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Gegen den Einheitsbrei Schon das Projektvorhaben richtig kommunizieren «Hier entsteht ein neuer Stadtteil», «Hier wächst Zukunft!». Vielerorts Gerüste, Krane, Bautafeln. In den Ballungszentren wird rege gebaut, vermark- tet und vermietet. Doch was genau entsteht? Was erzählen solche Bautafeln den vorbeifahrenden oder -gehenden Menschen? Leider wenig. Im besten Fall zeigen sie ein liebliches, zart koloriertes Ren- dering der späteren Gebäude. Selbstverständlich aus der optimalen Perspektive, mit blauem Him- mel und glücklichen Familien. Leider bieten aber die wenigsten eine Identifikation an, noch sind sie vertrauenserweckend. Ein Versäumnis, das zu einer breiteren Akzeptanz geführt hätte. Bauen heisst Wachstum und bedeutet Verände- rung. Veränderung ist nicht per se schlecht. Doch das aktuell rasante Wachstum, die zunehmende Dichte und neue Höhe der Gebäude lösen Ängste und auch Verärgerung in der Bevölkerung aus. Grossüberbauungen und der damit einhergehende Abriss alt bekannter Häuser und Geschäfte, die viele Geschichten erlebt haben, der Verlust grüner Wiesen und alter, schiefer Apfelbäume, dies alles verändert vielerorts massiv das Siedlungs- oder Dorfbild. Die Bagger tragen auch ein Stück Heimat- gefühl weg. Die grassierenden Postschliessungen, das Lädeli- und Beizensterben – an ihre Stelle treten höchstens noch die überall gleichen Filialisten – bringen Eintönigkeit und Langeweile. Und Ansäs- sige immer mehr in Aufruhr. Veränderungen in der Projektentwicklung Doch das Blatt hat sich gewendet. Erst waren es die Büro-, dann die Ladenflächen, und neuerdings laufen auch die Wohnungen Gefahr, nach ihrer Fertigstellung unvermietet zu bleiben. In der Baubranche ist jetzt Herausragung aus der Masse gefragt, Nachhaltigkeit durch Partizipation und innovative Ideen. Um aus der Masse herauszura- gen, ist es unumgänglich, vorab eine tragende Idee bezüglich Nutzung und Identität auszuarbeiten. Entsprechende Projekte verdienen eine authenti- sche Kommunikation, die mehr auf Inhalte als auf Äusserlichkeiten eingeht. Die Vernetzung, die Digitalisierung, die sozialen Medien haben zu einem veränderten Verhalten bei- getragen. Oberflächliches wird schnell durchschaut, Engagement und Authentizität sind gefragt. Marken und Unternehmen, die auch zukünftig eine relevan- te Rolle im Leben der Menschen einnehmen wollen, müssen diese gesellschaftlichen Veränderungen verstehen und ihre Chancen auch richtig nutzen. Unternehmen müssen sich vom Wachstumsdenken und von ihrem stark selbstzentrierten Marken- und Produktdenken lösen und stattdessen ihr Augen- merk wieder darauf richten, was die Menschen heute bewegt. Manche Blogs offenbaren mehr über die Sorgen und Bedürfnisse der Menschen als eine breit angelegte Marktforschung. Regula Obi-Hottinger ist diplomierte Planerin Marketing- Kommunikation und PR-Redaktorin. Bei «Intosens» leitet sie die Kommunikation der Projekte und ist Trend-Agentin des interdisziplinä- ren Teams. Zudem beobachtet sie intensiv den Markt und ist zuständig für Zwischennutzungen. Der vorliegende Artikel gehört zur Reihe «Nutzung und Identität», einer Zusammenarbeit von «Architektur+Technik» mit Intosens Urban Solutions AG, Spezialistin für Nutzung und Identität. Um Veränderungen zu kommunizieren, braucht es mehr als nur Worthülsen in Imagebroschüren. «In Szenarien denken, vernetzt denken. Auf keinen Fall davon ausgehen, Gesellschaft und Umfeld, in denen wir heute leben, würden immer so bleiben. Jede Handlung im Gesamtzusammenhang betrach- ten und alle möglichen Konsequenzen bedenken», bezeichnet Peter Metzinger in «Business Campaig- ning» als wichtige Faktoren für Kampagnen mit grosser Wirkung. Campaining ist die Kunst, die Einstellungen von Menschen zu beeinflussen, zu ändern und sie davon zu überzeugen, dass dieses Vorhaben «gut» ist. Weiter heisst es: «Das Arbeiten in der Gruppe stärkt das Involvement und die Identifikation und liefert direkt die erste Fan- Community mit. Nach dem Motto: Menschen, die wissen, für was und wie sie sich engagieren, sind die überzeugendsten Botschafter.» Projektkommunikation versus Vermarktung In der Immobilien- oder Arealentwicklung werden Projekte oft erst zu Vermarktungszwecken kommu- niziert, wenn es darum geht, die Flächen zu ver- mieten. Renommierte Kommunikationsagenturen werden engagiert, die sich oft auf Areal- und Im- mobilienprojekte spezialisiert haben, und schöne Websites und gestylte Verkaufsbroschüren werden erstellt. Sie erfüllen anstandslos die Hauptaufgaben einer Vermarktungs-Kommunikation (CI, Zielgrup- pen und zeitgerechte Information) und schaffen es meist, eine Idee vom späteren Aussehen und Image des Bauprojektes zu vermitteln. Letzteres tun sie gerne mit Fotos von glücklichen Menschen, Kin- dern und Familien aus weltweit vorrätigen Bild- datenbanken. Im gleichen Design ob fürs Berner Oberland oder die Stadt Zug. So kann keine Identi- fikation entstehen. In der Kommunikation wider- spiegeln sich die Denkweise und das kulturelle und soziale Bewusstsein. Im Gegenzug dazu setzt die Projektkommunika- tion beim Projektstart ein, wenn die Vision und die Philosophie des Projektes noch rein und kraftvoll sind. Sie enthält Werte, Charakter und Ziele. Und sie involviert und berücksichtigt beteiligte Diszip- linen und die zukünftigen Nutzer und Anbieter von Anfang an. Schliesslich stammt «Kommunikation» vom lateinischen Wort «communicare», was so viel bedeutet wie teilen, mitteilen und teilnehmen lassen. Der nachhaltige Erfolg vieler Projekte liegt genau darin: Man muss die Akteure teilnehmen lassen. Die Beteiligten werden zu Komplizen. Sind sie bereits bei der Entwicklung dabei, können vorab (Nutzungs-)Anforderungen an die Architekten definiert werden. Dadurch verringert sich das Risiko späterer Bauprojektanpassungen und daraus folgender Aufwände bedeutend. Ein Bauprojekt In den Ballungszen- tren wird rege gebaut, vermarktet und vermietet. Doch was genau entsteht? Foto: intosens ag Die Bagger tragen auch ein Stück Heimatgefühl weg. 6 Aktuell Nutzung und Identität Aktuell Nutzung und Identität 7 Architektur+Technik 1/19 Architektur+Technik 1/19

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Gegen den Einheitsbrei

Schon das Projektvorhaben richtig kommunizieren

«Hier entsteht ein neuer Stadtteil», «Hier wächst Zukunft!». Vielerorts Gerüste, Krane, Bautafeln. In den Ballungszentren wird rege gebaut, vermark-tet und vermietet. Doch was genau entsteht? Was erzählen solche Bautafeln den vorbeifahrenden oder -gehenden Menschen? Leider wenig. Im besten Fall zeigen sie ein liebliches, zart koloriertes Ren-dering der späteren Gebäude. Selbstverständlich aus der optimalen Perspektive, mit blauem Him-mel und glücklichen Familien. Leider bieten aber die wenigsten eine Identifikation an, noch sind sie vertrauenserweckend. Ein Versäumnis, das zu einer breiteren Akzeptanz geführt hätte.

Bauen heisst Wachstum und bedeutet Verände-rung. Veränderung ist nicht per se schlecht. Doch das aktuell rasante Wachstum, die zunehmende Dichte und neue Höhe der Gebäude lösen Ängste und auch Verärgerung in der Bevölkerung aus. Grossüberbauungen und der damit einhergehende Abriss alt bekannter Häuser und Geschäfte, die viele Geschichten erlebt haben, der Verlust grüner Wiesen und alter, schiefer Apfelbäume, dies alles verändert vielerorts massiv das Siedlungs- oder Dorfbild. Die Bagger tragen auch ein Stück Heimat-gefühl weg. Die grassierenden Postschliessungen, das Lädeli- und Beizensterben – an ihre Stelle treten höchstens noch die überall gleichen Filialisten – bringen Eintönigkeit und Langeweile. Und Ansäs-sige immer mehr in Aufruhr.

Veränderungen in der ProjektentwicklungDoch das Blatt hat sich gewendet. Erst waren es die Büro-, dann die Ladenflächen, und neuerdings laufen auch die Wohnungen Gefahr, nach ihrer Fertigstellung unvermietet zu bleiben. In der Baubranche ist jetzt Herausragung aus der Masse gefragt, Nachhaltigkeit durch Partizipation und innovative Ideen. Um aus der Masse herauszura-gen, ist es unumgänglich, vorab eine tragende Idee

bezüglich Nutzung und Identität auszuarbeiten. Entsprechende Projekte verdienen eine authenti-sche Kommunikation, die mehr auf Inhalte als auf Äusserlichkeiten eingeht.

Die Vernetzung, die Digitalisierung, die sozialen Medien haben zu einem veränderten Verhalten bei-getragen. Oberflächliches wird schnell durchschaut, Engagement und Authentizität sind gefragt. Marken und Unternehmen, die auch zukünftig eine relevan-te Rolle im Leben der Menschen einnehmen wollen, müssen diese gesellschaftlichen Veränderungen verstehen und ihre Chancen auch richtig nutzen. Unternehmen müssen sich vom Wachstumsdenken und von ihrem stark selbstzentrierten Marken- und Produktdenken lösen und stattdessen ihr Augen-merk wieder darauf richten, was die Menschen heute bewegt. Manche Blogs offenbaren mehr über die Sorgen und Bedürfnisse der Menschen als eine breit angelegte Marktforschung.

Regula Obi-Hottinger ist diplomierte Planerin Marketing-Kommunikation und PR-Redaktorin. Bei «Intosens» leitet sie die Kommunikation der Projekte und ist Trend-Agentin des interdisziplinä-ren Teams. Zudem be obachtet sie intensiv den Markt und ist zuständig für Zwischen nutzungen.

Der vorliegende Artikel gehört zur Reihe «Nutzung und Iden tität», einer Zusammenarbeit von «Architektur +Technik» mit Intosens Urban Solutions AG, Spezialistin für Nutzung und Identität.

Um Veränderungen zu kommunizieren, braucht es mehr als nur Worthülsen in Imagebroschüren. «In Szenarien denken, vernetzt denken. Auf keinen Fall davon ausgehen, Gesellschaft und Umfeld, in denen wir heute leben, würden immer so bleiben. Jede Handlung im Gesamtzusammenhang betrach-ten und alle möglichen Konsequenzen bedenken», bezeichnet Peter Metzinger in «Business Campaig-ning» als wichtige Faktoren für Kampagnen mit grosser Wirkung. Campaining ist die Kunst, die Einstellungen von Menschen zu beeinflussen, zu ändern und sie davon zu überzeugen, dass dieses Vorhaben «gut» ist. Weiter heisst es: «Das Arbeiten in der Gruppe stärkt das Involvement und die Identifikation und liefert direkt die erste Fan-Community mit. Nach dem Motto: Menschen, die wissen, für was und wie sie sich engagieren, sind die überzeugendsten Botschafter.»

Projektkommunikation versus VermarktungIn der Immobilien- oder Arealentwicklung werden Projekte oft erst zu Vermarktungszwecken kommu-niziert, wenn es darum geht, die Flächen zu ver-mieten. Renommierte Kommunikationsagenturen werden engagiert, die sich oft auf Areal- und Im-mobilienprojekte spezialisiert haben, und schöne Websites und gestylte Verkaufsbroschüren werden erstellt. Sie erfüllen anstandslos die Hauptaufgaben einer Vermarktungs-Kommunikation (CI, Zielgrup-pen und zeitgerechte Information) und schaffen es meist, eine Idee vom späteren Aussehen und Image des Bauprojektes zu vermitteln. Letzteres tun sie gerne mit Fotos von glücklichen Menschen, Kin-dern und Familien aus weltweit vorrätigen Bild-

datenbanken. Im gleichen Design ob fürs Berner Oberland oder die Stadt Zug. So kann keine Identi-fikation entstehen. In der Kommunikation wider-spiegeln sich die Denkweise und das kulturelle und soziale Bewusstsein.

Im Gegenzug dazu setzt die Projektkommunika-tion beim Projektstart ein, wenn die Vision und die Philosophie des Projektes noch rein und kraftvoll sind. Sie enthält Werte, Charakter und Ziele. Und sie involviert und berücksichtigt beteiligte Diszip-linen und die zukünftigen Nutzer und Anbieter von Anfang an. Schliesslich stammt «Kommunikation» vom lateinischen Wort «communicare», was so viel bedeutet wie teilen, mitteilen und teilnehmen lassen. Der nachhaltige Erfolg vieler Projekte liegt genau darin: Man muss die Akteure teilnehmen lassen. Die Beteiligten werden zu Komplizen. Sind sie bereits bei der Entwicklung dabei, können vorab (Nutzungs-)Anforderungen an die Architekten definiert werden. Dadurch verringert sich das Risiko späterer Bauprojektanpassungen und daraus folgender Aufwände bedeutend. Ein Bauprojekt

In den Ballungszen-tren wird rege gebaut, vermarktet und vermietet. Doch was genau entsteht?

Foto: intosens ag

Die Bagger tragen auch ein Stück Heimatgefühl weg.

6AktuellNutzung und Identität

AktuellNutzung und Identität

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Architektur+Technik 1/19 Architektur+Technik 1/19

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mit engagierter Projektkommunikation überzeugt sowohl die Behörden, die Bevölkerung als auch po-tenzielle Miet- oder Kaufi nteressenten. Sie verbin-det die Nutzungen und lässt der Identität Zeit zum Wachsen. Es entsteht gegenseitiges Verständnis auf einer ganz anderen Vertrauensebene, das viel Sicherheit gibt.

Eine Identifikation mit dem Projekt ist zentralDer turbulente Markt benötigt griffige Projekte mit sichtbarer Wirkung. Oft ist die breite Akzeptanz in der Projektentwicklung nötig, und da braucht es die überzeugende Idee, die konsequent und leiden-schaftlich an die Empfänger gebracht wird. Es geht um klare Werte oder um bezahlbaren Arbeits- und Wohnraum oder um neue Lebensformen – nicht für x-beliebige Zielgruppen, sondern für Menschen – für zukünftige Bewohner. Die Botschaft, die an-kommt, ist: Hier bauen wir achtsam für Menschen, die sich an diesem Ort wohlfühlen, die hier gerne leben, und nicht nur für die Rendite. Eine Identifi-kation mit dem Projekt ist zentral. Durch Projekt-kommunikation im Kontext entsteht oft Kult. Die rasche Einprägsamkeit der Charakterzüge ist am

Markt entscheidend, um die Alleinstellungsmerk-male eines Projektes zu vermitteln.

100 Meter hoch wird der JaBee-Tower, der derzeit in Dübendorf ZH gebaut wird. Im Juli 2019 wird das zurzeit höchste Wohnhaus der Schweiz eröffnet, das mit regenbogenfarbenen Riesengiraffen und dem grif-figen Claim «Move to new Horizons» kommuniziert wird. Die 218 Mietwohnungen im ovalen Turm bieten «ionisierte Räume mit Alpenluftqualität» und «be-eindruckende Fernsicht». Diese Argumentation und die aussergewöhnlichen Tiere zeugen von starkem Charakter und prägen sich mit dem ersten Bild ein.

Werden Raum, Nutzung und Identität in Ein-klang zueinander entwickelt, entstehen Orte, die uns glücklich machen. Damit dies gelingen kann, ist es essentiell, eine Nutzungs- und Identitätsentwick-lung von Beginn an in den Bauprozess zu integrieren. Die Vorteile einer integrierten Nutzungs- und Iden-titätsentwicklung sind offensichtlich: Es wird ein Beitrag für einen belebten Ort und eine hohe Lebens-qualität im städtischen Raum geleistet. Das macht Menschen nicht nur glücklicher, sondern wirkt sich auch wertsteigernd auf angrenzende Grundstücke und Quartiere aus. ●

Die Projektkommu-nikation setzt beim Projektstart ein, wenn die Vision und die Philosophie des Projektes noch rein und kraftvoll sind.

«Move to new Horizons»: Der JaBee Tower in Dübendorf wird das höchste Wohnhaus der Schweiz (Bezug Juli 2019).

Foto: Dynamite.ch

Ein Vision haben und sie erlebbar machen.

8AktuellNutzung und Identität

Architektur+Technik 1/19