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NiKollDi 2013 Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg Hoffnung und Verantwortung: Utopie, Dystopie und Science-Fiction im Englischunterricht DR. JÜRGEN WEHRMANN CARL-VON-OSSIETZKY UNIVERSITÄT OLDENBURG Ein Blick auf die Hinweise für das niedersächsische Zentralabitur der letzten Jahre zeigt, dass Utopie, Dystopie und Science-Fiction weiterhin ihren festen Platz im Englischunterricht haben und zugleich, dass der Kanon gerade in diesen zukunftsorientierten Gattungen erstaunlich konservativ ist: Wie seit Jahrzehnten sollen vor allem Texte von Huxley und Bradbury gelesen werden. Nicht nur hat dies die kuriose Folge, dass in manchen Abiturjahrgängen die ältesten vorgegebenen Kunstwerke aus der Science-Fiction stammen. Die oben genannten Texte besitzen darüber hinaus mittlerweile eine solche Distanz zu gegenwärtigen Diskursen über Gesellschaft, Politik, Bioethik und Medien, dass sie dazu tendieren, in der Unterrichtspraxis den Zugang zu vielen Themen eher zu erschweren als zu eröffnen. Die zurzeit erhältlichen Lektüren und Materialien der Verlage belegen, dass derartige Phänomene vielleicht in unserer Region besonders ausgeprägt, aber keineswegs auf sie beschränkt sind. Das Projekt zielt darauf ab, für die oben skizzierte Misere auf verschiedenen Ebenen Lösungsvorschläge zu sammeln, zu diskutieren und (weiter) zu entwickeln. Es soll die Erweiterung des Kanons mit der Erschließung neuer didaktischer Perspektiven und methodischer Ansätze für die Behandlung von Utopien, Dystopien und Science-Fiction miteinander verbunden werden. Die selbst Diskursgrenzen überschreitenden Gattungen legen dafür einen interdisziplinären Dialog nahe, der nicht nur die Allgemeine Pädagogik, die Fachwissenschaft und die Unterrichtspraxis, sondern bis zu einem gewissen Grade auch Natur- und Gesellschaftswissenschaften sowie insbesondere die Philosophie einzubeziehen haben wird. Ausgangspunkt muss eine bildungstheoretisch orientierte, sowohl allgemein- als auch fachdidaktische Reflexion darauf sein, welche Bedeutungen Science-Fiction für die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler gewinnen kann. Nur so lassen sich Kriterien gewinnen für eine sinnvolle Auswahl von Themen, Untergattungen, Texten und formalen Aspekten, auf die sich die Betrachtung von Science-Fiction im Englischunterricht konzentrieren soll. Des Weiteren müssen fachwissenschaftliche Erkenntnisse zur Science- Fiction zusammengefasst und systematisiert werden, damit Lehrende und Lernende über ein flexibles und verlässliches Instrumentarium zur Analyse und zur Einbettung von produktions- und handlungsorientierten Verfahren in den Unterricht verfügen. Erst auf dieser Grundlage können Methoden und Modelle dafür vorgestellt und entwickelt werden, wie Science-Fiction besser in den Englischunterricht integriert, aber auch wie umgekehrt Englischunterricht durch die Beschäftigung mit Science Fiction verbessert werden kann. Exemplarische Studien werden wahrscheinlich auf drei Gruppen von Werken fokussieren: „critical utopias“ (Tom Moylan) seit den 1970ern, die nicht nur unter der Frage nach der Möglichkeit nachhaltiger Gesellschaftsformen, sondern auch als transkulturelle Utopien für den Unterricht zu

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NiKollDi 2013 Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg

Hoffnung und Verantwortung:

Utopie, Dystopie und Science-Fiction im Englischunterricht

DR. JÜRGEN WEHRMANN

CARL-VON-OSSIETZKY UNIVERSITÄT OLDENBURG

Ein Blick auf die Hinweise für das niedersächsische Zentralabitur der letzten Jahre zeigt, dass

Utopie, Dystopie und Science-Fiction weiterhin ihren festen Platz im Englischunterricht

haben – und zugleich, dass der Kanon gerade in diesen zukunftsorientierten Gattungen

erstaunlich konservativ ist: Wie seit Jahrzehnten sollen vor allem Texte von Huxley und

Bradbury gelesen werden. Nicht nur hat dies die kuriose Folge, dass in manchen

Abiturjahrgängen die ältesten vorgegebenen Kunstwerke aus der Science-Fiction stammen.

Die oben genannten Texte besitzen darüber hinaus mittlerweile eine solche Distanz zu

gegenwärtigen Diskursen über Gesellschaft, Politik, Bioethik und Medien, dass sie dazu

tendieren, in der Unterrichtspraxis den Zugang zu vielen Themen eher zu erschweren als zu

eröffnen. Die zurzeit erhältlichen Lektüren und Materialien der Verlage belegen, dass

derartige Phänomene vielleicht in unserer Region besonders ausgeprägt, aber keineswegs auf

sie beschränkt sind.

Das Projekt zielt darauf ab, für die oben skizzierte Misere auf verschiedenen Ebenen

Lösungsvorschläge zu sammeln, zu diskutieren und (weiter) zu entwickeln. Es soll die

Erweiterung des Kanons mit der Erschließung neuer didaktischer Perspektiven und

methodischer Ansätze für die Behandlung von Utopien, Dystopien und Science-Fiction

miteinander verbunden werden. Die selbst Diskursgrenzen überschreitenden Gattungen legen

dafür einen interdisziplinären Dialog nahe, der nicht nur die Allgemeine Pädagogik, die

Fachwissenschaft und die Unterrichtspraxis, sondern – bis zu einem gewissen Grade – auch

Natur- und Gesellschaftswissenschaften sowie insbesondere die Philosophie einzubeziehen

haben wird.

Ausgangspunkt muss eine bildungstheoretisch orientierte, sowohl allgemein- als auch

fachdidaktische Reflexion darauf sein, welche Bedeutungen Science-Fiction für die

Entwicklung der Schülerinnen und Schüler gewinnen kann. Nur so lassen sich Kriterien

gewinnen für eine sinnvolle Auswahl von Themen, Untergattungen, Texten und formalen

Aspekten, auf die sich die Betrachtung von Science-Fiction im Englischunterricht

konzentrieren soll. Des Weiteren müssen fachwissenschaftliche Erkenntnisse zur Science-

Fiction zusammengefasst und systematisiert werden, damit Lehrende und Lernende über ein

flexibles und verlässliches Instrumentarium zur Analyse und zur Einbettung von produktions-

und handlungsorientierten Verfahren in den Unterricht verfügen. Erst auf dieser Grundlage

können Methoden und Modelle dafür vorgestellt und entwickelt werden, wie Science-Fiction

besser in den Englischunterricht integriert, aber auch wie umgekehrt Englischunterricht durch

die Beschäftigung mit Science Fiction verbessert werden kann. Exemplarische Studien

werden wahrscheinlich auf drei Gruppen von Werken fokussieren: „critical utopias“ (Tom

Moylan) seit den 1970ern, die nicht nur unter der Frage nach der Möglichkeit nachhaltiger

Gesellschaftsformen, sondern auch als transkulturelle Utopien für den Unterricht zu

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erschließen sein werden; Filme mit Bezügen zum gegenwärtigen bioethischen Diskurs über

„human enhancement“ (gentechnisch: Gattaca (1997), psychopharmakologisch: Limitless

(2011) und biogerontologisch: In Time (2012)), die Biotechnologien in pluralistisch-

kapitalistischen Gesellschaften statt als Momente totalitärer Herrschaft thematisieren; sowie

Cyperpunk-Romane und -Erzählungen, die über utopische und dystopische Potentiale der

neuen Medien spekulieren.