturms der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ (1972–1976) durch Burkhardt und Partner. Das Gebäude ist bis heute ein Fremdkörper geblieben. Gewonnen hat das Gebiet demgegenüber durch das 2010–2012 errichtete, vierzehngeschossige Markthalle-Wohnhochhaus von Diener & Diener Architekten. Es schafft Ruhe im bewegten Terrain, passt sich mit seinem polygonalen Grundriss in die vielverzweig-te Situation ein, bietet dank seiner sich je nach Witterung verändernden Farbig-keit der Aussenhaut visuelle Abwechslung: ein bestimmter und gleichzeitig in sei-ner Massstäblichkeit fein austarierter städtebaulicher Akzent, der durchaus noch etwas höher hätte ausfallen können.

Ebenfalls die Bebauung eines grösseren Gebiets hatten 1950 namhafte Architek- ten der Ortsgruppe Basel des BSA vor Augen. Das Gellert-Areal zwischen Gellert- strasse, St. Alban-Ring und Karl Jaspers-Allee auf beiden Seiten des Bahneinschnitts

6 OttoSenn,Wettbewerbs-projektzurNeugestal-tungdesGebietsumdenBahnhofBaselSBB,1948.Situation.AusschnittausderPräsentations-tafel(Grille)fürCIAM8inHoddesdon,1951.

7 HermanBaurmitJosephSchütz,Wettbewerbspro-jektzurNeugestaltungdesGebietsumdenBahnhofBaselSBB,1948.Perspektive.

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war damals eine der letzten Landreserven und bot sich für eine planmässige Wohnbebauung an. Ausgearbeitet wurden für das 210 000 m2 grosse Gebiet vor-erst acht Projekte, in denen verschiedene Varianten der Ausnützung, Erschlies-sung und Bebauung studiert wurden. Daraus entwickelten die Architekten einen gemeinsamen Vorschlag, den sie den Behörden und der Grundeigentümerin vor-legten: Kombiniert sind darin Bereiche mit Reiheneinfamilienhäusern und drei-geschossigen Mehrfamilienhäusern, ergänzt durch vier zehngeschossige Wohn-hochhäuser entlang der Gellertstrasse sowie ein weiteres auf der Ostseite des Eisenbahneinschnitts. Im Zentrum der Anlage war ein neuer Kirchenbau vor-gesehen. Das gemeinsame Projekt setzt durchaus sauber und präzis die in der Zwischenkriegszeit entwickelten Zielsetzungen für die Anlage moderner Wohn-bebauungen um, geht aber auch nicht darüber hinaus. Vielmehr ist durch die rigide Anwendung des Zeilenbaus ein gewisser Hang zur Monotonie feststellbar, woran auch die als Akzent projektierten Wohnhochhäuser nichts ändern kön-nen. Schenkt man Hans Schmidts Kommentar im Werk (10 / 1951) Glauben, ging es den Projektanten in ihrem Vorschlag aber offenbar gerade um eine dezidierte Einfachheit und Klarheit in der Anlage, «jene simple Harmonie von Hauszeilen, Strassenperspektiven und geborgenen Gärten», die neuerdings einem blossen «Arrangieren von ‹Wohnblöcken›» um «vom Gartengestalter geistreich kom-ponierte Grünflächen» weichen musste. Ob Schmidt damit gar das im Rahmen der Vorstudien entwickelte Projekt seines BSA-Kollegen Otto Senn meinte, sei dahingestellt. Senn jedenfalls wurde mit einem Projekt vorstellig, in dem er die niedrigen Reihenhauszeilen an den Rand des Gebiets legte und das Zentrum als räumlich abwechslungsreiche Gebäudegruppe mit viergeschossigen sog. Raupen-

9 OttoSenn,Bebauungs-projektfürdasGellert-Areal,1950.PerspektivemitWohn-hochhäusernundsog.Raupenhäusern.

8 OttoSenn,Bebauungs-projektfürdasGellert-Areal,1950.Situation.AusschnittausderPräsentationstafel(Grille)fürCIAM8inHoddesdon,1951.

häusern und sechs zwölfgeschossigen Punkthochhäusern konzipierte (Abb. 8, 9). Erstmals erschien hier als integraler Bestandteil des Projekts das Wohnhochhaus mit polygonalem Grundriss und fächerartig angelegten Wohnungen, wie es der Architekt in den folgenden Jahren weiterentwickeln sollte. Senn ging es darum, die «Einförmigkeit im Nebeneinander der Bauten» zu durchbrechen und stattdessen «Baukörper von verschiedener Gestalt und Freiräume in wechselnder Folge zuein-ander in Beziehung zu setzen». Im Vordergrund standen hier nicht mehr standardi-sierte Bebauungsmuster und eine formale Stringenz der Bauten; entstehen sollte vielmehr eine lebenswerte und lebendige «Neighborhood Unit». Senns Vorstellungen kommen nicht von ungefähr. Sie reflektieren die Themen und Konzepte, wie sie damals an den CIAM-Kongressen der Nachkriegszeit diskutiert wurden. Seit Mitte der 1930er Jahre beteiligte sich Senn an den Aktivitäten der CIAM, nahm mit eige-nen Analysen und Projekten an mehreren Kongressen teil – etwa 1951 bei CIAM 8 in Hoddesdon («The Heart of the City»), wo er u.a. das Bebauungsprojekt für das Gellert-Areal präsentierte.

Mit der definitiven Planung der Gellert-Bebauung wurde 1952 Hermann Baur be-traut. Er entwickelte einen Masterplan, der bis Mitte der 1960er Jahre etappenweise durch verschiedene Architekten und Bauträger umgesetzt wurde. Otto Senn war dabei nicht beteiligt. Entstanden ist ein qualitätvolles Ensemble individuell gestalte-ter und typologisch ausdifferenzierter Wohnbauten; eigentliche Wohnhochhäuser wurden nicht errichtet, doch vermag das neungeschossige Mehrfamilienhaus an der Karl Jaspers-Allee (1959) von Hans Peter Baur mit seiner Höhenentwicklung am ehesten einen hochhausartigen Akzent zu setzen.

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Wohnen im HochhausGerade in der Schweiz, wo der Wohnraum nach dem Krieg knapp war und die Städte wuchsen, widmete man sich mit zunehmendem Interesse den «Proble-men des mehrgeschossigen Wohnbaus». Neben der «erwünschten rationelleren Bodennutzung» bringe das vielgeschossige Mietshaus eine «belebende Note» in den oft etwas monotonen Charakter der Siedlungsstrukturen. Wohnhochhäu-ser müssten aber «entsprechend ihrer hervortretenden Erscheinung äusserst sorgfältig städtebaulich eingeordnet und architektonisch durchgebildet sein», hielt Werner M. Moser 1949 im Januar-Heft des Werk fest. Otto Senns Projekt für das Gellert-Areal hätte diesen Argumenten durchaus standgehalten, blieb aber Papier. Basel hatte aber trotzdem die Nase vorn und 1950 / 51 wurden hier die schweizweit ersten Wohnhochhäuser an der Flughafenstrasse errichtet (Abb. 10, 11). Als Archi tekten zeichneten Arnold Gfeller und Hans Mähly in enger Zusammenarbeit mit dem Bauingenieur Emanuel Geering verantwortlich, Bau-herrin war die 1947 gegründete Wohngenossenschaft Entenweid. Die drei drei-zehngeschossigen, 38 m hohen Turmhäuser in Backsteinbauweise wurden nord-westlich des Kannenfeldplatzes gebaut. Sie umfassen zusammen 150 vierspännig erschlossene 2- und 3-Zimmer-Wohnungen, die alle über eine Loggia verfügen. Die Staffelung und die Abdrehung der Baukörper bewirken eine Auflockerung der Anlage sowie eine gute Orientierung aller Wohnungen mit freiem Blick nach allen Seiten. Die plastische Gestaltung der Baukörper durch die leichte Auswöl-bung der mit Loggien ausgestalteten Schmalseiten und der markante Dachvor-sprung, aber auch zahlreiche Details und Materiallösungen – wie etwa die durch-brochenen Balkonbrüstungen – reflektieren die damaligen Bestrebungen nach einem gefälligen, aber trotzdem modernen architektonischen Ausdruck. Wäh-rend die Wohnhochhäuser an der Flughafenstrasse zur Bauzeit vor allem in der Fachwelt auf viel Zustimmung stiessen, wurden sie von Teilen der Bevölkerung als Provokation aufgefasst. Heute gelten sie als wichtige Bauten der frühen Nach-kriegsmoderne in Basel. Wie die nahegelegene St. Antonius-Kirche als Symbol für den Aufbruch der 1920er Jahre steht, widerspiegeln sie den Elan der sich ankün-digenden Jahre des Baubooms. Längst sind sie als ehedem umstrittene Hochhäu-ser identitätsstiftender Bestandteil einer städtebaulich typischen Situation um den Kannenfeldplatz geworden.

Die Umsetzung der Entenweid-Hochhäuser setzte entsprechende Zeichen, sodass bereits 1952 Otto Senn zusammen mit seinem Bruder Walter mit einem weiteren Wohnhochhaus-Projekt vorstellig wurde. Die Architekten schlugen für den be-waldeten Nordosthang des Bruderholzes, den Hechtliacker, eine Bebauung mit drei im Terrain gestaffelten, aus dem Gellert-Projekt weiterentwickelten Punkt-hochhäusern vor (Abb. 12). Das Projekt wurde abgelehnt mit der Begründung, die Hochhäuser störten die angestammte Horizontlinie am Stadtrand und würden auch mit ihren Baukörpern nicht ins Gelände passen. Demgegenüber waren die

10,11 ArnoldGfeller,HansMähly,WohnhochhäuserderGenossenschaftEntenweid,Flughafenstrasse,1950/51.SituationmitdercharakteristischenStaffelungundAbdrehung;AnsichtimstädtischenKontext(Postkarte,1950erJahre).

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Projektverfasser der Ansicht, dass gerade die Setzung der Hochhäuser das Spezifi-sche der Topografie aufnehmen und akzentuieren würde. Die intensive Auseinan-dersetzung mit der vorgegebenen Situation am Hechtliacker belegen zahlreiche im Nachlass erhaltene Skizzen, Zeichnungen und Fotomontagen zur optimalen Ausbildung, Höhenentwicklung und Platzierung der geplanten Hochhäuser sowie insbesondere auch zu deren Wirkung aus Distanz (Abb. 13). Der Umweg zur Um-setzung immerhin eines der drei geplanten Hochhäuser 1962–1965 führte über Berlin. Senn konnte an der internationalen Bauausstellung Interbau Berlin 1957 teilnehmen und ein mehrgeschossiges Wohnhaus in der Musterbebauung des Hansaviertel errichten – neben Bauten namhafter Architekten wie Alvar Aalto, Egon Eiermann, Walter Gropius, Arne Jacobsen, Le Corbusier (in Charlottenburg), Oscar Niemeyer, Hans Scharoun und van den Broek & Bakema. Sein Haus war eine Mini-Variante der geplanten Hechtliacker-Hochhäuser und stiess international auf ein äusserst positives Echo – und führte auch in Basel zu einem Einlenken. Das am Hechtliacker umgesetzte Wohnhochhaus – von den drei geplanten das auf mitt-lerer Höhe – verfügt über drei Sockelgeschosse mit Gemeinschaftseinrichtungen, 15 Normalgeschosse mit je fünf Wohnungen sowie ein eingezogenes Dachge-schoss mit drei Wohnungen (Abb. 14). Entwurfsprägend ist der fünfeckige Grund-riss mit den Eckbalkonen und die typologisch innovative Erschliessung durch eine zentrale, dennoch mit Tageslicht versorgte Halle. Die 2½- bis 5½-Zimmer-Woh-nungen basieren auf ähnlichen Grundrisslösungen. Bemerkenswert ist die durch-dachte Kombination von Küchen-, Ess- und Wohnbereich mit Übergang zum Bal-kon. Ebenfalls von weitentwickeltem Sachverständnis und gestalterischem Flair zeugen die unterschiedlich ausgebildeten Fassaden mit dem Wechsel von offenen und geschlossenen Bereichen sowie gezielt eingesetzten Farb- und Materialkon-trasten. Das Wohnhochhaus Hechtliacker wird heute in erster Linie als monolithi-scher Zeitzeuge aus den Boomjahren wahrgenommen. Vielmehr aber ist es Aus-druck einer Fragment gebliebenen Idee, das Stadtbild durch überlegt gesetzte, die spezifische Topografie reflektierende und dadurch belebende Akzente weiter zu gestalten. Das Projekt für die Hechtliacker-Wohnhochhäuser zählte in der damaligen Zeit wohl zu den ambitioniertesten seiner Art. Als einer der ursprünglich drei geplanten Türme schliesslich vollendet war, standen aber schon weitere Wohn-hochhäuser in Basel, die dem Hochhaus-Plan des Basler Stadtplanbüros (vgl. Bauen + Wohnen, 10 / 1956) offenbar eher entsprachen. 1960 konnten Fritz Ricken- bacher und Walter Baumann ihr vierzehngeschossiges Wohn- und Geschäftshaus am Schützenmattpark umsetzen – Bauherr war die Ernst Göhner AG. Während hier die spannungsvolle Fassade mit den versetzten, die innere Anlage der Woh-nungen abbildenden Balkonen von erhöhten gestalterischen Ansprüchen zeugt, verweisen die zeitgleich errichteten Lehenmatt-Wohnhochhäuser auf dem ehe- maligen De Bary-Areal (Suter + Suter, 1960 / 61) schon eher in Richtung des typi- schen Bauwirtschaftsfunktionalismus der Boomjahre. Im benachbarten Birsfelden

12–14 OttoundWalterSenn,WohnhochhausHechtliacker,1962–1965.ModelldesursprünglichenBebauungs-plansvon1952mitdreiHochhäusern;FotomiteingezeichnetenHochhäusern,Sept.1953;umgesetztesHochhaus(AnsichtvonOsten).

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entstan den zudem 1958–1960 die drei siebzehngeschossigen Rheinpark-Wohn-hoch häuser von Johannes Gass und Wilfried Boos. Sie stehen an bester Lage am Rhein und verfügen über ein breites Wohnungsangebot. Auch hier verstanden die Architekten ihr Handwerk: Mit Loggien an den Längsseiten und ausgedreh-ten Eckbalkonen bewirkten sie gekonnt eine Auflockerung der massigen Volu-men. 1966–1971 schliesslich wurde die Siedlung Sesselacker von Walter Wurster auf dem Bruderholz umgesetzt (Abb. 15). In Volumetrie und Höhe differenzierte, geschickt ins Terrain eingepasste und nach einem Rastersystem angeordnete Bauten in Sichtbeton bilden hier eine eigenständige Siedlungseinheit. Vier acht-geschossige Wohnhochhäuser, deren Bau erst eine Ausnahmebewilligung ermög-lichte, setzen einen markanten, aber nicht dominanten Akzent am Südost-Rand der Anlage. Durch den Bau der Turmhäuser konnten zudem grosszügige Frei-flächen gewonnen werden. Die Siedlung, die ein breites Angebot an Wohnungen und Einfamilienhäusern bietet und zudem über Laden, Kindergarten, Künstler-atelier und eine Schwimmhalle verfügt, darf als eine der überzeugendsten An-lagen ihrer Art gelten. Die ehedem umstrittenen Wohnhochhäuser haben dazu wesentlich beigetragen.

Büros mit WeitblickAls es um die Errichtung des ersten Büro- und Geschäftshochhauses in Basel ging, hiess der Architekt wiederum Arnold Gfeller. 1953–1955 konnte er an der Heuwaage das Steinentor-Hochhaus errichten (Abb. 16). Der Bau des dreizehngeschossigen Ge-bäudes im Spickel zwischen Steinenvorstadt und Steinentorstrasse sorgte damals für viel Wirbel. Seine Funktion als von weitem sichtbarer Blickfang, als moderner Eingang in die Innenstadt, konnte er nur wenige Jahre wahrnehmen: 1970 wurde ihm mit der Fertigstellung des Heuwaage-Viadukts als Schliessung des Cityrings eine Barriere vorgeschoben. Zeitgleich mit dem Steinentor-Hochhaus entstand ein neuer Akzent am Aeschenplatz. Armin Meili, ehedem Direktor der Schweizerischen Landesausstellung 1939 in Zürich, konnte hier seinen 1941–1943 errichteten Neubau für die National-Zeitung zu einem ausgedehnten Gebäudekomplex ergänzen. Mar-kantester Teil der 1956 abgeschlossenen Erweiterung war ein aus dem Längsbau zum Aeschenplatz gleichsam herauswachsender Turm, den Meili als «Campanile» zur Gesamtanlage verstand. Der von der Gebäudeflucht etwas zurückgesetzte, als achtgeschossig wahrgenommene Bau mit seiner Schmalseite zum Platz war durch ein elegantes Flugdach abgeschlossen. 1983 musste der gesamte Baukomplex dem Neubau einer Grossbank weichen. Angemerkt sei hier noch, dass es Armin Meili war, der mit dem Bau des Centro Svizzero 1949–1952 für das erste wirklich moder-ne Schweizer Hochhaus verantwortlich zeichnete; allerdings nicht auf heimischem Boden, sondern in Mailand.

16 ArnoldGfeller,Steinentor-HochhausanderHeuwaage,1953–1955.15 WalterWurster,SiedlungSesselacker,1966–1971.AnsichtvonSüden.

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Im Rahmen der umfangreichen Planungen zu Beginn der 1950er Jahre entstan-den zahlreiche Projekte, die Hochhäuser als integralen Teil der Gesamtanlage vor-sahen. Umgesetzt wurde von all diesen Vorschlägen kein einziger; für die Umset-zung zusammenhängender Lösungen mit Hochhäusern fehlte den behördlichen Entscheidungsträgern offenbar der Mut – ein Grund dafür, dass einige der später umgesetzten Hochhäuser «städtebaulich haltlos und architektonisch beliebig» (Dorothee Huber) wirken. Ein Zeugnis einer der wenigen weitsichtigen Planun-gen um 1950 ist mittlerweile abgerissen worden: das Verwaltungsgebäude der Basler Transport-Versicherungsgesellschaft von Hermann Baur am Aeschengra-ben. Bereits in seinem Beitrag für die Neugestaltung des Gebiets um den Bahnhof hatte es Baur als Teil von drei quer zum Aeschengraben gestellten Bauten projek-tiert. Der 1955 Bau am Aeschengraben 25 / Parkweg 8 resultierte aus einem weiteren Wettbewerb 1949, den Baur für sich entscheiden konnte. Abgesehen von der zeit- typisch-stimmigen Gestaltung des ausgeführten Baus war hier insbesondere seine stadträumliche Setzung bemerkenswert. Zusammen mit zwei weiteren (nicht um-gesetzten) Bauten hätte er als musterhafte Dreiergruppe den Auftakt zur Bebauung des Aeschengrabens vorgeben sollen: Die Querstellung sollte die Bildung der klas-sischen Strassenfluchten mit Korridorwirkung vermeiden, zudem eine intensive Durchgrünung ermöglichen und dadurch den Charakter des Aeschengrabens als «Parkstrasse» bewahren. Baurs Gebäude ist ein Solitär dieser Idee geblieben. Darüber hinaus aber schuf er mit seiner wenn auch in der Höhenentwicklung relativ be-scheidenen Hochhausscheibe eine Art Basler Prototyp für diese Bauaufgabe, ging es darum, grosse Bauvolumen durch eingezogene Erdgeschosse und Attiken sowie feingliedrige Rasterfassaden leichter wirken zu lassen.

Am einflussreichsten für die damalige Entwicklung waren allerdings amerika-nische Vorbilder – allen voran das 1950–1952 errichtete Lever House an der New Yorker Park Avenue, entworfen von Gordon Bunshaft, dem Chefdesigner bei Skid-more, Owings & Merrill (SOM), oder das Seagram Building von Ludwig Mies van der Rohe (1954–1958, mit Philip Johnson). Einen Basler Widerhall finden diese Bauten etwa in Roland Rohns mittlerweile zum Zwerg degradiertem, 62 m hohen Roche-Hochhaus (Bau 52, 1957–1960) (Abb. 17), im 1963–1966 errichteten Hochhaus für biologische Forschung der CIBA (75 m; heute Novartis) von Suter + Suter (Abb. 20)oder im 68 m emporwachsenden Bürohochhaus Lonza (1960–1962) des gleichen Architekturbüros (Abb. 19). Wobei Letzteres aufgrund seiner offensichtlichen An-lehnung an Gio Pontis Pirelli-Hochhaus in Mailand von 1954–1956 – mit 127 m einer der ersten Wolkenkratzer in Europa – einen Hauch italienische Eleganz in die Basler Münchensteinerstrasse brachte und schon rasch als «Il piccolo Pirelli» apostrophiert wurde. Einen durchaus eigenständigen Beitrag zum Thema Büro-turm lieferten Burckhardt Architekten 1957 / 58 mit dem 53 m hohen Hochhaus für die J.R. Geigy AG (heute Syngenta) an der Schwarzwaldallee (Abb. 18). Der qua-dratische Eisenbetonskelett-Bau mit den markanten, fächerartig angeordneten

17 RolandRohn,Roche-Hochhaus(Bau52),Grenzacherstrasse,1957–1960.

18 BurckhardtArchitekten,BürohochhausfürdieJ.R.GeigyAG(heuteSyngenta)anderSchwarzwaldallee,1957/58.

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Stützscheiben, den plastisch ausgestalteten Fassaden und den Pergola-artigen Ab-schlüssen des eingezogenen Dachgeschosses soll allerdings abgebrochen werden. Diese (allesamt von chemischen Grossindustriebetrieben errichteten) Basler Hoch-häuser, die in ihrer am International Style der Nachkriegszeit orientierten Gestal-tung weltläufige Grosszügigkeit anklingen lassen, haben markante Akzente im Stadtbild gesetzt. Sie stehen allerdings peripher und nehmen in ihrer Vertikalität auf die horizontale gebaute Umgebung Bezug; oder sie versuchen sich – wie im Fall des Lonza-Hochhauses – durch ihre Setzung und Materialisierung in die Stadt-silhouette zu integrieren. Es sind aber auch Bauten, mit denen die tonangebende Basler Chemieindustrie klare Statements machte, wer in der Rheinstadt das Sagen hat. Zum damaligen Zeitpunkt allerdings wurde noch auf den stadträumlichen Massstab geachtet.

Hochhaus-Akzente im Stadtbild: massvoll und massstäblichDie vorgestellten Beispiele – vom bescheidenen Turmhaus über das Wohnhoch-haus bis zur Geschäftshochhausscheibe – sind alle aus dem Geist ihrer Zeit heraus entstanden. Sie setzen bis heute teilweise markante Akzente im Basler Stadtbild. Sie stehen als räumlich-plastische Bereicherung des Stadtkörpers für Wandel, aber auch Kontinuität. Tragfähigkeit und Verträglichkeit dieser Bauten wachsen aus dem Umstand, dass ihr Standort sorgfältig studiert wurde und ihre Formgebung sowie Detailgestaltung das Resultat qualitätvoller Entwurfsarbeit waren. Entschei-dend für diese Umsetzungen war der Versuch, das Spezielle eines Ortes zu erken-nen, zu reflektieren und zu integrieren – als Ausgangspunkt für Neues. Oft sind die gebauten Hochhäuser allerdings nur Fragmente eines grösseren Ganzen, zu dessen Umsetzung offenbar der Mut fehlte. Und: Die meisten dieser Hochhäuser sorgten zu ihrer Bauzeit für heftige Diskussionen. Dass sie sich – Ausnahmen vor-behalten – mit der Zeit ins Stadtbild integriert haben, liegt auch an ihrer gewisser-massen anthropologisch verträglichen Dimensionierung und Höhenentwicklung in Bezug auf die gebaute Stadt.

Die Rezession der 1970er Jahre setzte der Wachstumseuphorie ein Ende und nahm dem Hochhaus als Symbol der Moderne den Glanz. Es kam gar zu einer offenen Ablehnung des Hochhauses, das vielfach als Sündenbock für Fehlplanungen der vergangenen Jahre herhalten musste. Mitunter wurden das Wohnen und Arbei-ten im Hochhaus sogar als gesundheitsschädigend eingestuft. Mittlerweile sind solche Einschätzungen längst vergessen. Ende der 1990er Jahre setzte ein neuer Hochhaus-Boom ein, der bis heute anhält. Mit dem Basler Messeturm (105 m) wurde erstmals die 100 Meter-Grenze überschritten, es folgten der Prime Tower in Zürich mit 126 m und unlängst der Roche-Turm mit 178 m. Ein Ende in der Höhen-entwicklung wie auch in der Verbreitung des Hochhauses ist momentan nicht abzusehen. Das Zauberwort «Verdichtung», allzu oft generalisierend und quanti-tativ appliziert, anstatt fallspezifisch und qualitativ studiert, wird weiterhin solche 19 Suter+Suter,BürohochhausLonza,Münchensteinerstrasse38,1960–1962.

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Bauvorhaben rechtfertigen. Auch mittelgrosse Gemeinden lassen sich heute wieder – wie einst in der Zeit des Baubooms – «ihr» Solitär-Hochhaus errichten oder gar akkurat angeordnete Zweier- und Dreiergruppen von Turmbauten. Wie regel-mässige Umfragen von Behörden und Medien zeigen, ist das Wohnen im Hochhaus wieder «in». Allerdings braucht man dafür das nötige Kleingeld: Wohntürme wer-den für Menschen mit höherem Einkommen gebaut, für mobile Zeitgenossen, die das urbane Wohnen suchen.

Der Bau von Hochhäusern hat immer schon polarisiert. Nur schon, weil ein Turm symbolischen Charakter hat. Unweigerlich werden Assoziationen geweckt: mit Religion, Macht, Herrschaft – aber auch Bedrohung und Arroganz. Heute sind da-her – gerade auch in Basel – mehr denn je klare planerische Richtlinien gefordert für die städtebauliche Setzung von Hochhäusern und auch deren gestalterische Ausbildung (vgl. etwa Hochparterre, 10 / 2014). Und zwar Richtlinien, die tatsächlich greifen und nicht vom ökonomischen Druck ausgehebelt werden. Dies bedingt gewandte, fachkompetente und interdisziplinär agierende behördliche Planungs-instanzen, die Wirtschaftswachstum und Stadtentwicklung, Veränderung und Kontinuität, Innovation und Bewahrung, individuelle und kollektive Interessen miteinander vereinbar machen. Nur so kann die Stadt weitergebaut werden, ohne dass es zu einer Infragestellung ihrer Identität kommt, sich die darin lebenden Menschen von ihr entfremden und sich Resignation breit macht (vgl. den Beitrag von Karen N. Gerig, Tageswoche, 44 / 2014). Werden hingegen Einzelbauten selbst zum alleinigen Zentrum des Interesses gemacht, fehlt eine städtebauliche Begrün-dung und wird die architektonische Form in Kombination mit einem nur mehr schwer verdaubaren Massstabsprung zur Nebensache, so geraten wir in gefährliche Nähe eines orts- und menschenverachtenden Zynismus.

20 Suter+Suter,HochhausfürbiologischeForschungderCIBA(heuteNovartis),UntererRheinweg180,1963–1966.

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BEAT AEBERHARD

Hochhäuser in Basel – Grundlagen und Konzept

Nicht nur in Basel wird derzeit vermehrt in den Himmel gebaut. Die Schweiz ins-gesamt erlebt einen weiteren Hochhaus-Boom. Allerdings unter anderen Vorzeichen. Vor fünfzig Jahren wurden im Zuge des sozialen Wohnungsbaus an peripheren Lagen günstige Mietwohnungen in Hochhäusern erstellt. Das Wohnen in Türmen galt jedoch eher als zweifelhaftes Privileg. Einzelne Hochhaus-Siedlungen gerieten in Verruf und kämpfen bis heute mit dem Stigma der anonymen Massenunterkunft. Doch nun führt nicht nur der Bedarf der Wirtschaft nach zentralen Arbeits-plätzen, sondern auch die Wohnungsnot in unseren Städten zur Rückbesinnung auf das Hochhaus. Kaum verfügbare Bodenflächen und die allgemeinen ökono-mischen Spielregeln verleihen dem Bautypus Hochhaus eine wachsende Bedeu-tung. Die Stadt als Lebensraum und Arbeitsort hat in den letzten Jahren enorm an Attraktivität gewonnen. Der gegenwärtige Bau von Hochhäusern ist somit auch als Ausdruck einer allgemeinen Aufbruchsstimmung der Städte zu werten. Das trifft ebenso auf Basel zu. Es entstehen Geschäftshochhäuser und vermehrt auch Wohnhochhäuser, häufig an innerstädtischen Lagen. Schliesslich tragen der glo-bale Städtewettbewerb und der Geltungstrieb einzelner Investoren, den sie durch das Herausstellen der architektonischen Differenz befriedigen, zum Drang in die Höhe bei. Dennoch dürfte der Bau von Hochhäusern, bezogen auf den gesamten Gebäude-bestand, eine Ausnahmeerscheinung bleiben. Denn der wesentliche Vorteil der Gewinnung von zusätzlicher Nutzfläche wird bei Hochhäusern mit einer Reihe von gewichtigen Nachteilen erkauft. Die hohen Kosten für die Statik, die aufwän-dige Energieversorgung und zusätzliche Brandschutzmassnahmen machen den Hochhausbau ab einer bestimmten Höhe unwirtschaftlich. Dazu kommen um-fangreiche Auflagen. Die Verschattung der Nachbarschaft ist zu minimieren. Und im städtischen Kontext gilt es, eine mögliche Behinderung von Sichtachsen oder die Beeinträchtigung von identitätsstiftenden Symbolwerten zu verhindern. Im Wissen um diese hohen Anforderungen sichert sich die Gesellschaft ein Mass an Kontrolle und Mitsprache, das über die Einflussnahme bei der Bewilligung von ge-wöhnlichen Bauvorhaben hinausgeht. Mit der Bezeichnung von geeigneten Stand-orten und der Formulierung von Anforderungen hat der Regierungsrat von Basel-Stadt im Juni 2010 ein Hochhauskonzept erlassen.1 Es dient der Qualitätssicherung und der verfahrensmässigen Anleitung für die Planung und den Bau von Hochhäu-sern. Nachfolgend wird das Hochhauskonzept erläutert.

1 Bau- und Verkehrs- departement des Kantons Basel-Stadt (Hg.): Hochhäuser in Basel – Grundlagen und Konzept, Basel 2010.

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1 Morger&DegelomitDanieleMarques,MesseturmvonderClarastrasse,2003

Ausgangslage in Basel2003 errichteten die Architekten Morger & Degelo mit Daniele Marques den Messe-turm (Abb. 1). Die 105 Meter hohe Baute läutete für Basel einen Paradigmenwech-sel ein. Nicht nur gab es am Rheinknie bis zu ihrer Errichtung kaum richtige Hochhäuser. Basel hatte mit dem Messeturm das bis dato höchste Hochhaus der Schweiz erhalten. Der Messeturm überzeugt aufgrund seiner städtebaulich präzi-sen Setzung. Er betont die wichtige Achse von der Mittleren Brücke zum Badischen Bahnhof und wirkt als weithin sichtbares Zeichen. Die architektonisch zurückhal-tende Gestaltung der Glasfassaden unterstützt dessen ikonographischen Charak-ter. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts hatten sich weniger eigentliche Hochhäuser als vielmehr relativ konventionelle Häuser, die sich über ihre Höhe von der Nach-barschaft abhoben, lose über beinahe das ganze Stadtgebiet ausgebreitet. Den Pla-nungsbehörden war es nicht gelungen, Eignungsgebiete zu definieren, klare Kri-terien für den Bau von Hochhäusern zu formulieren oder die Entwicklung aktiv zu steuern. Zwar gab es immer wieder verheissungsvolle Neuplanungen, etwa um den Bahnhof SBB, oder auch einzelne überzeugende Hochhäuser, wie das Lonza-Hochhaus (1960–1962 von Suter + Suter) (Abb. 2) oder das Wohnhochhaus Hecht-liacker (1962–1965 von Otto und Walter Senn) (Abb. 3), jedoch wirken sie in ihrer Mehrzahl «städtebaulich haltlos und architektonisch beliebig»2 wie Dorothee Huber treffend vermerkte.

2 Dorothee Huber: Architektur-führer Basel. Die Baugeschichte der Stadt und ihrer Umgebung, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Basel 2014, S. 383.

2 Suter+Suter,Lonza-Hochhaus,1962 3 OttoundWalterSenn,WohnhochhausHechtliacker,1965

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Gleichwohl lassen sich mit Blick auf den Bestandsplan von 2010 einzelne Massier-ungen im Stadtgrundriss ausmachen (Abb. 4). So sind in dem seit den 1950er Jahren entstandenen Geschäftsviertel entlang dem Aeschengraben hoch aufragende Ge-schäftstürme und quergestellte Scheiben stadtbildprägend. Am Aeschenplatz war mit dem Turmhaus (1929 /30 von Ernst und Paul Vischer) eines der ersten Hoch-häuser der Stadt überhaupt entstanden (S. 13, Abb. 2). Auch in den Industrie arealen der heutigen Roche und Novartis oder auf dem Rosentalareal stehen Fabrikations- und Verwaltungsbauten der funktionalistischen Moderne, die als markante Hoch-häuser die Firmensitze auszeichnen. Das gleiche gilt für die Hafenareale mit ihren Siloanlagen. Die überaus hohen Zweckbauten des Rheinhafens sind weithin sicht-bar und geradezu charakteristisch für den Stadthorizont in Basel Nord (Abb. 5). Ein wichtiger Grund für den relativ grossen Bestand hoher Bauten in den In-dustriegebieten liegt darin, dass in der Industriezone gemäss Regelbauweise eine Gebäudehöhe von 40 m zulässig ist. Vor 1999 waren die als Industriezonen ausge-schiedenen Gebiete gänzlich ohne Höhen- und Dichtebeschränkung. Überhaupt kommt der Industrie für die Höhenentwicklung in Basel eine wichtige Rolle zu. In der Frühzeit der Industrialisierung entstanden erste Fabrikkamine auf den Arealen der chemischen Industrie. Sie führten zu einer Veränderung des Stadthori-zonts und traten in Konkurrenz zu den bis anhin über Jahrhunderte dominieren-den Kirchtürmen und Stadttoren (Abb. 6).

4 Bau-&VerkehrsdepartementBasel-Stadt,Städtebau&Architektur,Hochhauskonzept,Bestandesplan2010

Hochhäuser / Grosse Bauten mit öffentlicher Nutzung

Historische Bauten und Kirchen

Industriekamine, Siloanlagen und weitere technische Anlagen

5 BlicküberdieHafenbahnunddenNovartis-CampusimHintergrund,2015

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7 ArnoldGfellerundHansMähly,WohnhochhäuserEntenweid,1951

Auch in Basel steht die gewachsene wertvolle Bausubstanz im Widerspruch zum modernen Hochhausbau. Aufgrund dieser (richtigen!) Überlegung wurde der Bau von Hochhäusern in der Altstadt entschieden abgelehnt. Ein Hochhausentwurf von Hans E. Ryhiner für das Stadtcasino am Barfüsserplatz beispielsweise stiess 1930 auf Opposition. Das Hochhaus kam im Einzelfall als Akzentsetzung – insbesondere für den Automobilisten – höchstens am Übergang zu den Quartieren am Ring zum Einsatz. Ein Beispiel für diesen Typus der Orientierungshilfe ist das Hochhaus an der Heuwaage (1953–1955 von Arnold Gfeller).3

In Basel gibt es auch eine beträchtliche Anzahl von Wohnhochhäusern. Sie entstanden mehrheitlich in der Zeit des Entwicklungsschubs der 1950er bis 1970er Jahre und befinden sich vorwiegend in den Quartieren St. Alban, St. Johann und den Vorstädten. Fast die Hälfte dieser Bauten haben lediglich acht Etagen. Ein weite-res Drittel verfügt über neun oder zehn Stockwerke, die anderen über 11 bis 19 Ge-schosse. Die höheren kommen oftmals in Zweier- oder Dreiergruppen vor und kon-zentrieren sich auf den Stadtrand. Zu den ersten Wohnhochhäusern in der Schweiz zählen diejenigen der Entenweid (1950 / 51 von Arnold Gfeller und Hans Mähly), die mit guter Aussichtslage beim Kannenfeldpark errichtet wurden (Abb. 7). Weitere Beispiele finden sich am Jakobsberg (Hechtliacker), in der Lehenmatt, im Schoren und im Rankhof. Ihre Beschränkung in der Höhe auf rund 13 Geschosse ist der Back-steintechnik und der damit einhergehenden maximalen Belastbarkeit geschuldet.

3 Vgl. Roland Zaugg: Höher bauen in Basel, in: Roland Zaugg, Patrick Marcolli, Patrick, Michael Martin: Basel – gestern, heute, morgen, Basel 2013, S. 42 – 49.

Ab Mitte der 1970er Jahre kam auch in Basel der Bau von Hochhäusern zum Erlie-gen. Die Ölkrise, wachsende Umweltanliegen, gepaart mit gesellschaftlicher Kri-tik am Hochhausbau sowie die Hinterfragung des offenen Städtebaus mit seiner Funktionstrennung führten zu einem Ende des Hochhaus-Booms. Dazu gesellte sich eine breite Kritik aus soziologischen Überlegungen gegen das standardisierte Wohnhochhaus mit all seinen bekannten Problemen. Als das Hochhauskonzept im Juni 2010 erlassen wurde, gab es im Kanton Basel-Stadt 145 Bauten, die über 25 Meter hoch waren. Davon waren 95 Hochhäu-ser verschiedenster Nutzungen, 26 Kirchtürme und andere historische Gebäude, insbesondere Stadttore. Die restlichen Gebäude betrafen Silos, Fabrikkamine und technische Anlagen. Seit 2000 sind 14 neue Hochhäuser auf dem Stadtgebiet dazu gekommen. Zwölf weitere sind planungsrechtlich gesichert oder bereits im Bau. Für etliche weitere laufen Studien oder erste Abklärungen (Abb. 8).

BegriffsdefinitionAus städtebaulicher Sicht umfasst der Begriff Hochhaus alle überhohen Bauwerke, unabhängig von deren Nutzung oder deren Bedeutung. Industrielle, technische und sakrale Bauten fallen demnach ebenso unter den städtebaulichen Hochhaus-begriff wie Wohnhochhäuser oder Geschäftstürme. Das spezifische Merkmal ist, dass sich Hochhäuser von ihrer Umgebung signifikant in der Höhe abheben und

6 WalterStrub,AnsichtgegenKleinbasel,um1900

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damit eindeutig als hohe Bauten erkennbar sind. Die Mehrhöhe steht in Relation zur unmittelbaren Umgebung. Ein 60 Meter hohes Haus erzeugt in der Silhouette von Basel eine prominentere Wirkung als im Hochhausgebirge von Manhattan. Im Gegensatz zum nicht präzise zu fassenden städtebaulichen Hochhausbe-griff ist es den Normen und Baugesetzen vorbehalten, eindeutige Höhen zu defi-nieren. Interessanterweise regelt das kantonale Bau- und Planungsgesetz (BPG BS) von Basel-Stadt den Begriff «Hochhaus» nicht näher. Insofern gibt es keine allge-mein gültige Definition, weder bezüglich der Dimensionierung noch bezüglich gestalterischer Kriterien. Der kantonale Richtplan dagegen verwendet den Begriff Hochhaus für sämtliche Gebäude, die mehr als 25 Meter Höhe aufweisen. Er stützt sich dabei auf die in der Schweiz allgemein gültigen Brandschutznormen. Die An-forderungen für hohe Bauten wurden indessen per 1. Januar 2015 gelockert.4 Als Hochhäuser gelten neu Bauten, welche eine Gesamthöhe von mehr als 30 Meter aufweisen.5 Gleichwohl gilt für Basel-Stadt nach wie vor eine Hochhausgrenze von 25 Metern. Der kantonale Richtplan macht im Objektblatt S1.5 Hochhäuser klare Pla-nungsanweisungen, definiert das Verfahren und benennt die Anforderungen an die Gestaltung für ein Hochhaus. Zudem benennt er das Konzept für Hochhäuser als Grundlage für die Beurteilung von entsprechenden Projekten und Planungs-vorhaben. Weiter weist er darauf hin, dass das Hochhauskonzept im Zeitraum von fünf bis zehn Jahren anzupassen sei.6

Was kann ein Hochhaus leisten?Die städtebauliche Wunschvorstellung, wonach sich neue grosse Volumen dem alt-hergebrachten Weichbild der Stadt grundsätzlich unterzuordnen haben, ist schon aufgrund der beschränkten Ressource Boden nicht zu halten. Hochhäuser ermög-lichen vorab die Gewinnung von zusätzlicher Nutzfläche. Darüber hinaus verfü-gen sie über einen eigenen Symbolwert, der sich nicht nur aus ihrer Höhe gene-riert. Sorgfältig geplant können sie zur Identifikation mit der Stadt beitragen und neue Wahrzeichen bilden. Ein richtig gesetztes Hochhaus vermag eine punktuell sinnvolle Akzentuierung zu schaffen. Und im Zusammenspiel können Hochhäu-ser eine differenzierte Lesbarkeit des Stadtkörpers bewirken, etwa indem sie ein Orientierungsnetz aufspannen, das der Stadt eine zusätzliche Dimension verleiht. Dass Hochhäuser die Beziehung von Bauwerk zu Stadtlandschaft präzisieren, Be-sonderheiten der Topographie unterstreichen und ablesbar machen, ist als Chance zu werten. Dass dabei bestehende Symbolwerte wie die Altstadt nicht beeinträch-tigt werden dürfen, versteht sich von selbst. In den amerikanischen und auch den jungen asiatischen Städten symboli-siert das innerstädtische Hochhausviertel wirtschaftliche Prosperität. Der Typus der Downtown mit hoher Dichte und ikonographischer Strahlkraft hat den Vorteil, dass aufgrund der schieren Anzahl von unterschiedlichen Hochhäusern das Alleinstellungsmerkmal durch die Mehrhöhe und womöglich durch eine

realisiert

planungsrechtlich gesichert

Nutzungsplanungsverfahren

Studien

8 Bau-&VerkehrsdepartementBasel-Stadt,Städtebau&Architektur, Planungsamt,NeueHochhäuserinBaselseit2000

4 Die bis Ende 2014 gel- tende Brandschutzrichtlinie der Vereinigung Kantonaler Feuerwehren (VKF) defi- nierte Gebäude mit einer Traufhöhe von über 25 m als Hochhäuser.

5 Art. 13 Abs. 3 lit. c Brand-schutznorm 2015. – Ver- einigung Kantonaler Feuer-versicherungen (Hg.): Brand-schutzrichtlinie. Begriffe und Definitionen, Bern 2015, unter: www.praever.ch/de/bs/vs

6 Bau- und Verkehrsdeparte-ment des Kantons Basel-Stadt (Hg.): Kantonaler Richt-plan Kanton Basel-Stadt, Anpassung 2012, Basel 2015, S. 58 – 62.

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spektakuläre architektonische Gestaltung absorbiert wird. Das spricht für eine Clusterbildung.7 Vereinfacht gesagt, Hochhäuser sind vor allem in der Gruppe sinnvoll.

Gerade in den Industriearealen haben bereits bestehende hohe Bauten einen Ein-fluss auf die weitere Entwicklung. Eine mögliche Verfestigung der Silhouetten liegt auf der Hand und ist in Teilbereichen durchaus erwünscht. Schliesslich sind neue Hochhäuser auf Firmenarealen eine Möglichkeit, um den technologischen Wandel von der chemisch-industriellen Produktion hin zur Forschung zu signali-sieren. In Transformationsgebieten ist das Hochhaus eine Möglichkeit, ein neues Angebot an Lebensräumen zu schaffen. Hochhäuser können Bezugspunkte wer-den, die Lesbarkeit bis anhin geschlossener Areale unterstützen oder auch zu Iden-titäts- oder Bedeutungsträgern werden (Abb. 9).8

Dabei muss auch die Konzeption des Hochhausinnern anders entwickelt werden. Im Falle der Wohnhochhäuser kann man heute nicht mehr einfallslose Standard-Wohnungen übereinanderstapeln. Die Typologie ist als massgeschnei-derte Lösung zu entwerfen. Das zeigen etwa interessante neuere Beispiele wie der St. Jakobsturm oder das Helsinki-Hochhaus. Ferner soll ein Hochhaus auch einen positiven Beitrag zum städtischen Leben – eine öffentliche Bar im obersten Ge-schoss, attraktive Nutzungen auf Strassenniveau oder einen Beitrag zur Aufwer-tung des öffentlichen Freiraums – bieten.

9 CampusderKünste,Dreispitz.Morger+Dettli,HochhausFHNW,2014

Den Bau von Hochhäusern gilt es daher nicht einzudämmen, sondern zu steuern. Das bedingt eine aktive, dynamische Stadtplanung, die zukünftige Potentiale er-kennt und kontinuierlich an einer ganzheitlichen Entwicklungsstrategie arbeitet. Im geschichtlichen Kontext der jüngeren Hochhausentwicklung in Basel lassen sich verschiedene Tendenzen ableiten und zu einer Haltung synthetisieren, wie mit dem Thema, das sich seit einigen Jahren nun als Trend abzeichnet, umzuge-hen ist. Darauf aufbauend ist das Hochhauskonzept erarbeitet worden. Es erläutert die städtebaulichen Prinzipien für Hochhausgebiete und Hochhäuser. Es benennt folgende Zielsetzungen:

• Unterstützung der Zentrumsbildung an gut erschlossenen und frequentierten Orten

• Schaffung von Expansionsraum und Verdichtungspotential in wirtschaftlichen Schwerpunktgebieten

• Strukturierung von Stadtentwicklungsgebieten und Unterstützung von Transformationsprozessen

• Schaffung eines differenzierten Wohnungsangebots an guten Aussichtslagen

Das Potential für vertikale Verdichtungen ist also Bestandteil einer städtischen Strategie zur Stärkung der Kernstadt innerhalb der Agglomeration.

HochhauskonzeptZweck Das Hochhauskonzept steht als Richtlinie neben den gesetzlichen Bestim-mungen des Bau- und Planungsgesetzes. Es zeigt geeignete Gebiete auf im gesamt-städtischen Kontext. Hochhäuser sollen nicht aus einer einzelfallweisen Betrach-tung erwachsen, sondern aus übergeordneten Überlegungen entwickelt werden. Mit der Definition von Anforderungen wird der Ermessensspielraum zugunsten qualitativer Aspekte eingegrenzt. Das Hochhauskonzept dient demnach:

• der Qualitätssicherung• Es zeigt Gebiete auf, die für den Bau von Hochhäusern geeignet

sind oder ein entsprechendes Potential bieten• Es dient zur verfahrensmässigen Anleitung für die Planung und

die Errichtung von Hochhäusern• Es formuliert Anforderungen an Hochhäuser• Es dient als Grundlage zur Beurteilung von Hochhaus-Projekten• Es richtet sich an Behörden, Kommissionen und Projektierende

Übergeordnet soll es für Transparenz sorgen, der Nachvollziehbarkeit von behörd-lichen Entscheiden dienen und somit die Gleichbehandlung aller gewährleisten.

7 Darüber sind sich im Grundsatz Hochhausskepti- ker wie Hochhausbefür- worter einig. – Vgl. beispiels-weise Vittorio Magnago Lampugnani: «Das Hochhaus war stets irrational», Inter- view im Tages-Anzeiger vom 11.11.2011, «Hochhäuser in Gruppen (...) kann ich mir schon eher vorstellen. Eher jeden falls als zufällig platzierte Einzel- objekte.» Oder Gerhard Mack: Wolkenkratzer sind sinnvoll, aber nur in der Gruppe, in: Neue Zürcher Zeitung, 13.02.2011.

8 Vgl. die Entwicklung auf dem Dreispitzareal, wo auf dem Campus der Künste mit dem Hochhaus der FHNW und dem Wohnhoch-haus Helsinki zwei iden- titätsprägende Bauten ent-standen sind. Zwar liegt der Campus auf dem Ge-meindegebiet von München-stein, das Areal ist jedoch zweifellos Teil des funktiona-len Stadtraums Basel.

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10 Bau-&VerkehrsdepartementBasel-Stadt,Städtebau&Architektur,Hochhauskonzept,Konzeptplan2010

Geeignete Hochhausgebiete

Potenzielle Hochhausgebiete

Akzentuierung Gleisraum

Akzentuierung Flussraum

Punktuelle Hochhäuser

Hochhausgruppen

Vorgehen Hochhausgebiete unterstehen einer gesamtheitlichen Planungspflicht. Zur Qualitätssicherung von Hochhausprojekten sind komplexe Planungsprozesse erforderlich, bei denen Testplanungen, Wettbewerbsverfahren und mehrphasige Be-bauungspläne zur Anwendung gelangen. Neben der Eignung des Standorts im städtebaulichen Kontext, der hohen Qualität der Baute und der Minimierung des Schattenwurfs durch eine gute Platzierung müssen Hochhäuser mit dem öffent lichen Verkehr sehr gut erreichbar sein. Weiter haben sie sich über eine hohe Energieeffizienz auszuzeichnen und sollten zusätzliche Grün- und Freiräume bereitstellen. Bei Planungsabsichten für ein Hochhausprojekt ist daher ein früher Einbe-zug der Behörden unabdingbar. Denn die Erfüllung der hohen Qualitätsansprüche ist Voraussetzung für die Legitimation des Hochhauses als städtebauliche Sonder-form. Abgestützt auf das Hochhauskonzept ist mit dem planungsrechtlichen In-strument des Bebauungsplans die Bewilligung für ein Hochhausprojekt einzuho-len. Dieser gewährleistet, dass die nötigen Anforderungen an die Gestaltung des Gebäudes und der Umgebung eingehalten werden. Nur mit einem Bebauungsplan kann von der Regelbauweise, wie sie die Zonenordnung definiert, abgewichen werden. Dem Grossen Rat wird der Bebauungsplan zum referendumsfähigen Be-schluss vorgelegt. Dieses Vorgehen gewährleistet die demokratische Mitwirkung von Parlament und Bevölkerung.

Eignungsgebiete Nicht alle Gebiete der Stadt Basel eignen sich gleichermassen für den Bau von Hochhäusern. Das Hochhauskonzept benennt verschiedene Gebiets-typen, die unterschiedliche Potentiale bergen. Wichtig ist der Umstand, dass selbst in Gebieten mit guten Voraussetzungen nicht a priori ein Hochhaus gebaut wer-den darf. Der Nachweis einer sehr guten Eignung ist vorgängig von den Projektie-renden zu erbringen. Dabei sind Anordnung, Nutzungsmass und Ausgestaltung in weiteren Verfahren zu plausibilisieren. Der Konzeptplan weist die geeigneten Gebiete aus (Abb. 10). Es sind dies die Areale um die Bahnhöfe SBB und St. Johann sowie weitläufige Territorien in Gleis-nähe. Sie erfüllen die Kriterien einer zentralen und gut erschlossenen Lage und bilden siedlungsstrukturelle Schwerpunkte. Weiter sind Gebiete mit verstärkten wirtschaftlichen Tätigkeiten oder öffent-lichen Einrichtungen (Universitäts- oder Spitalstandorte) für Verdichtungen mit Hochhäusern als geeignet bezeichnet. Diese klar umrissenen Bereiche sind bereits heute geprägt durch grosse Bauten. Hochhäuser können den notwendigen Expan-sionsraum schaffen, selbstverständlich jeweils abgestimmt auf die stadträumliche Bedingung des Umfelds. Die schwerpunktmässige Bildung von eigentlichen Hoch-hausgruppen zur Konzentration der Verdichtungsbemühungen und Schonung von Bodenflächen ist auf diesen Arealen vorstellbar.

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Als potenziell geeignet gelten unternutzte Transformationsareale mit Logis- tikinfrastruktur (Bahn- und Hafenareale). Sofern technische und logistische Neuerungen diese Flächen verfügbar machen, kann das Potential für Hochhäu-ser im Rahmen von sorgfältig abgestimmten Veränderungsprozessen bestimmt werden. Einzelne Gebiete sind schliesslich definiert mit grundsätzlich positiven Voraussetzungen. Ihre Eignung für den Bau von Hochhäusern muss jedoch in weiteren Schritten erst erhärtet werden. Gänzlich ungeeignet für den Bau von Hochhäusern sind Schutz- und Schon-zonen und ihr Umfeld. Ebenso sind offene Quartierstrukturen als Standorte für Hochhäuser nicht zu vertreten, da die Massstäblichkeit des Siedlungsbildes in Mitleidenschaft gezogen würde. In den übrigen Gebieten der Stadt Basel ist unter Berücksichtigung der Bewahrung typischer Quartierstrukturen der Bau von Hochhäusern stark eingeschränkt. Er unterliegt im besten Fall situativen Untersuchungen, wobei Hochhäuser mit Fernwirkung gänzlich unerwünscht sind.

Städtebauliche und architektonische Anforderungen an Hochhäuser An Hochhäuser werden im Vergleich zur Regelbauweise erhöhte Anforderungen gestellt. Hoch-häuser müssen sich in ihrer Gesamtwirkung im Kontext überzeugend einfügen, ausserordentliche Architektur verkörpern und überdies nutzungsmässig innova-tiv sein. Die Standorte gilt es mit Sorgfalt und Umsicht auszuwählen. So sind zu-erst die städtebaulichen Rahmenbedingungen (Erschliessung, Verschattung etc.) zu klären. In einem zweiten Schritt ist eine exzellente Architektursprache für das Hochhaus zu erarbeiten. Das Erscheinungsbild – Proportionen, Fassaden, Materi-alisierung, Gliederung – ist in jeder Hinsicht hervorragend zu gestalten. Parallel müssen die Projekte auf ihre städtebauliche Berechtigung und den sich ergeben-den Mehrwert für die Öffentlichkeit hin intensiv diskutiert werden. Die Frage nach der Gegenleistung, der Ausstrahlung in den Stadtraum oder dem allgemeinen Nutzen, insbesondere auf der Ebene des Erdgeschosses und des angrenzenden Freiraums, ist zu erörtern.

Schattenwurf Hochhäuser dürfen Nachbarliegenschaften nicht derart beschatten, dass deren Wohnqualität beeinträchtigt wird. Massgeblich ist der 2-Stunden-Schat-ten. Er besagt, dass die Fassade einer Nachbarliegenschaft zur Tag- und Nacht-gleiche (22. / 23. September, 19.–21. März) nie länger als zwei Stunden durch ein Hochhaus verschattet werden darf. Dabei kann in zentral gelegenen Mischgebie-ten minimal von der Regel abgewichen werden, wenn das öffentliche Interesse überwiegt. Falls keine Wohnnutzung betroffen ist, ist eine Abweichung von der 2-Stunden-Regel möglich, sofern die Lage für ein Hochhaus geeignet ist und grosses Interesse an einer städtebaulichen Verdichtung besteht.

11 BlickvomBIZ-Turm,2015

Gesellschaftliche Bedingungen Basel ist keine Stadt, deren Gestalt sich wesentlich über das Hochhaus definiert. Aus planerischer Sicht wurden Hochhäuser bislang eher als Einzelfälle denn als Teil einer Strategie behandelt. Doch allmählich werden die Türme zu einer un-übersehbaren Realität. Sie haben ein beträchtliches Wirkungsvermögen, zweifel-los verändern sie einen Ort (Abb. 11). Und markante Veränderungen rufen Vorbe-halte hervor. Skepsis gegenüber dem Unbekannten ist nachvollziehbar. Das trifft insbesondere auf eine Stadtgestalt zu, die auch heute noch weitgehend von einer städtischen Normhöhe von rund fünf Geschossen definiert wird. Nicht hilfreich ist, dass die postindustrielle Gesellschaft Hochhäuser oftmals mit dem funktiona-listischen Raumbild der Moderne gleichsetzt, einer Moderne, die es nicht schaffte, Bedürfnisse nach Emotionalität und Atmosphäre zu befriedigen und sich mit der Tradition zu versöhnen. Kritik wird nicht von Ewiggestrigen oder Globalisierungs-verlierern geäussert, sondern es sind vielmehr berechtigte Ansprüche interessier-ter Kreise an die Bewahrung eines differenzierten Stadtbildes. Diese Kritiker sind nicht Hochhausgegner per se, sondern Leute, die für «nicht störende» Standorte plädieren. Ihre Vorbehalte gegenüber Hochhäusern sind ernst zu nehmen. Das bedeutet, dass der Bau von Hochhäusern eine öffentliche Auseinandersetzung erfordert. Wenn die Stadt klare Vorgaben macht, sind Hochhäuser für eine sinn-volle bauliche Verdichtung geeignet. Der Dialog ist für die Weiterentwicklung des städtischen Lebensraums wünschenswert, ja geradezu notwendig. Basel steht vor einer neuen städtebaulichen Debatte.

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MEINRAD MORGER

Hochhaus – ein Typus für die Zukunft. Vorschläge zur vertikalen Verdichtung der Städte am Beispiel von Basel-Stadt

Aufgrund des Bevölkerungswachstums, des erhöhten Wohnraumbedarfs und der Flucht aufs Land fand in den letzten Jahrzehnten eine exzessive Zersiedelung des Mittellands der Schweiz vom Bodensee bis hin zum Genfersee statt. Vermehrt wurde der Wohnort im Zuge einer Periurbanisierung aus der Stadt und dem städ-tischen Umland in immer stadtfernere ländliche Regionen verlagert (Abb. 1). Die Folgen sind ein hoher Flächenverbrauch, die Zersiedelung des Landschafts-raums und eine Zunahme des Automobilverkehrs. Um in Zukunft eine weitere Zer-siedelung zu verhindern, ist eine innere Verdichtung in den Städten anzustreben. Betrachtet man die Entwicklung der Stadt Basel anhand der Stadtpläne der letzten 200 Jahre, zeigt sich, dass sich der Stadtkanton nur innerhalb der Stadt-grenze ausdehnen bzw. verdichten kann (Abb. 2). Eine qualitätsvolle innere Verdichtung, die auch Chancen der vertikalen Ver-dichtung ins Auge fasst, ist anzustreben, da die vertikale Verdichtung den spar-samen Umgang mit Grund und Boden begünstigt. Stellt man eine Einfamilien-haussiedlung einem Wohnhochhaus wie dem Claraturm gegenüber, ergibt sich eine um ein vielfaches höhere Versiegelung der Fläche. Daneben bedarf es eines wesentlich höheren Aufwands für die Ver- und Entsorgung d.h. Abfallentsorgung, Kanalisation und für die Erschliessung durch Strassen und den Ausbau der Infra-struktur. Im Kanton Basel-Stadt ist das vom Planungsamt erstellte Hochhauskonzept ein erstes Instrumentarium, um die Strategie der inneren Verdichtung umzuset-zen. Es bildet eine Richtlinie für künftige Entwicklungen der Stadt und dient als Grundlage für die Beurteilung von Hochhausprojekten. So zeigt es geeignete und potenziell geeignete Gebiete für den Bau von Hochhäusern auf. Im Zuge einer erhöhten Sensibilisierung für die Problematik wurden im Raum Basel seit Anfang des 21. Jahrhunderts wieder vermehrt Wohn- und Büro-hochhäuser geplant und gebaut. Auf der anderen Seite sind auch grosse visionäre Projekte, die einen wichtigen Beitrag zur inneren Verdichtung hätten leisten können, wie Vision Stadtrand Ost, Vision 3Land und Dreispitz, zum Teil bereits gescheitert oder in der vorliegenden Form infrage gestellt. Vor diesem Hintergrund ist die Etablierung vertikaler Ver-dichtung umso wichtiger. Die Beispiele Messequartier und De Bary-Areal zeigen, welches Potential eine vertikale Verdichtung hat.

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1 PeriurbanisierungderSchweiz BevölkerungsanteilimJahr2000inzwischen1991und2000gebautenHäusern

2 Luftbild,Basel2009

BevölkerungsanteilinGebäudenmit3Wohnungenundmehr(%)

< 10

10…30

30…50

50…70

70…90

> 90

GesamtzahlderBevölkerungimJahr2000

10 0005 000

25 000

50 000

100 000

MessequartierMit dem Entwicklungs- und Verdichtungsprozess im Messequartier, der die Projekte Messeturm (1999–2003), Rosentalhäuser alias Zürichhäuser (1999–2016), neue Messe-halle (2006–2012), Claraturm (2007–2016) und Rosentalturm (2013–2014) beinhal-tet, entstand ein neuer stadträumlicher Massstab und eine neue Dimension der Dichte, der die Grundlage für die städteräumliche Konzeption der Projekte war. Der im Jahr 2003 realisierte Messeturm wurde im Zusammenhang mit dem Standortentscheid als Konzept «Messe Basel plus» ausgearbeitet mit dem Ziel, die logistischen, funktionalen und städteräumlichen Defizite zu beseitigen und darü-ber hinaus mit einem neuen identitätsstiftenden Wahrzeichen den neuen Heraus-forderungen einer Messestadt im Zusammenhang mit einer globalisierten Welt-wirtschaft zu begegnen. Im Zentrum steht die Einbindung der Messe ins Stadtbild. Der Entwurf bün-delt städtebauliche, architektonische Anliegen und die verschiedenen Programme zu einen einzigen Gebäude. Vom Badischen Bahnhof wie vom Zentrum Kleinba-sels schiebt sich der auskragende Bauteil in die Sichtachse, perspektiviert den Blick und schafft einen grosszügigen gedeckten Ankunftsort. Ein bis dahin inexis-tenter Stadtraum erhält eine optische Fassung. Als Fixation der Messe Basel über-ragt der Turm den Stadtkörper und wirkt als Wahrzeichen über die ganze Stadt hinweg.

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Funktional handelt es sich beim Messeturm um ein hybrides Gebäude. Im Sockel-bereich befinden sich die Servicebereiche der Messe Basel, aber auch öffentliche Restaurants und Kongresssäle. Es folgen zehn Hotelgeschosse und drei Ebenen für die Messeadministration, darüber Bereiche, die zur Finanzierung des Vorhabens fremdvermietet wurden, und zuoberst auf dem 33. Geschoss eine Bar. Die unter-schiedlichen Platzbedürfnisse der Nutzungen waren nur schwer in einem reinen Hochhausturm unterzubringen. Wie das Lever House in New York wurde der Turm mit einem Sockel ergänzt. Da die horizontale Zone aus Platzgründen nicht eben-erdig situiert werden konnte, wurde diese ca. 7 Meter angehoben und zum Schwe-ben gebracht. Das 12 Meter nach Osten und 24 Meter nach Süden dreigeschossig auskragende Bauteil wurde zum eigentlichen Kernelement des Entwurfs.

Die bereits zurückgebauten Wohnhäuser an der Rosentalstrasse 9–13 werden durch einen zeitgenössischen Neubau mit einer gemischten Nutzung bestehend aus Woh-nen und Arbeiten ersetzt (Abb. 3, 4). Das neue Gebäude steht parallel zum Messe-turm leicht von der Strasse zurückversetzt. Es deckt die Parking- und Anlieferungs-rampe des Messeturms ab und bildet eine kompositorische Einheit mit der Halle 2 und dem Messehochhaus. Über die Gliederung des Platzes entsteht eine starke Beziehung zwischen der Rosentalanlage und dem Messeplatz. Der Messeplatz wird als durchgehender Raum zwischen Riehenring und Mattenstrasse aufgespannt. Die beiden Strassen und deren Baumalleen sowie der Messeneubau grenzen den Platz räumlich ab. Die bestehende Allee entlang der Mattenstrasse wird ergänzt, zum Teil zweireihig geführt und da-durch als Grünelement verstärkt. Das Gebäude ist 13-geschossig geplant und ca. 46 m hoch. Im Erdgeschoss soll eine Publikumsnutzung in Form eines Bistros und Ladenflächen entstehen, die Ober-geschosse 1–3 werden als Bürofläche genutzt und in den weiteren Geschossen befin-den sich insgesamt 81 Wohnungen mit Loggia und umlaufenden Austrittsbereich. Das Gebäude verjüngt sich kontinuierlich ab dem 7. Obergeschoss auf drei Sei-ten, entsprechend der Baulinienabstände und den Lichteinfallswinkeln zum Messe-turm. Das Fassadenbild wird durch die umlaufenden Brüstungen horizontal geprägt. Die Ecke Clarastrasse / Riehenring erfährt, basierend auf der neuen lokalen Ausgangslage und der übergeordneten städteräumlichen Analyse, eine dominante Akzentuierung mit dem rund 96 m hohen Claraturm (Abb. 5). Er bildet im Weite-ren eine kompositorisch kraftvolle Einheit mit der neuen Messehalle von Herzog & de Meuron: vertikal versus horizontal. Eine als Annex ausgebildete fünf- und sechs-geschossige Blockrandbebauung vervollständigt die städtebauliche Setzung in die vorhandene Blockrandstruktur. Architektonisch gegliedert wird der Turm über eine Sockelpartie, gefolgt von einem in einer Richtung leicht geknickten Fassaden- körper und einer abschliessenden, in die andere Richtung gekrümmten Spitze. Das Erscheinungsbild ist geprägt durch ähnlich breite Streifen, die sich über die gesamte fein geschliffene Volumetrie des Hauses ziehen.

3,4 MesseturmundWohn-/GeschäftsneubauanderRosentalstrasse

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Die Nutzungsverteilung erfolgt in logischer Reihung: Die Parkinganlage, die Haus-technik und die Lager liegen in den sechs Untergeschossen, die öffentlichen Nut-zungen im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss. Danach folgen die Büros, das Hotel und die Wohnungen. Die Struktur des Gebäudes ermöglicht eine flexible Anordnung der Nutzungen. Die Verankerung im Stadtraum erfolgt durch einen zweigeschossigen querge-stellten Sockelbau. Er organisiert und gliedert zusammen mit dem Hochhaus die Räume: Die Isteinerstrasse findet eine Fortsetzung, der Messeplatz eine Ausdeh-nung, die Rosentalanlage einen Abschluss, die Riehenstrasse eine Vorfahrt und das Hochhaus einen Eingang. Das Neue fügt sich wie selbstverständlich in den Bestand. Die zum Teil frag-mentarisch zusammengestellten Bauten verbinden sich durch die neue Ergän-zung zu einem kraftvollen Ensemble. Nicht Homogenität, sondern vielmehr Hete-rogenität bestimmt die urbane Qualität: Die Messe Basel bliebt nicht länger eine autarke Intarsie inmitten der Stadt, sondern wird vielmehr zu einem attraktiven, zeitgemässen und lebendigen Stadtquartier.

De Bary-ArealEin weiteres Beispiel zur innerstädtischen vertikalen Verdichtung bildet das Pro-jekt De Bary-Areal im Gellert. Die Besitzer gaben Ende 2010 eine Machbarkeitsstu-die in Auftrag, um das Verdichtungspotenzial zu untersuchen (Abb. 6, 7). 1960 wurden auf dem ehemaligen Fabrikareal der Bandfabrik De Bary in derLehenmatt vier 17-stöckige Hochhäuser mit insgesamt 580 Wohnungen und sechs zweigeschossigen Wohnhäusern realisiert. Die von Suter + Suter Architekten ent-worfene Siedlung, eine Komposition von vier vertikalen Hochbauten und sechs pavillonartigen Flachbauten inmitten einer parkartigen Umgebung, ist ein wich-tiger Zeuge der 1960er Jahre. Grundlage dieser Planung war ein Bebauungsplan aus dem Jahre 1959. Das De Bary-Areal befindet sich im südlichen Teil des Breitequartiers (Lehen-matt) im Übergang unterschiedlicher Wohnzonen und städtischer Wohntypolo-gien. Die topografische Situation des Areals wird in nordöstlicher Lage durch das dicht begrünte, teils ansteigende Gelände des Bethesda-Spitals abgegrenzt und in westlicher, flach auslaufender Richtung bis in das Ufergelände der Birs weiterge-führt. Verschieden ausgerichtete städteräumliche Strukturen gliedern das Gebiet in der ehemaligen Birsauen-Landschaft. Das De Bary-Areal bildet innerhalb des städtischen Gefüges einen wichtigen Quartiermittelpunkt. Die Verknüpfung der Grüngürtel (nördliches St. Alban-Rheinufer über den Schwarzpark bis hin zum südlichen Naherholungsgebiet der St. Jakob-Sportfelder sowie die Grünanlage um den Seegarten) findet innerhalb des De Bary-Areals eine markante Ausprägung. Die am St. Alban-Teich entlang führende Promenade verbindet inmitten eines verdichteten Baumbestands diese bedeutenden Grünräume miteinander. Inner-halb des Areals begrenzt der Teich zwei unterschiedliche Gebäudetypologien des

Dank der typologischen Konzeption (rue intérieur) ist eine 10- bis 14-spännige Erschliessung möglich. Die Anzahl der vertikalen Erschliessungen reduziert sich dadurch auf ein notwendiges Minimum. Die vorgeschlagene Typologie ermöglicht eine Vielzahl unterschiedlicher Wohnungstypen.

Zentraler Aspekt der «Testplanung Messe Basel» ist die Ein-Haus-Idee sowie die kompositorische «Verschmelzung» zwischen der Messehalle und dem neuen Ge-bäude, dem Rosentalturm, um trotz der massiven Verdichtung urbane Grösse und Offenheit zu schaffen und keine städteräumliche Enge zu provozieren. Das neue Hochhaus steht parallel und so nah wie möglich zur Halle. Diese städteräumliche Beziehung verlangt unweigerlich auch «Grösse»: Die maximal mögliche Höhe des Gebäudes wird durch das vorgegebene Lichtraumprofil, die maximale Länge durch den Perimeter und die maximale Tiefe durch die Nutzung bestimmt. Trotz dieser streng festgesetzten Faktoren, die Form und Volumetrie bestimmen, erscheint das Gebäude als präziser Körper mit einer eleganten und charismatischen Aus-strahlung.

5 EckeClarastrasse/RiehenringmitClaraturm

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Bebauungsplans. Entlang der Gellertstrasse reihen sich sechs in nordsüdlicher Orientierung angeordnete pavillonartige, zweigeschossige Flachbauten aneinander. Die Mitte markiert ein Fussweg, der über den Teich hinwegführend das Areal in ost-westlicher Richtung durchläuft. Quer dazu stehen im grossflächigen Ostteil vier 17-geschossige Wohnbauten. Die langgezogenen Hochhausscheiben weisen eine alternierende Anordnung auf. Ergänzt wird die Anlage durch zwei Infrastruktur-bauten. Ein eingeschossiger Doppelkindergarten liegt inmitten der Parkanlage, ein Lebensmittelladen in Randlage an der Ecke Redingstrasse / Birsstrasse. Zusam-men bilden alle Teile eine typologisch interessante Siedlungsstruktur mit einem äusserst hohen Wohnwert. Anhand einer umfangreichen Analysearbeit wurden verschiedene Verdich-tungsmöglichkeiten ausgearbeitet. Die städtebauliche Verdichtung des De Bary-Areals berücksichtigt und bewahrt die bauliche Komposition der bestehenden Ge-bäude. Der Anbau an die vier bestehenden Hochhausscheiben ermöglicht eine bedeutende Verdichtung des Areals, ohne neue Elemente in das Areal einzufü-gen. Um das bestehende Gefüge aus Hochhäusern und sechs zweigeschossigen «Flachbauten» entlang der Gellertstrasse zu bewahren, sollen die Flachbauten mit vergrösserten Baukörpern und einem zusätzlichen Geschoss, jedoch an gleicher Position und mit gleicher Ausrichtung, ersetzt werden. Das Ensemble auf dem De Bary-Areal erfährt nicht nur im Ganzen, sondern auch innerhalb seiner Bestand-teile eine ausgewogene und aufeinander abgestimmte Verdichtung. Als weiteres Merkmal des Areals gilt es, die eingeschossigen Pavillonbauten für die erhöhte Nachfrage der Quartiersversorgung auszubauen. Das Ladenzentrum an der Ecke Reding- / Lehenmattstrasse kann dabei mit einer eingeschossigen Aufstockung zur Büro- oder Praxisnutzung ausgebaut werden.

Die Logik des bestehenden Ensembles wird gleichsam zum Ausgangspunkt für die Formulierung der Architektur. Die Hochhäuser reagieren mit der Ausbildung des Erdgeschosses auf die grosszügigen Qualitäten des Aussenbereichs zum Grünraum hin. Der Grundriss ist für ein flexibles Wohnungslayout ausgelegt. Die Wohnun-gen werden jeweils mit einem grosszügigen Freibereich ergänzt, der den Bezug aus der Wohnung in die begrünte Umgebung verstärkt und einen spektakulären Blick in die Landschaft gewährt.

6,7 ProjektDeBary-ArealinderLehenmatt

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Abbildungen Beitrag Klaus SpechtenhauserAbb. 1: gta Archiv, ETH Zürich, © Stiftung Bauhaus Dessau / Hans Jakob Wittwer (für Hans Wittwer)Abb. 2: Kantonale Denkmalpflege Basel-Stadt Abb. 3: Stehlin-Archiv, BaselAbb. 4, 6, 8, 12, 13, 14: gta Archiv, ETH Zürich Abb. 5: Aus: Schweizerischer Bauzeitung, Bd. 123, 1944 Abb. 7: Aus: Herman Baur. Architektur und Planung in Zeiten des Umbruchs, Ausstellungskatalog, Architekturmuseum Basel, 1994Abb. 9, 10: Aus: Werk, Jg. 38, 1951 Abb. 11, 16: PrivatsammlungAbb. 15, 19: Foto Klaus Spechtenhauser Abb. 17: Historisches Archiv Roche, BaselAbb. 18: Aus: Werk, Jg. 45, 1958 Abb. 20: SWA, PA 510, Suter + Suter, D 403, A3

Abbildungen Beitrag Beat AeberhardAbb. 1, 2, 3, 7: Foto Christian Flierl Abb. 5, 11: Foto Beat AeberhardAbb. 6: Kantonale Denkmalpflege Basel-Stadt Abb. 9: Foto Kathrin Schulthess

Abbildungen Beitrag Meinrad MorgerAbb. 1: Martin Schuler, Pierre Dessemontet, EKM, 2011Abb. 2: http://luftbilder-der-schweiz.ch/images/b/b1/Basel_1_20093478.jpg, © Schweizer Luftwaffe 2009, 10.10.2015Abb. 3–7: Morger Partner Architekten

BildnachweisAutoren

Klaus Spechtenhauser Dr. phil., Architekturhistoriker und wissenschaftlicher Redaktor bei der Kantonalen Denkmalpflege Basel-Stadt

Beat AeberhardDipl. Architekt ETH / MsAUD, Kantonsbaumeister, Bau- und Verkehrsdepartement des Kantons Basel-Stadt

Meinrad MorgerArchitekt und Professor für Gebäudelehre an der TU Darmstadt.