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Wissenschaft und Fortbildung BZB September 15 67 Das Behandlungskonzept von dento-alveolären Ver- letzungen hängt neben der Art des Traumas auch vom Stand des Wurzelwachstums des betroffenen Zahns ab. Da sich das Regenerationspotenzial der Pulpa mit fortschreitendem Reifegrad der Wurzel verringert, ist bei Zähnen mit abgeschlossenem Wurzelwachstum – je nach Schweregrad der Ver- letzung – häufiger mit einer Pulpanekrose zu rech- nen als bei unreifen Zähnen. Kommt es allerdings bei Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzel- wachstum zur Infektion und Nekrose der Pulpa, er- schweren das weite apikale Foramen und die dün- nen Wurzelwände die endodontische Behandlung. Klassifikation von Verletzungsmustern In der dento-alveolären Traumatologie unterschei- det man Zahnhartsubstanzverletzungen von Dis- lokationsverletzungen sowie eine Kombination bei- der Verletzungsmuster. Die Abbildungen 1 und 2 be- schreiben die verschiedenen Verletzungsmuster. Je nach Schweregrad dieser traumatischen Ereignisse kann kurz- oder langfristig eine Pulpanekrose ent- stehen, weshalb eine sorgfältige Untersuchung, Diagnosestellung und Dokumentation sowie ent- sprechende Nachuntersuchungen vonnöten sind. Wurzelwachstum zum Zeitpunkt des Unfalls Der Stand des Wurzelwachstums zum Zeitpunkt des Unfalls spielt eine entscheidende Rolle bei der Behandlung. Die unreife Wurzel ist charakterisiert durch ein weit offenes Foramen apicale, eine ver- hältnismäßig kurze Wurzel mit weitem Wurzel- kanallumen und dünne Wurzelwände. Im Falle einer Pulpanekrose erschweren diese Punkte eine endodontische Behandlung. Allerdings erhöhen sie das regenerative Potenzial bei Zahntraumata, da die kurze, kräftige Pulpa bis zu einem gewis- sen Grad widerstandsfähiger ist als bei reifen Zäh- nen und unter bestimmten Voraussetzungen über das apikale Foramen eine Revaskularisierung er- folgen kann [2]. Zähne mit abgeschlossenem Wurzelwachstum wei- sen hingegen ein langes, relativ dünnes Wurzel- kanallumen mit einem entsprechenden Gefäß- Nerven-Komplex auf. Diesem fehlt die Stabilität und Dehnbarkeit der Pulpa eines unreifen Zahns und das schmale apikale Foramen sowie der lange Wurzelkanal erschweren eine Revaskularisierung. Ein apikales Foramen mit einem Durchmesser, der kleiner ist als 1,1 Millimeter, vermindert den Dento-alveoläre Traumatologie Nicht abgeschlossenes versus abgeschlossenes Wurzelwachstum Ein Beitrag von Dr. Barbara Holzschuh, Bergen Abb. 1: Klassifikation und Beschreibung von Zahnhartsubstanzverletzungen. Detaillierte Behandlungsprotokolle sind den „IADT Guidelines“ zu entnehmen [1]. Abb. 2: Klassifikation und Beschreibung von Dislokationsverletzungen. Detaillierte Behandlungsprotokolle sind den „IADT Guidelines“ zu entnehmen [1].

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Wissenschaft und Fortbildung BZB September 15 67

Das Behandlungskonzept von dento-alveolären Ver-letzungen hängt neben der Art des Traumas auchvom Stand des Wurzelwachstums des betroffenenZahns ab. Da sich das Regenerationspotenzial derPulpa mit fortschreitendem Reifegrad der Wurzelverringert, ist bei Zähnen mit abgeschlossenemWurzelwachstum – je nach Schweregrad der Ver-letzung – häufiger mit einer Pulpanekrose zu rech-nen als bei unreifen Zähnen. Kommt es allerdingsbei Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzel-wachstum zur Infektion und Nekrose der Pulpa, er-schweren das weite apikale Foramen und die dün-nen Wurzelwände die endodontische Behandlung.

Klassifikation von VerletzungsmusternIn der dento-alveolären Traumatologie unterschei-det man Zahnhartsubstanzverletzungen von Dis-lokationsverletzungen sowie eine Kombination bei-der Verletzungsmuster. Die Abbildungen 1 und 2 be-schreiben die verschiedenen Verletzungsmuster. Jenach Schweregrad dieser traumatischen Ereignissekann kurz- oder langfristig eine Pulpanekrose ent-stehen, weshalb eine sorgfältige Untersuchung,Diagnosestellung und Dokumentation sowie ent-sprechende Nachuntersuchungen vonnöten sind.

Wurzelwachstum zum Zeitpunkt des UnfallsDer Stand des Wurzelwachstums zum Zeitpunktdes Unfalls spielt eine entscheidende Rolle bei derBehandlung. Die unreife Wurzel ist charakterisiertdurch ein weit offenes Foramen apicale, eine ver-hältnismäßig kurze Wurzel mit weitem Wurzel-kanallumen und dünne Wurzelwände. Im Falleeiner Pulpanekrose erschweren diese Punkte eineendodontische Behandlung. Allerdings erhöhensie das regenerative Potenzial bei Zahntraumata,da die kurze, kräftige Pulpa bis zu einem gewis-sen Grad widerstandsfähiger ist als bei reifen Zäh-nen und unter bestimmten Voraussetzungen überdas apikale Foramen eine Revaskularisierung er-folgen kann [2]. Zähne mit abgeschlossenem Wurzelwachstum wei-sen hingegen ein langes, relativ dünnes Wurzel-kanallumen mit einem entsprechenden Gefäß-Nerven-Komplex auf. Diesem fehlt die Stabilitätund Dehnbarkeit der Pulpa eines unreifen Zahnsund das schmale apikale Foramen sowie der langeWurzelkanal erschweren eine Revaskularisierung.Ein apikales Foramen mit einem Durchmesser,der kleiner ist als 1,1 Millimeter, vermindert den

Dento-alveoläre TraumatologieNicht abgeschlossenes versus abgeschlossenes Wurzelwachstum

Ein Be i t rag von Dr. Barbara Holzschuh, Bergen

Abb. 1: Klassifikation und Beschreibung von Zahnhartsubstanzverletzungen. Detaillierte Behandlungsprotokolle sind den „IADT Guidelines“ zu entnehmen [1].

Abb. 2: Klassifikation und Beschreibung von Dislokationsverletzungen. DetaillierteBehandlungsprotokolle sind den „IADT Guidelines“ zu entnehmen [1].

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Blutfluss in den Wurzelkanal. Dieser führt Stamm-zellen mit sich und fördert auf diese Weise eine Re-vaskularisierung [3].Treten Zahnhartsubstanzverletzungen isoliert auf,sind die primären Behandlungsziele die Vitalerhal-tung der Pulpa und die Rekonstruktion des Zahns.Sobald die Fraktur auch das Dentin betrifft, ist einesofortige (adhäsive) Abdeckung der Dentinwundenötig, um das Eintreten von Bakterien in die Den-tintubuli zu verhindern. Im Falle einer eröffnetenPulpa kommt bei reifen Zähnen neben der partiel-len Pulpotomie zur Vitalerhaltung der Pulpa ausprothetischer Sicht auch eine endodontische The-rapie infrage, da hierbei mit weniger Komplikatio-nen zu rechnen ist als bei Zähnen mit nicht abge-schlossenem Wurzelwachstum. Aus diesem Grundsollte bei Zähnen mit unreifer Wurzelbildung im-mer die Vitalerhaltung der Pulpa im Vordergrundstehen. Diese kann durch eine partielle Pulpotomie,um oberflächlich eingedrungene Bakterien zu ent-fernen, am besten gewährleistet werden [4].Im Gegensatz dazu kompromittieren schwere Dis-lokationsverletzungen (laterale Dislokation, Extru-sion und Intrusion) das Gefäß-Nerven-Bündel sostark oder führen zu einem Abriss desselben (Avul-sion, Extrusion), dass unter Umständen kurz- oderlangfristig eine endodontische Therapie nötig wird.Während Zähne mit abgeschlossenem Wachs-tum bei solch gravierenden Luxationen langfristigfast immer einer Pulpanekrose unterliegen, ist dieÜberlebenschance der Pulpa von Zähnen mit un-reifem Wurzelwachstum deutlich höher (Abb. 3)[5-10]. Haben die verunfallten Zähne zusätzlich ei-ne Verletzung der Zahnhartsubstanz erlitten, sinktdie Überlebensrate der Pulpa sowohl für reife alsauch unreife Zähne deutlich (Abb. 4) [11-13].

PulpadiagnostikIn der dento-alveolären Traumatologie ist eine kri-tische Pulpadiagnostik von entscheidender Bedeu-tung. Eine endodontische Therapie sollte bei Zäh-nen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstumerst bei eindeutigen Zeichen der Pulpanekrose ein-geleitet werden, um der Wurzel die Chance zurApexogenese zu geben.Der Sensibilitätstest ist dabei nicht immer ein ein-deutiger Indikator. So können vitale Zähne am Un-falltag selbst und etliche Wochen später noch einenegative Sensibilität aufweisen, da das Gefäß-Ner-ven-Bündel durch Quetschung oder Einblutung be-einträchtigt wurde [14]. Deshalb ist auch nach demUnfall eine regelmäßige Überprüfung der Sensibili-tät des Zahns nötig. Eine Regeneration des Gefäß-Nerven-Stranges ist bei unreifen Zähnen frühestensnach 36 Tagen und bei reifen Zähnen nach zweibis drei Monaten zu erwarten. Hat die Pulpa amUnfalltag jedoch sensibel reagiert und antwortetim Abstand zum Trauma nicht mehr auf einenSensibilitätstest, so ist von einer Pulpanekrose aus-zugehen. Liegt der Unfall allerdings einige Mo-nate zurück, muss mittels eines Röntgenbilds eineObliteration der Pulpa ausgeschlossen werden, dadiese besonders nach Luxationsverletzungen un-reifer Zähne auftreten kann [15,16]. Dabei ist dieObliteration des Pulpakanals ein Zeichen für Den-tinoblastenaktivität und somit für eine vitale Pul-pa. Allerdings sollten auch in diesem Fall regelmä-ßige röntgenologische Kontrollen stattfinden, umeine apikale Parodontitis als Folge einer unbemerk-ten Pulpanekrose auszuschließen [16].Auch eine Verfärbung der Zahnkrone lässt nichtsicher auf eine Pulpanekrose schließen. Durch dieSchädigung des Gefäß-Nerven-Bündels kann es

Abb. 3: Überlebensrate der Pulpa in Abhängigkeit vom Wurzelwachstum nach Dislokationsverletzungen (n = 1622)

Abb. 4: Überlebensrate der Pulpa in Abhängigkeit vom Wurzelwachstum nach Kom -binationsverletzungen (Dislokations- und Zahnhartsubstanzverletzungen) (n = 624)

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zu perivaskulären Blutungen kommen, die sich indie Dentinkanälchen einlagern [17]. Während beieiner vitalen Pulpa die Zahnverfärbung über meh-rere Wochen hinweg oft im Zusammenhang mitder Rückkehr einer positiven Sensibilität verblasst[18], kommt es bei einer Pulpanekrose zu einer gräu-lichen oder bräunlichen Verfärbung des Zahns,die ohne endodontische Therapie nicht rückläufigist. Außerdem verringert sich die Transluzenz derKrone durch das zerfallene Gewebe in den Dentin-kanälchen, was sich durch Transillumination miteiner Polymerisationslampe relativ einfach über-prüfen lässt. Häufig ist nach der endodontischenTherapie ein internes Bleichen nötig, um die Ver-färbung der Zahnkrone zu entfernen. Eine gelb-liche Verfärbung der Zahnkrone etliche Monatenach dem Unfall lässt wiederum auf eine Dentin-apposition im Zusammenhang mit einer Oblite-ration des Pulpakanals und somit auf eine vitalePulpa schließen.

RöntgendiagnostikEine röntgenologische Kontrolle des Zahns ist beiunsicherer Pulpadiagnostik unerlässlich. Dabeisind vor allem der Periapex, der Parodontalspaltund das Wurzelwachstum zu beurteilen. Ist imRöntgenbild auch nach mehreren Monaten einStillstand des Wurzelwachstums zu beobachten, soist dies ein sicheres Zeichen für eine Pulpanekrose,wohingegen ein Fortschreiten der Wurzelbildungoder eine Obliteration der Pulpa immer auf ein vi-tales Gefäß-Nerven-Bündel hinweisen. Eine api-kale Parodontitis hingegen ist ein sicheres Zeichenfür eine Pulpanekrose. Allerdings ist diese frühes-tens nach einigen Wochen zu dokumentieren [19].

Nach schweren Dislokationsverletzungen (lateraleDislokation, Intrusion, Avulsion) unreifer Zähne,bei denen das Desmodont und die Wurzeloberflä-che geschädigt wurden, ist eine radiologische Kon-trolle des Parodontalspalts und der Wurzelstrukturunabdingbar, um Resorptionen der Wurzel auszu-schließen [20]. Man unterscheidet Ersatzresorptio-nen von entzündlichen Resorptionen der Wurzel.Dabei tritt eine Ersatzresorption im Zusammen-hang mit einer Ankylose nach Replantation avul-sierter Zähne auf, die zu lange unphysiologischoder trocken gelagert wurden. Der Parodontalspaltist im Röntgenbild nicht mehr sicher zu erkennen,da die Wurzel resorbiert und der dadurch entstan-dene Defekt durch Knochen ersetzt wird (Abb. 5und 6). Ursächlich ist die Schädigung des Desmo-donts der Wurzeloberfläche.Die entzündliche Resorption hingegen wird durchdie gleichzeitige Nekrose von Parodontalzellen aufder Wurzeloberfläche und die bakterielle Infektionder Pulpa verursacht. Makrophagen werden überToxine, die aus den Dentinkanälchen ausströmen,aktiviert. Die Osteoklasten verursachen überalldort eine entzündliche Resorption der Wurzel, wodie Wurzeloberfläche verletzt wurde. Im Röntgen-bild sind frühestens nach sechs Wochen einzelneoder mehrere Resorptionslakunen sichtbar. Diesebreiten sich rapide aus und können in kurzer Zeitzu einer vollständigen Resorption der Zahnwurzelführen. Mit dem sofortigen Einleiten einer endo-dontischen Therapie wird die Osteoklastenaktivi-tät gestoppt und die entzündliche Resorption be-endet (Abb. 7 und 8).Sind der röntgenologische und der klinische Befundüber einen längeren Zeitraum nicht eindeutig, so

Abb. 5: Avulsion und Replantation desZahns 11 nach dessen 60-minütigertrockener Lagerung. Schienung mitDrahtligaturen.

Abb. 6: 18 Monate nach dem Trauma.Der Zahn 11 zeigt ausgeprägte Ersatz-resorptionen im apikalen Bereich derWurzel.

Abb. 7: Zustand nach Avulsion undReplantation sowie rigider Schienungdes Zahns 11. Intrusion des Zahns 12sowie Schmelz-Dentin-Frakturen derZähne 12, 11 und 21.

Abb. 8: Zustand elf Wochen nach demTrauma. Insuffiziente Versorgung derSchmelz-Dentin-Fraktur und ausge-prägte Resorptionslakunen an Zahn 11.

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bietet die Probetrepanation eine Möglichkeit zurPulpadiagnostik. Voraussetzung dafür sind einaseptisches Arbeiten bei absoluter Trockenlegungmittels Kofferdam und eine ausreichende Vergrö-ßerungshilfe (Lupenbrille oder Operationsmikro-skop). Durch die Trepanation des Zahns wird dieSicht auf das Gefäß-Nerven-Bündel erreicht. Stelltsich dieses ausreichend durchblutet, ohne Hyper-ämie oder starke Blutung dar, ist die Pulpa imSinne einer direkten Überkappung oder partiellenPulpotomie mit Mineraltrioxidaggregat (MTA)oder einem Calciumhydroxidpräparat (Ca(OH)2)zu behandeln, gefolgt von einer Abdeckung ausGlasionomerzement und einem adhäsiven Ver-schluss. Dabei muss keine positive Sensibilität ge-geben sein. Die Blutstillung sollte im besten Fallnicht nötig sein oder mit Natriumhypochlorit(NaOCl) erfolgen [21]. Ist das Gefäß-Nerven-Bün-del anämisch oder bläulich-livide verfärbt undkommt es zu einer nicht stillbaren Blutung aus demWurzelkanal oder ist das Pulpagewebe zerfallen,ist eine endodontische Therapie einzuleiten.

Behandlung von Zähnen mit nicht abgeschlos-senem Wurzelwachstum nach dento-alveoläremTraumaEine vitale Pulpa in einem Zahn mit nicht abge-schlossenem Wurzelwachstum induziert bei intak-ter apikaler Papille die vollständige Apexogenesedes Zahns. Die Wurzel erfährt dadurch ein Län-gen- und Dickenwachstum, was dem Zahn eineausreichende Stabilität und langfristig eine gutePrognose verleiht. Pulpanekrosen bei unreifen Zäh-nen lassen sich durch Apexifikation oder durch ei-ne regenerative Therapie behandeln. Die Apexifi-kation induziert entweder durch mehrmalige lang-zeitige Einlagen von Ca(OH)2 oder durch einenapikalen „Plug“ mit MTA [22] die Bildung vonHartgewebe im Bereich des apikalen Foramens.Nach der initialen Wurzelkanalbehandlung mitLängenbestimmung, Wurzelkanaldesinfektion, ge-eignetem Spülprotokoll und medikamentöser Ein-lage wird bei der Apexifikation mit MTA direkt dasapikale Foramen mit dem Zement verschlossen.Die Apexifikation mit Ca(OH)2 benötigt mehrereMedikamentenwechsel über einen Zeitraum von6 bis 18 Monaten, bevor eine konventionelle Wur-zelfüllung mit Sealer und Guttapercha durchge-führt werden kann. In beiden Fällen lagert sichzementähnliches Gewebe um den Periapex. Dasweite Wurzelkanallumen und die dünnen Wurzel-wände verbleiben allerdings. Dadurch ist für diese

Zähne das Frakturrisiko im zervikalen Bereich er-höht. Eine interne Stabilisierung mittels Mono-block (adhäsiv befestigte Glasfasersysteme) ist des-halb zu empfehlen [23].Die regenerative Therapie zielt auf eine Revasku-larisierung des Zahns ab. Das weite apikale Fora-men unreifer Zähne ermöglicht ein Auswandernvon Stammzellen aus der apikalen Papille. Voraus-setzung dafür ist eine vollständige Desinfektiondes Wurzelkanalsystems, die nach Entfernung vonGeweberesten und der Spülung mit NaOCl mit ei-ner Ca(OH)2-Einlage oder durch eine medikamen-töse Behandlung auf Basis dreier Antibiotika zuerzielen ist [24]. Im Anschluss an die Desinfektionsollte der Wurzelkanal mit 17-prozentiger EDTA(Ethylendiamintetraessigsäure) gespült werden,um die Wachstumsfaktoren des Dentins zu akti-vieren. Ein Überinstrumentieren über den Apex hi-naus schafft eine Einblutung in den Wurzelkanal.Sie bildet die Matrix für das neue Gewebe undtransportiert die Stammzellen der apikalen Papillein den Wurzelkanal.Nachdem sich die Matrix stabilisiert hat, erfolgtein bakteriendichter koronaler Verschluss mittelsMTA und Komposit. Ein Erfolg der Revaskularisie-rung ist gegeben, wenn im Röntgenbild die apikaleLäsion ausgeheilt ist und das Wurzelwachstumfortschreitet. Der revaskularisierte Gefäßkomplexim Pulpakanal ist allerdings nicht mit dem ur-sprünglichen Pulpagewebe zu vergleichen, dasheißt, er induziert nicht nur die Bildung von Den-tin an den Wurzelkanalwänden, sondern es kommtim Wurzelkanal auch zur Einlagerung von desmo-dontalem Gewebe, Zement und Knochen [25]. Dafür die regenerative Therapie noch keine Leitlinienzum Behandlungsprotokoll und keine Langzeit-studien existieren, ist diese Behandlung haupt-sächlich bei Zähnen zu empfehlen, die auch durcheine Apexifikation eine schlechte Prognose behal-ten, also für nekrotische unreife Zähne, die sehrdünne Wurzelwände aufweisen und somit starkfrakturgefährdet sind [26].

PatientenbeispielEine neunjährige Patientin stellte sich 45 Minutennach einem Unfall mit dem Skateboard alio locoim zahnärztlichen Notdienst vor. Der Zahn 11 waravulsiert und in Kochsalzlösung gelagert. EineSchädigung des parodontalen Gewebes auf derWurzeloberfläche konnte nicht ausgeschlossenwerden, da der Zahn kurzzeitig in ein Taschentucheingewickelt war. Die Zähne 12 und 21 waren

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zweiten Grades gelockert und wiesen eine Schmelz-Dentin-Fraktur auf. Der avulsierte Zahn 11 wurdeohne Zwischenlagerung in einem physiologischenMedium replantiert und flexibel mit den Zähnen12 und 21 geschient. Eine Sensibilitätsprüfung derZähne 12 und 21 lag nicht vor.Am nächsten Tag wurden zur Kontrolle ein Rönt-genbild angefertigt (Abb. 9) und eine Sensibilitäts-prüfung durchgeführt. Bei den Zähnen 12, 11 und21 war das Wurzelwachstum noch nicht vollstän-dig abgeschlossen. Beim Zahn 11 war der kritischeDurchmesser des apikalen Foramens von 1,1 Milli-metern unterschritten. Aus diesem Grund wurdebei diesem Zahn eine endodontische Therapie miteiner medikamentösen Einlage (Ledermix) einge-leitet. Die Sensibilitätsprüfung der Zähne 12 und21 war negativ. Die Schmelz-Dentin-Frakturenwurden adhäsiv mit einem fließfähigen Kompo-sit abgedeckt, um nach Schienenentfernung dieendgültige adhäsive Rekonstruktion durchführenzu können.Da aufgrund des Ausgangsbefunds eine Ankylosedes Zahns 11 nicht ausgeschlossen werden konnte,wurde eine Woche nach seiner Trepanation eineLangzeitmedikation mit Ca(OH)2 durchgeführt.Nach 14 Tagen konnte die Schienung entfernt wer-den und es erfolgte der definitive Kompositaufbauder Zähne 12, 11 und 21. Die Sensibilitätsprüfungder Zähne 12 und 21 war an diesem Termin nega-tiv. Nach 15 Wochen fiel diese bei beiden Zähnenimmer noch negativ aus, weshalb – mit Abspracheund Aufklärung der Eltern und der Patientin –unter Kofferdam und ohne Anästhesie eine Probe-trepanation durchgeführt wurde. Zahn 21 wieseine Pulpanekrose auf und eine endodontischeTherapie wurde eingeleitet. In Zahn 12 hingegenbefand sich im Wurzelkanal ein stabiles, gut durch-blutetes Gefäß-Nerven-Bündel, das allerdings kei-ne Sensibilität aufwies. Nach Blutstillung erfolgtedie Abdeckung der Pulpa im Sinne einer Pulpo-tomie mit einem Ca(OH)2-Präparat. Dieses wurdemit Glasionomerzement abgedeckt, bevor der ko-ronale adhäsive Verschluss erfolgte.Aufgrund der unreifen Wurzel erhielt der Zahn 21einen apikalen „Plug“ mit MTA von sechs Milli-metern und weiter koronal eine interne adhäsiveStabilisierung. Im weiteren Behandlungsverlaufzeigte sich an Zahn 12 eine positive Sensibilitätund im Röntgenbild war ein Fortschreiten des Wur-zelwachstums zu erkennen. Ein Jahr nach dem Un-fall wies der Zahn 11 keine Zeichen einer Ankyloseoder einer Ersatzresorption der Wurzel auf, weshalb

Abb.9: Zustand nach Replantation undflexibler Draht-Komposit-Schienung desZahns 11. Lockerung der Zähne 12 und21 sowie Schmelz-Dentin-Frakturen allerZähne.

Abb. 10: Konventionelle Wurzelfüllungnach Apexifikation mit Ca(OH)2 am Zahn11. Am Zahn 21 Apexifikation mit MTAund interne adhäsive Stabilisierung. Zu-stand nach Probetrepanation vor zehnMonaten am Zahn 12, ein Fortschrittdes Wurzelwachstums ist erkennbar.

Hinweis

Dr. Barbara Holzschuh referiert beim 56. Bayerischen

Zahn ärzte tag. Das ausführliche Programm finden Sie

auf Seite 14 f.

die endodontische Therapie abgeschlossen wurde.Aufgrund der Ca(OH)2-Einlagen über zwölf Mo-nate hinweg war apikal eine Hartsubstanzbar-riere zu tasten, sodass eine konventionelle Wurzel-füllung mit Sealer und Guttapercha durchgeführtwurde (Abb. 10).

ZusammenfassungBei der Behandlung dento-alveolärer Traumata beiZähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachs-tum hat der Erhalt der Vitalität der Pulpa oberstePriorität, um den Abschluss der Wurzelreifung zugarantieren. Das regenerative Potenzial unreiferZähne ermöglicht gute Heilungschancen auch beieröffneter Pulpa, Dislokationsverletzungen oderWurzelfrakturen. Tritt dennoch eine Nekrose derPulpa ein, sind konsequente endodontische Maß-nahmen zu treffen, um den Zahnerhalt zu gewähr-leisten, da ein Zahnverlust im Wachstumsalterlebenslange Konsequenzen hat.

Korrespondenzadresse:Dr. Barbara Holzschuh

Zahnarztpraxis am HochfellnRaiffeisenplatz 2, 83346 Bergen

[email protected]

Literatur bei der Verfasserin