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HAUPTBEITRAG / BILDPROBLEME } Bildprobleme Horst Bredekamp Um 1890, ein halbes Jahrhundert nach Erfindung der Fotografie, haben Diaprojektoren zunächst die kunsthistorischen und dann die medizinischen und naturwissenschaftlichen Hörsäle erobert, und zur selben Zeit beginnen sie, in Gerichtssälen eingesetzt zu werden. Wer einmal einen der alten Großbild- rahmen dieser Zeit in der Hand gehabt hat, wird an eine Phase erinnert, in der die Reproduktion auch ein haptisches Ereignis war. Das Verstreuen dieser Rahmen auf dem Leuchttisch, das Arrangie- ren von Motivketten und Formgeschichten brachte ein produktives Chaos hervor, an dessen Ordnung auch die Hände beteiligt waren. Die Diapositive wurden in Unterricht und Analyse nicht allein zur Wiedergabe vor einer Menschengruppe, sondern auch zur kritischen Durchdringung des Objektes genutzt. Vergrößerungen machten Details bis zu Strichformen und Papierstrukturen wie unter einer Lupe verfügbar, und die Doppelprojektion erlaubte den systematischen Vergleich von Ikonografien und Stilmitteln. Ebenfalls ein knappes halbes Jahrhundert nach dem nachgerade mythischen, bildgenerierenden ,,sketchpad“ Ivan Sutherlands [4] kann in Bezug auf die Projektion von Digitalbildern eine ähnli- che Bilanz gezogen werden. Sie ist gespalten [2]. Natürlich ist das haptische Erlebnis auf die Be- wegung der Finger auf der Tastatur und der Maus reduziert, und selbstverständlich ist die Menge, die das Auge auf dem Bildschirm erkennen kann, ge- ringer als dies auf dem Leuchttisch möglich war. Dafür aber ist die sofortige, verlustfreie und beliebig häufige Reproduktion der Bilder für unterschied- liche Motivreihen und verschiedene Benutzer ein unschätzbarer Vorteil; zudem entfällt das Rückord- nen. Die Wiedergabe auf dem Bildschirm hat die Finesse, mit der um 1900 das Diapositiv analytisch eingesetzt wurde, erreicht und übertroffen. Die Digitalisierung erlaubt gegenüber Handschriften eine Tiefendifferenzierung, die wie mit einem Mi- kroskop bis in die Fasern des Papieres zu dringen vermag. Der Medienhistoriker Lev Manovich hat vor sieben Jahren die Frage gestellt, ob nicht die gegen das Unendliche strebende Informationsfülle jedes einzelnen Bildes eine prinzipielle Grenze des digi- tal Erreichbaren darstelle. Wo sich nicht farblich oder formal abgetrennte Felder, sondern weich ver- schliffene Übergänge zeigen, könnte, so Manovich, die Grenze erreicht sein, die digitalisierbar sei [5]. Heute ist zu ergänzen, dass dieses Problem allein mehr für die Projektion gilt, dort aber so virulent ist wie eh und je. Bislang erreicht keine von Univer- sitäten erschwingliche Projektionsmöglichkeit die Tiefenbildung eines guten, analog hergestellten Dia- positivs. Da die kunsthistorischen Institute aber seit Jahren auf digitale Projektion umgestellt haben oder zumindest die Möglichkeit anbieten, sind sie in der Falle, entweder die technischen Möglichkeiten der Gegenwart zu verpassen oder die Qualität der Lehre zu verschlechtern. In Hörsälen gelingt es in der Regel erst in den hinteren Reihen, die Farben und Formen als geschlossenes Gebilde wahrzunehmen. Noch im- mer bieten sich krumme Linien als Treppengebilde DOI 10.1007/s00287-007-0209-x © Springer-Verlag 2007 Horst Bredekamp Kunstgeschichtliches Seminar, Humboldt Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin E-Mail: [email protected] Informatik_Spektrum_31_1_2008 9

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HAUPTBEITRAG / BILDPROBLEME }

BildproblemeHorst Bredekamp

Um 1890, ein halbes Jahrhundert nach Erfindungder Fotografie, haben Diaprojektoren zunächst diekunsthistorischen und dann die medizinischen undnaturwissenschaftlichen Hörsäle erobert, und zurselben Zeit beginnen sie, in Gerichtssälen eingesetztzu werden. Wer einmal einen der alten Großbild-rahmen dieser Zeit in der Hand gehabt hat, wirdan eine Phase erinnert, in der die Reproduktionauch ein haptisches Ereignis war. Das Verstreuendieser Rahmen auf dem Leuchttisch, das Arrangie-ren von Motivketten und Formgeschichten brachteein produktives Chaos hervor, an dessen Ordnungauch die Hände beteiligt waren. Die Diapositivewurden in Unterricht und Analyse nicht allein zurWiedergabe vor einer Menschengruppe, sondernauch zur kritischen Durchdringung des Objektesgenutzt. Vergrößerungen machten Details bis zuStrichformen und Papierstrukturen wie unter einerLupe verfügbar, und die Doppelprojektion erlaubteden systematischen Vergleich von Ikonografien undStilmitteln.

Ebenfalls ein knappes halbes Jahrhundert nachdem nachgerade mythischen, bildgenerierenden,,sketchpad“ Ivan Sutherlands [4] kann in Bezugauf die Projektion von Digitalbildern eine ähnli-che Bilanz gezogen werden. Sie ist gespalten [2].Natürlich ist das haptische Erlebnis auf die Be-wegung der Finger auf der Tastatur und der Mausreduziert, und selbstverständlich ist die Menge, diedas Auge auf dem Bildschirm erkennen kann, ge-ringer als dies auf dem Leuchttisch möglich war.Dafür aber ist die sofortige, verlustfreie und beliebighäufige Reproduktion der Bilder für unterschied-liche Motivreihen und verschiedene Benutzer einunschätzbarer Vorteil; zudem entfällt das Rückord-

nen. Die Wiedergabe auf dem Bildschirm hat dieFinesse, mit der um 1900 das Diapositiv analytischeingesetzt wurde, erreicht und übertroffen. DieDigitalisierung erlaubt gegenüber Handschrifteneine Tiefendifferenzierung, die wie mit einem Mi-kroskop bis in die Fasern des Papieres zu dringenvermag.

Der Medienhistoriker Lev Manovich hat vorsieben Jahren die Frage gestellt, ob nicht die gegendas Unendliche strebende Informationsfülle jedeseinzelnen Bildes eine prinzipielle Grenze des digi-tal Erreichbaren darstelle. Wo sich nicht farblichoder formal abgetrennte Felder, sondern weich ver-schliffene Übergänge zeigen, könnte, so Manovich,die Grenze erreicht sein, die digitalisierbar sei [5].Heute ist zu ergänzen, dass dieses Problem alleinmehr für die Projektion gilt, dort aber so virulentist wie eh und je. Bislang erreicht keine von Univer-sitäten erschwingliche Projektionsmöglichkeit dieTiefenbildung eines guten, analog hergestellten Dia-positivs. Da die kunsthistorischen Institute aber seitJahren auf digitale Projektion umgestellt haben oderzumindest die Möglichkeit anbieten, sind sie in derFalle, entweder die technischen Möglichkeiten derGegenwart zu verpassen oder die Qualität der Lehrezu verschlechtern. In Hörsälen gelingt es in der Regelerst in den hinteren Reihen, die Farben und Formenals geschlossenes Gebilde wahrzunehmen. Noch im-mer bieten sich krumme Linien als Treppengebilde

DOI 10.1007/s00287-007-0209-x© Springer-Verlag 2007

Horst BredekampKunstgeschichtliches Seminar,Humboldt Universität zu Berlin,Unter den Linden 6, 10099 BerlinE-Mail: [email protected]

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{ BILDPROBLEME

dar und noch immer ist rätselhaft, warum Farbennur selten getroffen werden.

Es ist ein deprimierender Vorgang, dass offen-bar die Sensibilität für die Präzision fehlt, in derBilder an der Projektionswand reproduziert werdenmüssen, sobald es nicht um Stimmungskitzel undInformationstransport, sondern Bildanalyse geht.Immer wieder zeigt sich im Gespräch mit Infor-matikern, dass sie, mit Powerpoint und ähnlichenProgrammen groß geworden, so weit an die redu-zierte Ästhetik dieser Weichspüler gewöhnt sind,dass sie eine innere Barriere zeigen, das Problemzu erkennen und zu akzeptieren. Das Bewusstsein,eine unhintergehbare technisch-mediale Umwäl-zung aufzuführen, lässt denjenigen, der daraufhinweist, dass die Qualität analoger Projektions-verfahren durch Beamer bislang weder erreichtnoch übertroffen, sondern unterschritten wird,als Spielverderber erscheinen. Dass hier jedochkeine Wahrnehmungsstörung vorliegt, zeigt derUmstand, dass unter Informatikern zunehmendvon Beamern auf Großmonitore umgestellt wird.Dies bedeutet aber keine Lösung, sondern die Ka-pitulation vor dem Gebot, Bilder nicht allein zuzeigen, sondern in der Großprojektion analytischzu durchdringen.

Ein ähnlich komplexes Bild bietet die inhaltlicheErschließung der Bilder. Neben der Biologie arbeitetvor allem die Kunstgeschichte mit unübersehbarenMengen an Bildern; allein die Kunstwerke, die im,,Allgemeinen Künstlerlexikon“ des Saur Verlageserfasst werden sollen, dürften die Zahl von ca. 50Millionen erreichen. Die Fülle des Materials bie-tet sich zur Digitalisierung geradezu an, und es istkein Zufall, dass sich die Kunstgeschichte früher undentschiedener gegenüber den neuen Möglichkeitengeöffnet hat als andere Fächer. Dies vollzog sich nichtohne Konflikte, die darin begründet waren, dassBilder sowohl systematisch wie assoziativ in unter-schiedliche Systematiken gebunden werden müssen,um nicht abgelegt, sondern in ihrer Verknüpfungproduktiv gemacht werden zu können. Aus diesemGrunde sind, um die Erfahrungen des Verfassers zubenennen, eigene Erfassungssysteme aus den Er-fordernissen des Faches heraus entwickelt worden.Überspitzt gesagt mussten Kunsthistoriker selbstInformatiker werden, um die Informatik nutzen zukönnen. Eines der Ergebnisse, die Digitalfassung des,,Census of Works of Art and Architecture knownin the Renaissance“, die in den achtziger Jahren

entwickelt wurde, ist heute im ,,Open Access“ imInternet erreichbar. Unübertroffen in ihrer Bin-nenstruktur, ist sie zum Objekt der Archäologieder Informatik geworden [1]. Ähnliches gilt für dieMitte der neunziger Jahre entwickelte Bilddatenbank,,Imago“ [2, S. 126].

Neben die Schwierigkeit, die Anforderungenvon Kunstwerken und prinzipiell aller Bilder an-gemessen zu verschlagworten, trat und tritt einPhänomen, das vermutlich nur kollektivpsycho-logisch zu begreifen ist. Im Bewusstsein, die Weltwie kaum ein Fach sonst verändert zu haben undweiter wandeln zu können, hat das Fach Informatikein Bewusstsein ihrer selbst produziert, das jedenProgrammierer zu einem Demiurgen werden lässt.Joseph Weizenbaum und andere Skeptiker habenimmer wieder auf die Konsequenz der Vergleichevon Schöpfer und Informatiker verwiesen, die in denachtziger und frühen neunziger Jahren zum Grund-ton der metaphorischen Bestimmung des eigenenTuns gehörten. ,,Als Gott die Welt schuf, brauchteer sieben Tage. Ich brauche 20 Sekunden, um meineaufzubauen“ [3, S. 10]: durch derartige Wendungenbesetzte die Informatik jene Sphäre des ,,zweitenGottes“, jenes alter deus, der seit Leonardo da Vincials ultimativer Schöpfer wie auch als Originalgenieauftritt.

Hieraus ergaben sich Bezüge, die nicht ohneGrund mit der in jüngerer Zeit immer wieder be-mühten Strukturverwandtschaft zwischen Kunstund Wissenschaft zusammenfielen. Die gesamteBewegung der künstlerischen Avantgarde war alsGeschichte von Nullsetzungen auch eine Abfolgevon Tilgungen der eigenen Historie. Ähnlichesgeschieht offenbar der Informatik. Jene Lücke fül-lend, welche die Avantgarde der künstlerischenModerne gelassen hat, hat sie auch die Vorstellungübernommen, immer neu am Nullpunkt ansetzenzu müssen. Dies hat das Phänomen erzeugt, dassdie Informatik, abgesehen von wenigen Firmenar-chiven und kleinen Abteilungen der technischenMuseen, über keinen Ort verfügt, an dem die Ge-schichte des eigenen Tuns systematisch verfolgtwerden kann. Die wohl stärkste verändernde Kraftder Gegenwart besitzt keinen Geschichtsort ihrerselbst. Sie ist weit entfernt von jener über Gene-rationen ausgebildeten Sorgfalt und Systematik,mit der die Massenmedien der vorelektronischenEpochen in den Kupferstichkabinetten bewahrt undsystematisiert werden [6].

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Ohne die Möglichkeit der eigenen Historisie-rung aber tritt an die Stelle der Kontrolle und derSelbstdistanzierung das Bewusstsein, sich immerneu auf der Tabula rasa der Urerfindung zu bewegen.Wenn gegenwärtig etwa vom netzgestützten ,,se-cond life“ als einem grundlegend neuen Phänomengesprochen wird, ist die von Millionen Beteiligtenerlebte Avatar-Bewegung, die so bemerkenswertePhänomene wie ,,TechnoSphere“ oder ,,Alpha-World“ hervorgebracht hat, vergessen. Zehn Jahregenügen offenbar, um selbst aufwühlende Vorgängewie die Multiplizierung des Ego in agierende Wesenaus der Erinnerung zu löschen.

Zur Vergeudung des Gedächtnisses kommtdie prinzipielle Skepsis über die Leistungen vonNachbarn und Konkurrenten. Natürlich spielenökonomische Gründe eine Hauptrolle dabei, dasssich die Programme immer weiter diversifizieren,aber unter psychologischen Gesichtspunkten istdieses Phänomen nur die Maske des Wunsches,den alter deus spielen zu können. Diese Mixturmag den bisweilen enervierenden Eindruck be-gründen, warum ein technisches Medium, dasnach Vergesellschaftung verlangt, ein so starkesPotenzial der Vereinzelung birgt. Wenn an ver-schiedenen Kunst- oder Naturmuseen bisweilenmehrere unterschiedliche, teils auf dasselbe Mate-rial bezogene Bilderfassungsprogramme existieren,

so liegt dies zwar oftmals an der Weigerung derFachwissenschaftler, sich mit scheinbar schnödenOrdnungssystemen und deren EDV-technischerUmsetzung zu befassen, aber eine kaum gerin-gere Rolle spielt die demiurgische Psychologie dergestaltenden Informatiker.

Mühsam ist es, das vielfältige Gestrüpp, wie essich im Bereich des Bildes darbietet, zu entflech-ten. Unternehmen wie das für die kunsthistorischeForschung und Lehre etablierte Online-Bildarchiv,,prometheus“, das Verknüpfungsprogramm ,,Te-lota“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie derWissenschaften oder auch ,,Ganymed“ der Uni-versität Jena stellen hoffnungsvolle Leistungen derKooperation von Informatik und Fachdisziplinendar, die gegebenen wie auch die selbst produziertenSchwächen zu überwinden.

Literatur1. Geist M (2005) Examensarbeit, Freie Universität Berlin.

http://www.inf.fu-berlin.de/inst/agse/teaching/S-BSE/029_BACv3.pdf2. Haffner D (2007) Die Kunstgeschichte ist ein technisches Fach. Bilder an der Wand,

auf dem Schirm und im Netz. In: Bild/Geschichte. Festschrift für Horst Bredekamp.Akademie-Verlag, Berlin, S 119–132

3. Hughes B, zit. nach de Relle JL (1990) Welt am Draht. Unicum 8(11):8–104. Krull F (1994) The Origins of Computer Graphics within General Motors. Ann Hist

Comput 16(3):40–565. Manovich L (2000) The Language of New Media. MIT Press, Cambridge/MA Lon-

don, S 546. Wissenschaftsrat (2007) Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Kommunika-

tions- und Medienwissenschaften in Deutschland, S 53–56

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