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56 57 Von Vorfertigung bis Fertighaus Zwischen diesen beiden Forderungen liegen zwei Jahrhunderte und der gesam- te Zeitraum der Industrialisierung. Bedeutet ihre inhaltliche Deckung, dass Holz wieder zur Mangelware wird, sobald wir eine Abkehr von den fossilen Ener- giesystemen ernsthaft ins Auge fassen? Ist der Mangel an Holz, der heute mit Abstand größten Quelle erneuerbarer Energie, ein systemimmanentes Kenn- zeichen von solaren Energiesystemen? Die aktuelle Nachhaltigkeitsdiskussion in der Architektur vermittelt oft den Eindruck, als handle es sich bei Holz um einen unbegrenzt nachwachsenden Rohstoff, den man am Ende seines Lebens- zyklus auch noch verbrennen könne. Dabei wird leicht übersehen, dass der seit dem 18. Jahrhundert wiederaufgeforstete Waldbestand mit seinen ‘Holzüber- schüssen’ Ergebnis seiner Entkopplung von der Energieversorgung ist. Wollen wir also einen Eindruck vom Umgang mit Holz in einem solaren Energiesystem bekommen, lohnt es sich, den historischen Holzbau bis zum 18. Jahrhundert zu betrachten. Man muss dabei schon etwas tiefer graben, da es sich offenbar um so selbstverständliche Regeln der ‘Holzsparkunst’ handelt, dass sie kaum dokumentiert wurden, sondern nur am gebauten Resultat ablesbar sind. Zwei dieser historischen Strategien erscheinen unter dem Gesichtspunkt einer mög- lichst langfristigen CO 2 -Bindung höchst aktuell: Die Wiederverwendung von Bauteilen sowie das zerlegte und unzerlegte Versetzen ganzer Häuser. Wiederverwendung von Bauteilen Holzknappheit war ein Phänomen, dem man in den holzarmen Regionen Mittel- europas wie z.B. den Niederlanden mit Holzflößerei über den Rhein und seit dem 15. Jahrhundert auch über das Meer aus Skandinavien und dem Ostseeraum be- gegnete. Überregionaler Holzhandel war ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Par- allel dazu aber war eine Strategie gang und gäbe, die den Mangel nicht an der Versorgung, sondern am Lebenszyklus anging, uns aber heute allenfalls als ein Thema des Denkmalschutzes begegnet: die Wiederverwendung von Bauholz. Spätestens seit der frühen Neuzeit wurde Bauholz einer Wiederverwendung zugeführt. Ab dem 18. Jahrhundert war die Nachfrage für gebrauchtes Bau- holz sogar erheblich. Die Grafschaft Lippe z.B. untersagte 1785 den Export von Bau- und Brennholz sowie Holzkohle. Das Fürstentum Nassau-Oranien er- ließ 1747 gar ein Verbot, Häuser aus neuem Holz zu errichten. Im 19. Jahr- hundert erhielt fast jeder Neubau zweitverwendete Ständer und Dachbalken, die bevorzugt an wenig sichtbaren Stellen im Innengefüge verzimmert wurden. Bei den Blockbauten im Alpengebiet ist eine Wiederverwendung durch die Ausnehmungen früherer Verblattungen mitunter sogar deutlich von außen ab- lesbar. Die verfügbare Holzmenge war weiter eingeschränkt durch den Um- stand, dass für das Außenfachwerk von den zahlreichen vorhandenen Holzar- ten nur Eichenholz benutzt wurde, das gegenüber dem heute hauptsächlich ver- wendeten Nadelholz als haltbarer und weniger schädlingsanfällig galt. Im Umkehrschluss ist es aber auch dieses Holz, das sich wegen seiner Langlebig- keit besonders für eine Wiederverwendung eignet. Besonders begehrt waren längere Hölzer für Wandständer und Dachbalken, bei denen auch Gefügenarben in Kauf genommen wurden. Dafür prädestiniert war insbesondere Holz aus der Demontage von Scheunen, bei der lange Höl- zer mit großen Querschnitten und wenigen Verbindungen anfielen. Die Beschaf- fung von kleineren Gefügegliedern aus Fachwerkbauten war vergleichsweise un- problematisch. Auch Ausfachungsmaterial, Dachdeckungen oder Fußböden wur- den wiederverwendet. Baustoffbörsen oder Bauhöfe, die heutigen Zwischenhändler, gab es damals allerdings nicht; die zur Wiederverwendung bestimmten Gebäu- de wurden von den Bauherren aufgekauft, sorgfältig abgetragen und direkt ver- baut. Dem arbeitsintensiven Prozess einer die Bausubstanz erhaltenden Demon- tage kam zudem entgegen, dass einem Bauherrn mit den breiten landlosen Un- terschichten eine große Zahl von billigen Arbeitskräften zur Verfügung stand. Versetzen ganzer Gebäude Neben der materiellen Wiederverwendung, bei der Materialien eines abge- bauten Vorgängergebäudes in einem neuen Zusammenhang verarbeitet und gefügt werden, fand vielfach auch eine direkte Form der Zweitverwendung statt, nämlich das Versetzen ganzer Gebäude. Bei einer Versetzung, in der Fachsprache der Denkmalpfleger als „Translozierung“ bezeichnet, werden gro- ße Teile eines Gebäudes ihrem bestehenden konstruktiven Zusammenhang an eine andere Stelle gebracht. Hierfür gibt es eine Reihe spektakulärer Beispie- le. So wurde von Fällanden bei Zürich im Jahr 1511 ein Haus nach Wiedikon über eine Luftdistanz von 9 km versetzt. In unbezahlter Fronarbeit von je einem Tag bauten die Lehensleute des Klosters der Dominikanerinnen von Oetenbach, welches das Haus für 88 Pfund gekauft hatte, das Haus ab und transportier- ten das Holzwerk mit Hilfe von 116 Pferden an den neuen Standort. 73 Tage lang arbeiteten die Zimmerleute am Abbruch und Wiederaufbau. Besonders ausgekochte Bauern machten sogar ein Geschäft daraus, aus dem Waldbe- stand ihrer Gemeinden unentgeltlich Bauholz für den Eigenbedarf zu beantra- Holz in der Wiederverwendung Christoph Schindler gen und das Gebäude bald nach der Errichtung nach auswärts zu verkaufen. Blockbauten, Fachwerkbauten und andere Holzkonstruktionen sind besonders dazu geeignet, an einen neuen Ort verbracht zu werden. Genaugenommen wird jeder Fachwerkbau schon ein erstes Mal vor seiner Fertigstellung versetzt, da er zunächst auf dem Zimmerplatz abgebunden, dort probeweise zusam- mengefügt und erst danach zerlegt an den Bauplatz zum Aufrichten gebracht wird. Daher sind die Bauteile bereits bei der Erstverwendung mit ihre Position im Gebäude eindeutig beschreibenden Abbundzeichen markiert, was ihre Zu- ordnung auch beim Versetzen wesentlich erleichtert. Das Auseinandernehmen von Holzhäusern war bis zur Neuzeit gut möglich, weil fast nur Holzverbindun- gen und großformatige Holznägel, aber keine Eisennägel verwendet wurden. Allerdings darf man sich das Zerlegen und Wiederaufbauen eines Gebäudes auch nicht zu einfach vorstellen, da durch das Schwinden und Arbeiten des Holzes mit der Zeit ein ineinander verkeiltes, satt sitzendes Baugefüge entstand. Mitunter wurden kleinere Gebäude sogar im Ganzen transportiert. Im mär- kischen Sauerland wurden prunkvoll ausgemalte eichene Kornspeicher unzer- legt auf Rollen gesetzt und mit der Mitgift der Braut auf den Hof des Bräuti- gams gerollt, wobei einmal acht Pferde und fünfzig Männer am Transport be- teiligt gewesen seien sollen. Ähnliches Brauchtum kennen wir aus der Telemark in Norwegen. Dass zahlreiche Gäste zu solchen Verschiebungen kamen und diese zu einem Volksfest auswachsen konnten, ist leicht nachvollziehbar. Untersuchungen im Landschaftsverband Westfalen-Lippe zeigen, dass Wieder- verwendung von Bauholz in Form einzelner Bauteile oder ganzer Gebäude kei- ne Seltenheit war. In mindestens 19 von 60 gründlich analysierten Bauten aus den Altkreisen Bielefeld, Halle und Herford wurden zweitverwendete Bauhöl- zer verzimmert. Von 100 Häusern im Weserdorf Hemeln wurden im 18. und 19. Jahrhundert fünf im Ort versetzt, eines von außen angekauft und drei nach außen verkauft. Die gleiche Menge an Bauten ist durch wesentliche Umbauten alter Gerüste oder Wiederverwendung von Altholz entstanden, so dass wir ins- gesamt von einem Anteil von 20 % wiederverwendeter Bausubstanz sprechen können. In Ahaus-Wüllen konnten 27 Speicher auf Bauernhöfen nachgewie- sen werden. Von diesen waren 20 aus Fachwerk erstellt, von denen sich 10 als mindestens einmal versetzt erwiesen. “Der schon allenthalben so großen Theuerung des Holzes zu steuern, dem noch größeren Mangel desselben für die nahe Zu- kunft abzuhelfen, […] das sollte jetzt billig ein Hauptaugenmerk der Deutschen seyn”, heißt es in einem ‘Almanach der Fortschritte’ von 1798. “Steigende Holzknappheit erfordert europaweites Um- denken”, proklamiert fast im gleichen Duktus die Studie eines öster- reichischen Beratungsunternehmens im November 2007: Der Waldbestand wachse, aber das Holz werde knapp. Wolle die EU gemäß ihrer Zielvereinbarung bis zum Jahr 2020 einen Anteil von 20 % an erneuerbaren Energien erreichen, müsse sie ihre Holz- importe mehr als verdoppeln. Ein transkontinentaler Handel hät- te massive Preissteigerungen zur Folge. linke Seite: Eckverbindung eines Speichers in Blockbauweise aus wiederverwendeteten Balken in Evolène, Val d'Hérens, Wallis, Schweiz. Foto: Christoph Schindler rechts: Streeter's Windmühle, East-Sussex, England. Unter dem Bild steht folgender Text: "This mill was drawn on the 28th of March 1797 from Regency Square to ye Dyke Road Brighton, a distance of over two miles, by 86 oxen which belon- ged to the following gentlemen William Stanford Esqu. of Preston…" unten: demontierte und liegend zusammengefüg- te Fachwerk-Giebelwand. Foto: Klaus Thinius-Hüser

Holz in der Wiederverwendung

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Christoph Schindler Holz in der Wiederverwendung. In: ARCH+ 193, ARCH+ Verlag, Aachen 2009, pp. 56–58

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Page 1: Holz in der Wiederverwendung

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Von Vorfertigung bis Fertighaus

Zwischen diesen beiden Forderungen liegen zwei Jahrhunderte und der gesam-te Zeitraum der Industrialisierung. Bedeutet ihre inhaltliche Deckung, dass Holzwieder zur Mangelware wird, sobald wir eine Abkehr von den fossilen Ener-giesystemen ernsthaft ins Auge fassen? Ist der Mangel an Holz, der heute mitAbstand größten Quelle erneuerbarer Energie, ein systemimmanentes Kenn-zeichen von solaren Energiesystemen? Die aktuelle Nachhaltigkeitsdiskussionin der Architektur vermittelt oft den Eindruck, als handle es sich bei Holz umeinen unbegrenzt nachwachsenden Rohstoff, den man am Ende seines Lebens-zyklus auch noch verbrennen könne. Dabei wird leicht übersehen, dass der seitdem 18. Jahrhundert wiederaufgeforstete Waldbestand mit seinen ‘Holzüber-schüssen’ Ergebnis seiner Entkopplung von der Energieversorgung ist. Wollenwir also einen Eindruck vom Umgang mit Holz in einem solaren Energiesystembekommen, lohnt es sich, den historischen Holzbau bis zum 18. Jahrhundertzu betrachten. Man muss dabei schon etwas tiefer graben, da es sich offenbarum so selbstverständliche Regeln der ‘Holzsparkunst’ handelt, dass sie kaumdokumentiert wurden, sondern nur am gebauten Resultat ablesbar sind. Zweidieser historischen Strategien erscheinen unter dem Gesichtspunkt einer mög-lichst langfristigen CO2-Bindung höchst aktuell: Die Wiederverwendung vonBauteilen sowie das zerlegte und unzerlegte Versetzen ganzer Häuser.

Wiederverwendung von BauteilenHolzknappheit war ein Phänomen, dem man in den holzarmen Regionen Mittel-europas wie z.B. den Niederlanden mit Holzflößerei über den Rhein und seit dem15. Jahrhundert auch über das Meer aus Skandinavien und dem Ostseeraum be-gegnete. Überregionaler Holzhandel war ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Par-allel dazu aber war eine Strategie gang und gäbe, die den Mangel nicht ander Versorgung, sondern am Lebenszyklus anging, uns aber heute allenfalls alsein Thema des Denkmalschutzes begegnet: die Wiederverwendung von Bauholz.

Spätestens seit der frühen Neuzeit wurde Bauholz einer Wiederverwendungzugeführt. Ab dem 18. Jahrhundert war die Nachfrage für gebrauchtes Bau-holz sogar erheblich. Die Grafschaft Lippe z.B. untersagte 1785 den Exportvon Bau- und Brennholz sowie Holzkohle. Das Fürstentum Nassau-Oranien er-ließ 1747 gar ein Verbot, Häuser aus neuem Holz zu errichten. Im 19. Jahr-hundert erhielt fast jeder Neubau zweitverwendete Ständer und Dachbalken,die bevorzugt an wenig sichtbaren Stellen im Innengefüge verzimmert wurden.Bei den Blockbauten im Alpengebiet ist eine Wiederverwendung durch die

Ausnehmungen früherer Verblattungen mitunter sogar deutlich von außen ab-lesbar. Die verfügbare Holzmenge war weiter eingeschränkt durch den Um-stand, dass für das Außenfachwerk von den zahlreichen vorhandenen Holzar-ten nur Eichenholz benutzt wurde, das gegenüber dem heute hauptsächlich ver-wendeten Nadelholz als haltbarer und weniger schädlingsanfällig galt. ImUmkehrschluss ist es aber auch dieses Holz, das sich wegen seiner Langlebig-keit besonders für eine Wiederverwendung eignet.

Besonders begehrt waren längere Hölzer für Wandständer und Dachbalken,bei denen auch Gefügenarben in Kauf genommen wurden. Dafür prädestiniertwar insbesondere Holz aus der Demontage von Scheunen, bei der lange Höl-zer mit großen Querschnitten und wenigen Verbindungen anfielen. Die Beschaf-fung von kleineren Gefügegliedern aus Fachwerkbauten war vergleichsweise un-problematisch. Auch Ausfachungsmaterial, Dachdeckungen oder Fußböden wur-den wiederverwendet. Baustoffbörsen oder Bauhöfe, die heutigen Zwischenhändler,gab es damals allerdings nicht; die zur Wiederverwendung bestimmten Gebäu-de wurden von den Bauherren aufgekauft, sorgfältig abgetragen und direkt ver-baut. Dem arbeitsintensiven Prozess einer die Bausubstanz erhaltenden Demon-tage kam zudem entgegen, dass einem Bauherrn mit den breiten landlosen Un-terschichten eine große Zahl von billigen Arbeitskräften zur Verfügung stand.

Versetzen ganzer GebäudeNeben der materiellen Wiederverwendung, bei der Materialien eines abge-bauten Vorgängergebäudes in einem neuen Zusammenhang verarbeitet undgefügt werden, fand vielfach auch eine direkte Form der Zweitverwendungstatt, nämlich das Versetzen ganzer Gebäude. Bei einer Versetzung, in derFachsprache der Denkmalpfleger als „Translozierung“ bezeichnet, werden gro-ße Teile eines Gebäudes ihrem bestehenden konstruktiven Zusammenhang aneine andere Stelle gebracht. Hierfür gibt es eine Reihe spektakulärer Beispie-le. So wurde von Fällanden bei Zürich im Jahr 1511 ein Haus nach Wiedikonüber eine Luftdistanz von 9 km versetzt. In unbezahlter Fronarbeit von je einemTag bauten die Lehensleute des Klosters der Dominikanerinnen von Oetenbach,welches das Haus für 88 Pfund gekauft hatte, das Haus ab und transportier-ten das Holzwerk mit Hilfe von 116 Pferden an den neuen Standort. 73 Tagelang arbeiteten die Zimmerleute am Abbruch und Wiederaufbau. Besondersausgekochte Bauern machten sogar ein Geschäft daraus, aus dem Waldbe-stand ihrer Gemeinden unentgeltlich Bauholz für den Eigenbedarf zu beantra-

Holz in der WiederverwendungChristoph Schindler

gen und das Gebäude bald nach der Errichtung nach auswärts zu verkaufen. Blockbauten, Fachwerkbauten und andere Holzkonstruktionen sind besonders

dazu geeignet, an einen neuen Ort verbracht zu werden. Genaugenommenwird jeder Fachwerkbau schon ein erstes Mal vor seiner Fertigstellung versetzt,da er zunächst auf dem Zimmerplatz abgebunden, dort probeweise zusam-mengefügt und erst danach zerlegt an den Bauplatz zum Aufrichten gebrachtwird. Daher sind die Bauteile bereits bei der Erstverwendung mit ihre Positionim Gebäude eindeutig beschreibenden Abbundzeichen markiert, was ihre Zu-ordnung auch beim Versetzen wesentlich erleichtert. Das Auseinandernehmenvon Holzhäusern war bis zur Neuzeit gut möglich, weil fast nur Holzverbindun-gen und großformatige Holznägel, aber keine Eisennägel verwendet wurden.Allerdings darf man sich das Zerlegen und Wiederaufbauen eines Gebäudesauch nicht zu einfach vorstellen, da durch das Schwinden und Arbeiten desHolzes mit der Zeit ein ineinander verkeiltes, satt sitzendes Baugefüge entstand.

Mitunter wurden kleinere Gebäude sogar im Ganzen transportiert. Im mär-kischen Sauerland wurden prunkvoll ausgemalte eichene Kornspeicher unzer-legt auf Rollen gesetzt und mit der Mitgift der Braut auf den Hof des Bräuti-gams gerollt, wobei einmal acht Pferde und fünfzig Männer am Transport be-teiligt gewesen seien sollen. Ähnliches Brauchtum kennen wir aus der Telemarkin Norwegen. Dass zahlreiche Gäste zu solchen Verschiebungen kamen unddiese zu einem Volksfest auswachsen konnten, ist leicht nachvollziehbar.

Untersuchungen im Landschaftsverband Westfalen-Lippe zeigen, dass Wieder-verwendung von Bauholz in Form einzelner Bauteile oder ganzer Gebäude kei-ne Seltenheit war. In mindestens 19 von 60 gründlich analysierten Bauten ausden Altkreisen Bielefeld, Halle und Herford wurden zweitverwendete Bauhöl-zer verzimmert. Von 100 Häusern im Weserdorf Hemeln wurden im 18. und19. Jahrhundert fünf im Ort versetzt, eines von außen angekauft und drei nachaußen verkauft. Die gleiche Menge an Bauten ist durch wesentliche Umbautenalter Gerüste oder Wiederverwendung von Altholz entstanden, so dass wir ins-gesamt von einem Anteil von 20 % wiederverwendeter Bausubstanz sprechenkönnen. In Ahaus-Wüllen konnten 27 Speicher auf Bauernhöfen nachgewie-sen werden. Von diesen waren 20 aus Fachwerk erstellt, von denen sich 10 alsmindestens einmal versetzt erwiesen.

“Der schon allenthalben so großen Theuerung des Holzes zusteuern, dem noch größeren Mangel desselben für die nahe Zu-kunft abzuhelfen, […] das sollte jetzt billig ein Hauptaugenmerkder Deutschen seyn”, heißt es in einem ‘Almanach der Fortschritte’von 1798. “Steigende Holzknappheit erfordert europaweites Um-denken”, proklamiert fast im gleichen Duktus die Studie eines öster-reichischen Beratungsunternehmens im November 2007: DerWaldbestand wachse, aber das Holz werde knapp. Wolle die EUgemäß ihrer Zielvereinbarung bis zum Jahr 2020 einen Anteil von20 % an erneuerbaren Energien erreichen, müsse sie ihre Holz-importe mehr als verdoppeln. Ein transkontinentaler Handel hät-te massive Preissteigerungen zur Folge.

linke Seite:Eckverbindung eines Speichers inBlockbauweise aus wiederverwendetetenBalken in Evolène, Val d'Hérens, Wallis,Schweiz. Foto: Christoph Schindler

rechts:Streeter's Windmühle, East-Sussex,England. Unter dem Bild steht folgenderText: "This mill was drawn on the 28th of March 1797 from Regency Square toye Dyke Road Brighton, a distance ofover two miles, by 86 oxen which belon-ged to the following gentlemen WilliamStanford Esqu. of Preston…"

unten:demontierte und liegend zusammengefüg-te Fachwerk-Giebelwand. Foto: KlausThinius-Hüser

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Von Vorfertigung bis Fertighaus

rechte Seite: Das von Robert Roller 1872 für den Textilfabrikanten Hans Schafroth inBurgdorf erbaute “Chalet Suisse” wurde 1990 in das Freilichtmuseum Ballenberg,Schweiz, versetzt. Foto: Christoph Schindler

Gemeinschaftswohnhaus für die Seitogakushi-Schule von Shin Takasuga auf derPazifikinsel Miyake, Japan, 1975 - 80: Gebrauchte Bahnschwellen fungieren als uni-verselles Bauelement vom Baukörper über den Dachstuhl bis zu den eingebautenMöbeln. Foto: Urs Meister

Pool House von Bohlin Cywinski Jackson und James Cutler in Bellevue, Washington:Wiederverwendung von Douglasie Vollholzprofile aus dem Abbruch der Long-BellLumber Mill in den 1980er Jahren in Longview (Washington), dem in den 1920erJahren größten Sägewerk der Welt.

Ferienwohnungen von Martin Feiersinger in Ramsau, Zillertal, Österreich: Der neueMassivbau wurde mit dem unbehandelten Holz der abgetragenen Scheune eingekleidet.Foto: Martin Feiersinger

Literatur1. Gerner, Manfred. Altholz.Gesuchter Baustoff oder Abfall? in: mikado, Magazin fürHolzbau und Ausbau 06/1997, S. 30 – 33; Weka Verlag, Augsburg 1997 2. Gschwend, Max. Das versetzbare Haus; in: ARMOS, Ausgabe zu Ehren von ProfessorN.K. Moutsopoulo, Aristoteleio Universität Thessaloniki, Technische Universität,Fakultät für Architektur3. Hermann, Isabel. Die Bauernhäuser des Kanton Zürich. Züricher Weinland,Unterland und Limmattal; Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde, Basel 1997 4. Kaspar, Fred. Bauten in Bewegung. Von der Wiederverwendung alter Hausgerüste,vom Verschieben und vom Handel mit gebrauchten Häusern, von geraubten Spolien,Kopien und wiederverwendeten Bauteilen; von Zabern Verlag, Mainz 20075. Volmer, Lutz. Translozierung von Baugefügen und Zweitverwendung von Bauholz; in:Kaspar, Fred. Bauten in Bewegung; siehe 4., S. 113 – 126 6. Merl, Adolf. Wiederverwendung, Weiterverwendung, Recycling, thermische Nutzung;in: Zuschnitt 24, S. 18 – 19, proHolz Austria, Dez. 2006

Das Schweizer Haus: Keimzelle des FertigbausEdwin HuwylerKarin von Wietersheim Eskioglou

“Die verschiedenen Stile alter Schweizer Blockbauten, die ro-buste, seit Jahrhunderten bewährte Konstruktion, deren male-rische Formgebung so gut mit der Landschaft harmoniert, die-nen als Vorbild für die Chalet Konstruktion und Gestaltung. ...Diese Chalets werden als Tafeln in der Fabrik zusammenge-baut und an jeden beliebigen Ort transportiert; mit Ausnahmedes Fundaments kann ein vollständiges Chalet innerhalb von30 Tagen produziert, versandt und errichtet werden. ... DasSchweizer Chalet von heute ist über die ganze Welt verstreut.Das Chalet Motiv ist nicht schweizerisch; es ist ebenso wenigaus dem Tirol wie aus dem Himalaya. Es ist universell. Unddurch seine ihm innewohnende Schönheit passt es sich an je-den Bauplatz und jede Bedingung an, so lange reichlich Landzur Verfügung steht und auf ein malerisches Erscheinungsbildund Harmonie mit der natürlichen Umgebung Rücksicht ge-nommen wird.”

William S. B. Dana, 1913

Wiederverwendung im 20. JahrhundertBis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein waren sowohl die Translozie-rung wie auch de Handel mit gebrauchten Bauteilen von wirtschaftlichen Über-legungen bestimmt. Nachdem die Wiederverwendung von Baustoffen in den zer-störten Städten nach 1945 noch einmal eine zentrale Rolle spielte, sank der Wertdes Baumaterials bis 1960 soweit, dass man bei Altbauten nicht mehr das Ma-terial sortierte und einer Wiederverwendung zuführte, sondern diese in Gänzedurch Abbruchmaschinen zerstören und anschließend als Bauschutt auf Depo-nien bringen ließ. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sollen 1990 inder Bundesrepublik insgesamt 22.6 Millionen Tonnen Bauschutt angefallen sein.Hiervon wurden nur noch 16 % weiter verwertet – in untergeordneter Form durchZerkleinerung von Steinen zu Schotter und Holz zu Spänen und Fasern. Seit derzweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielten die traditionellen Gründe der Wie-derverwendung so gut wie keine Rolle mehr. Wenn heute die Wiederverwen-dung von Baumaterialien mit Argumenten einer ‘Nachhaltigkeit’ in der Entwick-lung gefordert und gefördert wird und hierzu Baustoffbörsen und Bauhöfe zurSammlung und Lagerung his-torischer Baustoffe eingerichtet werden, sind nichtmehr ökonomische, sondern ökologische oder denkmalpflegerische Überlegun-gen ausschlaggebend. Dementsprechend besteht die gehandelte Bausubstanznach wie vor aus historischen Fachwerk- und Blockbauten. Dies hat aber nichtnur denkmalpflegerische Hintergründe: Mit der Einführung leichter Holzrahmen-bauten nach amerikanischem Vorbild wurden die Konstruktionen so fragil, dasses nicht mehr möglich war, deren genagelte und geleimte Verbindungen zu lö-sen, ohne die Bausubstanz zu schädigen. Mit anderen Worten: die Holzbau-konstruktionen der Moderne eignen sich nicht für eine Wiederverwendung. Einezusätzliche Herausforderung stellt das Auffinden und Entfernen der Nägel dar,die zu Tausenden in den modernen Holzbau-Konstruktionen stecken. Ein durch-schnittlicher nordamerikanischer Wohnbau soll 75.000 metallische Verbindun-gen enthalten, die meisten davon Nägel. Fassadenelemente und Verschalungensind zudem so knapp dimensioniert, dass für deren durch natürliche Verrottungbegrenzte Lebensdauer eine Zweitverwendung gar nicht mehr in Frage kommt.

Wenn wir also noch einmal zur eingangs gestellten Frage zurück kommen,was denn die prognostizierte Holzverknappung für den aktuellen Holzbau be-deuten könne, geht es nicht nur um den Rückgriff auf gebrauchte Bausubstanzin zerspanter Form, so wie wir beispielsweise Recycling-Toilettenpapier aus Alt-papier kaufen. Ein Anknüpfen an die Erfahrung früherer Jahrhunderte bedeu-tet vielmehr, beim Erstellen von Neubauten unsere gegenwärtigen Konstruktio-nen und Verbindungen so zu modifizieren, dass nach deren Demontage nichtdie Weiterverarbeitung zu Pellets das einzig denkbare Szenario ist. Unser kur-zer Blick in die Historie vermittelt aber auch, dass die Wiederverwendung vonBauteilen keine Frage von Denkmal- oder Klimaschutz ist, sondern unmittelbarmit dem Verhältnis von Material- und Arbeitskosten eines Baus zusammenhängt.Die historischen Strategien der Wiederverwendung waren nur mit einem immen-sen Arbeitsaufwand durchzuführen, der wegen der geringen Entlohnung gegen-über dem Material kaum ins Gewicht fiel, so dass wir wohl dort (vorerst) nichteinfach wieder anknüpfen können. Angesichts einer unausweichlichen energe-tischen Wende macht dies die Frage nach einem zeitgemäßen Umgang mit ge-brauchtem Bauholz umso interessanter.