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I n einer Epoche, deren ganzer Stolz darin zu bestehen scheint, die her- kömmliche Staatenwelt Europas hin- ter sich zu lassen, mag es paradox klin- gen: Aber nichts ist so europäisch wie die Mannigfaltigkeit der Staaten unseres Kontinents. Die Vielfalt in der Einheit zeichnet Eu- ropa aus, seit es gedacht worden ist. Die Pluralität der europäischen Staatenwelt, die Buntheit ihrer Identitäten und Ver- fassungen, ihre dauerhafte kulturelle Ver- netzung bei dauerndem blutigem Streit untereinander unterscheiden diesen Kon- tinent seit jeher von den großflächigen Reichen der anderen Kontinente. „Erst durch das Auseinanderbrechen der Christenheit“, so der französische So- ziologe Edgar Morin, „konnten solche ureigenen europäischen Realitäten wie der Humanismus, die Wissenschaft und die Staaten entstehen, und erst durch die Auseinandersetzungen und Antagonis- men zwischen den Staaten konnte sich der Begriff Europa verbreiten und durch- setzen.“ Gerade diese europäischen Staaten sol- len sich nun in der Europäischen Union wieder freiwillig zurückbilden, sollen Souveränitätsrechte an eine Überinstanz in Brüssel abgeben oder sich einheitli- chen Verordnungen, von der Großfusion der Konzerne bis zur Kleinverpackung für Konsumenten, unterwerfen. Da ist es durchaus wert, daran zu erinnern, dass es den Staat, wie wir ihn kennen, keines- wegs seit ewigen Zeiten in Europa gege- ben hat. Er ist nicht, wie etwa der Histo- riker des national gesinnten 19. Jahrhun- derts, Leopold von Ranke, behauptete, ein „Gedanke Gottes“. Um die Mitte des Mittelalters, im 13. Jahrhundert, gab es kaum erkennbare Vorläufer heutiger staatlicher Gebilde. Deutschland existierte als staatliches Ge- bilde überhaupt nicht, Italien zer- fiel in zahlreiche Herrschaften, die meist über die Stadtmauern kaum hinausreich- ten, und von einem Territorium namens Preußen konnte noch lange nicht die Rede sein. Selbst das Königreich England hat kaum etwas zu tun mit dem späteren 56 DAS EUROPA DER STAATEN Die Erfindung des Staates Kulturell bunt und lebendig vereint, kriegerisch blutig und tödlich getrennt: Die Vielfalt war schon immer Europas Stärke und Schwäche. Das Gebilde Staat, das jetzt an die EU immer mehr Rechte und Aufgaben übertragen soll, ist eine typisch europäische Idee. / VON HAGEN SCHULZE

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  • DAS EUROPA DER STAATEN

    ung des Staatesint, kriegerisch blutig und tdlich getrennt: Die Vielfalt war schonche. Das Gebilde Staat, das jetzt an die EU immer mehr

    n soll, ist eine typisch europische Idee. / VON HAGEN SCHULZEden Staat, wie wir ihn kennen, keines-wegs seit ewigen Zeiten in Europa gege-ben hat. Er ist nicht, wie etwa der Histo-riker des national gesinnten 19. Jahrhun-derts, Leopold von Ranke, behauptete,ein Gedanke Gottes.

    Um die Mitte des Mittelalters, im 13.Jahrhundert, gab es kaum erkennbareVorlufer heutiger staatlicher Gebilde.Deutschland existierte als staatliches Ge-bilde berhaupt nicht, Italien zer-In einer Epoche, deren ganzer Stolzdarin zu bestehen scheint, die her-kmmliche Staatenwelt Europas hin-ter sich zu lassen, mag es paradox klin-gen: Aber nichts ist so europisch wie die Mannigfaltigkeit der Staaten unseresKontinents.

    Die Vielfalt in der Einheit zeichnet Eu-ropa aus, seit es gedacht worden ist. DiePluralitt der europischen Staatenwelt,die Buntheit ihrer Identitten und Ver-fassungen, ihre dauerhafte kulturelle Ver-netzung bei dauerndem blutigem Streituntereinander unterscheiden diesen Kon-tinent seit jeher von den groflchigenReichen der anderen Kontinente.

    Erst durch das Auseinanderbrechender Christenheit, so der franzsische So-ziologe Edgar Morin, konnten solcheureigenen europischen Realitten wieder Humanismus, die Wissenschaft unddie Staaten entstehen, und erst durch dieAuseinandersetzungen und Antagonis-men zwischen den Staaten konnte sichder Begriff Europa verbreiten und durch-setzen.

    Gerade diese europischen Staaten sol-len sich nun in der Europischen Unionwieder freiwillig zurckbilden, sollenSouvernittsrechte an eine berinstanzin Brssel abgeben oder sich einheitli-chen Verordnungen, von der Grofusionder Konzerne bis zur Kleinverpackungfr Konsumenten, unterwerfen. Da ist esdurchaus wert, daran zu erinnern, dass es

    Die ErfindKulturell bunt und lebendig vereimmer Europas Strke und SchwRechte und Aufgaben bertragefiel in zahlreiche Herrschaften, die meistber die Stadtmauern kaum hinausreich-ten, und von einem Territorium namensPreuen konnte noch lange nicht dieRede sein. Selbst das Knigreich Englandhat kaum etwas zu tun mit dem spteren

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  • bindet, ist erst Ergebnis einerlangen europischen Ge-schichte. Seine mittelalterli-chen Vorlufer wurden nichtdurch geografische Grenzen,sondern durch den Lehnseidzusammengehalten eine Tra-dition aus der Zeit Karls desGroen. Dieser Schwur ver-band den Knig mit seinen Va-sallen, die ihm im Krieg zufolgen hatten und dafr mitLand beliehen wurden. DieserPersonenverband endete mit dem Tod von Lehnsgeber oder Gefolgs-mann, im Altdeutschen Herrenfall oderMannfall genannt.

    dem dann Deutschland wurde: Aachen,Speyer, Goslar, Magdeburg, Frankfurt,Nrnberg, Prag, Wien, Berlin, Bonn, Ber-lin. Und welches die deutschen Grenzenseien, darber hat es bis zur Grndungdes zweiten deutschen Kaiserreichs imJahr 1871 nie eine klare Antwort gegeben.

    Diese Zersplitterung blieb das Prinzipder Verfassung des Heiligen RmischenReichs, eines Gebildes ohne eigene Staat-lichkeit, Organisation und Macht. Dies al-les war auf die Territorien und Reichsstd-te bergegangen. Was da bei mehr als 300Territorialstaaten und Freien Stdten Ein-heit stiftete, war das Bewusstsein gemein-samer Sprache und Kultur. Diese deutscheKulturnation besa jedoch bei weitem nichtdie innere Kohrenz der westeuropischenNachbarn, die sich an dauerhafte staatli-che Institutionen anlehnen konnten.

    So bestand Europa, was die Entwick-lung seiner Staatenwelt anging, aus sehr

    in seiner Ratsversammlung beschlossenund verkndet.

    Bis zur Franzsischen Revolution solltedas franzsische Knigtum in ganz Euro-pa als Mastab fr staatliche Machtkon-zentration gelten. Anders dagegen die Ent-wicklung in Mittel- und Osteuropa: Staat-liche Institutionen, deren sich Herrscher

    AKG

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    AKG

    Europisches Parlament in Straburg: Staaten ohne Ewigk

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    ELLIDer erste vormoderne Staat, der sich inEuropa auf Dauer ausbildete, war Frank-reich. Knig Hugo Capet, der 987 die bis1848 herrschende Dynastie der Kapetingerbegrndete, verfgte nur ber ein unbe-deutendes Kronland, die Ile-de-France.Doch es lag in der Mitte Frankreichs, mitParis als Residenz. Der Knig musste nichtwie die meisten seiner europischen Kol-legen im Lande umherziehen, sondernkonnte von einem festen Ort aus regieren.

    Das befrderte auch die Entwicklungvon Paris zu einem Zentrum des Handelsund zur bedeutendsten Universittsstadtdes Mittelalters, mit mehr als 100000 Ein-wohnern. Zudem erweiterten die Kape-

    tinger-Knige vom 12. Jahrhundert an sys-tematisch das Kronland: Beim Tod der Va-sallen und die fielen bei den Kreuzzgenreihenweise behielt die Krone das Lehenfr sich.

    * Links: Gemlde von Hyacinthe Rigaud (1701); rechts:Philipp II. erteilt im Jahr 1200 Magistern und Studentender Universitt Paris das erste knigliche Privileg (fran-

    luter Herrscher Ludwig XIV., nger Philipp II. von Frankreich* Staat bin ichGrobritannien. Von den 44europischen Staaten vonheute waren 26 erst im 20.Jahrhundert, 7 im 19. Jahr-hundert zu souvernen Ein-heiten geworden.

    Der moderne Staat, der sichnun in einer EuropischenUnion mit seinesgleichen ver-zsische Buchmalerei aus dem 13. Jahrhundert).So verschwanden auch die Grogrund-besitzer aus dem kniglichen Rat. DieCuria regis wurde zu einem Verwaltungs-organ. Knig Philipp der Schne ernann-te und besoldete die rechtskundigen Mit-glieder Geistliche, Brger und niederenAdel. Damit schuf er sich eine eigene Be-amtenschaft, die unabhngig vom Hoch-adel treu dem Knig ergeben war.

    Sptestens zu Beginn des 14. Jahr-hunderts hatten sich in Frankreich Grund-zge des modernen, zentral verwalte-ten Staates herausgebildet, wie er uns in annhernder Vollendung spter imFrankreich Ludwigs XIV. entgegentritt.Damit wandelte sich der Charakter derGesetze, deren Schlussformel bis dahingelautet hatte: In Anwesenheit und mitZustimmung der Prlaten und Barone.Seit dem Anfang des 14. Jahrhunderts hiees: Le roi a ordonn et tabli par d-libration de son conseil, der Knig hatS P I E G E L S P E C I A L 1 / 2 0 0 2

    zur Durchsetzung ihrer Gewalt bedienenkonnten, bildeten sich erst spter und auchdann nur langsam heraus. Whrend inWesteuropa bereits aus der Kanzlei undmit der Schreibfeder regiert wurde, wur-de Herrschaft in Mittel- und Osteuropanoch lange aus dem Sattel und mit demSchwert ausgebt.

    Dass sich in diesem Raum nicht zur glei-chen Zeit wie in Westeuropa moderneGromchte entwickeln konnten, hatteeine Reihe von Grnden: kein natrlicherMittelpunkt, keine natrlichen Grenzen.Das Land zerfloss, war offen nach allenSeiten, zudem in seiner Verkehrsgeografiedurch Flsse und Gebirge zerhackt.

    Am deutlichsten wurde der Kontrastzwischen dem lteren, westlichen Europaund dem stlichen, jngeren Europa imFall des Heiligen Rmischen Reichs, dassich seit Ende des 15. Jahrhunderts deut-scher Nation nannte. Kein anderes Landhat im Laufe seiner Geschichte so vieleHauptstdte gehabt wie das Reich, aus

    eitswert unterschiedlich gestalteten Regionen, die

    57

  • Chaos, wie es Europa noch nicht erlebthatte. Aufstnde in den Stdten, Bauern-revolten auf dem Lande, herumrubernde,heruntergekommene Adlige und eineplndernde Soldateska waren alltglich.Die irdische Ordnung zerfiel: Das war dieGrunderfahrung des Jahrhunderts. Mit ihrlste sich das Denken vom Kosmos desMittelalters: Die Christenheit, als derenTeile sich die mittelalterlichen Herrschaf-ten Europas begriffen hatten, verlor ihreverpflichtende Kraft.

    Das Wirken Gottes in der Welt warundeutlich geworden, die Menschen fhl-AK

    G

    E U R O P A S E R B E

    Die Steuern Am Anfang war es Pflicht der besseren Kreise: Wer vomHerrscher Land erhalten hatte, schuldete ihm nicht nur guten Rat, sondern auch materielle Untersttzung. Die Le-hensabgaben des Adels deckten aber nicht lange die Aus-gaben der Hfe weitere Geldquellen mussten her. Sowurden Zlle fr den Handel eingefhrt, und bereits im Mit-

    gtchgee eutestesslich: England, das Land mit dem effektivstenmit sehr unterschiedlichen Voraussetzun-gen in die Neuzeit eintraten.

    Der bergang vom Mittelalter zur Neu-zeit stand unter dem Zeichen einer Wen-dung zum Katastrophalen. Europa warbervlkert. Seit dem dunklen 9. Jahr-hundert, als ungefhr 30 Millionen Men-schen ber die Weiten des Kontinentsverstreut gelebt hatten, war die Bevlke-rungszahl gewaltig angestiegen, auf 80 Mil-lionen zu Beginn des 14. Jahrhunderts.Doch dieses Wachstum wurde brutal ge-bremst, als die Pest, von Zentralasien ein-

    Steuereintreiber*: Feldzge finanziert Von den Stndenzu den StaatenWie sich Europas Reiche grndeten

    AK

    G

    Otto I. Edith (M

    987 Hugo I. begrndet in Frank-reich das Knigshaus der Kape-tinger und markiert damit den Ur-sprung des franzsischen Staates

    1014 Mit dem Tod des Arduin vonIvrea scheitert die politische Ein-heit Oberitaliens, fr ber 800Jahre bleibt Italien zersplittert

    1066 Der normannische HerzogWilhelm (der Eroberer) wird zumenglischen Knig gekrnt, fr 400Jahre sind die britischen Herrscherzugleich auch in Frankreichs Nor-mandie die Herren

    1215 tum inpflichtschutzeurop

    1156 sterrbeginnLnde

    936 Otto I. wird in Aachenzum Knig gekrnt. Dasrmisch-deutsche Reich wirdfhrende europische Macht

    * Gemlde von Jan Massys (1539).

    58geschleppt, im Oktober 1347in Messina, auch auf Europabergriff. Wie schwarzerRauch kommt der Tod in un-sere Mitte, klagte der walisi-sche Dichter Ieuan Gethin.

    Das Volk war durch Unter-ernhrung geschwcht, weildie landwirtschaftliche Pro-duktion lngst nicht mehr fr alle reichte.Umso leichter raffte die Seuche die Men-schen dahin ein Drittel der Bevlkerungin Europa schlielich, rund 30 Millionen.

    telalter foldem althodie Vermhher seinkommenstdem ZehnVor allem gen unerlSteuersystso groenund seine Frauagdeburger Dom)

    Die Magna Charta Liberta- England begrenzt Lehens-en und gewhrt Rechts-, gilt spter als ersteische Verfassung

    um 12Sitzunniglichwerden erstmals als Par-liamentum bezeic

    1230nigreiczur voder Ib

    1254 Mit dem Tonig Konrad IV. verlrmisch-deutschescher endgltig ihrangstellung in EuGunsten von EnglaFrankreich

    1259 Heinrich III.land verzichtet aufranzsischen Besauf die Gascogne

    r-mark und Krain an seine beiden Sh-

    er

    Kaiser Friedrich I. trennteich von Bayern, damiten sich die deutschen

    r herauszubilden

    S P I E G E L S P E C I A L 1 / 2 0 0 2

    Die schreckliche Not in der Brung fhrte zu Aufruhr und allgehnet

    d von K-ieren dien Herr-re Vor-ropa zund und

    von Eng-f seinenitz bis

    ne die Hausmacht der Habsburg

    1320 Nach der Einigung Polensunter Wladislaw I. Lokietek be-ginnt unter seinem Sohn Kasi-mier dem Groen die Ex-pansion zur Gromacht

    1337 Knig Eduard III. vonEngland nennt sich auchKnig von Frankreich undlst damit den Hundert-Jhrigen Krieg aus, der in beidenLndern zur Bildung eines Natio-e die allgemeine Besteuerung von stiura,deutschen Wort fr Hilfe. Es gab Steuern aufn (je mehr Herde einer im Haus hatte, destoZahlung), dazu auf den Verbrauch, es gab Ein-er und auch Spezialnormen, die Bauern mit

    n oder die Juden mit Schutzabgaben belegten.igende Armeekosten machten Steuererhhun-50 Die wichtigengen des groen k-en Rates in England

    Vereinigung des K-hs Len mit Kastilien

    rherrschenden Machterischen Halbinsel

    1264 Parlamente, in denenauch der niedere Adel vertretenist, bernehmen in Englandnach einem Putsch gegen denKnig unter Earl Simon deMontfort Regierungsgewalt

    1282 Knig Rudolf I. begrndetdurch Lehen von sterreich, Steie

    ten sich einem blinden Schicksal aus-geliefert; und berdies schien die Er-fahrung zu zeigen, dass es den Chris-ten nicht um ihr Seelenheil zu tun war,sondern dass alle Menschen schlechtsind und dass sie stets ihren bsen Nei-

    evlke-meinem

    em, war im Hundertjhrigen Krieg dem dreimal Frankreich lange Zeit militrisch berlegen.nalbewusstseins beitrgt

  • AK

    G

    turz (nach einem Gemlde Brozik)

    14NdedieHe

    15deein

    15nienievo

    es Oenwiscch

    1661 Ludwig XIV. nimmt nach dem Toersten Ministers KaMazarin selbst die Rrungsgeschfte unddamit die Epoche dlutistischen Herrsch

    1689 Auf Grund deof Rights mssen inland alle Gesetzesrungen und Steuerebungen vom Parlamgebilligt werden

    1701 Kurfrst Friedkrrg

    hn ra

    16RuRodie

    m Prager Fenstersturz,echische Rebellen dietatthalter hinauswerfen,reiigjhrige Krieg

    gungen folgen, sobald sie Gelegenheitdazu haben.

    So schrieb Niccol Machiavelli (1469 bis1527), ehemals Kanzler des florentinischenRats der Zehn. Der Autor von Il Prin-cipe, fortan Handbuch aller Machtpoliti-ker, glaubte nicht mehr an gttliche F-gung, nur noch an sein blindesWten der Gewalten, der unbe-rechenbaren Glcksgttin: Ichmchte Fortunas Macht ver-gleichen mit einem reiendenStrom, der, wenn er wtendberschwillt, die Fluren ber-flutet, Bume und Huser nie-derreit, hier Erde fortsplt, umsie dort anzuschwemmen.

    Die Schutzwehr, der es zurBndigung der Unbilden Fortu-nas bedurfte, war der Staat lostato. Dieser Begriff findet sich,bezogen auf politische Herr-schaftsorganisation, bei Ma-chiavelli das erste Mal. WennMachiavelli und seine italieni-

    gen den politisch und wirtschaftlich ge-schwchten Adel bedienten. Neben denwirtschaftlichen Vernderungen verrin-gerten auch neue militrische Entwick-lungen die Rolle des Adels. Arkebusen-kugeln vermochten jede Rstung zudurchschlagen, das Pikencarr konnte

    jede Reiterattacke stoppen.Nicht mehr edle Ritter im Ein-zelkampf waren gefragt, son-dern lenkbare Mannschaften ingroer Zahl. Gut gedrillt, pro-fessionell und diszipliniert, ga-ben diese Infanteristen ein ver-heerendes Salvenfeuer ab zum ersten Mal 1512 bei Ra-venna.

    Die Knige brauchten dieAdligen nicht mehr fr denKriegsdienst, dafr aber hoch-gerstete, groe Sldnerheere.Um die militrischen Kostentragen zu knnen, musste dieEffizienz der kniglichen Fi-nanzverwaltung erhht wer-

    sacht durch den starken Bevlkerungs-rckgang im Verlauf des 14. Jahrhunderts,hatten viele adlige Grundherren die Ba-sis ihrer wirtschaftlichen Selbstndigkeitverloren.

    Mit der wirtschaftlichen Erholung unddem Wiederanwachsen der Bevlkerung

    ren es in erster Linie stdtische Unter-nehmer, deren sich die Landesherren ge-

    * Votivbild (um 1680).

    DAS EUROPA DER STAATEN

    et fePrager Fenstersvon Wenzel von

    15 Burggraf Friedrich VI. vonrnberg wird mit der Mark Bran-nburg belehnt, damit beginnt ber 500 Jahre dauernderrschaft der Hohenzollern

    30 Karl V. ist der letzteutsche Kaiser, der vonem Papst gekrnt wird

    72 Unter Wilhelm von Ora-n beginnt die Befreiung derderlndischen Provinzen

    n der spanischen Herrschaft

    1648 Der WMnster undDreiigjhrigchen Landgeund dem Ausde und der S

    1594 Heinrich IV. vonNavarra, aus dem Hauseder Kapetinger, begrn-det die Dynastie derBourbonen in Frankreich

    13 Zar Michail regiertssland als Erster dermanows, die 1918 durch

    1618 Mit debei dem tschHabsburger Sbeginnt der D

    schen Zeitgenossen von statoredeten, dann schwebte ihneneine Idee von Herrschaft vor,wie sie bisher nicht gedachtworden war: Sie war im Kernein Zustand konzentrierter, ffentlicherMachtausbung in einem Territorium,durch wen oder in wessen Namen auchimmer und sie war ohne Transzendenz,alleiniger Grund ihrer selbst.

    Die Idee des skularen Machtstaats wardas eine, ihre Durchsetzung gegen denWiderstand des stndischen Adels etwasanderes. Dabei half allerdings, dass be-sonders in Westeuropa im Laufe des 15.und 16. Jahrhunderts die Macht des Adelsallmhlich abnahm. Mit der Verdunggroer agrarischer Anbaugebiete, verur-

    Pestlazar

    AKG

    Rmischen Rei Revolution gestrzt werdentflische Frieden zusnabrck beendet den Krieg u.a. mit erhebli-nnen fr Brandenburgheiden der Niederlan-weiz aus dem Heiligen

    von Brandenburg selbst in KnigsbeKnig in Preuen

    1702 Das Deutscmit Ausnahme vound Kln, erklrt FEuropas seit dem Ende des 15. Jahrhun-derts wurde Landwirtschaft zu einer Ka-pitalinvestition. Viele wohlhabende Std-ter erwarben Grundbesitz und lieen Ge-treide anbauen, weil sie sich bei den stn-dig steigenden Weizenpreisen eine guteVerzinsung ihres Kapitals erwarteten.

    Hinzu kam ein allgemeiner Aufschwungvon Gewerbe und Handel. Auch hier wa-

    t in Wien*: Dem blinden Schicksal ausgeliech den Krieg

    S P I E G E L S P E C I A L 1 / 2 0 0 2ber-d seinesrdinalegie- beginnter abso-aft

    r Bill Eng-nde-rhe-ent

    rich III.nt sich zum

    e Reich,Bayernnkreich

    1707 England und Schottlandwerden zum Knigreich vonGrobritannien verbunden

    1713 Der Friede von Utrechtbeendet den Krieg mit Frank-reich, Grobritannien wchstdabei in die Rolle einesSchiedsrichters ber das eu-ropische Gleichgewicht derKrfte. In der PragmatischenSanktion wird die Unteilbar-keit der habsburgischen Besit-zungen und eine weiblicheErbfolge anerkannt

    1756 Mit einem Angriff aufSachsen beginnt der Preuen-knig Friedrich II. den Sieben-jhrigen Krieg, der mit demGewinn Schlesiens und derAnerkennung als europische

    den. Die Einknfte aus demEigenbesitz der Herrscher, denKrondomnen, reichten nichtmehr. Nun kam das Geld ausRegalien, also aus Staatsmo-

    nopolen wie dem Mnzrecht, dem Berg-bau, dem Salzgewinn und -handel, und aus Zllen es gab Abschnitte desRheins, in denen die Zollstellen nichtmehr als zehn Kilometer voneinander ent-fernt lagen. Die grte neue Finanz-quelle aber waren die Steuern. Erst soll-ten sie nur in Notfllen helfen oder spezielle Aktionen wie Feldzge ermgli-chen. Vom 16. Jahrhundert an wurden sie dann zur regelmigen Einrichtung.Um diese Einknfte einzutreiben, be-durfte es einer verzweigten Finanzbro-

    rt Gromacht endet

    59

  • N

    Hzm.Norm

    Hzm.Guye(Aqu

    KGR.FRAN

    KGR.ENGL

    N

    kratie und einer rational organisierten Ver-waltung.

    Von nun an konnte der franzsische K-nig auf die Mitwirkung der Stnde ver-zichten, und die steigenden Einnahmenverschafften ihm erhhte politische Hand-lungsfreiheit. So wurde aus les tats, denStnden, ltat, der Staat, und alsbald der

    ne, Adel und Kirche fhrten zur Entwick-lung des modernen Staates, souvern nachauen, durchsetzungsfhig nach innen.

    Auch hier fand sich wieder das Ent-wicklungsgeflle zwischen West- und Ost-europa. Am frhesten schlugen Frankreich,England und Spanien den Weg zu moder-ner Staatlichkeit ein. Ihre Knige betrach-

    DAS EUROPA DER STAATEN

    NICCOL MACHIAVELLIZyniker der Macht 1469 bis 1527

    Frst der Finsternis oder Pragmatiker der Po-litik? Der Name Niccol Machiavelli wurde zum Synonym fr eiskaltes Machtkal-kl. Dabei war der Aristokratensohn in FlorenzMinister einer Republik, die gerade die tyran-nische Herrschaft der Medici abgeschttelthatte. Der fr Verwaltung und Verteidigung zu-stndige Machiavelli kmpfte, um Italien vonSldnerheeren zu befreien, warnte die Frs-ten, sich den Hass des Volkes zuzuziehen.Und es war immerhin ein Stadtstaat aufrech-ter Rebellen, den der spter als MachtzynikerVerrufene auf Verhandlungsreisen zu den H-fen von Knig, Kaiser und Papst vertrat. DieMedici kehrten jedoch zurck an die Macht

    und verbannten den Rebellen auf sein Land-gut. Als er keine Politik mehr machen durfte,schrieb er ber das Geschft der Politiker.Und erst da wurde er zum Namenspaten desAdjektivs machiavellistisch. MachiavellisThemen waren die Geschichte und in denDiscorsi republikanischePrinzipien. Daneben entstan-den aber auch Abhandlun-gen ber Erwerb und Erhaltvon Macht. Damit stie ereine bis heute polarisieren-de Debatte ber politischeKultur in Europa an. Vor al-lem Machiavellis Buch DerFrst enthlt anrchig wir-kende Freibriefe fr Regie-rende das Staatsinteres-se ber Rechtund Gesetz zu

    stellen, zum hheren Wohl Gewalt anzuwen-den, Ehrbarkeit allenfalls als Deckmantel ab-gefeimter Machenschaften zu praktizieren. DerStaat, so die Botschaft des Ruhestndlers, seinotfalls von ethischen Normen freigestellt, mo-ralische Konzessionen in der Politik begns-

    tigten nur den Aufstieg nochskrupelloserer Gegner. Seit-her herrscht Streit, ob der Flo-rentiner als Stichwortgeberfr Gewaltherrscher odermehr als Frsprecher der

    Machiavelli Europische EinigungMitteleuropa um 1000

    KGR. D

    Reich der Ottonen und Salierzur Zeit Konrads II.

    KGR. D

    absolute Staat. Ltat cest moi derStaat bin ich, hat Ludwig XIV. zwar nie ge-sagt, aber er htte es sagen knnen.

    Die Herausforderung durch fast per-manenten Krieg, innere Zerrissenheit so-wie die Machtkonkurrenz zwischen Kro-Hzm. Sachsen

    an

    nnita

    KR

    AND

    Kgr. = Knigreich

    60EMARK

    Mark derBillunger

    EMARK

    teten ihre Machtvollkommenheit keines-wegs als Selbstzweck, sondern als Etappeauf dem Weg zu weltweiter Herrschaft.

    Mit dem Ende des HundertjhrigenKriegs 1453 war England aus Frankreichund damit vom Festland verdrngt. Dierin

    Nordmark

    , Hzm. = Herzogtum, Gft. = Grafschaft

    re

    SpanienSeefahrernation orientierte sich daraufhinbald nach bersee, weil die Reichtmerder neu entdeckten Gebiete lockten.

    Europa diente dem Inselreich nie wie-der als Eroberungsziel. Im Palast zuWestminster war man froh, wenn der Kon-tinent keine Bedrohung darstellte, undschreckte nur dann auf, wenn die Stdteim Mndungsgebiet von Rhein, Maas undSchelde von einer europischen Gro-macht annektiert zu werden drohten.Denn ber diese Stdte lief der britischeWollhandel mit dem Kontinent, Rckgratdes britischen Reichtums.

    Die Rolle Grobritanniens als Auen-seiter der europischen Einigung nach 1945rhrt aus dieser Zeit. Der Blick war seithernach Westen gerichtet, zur spteren Kolo-nie und zum noch spteren Alliierten inNordamerika. Als Winston Churchill 1946die Vereinigten Staaten von Europa vor-schlug, meinte er den Kontinent ohneEngland.

    Realpolitik zu sehen ist. VieleMachiavelli-Gegner hieltenihre Kritik nicht bis zum Endedurch. Auch Friedrich derGroe, vormals Autor der en-gagierten Streitschrift Anti-Machiavelli, fhrte spterAngriffskriege. AK

    Ges

    Frankreich und Spanien dagegen such-Franken

    Th

    Hzm. Schwaben

    Hzm. Nieder-Lothringen

    Hzm. Ober-Lothringen

    Friesland

    die

    enien)

    KGR.BURGUND KGR.

    ITALIEN

    Gft.Flandern

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    Hzm. Bayern

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    UNGARN

    POLEN

    Hzm.Venedig

    Ostmark

    ThringischeMark

    Europas Staatennach 1871

    Mhren

    Grobritannienund Irland

    Frank ich

    DeutschesReich

    RussischReich

    sterreich-Ungarn

    Belgien

    Niederlande

    Dnemark Schweden

    ten nach dem Verschwinden der Britenvom Festland ihre Macht auf den gesam-ten Kontinent auszuweiten. Die Ge-schichte Europas vom Ende des 16. Jahr-hunderts bis zum Fall Napoleons 1815 istauch die Geschichte des Kampfs der bei-den katholischen Gromchte um die Vor-herrschaft in Europa.Italien

    Schweiz

  • BUS

    AKG

    SIN

    G /

    AKGSeit dem franzsischen Italienfeldzugvon 1494 tobte der Hegemonialkrieg zwi-schen Frankreich und Habsburg und ver-schrfte sich, seit die habsburgische Herr-schaft unter Kaiser Karl V. (1530 bis 1556)neben sterreich und Burgund auch Spa-nien und Teile Norditaliens umfasste, sodass Frankreich auf Jahrhunderte hinausstrategisch umklammert war.

    Im Zeitalter des spanischen KnigsPhilipp II. (1556 bis 1598) konnte es schei-nen, als sei die Vorherrschaft Habsburgsin Europa auf Dauer gesichert umsomehr, als Frankreich seit 1562 von schwe-ren Religionswirren erschttert und ge-teilt wurde.

    Wenn auch das AuseinanderfallenFrankreichs schlielich durch den ber-tritt des Hugenottenfhrers Heinrich vonNavarra zum Katholizismus und mit Heinrichs Krnung zum Knig von Frank-reich verhindert wurde, so war doch derBrgerkrieg in Frankreich nur ein Teil ei-nes lang andauernden Blutbads, in demdie meisten Staaten Europas im Verlaufder zweiten Hlfte des 16. und der erstenHlfte des 17. Jahrhunderts zu versinkendrohten.

    In den sieben nrdlichen Provinzen derspanischen Niederlande erhob sich der re-formierte Adel gegen die gegenreforma-torische Politik Madrids. Seit 1567 wteteder Krieg, der sowohl Zge eines Befrei-

    ER

    ICH

    LESungs- wie eines Brgerkriegs trug, sichweit ber das Jahrhundertende hinauszogund eigentlich erst mit der Anerkennungder niederlndischen Unabhngigkeit im Westflischen Frieden von 1648 seinEnde fand.

    In Deutschland hingegen herrschte nachdem Augsburger Religionsfrieden von1555 bis 1618 die bis dahin lngste Frie-densperiode in der deutschen Geschichte.Sie ging zu Ende, weil sich im Laufe die-ser Zeit konfessionelle Bndnisse unterehrgeizigen Fhrern gebildet hatten, dieauf eine Gelegenheit zum Losschlagenwarteten. Diese ergab sich, als sich dielatente Spannung zwischen den vorwie-

    elagerung von Magdeburg (1631)*, rkunden des Westflischen Friedenschreckliche SchlachtenS P I E G E L S P E C I A L 1 / 2 0 0 2

    gend protestantischen Stnden Bhmensund der katholischen, gegenreformatori-schen Landesverwaltung der Habsburgerentlud.

    Am 23. Mai 1618 warfen bhmische Ad-lige die beiden kaiserlichen Statthalter auseinem hoch liegenden Fenster des PragerHradschin die Beamten landeten auf ei-nem Misthaufen, was ihren Sturz milder-te. Die Rebellen bildeten eine provisori-sche bhmische Regierung, vertrieben dieJesuiten und stellten ein Heer auf. KaiserFerdinand II. (1619 bis 1637), im Bndnismit den Staaten der katholischen Liga un-ter Fhrung Bayerns, griff ein, whrenddie Staaten der protestantischen Unionsich auf der Seite ihrer bhmischen Glau-bensgenossen engagierten.

    Damit begann der Dreiigjhrige Krieg.Ein schreckliches Schlachten zwischen fastallen europischen Mchten hub an, zwarbefeuert von religisem Eifer, aber zu-gleich ein europischer Machtkampf. Umdiese Zeit tobte auch noch der englische

    * Kolorierter Kupferstich von Matthus Merian dem l-teren (1637).HEINRICH VON NAVARRAKnig des Volkes 1553 bis 1610

    Der Potentat als Rebell: Er war Protes-tant wie die meisten in seinem klei-nen Pyrenenland, wo sogar schon einestndische Verfassung bestand. So galtHeinrich von Navarra, der auerdem aus-sichtsreicher Anwrter auf FrankreichsThron war, als idealer Schutzherr der Hu-genotten, die im katholischen Frankreichdes 16. Jahrhunderts um Bestand und Le-ben kmpften. Heinrich hatte mchtigeFeinde zu berwinden. Als er 1572 dieSchwester des regierenden Knigs heira-tete und die Protestanten zur Hochzeit indie Hauptstadt strmten, wurde Paris ih-nen zur Falle. Die Katholiken ermorde-ten in der Bartholomusnacht etwa4000 Festgste und bei den anschlieen-den Verfolgungen noch einmal bis zu20 000 Hugenotten. Den nchsten Anlaufauf Paris nahm Heinrich von Navarra 16 Jahre spter. Die Erbfolge sah ihn nunals Thronfolger vor, doch gegen die flligeErnennung des ketzerischen Bourbonenzum Knig griff die katholische VormachtSpanien militrisch zu Gunsten der Katho-lischen Liga Frankreichs ein. Die Interven-tion stie in Frankreich aber auf einfluss-reiche Gegner. Und als Heinrich zum ka-tholischen Glauben konvertierte seineBegrndung: Paris ist eine Messe wert, hatte er gewonnen. Als Heinrich IV. be-siegte er die Spanier. Er beendete dieGlaubenskriege (eine Million Todesopfer)und gab durch das knigliche Edikt von Nantes den 1,2 Millionen noch inFrankreich lebendenHugenotten ihre Br-gerrechte zurck.Heinrich reformiertedie franzsische Ge-sellschaft mit hohemTempo. Die Korruptionwurde bekmpft, dasFinanzwesen saniert,die Verwaltung zentra-lisiert. Er baute dasStraen- und Kanal-netz aus, schuf zu-stzliches Agrarlandund machte Lebens-qualitt zum Staats-ziel. Jeder Brgermsse sonntags einHuhn im Topf haben,forderte der Legende nach der Monarch,der zum Idol des Volkes und zum Muster-knig der europischen Aufklrung wur-de. Selbst die Revolutionre von 1789hielten dem verhassten Ludwig XVI. das Vorbild des guten Knigs vor. Heinrich IV. wurde 1610 von einem fa-

    Heinrich vonNavarra

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    AKGnatischen Papstanhnger ermordet.

    61

  • Brgerkrieg, der 1642 begonnen hatte, im Grunde ein Aufstand des niederenAdels, der Gentry, und des Parlaments ge-gen die fiskalischen Forderungen der mit dem kaufmnnischen Grobrgertum liier-ten Krone.

    Auch hier berlagerten konfessionelleStrmungen den politischen Machtkampf.Whrend hinter Knig Karl I. (1625 bis1649) die englische Bischofskirche stand,kmpften puritanische und andere, nochradikalere Sekten in der Parlamentsar-mee, unter ihnen die Leveller (Gleich-macher), die bereits von egalitrer De-mokratie trumten: Dass alle Knige,Kniginnen, Prinzen, Herzge und Gra-fen gleich vor jedem Gesetz gemachtwerden.

    Am Ende siegten die Revolutionre unter Oliver Cromwell (1599 bis 1658),das Unterhaus verurteilte den Knig als Tyrannen und Volksfeind zum Tode das erste Mal in der Weltgeschichte, dassein kniglicher Kopf auf Grund eines re-volutionren Programms fiel. Englandsetzte sich damit deutlich vom vorherr-schenden Absolutismus auf dem Konti-nent ab.

    Alle diese Kriege hingen miteinanderzusammen und waren Teil desselben eu-ropischen Brger- und Glaubenskriegs.Zwar rangen in erster Linie Frankreich

    der in der Hauptsache weltli-

    und Habsburg um die Vormacht in Euro-pa. Auf einer anderen Ebene ging es je-doch in den meisten Staaten Europas umdie Abwehr landesherrlicher Machtan-sprche durch den Adel. Und nicht zu-letzt stand in diesem europischen Brger-und Glaubenskrieg die christliche EinheitEuropas auf dem Spiel und damit dieHerrschaft universaler, berstaatlicherIdeen in der Politik.

    Mit dem Westflischen Frieden von1648 hatte sich der Kampf zwischen denHusern Habsburg und Bourbon weitge-hend zu Gunsten Frankreichs entschieden bereits der Untergang der spanischenArmada vor England 1588 war in Spanienals dauerhafte Niederlage empfundenworden. Der Verlust der nrdlichen Nie-derlande war hinzugekommen, und imFriedensvertrag von Mnster und Osna-brck hatte Spanien entscheidende stra-tegische Territorialverluste hinnehmenmssen.

    Frankreich war dagegen unter seinengroen Politikern, den Kardinlen Riche-lieu (1585 bis 1642) und Mazarin (1602 bis1661), zur Garantiemacht Europas aufge-stiegen. Es lsst sich nicht leugnen, be-richtete der venezianische Gesandte Bat-tista Nani aus Paris, dass Frankreich vonGott zu Eroberung und Herrschaft in Eu-ropa vorbestimmt ist.

    DAS EUROPA DER STAATEN

    Britisches Parlament*: Herrschaft der Gesetze, nicht der Menschen

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    s-Damit neigte sich das Zeitalter dergroen Ungewissheit seinem Ende zu.Aus dem Blutbad der Religionskriege warein neuer Kontinent erwachsen: Das Zeit-alter der absolutistischen Staaten brachan. Der Machtkampf zwischen Frsten

    und Stnden war entschie-den, Konfession und Staatbildeten eine untrennbareEinheit, und bis in das letzteDorf wusste jedermann, wasGesetz und Recht, was Ord-nung und was wahrer Glau-be war.

    Aus den feudalen Verhlt-nissen des Mittelalters undder Renaissance hatte sich

    E U R O P A S E R B E

    Die Beamten Mittelalterliche Kaiser kamen weitgehendohne Staatsdienerschaft aus: Lehensherren hten das ihnen bergebene Land selbst zu verten. Beamte waren erst vonnten, als die neuentstehenden Stdte und Staaten organisiertwerden mussten. Die Herrscher des Absolutismus bauten die Behrdenapparate aus, um dMacht der Standesherren auszuhebeln sowieBrger und Finanzen zu kontrollieren. Vom 18Jahrhundert an entwickelte Preuen ein Beamtentum, das musterhaft fr den modernen europischen Staat wurde. Die hohen Berufsanderungen wurden mit sozialen Vorrechten wieVersorgungsanspruch und Schutz vor Kndi-gungswillkr belohnt. Auch unter gewandelteBedingungen des Staatsdienstes gilt bis heudas Privilegienrecht fr mittlerweile 1,8 Milliodeutsche Bundes- und Landesbeamte undwird durch Standeskollegen in Gesetzgebungwie Gerichtsorganen abgesichert. che Staat herausgebildet, be-freit von kirchlicher Vor-mundschaft und zugleichsouverner Machtstaat. Inden Brger- und Religions-kriegen des 16. und 17. Jahr-hunderts war der Kampf umdie Macht im Staat und damitum die Frage der Souver-nitt entschieden worden.Staat und Herrscher fielen jedenfalls der Idee nach ineins. Der Souvern verfgtefortan, um eine berhmteStaatsdefinition Max Weberszu verwenden, ber dasMonopol legitimer physi-scher Gewaltsamkeit.

    Mit anderen Worten: DerStaat des Absolutismus be-endete den Brgerkrieg, in-

    * Queen Victoria erffnet die Sitzungs-periode, Gemlde von Alexander Blaik-

    AKGley (1845).

  • deMdatabedeDnebe

    tisdiseunGrekosoAchenden, hierarchisch geordneten Bro-

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    iers,n-

    schen Reich. Aber dem Herrschaftsan-spruch dieser Staaten stand die europi-sche Staatengemeinschaft entgegen, eineskularisierte Metamorphose der mittel-alterlichen Glaubens- und Kirchenge-meinschaft, so der Historiker Otto Hint-ze 1931.

    Jenseits aller Machtkonflikte bildetendie Staaten Europas und das ist das welt-geschichtlich Einmalige eine Kulturge-meinschaft. Sie zeigte sich durch ver-wandtschaftliche Bindungen ihrer Herr-scher und ihres Hochadels untereinander,

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    es zu spt.Dauerhafte Groreiche entstehen in al-

    ler Regel, wenn Stammesverbnde zu-sammengefasst werden, die den Schrittzur Staatsbildung noch nicht vollzogen ha-ben. Das gilt fr Rom wie fr Russland, frdas Mogulreich im 16. und 17. Jahrhun-dert, fr Japan, China, das trkischeReich, das der Abassiden.

    * Schlacht bei Zorndorf zwischen Preuen und Russen1758, Kopie (1984 von Joachim Tietze) eines verscholle-nen Gemldes von Carl Rchling (Originalbild: 1904).

    waltsamen Einverleibung der KnigreicheSchottland und Irland begann, schuf dieGrundlage fr Englands Vormachtstellung inEuropa und bersee. Im eigenen Land festig-te die Revolution zwar die Freiheitsrechte,stie jedoch im Volk auch auf Widerstand:Cromwell erwies sich als hitziger Puritaner,der Schlsser verwstete, Theater schloss

    und nichts zu Wegegebracht. So macheich eurem Ge-schwtz ein Ende,dekretierte der Sou-vern, den Historiker

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    BPKCromwell

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    IBRARYkratie, die in leidenschaftsloser Pflicht-erfllung amtiert und dem Untertan alsBehrde, nicht als Person gegenber-tritt und die Aufstellung eines stehendenHeeres.

    So weit der Idealtyp des absolutis-tischen Staates, wie ihn der dstere englische Staatsdenker Thomas Hobbes(1588 bis 1679) sah: Dies ist die Ge-burt des groen Leviathans oder viel-mehr des sterblichen Gottes, dem al-lein wir Schutz und Frieden verdanken.In der Realitt allerdings gab es immernur Annherungen an diese Idee. InWirklichkeit war die staatsfreie Sphre im Zeitalter des Absolutismus in der Regel erheblich grer als im Staat des 21. Jahrhunderts, der alle Lebensberei-che mit Gesetzen und Vorschriften ord-nen will.

    Die europische Staatengemeinschaftbefand sich nun allerdings auf hhererEbene in jenem Zustand, den der Abso-lutismus im Inneren der Staaten beendethatte: im Zustand des fast permanentenKriegs, Kehrseite ihrer dauerhaften Viel-falt und Buntheit. Vor 1815 gab es keinJahrzehnt, in dem nicht wenigstens eine

    OLIVER CROMWELLPuritaner und Parlamentarier 1599 bis 1658

    Er fhrte den ersten Schlag gegen EuropasAbsolutismus brutal und grndlich. Un-ter Fhrung des Landedelmannes OliverCromwell bildete die protestantische Mehr-heit des englischen Parlaments ein eigenesHeer und schlug die Anhnger von Knig Karl I.in zwei Brgerkriegen. Der Sieger lie derFranzsischen Revolution um 140 Jahre vor-aus den gefangenen Stuart-Knig alsKriegsverantwortlichen kpfen. Dann fhrteer die Republik ein, machte sich zum LordProtector und amtierte fortan als auf die Ar-mee gesttzter Alleinherrscher. Cromwells

    neunjhrige Regentschaft, die mit der ge-und er verordnete seinen Landsleuten einfreudloses Alltagsleben. Sogar das Weih-nachtsfest wollte er abschaffen. Sich selbstaber umgab der frmmelnde Diktator mitSamt und Seide wie bei Hof. Seine Staatsak-te hatten kniglichen Stil, seine Kutsche be-gleitete livriertes Fuvolk, seine Tchter hei-rateten mit tagelangem Zeremoniell. Zwarwar nun das Parlament gestrkt, aber Crom-well nicht zufrieden: Zweimal wurde es auf-gekehrtes karolingisches Reich? Dafr war

    Preuischer Kriegsherr Friedrich II.*: Ahnungelst. Ihr habt hier lange genug gesessen

    S P I E G E L S P E C I A L 1 / 2 0 0 2spter als bravebad man, als tapfe-ren Bsewicht, ein-ordneten. Als Crom-well 1658 starb, en-dete auch sein eigenwilliges Herrschaftssys-tem. Zwei Jahre nach dem Tod des Revolu-tionrs kehrte mit Karl II. die Monarchiezurck. Cromwells berreste wurden von w-tenden Untertanen aus dem Sarg gezerrtso wieder wie bei dem Heiligen Rmi-

    n vom Untergang m er als Einziger ber das Leben derenschen verfgte. Nur der Staat warzu legitimiert, von den eigenen Unter-nen im Kriegsfall Todes- und Ttungs-reitschaft zu verlangen und auerhalbs Staates stehende Menschen zu tten.

    em entsprach die Befugnis, in Form ei-s Strafurteils ber Leben und Tod zustimmen.Alle weiteren Merkmale des absolutis-chen Staates ergaben sich hieraus: e Selbstdarstellung des Souverns, derine gotthnliche Macht ber Leben d Tod ebenso zelebriert wie seine

    nade; das religis-kirchliche Sorge-cht des Frsten; die Unterwerfungnkurrierender Machtgruppen, insbe-ndere der Kirche und der Stnde; derufbau einer formalen Regeln gehor-chlacht in Europa geschlagen wordenre; im 17. Jahrhundert kannte Europaanze 4 Friedensjahre, im 18. Jahrhundertmmerhin 16.

    Warum hat sich in dieser langen bluti-en Epoche nicht eine Hegemonialmachturchsetzen knnen, die dem Kriegszu-tand des Kontinents ein Ende setzte?arum entstand kein absolutistisches Im-

    erium, ein erneuertes Rom, ein wieder-In Europa dagegen hatte sich das Karolingerreich, aus hnlichen Voraussetzungen erwachsen, auf Grund der Erbteilunwie der Verwaltungs- und Verkehrsprobleme schnell wieder aufgelst, seinLegitimationsgrundlage jedoch auf dNachfolgestaaten bertragen: Die Idee dermischen Weltherrschaft, des Imperiumder Monarchia universalis fand sich iSpanien, in Frankreich, in England ebenund an einen Galgen gehngt.

    63

  • dete den Mastab britischerPolitik und britischen Han-dels, sondern der Raum zwi-schen den two Indies, denbeiden Indien, dem von Ko-lumbus flschlich als West-indien entdeckten Amerikaund dem asiatischen Sub-kontinent.

    Dennoch schickte sichEngland seit dem Friedenvon Utrecht 1713 an, Frank-reich als Vorbild fr denRest Europas abzulsen.Nicht mehr der absolutis-tische Zentralstaat erfreu-

    te sich nun der Zustimmung der europi-schen Intellektuellen, sondern der Staatder checks and balances, der Ge-waltenteilung und des Parlamentarismus,wie der Staatstheoretiker Charles deMontesquieu (1689 bis 1755) und der Politiker Henry Saint-John Viscount Bolingbroke (1678 bis 1751) das briti-sche Regierungssystem verstanden undpropagierten. Die Encyclopedia Bri-tannica von 1771 lobte es berschwng-

    * 2. Reihe: Kaiser Wilhelm II., Ex-Kaiserin Viktoria (Ehe-frau von Friedrich III.); 3. Reihe: Nikolai von Russland(2. v. l.); 4. Reihe: Edward, Prinz von Wales, spterer

    haltensweisen orientierten und ein eu-ropisches Vlkerrecht besaen, ein Re-gelwerk zur Schadensbehebung, wenn dieMaschine einmal ins Stocken geriet.

    Es gab auch einen Maschinisten, dervon auen dafr sorgte, dass der europi-schen Gleichgewichtsmaschine stetsBrennstoff in Gestalt von Untersttzungs-geldern zugefhrt wurde und der nichtzgerte einzugreifen, wenn die innereBalance Europas in Gefahr zu geratenschien: Grobritannien.

    England sah sich selbst nicht als Be-standteil des europischen Gleichge-

    DAS EUROPA DER STAATEN

    KniglicheFamilienbande

    Deutsches Reich

    Griechenland

    Rumnien

    Dnemark

    Norwegen

    Russland

    Spanien

    Jugoslawien

    sterreich

    Schweden

    Verwandte der Queenin europischen Adelshusern

    Queen Victoria(1819 1901)

    Queen Victoria (M.),Verwandte*

    Das Gleichgewichtverloren durch die gemeinsamen VerkehrssprachenLatein und Franzsisch, durch ein ge-meinsames Zivilisationsklima, die Auf-klrung, und durch gemeinsame Wurzelnin der Antike und im Christentum.

    Gerade die Staatsraison, das wohlver-standene Eigeninteresse der Souverne,erforderte, dass die Beherrscher der eu-ropischen Staaten sich gegenseitig alsgleichberechtigt anerkannten unterstrenger Wahrung einer zeremoniellenHierarchie, an deren Spitze der rmischeKaiser stand.

    Wenn man so will, war dies eine ersteeuropische Staatengemeinschaft nochmit trennenden Grenzen und ohne eu-ropische Institutionen an der Spitze. Im-merhin gab es ein freilich labiles unddifferenziertes System des zwischen-staatlichen Interessenausgleichs die Ideedes europischen Gleichgewichts: DieSouvernitt und das berleben der Staa-ten beruhte darauf, dass die groen Mch-te sich gegenseitig in Balance hielten. DieIdee des Gleichgewichts lebt fort im kom-plizierten Abstimmungssystem der heuti-gen Europischen Union, in dem diegroen und die kleinen Staaten stndigzu Koalitionen und Kuhhandeln gezwun-gen werden, ohne dass eine einzelne Vor-macht die Politik der Gemeinschaft domi-nieren knnte.

    Bei nherem Hinsehen er-wies sich das europischeGleichgewichtssystem desAbsolutismus ebenfalls alsein hchst kompliziertes Ge-bilde mit Subsystemen undmit Bauteilen, deren Funk-tion ungewiss war. So gab esauch ein Gleichgewicht derKonfessionen, das jenes derGromchte berlagerte, esgab regionale Gleichge-wichtssysteme wie etwa dasnordische Gleichgewicht,das den Ostseeraum zwi-schen Schweden, Russlandund Polen in der Balancehielt, oder das mittelmeeri-sche, das die Einflsse Spa-niens, Frankreichs, der Tr-kei und dann auch Englandsaustarierte.

    Auch das Heilige Rmische Reich, derFlickenteppich in der Mitte der europi-schen Landkarte, wurde als Gleichge-wichtssystem begriffen, mal zwischen pro-testantischen und katholischen Staaten,mal zwischen Kaiser und Stnden, malzwischen sterreich und Bndnissenmittlerer Staaten wie Sachsen oder Bay-ern, die meist durch fremde Mch-te, Frankreich oder Schweden, gesttztwurden.

    Diese wundervolle Gleichgewichtsma-schine wurde von Staatsmnnern und Di-plomaten in Gang gehalten, die berall in

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    YEuropa sich an gleichen Denk- und Ver-

    64 S P I E G E L S P E C I A L 1 / 2 0 0 2

    wichtssystems. Nicht das kleine Europa bil- Edward VII. (l.), in Coburg 1894.

  • mer-itzef, enie-n,

    rigenin-

    rer

    in-heit Europas aber die verklrende lich: Es besteht in unserer Verfas-

    E U R O P A S E R B E

    Der Hochadel Auf Frstenhochzeiten becherten siemiteinander, auf Schlachtfeldern erschlu-gen sie einander alles im Familienkreis.Die enge Verwandtschaft europischerAdelshuser, die bis heute in den Monar-chien bei feierlichen Staatsakten sichtbarwird, hatte Zivilitt und Kultur auf demKontinent mit verbreitet, war aber zugleichauch stndiger Konfliktherd. Denn so engdie herrschenden Nachbarn miteinanderversippt waren, so sehr bekriegten siesich. Schon als Karl der Groe starb, zer-schlugen die Enkel beim Krieg ums Erbedas Reich und legten den Grund fr Jahr-hunderte deutsch-franzsischer Rivalitt.Daraus wurde eine Art europisches Mus-ter: Dem geplatzten Eheprojekt zwischenElisabeth I. und Philipp II. im 16. Jahrhun-dert folgte ein englisch-spanisches Dauer-duell. Gefhrlichste Konkurrentin Fried-richs des Groen war die Zarin KatharinaII., eine anhaltinische Prinzessin. Viele derBasen, Neffen und Onkel, die auf einemFamilienfoto von 1894 um Queen Victoriaposierten, wurden im Ersten Weltkriegbitterste Kontrahenten, darunter Deutsch-lands Kaiser Wilhelm II., Englands Thron-folger Edward und Zar Nikolai II.S P I E G E L S P E C

    sung solch ein angemessenes Gleich-ge -sc -se tw

    eal -na -ni -lo -nu eSa -ge h de nge eO -kr -re -si -ka n in -m

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    ZErinnerung an das Rmische Imperiumoder das Reich Karls des Groen bewegte durch die Jahrhunderte Herr-scher, aber auch Beherrschte. Die Re-konstruktion der Einheit durch eine He-gemonialmacht zog sich als Versuch undals Scheitern durch die Geschichte erstSpanien, dann Frankreich, schlielichEngland.

    Am Vorabend der Franzsischen Re-volution waren die europischen Mchteaber trotz Vlkerrecht, Gleichgewichtund Diplomatie in eine Sackgasse gera-ten. Es war die Franzsische Revolution,welche die Karten neu mischte und eineandere Staatsidee entfaltete: die Idee desNationalstaats. Sie fhrte im 20. Jahr-hundert zu den blutigsten Kriegen derWeltgeschichte.

    Danach schrieb der Historiker GoloMann: Was war Europa? Alles. Was ist es heute? Nichts. Was will es wer-den? Etwas. Dieses Etwas wird anderssein als die alten Staaten, an die sich Eu-ropa gewhnt hat. Sie haben sich auch in der Vergangenheit immer wieder ge-wandelt und werden das auch in Zu-kunft tun.

    Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegshat die Generation der Politiker, die Europas Einheit vorantrieben, geprgt: Ein Zurck zum alten Nationalstaat mit seinem aggressiv-expansiven Charak-ter drfe es auf diesem Kontinent nichtmehr geben. Doch wie viel Staat in demsich entwickelnden europischen Gebildenoch brig bleiben wird, ist eine offeneFrage.

    HAGEN SCHULZEleitet das Deut-sche HistorischeInstitut in Londonund ist Professorfr Neuere Deut-sche und Europi-sche Geschichtean der FreienUniversitt Ber-lin. Schulze, 58,verffentlichte unter anderem eineStudie zu Staat und Nation in derwicht von Besitz, Macht und Herrhaft, dass es eine Herrschaft der Getze und nicht der Menschen genannerden kann.Aber das entsprach mehr der Theori

    s der Wirklichkeit, und auch das intertionale Gleichgewichtsmodell funktioerte in der Praxis nicht. Whrend Phisophen und Staatsrechtler, von Immael Kant (1724 bis 1804) bis zum Abb dint-Pierre (1658 bis 1743), vom ewin Frieden trumten, entzndete sicr Krieg 1740 aufs Neue, ergriff desamten Kontinent, sprang ber dizeane; und whrend dieser erste Weltieg der Geschichte zwischen Frankich und Grobritannien um den Betz Indiens, der Karibik und Nordameris tobte, stieg das kleine Preue drei Kriegen zur europischen Groacht auf.So folgte der preuisch-sterreichisch

    rschpfungsfrieden von Hubertusburm 15. Februar 1763 um fnf Tage dem

    gentlichen groen Friedensschluss: demieden von Paris, der schwere franzsihe Verluste bedeutete und England zuhrenden Seemacht und damit zur Weltacht erhob.Niemand glaubte daran, dass diese

    rschpfungsfriede lange halten knneiedrich der Groe starb 1786 in deropischer Krieg bevorstnde, in dePreuen untergehen werde. Der streichische Auenminister Graf Kaunsah ein, dass alles darauf hinauslidie Gromchte in einer unablssigSerie mrderischer, unbezahlbarer Krge immer grer werden zu lassebis schlielich eine einzige Macht bblieb, die alle anderen Staaten schluckoder in Abhngigkeit von sich brgen werde.

    So kam es dann nicht, hchstens fkurze Zeit etwa unter Napoleon odHitler. Der Gedanke der verlorenen EI A L 1 / 2 0 0 2 65

    Beck-Reihe Europa Bauen.