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DEM MORGEN:GRÜN ENTGEGEN GRÜNE JUGEND E-01 Alternativen zur Entwicklungspolitik: Globale Gerechtigkeitspolitik AntragstellerInnen: Laura Appeltshauser, Michael Bloss Einführende Erklärungen zum Antrag: 5 Bevor wir als GRÜNE JUGEND entwicklungspolitische Zielsetzungen diskutieren können, ist eine grundlegende Reflexion über den Entwicklungsbegriff nötig. Wir möchten uns erst damit auseinan- dersetzen, was Entwicklungspolitik sein kann, wo Probleme auftreten und was Lösungen sind, bevor die Instrumente zur Veränderung näher beschrieben werden sollen: 10 Die Geschichte des Entwicklungsbegriffs Das politische Ziel Staaten und Menschen zu entwickeln existiert nicht erst seit dem „Startschuss"der Entwicklungspolitik mit Harry Truman’s Forderung 19491, sondern geht auf eine lange ideenge- schichtliche Gegenüberstellung von „zivilisiert-unzivilisiert", „entwickelt - unterentwickelt", „modern- 15 primitivßurück. Truman’s Rede ist vor dem Hintergrund des Kolonialismus zu verstehen, der sich dieser Denkweise bediente, um seine wirtschafts- und machtpolitischen Interessen hinter vermeint- lich humanistischen Idealen zu verstecken. Es ist sozusagen „The White Man’s Burden", die Bürde des Weißen, christlichen, „zivilisierten"Mannes, die sogenannten „Primitivenßu erziehen, missionieren und zu „ entwickeln". Dabei liegt ein universelles Entwicklungsbild zugrunde, vergleichbar mit einer 20 Leiter, an deren oberen Ende die westlichen, kapitalistischen Gesellschaften steht; die „unterentwickel- ten"Länder müssen eine Stufe nach der anderen erklimmen um sich zu „entwickelnünd somit ähnlich der westlichen Gesellschaft zu werden. Es wird hier schon gewahr, dass die kolonisierten Gesellschaften als Negativ-Bilder genutzt werden, um eigene Selbstbilder der fortschrittlichen, moderne Menschen und Nation zu konstruieren. Um die „primitiven"Gesellschaften zu kultivieren wurde eine Vielzahl an 25 Missionar_innen, Verwaltungsbeamt_innen, Ethnolog_innen und Soldat_innen in die kolonialisier- ten Länder gesendet. Ergebnis dieser „Anstrengungen"war es, dass zentrale Aspekte der Gesellschaften des „Globalen Südens"von „westlichen"Vorstellungen,bestimmt sind. Ein weiteres Beispiel ist die eu- ropäische westphälische Konzeption des Nationalstaates, welches unreflektiert in den kolonisierten Gebieten aufgedrängt wurde. Die Grenzen in Afrika sind Ergebnis des „Scramble for Africa", 1885 30 teilten die europäischen Staaten den afrikanischen Kontinent unter sich auf. Im Zuge der Industriali- sierung und der Gier nach Rohstoffen beschlossen die europäischen Staaten, allen voran Frankreich, Großbritannien, Belgien, Deutschland eine Aufteilung des Afrikanischen Kontinents. Auch um spätere Kriege zu vermeiden wurden die Grenzen dieser Aufteilung am Reißbrett gezogen. Noch heute beste- hen die selben Grenzlinien, die in keinster Weise gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegeln. 35 Und heute ist das Bruttoinlandsprodukt oft die Messlatte für positive oder negative „Entwicklung“. Es sind vor allem wirtschaftliche Akteure wie IWF und Weltbank, die bestimmen, was „Entwicklung“ 40 ist und wie sie sich vollziehen soll. Auch wenn hier besonders seit den Strukturanpassungsprogram- men der achtziger Jahre, beispielsweise mit Einführung des Human Development Index Fortschritte gemacht wurden, bleibt es bei wirtschaftsfokussierten Ansätzen. Entwicklung lässt sich in vielen Ana- lysen gleichsetzen mit Entwicklung zu einem kapitalistischen Wirtschaftsmodell. 45 Heute ist Entwicklungspolitik Interessenpolitik 50 Die Vorstellung, Entwicklungspolitik sei von Gutmenschentum geprägt und wird zum Nutzen von Menschen, welche in Armut leben gemacht, ist falsch. Entwicklungspolitik ist ein Teil der Außenpoli- tik und richtet sich oft nach nationalstaatlichen Interessen. Es ist aber auch falsch die 55 gesamte Entwicklungszusammenarbeit in einen Topf zu werfen, vor allem in der NGO- Community Visionskongress & 34. Bundesmitgliederversammlung in Göttingen 21.-24. Mai 2010 1

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E-01 Alternativen zur Entwicklungspolitik: GlobaleGerechtigkeitspolitikAntragstellerInnen: Laura Appeltshauser, Michael Bloss

Einführende Erklärungen zum Antrag:5

Bevor wir als GRÜNE JUGEND entwicklungspolitische Zielsetzungen diskutieren können, ist einegrundlegende Reflexion über den Entwicklungsbegriff nötig. Wir möchten uns erst damit auseinan-dersetzen, was Entwicklungspolitik sein kann, wo Probleme auftreten und was Lösungen sind, bevordie Instrumente zur Veränderung näher beschrieben werden sollen:

10Die Geschichte des Entwicklungsbegriffs

Das politische Ziel Staaten und Menschen zu entwickeln existiert nicht erst seit dem „Startschuss"derEntwicklungspolitik mit Harry Truman’s Forderung 19491, sondern geht auf eine lange ideenge-schichtliche Gegenüberstellung von „zivilisiert-unzivilisiert", „entwickelt - unterentwickelt", „modern-15primitivßurück. Truman’s Rede ist vor dem Hintergrund des Kolonialismus zu verstehen, der sichdieser Denkweise bediente, um seine wirtschafts- und machtpolitischen Interessen hinter vermeint-lich humanistischen Idealen zu verstecken. Es ist sozusagen „The White Man’s Burden", die Bürdedes Weißen, christlichen, „zivilisierten"Mannes, die sogenannten „Primitivenßu erziehen, missionierenund zu „entwickeln". Dabei liegt ein universelles Entwicklungsbild zugrunde, vergleichbar mit einer20Leiter, an deren oberen Ende die westlichen, kapitalistischen Gesellschaften steht; die „unterentwickel-ten"Länder müssen eine Stufe nach der anderen erklimmen um sich zu „entwickelnünd somit ähnlichder westlichen Gesellschaft zu werden. Es wird hier schon gewahr, dass die kolonisierten Gesellschaftenals Negativ-Bilder genutzt werden, um eigene Selbstbilder der fortschrittlichen, moderne Menschenund Nation zu konstruieren. Um die „primitiven"Gesellschaften zu kultivieren wurde eine Vielzahl an25Missionar_innen, Verwaltungsbeamt_innen, Ethnolog_innen und Soldat_innen in die kolonialisier-ten Länder gesendet. Ergebnis dieser „Anstrengungen"war es, dass zentrale Aspekte der Gesellschaftendes „Globalen Südens"von „westlichen"Vorstellungen,bestimmt sind. Ein weiteres Beispiel ist die eu-ropäische westphälische Konzeption des Nationalstaates, welches unreflektiert in den kolonisiertenGebieten aufgedrängt wurde. Die Grenzen in Afrika sind Ergebnis des „Scramble for Africa", 188530teilten die europäischen Staaten den afrikanischen Kontinent unter sich auf. Im Zuge der Industriali-sierung und der Gier nach Rohstoffen beschlossen die europäischen Staaten, allen voran Frankreich,Großbritannien, Belgien, Deutschland eine Aufteilung des Afrikanischen Kontinents. Auch um spätereKriege zu vermeiden wurden die Grenzen dieser Aufteilung am Reißbrett gezogen. Noch heute beste-hen die selben Grenzlinien, die in keinster Weise gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegeln.35

Und heute ist das Bruttoinlandsprodukt oft die Messlatte für positive oder negative „Entwicklung“.Es sind vor allem wirtschaftliche Akteure wie IWF und Weltbank, die bestimmen, was „Entwicklung“40ist und wie sie sich vollziehen soll. Auch wenn hier besonders seit den Strukturanpassungsprogram-men der achtziger Jahre, beispielsweise mit Einführung des Human Development Index Fortschrittegemacht wurden, bleibt es bei wirtschaftsfokussierten Ansätzen. Entwicklung lässt sich in vielen Ana-lysen gleichsetzen mit Entwicklung zu einem kapitalistischen Wirtschaftsmodell.

45

Heute ist Entwicklungspolitik Interessenpolitik

50

Die Vorstellung, Entwicklungspolitik sei von Gutmenschentum geprägt und wird zum Nutzen vonMenschen, welche in Armut leben gemacht, ist falsch. Entwicklungspolitik ist ein Teil der Außenpoli-tik und richtet sich oft nach nationalstaatlichen Interessen. Es ist aber auch falsch die

55gesamte Entwicklungszusammenarbeit in einen Topf zu werfen, vor allem in der NGO- Community

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gibt es viele Akteure, welche eigenständige Gerechtigkeitspolitik betreiben und versuchen, sich derEinflussnahme durch andere Politikfelder zu widersetzten. Und doch steht die Entwicklungspolitikin Deutschland in der Tradition, außenpolitische Interessen zu vertreten. Das BMZ wurde 1952 mitdem Auftrag gegründet Staaten zu unterstützen, wenn sie die DDR nicht anerkennen. Staatliche und60privatwirtschaftliche Interessen spielten auch in die Strukturanpassungsprogramme (SAPs) der Welt-bank in den 1990er Jahren hinein. Es waren damals Privatbanken, welche sich für die Durchführungvon SAPs bei der Weltbank einsetzten. Auch heute werden in den westafrikanischen Sahel-Staatenerhöhte „Entwicklungshilfegelder"versprochen, wenn sie dafür ihre Grenzen schließen und den Weg fürMigrant_innen nach Europa erschweren.65

Aus diesen Gründen sieht die GRÜNE JUGEND den klassischen Begriff von Entwicklung im Zu-sammenhang mit Nord-Süd-Beziehungen als äußerst kritisch an, da sich allzu oft paternalistische70Weltbilder dahinter verbergen.

Antrag:

Unsere globale Gerechtigkeitspolitik75

Die GRÜNEN JUGEND spricht nicht mehr von Entwicklungspolitik, sondern von „Globaler Gerechtig-keitspolitik“, die als Weltsozialpolitik, als Welt-Innenpolitik gedacht wird, bei der es weniger um staat-liche Regierungszusammenarbeit, Programmarbeit, Entwicklungsfinanzierung und dergleichen mehrgehen soll, sondern andere Prioritäten gesetzt werden. Dabei ist ein grundlegender Paradigmenwech-80sel im Denken über die globale Situation von Nöten. Die Problematiken der Menschen im Süden lassensich nicht im nur im globalen Süden, und schon gar nicht durch den Norden lösen. Vielmehr müssenwir weltweite Unterschiede in der Verteilung als Ergebnis komplexer Globalisierungsprozesse anerken-nen. Dabei haben Handlungen im Westen Auswirkungen auf alle Orte der Welt. Die Prozesse müssenals zusammenhängend verstanden werden.85

90Prioritäten der Globalen Gerechtigkeitspolitik

Prioritäten der globalen Gerechtigkeitspolitik sind nach Ansicht der GRÜNEN JUGEND die im Fol-95genden erläuterten Punkte. Aufgabe und Anspruch des Antrags ist es nicht, Gerechtigkeitspolitik inallen Facetten zu beschreiben. Jedoch gibt es gewisse Anschlusspunkte zum Weiterdenken, welchenwir konkrete Beispielen hinzugefügt haben. Die Beispiele sind natürlich nicht erschöpfend gewählt undes bleibt die Aufgabe weiterer Anträge, diese zu konkretisieren.

100

Bei uns selbst anfangen

105

Besonders tückisch ist die Unterscheidung in Entwicklungsländer und entwickelte Länder deshalb,weil sie suggeriert, unsere eigene Gesellschaft wäre bereits in einem perfekten Zustand. Wir als GRÜ-NE JUGEND sehen unzählige Ansatzpunkte, wo tiefgreifende Veränderungen in unserer Gesellschaftnötig sind - Asylpolitik, Bildung, Anti-Rassismus, Umweltschutz seien hier nur als wenige Beispiele110genannt bei welchen sich in unserer Gesellschaft noch viel Verändern muss. Gesellschaften sind immerim Wandel und müssen sich verändern, diese „Entwicklungenßind weltweit von Nöten wir sollten zuerstin unserer Gesellschaft damit anfangen!

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? Vor dem Hintergrund der Klima- und Nahrungsmittelkrise und der Frage nach der Klimagerech-115tigkeit ist es nicht möglich, unbegrenztes Wachstum auf Kosten der Umwelt und der menschlichenSicherheit zuzulassen.

Die GRÜNE JUGEND fordert, dass alternative Wirtschaftsmodelle - Konzepte wie beispielsweise„Nullwachstumöder „de-growth- für Gesellschaften des Westens mitgedacht und weiterentwickelt wer-120den, um eine gerechte Verteilung von Gütern zu Gewährleisten.

• Ein wichtiges Handlungsfeld globaler Gerechtigkeitspolitik besteht in der Bildungsarbeit und125dem Globalen Lernen. Viele Organisationen leisten hier bereits gute Arbeit; allgemein gilt jedoch,dass Themen wie Armut und globale Ungerechtigkeiten entweder nur schlagwortartig, extremundifferenziert oder gar nicht medial dargestellt werden.

Die GRÜNE JUGEND fordert dass bereits in der Schule die Zusammenhänge zwischen unseremKonsumverhalten und dem Wohle aller Menschen deutlich gemacht werden. Die Weltwirtschaftlichen130Zusammenhänge müssen verstanden werden, es ist wichtig, dass schon die Kinder lernen, wo und unterwelchen Bedingungen die Güter des alltäglichen Gebrauchs hergestellt werden.

135

• Herauszuheben ist auch die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Deutschlands und Eu-ropas um koloniale Kontinuitäten, die heute noch bestehen, aufzudecken. Hier geschieht viel zuwenig, so dass koloniale Ausbeutung oft aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt wird undanhaltender Rassismus und Ausnutzung nicht in einen Zusammenhang mit kolonialer Vergan-genheit und Machtstrukturen gesetzt wird.140

Die GRÜNE JUGEND verlangt die Aufarbeitung der Deutschen Kolonialgeschichte. Den legitimenForderungen einer Entschädigung der Opfer muss statt gegeben werden.

145

• Innerhalb der westlichen Gesellschaften wirken die Denkmuster des Kolonialismus immer noch.Der Rassismus, der gerade durch Deutschland in Namibia eine pseudowissenschaftliche Unter-mauerung erfahren hat, ist eine widrige Krankheit, der zu viele Köpfe anheim fallen. Asylbewer-ber_innen aus dem globalen Süden werden wie Menschen zweiter Klasse behandelt und anstattdie Ursachen von Flüchtlingskatastrophen, wie zum Beispiel die Überfischung der Meere durch150europäische Flotten anzugehen , schottet sich Europa weiter ab und lässt wissentlich Menschenertrinken und verdursten.

Für die GRÜNE JUGEND ist die Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung ein Teil der glo-balen Gerechtigkeitspolitik.

155

Globale Strukturen ändern - Wir brauchen eine neue Weltwirtschaftsordnung

160

Wichtiger als den Ländern des Südens Vorschriften zu machen, ist es deshalb, die globalen Strukturenso zu gestalten, dass auf der ganzen Welt selbstbestimmt gelebt werden kann. Damit die Menschenim globalen Südens gleiche Mitbestimmungsrechte bekommen, benötigen wir eine Veränderung desglobalen Finanzsystems, des Handelssystems, der globalen Sicherheitsarchitektur, der Struktur der165Vereinten Nationen.

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• Globalisierung verstehen wir als einen Prozess, an welchem alle Menschen teilhaben sollen. Die170GRÜNE JUGEND als globalisierungskritischer Verband fordert eine gerechte Gestaltung derGlobalisierung. Bisher werden wirtschaftliche Akteure bevorzugt. In Handelsabkommen werdenihnen Marktzugänge gewährt, durch Investitions-Schutz-Abkommen erhalten private FirmenRechte gegenüber Staaten. Globalisierung soll für den Menschen wirken. Das Aufheben von Mi-grationsbeschränkungen, Arbeiter_innenrechte, Umweltschutz, Regulierung der Finanzmärkte175sind Themen, welche wir in den Vordergrund rücken möchten.

• Eine beachtenswerte Möglichkeit Zugang zu den Grundgütern zu gewährleisten sind beispiels-weise Social Cash Transfers/Basic Income Grants (Bedingungsloses Grundeinkommen). Wie diepunktuellen Erfahrungen in Sambia und Namibia und Brasilien gezeigt haben, sind bedingungs-lose Zahlungen gerade in Ländern mit kaum existierenden Sozialsystemen und enormen Einkom-180mensunterschieden dazu geeignet, auf unbürokratische Weise Menschen ein selbstbestimmtesLeben zu ermöglichen.

Die GRÜNE JUGEND hält es daher für notwendig, über Modelle eines globalen bedingungslosenGrundeinkommens nachzudenken.

185

Menschenrechte und Grundbedürfnisse

190

Damit Freiheit überhaupt möglich sein kann, ist es notwendig, die Grundbedürfnisse des Menschensicher zu stellen, so dass sie nicht abhängig von ökonomischen Zwängen sind und sich anpassen müs-sen. Dazu müssen bestimmte Güter zu Verfügung gestellt werden. Jeder Mensch hat das Recht aufNahrung, Wasser, Gesundheit, Bildung, Wissen, Frieden. Entscheidend ist ebenfalls die Wahrung der195Menschenrechte2, die Freiheit von politischen und sozialen Zwängen garantieren können.

• Am Anfang und Ende der Gerechtigkeit steht der Gedanke der Freiheit, die Freiheit eines/r200jedes/r Einzelnen selbst zu entscheiden, ob überhaupt und in welche Richtung und wie weiter/sie sich verändern möchte.

• Unser Begriff von globaler Gerechtigkeit setzt nicht auf der Ebene des Nationalstaates an,205sondern auf der Ebene des Individuums. Globale Gerechtigkeitspolitik strukturiert sich deshalbnicht an den Interessen von Nationalstaaten, sondern ist fokussiert auf Bedürfnisse von Gruppenund Individuen. Die Verbesserung des sozialen Standes von Gemeinschaften und Individuen stehtfür uns im Mittelpunkt. Dies bedeutet, dass Nationalstaaten nicht die primären Adressaten vonGerechtigkeitspolitik sein können.210

Scheinheiligkeit ablegen – kohärent Handeln

215

Unter der Bedingung, dass die oben aufgezeigten Veränderungen umgesetzt werden würden, benötigtes die folgenden Überlegungen wohl nicht. Trotzdem gilt es auch in den bestehenden Strukturen, Ver-änderungen herbei zu führen, so dass die Missverhältnisse und Hierarchien innerhalb der Süd-NordKonfliktes abgebaut werden können.220

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Eines der wichtigsten Probleme in der heutigen Entwicklungspolitik ist die mangelnde Kohärenz inder eigentlichen Zusammenarbeit und zwischen den verschiedenen Politikfeldern.225

Die heutige Entwicklungspolitik ist durch eine einseitige Entwicklung der Projektideen gekennzeich-net. Die Agenda für Maßnamen, welche im Süden umgesetzt werden sollen entstehen im Norden undwerden dann umgesetzt ohne auf regionale Bedürfnisse und kulturelle Feinheiten einzugehen. Die „Ge-ber“ kommen mit ihren fertigen Konzepten in den Ländern an und behindern sich gegenseitig bei der230Arbeit. Oft geht der Wille und Zwang der Umsetzung der Entwicklungsarbeit so weit, dass Projekteauch dann umgesetzt werden, wenn sie schon von vorneherein nicht sinnvoll erscheinen.

235Solidarische Projekte müssen aber im Dialog und in einer ausführlichen Auseinandersetzung mit denörtlichen Verhältnissen im Süden und im Norden entstehen. Interessen hinter einem Entwicklungs-projekt müssen aufgezeigt werden. Zu einer gleichberechtigten Zusammenarbeit gehört nicht nur dieVeränderung des einen Partners, Menschen aus dem Süden haben ebenso das Recht, die Verhältnissein westlichen Gesellschaften zu hinterfragen und Veränderungen vorzuschlagen.240

Um solche Projekte durchzuführen, ist es notwendig, das Feld vorher gut zu kennen und die Akti-vitäten an regionale Ansätzen und Lösungen für Problematiken auszurichten. Die Zusammenarbeit245muss deshalb auch auf langfristige Kooperation abzielen. Teil eines jeden Programmes muss es sein,noch bevor Ideen entstehen in intensiven Dialog mit den Betroffenen zu treten. Wenn dieser Prozessabgeschlossen ist, kann spezifisch und unter Beachtung lokaler Verhaltensweisen auf Problematikeneingegangen werden.

250

Wichtiger ist aber die Kohärenz zwischen den Politikfeldern im Norden. Zu oft konterkarieren Handels-und Außenwirtschaftspolitik die Anstrengungen ernst gemeinter solidarischer Arbeit.

255So verbindet die EU ihre Förderungen mit der Zusammenarbeit in der Handelspolitik, z.B. die Öffnungvon Märkten. Gerechtigkeitspolitik ist aber ein Querschnittsthema. Auch Handelspolitik muss sich denoben formulierten Zielen unterstellen. Abkommen, wie die EPAs(1) ind unter diesen Prämissen nichtdenkbar, da sie wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund stellen und ungleiche Bedingungen fürEU und Handelspartner festschreiben. So sollen Staaten des Südens ihre Zölle senken, während gleich-260zeitig die EU die Exportsubventionen wieder einführt und interne Subventionen (für Agrarproduktez.B.) aufrecht erhält. Vereinbarungen über geistiges Eigentum können lebensgefährlich für Menschensein, welche sich dadurch Medikamente zur Behandlung von Krankheiten nicht mehr leisten können.Mit der Paris Declaration des DAC(2) sollte versucht werden, die Entwicklungszusammenarbeit anden Ländern des Südens auszurichten und ihnen die Hoheit über die eigene Entwicklung zu geben.265Das Stichwort hieß hier Ownership. Diese Politik besteht auf dem Papier, in der Realität werden dieEntwicklungspläne vieler Länder durch die Weltbank geschrieben oder sie richten sich am Angebotder Geber_innen aus.

Die GRÜNE JUGEND fordert, dass Maßnahmen imWesten mit Auswirkungen auf Länder des Südens,270sich einer „Global South Mainstreaming“ Analyse unterziehen müssen. Dabei müssen die Auswirkun-gen auf Menschen in jeglicher Schicht, sowie auf die Umwelt aufgezeigt werden. Solch eine Analysesoll den Verantwortlichen die Auswirkungen ihres Handelns aufzeigen und für die Gesellschaft trans-parent machen, wie im Westen beschlossene Aktivitäten den globalen Süden beeinflussen. Somit wirdes erschwert, weiter gegen die Interessen der Menschen im Süden Politik zu machen.275

Solidarische Politik ist keine Wohltäterschaft

Die Motivation solidarischer Politik ist nicht die Großherzigkeit des Westens. Vielmehr ist es die his-torische Verantwortung des Westens für Ungerechtigkeiten, die in der Vergangenheit geschehen sind,280aufzukommen. Der Kolonialismus war eine unsägliche Zeit, in der durch Rassismus Ausbeutung legi-

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timiert wurde. Die Greueltaten, die auch von Deutschland begangen worden sind, kann mensch nichtwieder gut machen. Trotzdem stehen wir in der Schuld. Auch heute noch werden Rohstoffe in denLändern des Südens gnadenlos ausgebeutet und dienen als Grundlage des Reichtums der Industrie-länder, solche Ungerechtigkeiten gilt es auszugleichen.285

Des Weiteren erstreckt sich unsere Solidarität nicht auf die Menschen innerhalb des Nationalstaates,sondern macht nicht halt vor Grenzen.

Die Zahlungen, welche gerade geleistet werden, sind in manchen Teilen verwirrend. Es würde erwar-290tet werden, dass das Geld, welches in den Süden fließt, auch dort ankommt. Oft brüsten sich dieVerantwortlichen mit diesen Zahlen. Schaut mensch aber genauer hin, so gehen in die Statistikenauch Punkte ein, welche nicht den Menschen im Süden direkt zu gute kommen. Deutschland hat ver-sprochen bis 2015 0,7% ihres BIP als ODA (5) auszugeben, bis 2010 hat es sich auf 0,51% des BIPverpflichtet(6). Nach der OECD werden es im Jahr 2010 aber nur 0,4 % sein, was Dtld als Trans-295ferleistungen aufbringt. 2008 war es nur 0,27% des BIP was real in den Süden fließt. In die ODA-Ausgaben rechnet die Bundesregierung auch die Aufenthaltskosten für Asylbewerber_innen (im 1.Jahr), Studienplatzkosten für Menschen aus sog. „Entwicklungsländern“ und den Schuldenerlass ein.Wenn mensch die Schätzungen von Expert_innen einbezieht, nach denen ca. 40% der ODA-Gelder fürGeber-Dienstleistungen und Beratungsleistungen ausgegeben werden und beträchtliche Teile lediglich300aufgrund von Tricks angerechnet werden(6), wird deutlich, wie wenig tatsächlich bei den Menschendes Globalen Südens ankommt.

Die GRÜNE JUGEND fordert: globale Gerechtigkeitspolitik darf nicht der Förderung der eigenenWirtschaft dienen! Auf die ODA- Quote soll nur das Geld angerechnet werden, welches im Zusam-305menhang mit realen Transfers in den Süden ausgegeben wird.

Gerade unter Schwarz-Gelb sieht mensch, dass Entwicklungspolitik wieder stärker mit Außenwirt-schaftsförderung verknüpft wird. Der Minister sieht sich als Botschafter der deutschen Industrie. Umgerechte gesellschaftliche Teilhabe zu gewährleisten, reicht es nicht aus, die Länder des Südens als Ab-310satzmärkte zu begreifen. Die GRÜNE JUGEND wird auch in Zukunft gegen eine Außenwirtschafts-förderung aufstehen, die sich als „Entwicklungspolitik“ tarnt.

Die GRÜNE JUGEND sieht die offizielle „Entwicklungshilfe“ auch aus dem Grund kritisch, da sie gernefür Selbstdarstellung und „Image-Polishingßeitens des Westens genutzt wird; im Verhältnis zu globalen315Finanzströmen tatsächlich aber relativiert werden muss. Global gesehen fließt durch Überweisungenaus der Diaspora mehr als doppelt so viel in die betroffenen Länder wie durch Entwicklungshilfe. Hin-zu kommt, dass jährlich wesentlich größere Finanzströme von Süd nach Nord fließen, als umgekehrt(7). Dies kommt nicht nur durch die Tilgung (teils illegitimer) Schulden zustande, sondern vor allemauch durch Steuerflucht und Steuervermeidung.320

Gerade in Zeiten der multiplen Krisen begründet die GRÜNE JUGEND ihr Bekenntnis zur globalenSolidarität und zur Bekämpfung von Neokolonialismus neu. Wir müssen uns ändern, damit sich etwasändert. Unser Handeln hat Einfluss auf die ganze Welt. Vor diesem Hintergrund sind die bestehendenVerhältnisse Ergebnis unserers wirtschaftlichen Systems und der politischer Ignoranz. Der Antrag soll325Bewusstsein und Sensibilität für die globalen Zusammenhänge und die darin liegenden Hierarchienund Rassismen schaffen. Auf dass in weiteren politischen Handlungen Globale Gerechtigkeitspolitikstatt Entwicklungspolitik betrieben wird

(1)„We must embark on a bold new program for making the benefits of our scientific advances and330industrial progress available for the improvement and growth of the underdeveloped areas“

(2)"Vor allem im Zusammenhang von Gerechtigkeitspolitik meinen wir damit nicht unbedingt dieAllgemeine Erklärung der Menschenrechte, sondern einen universalen Konsens an Rechten, die sichaus der Würde des Menschen ableiten. Ein Beispiel für ein solches Verständnis von Menschenrecht ist335das südafrikanische Konzept von Ubuntu, was mit „I am because you are“ ausgedrückt werden kann.Menschenwürde wird also daraus abgeleitet, dass jede_r einzelne nur deshalb existieren kann, weilsie/er in einer Gemeinschaft mit anderen als würdevolles Individuum lebt. Wir möchten damit keinerGesellschaft eine eher individualistische oder kollektivistische Perspektive aufzwängen, jede Gesell-

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schaft kann hier eigene Vorstellungen verwirklichen. Es gibt allerdings Schranken, wo das Kollektiv340nicht intervenieren darf. Diese Schranken schreibt nicht die „westliche“ Gesellschaft vor, sondern wirdenken vielmehr, dass es ein Grundgerüst an Rechten/Konzepten gibt, die alle/viele Kulturen demMenschen inhärent zugestehen.

(3)EPAs=European Partnership Agreements. Handelsabkommen der EU mit den ehemaligen Kolni-345alstaaten

(4) DAC-Dewelopment Assistance Commitee der OECD. Ein Gremium der OECD-Staaten (Wirt-schaftlich Entwickelte Staaten) welche versucht die Entwicklungspolitk der Mitgliedsländer zu koor-dienieren. Paris Declaration: Ein Beschluss des DAC die Entwicklungshilfe an den Forderungen der350Länder auszurichten (Ownership)

(5)ODA=Official Development Assitance, Das Geld welches ein Land als „Entwicklungshilfe“ ausgibt(6)So werden Gelder mehrmals zwischen verschiedenen beteiligten Ministerien hin- und hergeschobenund so doppelt angerechnet.355

(7) EURODAD, das European Network on Debt and Development, schätzt die Süd-Nord- Flüsse aufca. 600 Mrd. Dollar, während die ODA der OECD-Länder 2005 und 2006 knapp etwas über 100 Mrd.Dollar betrug.

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