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Illusion und Imagination - Grupello Verlag · Illusion und Imagination André Le Nôtres Gärten im Spiegel barocker Druckgraphik Katalog zur Ausstellung im Museum für Europäische

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Illusion und ImaginationAndré Le Nôtres Gärtenim Spiegel barocker Druckgraphik

Katalog zur Ausstellungim Museum für Europäische Gartenkunstder Stiftung Schloss und Park Benrath

15. September bis 17. November 2013

Herausgegeben vonStefan Schweizer und Christof Baierim Auftragder Stiftung Schloss und Park Benrathin Kooperationmit dem Institut für Kunstgeschichteder Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Grupello

DAS AUGE LIEST MIT – schöne Bücher für kluge Le serwww.grupel lo.de

Abbildungen auf dem Einband:LE GRAND PARTERRE D'EAU ET LE CANAL de Chantilli

Das große Wasserparterre und der Kanal in Chantilly Katalog-Nr. 96 und 97

Mit freundlicher Unterstützung derStiftung Roland Weber für Schloss Benrath und der Stiftung Van Meeteren Düsseldorf

Ausstellungssekretariat: Henrike von WerderRaumkonzeption: Agnes Derda, Henrike von Werder

Redaktion: Ina Mittelstädt, Henrike von Werder

Kürzel der Autorinnen und Autoren

Christof Baier (CB)Agnes Derda (AD)

Katharina Galladé (KG)Esther Kittel (EK)

Ina Mittelstädt (IMi)Stefan Schweizer (StS)Bettina Starzetz (BSt)

Henrike von Werder (HvW)

1. Auflage 2013

© by Grupello VerlagSchwerinstr. 55 · 40476 Düsseldorf

Tel. 0211 – 498 10 10 · Fax: 0211–498 01 83E-Mail : [email protected]

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-89978-191-5

Vorwort der Herausgeber

AUFSÄTZE

Stefan SchweizerAndré Le NôtreLeben und Nachleben zwischen Anekdoten, nationalen Stereotypenund historiographischen Ansprüchen

Christof Baier»graver en taille douce«Die Gartenkunst André Le Nôtres im Medium der Druckgraphik

Ina MittelstädtLe Nôtres Gärten in der zeitgenössischen Literatur

KATALOG

I. Der Hofgärtner des Sonnenkönigs

II. Wissenschaftliche Grundlagen der Gartenkunst bei Le Nôtre

Theorie der GartenkunstWissenschaftliche Instrumente

III. Graphik als Medium

IV. Die Gärten Le Nôtres

Tuilerien Saint-Germain-en-Laye FontainebleauVaux-le-Vicomte Versailles Clagny Trianon Marly Meudon Sceaux Saint-Cloud Chantilly Palais Royal Hôtel de Condé

Inhalt

7

9

17

27

34

4864

70

768389

101127176182194203210223244254258

V. Skulpturen in Versailles

VI. Feste in Versailles

VII. Le Nôtres Gärten in Reiseführern des frühen 18. Jahrhunderts

ANHANG

Quellen

Literaturverzeichnis

Glossar

264

286

301

308

310

317

N ach einigen Jahren der Unterbrechung knüpft dieAusstellung Illusion und Imagination an die Tra di -

tion gemeinsamer Ausstellungs- und For schungs pro jek teder Stiftung Schloss und Park Benrath und des Institutsfür Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität an.Die letzte gemeinsame Ausstellung Wunder und Wissen -schaft (2008) hatte sich den Automaten in der frühneu-zeitlichen Gartenkunst gewidmet und wurde sowohl vomPublikum als auch in der Fachwelt sehr wohlwollendund interessiert wahrgenommen.

Kooperationen zwischen Museen und Universitätenmögen heute weitverbreitet sein und vielfältige Ebenender Zusammenarbeit berühren, die Effekte sind jedochsehr unterschiedlich. Für die Stiftung Schloss und ParkBenrath stellt die Kooperation mit der Heinrich-Heine-Universität eine Möglichkeit dar, die eigenen For -schungs aktivitäten zu verstärken und zu vernetzen. Ineinigen Fällen beruht das Forschungsinteresse der Stif -tung überhaupt erst auf der Partnerschaft mit der Hein -rich-Heine-Universität. Gemeinsames Ziel ist es, dieFor schungsinteressen zukünftig mit weiteren Partnern ineiner Forschungsstelle Europäische Gartenkunst zuinsti tutionalisieren.

Dem Institut für Kunstgeschichte bietet die Koope -ration mit der Stiftung eine willkommene Gelegenheit,die Studentinnen und Studenten mit einer Vielfalt anprak tischen Erfahrungen auszustatten. Diese umfassenPraktika, die Mitarbeit im Führungsteam der Stiftung,gemeinsame Ausstellungen und einzelne Forschungs ar -beiten sowie innovative Forschungsvorhaben auf Dritt -mittelbasis.

2013 feiern wir den 400. Geburtstag des französischenGartenkünstlers André Le Nôtre. Als Hofgärtner unterKönig Ludwig XIV. tätig, stellen seine Gärten – unteranderem Versailles, Trianon, Chantilly, der Tuilerien -garten in Paris sowie Vaux-le-Vicomte – noch heute her-ausragende Orte der Kunstgeschichte dar. Am 12. März2013, zum 400. Geburtstag, veröffentlichte die StiftungSchloss und Park Benrath gemeinsam mit dem Institutfrançais Düsseldorf das Ausstellungs- und Begleit pro -gramm »Düsseldorf feiert Le Nôtre / Duesseldorf célèb-re Le Nôtre«, am 15. September, dem 313. Todestag LeNôtres, eröffnet die Ausstellung, welche von diesem Ka -ta log begleitet wird.

Jahrestage dieser Art bieten eine gerne in Anspruchge nommene Gelegenheit, zentrale Aspekte der Kultur -geschichte einem breiten Publikum vorzustellen undzugleich kritisch zu hinterfragen. Für den Stellenwert der

gemeinsamen Düsseldorfer Gartenforschung spricht es,sich dem Thema überhaupt gestellt zu haben. Soweit zusehen, ist André Le Nôtre in diesem Jahr neben kleinerenExpositionen am Ort einiger Le-Nôtre-Gärten lediglichdie vom Musée National des Châteaux de Versailles et deTrianon organisierte Ausstellung unter dem Titel »LeNôtre en perspectives. 1613 – 2013« gewidmet, die vonOktober 2013 bis Februar 2014 präsentiert wird.

Während man in Versailles die Person Le Nôtres be -leuchtet, gehen wir im Museum für Europäische Gar ten -kunst der Stiftung Schloss und Park Benrath andereWege. Der Ruhm der Gärten Le Nôtres beruhte nichtzu letzt auf vielfältigen Formen ihrer erfolgreichen Me -dia lisierung. Die Druckgraphik spielte dabei eine Haupt -rolle, indem sie Bilder der Gärten Le Nôtres erschuf, dieleicht in ganz Europa zu verbreiten waren. Reise be -schrei bungen bildeten ihr literarisches Pendant. BeideMedien – Bild und Text – waren den Normen der zeit-genössischen Erwartungen und Ansprüche verpflichtet,die mit dieser Ausstellung hinterfragt werden sollen. UmAnschaulichkeit zu erreichen, bedienten sich die Zeich -ner und Stecher unterschiedlichster visueller Modelle. Siezielten auf »Illusion und Imagination« und waren kei-neswegs einer »fotografischen« Wiedergabe der Rea li tätverpflichtet. Insofern gilt es in dieser Ausstellung, hinterdie Blätter und gleichsam durch die Blätter hindurch zuschauen und sich ihre Funktion als Kom mu ni ka tions-sowie Repräsentationsmedien bewußt zu machen.

Beide Herausgeber haben 2012 mit einer Tätigkeit inneuen Dienststellungen begonnen. Ergebnis der Ver än -de rung ist diese Ausstellung, die durch die Wechsel er -möglicht wurde, dafür aber auch in vergleichsweise kur-zer Zeit vorbereitet werden mußte. Um so dankbarer sindwir der maßgeblich am Konzept und an der Rea li sierungbeteiligten Arbeitsgruppe, die sich aus gerade promo-vierten Wissenschaftlerinnen (Ina Mittelstädt), Dokto -ran dinnen bzw. Volontärinnen (Bettina Starzetz, Hen -rike von Werder) sowie Kunstgeschichts-Studen tin nenim Masterkurs (Agnes Derda, Esther Kittel) und imBachelorstudiengang (Katharina Galladé) zusammen-setzt. Zu Dank verpflichtet sind wir daneben den Mit -arbeiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung, die denNeu start der Stiftungsarbeit mitsamt der Aus stel lungs -vorbereitung mit Geduld, Vertrauen und Engagementbegleiteten. Besonders möchten wir uns bei Eva Grubensowie Werner Buschfeld bedanken.

Unser Dank gilt den Leihgebern, die angesichts der Zeit - knappheit in einem besonderen Maße gefordert waren –

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Vorwort der Herausgeber

der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin, ins-besondere ihrem Direktor Moritz Wullen und der für dieOrnamentstichsammlung verantwortlichen MitarbeiterinElke Blauert, der Staatsbibliothek Berlin, dem Kupfer stich -kabinett Dresden, namentlich Tobias Pfeifer-Helke, derTech ni schen Informations bib lio thek sowie der Leib niz-Bibliothek in Hannover, dem För derkreis Ver mes sungs - technisches Museum e. V. Dort mund sowie der Uni ver si -tätsbibliothek Düsseldorf in Per son von Marcus Vaillant.

Ohne die finanzielle Unterstützung zweier langjähri-ger Partner der Stiftung wäre die Ausstellung nicht mög-

lich gewesen. Wir danken für die großzügige Förderungder Stiftung Roland Weber für Schloss Benrath, nament-lich Herrn Reinhard Krekler, sowie der Stiftung VanMeeteren Düsseldorf.

Zuletzt danken wir Bruno Kehrein vom GrupelloVer lag und seinen Mitarbeitern, deren außerordentlicheFlexibilität entscheidend dazu bei getragen hat, diesenKatalog pünktlich und in der gewohnt hochwertigen Artzu publizieren.

Stefan Schweizer und Christof Baier im Juli 2013

8 Vorwort der Herausgeber

Stefan Schweizer

André Le NôtreLeben und Nachleben zwischen Anekdoten, nationalen Stereotypenund historiographischen Ansprüchen

Abb. 1Antoine Coysevox, Büste André Le Nôtres, Saint-Roche, Paris,um 1700 (Foto: Stefan Schweizer)

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noch bis zu Èrik Orsenna verfolgen, dem wir ein im Jahr2000 erstmals erschienenes Porträt eines glücklichenMenschen, so der deutsche Titel, verdanken.6 Litera tur -historisch betrachtet, etablierte sich die Anekdote alsnar ratives Muster der Biographik im späten 17. Jahr hun -dert und diente besonders der Aufbereitung von gehei-mem, nicht offiziellem Wissen. Die Encyclo pé die sprichtvon »choses non publiées«.7

Listers Schilderung der Person deckt sich mit anderenbiographischen Überlieferungen zu Le Nôtre. Diese be -ruhen in noch viel stärkerem Maße auf Anekdotik, sodaß man die Frage stellen muß, ob die Wahl des Genres

1.

I n seiner Reisebeschreibung A Journey to Paris berich-tet der englische Naturforscher Martin Lister 1699

von seinem Treffen mit dem betagten André Le Nôtre.Lister besuchte in Paris vorzugsweise Naturforscher wieden Bo taniker Joseph Pitton de Tournefort, aber auchSchrift steller wie die ebenfalls bejahrte Madeleine deScudery. Er interessierte sich daher auch weniger für denGartenkünstler Le Nôtre als für den Sammler: »Mon -sieur le Nostres Cabinet, or Rooms wherin he keeps hisfine things, the Controller of the Kings Gardens, at theside of the Tuilleries, was worth seeing. He is a very inge-nious old Gentleman, and the Ordinance and Designs ofmost of the Royal and great Gardens in and about Parisare of his Invention, and he has lived to see them in per-fection. This gentleman is 89 years old, and quick andlively. He entertained me very civilly.«1

Lister besichtigte die erlesene Sammlung nach eigenerAuskunft mehrfach während seines Parisaufenthalts. Siewar zumindest in Frankreich bekannt, denn der Mercurede France hatte 1693 von ihr berichtet.2 Anlaß war diesymbolische Schenkung der Sammlung an den König,eine Geste der Ergebenheit und Loyalität Le Nôtres ge -gen über Ludwig XIV. Lister bestaunte Gemälde, Druck -graphiken, Kleinplastiken, Büsten, antike Gläser, chinesi -sche Vasen. Am meisten bewunderte er jedoch Le NôtresMedaillenkabinett, das in eigens für die Präsentation her-gestellten Möbeln aufbewahrt wurde. Obgleich er dieViel falt der Sammlung und ihre hohe Qualität schätzte,vermißte er doch eine Gegenstandgruppe: »There was notany thing of Natural History in all his Cabinet.«3

Listers Bericht zählt zu den wenigen vertrauenswürdi-gen Augenzeugenberichten über André Le Nôtre, wennes so etwas quellenkritisch überhaupt geben kann. Siehtman von den raren Selbstzeugnissen Le Nôtres in kurzenStellungnahmen sowie in wenigen Briefen ab, so wissenwir das meiste über ihn nur aus der Feder Dritter.4 Dabeigeriet seine Vita bereits zu Lebzeiten zu einer Sammlungvon Anekdoten, die auch die Rezeptionsgeschichte be -stimm ten. Die Anekdote, ein auf pointierte Charak te ri -sierung zielendes narratives Muster insbesondere derLebens beschreibung und der Historiographie,5 läßt sich

Abb. 2Edme-Anthony-Paul Noël, André-Le-Nôtre-Denkmal, Chantilly 1877-1882 (Foto: Stefan Schweizer)

10 Stefan Schweizer

ques«, das »auf unterhaltsame Weise informative undbelehrende Neuigkeiten aus der Geschichte sowie aus derBiographie bedeutender Persönlichkeiten« vermittelt.11

Die Vita stellt einleitend die künstlerische Stellung LeNôtres heraus und deklariert ihn rhetorisch zum Er fin -der seiner Gattung: »[…] non seulement il a créé l’art desJardins […].«12 In der Folge werden die Werke und seineAuftraggeber vorgestellt: Vaux-le-Vicomte, Ver sailles,Tria non, die Terrasse von Saint-Germain-en-Laye, ananderer Stelle auch der Tuileriengarten, Saint-Cloud,Chan tilly, Fon tainebleau sowie in reiner Aufzählung dieGärten in Villers-Cotterêts, Meudon, Chaville, Livryund Sceaux verwiesen.

Bemerkenswert erscheinen zwei Aussagen in der Pas -sage zu Clagny. Le Nôtre wird hier als die Person identifi-ziert, die dem König Jules Hardouin-Mansart als Ar chi -tekten des Landhauses empfohlen habe. Sowohl von Nico -demus Tessin d. J. als auch vom Herzog von Saint-Simonwird das Verhältnis zwischen Le Nôtre und Har douin-Man sart als konfliktreich beschrieben, was dieser Emp feh -lung widerspricht.13 Zudem wird Le Nôtre für die Er -richtung von begrünter Laubenarchitektur – »portiques,treillages, berceaux & cabinets« – gelobt, in denen er die fürdiese Tech nik bekannten Niederländer übertrumpft habe.

Thematisch ganz ähnlich beginnt der Report der Rom -reise: In Italien habe Le Nôtre nicht das vorgefunden, was

nicht Ausdruck einer spezifischen Vorstellung vonPerson und Werk ist oder sich nicht wenigstens einerkon kreten Überlieferungssituation verdankt. NebenListers Bericht ist an erster Stelle ein 1730 anonym publi-ziertes Abrégé de la vie d’André le Nostre in den Blick zunehmen, dessen Autor sich als ausgesprochen informierterweist.8 Dem Inhaltsverzeichnis des Sammelbandes, indem es publiziert wurde, kann man entnehmen, daß derText von Charles-Antoine Coypel auf der Basis der »mé -moire de Monsieur Desgotz son neveu« angefertigt wurde.Coypel war zunächst Maler, trat aber ab den 1620erJahren zunehmend als Kunsttheoretiker auf. Ob er dieInformationen auf der Basis eines schriftlichen Berichtsvon Claude Desgots oder aber in Gesprächen mit diesemerhielt, ist unklar. Die Authentizität seines Informantengeht auch aus dem Text hervor, der davon berichtet, daßLe Nôtre kein Italienisch sprach, aber von seinem NeffenClaude Desgots begleitet worden sei, der sich als Sti pen -diat der Académie de France in Rom auf italienisch ver-ständigen konnte.9

Mit dem Titel näherte Coypel die LebensbeschreibungLe Nôtres an die einflußreichste KünstlervitensammlungFrankreichs um 1700 an, an Roger de Piles Abrégé de la viedes peintres, avec des reflexions sur leurs ouvrages.10 Ob -gleich als Abriß einer Lebensbeschreibung gekennzeichnet,entspricht der Abrégé dem Genre der »anecdotes histori-

Abb. 3Le-Nôtre-Anekdoten im Bild: »Louis XIV fait monter Le Nôtre danssa chaise« (Mangin 1888)

André Le Nôtre – Leben und Nachleben 11

zuletzt der Inhalt werfen grundlegende Fragen auf. Dengrößten Raum des Textes beanspruchen Anekdoten, dieuns Le Nôtre als Person jenseits seiner Kunst vorstellen.Anekdotisch wird die Begegnung mit Bernini sowie derEmpfang bei Papst Innozenz XI. während der Romreiseerzählt. In dieses Genre kleidet der Text auch die episo-disch geschilderte persönliche Beziehung zu Ludwig XIV.

Welche Funktion besitzen Anekdoten, die zum Ver -ständnis der von Le Nôtre hinterlassenen Werke so gutwie nichts beitragen? Worauf zielte die Schilderung vonLe Nôtres Charakter als einfältig? Welche Vorstellungensollen hier vermittelt werden? Le Nôtre wird in der Le -bens beschreibung als gütiger und teilweise kauziger, alsehrlicher, bisweilen dreister und naiver Mensch geschil-dert. Diese Charaktereigenschaften sollen ihn ganz of -fen sichtlich als einen Hofkünstler mit antihöfischer Atti -tüde darstellen. Er war offensichtlich, so der Text, nichtwillens, ritualisierte Gesten als solche anzuerkennen, undübertrat Gebote der Bescheidenheit und Zurückhaltung.Kann man sich das vorstellen, oder versucht der Autorhier lediglich, den ihn überraschenden Aufstieg eines Gärt - ners zum königlichen Intendanten – der offizielle TitelLe Nôtres lautete Controlleur General des Bastiments deSa Majesté, Jardins, Arts & Manufactures de France18 –zu chiffrieren? In gewisser Weise korreliert die Dar stel -lung Le Nôtres als naiv und offenherzig mit seiner Frei -heit innerhalb der Künstlerhierarchie am Hof des Königs,wo er lediglich gegenüber Colbert und dem König Re -chen schaft über seine Pläne ablegen mußte.19

Über die Kunstwerke und ihre spezifischen Quali -täten erfährt man kaum etwas. Wenn Treillagen, Ter ras -sen und Kaskaden als für Le Nôtre typische Aus stat -tungs elemente aufgeführt werden, erinnerte das eineLeser schaft um 1730 allenfalls noch an die Ursprüngeeines in Auflösung begriffenen Stilideals. In dieser Hin -sicht unterscheidet sich der Abrégé nicht grundsätzlich

er sich vorgestellt habe; harsch das Urteil: »l’art de les faireest un art qu’ils [die Italiener] ignorent absolument.«14

Demgegenüber habe Le Nôtre aber die öffentlichenPlätze, die Brunnen, die Kirchen, Paläste, Gemälde undSkulpturen bewundert. Beim Besuch in Berninis Atelierhabe Le Nôtre Darstellungen der von ihm entworfenenGärten auf dessen Arbeitstisch gesehen, die Ber nini, invorgeblicher Unkenntnis des Autors, sehr schätzte.

Wie den Besuch bei Bernini schildert der Abrégé auchden Papstbesuch als Anekdote. Demnach lud der Papst LeNôtre zu einer Audienz ein, bei der beide auf Wunsch desPapstes einen Versailles-Plan studierten. Papst In no zenz XI.erkundigte sich nach dem Fluß, aus dem die Wasser spieleso großzügig gespeist würden, und erhielt zur Antwort,daß es an einem Fluß mangele und man daher zahlreicheReservoirs errichtet habe. Auf die hohen Kosten angespro-chen, antwortete Le Nôtre, daß die Summe von 200Millionen noch nicht überschritten worden sei.15

Das Gespräch nahm nach dieser lakonischen, ja drei-sten Antwort eine Wendung. Le Nôtre bekundete seineFreude, den beiden bedeutendsten Männern der Weltbegegnet zu sein, was der Papst unter Hinweis auf seinAlter und seine Dienerschaft gegenüber Gott mit einerBescheidenheitsgeste beantwortete. Er lobte den franzö-sischen König, und Le Nôtre fiel ihm daraufhin dankbarund gerührt um den Hals. Die Ungebührlichkeit dieserUmarmung, so der Text mit einer erstaunlich reflexivenBewertung, wurde auch am französischen Königshofdis kutiert, der brieflich darüber informiert worden sei.Der König versicherte, er könne sich vorstellen, daß essich wie geschildert zugetragen habe, schließlich sei aucher bereits einmal von Le Nôtre umarmt worden.

Im letzten Drittel der Vita steht das persönliche Ver -hältnis zu Ludwig XIV. im Fokus. Die Passage wird durcheinen Bericht eingeleitet, der den König als enthusiastischenGartenplaner ausweist. In Marly, wo ihn Le Nôtre besuch-te, habe er die kostspielige Kultivierungs form durchgesetzt,alle Pflanzen mit Erdballen zu versetzen, so daß der Gartensehr schnell in Blüte stand. Die folgende Anekdote berich-tet davon, daß der König sich und Le Nôtre in einem Roll -stuhl von Schweizer Gar disten durch den Garten fahrenließ. Der Architekt Har douin-Mansart folgte ihnen zu Fuß.Le Nôtre rief ge rührt aus: »Sire, mein Vater würde staunen,sähe er mich in einem Wagen neben dem größten König aufErden herfahren. Ich muß gestehen, daß seine Maje stätihren Maurer und ihren Gärtner gut behandeln.«16 Ähnlichklingt die Anekdote um das Wappenbild im Zuge der Nobi -litierung. Le Nôtre teilte dem König mit, bereits ein Wap -pen zu besitzen – drei Schnecken unter einem Kohl kopf,ergänzt um einen Spaten. Erst dieser habe es ihm ermög-licht, vom König geehrt zu werden.17

Der Text war drei Jahrzehnte nach Le Nôtres Tod er -schienen. Er beruhte teilweise auf der Aussage des zumZeitpunkt der Veröffentlichung bereits 75jährigen ClaudeDesgots. Der beträchtliche zeitliche Abstand zu LeNôtres Lebenszeit, das hohe Alter Desgots und nicht

von anderen Künstlerviten. Allerdings war Le Nôtreweder in einer der verbreiteten Künstler viten samm lun -gen vertreten, noch entsprechen die biographischenAnek doten den verbreiteten Künstlermythen.20

Unbeanstandet blieben die Anekdoten jedoch bereitsvon zeitgenössischen Lesern nicht: So widerspricht Vol -taire einer distanzlosen Begegnung Le Nôtres mit demPapst ausdrücklich: »Die Gartenbaukunst wurde von LeNôtre in der Richtung auf das Angenehme, von LaQuintinie in der Richtung auf das Nützliche geschaffenund vervollkommnet. Daß Le Nôtre die Gemütlichkeitso weit getrieben hätte, den Papst und den König in ver-traulicher Weise zu umarmen, ist unwahr. Sein SchülerCollinau hat mich versichert, daß diese in so vielen Wör -ter büchern angeführten Anekdoten (historiettes) durch-aus falsch sind, und es bedarf dieses Zeugnisses gar nicht,um uns zu überzeugen, daß ein Garten-Intendant nichtPäpste und Könige auf beide Wangen küßt.«21

Voltaires Anspruch an eine Vita ging ganz offensicht-lich über eine anekdotische Charakterisierung hinaus,ob gleich die Gattung auch in der Aufklärungszeit weitverbreitet war. Die literarische Form der Anekdote weistüber die porträtierte Person hinaus auf einen allgemeinenZustand. Als semi-orale Kleingattung blieb sie in Frank -reich das Privileg des schreibenden Adels.22

In dieser Hinsicht verwundert es nicht, daß Le Nôtreauch in den Lebenserinnerungen Louis de Rouvroys, desHerzogs von Saint-Simon, eine interessante Rolle spielt.Dieser verfaßte seine Memoiren mit der Absicht, dashöfische Leben kritisch zu charakterisieren. Neben dernarrativen Pointierung durch die Anekdoten beeinträch-tigt besonders seine problematische Stellung am Hofsowie die nur schwer einzuschätzende Rezeption des erstab den 1740er Jahren verfaßten Werks genaue Aussagen.Dabei fällt auf, daß einige Anekdoten große Ähnlichkei-ten zu Desgots Erinnerungen an Le Nôtre aufweisen.

»Am 15. September starb Le Nôtre, nachdem er acht -undachtzig Jahre in vollkommener Gesundheit gelebtund sich stets seiner Geisterkräfte und seiner künstleri-schen Begabung erfreut hatte; es ist sein Ruhm, als ersterdie Pläne für die schönen Gärten entworfen zu haben,die Frankreich zur Zierde gereichen und die den Ruf deritalienischen Gärten – die im Vergleich zu ihnen in der Tatnichts sind – so sehr verblassen ließen, daß die berühm-testen Meister dieses Faches aus Italien nach Frankreichkamen, um hier zu lernen und zu bewundern. Le Nôtrewar von solcher Redlichkeit, Zuverlässigkeit und Auf -rich tigkeit, daß er sich allgemeiner Liebe und Achtungerfreute. Niemals erhob er sich über seinen Stand, nieschätzte er sich falsch ein, immer handelte er völlig unei-gennützig. Er arbeitete für private Auftraggeber mit der-selben Sorgfalt wie für den König. Er suchte nur der Na -tur nachzuhelfen und mit möglichst geringem Aufwanddie wahre Schönheit hervortreten zu lassen. Er war voneiner bezaubernden Naivität und Unmittelbarkeit. DerPapst bat den König einmal, ihm Le Nôtre für einige

Mo nate auszuleihen. Als Le Nôtre dessen Gemach be -trat, lief er, statt vor dem Papst niederzuknien, auf ihn zuund sagte: ›Guten Tag, Heiligster Vater!‹ fiel ihm um denHals, umarmte ihn und küßte ihn auf beide Wangen. ›Ah,was für ein gutes Gesicht Sie haben, wie freundlich Sieaussehen‹, rief er aus, ›wie froh bin ich, Sie so frisch undgesund zu sehen!‹ Der Papst, es war Clemens X. Altieri[es handelte sich um Innozenz XI., StS], lachte vonganzem Herzen; diese wunderliche Begrüßung entzück-te ihn, und er erwies Le Nôtre tausend Freundlichkeiten.Als Le Nôtre wieder zurückgekehrt war, ging der Königmit ihm durch die Gärten in Versailles, um ihm zu zei-gen, was er während seiner Abwesenheit hatte machenlassen. Als sie bei den Kolonnaden angelangt waren,sagte Le Nôtre kein Wort; der König forderte ihn mehr-fach auf, sich zu äußern: ›Nun Sire, was soll ich dazunoch sagen? Sie haben einen Maurer zum Gärtner ge -macht (es war Mansart) – er hat Ihnen eine Kostprobeseiner Kunst geboten.‹ Der König schwieg, und jederlächelte, denn es traf genau zu; dieses Stück Architektur,das ein Brunnen sein sollte, paßte in der Tat schlecht ineinen Garten. Einen Monat, bevor Le Nôtre starb, nahmihn der König, dem sein Gegenwart und seine Unter -haltung angenehm waren, mit in seine Gärten; wegen sei-nes hohen Alters ließ er ihn in den Rollstuhl setzen, denein Diener neben dem seinen herschob. Da rief Le Nôtreaus: ›Ach, mein guter Vater, wärest Du noch am Leben,so könntest Du jetzt Deinen Sohn, einen armen Gärtner,im Rollstuhl neben dem größten König der Welt herfah-ren sehen, Du das wäre für mich das größte Glück.‹«23

Die Kurzvita in den Memoiren Saint-Simons ist durchden vorgeblichen Anlaß, den Tod Le Nôtres im Sep tem ber1700, bereits als Apologie ausgewiesen. Auch hier über-wiegt das Anekdotische, das in zwei Fällen das distanzloseVer halten Le Nôtres gegenüber dem Papst und dem Königin den Fokus rückt und im anderen Fall einen Konflikt mitoder zumindest eine Konkurrenz zu Hardouin-Mansartzhematisiert. Der antihöfische Habitus wird aber be reits ab -geschwächt, wenn Saint-Simon Le Nôtre zuvor als redlich,zuverlässig und aufrichtig beschreibt, als jemanden, der sichniemals über seinen Stand erhoben habe.

Zugleich wird Le Nôtre in beiden Texten als Reprä -sen tant seiner Nation in Dienst gestellt, wird sein Werkals Beitrag zur nationalen Überlegenheit Frankreichs ge -genüber anderen Nationen gefeiert. In Clagny, so derAbrégé, habe er mit seinen Treillagen die Niederländerüberflügelt – eine Parallele zu den Kriegen Ludwigs XIV.gegen den nordöstlichen Nachbarn. Bedeutsamer ist dieProfilierung gegenüber Italien, die bereits im Abrégé an -ge deutet wurde. Der Herzog von Saint-Simon erhebtden französischen Führungsanspruch gegenüber der ita-lienischen Gartenkunst explizit. Le Nôtre ist der Pro -tagonist der Überbietung. Dieser Subtext stellt nun auchdie Anekdoten in einen entsprechenden Rahmen. Das Ver -hältnis zu Ludwig XIV. entspricht der patriarchalischenIdee des Absolutismus. Der weltliche Potentat agiert weise

12 Stefan Schweizer

und gütig. Einige Jahrzehnte später wird man das WerkLe Nôtres als Symbol absoluter Herrschaft kennzeich-nen. Der Papst als Vertreter sakraler Herrschaft ist Ita lie -ner, der die Ungezwungenheit und das Genie des Fran -zosen Le Nôtre bewundert. Sich gegenüber Papst undKönig souverän, ja dreist zu geben, paßt durchaus insRollenbild eines frühneuzeitlichen Künstlers, das zwi-schen Exzentriker und Höfling oszilliert.24

Schließlich läßt sich eine weitere rhetorische Figur be -obach ten, die im Abrégé explizit und in den Er in ne -rungen des Herzogs von Saint-Simon implizit geschil-dert wird: Le Nôtre als Erfinder und eine Per so ni fi zie -rung der Garten kunst. Im Abrégé heißt es: »André LeNôtre war einer jener seltenen Menschen, deren glückli-ches Genie zum Stolz seines Zeitalters ge reichen. Ererfand nicht nur die Gartenkunst, ja man kann sagen, daßer sie bis zum höchsten Grad an Perfektion führte […].«25

Ganz ähnlich charakterisiert ihn Antoine-Nicolas De -zallier d’Argenville in einem Reisebericht als den Er fin -der der Gattung: Der Sohn des Traktatautors (Kat.-Nr. 7und 8) beginnt seine Beschreibung des Parterre d’eau inVersailles mit den Worten: »Die Gärten wurden angelegtdurch Le Nôtre, das glückliche Genie, das man als denErfinder der Gartenkunst betrachten kann.«26 Als Er -finder und als Personifizierung einer Gattung rühmt denKünstler auch die Inschrift seines Grabs in Saint-Roch:»Die Kraft und Weite seines Genies machten ihn so ein-zigartig in der Gartenkunst, daß man ihn als Er fin der derHauptschönheiten ansehen kann und den, der alle ande-ren zu höchster Vollkommenheit führte.«27

Was man beiden Texten angesichts dieser Kom bi na tionaus Anekdotik und nationaler Inanspruchnahme von Werkund Person nachweisen kann, ist ihr historiographischerCharakter. Obgleich Zeitgenossen des Por trä tierten, kannman den beiden Autoren der Texte nur bedingt Augen zeu -genschaft abgewinnen. André Le Nôtre ist bei Saint-Simonund Claude Desgots vielmehr längst das Produkt historio-graphischer Instrumenta li sie rung geworden. Dafür lassensich zwei Beobachtungen anführen: 1. Le Nôtre wird vonbeiden als ein Beispiel des französischen Führungs an -spruchs auf dem Feld der Kunst angeführt. 2. In beidenTexten ersetzen biographische Anekdoten eine literarischeVorstellung des Werks. Hinweise auf die Stilistik sind rar.Pointiert formuliert, reagieren die Texte damit auf den dro-henden Bedeutungsverlust seiner Gärten. Der 1715 einset-zende Stilwandel ließ die Gärten Le Nôtres jedenfallsschnell obsolet werden. Erinnert wer den sie bald nur nochals Monumente Louis Le Grands.

2.Der rasch einsetzende Bedeutungsverlust sowie dieUmschreibung zum Denkmal des Königs läßt sich imRezeptionsdiskurs über Versailles und Le Nôtre an ver-schiedenen Stellen beobachten. Exemplarisch erwähnt sei

der englische Gärtner und Theoretiker Stephen Switzer,Autor einer dreibändigen, ab 1718 publizierten Ichno -gra phia rustica. Der Autor bewundert die Gärten vonVersailles, Marly, Trianon sowie weitere Le-Nôtre-Gär -ten und attestiert ihrem Besitzer, König Ludwig XIV.,daß seine Gärten »to the most magnificent Hight andSplendor imaginabel«28 zählen. Die Bedeutung desKönigs für die Gartenkunst veranschlagt Switzer sehrhoch, er möchte nicht einmal entscheiden, ob Ludwig alsStaatsmann oder als Künstler bzw. Gärtner angemesse-ner zu charakterisieren sei. Bemerkenswert ist dabei derUmstand, daß er zugeben muß, nicht einmal zu wissen,wer die Gärten entworfen hat, er also den knapp zweiJahrzehnte zuvor verstorbenen Le Nôtre dem Namennach nicht mehr kannte.29 Dies ist deshalb bemerkens-wert, weil Le Nôtre nur wenige Jahre später in der poli-tisch in tendierten Kritik am Barockgarten als Prota go -nist geradezu überzeichnet wurde.

Noch zurückhaltend äußert sich dieses Le-Nôtre-Bild1731 bei dem Dichter Alexander Pope in seiner berühm-ten Epistel auf Lord Burlington, den Bauherren vonChiswick House. Er zählt Le Nôtre zu jenen, die durcheine neue landschaftliche Gartenkunst überwunden wer -den: »A Light, which in yourself you must perceive /Jones [gemeint ist der englische Architekt Inigo Jones,StS] and Le Nôtre have it not to give / To build, to plant,whatever you intend, to rear the Column, or the Arch tobend, To swell the Terras, or to sink the Grot; In all, letNature never be forgot.«30

Die Natur im Gartenkunstwerk vergessen oder unange-messen behandelt zu haben, stellt von nun an ein Kern vor -wurf gegenüber Le Nôtre dar, der, nun kehrt sich die Ehr er -weisung ins Gegenteil, zu seinen Ungunsten mit seiner Per -son für die absolutistische Gartenkunst steht. Die königli-chen Gärten, allen voran Versailles, werden in der Mitte des18. Jahrhunderts auch von den Apologeten Ludwigs XIV.mit kritischer Distanz betrachtet. Überraschenderweise stelltauch der bereits zitierte Voltaire in seinem 1752 veröffentlich -ten Siècle de Louis XIV eine bemerkenswerte Parallele zwi-schen Gartenkunst und absolutistischer Politik her. Obgleichein aufklärerischer Verteidiger Louis Le Grands, spiegelt erpolitische Er eig nisse in den Gartenanlagen des Königs: »Manerblickte damals [1685] sehr verschiedene Scenen: auf dereinen Seite die Verzweiflung und die Flucht eines Teiles derNa tion, auf der andern neue Festlichkeiten in Versailles, dieneuerbauten Schlösser Trianon und Marly, die Bewältigungund Unterjochung der Natur in allen diesen Lustorten undGär ten, an denen alle Kunst erschöpft war.«31 Die Unter -jochung der Natur in den Gärten des Königs verweist auf dieUnterjochung der Huge notten und deren Vertreibung.

Für französische Autoren gab es am historischen RangLudwigs XIV. keinen Zweifel, ebensowenig daran, dieMacht, den Reichtum und den Geschmack des Königs inseinen Gärten repräsentiert zu sehen. Im Zuge dessentritt auch André Le Nôtre wieder ins Bewußtsein. Marc-Antoine Laugier hatte in seinem 1753 anonym veröffent-

André Le Nôtre – Leben und Nachleben 13

Abb. 4Le-Nôtre-Denkmal im Jardin des Tuileries, eingeweiht am 21. Mai1913 (Bibliothèque nationale de France)

Abb. 5Die Schauspielerin Cécile Sorel und der Schriftsteller und PolitikerMaurice Barrès bei der Einweihung des Le-Nôtre-Denkmals im Jardindes Tuileries am 21. Mai 1913 (Bibliothèque nationale de France)

14 Stefan Schweizer

3.Während die Bewertung André Le Nôtres in Frankreichim 19. Jahrhundert in einer nationaler Erinnerungs poli tikmündete, die schließlich 1913, anläßlich des 300. Ge -burtstags auch in öffentlichen Ver an stal tungen praktiziertwurde, stilisierte man Le Nôtre in England und imdeutschsprachigen Raum historiographisch gezielt zumFeindbild des Landschaftsgartens und seiner Vertreter.Dabei wird er nun erneut Opfer der noch immer verbrei-teten »anecdotes historiques«, die seine vorgeblich engeBeziehung zu Ludwig XIV. überlieferten. Je aufgeklärtersich ein Gartentheoretiker oder -historiker gab, desto ver-nichtender fiel sein Bild aus, das im Alten Reich zudemmit antifranzösischen Stereo ty pen angereichert wurde.

Die Stilistik des Landschaftsgartens vor Augen, ver-kürzte man die Gartenkunst der Le-Nôtre-Zeit auf eineDisziplinierung und Unterwerfung der Natur. SowohlLud wig XIV. als auch Le Nôtre bilden die Protagonisteneiner die Natur unterjochenden Gartenkunst. Der walloni-sche Adelige Charles Joseph de Ligne charakterisiert LeNôtre in der Beschreibung seines Gartens in Beloeil sogarals »Feind der Natur […], der Ludwig XIV. und ganzFrankreich zugrunde gerichtet« habe.33 Kaum we ni gerharsch und ganz sicher unter dem Eindruck dieser Ab -lehnung vertritt Christian Cay Lorenz Hirschfeld in seinerTheorie der Gartenkunst ein Frankreichbild, das einem

lichten Essai sur l’architecture ein Kapitel der Ver schö ne -rung von Gärten gewidmet. Hier lobt er zunächst dieRe gie rungszeit Louis Le Grands und attestiert dem »be -rühmten Le Nôtre«, er habe »bewundernswerte Kom po -sitionen« geschaffen, »in denen nach einer neuen An ord -nung und einer interessanten Harmonie alle Schönheitender Natur den herrlichsten Anblick boten.« Auf diesehistoriographische Bewertung folgte ein Regelkatalogzeitgemäßer Gartenkunst: Diese habe einfacher Schön -heit zu folgen, biete schöne Aussichtspunkte in die Land -schaft, bestärke das geglückt Zufällige der Natur, dieschöne Schlichtheit und vermeide das Kapriziöse undGe suchte. Demgemäß sei Versailles, auch angesichts derdort aufgestellten Skulpturen, zwar noch immer ein vonAusländern bewundertes Meisterwerk, aber: »WennReichtum und Marmor, wenn eine unter einem übertrie-benen System von Symmetrie und Prachtentfaltung er -stickte und begrabene Natur, wenn das Einmalige, dasAußergewöhnliche, das Gekünstelte und das Auf ge bla -se ne die Schönheit eines Gartens ausmachen, dann ver-dient Versailles den Vorzug vor allen anderen.«32

Die Gartenkunstwerke werden hier auf eine neueWeise von der Person Le Nôtres getrennt. Laugier hältdie Stilistik der Le-Nôtre-Gärten für obsolet und abge-schmackt, erinnert aber sowohl König als auch Garten -künstler gleichwohl als epochale Persönlichkeiten. Da -mit wird den Werken eine historische Gültigkeit zuge-wiesen, werden sie als historische Monumente deklariert,deren Stil, Zeugnis einer untergehenden Epoche, auchnicht mehr aktuellen Ansprüchen genügen muss.

Abb. 6Aktuelle Situation des Le-Nôtre-Denkmals im Jardin des Tuileries(Foto: Stefan Schweizer)

André Le Nôtre – Leben und Nachleben 15

Menschen zu thun haben, weil er ein herrlicher Menschwar, treuherzig, redlich, dankbar, zuverlässig.«37 In derFolge gibt der Autor die bekannten Anekdoten wieder –den Papstbesuch mit Umarmung, die gemeinsame Fahrtdurch Marly mit dem König sowie die Wappen ge schich -te im Rahmen der Nobilitierung. Daß diese Anekdotenjetzt wieder die Redlichkeit Le Nôtres veranschaulichtenund nicht mehr seiner Identifizierung mit den Künstenunter Ludwig XIV. dienten, zeigt nur, daß sie sich letzt-lich in jede Richtung auslegen ließen.

Im Zuge der Historisierung verloren die Anekdotenihre Bedeutung, zumal sich mit dem Landschaftsgartenund dessen stilistischer Binnendifferenzierung zuneh-mend auch ein Bewußtsein für unterschiedliche Garten -stile her ausbildete. Ein Beitrag im Gartenkalender von1789 etwa ist im Grundton von einer moderaten Kritik be -stimmt und stimmt nicht in den Chor derer ein, die LeNôtre für seinen vorgeblichen Zwang gegenüber derNatur ächteten. Der anonyme Autor läßt vielmehr mo de -rate Kritik erklingen, um deutlich zu machen, daß der StilLe Nôtres aus einer spezifischen historischen Si tua tionhervorging: »Le Nôtre, der berühmte Schöpfer der GärtenLudwigs XIV. und der französischen symmetrischenGartenmanier, war allerdings zu seiner Zeit groß in seinerKunst, die man vor ihm vernachlässigt hatte. […] Es gingder Gartenkunst, wie allen schönen Künsten: der großeRuf eines Künstlers hat fast immer ihren Fort schritt auf-gehalten, weil man die Kunst selbst in den Grän zen derTalente ihres Erfinders einschränkte.«38 Le Nôtre stellthier bereits ein historisches Exempel dar, das künstlerischeEntwicklungsgeschichten ganz allgemein kennzeichnet.

Verdikt gleichkommt und als nationales Stereotyp die gar-tenkünstlerische Bewertung überlagert. »Der National ge -schmack der Franzosen, der nach Tändeley und Schimmerhaschet, hat die Neigung zum Landleben fast ganz bey derNation vertilgt. […] Man sah in den königlichen Gärten zuVersailles, Marly, St. Germain, Chan tilly, Meudon undanderen zierlich gezirkelte Blu men beete, Terrassen, Fon -tainen, große Wasserkünste, große Hecken […]; alles dieseScenen sah man entstehen, und unter dem Pomp undÜber fluß zugleich die Natur verschwinden. Es mochtenSchönheiten für den flüchtigen Begaffer seyn: aber nachden Grundsätzen einer ächten Gartenkunst waren es über-triebene, und zum Theil übel angebrachte Künsteleyen; esmochte Empfindung darin seyn, aber eine falsche; Genie,aber ein solches, das aus Mangel einer glücklichen Rich -tung seine Kraft verschwendete.«34

In der Hochphase des Landschaftsgartens, in den Jahr -zehnten um 1800, ergibt sich mit Blick auf die Vorstellungvon André Le Nôtre ein zwiespältiges Bild. Im Zuge derGartengeschichtsschreibung wird Le Nôtre der Prota go -nist einer Epoche, die man zwar für ein Verfallsstadiumhielt, der man aber auch Erfindungsgabe einräumt. Jo hannGeorg Sulzer gibt mit seinem 1771 verfaßten Lemma Gar -ten kunst in der Allgemeinen Theorie der Schönen Künstedie Richtung vor: »In den neueren Zeiten ist diese Kunstwieder empor gekommen. Man sah unter Ludwig demXIV. einige schöne Gärten, die der berühmte Le Notreangelegt hat. Doch haben diese Gärten noch zu viel Kunstund Regelmäßigkeit. Gegenwärtig übertreffen die Eng -länder in dieser Kunst alle europäischen Völ ker. Diegroßen englischen Gärten sind Landschaften, darin keineGattung der natürlichen Schönheit vermißt wird.«35

Neben solchen historiographischen Relativierungs -ver suchen wurden auch die anekdotischen biographi-schen Schilderungen weiter verbreitet, wie etwa ein Ar ti -kel aus der von August von Kotzebue herausgegebenenZeitschrift Die Biene zeigt. Der von einem Anonymusverfaßte Bericht unter dem Titel Le Nôtre beruht offen-sichtlich sowohl auf der Kenntnis des Abgrégé als auchauf Teilen der Le-Nôtre-Passage in den Erinnerungendes Herzogs von Saint-Simon.36 Zugleich drückt sich auchhier der Anspruch der Historisierung aus, der schließlichin einer Rehabilitierung mündet. Von besonderem Inte -resse sind die einleitenden Bemerkungen: »Der braveGärtner, von dem einst ganz Europa die Regeln des Ge -schmacks in der Gartenkunst empfing, wird als Künstlerwenig mehr geachtet, seitdem die englischen Parks aufeuropäischen Boden, und oft auf einen einzigen MorgenLandes verpflanzt worden sind. Ich mag mit Niemandemdarüber streiten, welcher Geschmack den Vorzug verdie-ne. […] Vielleicht fanden die krummen Gänge der Eng -länder nur deswegen so schnellen Eingang, weil das gan -ze Jahrhundert anfing, krumm zu gehen, und weil man inder Moral, wie in der Politik nicht gerne drey Schritt weitvor sich sieht. Das bey Seite, denn ich will es hier nichtmit Le Nôtre dem Gärtner, sondern mit Le Nôtre dem

Anmerkungen

1 Lister 1699, S. 36.2 Mercure de France, Mai 1693, S. 294-296.3 Lister 1699, S. 37.4 Zu den Quellen: Castelluccio 2003, S. 30-39.5 Zur Definition Grothe 1971; zur Entstehung des Genres im

17. Jahrhundert Hilzinger 1997. 6 Orsenna 2000.7 Zitiert nach Hilzinger 1997, S. 13.8 [Desgots] 1730; der von mir konsultierte Band befindet sich in der

Universitätsbibliothek Leipzig; zum Text: Berger 2008, S. 203-214.9 Der Großvater Coypels, Noël Coypel, wirkte 1673-75 als Direktor

der Académie de France in Rom.10 Paris 1699, 2. Auflage 1715.11 Hilzinger 1997, S. 36.12 [Desgots] 1730, S. 459.13 Siehe unten.14 [Desgots] 1730, S. 463.15 Ebd., S. 465.16 Ebd., S. 469f.17 Ebd., S. 470.18 Mercure galant, Septembre 1700, S. 277.19 Hierzu Berger 1985, S. 18f.20 Hierzu Kris/Kurz 1995 sowie Wittkower 1965.21 Voltaire 1884, Bd. 2, S. 423.22 Hilzinger 1995, S. 27-31.23 Saint-Simon 1977, Bd. 1, S. 250f.

24 Wittkower 1965, S. 65-94.25 [Desgots] 1730, S. 459.26 Dezallier d’Argenville 1779, S. 106. 27 »La force et l’etendue de son génie le rendaient si singuliere dans l’art

du jardinage, qu’on peut le regarder comme en ayant inventé lesbeautés principales et porté toutes les autres à leur dernière perfection.«

28 Switzer, 1718, Bd. 1, S. 40.29 Ebd., S. 41.30 In: Hunt/Willis 1975, S. 211-214.31 Voltaire 1884, Bd. 1, S. 466. 32 Laugier 1989, S. 185. 33 Ligne 1799, S. 130.34 Hirschfeld 1779, Bd. 1, S. 36, auch für das folgende Zitat. An ande-

rer Stelle bewertet Hirschfeld gnadenloser. Zu den mit Skulpturendekorierten Orten heißt es: »Die Plätze, die er [Le Nôtre, StS) ver-künstelte, wurden damit bis zum Ekel überladen«, Hirschfeld 1780,Bd. 3, S. 127.

35 Sulzer 1771, S. 423f.36 [Anonymus]: Le Nôtre, in: Die Biene (1809), Bd. 4, S. 42-46.37 Ebd., S. 42f.38 [Anonymus]: Ueber Le Nôtre, in: Gartenkalender 1789, S. 207-210,

hier: 207f.39 Sckell 1825, S. VII (Vorrede zur zweiten Auflage).40 Mosser 2003, S. 115-118.41 Mangin 1888; siehe Mosser 2003, S. 114f.42 Guiffrey 1912.

Abb. 7Briefmarke der franzö si schen Post,1959 (Privatarchiv)

Abb. 8Briefmarkenblock der französischen Post,2013 (Privatarchiv)

16 Stefan Schweizer

Obgleich der Landschaftsgarten sich in seiner Be hand -lung der Pflanze und dem aus Vegetation gebildeten Räu -men zum Teil deutlich vom Barockgarten Le-Nôtre scherPrägung unterscheidet, wurde die Raumqualität derSchöpfungen Le Nôtres bereits von Land schafts gärt nernanerkannt. Bestes Beispiel dafür ist eine Aussage Carl Au -gust Sckells, der die Begeisterung seines Onkels, FriedrichLudwig Sckells, Schöpfer des Englischen Gar tens inMünchen, für Le Nôtres Gärten bezeugt. Sckell habe das»Große, Prachtvolle und Majestätische, was diesen Stylcharakterisiert […], vorzüglich ergriffen. Er bewahrte seinganzes Leben hindurch den erhabenen Eindruck, den die[…] Meisterwerke Le Nôtres auf ihn gemacht hatten.«39

Während sich in Deutschland spätestens seit der Mittedes 19. Jahrhunderts die Histo ri sie rung der Gärten ineiner Weise professionalisierte, die auch in einer Rehabi li -tie rung der barocken Gartenkunst zum Ausdruck kam,feierte man in Frankreich das einsame Genie Le Nôtre alsElement einer nationalen Erinnerungskultur. Historikererfanden den »Jardin à la françaice« historiographisch,Gartenarchitekten wie Henry und Achille Duchêne er -fanden ihn praktisch, noch ehe sich eine moderne Gar ten -denkmalpflege etablieren konnte.40 Noch Arthur Man gingriff zur Kennzeichnung Le Nôtres in den 1860er Jahrenauf die Anekdoten des frühen 18. Jahr hun derts zurück –nun als Illustrationen seines Bandes zur Geschichte derGärten.41 Eine erste kritische Bewertung der Le-Nôtre-Anekdoten und mit ihr ein verstärkter Blick auf Werk,Stilistik und neue Quellen verdanken wir schließlich JulesGuiffrey, dem ehemaligen Direktor des französischenNationalarchivs, der 1912 eine verdienstvolle Le-Nôtre-Monographie vorlegte und damit das Zeitalter der wissen-schaftlichen Forschung zu André Le Nôtre einläutete.42

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teils in einem Exemplar auch im Besitz André Le Nôtresgewesen sein. Fragen nach den spezifischen medialenQua litäten und der Funktion von Gartengraphik gewin-nen angesichts dieses von Le Nôtre zusammengetra-genen Fundus von Hunderten zu Sammelbänden geord-neten Einzelstichen einen besonderen Reiz.

Die Konzentration auf in Einzelblättern oder in Serienexistierende druckgrafische Bilder von Gärten, die vonLe Nôtre angelegt oder umgestaltet worden sind, hat zurFolge, daß die teils überaus qualitätsvollen Gartenbilderaus den bedeutenden französischen Gartentraktaten des17. Jahrhunderts, aus Jacques Boyceaus Traité du jardi-nage (1638), aus Claude Mollets Théatre des plans et jar-dinages (1652) und aus André Mollets Le Jardin de plai-sir (1651), nur am Rande beachtet werden können. Das -selbe gilt für die erstaunliche Karriere des gedrucktenGar tenbilds als didaktisches Hilfsmittel in Traktaten et -wa zur geometria practica oder zur Kunst der Per spek -tive. Diese und andere Beschränkungen waren jedochnötig, um die spezifische ikonische Qualität, die charak-teristische Bildlichkeit jener Gartenstiche genauer erfas-sen zu können, deren künstlerischer Aufstieg sich nahe-zu parallel zur Karriere André Le Nôtres vollzog.

1. Der Garten als Thema der französischen Druckgraphikdes 17. Jahrhunderts

Die gedruckten Gartenbilder, die Le Nôtre so eifrig ge -sam melt hat, bedienten sich eines breiten Spektrumsbild licher Darstellungstechniken: vom kartographischenBlick über die Vogelschau und die einzeln oder als Teileiner Serie konzipierte Vedute bis hin zur isolierten,grund riß artigen Darstellung des Ornaments eines Bro -de rieparterres oder zur Detailansicht einer Garten skulp -tur oder einer Prunkvase. Die medienspezifischen Cha -rak teristika derartiger Gartenbilder und die Einflüsse,aus denen sie ihr bildliches Vokabular bezogen, sind vonder Forschung erst in den letzten Jahren intensiver the-matisiert worden.5 Dennoch wirft die gezielte Be trach -tung dieses Themenbereichs noch eine Reihe wichtigerFragen auf. Die hier erstmals in diesem Umfang neben-einandergestellten und konsequent als Gartenbilder be -trachteten Stiche zeigen das.

Die außerordentliche Erfolgsgeschichte der französi-schen Gartenbilder der 2. Hälfte des 17. Jahrhundertsspeiste sich aus drei Wurzeln. Die eine lag in den

A ndré Le Nôtre besaß am Ende seines Lebens 130Bände mit Kupferstichen und Radierungen, von

denen zwölf in kostbares rotes Maroquinleder und derRest in Kalbsleder gebunden waren.1 Neben Gemälden,Bronze- und Marmorskulpturen, chinesischem Porzel -lan und Medaillen war die Druckgraphik ein wesentli-cher Bestandteil der Sammlung des zu Wohlstand ge -kom menen premier jardinier du Roi. Sein Testament ausdem Jahr 1700 listet auf, was genau sich in diesen Sam -melbänden befand, de ren Wert auf 3.511 Livre geschätztwurde.2 Dominant ver treten waren neben Reproduk -tions stichen nach Wer ken von Raffael, Nicolas Poussin,Adam Frans van der Meulen u. a. in erster Linie Portrait -stiche, etwa von An tonius van Dyck oder Robert Nan -teuil. Bemerkenswert war weiterhin der Anteil von Ori -gi nalgraphiken Rem brandts oder auch so bedeutenderKupferstecher und Radierer wie Jacques Callot, Abra -ham Bosse oder Romeyn de Hooghe. Schließlich bilde-ten Architektur- und Gartenstiche und -stichserien einenweiteren markanten Schwerpunkt der PrivatsammlungLe Nôtres. Handelt es sich bei einigen dieser Bände umvollständige, als solche gehandelte Stichserien oder um diebandweise herausgegebenen Produkte des Cabinet du Roi,so scheint Le Nôtre andere Bände selbst zusammenge-stellt zu haben. Die Inventarliste von 1700 nennt u. a. diefolgenden thematisch geordneten Sammlungs bände:

– »un gros vollume in folio contenant les bastimentsroyaux (de) Du Cerceau«3

– »un autre volume moyen, relié en veau, contenant tousles palais et fontaines de Rome, par Falda«4

– »cinq autres grands volumes […], contenant les œuv-res de Le Paultre«

– »un grand volume de toutes les veues, grottes, fontaines,festes et statues de Versailles, par Lepaultre, Silvestreet autres«

– »un autre vollume contenant le Grand Carouzel avecles Cadrilles, fait par Silvestre«

– »un autre volume in folio, relié de veau, contenanttoutes les grandes veues des Maisons Royalles, gravéespar Marotte (Jean Marot) et Silvestre«

– »un gros volume de toutes les veues de Silvestre«– »toutes les festes de Versailles par Silvestre et Le Paultre,

reliées en maroquin en un volume«

Die in diesem Katalog und der zugehörigen Ausstellungzusammengestellten Gartenstiche dürften also größten-

Christof Baier

»graver en taille douce«Die Gartenkunst André Le Nôtres im Medium der Druckgraphik

18 Christof Baier

kartographische Repräsentation dervom Menschen durch messenen Welt,sei es auf See karten oder auf Kartenvon Terri to rien, war bereits am Aus -gang des 16. Jahr hun derts als eineder maßgeblichen Kulturtechnikenneuzeitlicher Herrschaft in Europaetabliert. Um 1600 hatte sie in denNiederlanden eine feste Aus prä -gung erhalten. Die mit Hilfe vonim mer genaueren, bald auch dasFern rohr miteinschließenden Ver -messungsinstrumenten, Winkel mes -sungen und Projektions tech nikenauf dem Papier kon struierte syn-optische Sichtbarkeit der Karte warfür die Zeitgenossen schon an handder bildlichen Er schei nungs form alsInstrument moderner Herr schaft zuer kennen. Ent spre chend nutztendie Künstler diese Tech nik zurbild lichen Insze nie rung von Gär ten,mal demonstrativ machtpolitisch(Kat.-Nr. 29), mal als grafisch-räum -liches Ordnungs muster (Kat.-Nr. 45,67), mal als per spektivisch verleben -digtes Schau stück einer »Er lu stie -ren den Augen weide« (Kat.-Nr. 85).

Die französischen Wurzeln derGar tenbilder von Jean Marot, IsraëlSilvestre, Adam Perelle, Pierre LePautre oder Pierre Aveline reichenzum einen zurück auf JacquesAndrouet Du Cerceaus 1576 und1579 erschienenes Stichwerk PlusExcellents Bâstiments de France(Abb. 1 & 2). Darin waren erstmalsalle Modi der Ar chi tek tur dar stel -lung, die in Italien entwickelt wor-den wa ren, zur möglichst umfas-senden Präsentation einer bauli-chen Anlage oder eines Gartens ge -nutzt worden. Neben den Dar stel -lungsmodi ichnographia (Grund -riß) und ortho graphia (Aufriß),

welche durch den zeitgenössischen Gebrauch in Archi -tekturlehrbüchern sanktioniert waren, hatte Du Cerceaudie scenographia zu einem eben so facettenreichen wielebhaften Aus drucks mittel ent wickelt. Dabei dominier-ten die Vogelschau und die Ansicht al angolo. Mit derIndienstnahme der im 16. Jahr hundert vornehmlich zurrepräsentativen Stadt an sicht entwickelten Vogelschau fürdie Gartendarstellung beschritt Du Cerceau denselbenWeg, wie nahezu zeitgleich auch Étienne Dupérac, etwamit seiner 1573 fertiggestellten Ansicht der Villa d’Esteund ihres Gartens (Abb. 3). Zum anderen ist als bedeu-

Niederlanden, die andere in Frankreich und die dritte inItalien.

Auf niederländische Wurzeln läßt sich das Dispositivdes kartographischen Blicks zurückführen.6 Die karto-graphische Erfassung und Repräsentation war ein wich-tiger Darstellungsmodus des Gartens. Solche Garten -bilder bezogen ihre Wirkung und ihre Popularität dar-aus, daß sie direktes Ergebnis der praktischen An wen -dung der neuen Leitwissenschaften der Zeit waren: Ma -the matik und Geometrie. Die auf einer vermessungstech-nischen Erfassung eines größeren Naturraums basierende

Abb. 1Jacques Androuet Du Cerceau: Château Gaillon. Grottenwand, Innenfassade der Maison Blanche undGartenanlage, aus: Ders.: Les Plus Excellents Bâtiments de France (1576) (Babelon 1989, S. 533)

Abb. 2Jacques Androuet Du Cerceau: Grundriß von Château Gaillon, aus: Ders.: Les Plus ExcellentsBâtiments de France (1576) (Babelon 1989, S. 87)

»graver en taille douce« 19

cher von Callot beeinflußte Meisterschaft in der bild -räumlichen Inszenierung der Gärten und in der Dar stel -lung von Wandoberflächen, Laub, Wasser und Licht wei-sen Radierungen Stefano della Bellas mit Ansichten desGartens von Pratolino auf, die 1653 entstanden. In denfolgenden Jahrzehnten sollte sich dann, maßgeblichgeprägt durch die Verlegerfamilie de Rossi, in Rom eine

tender Strang der französischenWurzeln das druckgrafische WerkJacques Callots zu benennen. Derin Nancy geborene Callot hatte mitder virtuosen grafischen Aus füh -rung seiner Ra die rungen und sei-nen gerade im Hinblick auf dieRaum darstellung innovativen Bild -fin dungen Maß stä be gesetzt. SeineMeisterschaft bei der Inszenierungeines theaterhaft wirkenden Per -spek tivraums, in welchem Staffage -figuren vielfältigste bildimmanenteAufgaben er füllen, zeigt sich exem-plarisch in der 1625 entstandenenDar stellung des Parterres von Nan -cy (Abb. 4). Vor allem für Silvestre,der über sei nen Onkel Israël Hen -riet, den Ver leger Callots, zahlrei-che seiner Radierungen und Kup -fer tafeln er worben hatte, waren Cal -lots theatralische Bild räume zeitle-bens ein Orientierungs punkt.7

Die italienische Wurzel schließ-lich führt nach Rom. Der unter denPäpsten des 16. Jahrhunderts be -lebte künst lerische Glanz dieserStadt, die zunehmende Be deu tungvon Architektur und Gartenkunstim komplexen Repräsentations -system der Päpste und päpstlichenNepoten sowie die dadurch an ge -lockten internationalen Pilger undBildungsreisenden hatten in Romeinen be mer kenswerten Markt fürLiteratur und gedruckte Bil der ent-stehen lassen, welche diesen Ruhmverkündeten. Architektur, Garten -kunst und ihre bildliche Reprä sen -ta tion waren nach Anfängen imspä ten 16. Jahrhundert in den er -sten Jahrzehnten des 17. Jahr hun -derts als wichtiges Instrument derPanegyrik etabliert worden. Geradein der Formierungsphase dieserneu en »Bildpropaganda« warenfran zösische Künstler wie ÉtienneDupérac, Jacques Callot, Domini -que Barrière oder Israël Silvestre inIta lien maßgeblich an der Produktion von Einzelblätternoder Serien zur Verstetigung und Verherrlichung der vonden großen römischen (Papst-)Familien geschaffenenPalast- und Gartenanlagen beteiligt. Als Beispiel sei Bar -rières 1647 erschienene Stichserie zur Villa Aldobrandinigenannt, welche dem jungen französischen König Lud -wig XIV. gewidmet war. Eine vergleichbare, noch deutli-

Abb. 3Étienne Dupérac: Villa d’Este in Tivoli (1573) (Lazzaro 1990, S. 220)

Abb. 4Jacques Callot: Le parterre de Nancy ou Jardin de Nancy (1625) (Callot 1992, S. 328, Abb. 452)

20 Christof Baier

produktion Frankreichs versam-melt werden, um sie ko ordiniert zurVerewigung und rühmenden Be -schreibung der königlichen Samm -lungen, der wissenschaftlichen Ar -beiten der Académie Royale desSciences, insbesondere aber der mitso gewaltigem Aufwand betriebe-nen königlichen Bauprojekte ein-zusetzen. Zielpunkt all dessen warunausweichlich die »gloire« Lud -wigs XIV. Dazu wurde eine Reihebesonders angesehener Künstlerwie Israël Silvestre oder Pierre LePautre fest für das Cabinet du Roiangestellt. Sie erhielten neben derBezahlung für fertiggestellte Ein -zelblätter und Stichserien ein festesJahresgehalt aus dem Fond desBâtiments du Roi. 1667 wurde fest-gelegt, daß fortan Schlösser undKunstwerke, die sich in königli-chem Besitz befanden, nur noch

von diesen, durch den Sur-Intendant des Bâtimens duRoi autorisierten »Gra veurs et Imprimeurs« dargestelltwerden durften. Un au to risierte Drucke samt der zu ge -hörigen Druckplatten sollten zerstört und ihre Herstellermit einer Strafe von bis zu 3.000 Livres belegt werden.13

Zwi schen 1665 und 1670 sammelten sich auf diese Weisejähr lich etwa 50 Kupferplatten in der Bibliothèque duRoi an, und Colbert beschloß, diese Stiche zu kommen-tierten Bänden zusammenzufassen.14 Daraus ergabensich die Forderung, das Format der Stiche zu vereinheit-lichen, sowie die Fest le gung, daß die Abzüge zur Ver -besserung der Druck qua li tät ausschließlich in der neuein gerichteten Imprimerie Royal herzustellen seien. Ins -ge samt entstanden so 23 aufwendig in rotes Maro quin -leder gebundene Bände, die zunächst in erster Linie alsGeschenke im diplomatischen Austausch genutzt wur-den. Ein wirtschaftlicher Erfolg wurde das merkantilisti-sche Unternehmen des Cabinet du Roi, welches bis 1678bereits 186.900 Livres an Lohnkosten für die Künstlerund 2.500 Livres für das Ma te rial gekostet hatte, nie. Fürdie Verbreitung des Ruhms und des Glanzes des franzö-sischen Hofs Ludwigs XIV. entfaltete es jedoch sehr wohldie erhoffte Wirkung, insbesondere nachdem 1678 derVerkauf der Bände und Ein zelblätter im Kunsthandelvon Colbert freigegeben worden war.

Wie stark das im Kontext des Cabinet du Roi undgrößtenteils anhand der von Le Nôtre entworfenen An -lagen entwickelte Bild des Gartens den Blick der Zeit -genossen auf die Gartenkunst geprägt haben muß, zeigenNachfolgeprojekte wie Erik Dahlbergs Suecia antiqua ethodierna,15 zahlreiche Nachdrucke in häufig stark ver -klei nertem Maßstab16 sowie die noch bis weit ins 18. Jahr -hundert hinein entstehenden Serien von Gartenveduten

Produktion panegyrischer Stichserien zu Gärten, Villenund Palästen entwickeln, die in Qualität und Quantitätnur mit derjenigen in Frankreich vergleichbar ist.8

Um 1650 läßt sich ein Bruch konstatieren – fortan lagder Fokus der französischen Architektur- und Gar ten -vedutisten nicht mehr auf italienischen, sondern auf fran-zösischen Anlagen.9 Wohl ab 1654 entstand Jean MarotsPetit Marot10 mit Ansichten der hervorragendsten franzö-sischen Bauten, dem 1670 der Grand Marot11 folgen sollte.Um 1657 erschien die ebenfalls von Marot ge schaf fene, 19doppelseitige Tafeln umfassende Stichserie Le magnifiquechasteau de Richelieu, en general et en particulier, welcheneue Maßstäbe an Opulenz setzte, dar stellungstechnischjedoch kaum von dem durch Du Cerceau geprägtenSchema abwich. Israël Silvestre gelang es schließlich in denfrühen 1660er Jahren mit seiner Stichserie zu NicolasFouquets Vaux-le-Vicomte, die Gartenvedute als domi-nanten Bildmodus zu etablieren (Kat.-Nr. 29-41). IndemSilvestre hier erstmals eine Gar tenanlage Le Nôtres in denFokus einer überaus ambitionierten panegyrischen Stich -serie setzte, schuf er einen Höhe punkt der druckgrafischenRepräsentation von Gar ten kunst.

Zugleich jedoch bedeutete dieser Höhe- auch einenweiteren Wendepunkt. Fortan waren es die Gärten Lud -wigs XIV., welche das mit den Gartenbildern des Hoch -adels gesetzte Niveau aufnahmen und zu übertreffensuchten. Mit diesem Ziel bündelte Jean-Baptist Colbert,Ministre d’Etat und ab 1664 Surintendant des Bâtiments,Arts, Tapisseries et Manufactures de France, all dieseSträn ge der Entwicklung des druckgrafischen Garten -bildes und verleibte sie Mitte der 1660er Jahre als Teil be -reich dem gigantischen Unternehmen des Cabinet du Roiein.12 Im Cabinet du Roi sollte u. a. die gesamte Stich -

Abb. 5Claude Lorrain: Der Tanz am Wasser (um 1635/36 und um 1640/41) (Lorrain 2012, S. 217)

»graver en taille douce« 21

nes eindrücken des sich bewegenden Gartenbesuchersgeprägten »realen« oder auch »ursprünglichen« Garten -er lebnisses in eine streng perspektivisch konstruierteBildform, als Manipulation, Vereinfachung und damit alsVerzerrung und Verarmung betrachtet. Ganz im Sinneeiner solchen Wertung ist der tatsächliche bildhafteEigen wert des mit Hilfe drucktechnischer Verfahren er -zeugten Gartenbildes bisher nicht zusammenhängendun tersucht worden.

Betrachten wir daher die Gartenvedute als Raumbild.»Raumfragen hatten im 17. Jahrhundert Konjunktur«,be tont Karin Leonhard in ihrem Text über die »Raum -frage des Barock«.20 Sie hebt hervor, daß der Dis put umRaum, der sich in zahlreichen Traktaten niedergeschla-gen hat, »bewundernswert fein kultiviert« gewesen sei.Die räumliche Disposition der menschlichen Le bens weltwar für das durch die Entdeckungen neuer Räume imGroßen (Fernrohr) und im Kleinen (Mikros kop) gepräg-te 17. Jahrhundert eine Herausforderung: Zum einenstellte sich den Gelehrten die Frage, was Raum sei, wie ergrundsätzlich konstituiert sei; zum an de ren fragten sienach der Wahrnehmung, nach der Er kenntnis von Raumdurch den Menschen. Karin Leon hard konstatiert nacheingehender Betrachtung des von Descartes bis zu New -ton und Leibnitz geführten Dis kurses über Raumfragen,das 17. Jahrhundert sei ein »Zeit alter äußerst labilerRaumentwürfe« gewesen, welches trotz des so intensivgeführten Disputs keinen »ge festigten Begriff und keinegültige Definition für das Ver hältnis von Körperwelt undräumlicher Ausdehnung kann te.«21

Wie brisant die Beschäftigung mit der Raumkunst derkonstruktiven Perspektive in Frankreich um die Jahr -hun dertmitte sein konnte, zeigt ein in Paris ausgetragener

wie jene von Cornelis Danckerts,Daniel Stoopendaal, Isaac Mou che -ron, Jean Baptiste Broebes, Mat -thias Diesel (Kat.-Nr. 52, 53), Salo -mon Kleiner oder Franz An ton Dan -reiter, die trotz kleiner Ab wei chun -gen dem französischen Vor bildweit gehend verpflichtet blieben.17

2. »Veüe et Perspective«Zur Konstruktion vonräumlichen Bildern moregeometrico in Gartenkunstund Druckgraphik

Als wichtigste Einflüsse auf die imCabinet du Roi vereinten Graphikerund deren gartenspezifische Bild -fin dun gen hat Michaela Völkel jeneDarstellungsmodi benannt, die imspäten 16. und frühen 17. Jahr hun -dert für die Landschaftsmalerei, dieArchitektur zeich nung und die (Theater-)Szenograpie ent-wickelt worden waren.18 Einen in Rom in den 1640erJahren um die Künstler Israël Silvestre, DominiqueBarrière und Gio vanni Battista Fontana bestehenden»Ideen schmelz tiegel«, der kompositorische Elemente ausJacques Cal lots Stichwerk mit solchen aus der Land -schafts malerei Carraccis, Poussins und Lorrains ver-schmolz, sehen Völkel und auch Lau ter bach als Aus -gangs punkt für jenes dann über Jahrzehnte dominieren-de Darstellungsschema der repräsentativen (Garten-)Ve -dute.19 Dabei wird der hauptsächliche Ge gen stand desBildes, das Gebäude, so im Bildmittelgrund plaziert, daßder Blick schräg seitlich darauf gerichtet ist. Im Vor der -grund erzeugen rahmende Bäume und Staf fa gefigureneine zusätzliche Tie fen wirkung.

Die hier zweifellos zu Recht aufgezählten bildneri-schen Mittel lassen sich jedoch genauer bestimmen. Imdirekten Vergleich beispielsweise zwischen Claude Lor -rains um 1634 entstandener Radierung »Tanz am Ufer«(Abb. 5) und Israël Silvestres VEUE EN PERSPEC-TIVE DES CASCADES DE VAUX (Abb. 6) zeigtsich bei allen Übereinstimmungen doch überdeutlich,daß Lorrain eine natürliche Perspektive in Szene setzt,während Silvestre eine künstliche Perspektive präsen-tiert. Dabei beziehen sich »natürlich« und »künstlich«keineswegs nur auf die Eigenschaft des dargestelltenRaums als Naturraum oder Gartenraum. Vielmehr sinddamit ganz konkret die gestalterischen Instrumente zurErzeugung eines perspektivischen Bildraums angespro-chen. Verkürzt läßt sich konstatieren: Lorrains Bild räu mewirken komponiert, Silvestres konstruiert.

Häufig wird diese bildliche Inszenierung von Gar ten -an lagen, die Übersetzung des vielfältigen, von den Sin -

Abb. 6Israel Silvestres VEUE EN PERSPECTIVE DES CASCADES DE VAVX (1660) (Kat.-Nr. 40)

»wissenschaftlicher Bilderkrieg«22 (Kat.-Nr. 10, 11). Beidieser Auseinandersetzung zwischen Gérard Desarguesund Abraham Bosse auf der einen, Jean Dubreuil undCharles Le Brun auf der anderen Seite, ging es vorder-gründig um die richtige Konstruktion von Perspektivenauf dem Papier. Im Kern wurde diese Aus ein an der -setzung, die 1661 im Ausschluß Bosses aus der AcadémieRoyale de Peinture et de Sculpture endete, je doch um dieFrage geführt, inwiefern Raum prinzipiell von jeder-mann »ersehen« und damit berechnet, konstruiert undalso geschaffen werden könne, wie Desargues und Bossebetonten, oder ob er lediglich angesehen, also wahrge-nommen werden könne. Begreifen wir dies, wie PabloSchneider gezeigt hat, als »Problem eines gestaltendenBlicks gegenüber einem rezipierenden«,23 dann wird dieganze Tragweite faßbar: Mit der von Desargues undBosse verfolgten völligen Geometrisierung und Be re -chenbarmachung der Welt wurde nicht nur der akademi-sche Vorrang der Malerei und insbesondere der Hi sto -

rienmalerei in Frage gestellt, sondern letztlich wurden sodie Mysterien der Macht, die Grundlagen der theolo-gisch eingefärbten politischen Herrschaft des französi-schen Königs angegriffen – ein souveräner Herrscherkann nicht berechenbar sein.

Damit war jede theoretische und praktische Be schäf ti -gung mit Raumfragen im 17. Jahrhundert eine heikle undhochpolitische Angelegenheit. Diese Feststellung betrifftunser Thema, die forcierte Raumkunst der Gärten AndréLe Nôtres und ihre angemessene Darstellung im perspek-tivisch konstruierten Bildraum, auf doppelte Art undWeise: Die Popularität, Labilität und Brisanz der Raum -vorstellungen prägten das Aussehen des »grünen Gar -tens« ebenso wie jenes des »schwarz-weissen Gar tens«.

Dabei ist zunächst kurz auf den »grünen Garten« alsSpielwiese der geometria practica zu verweisen, jenerKunst, welche den Naturraum mit Hilfe der Geometrieund der Optik in einen Kunstraum mit präzis kalkulier-ter Wir kung auf die Raumsinne des Menschen verwan-deln konn te (Kat-Nr. 10, 12). Diese Eigenschaft des Gar -tens, Exerzierfeld einer hochmodernen Kultur- und Herr - schafts technik zu sein, war den Zeitgenossen durchauspräsent. Beispielsweise diente in den illustrierten Trak -taten zur praktischen Geometrie neben dem Festungs - raum in erster Linie der Gartenraum als didaktischesLehr bild, um geometrische Operationen zu veranschau-lichen (Abb. 7).

Schon seit Beginn des 17. Jahrhunderts hatten franzö-sische Gartenarchitekten wie Olivier de Serres oderJacques Boyceau optische Gesetzmäßigkeiten ange-wandt, um die Parterres auf den weiter und offener wer-denden ebenen Flächen der französischen Gärten zuord nen. Le Nôtre brachte diese Entwurfshaltung auf einneues Niveau, indem er die geometria practica nutzte, umdem sich durch den Garten bewegenden Betrachter ent-lang von Achsen immer neue, exakt konstruierte undaufeinander abgestimmte Szenographien zu erschließen.Le Nôtres perspektivische Gartenräume warenhoch-kom plex und auf den voranschreitenden, sich umdrehen-den, das Gesehene mit der körperlichen Bewegungs er -fah rung abgleichenden Gartenbesucher ausgerichtet. Diewissenschaftliche Beherrschung des (Landschafts-)Raums war eines der großen Themen der GartenkunstLe Nôtres.

Künstlern wie Silvestre gelang es, diesen bis dahin sonicht gekannten Anspruch auf Raumbeherrschung insBild zu setzen. Dabei wird deutlich, wie sehr beide, derRaumkünstler im Grünen und der Raumkünstler aufdem Papier, sich mit ihren geometrisch-perspektivischenKonstruktionen innerhalb desselben Diskurses beweg-ten. So ist den Gartenbildern Silvestres, Perelles, Ave -lines, Swiddes und ihrer Kollegen deutlich abzulesen,daß sie geometrisch sauber konstruierte Bildräume zei-gen, ja, dieses Vorzeigen des Gemacht-Seins wird Teil derBildstrategie. Die perspektivische Konstruktion vonRaum wird als Ausdruck universeller Schöpfungskraft

22 Christof Baier

Abb. 7Sébastien Leclerc: Erläuterung der Konstruktion zweier, sich im rechtenWinkel schneidender Geraden von Punkt C aus mit Hilfe von dreiZirkelschlägen, aus: Ders.: Pratique De La Géométrie Sur Le PapierEt Sur Le Terrain, Paris 1669, Livre Premier: De La Description DesLignes, S. 9 (Universität Rostock, Universitätsbibliothek)

selbst zum darzustellenden Arte -fakt. Dabei verleiht die umfassendeBedeutung der geometria practicaals machtpolitisch re levante Kul -tur technik der Zeit dieser Bild stra -tegie ihre besondere Attraktivität.Indem die Per spek tiv kon struk tio -nen der Garten sti che die Per spek -tiv kon struktionen der Garten räu -me Le Nôtres abbilden, ver stärktsich zudem der Effekt des mathe-matischen Kon struiertseins des Gar - ten kunst werks. Dies gilt für daseinzelne Blatt. Zu gleich strebten dieGartenvedu ti sten folgerichtig da -nach, das charakteristische Gar ten -erlebnis in Se rien von Garten -veduten als Ab fol ge nacheinanderaufzusuchender, aufzublätternderSzenographien zu inszenieren.

Es läßt sich konstatieren, daßdurch beide, durch die virtuoseRäumlichkeit der Gartenkunst An -dré Le Nôtres und durch die zwei-dimensionale Präsentation dieses elaborierten Raum -kunstwerks in Kupferstich und Radierung, der Gartenals »Bühne des Wissens«24 inszeniert wurde, eines Wis sensum Erkenntnis und Beherr schung von Raum.

3. »grauer en taille douce auec l’eau forte«Drucktechnische Bestimmung des Gartenbildes

Die Druckgraphik erlebte im 17. Jahrhundert einen Auf -stieg, der nahezu parallel zu dem der Gartenkunst verlief.Albrecht Dürer, Hendrik Goltzius u. a. hatten im 16. undfrühen 17. Jahrhundert gezeigt, daß sich der Kupferstichnicht nur zum Reproduktionswerkzeug für Werke derMalerei, Plastik und Architektur, zum Instrument derBildpropaganda oder der Volksfrömmigkeit eignete, son-dern daß ihm durchaus eigene, gattungsspezifischekünst lerische Werte innewohnen konnten, die ihn alsKunst werk zum begehrten Sammlerstück machten.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war es dann JacquesCallot, der die in Italien schon verbreitete Kunst der Ra -die rung durch entscheidende technische Innovationenweiterentwickelte. Der die Radierung gegenüber demKup ferstich auszeichnenden »freien Linie«, die ohneMühe in den Firnis und in das Kupfer geritzt wurde, ver-half er durch die Entwicklung eines härteren Firnis, wirk - samerer Säuren und präziserer Radierwerkzeuge wie der»Échoppe«25 zu einer bis dahin nicht gekannten Aus -drucks vielfalt. Selbst etwas so Malerisches wie eine Luft -perspektive ließ sich nun verwirklichen. Fasziniert vonder neuen Kunst experimentierten zeitgleich HerculesSeghers, Rembrandt, Antonius van Dyck und andere mitder Ausdruckskraft der radierten Linie. Abraham Bosse

schließlich entwickelte eine hochdifferenzierte Theorieder »maniere de grauer en taille douce auec l’eau forte«,26

welche 1645 als Lehrbuch veröffentlicht, über mehr alsein Jahrhundert ein wichtiges Standardwerk bleiben soll-te (Kat.-Nr. 17). Auf einer 1643 entstandenen Radierungzeigt Bosse die beiden von ihm meisterhaft beherrschtenTechniken der Radierung (links) und des Kupferstichs(rechts) mit all ihren Werkzeugen und typischenHandgriffen (Abb. 8). Wäh rend die kraftvolle, den gan zenKörper krümmende Be we gung des Grabstichels rechtsder Herstellung eines religiösen Bildes dient, so zeichnetder leichte Strich der Radiernadel links passenderweiseeine Landschaft.

Die von Callot entwickelte, von Bosse zu einem Lehr -ge bäude ausgearbeitete und von Künstlern wie Rem -brandt oder später auch Jacob van Ruisdael perfektio-nierte Kunst der facettenreichen Darstellung von Land -schaftsräumen mittels der Radierung war, nicht seltenkombiniert mit dem Kupferstich, die bevorzugte Tech -nik der Gartenvedutisten.

4. »Avec Privilége du Roy«Das schriftliche Beiwerk des Gartenstichs

Ein auffälliges Merkmal der Gartenstiche sind die Auf -schriften, mit denen sie in der Regel verknüpft sind. Da beilassen sich drei Kategorien unterscheiden: kurze, oder auchlängere, formelhafte Beschreibungen des Bildsujets, perso-nengebundene Angaben zu den Ver fassern und zum Ver -leger sowie häufig nur in Kürzeln verzeichnete Angaben zudem in Anspruch genommenen Privileg.

»graver en taille douce« 23

Abb. 8Abraham Bosse: Les Graveurs en taille-douce à l’eau-fort et au burin (1643) (Le Blanc 2004, Fig. 5)

24 Christof Baier

Diese Textbox verweist darauf, daß es zunächst schwieriggewesen war, die meist titellosen Karten, Grundrisse undAnsichten genau und rechtlich verbindlich zu be nennen.Erst in der zweiten Hälfte des 17. und zu Beginn des 18.Jahr hunderts kam man in den Privilegien für Bil der zu kla-ren Formulierungen.31 Das betrifft zum einen die sprach -liche Fassung, die nun häufig auf formelhafte Wort gruppenoder gar auf Abkürzungen zurückgreifen konnte,32 zuman deren die bildliche Fassung, die Be deu tung des Bild rah -mens und die Beziehung der rechtsverbindlichen Be zeich -nung und Bildunterschrift zum Bild teil.33 Katie Scott the-matisiert am Beispiel einer in den 1720er Jahren entstande-nen Stichserie von Jacques Ri gaud, für die dieser 1728 denSchutz eines königlichen Privilegs erhielt, ein charakteristi-sches Merkmal nahezu aller in dieser Aus stellung gezeigtenGartenstiche: Die auf dem Papierblatt fein säuberlich vor-genommene Un ter scheidung des eigent lichen Bildraums(»space of re pre sentation«) von einer darunter angeordne-ten In schrif ten-Zone. Während dabei der Bildraum durchmindestens einen dünnen, aber klar sichtbaren Strichgerahmt wird, bleibt die Text-Zone ungerahmt. Diese un -ab hängige untere Zone, die auch von einer separaten Plattege druckt werden konnte (Kat.-Nr. 89), identifiziert Scottals einen »Rechtsraum«. Besonders geht sie auf die einemRechtsspruch ähnliche »sentence like strukture« ein. In -dem der Name des Autors oder häufiger der Name und dieAdresse des Verlegers in eine Zeile mit der Nennung desPrivilegs gesetzt sei, werde zwischen diesen eine deutlicheVerknüpfung hergestellt, welche als Ergänzung zu der zwi-schen Privileg und privilegiertem Objekt bestehe. Das Pri -vileg, so lautet die Schluß fol ge rung von Scott, fungiert beiAbwesenheit eines realen Rahmens als Rahmen, der priva-tes Eigentum abgrenzt und kennzeichnet.

Derartige Privilegien wurden im 17. und 18. Jahr hun -dert für genau bestimmte Zeiträume vergeben. Quesnelerhielt für seinen Parisplan 10 Jahre, Rigaud für seine Seriezwölf Jahre. Erweiterungen von Privilegien wurden baldüblich, auch wenn sie umstritten blieben. Sie wurden ver-geben aufgrund von Beigaben und Er wei te rungen desursprünglich Privilegierten. Dies war im Fall von Büchern,aber auch von Zusammenstellungen mehrerer Bilder etwain Serien einfach. Das einzelne Bild, die einzelne Radie -rung jedoch konnte nicht einfach ergänzt werden. Dochgab es Tricks: Bei der Neu heraus gabe von StichserienJacques Callots, Stef fano della Bellas und Israël Silvestreserwarb Jacques-Phi lippe Fagniani ein Privileg mit der Be -gründung, er habe die »œuvres« der drei Künstler durchdas Aufspüren verlorener Blätter vervollkommnet unddarüber hinaus durch neue Rahmungen, etwa der altenTitelblätter, ein »enrichment« bewirkt.34

Trotz all dieser Bemühungen, die am ehesten noch denVerleger als den Händler, seltener jedoch den Künstler alsAu toren der Graphiken umfassend schützten, entwickeltesich gerade in den 1680er und 1690er Jahren das Kopierenfran zösischer Gartenbilder zu einem guten Ge schäft, insbe-sondere für niederländische Verleger wie Nicolaus Visscher.

Die Funktion der Beschreibungen ist auf den erstenBlick eindeutig. Sie benennen das, was auf dem darüberangeordneten Bild zu sehen ist. Der Umfang dieser »insWort Setzung« des Bildinhalts variiert stark – formelhafteWortgruppen aus wenigen Worten sind eben so zu findenwie stimmungsvoll-kleinteilige Erläu te rungen oder lange,dutzende Einträge umfassende In dizes. Un ver zicht barscheint es gewesen zu sein, den Modus der Darstellung(Plan, Veue et Perspective, Veue Generale u. ä.) genau zubenennen – einmal mehr ein Verweis auf den Stellenwertder perspektivischen Dar stellungstechnik. Auch der Namedes Anwesens und der exakte Ort des gewählten Aus -schnitts bzw. das gewählte Objekt der Ansicht fehlen fastnie. Darin spiegelt sich der Anspruch der Gartenvedute,Abbild eines Realraums und nicht Phantasiebild zu sein.

Auch hinsichtlich der personengebundenen Angabenscheint der Zweck auf der Hand zu liegen. Der Name desVerlegers steht für die Druckgraphik als Geschäft; die viel-fältig formulierten Verweise auf den Entwerfer (del., delin.,inv., inven., fig. o. ä.) und auf den Ausführenden (f., fec.,sculp. o. ä.) thematisieren die Graphik als Kunst bzw. alsHandwerk. Wenn wir nun von der Feststellung, daß immerder Verleger, aber nicht immer der Künstler ge nannt ist, zumHinweis auf das erworbene Privileg blicken, dann deutetsich an, daß die Aufschriften auf derartigen Drucken nichtzuletzt dem Bereich des Ur heberrechts zuzuordnen sind.

Ein Urheberrecht im heutigen Verständnis gab es inder zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht.27 Es gabjedoch seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert das Instru -ment des Privilegs, mit dem Ausschließlichkeitsrechtefür den Druck bestimmter Werke erteilt wurden. Dochgalten diese zeitlich eng befristeten Privilegien nur indem Herrschaftsgebiet des jeweiligen weltlichen oderkirchlichen Landesherren. Werke, die in Frankreich mitköniglichem Privileg erschienen waren, konnten in Am -sterdam, Augsburg oder London nachgedruckt und inden entsprechenden Territorien vertrieben werden.

Lange hatte dieses Schutz- und Steuerungsinstrumentsich hauptsächlich auf den Buchdruck bezogen.28 Einesder frühesten bekannten »privilèges in images« wurde imJahr 1608 François Quesnel für seine grandiose, von 12Kupferplatten gedruckten Carte Ou Description Novvellede La Ville Cite Vniversite Et Favxbovrs De Paris ge -währt.29 In dem Privileg für Quesnels Stadtplan spiegeltsich, wie Katie Scott gezeigt hat, die Entwicklung desgedruckten Bildes in Frankreich. War es bis Ende des 16.Jahrhunderts zumeist in Form von Illustrationen in Bü -chern aufgetreten und so in den Privilegien für dieBücher mitenthalten, so führte erst der Aufschwung deseigenständigen gedruckten Bildes zu Beginn des 17. Jahr -hunderts und der Umstand, daß einzelne Blätter mitDrucken eine handelbare Ware wurden, dazu, daß dieseeines eigenen rechtlichen Schutzes bedurften.

Wie die Gartenstiche aus den 1670er und 1680er Jahrenbesaß schon der Stadtplan Quesnels eine Box, in welcherein ausführliches »Extrait de Privilege« aufgeführt war.30

»graver en taille douce« 25

Diese zwischen absolutistischem Repräsentations auf -trag, enzyklopädischem Bildungsauftrag und doppeltemKunst werkcharakter changierende Position verschaffteder Graphik und damit auch den Künstlern, die sich demKup ferstich und der Radierung widmeten, ein zuneh-mendes soziales Prestige. Dies zeigt sich an ihrem Statusinnerhalb der 1648 gegründeten Pariser Académie Royalede Peinture et de Sculpture. Zunächst waren die Graveurewie etwa die Land schaftsmaler grundsätzlich von höhe-ren Posten in der Aka demie ausgeschlossen, welcheHistorienmalern, Portrait malern oder Bildhauern vorbe-halten blieben. So wurde Abra ham Bosse zwar 1651 zumAcadémiste honoraire ernannt, jedoch mit sehr be -schränk ten Privilegien innerhalb der Akademie.40 Schonbald aber, seit Beginn der 1660er Jahre, wurde den Gra -veuren der Rang eines Conseiller zu ge standen, was ihnenu. a. erlaubte, die Aufnahme neuer Mit glieder mitzube-stimmen.41 Israël Silvestre, 1662 Des si nateur et graveurdu Roi, wurde wohl 1666 Vollmitglied der Akademie;1670 war er Conceiller.42 Sébastien Leclerc schließlich,der seit 1668/69 den Titel Dessinateur et graveur ord. duRoi trug, wurde 1672 Vollmitglied der Akademie.43 1687kann Nicodemus Tessin d. J. dann berichten, die Pariser»Mahler Accademie« habe »21 bildhauers, 63 mahlersundt 10 kupfferstecker« als Mitglieder.44

Die vielfältigen Gründe für die besondere Wert schät -zung des Kupferstichs und der Radierung als Samm -lungs gegenstand brachte am Ende des 17. JahrhundertsRoger de Piles in seinem Buch Abrégé De La Vie DesPeintres (1699) auf den Punkt.45 Im 27. Kapitel schrieb erüber »l’utilit t des Estampes, & de leur usage«: Druck -graphik funktioniere, so de Piles, als Gedächtnisstütze;sie sei besser als Worte in der Lage zu unterweisen; siekönne abwesenden Dinge vergegenwärtigen; sie ermögli-che durch ihre geringe Größe und Leichtigkeit den Ver -gleich verschiedener Dinge und Kunstwerke; sie sei ge -schmacks bildend, und schließlich vermittele sie Ver gnü -gen durch Imitation.

Vor diesem Hintergrund ist die bemerkenswerte Kar -riere der Gartenstiche in der zweiten Hälfte des 17. Jahr -hunderts zu betrachten. Dabei kann einmal mehr aufJohn Evelyn verwiesen werden. Seinem Freund SamuelPepys legte er 1669 anläßlich einer Reise nach Paris ansHerz: »Pray forget not to visit ye Taile-douce shops, andmake collection of what they have excellent, especiallythe draughts of their palaces, churches and gardens, endye particulars you will have seen. They will greatly re -fresh you in your study, and by ye fire side, when you aremany years return’d.«46 Und auch der schwedische Hof -architekt Nicodemus Tessin d. J. verwies in den Notizenseines zweiten Besuchs der Schlösser und Gärten in undum Paris immer wieder auf Gartenstiche. Nach seinemBesuch von Meudon, den er gemeinsam mit dem 68jähri-gen Israël Silvestre absolvierte, war sich der schwedischeHofarchitekt sicher: »die vëuen so ich darvon haben,werden dass meiste darvon zu kennen geben«.47

5. »the most pleasing descriptions of sensual Objects«Das Sammeln von Druckgraphik

In der eingangs kurz vorgestellten Sammlung Le Nôtres,insbesondere in dem Sammlungsteil Druckgraphik unddes sen in der Inventarliste durchscheinender Systematik,offenbart sich eine neue Sammlungspraxis, die sich gera-de durchzusetzen begonnen hatte. Die Druckgraphikspiel te dabei, wie Stephan Brakensiek gezeigt hat, einetra gende Rolle.35 Besondere Bedeutung schreibt Braken -siek der Sammlung von Michel de Marolle (1600 – 1681)zu. De Marolle, der Zeitgenosse Le Nôtres, den vieleFor scher als »Gründer des Kupferstichkabinetts« be -trach ten, hatte die wohl größte bekannte Graphik samm -lung einer Einzelperson im 17. Jahrhundert zusammen-getragen.36 1667, als die Sammlung verkauft wurde, be -stand sie aus 123.400 gezeichneten und gedruckten Blät -tern von mehr als 6.000 Künstlern. Geordnet waren dieseDrucke in 400 großen und 120 kleinen Bänden, jeweilseinen Themenkomplex ganz oder teilweise repräsentie-rend. Käufer dieser gewaltigen Sammlung war niemandanderer als Ludwig XIV., in dessen Auftrag Colbert siezum Grundstock für das »Cabinet des Estampes« inner-halb der Hofbibliothek machte. Colbert beauftragte deMarolle selbst, die grafischen Blätter zu reorganisierenund zu neuen, nun in kostbares rotes Maroquinleder ge -bundenen Bänden zusammenzustellen.

Colbert zeigte sich hier als genauer Beobachter zeit-genössischer Diskurse um den Stellenwert von Druck -graphik in Sammlungen. Wenige Jahre zuvor hatte JohnEvelyn in seinem Buch Sculptura. Or the History ofChalcography and Engraving in Copper (1662) mit aus-drücklichem Bezug auf de Marolle darauf hingewiesen,daß die Kunst der Druckgraphik »an Instrument of Edu -ca tion« sei, ja, so Evely weiter, sie sei besser als alles sonstgeeignet, »to teach all the sciences«;37 Johann AmosCommenius habe diesbezüglich in seinem Orbis sensua-lium pictus eine »Nomenclator of all the Fundamentalthings« in Bildform gegeben. Evelyn betont schließlichbezüglich der Bildung von Kindern und jungen Er wach -senen, die in einer enzyklopädischen Sammlung zusam-mengetragenen druckgrafischen Bilder seien »a kind ofUniversal Language«, sie seien »the most pleasing de -scriptions of sensual Objects, which naturally slide intotheir fluid, and tender apprehensions, speedily posses-sing their memories«.38 Dem Bild, in unserem Fall demGartenbild, wohnt also laut Evelyn eine außerordentli-che Fähigkeit der Vergegenwärtigung sinnlich erfaßbarerObjekte inne, welche es zur gleichsam natürlichen Bil -dungs sprache prädestinierte.

Ganz wie Evelyn sah de Marolle die Druckgraphiken inseinem für Ludwig XIV. entwickelten Ordnungssystemeinerseits als einen thematischen Sammlungsteil, der hu -ma nistischen (Bildungs-)Interessen verpflichtet ist. An de -rerseits sah er sie als Reproduktionen anderer Kunst werkesowie schließlich auch als eigenständige Kunst werke.39

Anmerkungen

1 Siehe dazu und zu Le Nôtres opulenter Sammlung generellCastelluccio 2000, hier S. 53. Siehe auch: Mosser 2006, S. 272-276.

2 Dies und die folgenden Angaben aus: Guiffrey 1911, S. 238, 259-265.

3 Ebenda. Es handelt sich hier um: Jacques Androuet Du Cerceau:Plus excellents Bastiments de France, Paris, 1576-1579.

4 Ebenda. Gemeint ist: Giovanni Battista Falda: Nuovi disegni dell’-architetture, e piante de’ palazzi di Roma de’ più celebri architetti /Giovanni Battista Falda. 2. Buch, Rom 1655; ders.: Le fontane diRoma nelle piazze e luoghi publici della città, con li loro prospetti,come sono al presente, Rom 1680; vielleicht auch: ders.: Li giardinidi Roma, Rom 1683.

5 Siehe beispielsweise Lauterbach 2012a, Lauterbach 2012b, Lauter -bach 2012c, Deutsch 2010, Gamper 2007, Lauterbach 2002, Mosser2006, Farhat 2006, , Völkel 2001, de Jong 2000, Dixon-Hunt 2000,Brunon 2000.

6 Schäffner 1997, Gamper 2007, S. 404-407.7 Lauterbach 2012c, S. 37.8 Giovanni Giacomo de Rossi gibt 1665 das Nuovo Teatro delle fabri-

che et edificij in prospettiva di Roma moderna heraus; bei seinemBruder Giovanni Battista de Rossi erschienen 1670, von Falda ge -stochen, die Giardini di Roma. Siehe Lauterbach 2012c.

9 Siehe Völkel, S. 65f.10 Der exakte Titel lautet: Recueil des plans, profils et elevations des

plusieurs palais, chasteaux, eglises, sepulturess, grotes et hostels bâtisdans Paris, et aux environs […], o. O., o. J. (vor 1659).

11 Der exakte Titel lautet: L’architecture francaise ou recueil des plans,elevations, coupes et profils des eglises, palais, hotels et maisons par-ticulieres de Paris, et des chasteaux et maisons de campagne ou deplaisance des environs et de plusieurs autres endroits de France […],um 1670.

12 Siehe zum Cabinet du Roi: Grivel 1985; Germer 1997, S. 286-298;Völkel 2001, S. 70-76.

13 Grivel 1985, S. 38, Germer 1997, S. 276.14 Dies und das Folgende aus: Völkel 2001, S. 72f., Germer 1997, S.

287f., Grivel 1985, S. 38f.15 Dahlberg warb für dieses Projekt der graphischen Verherrlichung

der (Bau-)Kultur des schwedischen Hochadels und der schwedi-schen Krone die angesehensten französischen und niederländischenFachleute an. Darunter Jean Le Pautre, Jean Marot, Adam Perelle,Willem Swidde oder Johannes Aveelen. Siehe Magdalena Gram:Historien om Suecia Antiqua et Hodierna, Digitale sammlung derKungliga Biblioteket Stockholm, 2007, http://www.kb.se/samlin-garna/oversikt/suecia/historien-om-sucecia/ (14.7.2013).

16 Beispielhaft: Labyrinth de Versailles, mit Texten von CharlesPerrault und Isaac de Benserade sowie mit Stichen von SébastienLeclerc, erschienen 1677 in der Imprimerie Royale, wurde nachge-druckt u. a. von Nicolaus Visscher 1682 in Amsterdam (Kat.-Nr.111), Johann Ulrich Krauß um 1690 in Augsburg und John Bowles1726 in London.

17 Beispielsweise: Jean Baptiste Broebes: Vues des palais et maisons deplaisance de S. M. Roy de Prusse […], entstanden um 1700, publi-ziert in Augsburg 1733; Salomon Kleiner: Représentation au natureldes chateaux de Weissenstein au desus de Pommersfeld […],Augsburg 1728; Franz Anton Danreiter: die Garten Prospect vonHellbrunn […], Augsburg o. J. (um 1730).

18 Völkel 2001, zusammenfassend auf S. 302-310.19 Zitat nach Völkel 2001, S. 65; siehe auch Lauterbach 2002, 46f.20 Dies und das folgende Zitat aus Leonhard 2006, S. 11.21 Ebd.22 Siehe Schneider 2008.23 Ebd., S. 47.24 So der Titel eines Aufsatzbandes, in dem Sybille Krämer über die

Zentralperspektive als »Kulturtechnik des ›geistigen Auge‹« schreibt.Siehe Krämer 2003.

25 Die von Callot eingeführte Échoppe ist eine Radiernadel mit schrä-gem Anschliff, welcher ein ovales Ende der Nadel mit scharfer Kanteformt. Dadurch war es möglich, an- und abschwellende Linien mithoher Präzision in den Firnis zu ritzen.

26 Bosse 1645, S. 1.27 Siehe zum folgenden Thema des Urheberrechts Höffner 2011,

Pfister 2010, Scott 2010.28 Pfister 2010.29 Siehe zum Folgenden Scott 2010.30 Ebd., S. 271f.31 Michel Félebien hat den Text in verkürzter Form wiedergegeben in

seiner Histoire de la ville de Paris (1725, S. 46). Siehe dazu Scott2010, S. 258f.

32 Beispielsweise »Avec Privilége du Roy«, »Cum Privilegio Regis«,»Cum Privilegio Ordin. Hollandiae et West-Frisiae«; »A.P.R.«,»C.P.R.«

33 Scott 2010, S. 272-274.34 Ebd., S. 274.35 Stephan Brakensiek: Vom »Theatrum mundi« zum »Cabinet des

Estampes«. Das Sammeln von Druckgraphik in Deutschland 1565-1821, Hildesheim u. a. 2003.

36 Dies und das Folgende: Brakensiek 2003, S. 18f.37 Hier zitiert nach der Ausgabe Evelyn 1906, S. 138f.38 Ebd., S. 140f.39 Brakensiek 2003, S. 266.40 Valerius 2010, S. 147f.41 Ebd., S. 150.42 Ebd., S. 342.43 Ebd., S. 313.44 Tessin 2002, S. 169.45 Siehe Brakensiek 2003, S. 14.46 Howard C. Levis: Extracts from the Diaries and Correspondance of

John Evely and Samuel Pepys relating to Engraving, London 1915,S. 79, hier zitiert nach: Brakensiek 2003, S. 101.

47 Tessin 2002, S. 166.

Diese »vëuen«, die Evelyn und Tessin so schätzten,die Gartenveduten, sind in erster Linie Raumbilderstreng konstruierter Perspektivräume. Selbstver ständ -lich sind sie auch Naturbilder, welche die Luft per -spektive ebenso wiederzugeben versuchen wie die

Struktur der Blätter oder den Charakter des Wassers.Dann sind diese Gar tenbilder ordnender Rahmen für dieKunst des Orna ments, und schließlich sind sie in denzahllosen Staf fa ge figuren Bilder des Gartens als sozialerPraxis.

26 Christof Baier

Ina Mittelstädt

Le Nôtres Gärten in der zeitgenössischen Literatur

27

E iner der frühesten und bemerkenswertesten Texteüber einen Garten von André Le Nôtre ist Jean de

La Fontaines Le Songe de Vaux (Der Traum von Vaux).1

Die Hauptfigur Acanthus träumt eine Nacht lang vonVaux und wird dabei unter anderem Zeuge einesWettstreits der Feen der Architektur, der Malerei, derGartenkunst und der Poesie. Die drei Feen der bildendenKünste – wobei die Gartenkunst hier in für diese Zeitungewöhnlicher Weise gleichwertig neben Architekturund bildender Kunst steht – legen in ihren Reden über-zeugend dar, welchen wichtigen Anteil sie an der Er -schaffung des großartigen Schlosses und Parks von Vauxhatten.2 Obwohl an der Gestaltung von Schloß und Parknicht beteiligt, bewirbt sich auch die Poesie um denersten Platz, denn nur sie könne den Werken der bilden-den Kunst Dauer verschaffen:3

Mes mains ont fait des ouvragesQui verront les derniers âgesSans jamais se ruiner. […]Sans moi tant d’œuvres fameux,Ignorés de nos neveux,Périraient sous la poussière. […]Seule j’expose aux sens ce qui n’est pas sensible […]Les charmes qu’Hortésie épand sous ses ombragesSont plus beaux dans mes vers qu’en ses

propres ouvrages.

Wer den Wettstreit gewinnt, hat La Fontaine unaufgelöstgelassen. Als Auftragswerk für seinen Gönner NicolasFouquet konzipiert, blieb Le Songe de Vaux Fragment,da die Arbeit an ihm durch die Verhaftung Fouquetsunterbrochen wurde.4 Es ist indes davon auszugehen,daß keine der Künste gewinnen sollte – bzw. alle gewin-nen sollten, denn erst durch ihr Zusam men spiel konnteeine so wunder- und wirkungsvolle Anlage wie Vaux ent-stehen.5 Dabei gehört Fouquet zu den wenigenAuftraggebern einer Garten- und Schloßanlage, der inder Literatur einen integralen Bestandteil des künstleri-schen Werks sah.6 Literatur kann ein Werk der bildenden(oder performativen) Kunst verewigen und ihm einennicht unmittelbar sichtbaren oder nicht eindeutig er kenn -baren Sinn geben, sie kann also die Rezeption lenken –allerdings auch in eine falsche Richtung. Sie kann ebensosubversiv sein wie bildliche Darstellungen, doch schei-nen die Mächtigen, denen in Europa bis ins 19. Jahr hun -dert die bekanntesten und eindrucksvollsten Gärtengehörten, die Subversion der Literatur mehr gefürchtet

zu haben als die der bildenden Kunst. Ludwig XIV. ver-bot so etwa unauthorisierte Publikationen über Ver -sailles.7 In dem Madeleine de Scudéry einen der Prota go -nisten ihrer ansonsten so begeistert dem König huldigen-den Pro me nade de Versailles auf dieses Zensurgebot hin-weisen läßt, unterlief sie den Wunsch des Königs nachvölliger Kon trolle.

Daß Scudérys Versailles-Text doppelbödig ist, ver-wundert nicht, gehörte sie doch zum engen Zirkel umFouquet, der mit ihr das Freundschaftsideal und dieEthik der Galanterie teilte, also des in dieser Zeit so ein-flußreichen Konzepts einer dispositiv-authentischen Tu -gend haftigkeit, zärtlichen Zugewandtheit und prinzipiel-len Gleichberechtigung aller Mitglieder der Oberschicht.8

Fouquet ließ in Vaux (und den von ihm beauftragtenliterarischen Beschreibungen) das Ideal einer königlichenHerrschaft inszenieren, die nicht in erster Linie auf mili -tärischen Siegen und Unterdrückung beruhen sollte, son-dern auf Freundschaft und Vertrauen zwischen dem Königund seinem Hof sowie Ministerstab, einer Freund schaft,die durch den galant-geselligen Genuß von Kunst undNatur verstärkt werden sollte.9 Garten und Schloß vonVaux, das dort für den König 1661 organisierte Fest unddie literarischen Beschreibungen von Garten, Schloß undFest sollten den König von diesem Freund schafts kon -zept überzeugen und die Ethik dieser Freundschaft ein -üben. Ludwig XIV. entschied sich indessen für eine abso-lutistische Herrschaft ohne Einmischung der selbstbe-wußten Pariser Oberschicht, deren Ansichten nichtzuletzt auch von Scudéry und ihren Romanen, vor allemder zwi schen 1654 und 1660 erschienenen Clélie, geprägtwaren.10 Im zehnten Band läßt Scudéry einen ihrer Pro -ta gonisten Schloß und Garten von Vaux beschreiben (dassie als »Valterre« verkleidet; Fouquet wird bei ihr zu»Cléonime«). Die Darstellung von Fouquet/Cléonimeund dem Leben in Vaux/Valterre entspricht dabei demIdeal der Galanterie, anders als der Hof von Ludwig XIV.,an dem es keine Gleich be rech ti gung und Aufrichtigkeitgab, sondern nur egoistisch-un ehr li ches Streben nacheiner Bevorzugung durch den König.11

In ihrer zweiten Beschreibung eines Gartens von LeNôtre in der Rahmenhandlung ihres 1667 erschienenenRomans Mathilde d’Aguilar macht Scudéry noch einmalihre Ablehnung der höfischen Gesellschaftsregeln unterLudwig XIV. deutlich.12 In ihr begibt sich eine kleineGrup pe von galanten Männern und Frauen hinaus aufsLand, um sich vom so streng geregelten Leben am Hofzu erholen.13 Sie schlüpfen dort in literarisch-mythologi-

sche Rollen und beschließen, sich die Zeit mit kleinenSpielen zu vertreiben, zu denen die Erfindung von Ge -dichten und Madrigalen, die Diskussion ethischer Fragen(ist Schmeichelei gut oder schlecht?) oder die Er zählungeiner Geschichte – die dann der eigentliche Ro man seinwird – gehört. Herminius zieht das Los, eine Maison deplaisance zu beschreiben, und er wählt dafür Saint-Cloud,wobei ihn vor allem zwei Punkte interessieren: DerGarten (und dabei insbesondere die Wasser spiele) sowiedie Besitzer des Anwesens, also der Bruder des Königs,Philipp d’Orléans, und seine Frau, die er beide für ihreGalan terie, ihre Tugendhaftigkeit und ihre Freund schaftfür die Oberschicht lobt. Auffällig ist dabei, daß Scudéryhier dem Garten weitaus mehr Aufmerksamkeit widmetals dem Schloß, anders als in Clélie, in der sie ausführlichdas ikonographische Programm von Fou quets Schloßbe schreibt. Auch in der zwei Jahre später erschienenenPromenade de Versailles drängen die Pro ta go ni sten dar-auf, endlich das Schloß zu verlassen und den Gar ten zubesichtigen. Scudéry nennt zwar Le Nôtres Namen nicht,schreibt aber seinen Gärten die Fähigkeit zu, den Königdoch noch zu einem galanten Herrscher zu machen, derseinem Hof in Freundschaft verbunden ist. Denen,»deren Herz dazu fähig ist« – also den Ga lan ten –, flößendie Bosketts in Versailles »Liebe und Ver gnügen« ein –und im Umkehrschluß könne also vielleicht der Genußdes Gartens das Herz bilden.14

Auch Scudéry reflektiert den Wert von Garten be -schrei bungen. Wie La Fontaine im Songe de Vaux pro-klamiert einer der Prota go nisten ihrer Promenade deVer sailles, daß nur Be schrei bungen einem Werk der Archi -tektur oder bildenden Kunst Dauer verschaffen könnten.Literatur kann eine »große, edle Wir kung« vermitteln,die über das zu Sehen de hinausgeht, weil es nur ihr mög-lich sei, den verborgenen Sinn (den »sens caché«, wieScudéry in Clélie schreibt) zu entschlüsseln.15 Damitstellen beide Autoren die Literatur implizit auch in Kon -kurrenz zu den Ab bil dungen von Gärten und Schlös -sern, um die es in diesem Katalog geht. Beide, La Fon -taine und Scudéry, haben die Stiche von Silvestre für ihreBeschreibungen benutzt.16 Die oft aus erhöhten Stand -punkten blickenden Dar stel lun gen, die sie in ihre Texteübernahmen, gaben ihnen die Übersicht, die es ihnen er -möglichte, die verwirrende, ja »er drückende« (wie Scudéryschreibt) Vielfalt an Ein drücken zu strukturieren undden Garten plastisch vorstellbar zu repräsentieren.17 Weitdeut licher als die Stiche zeigen Garten be schrei bungenindes die Empfindungen und Wertungen des Erzählers,also seinen Blickwinkel und damit seinen persönlichenoder weltanschaulichen Horizont.18 Aus führ liche litera-rische Garten be schrei bun gen sind, so haben es La Fon -taine und Scudéry an scheinend aufgefaßt, nicht nur legi-tim, sondern auch notwendig, weil sie den tieferen Sinneines Gar tens für den Leser erkennbar werden lassen, derweder mit den Augen des einfachen Besuchers noch mitdenen des Zeichners erfaßbar ist.19

Ein völlig anderes Gartenkonzept vertrat der dritteAutor, den Fouquet mit einer Beschreibung von Vauxbeauftragte: André Félibien.20 Von ihm stammt die älte-ste literarische Verarbeitung von Vaux; sie findet sich inseiner kunsthistorischen Schrift – der ersten ihrer Artüberhaupt – De l’Origine de la Peinture et des plus excel-lens peintres de l’Antiquité (1660), die in Form eines Ge -sprächs zwischen zwei Freunden abgefaßt ist, die sichnach einem Besuch in Vaux über kunsttheoretische Fragenunter halten. Auf die konkrete Gestalt von Vaux wird imText allerdings kaum eingegangen. Der Autor läßt seinenProtagonisten lediglich feststellen, daß jemand, der ein soschönes Haus besitze, entworfen und erbaut habe – wo -mit er Fouquet meint –, eine außergewöhnliche Größedes Geistes haben müsse.21 Im Garten sieht er nur unspe-zifische Parterres, Terrassen, Grotten, Fontainen undKanä le.22 Prägend für Félibiens spätere Garten be schrei -bungen ist der Eindruck, den der Garten auf den Er -zähler macht:23 »Tant de differentes beautez mettoient dansnostre esprit une si agreable confusion de belles Images,que nous ne puvions laquelle choisir pour l’y attacher.«

Diesem »synthetischen« und mit seiner Fülle von Im -pressionen überwältigenden Eindruck setzt der Kunst - histo riker Félibien später in seiner Beschreibung von Ver - sailles Analyse und Systematik, eine rational geordneteRezeptionsweise, entgegen. Félibien schrieb noch dreiweitere Texte über Vaux, die wegen der Verhaftung Fou -quets nicht veröffentlicht wurden. In zwei Briefen be -schreibt er einzelne Räume des Schlosses genauer underklärt ihre Ikonographie.24 Zudem hat er eine Be schrei -bung des zu Ehren des Königs in Vaux organisiertenFests verfaßt, in der er den von Fouquet gewünschtenEffekt antizipiert, nämlich einen beeindruckten König,der Fouquet Freundschaft und eine sichere Stellung imStaat gewährt. Bei der Beschreibung des Gartens gehtFélibien vor allem auf die Wasserspiele ein, die auch invielen anderen Texten über Le Nôtres Gärten eine zen-trale Rolle spielen, nicht nur, weil sie Auge und Ohr an -sprechen, sondern weil sie das Sinnbild schlechthin fürdie Beherrschung der Natur sind und die Höher wer tig -keit der französischen Kultur unter Ludwig XIV. gegen -über den italienischen Vorbildern demonstrieren.

Der weniger in die galanten Kreise der Pariser Ober -schicht eingebundene Félibien überstand den Fall seinesGönners weit unbeschadeter als Scudéry und La Fon -taine; schon 1666 wurde er zum Historiographe du Roiernannt. Wohl weil seine Vaux-Schriften am wenigstenauf das spezifische (galante) Staats- und Gesell schafts ver -ständnis Fouquets ausgerichtet waren, konnte Félibienseine in den Schriften über Vaux eingeübten Formen derBeschreibung von Gärten, Schlössern und Festen bruch-los auf die Anlagen des Königs übertragen. Er hat zweiBeschreibungen von Festen in Versailles verfaßt, die nundazu dienten, dem König (und mit ihm dem Staat) beieinem breiten Publikum das Prestige zu verschaffen, dasFouquet bei seinem Fest in Vaux vom König erwartet

28 Ina Mittelstädt

hatte.25 Diese Gattung er möglichte ihm auch, den sinnli-chen Eindruck von Fest und Garten festzuhalten, umden sich auch Scudéry und La Fontaine bemühen. 1674publizierte er zudem eine Description sommaire duChasteau de Ver sailles und eine Description de la Grottede Versailles. In diesen erklärt er systematisch die Iko -nographie von Schloß und Garten und vermittelt so dasBild eines »kohärente[n], figural aufgefaßte[n] Textes«,der in einer bestimmten Reihen folge und mithilfe einesbestimmten Bildungs hinter grun des zu lesen sei – und indem die ge staltete Natur kaum eine Rolle spielt.26 Erbegründete da mit ein in allen Reiseführern wiederzufin-dendes Mo dell der Garten be schrei bung, das aber keines-wegs selbstverständlich ist, hatte doch Ludwig XIV.selbst anscheinend auf eine ge nauere Erläuterung der Be -deutungen des Fi gu ren schmucks im Garten verzichtet,wie die verschiedenen Versionen seiner Manière de mon-trer les jardins de Ver sailles zeigen.27 Félibien normiert –wie schon bei seiner antizipierenden Festbeschreibungvon Vaux – eine be stimmte Rezeptionsweise, die indeshier im Sinne Ludwigs XIV. war: Er unterbindet das sub-jektive Trei ben lassen, zu dem die Fülle der sinnlichenEindrücke verführen kann und das er selbst in Vauxerlebt hatte, und setzt an seine Stelle eine »Lektüreform«,die von jedem Gegenstand im Garten auf die Größe sei-nes Besitzers schließen läßt.28 Sie findet sich mit unter-schiedlichen Zielsetzungen in allen nach Félibiens erschie-nenen Rei se führern für Versailles.

Weniger Erfolg – sowohl in der Prägung eines Be -schreibungsmodus für Gärten als auch bei seinem Ziel,vom König eine finanzielle Unterstützung zu erhalten –hatte La Fontaine. Als Fouquet verhaftet wurde, brach erseine Arbeit am Songe de Vaux ab, schrieb aber in dersich nicht erfüllenden Hoffnung, den König milder zustimmen, noch eine Élégie aux Nymphes de Vaux. 1669ver öffentlichte er wie Scudéry einen Roman mit einerVersailles-Beschreibung, der allerdings anders als Scudé -rys Buch sein Ziel verfehlte – La Fontaine erhielt keineAnstellung oder Unterstützung durch den König. Wie inder Promenade de Versailles spazieren in La FontainesLes Amours de Psyché et de Cupidon mehrere Freundedurch Versailles; einer von ihnen erzählt dann dort (wiebei Scudéry) die Binnengeschichte, eine Neufassung vonApuleius’ Psyche-Geschichte.29 Obwohl La FontaineVer sailles hier erstmals als Symbol des Sonnenkönigsinterpretiert, erfüllen seine vier Protagonisten die Regelnnicht, die ihren Autor vielleicht in Gunst gesetzt hätten:Sie folgen bei ihrem Spaziergang keiner vorgegebenenRoute, sondern gehen nach Lust und Laune hier- unddort hin. Beim Anblick der Orangerie, deren Bestandgrößtenteils in Vaux konfisziert worden war, läßt LaFon taine zudem einen der Freunde ein paar melancholi-

sche Verse aus seinem Songe de Vaux zitieren. Es ist da -mit schwierig, den Roman nicht als zumindest leise Kritikam König zu lesen, vor allem in Vergleich mit anderenPanegyriken wie etwa Mademoiselle de Saint-AndrésL’Hiver de Versailles, in dem sie den König als Sonne be -schreibt, ohne die Versailles winterlich darbt. Ein ähnli-ches Motiv nutzt auch der Dichter des an den siebenjäh -rigen Sohn des Königs und der Madame de Montespangerichteten Clagny-Gedichts im Nouveau MercureGalant von 1677, der den Garten wegen der Abreise desPrinzen verwelken sieht.

In ähnlicher, aber für den König weniger provokanterWeise wie Fouquet hat der Prince de Condé seine Maisonde plaisance in Chantilly baulich und gärtnerisch um ge -stalten und von Dichtern beschreiben lassen.30 Die la tei -ni schen Cantiliaca von Jean-Baptiste Santeul besingenden Zauber des Gartens und den tugendhaften Fürsten,der diesen geschaffen hat.31 In der Voyage du valon tran-quille (1673) von François Charpentier ist Chantilly wiebei Scudéry ein Ort der fiktiven Handlung; der Gartenwird wie in allen anderen Texten über Le Nôtres Gärtenwegen seiner Ausdehnung, den vielen überraschendenAn- und Aussichten sowie seiner Wasserspiele gelobtund ist Be zugs punkt für eine ästhetiktheoretische Dis -kus sion, die in einem Lob des Geschmacks des Prince deCondé mündet.32

Die überlieferten Texte über die Gärten André LeNôtres haben gemeinsam, daß Gärten in ihnen als Me -dium aufgefaßt werden, das die Größe ihres Besitzerskommuniziert und durch dessen Beschreibung diesemBe sit zer gehuldigt werden kann.33 Deshalb wird im all-gemeinen nur die Kunst, nicht jedoch der Künstler ge -würdigt – Le Nôtres Name findet sich im 17. Jahr hun dertaußer in Mémoiren und Briefen (etwa die der Madame deSévigné) in fast keinem Text über seine Gärten. EineAus nahme ist La Fontaine, der Le Nôtre nicht nur imSonge de Vaux, sondern auch in seiner Versailles-Be -schreibung erwähnt, was zu deren Mißerfolg beim Königbeigetragen haben dürfte: Er beschreibt darin einen Teildes Gartens als »Royaumes de Nostre«, also Le NôtresReich.34 Die neue Qualität seiner Gartenkunst ist seinenZeitgenossen jedoch bewußt gewesen. Seine Gärten er -halten teilweise sehr prominente Stellen in Texten, undihre Besitzer werden wegen des hervorragenden Ge -schmacks ihrer Gärten gelobt, und weil die Kunst inihnen die Natur und die Tradition übertroffen habe. Infast allen überlieferten Texten zu Le Nôtres Gärten er -scheinen diese als zutiefst wirkungs- und bedeutungs-voll; diese Wirkung zu konservieren und den in den Gär -ten liegenden Sinn zu erklären, ist das mehr oder wenigerexplizite Ziel der meisten zeitgenössischen Be schrei bun -gen von Le Nôtres Gärten.

Le Nôtres Gärten in der zeitgenössischen Literatur 29

Anmerkungen

1 Dazu grundlegend: Collinet 2009, S. 95-106.2 Siehe Titcomb in La Fontaine (1661) 1967, S. 73ff.3 La Fontaine (1661) 1967, S. 105 und 108. Übersetzung (I.M.):

Meine Hände schaffen WerkeDie die letzten Zeiten sehen werdenohne je mals zerstört zu werden. […]Ohne mich würden so viele berühmte Werkevon uns Neuen nicht gekannt werden,und zu Staub verfallen. […]Ich allein zeige den Sinnen,was durch sie nicht wahrnehmbar ist […]Die Reize, die Hortésie [die Gar ten kunst, I.M.]unter ihren Schatten ausbreitetSind in meinen Versen viel schönerals in ihren eigenen Werken.

4 Siehe zu Fouquet insgesamt und zu seinem Verhältnis zur LiteraturHowald 2011, S. 70ff. und 158ff.

5 Siehe Dumora-Mabille 1997, S. 73.6 Siehe Germer 1997, S. 271.7 Krause 2002, S. 93.8 Zur Galanterie siehe Steigerwald 2011, S. 12ff., 47ff. Zu Scudérys galan-

ter Haltung Steigerwald 2011, S. 72ff. und Lallemand 2002, S. 10ff.9 Siehe dazu Fumaroli 1997, S. 180ff.

10 Siehe Howald 2011, S. 170f. 11 Siehe Godenne 1983, S. 261ff.12 Siehe für das Folgende Steigerwald 2009, S. 226ff. und Steigerwald

2011, S. 183ff.13 Siehe Lallemand 2002, S. 17.14 »inspire l’amour & | les plaisirs à ceux qui en ont le cœur capable«.

Scudéry (1669) 2002, S. 58 und 59; Schweizer 2013, S. 80f.15 »un grand & noble effet«. ebd., S. 16 u. 17 und »sens caché«: Scu -

déry 1660, S. 1105.

16 La Fontaine nennt diese Vorlage selbst (La Fontaine (1661) 1967, S.66); daß Scudéry die Studie für die Promenade de Versailles ver-wendet hat, zeigt Krause 2002, S. 121.

17 »l’imagination est accablé«. Scudéry (1669) 2002, S. 46 und 47.18 Einige Bemerkungen zum Verhältnis zwischen La Fontaines und

Scudérys Vaux-Beschreibungen und den Silvestre-Stichen findensich bei Dandrey 2004, S. 68f.

19 Zu Scudéry siehe Goebel 1971, S. 195f.20 Siehe Germer 1997, S. 135ff.21 Félibien 1660, S. 13f.: »je n’aurois pas laissé de juger que le Maistre

d’une si belle Maison, doit avoir une granduer d’esprit toute extra-ordinaire pour en avoir conceu & executé le dessein.«

22 Ebd., S. 14.23 Ebd. Übersetzung (I.M.): »So viele verschiedene Schönheiten ver-

setzen unseren Geist in eine so angenehme Verwirrung der schönenBilder, daß wir uns nicht entscheiden können, von welchem ergefesselt werden soll.«

24 Siehe für das folgende Thuillier 1999, Germer 1997, S. 140ff.25 Siehe Germer 1997, S. 235ff.26 Ebd., S. 251; Schweizer 2013a, S. 79f.27 Krause 2002, S. 125. Siehe dazu Louis XIV 1992.28 Siehe MacArthur 1991, Leone 1994, S. 45ff.29 Siehe Fumaroli 1997, S. 276ff.30 Siehe Garnier-Pelle 2000, S. 114ff., Béguin 1999, S. 152ff.31 Siehe Horoy 1856. 32 Charpentier (1673) 1796, S. 89ff.33 Scheel 1960, S. 288.34 La Fontaine 1669, S. 152. Im Songe de Vaux war die Nennung von

Le Nôtre (und Le Brun) unproblematisch, weil sie zur von Fouquetvertretenen galant-freundschaftlichen Haltung paßt. Félibien nenntdagegen in seiner Description sommaire von Versailles keine Künst ler.Siehe Polizzi 2006.

30 Ina Mittelstädt

IV.Die Gärten Le Nôtres

Tuileriengarten

S owohl der Nachruf auf André Le Nôtre im Mercuregalant (September 1700) als auch die erste, auf den

Er in ne rungen Claude Desgots beruhende Beschreibungseines Lebens (Anonymus 1730) zählen den Tuile rien gar -ten zu den Meisterwerken des Gartenentwerfers. In ner -halb des Gesamtwerks zählt der Pariser Garten sicher zu denmeis t besuchten und damit bekanntesten Anlagen Le Nôtres.

Der erste Tuileriengarten erstreckte sich zwischendem Palais des Tuileries sowie den westlichen Be fe sti -gungs werken und verlief im Süden entlang einer Ufer -straße der Seine. Den namensgebenden Bau, das Palaisdes Tuileries, hatte der Architekt Philibert Delorme ab1562 im Auftrag Caterinas de’ Medici am Ort einer ehe-maligen Ziegelei (frz. la tuilerie) errichtet. Seit dem 17.Jahrhundert verband eine Galerie den Louvre mit demTuile rienpalais. Der Bau wurde im 17. Jahrhundert mehr -fach verändert und besonders ab 1664 durch Louis Le Vauim Auftrag Ludwigs XIV. erweitert. Während der Kämpfeder Pariser Commune 1871 fiel das Bauwerk einem Brandzum Opfer und wurde daraufhin abgerissen.

Die ursprüngliche Gartenanlage über weitgehend recht - eckigem Grundriß war von einer Mauer eingefaßt undzunächst nicht axial auf den Bau orientiert. Sie be stand ausrasterförmig arrangierten Zierbeeten, einem Bos kett,Laubengängen, Bassins mit Springstrahlen und Brunnen.Ein Orangeriegarten sowie ein Labyrinth trugen zurAbwechslung bei. In den 1560er Jahren errichtete der

Emaillekünstler und Naturwissenschaftler Bernard Palissyim Auftrag Caterinas de’ Medici eine Grotte mit emaillier-ten Tieren und Muschelverkleidungen, deren Spuren zwi-schen 1980 und 1990 bei Grabungen entdeckt wurden.

Im Westen endete der Garten auf einer Bastion, diedurch einen exedrenartigen Raumabschluß vom Gartenaus kaschiert wurde. Bereits 1616 wurde jenseits derStadtgrenze entlang der Seine ein Boulevard – die Cour-la-Reine – angelegt, der die Entwicklungsgeschichte desGartens im Folgenden mitbestimmte.

Als Nachfolger seines Vaters war Le Nôtre bereits seit1637 für einige Bereiche im Tuileriengarten verantwort-lich. Von Beginn an war seine Arbeit nicht nur auf diePflege und Erhaltung des Areals begrenzt; schon zwi-schen den 1630er und den 1650er Jahren lassen sich erstewesentliche Veränderungen mit Jacques Boyceaus undLe Nôtres Wirken in Verbindung bringen. Legt man denvon Jacques Gomboust 1652 gedruckten Parisplan zu -grunde (Abb. 1), erkennt man eine gegenüber der Situa -tion im 16. Jahrhundert deutlich akzentuierte Bin nen -ordnung: Eine zentrale Allee erschließt den Garten vonOsten nach Westen und die nahe am Palais gelegenenFlächen sind durch Broderieparterres dekoriert, hinterdenen sich eine Boskettzone anschließt.

Ab 1664, nach seinem großen Erfolg in Vaux-le-Vicomte und parallel zur Erneuerung in Versailles, ver-änderte Le Nôtre die Anlage des Tuileriengartens indesso grundlegend, daß man von einem neuen Entwurfsprechen muß. Die im Auftrag des Königs erfolgte Um -ge staltung des Gartens durch Le Nôtre ging einher mitder Erweiterung und Modernisierung des Palais desTuileries. Le Vau veränderte den Mittelpavillon, verbrei-terte den Bau und flankierte die breit gelagerte Fassademit Pavillons.

Bei der Ausrichtung des Gartens auf den Palaisbauadaptierte Le Nôtre einen von André Mollet 1651 in sei-nem Traktat Le jardin de plaisir (Abb. 2) abgedrucktenGrundrißentwurf. Dieser Rückgriff ist eines der seltenenBeispiele für die Orientierung des Gartenkünstlers antheoretischen Vorbildern.

Die Grundidee des neuen Gartenentwurfs bildet dieVer längerung der Gartenachse über die Stadtgrenze hin -aus als Allee in Richtung Versailles. Diese optischeGrenz überschreitung schlug sich auch in der Aufteilungdes Gartens nieder. Die gartenkünstlerische Neuerungbesteht aus einem Wechsel der Raumsystematik: Auseinem additiven Grundrißraster entwickelte Le Nôtreein axial gegliedertes dynamisches Raumsystem, das miteinem perspektivischen Tiefenzug die vorgelagerte Land -schaft visuell und bald auch infrastrukturell erschloß.

Zum Palais des Tuileries hin sowie entlang der Seine undder nördlichen Grenze umgrenzte Le Nôtre den Gartendurch hohe Terrassen, auf denen von Bäumen ge säumte

76 IV. Die Gärten Le Nôtres

Abb. 1Gomboust-Plan von Paris, 1652(Faksimile 1908, Stiftung Schloß und Park Benrath)

Promenaden angelegt wurden. Vor der Trep pen terrasse desPalais liegen zwei nahezu quadratische Par ter refelder mitBroderieornamenten, die ein Bassin einschließen und zueinem zentral gelegenen Bassin in der Mittelachse überlei-ten. Dieses wird auch nach Westen von zwei dreieckigenBroderieparterres halbkreisförmig umfangen.

Nach Westen folgt ein rasterförmig angelegter Bos -kett bereich. Regelmäßige Baumpflanzungen wechselnsich mit Rasenparterres und kleinen, von hohen Heckeneingefaßten Wäldchen ab, die Freiluftkabinette in sichbergen. Die gesamte Anlage ist nahezu spiegelsymme-trisch strukturiert. Ein Theaterboskett, die Salle de laComedie im Nordwesten, verdeutlicht die frühe Multi -funktionalität des Gartens. Es handelte sich um eineMischung aus Hecken- und gemauertem Steintheaternach römischem Vorbild, die im Herrenhäuser Garten zuHannover einen prominenten Nachfolger fand.

Auf der Polygonalbastion am westlichen Ende desGartens errichtete Le Nôtre eine monumentale halb-kreisförmige Doppelrampe (Abb. 3). Sie umschließt inihrem Verlauf ein achteckiges Bassin und diente als Aus -sichtsterrasse für den Blick sowohl in den Garten alsauch in die Landschaft. Die Rampe endet auf der Terrassebeiderseits des Hauptwegs in einem Öffnungsgestus, sodaß der Hauptweg als Blickachse die Grenze zwischenGarten und Landschaft überwindet. Jenseits des vorgela-gerten und nur über eine kleine Brücke zu überwinden-den Grabens findet die Hauptachse ihre Fortsetzung ineiner Allee, die heute den Namen des einstigen Hügel -areals trägt: Avenue des Champs-Élysées.

Der Jardin des Tuileries war seit dem 16. Jahrhundertöffentlich und ist bis heute eine beliebte und vielbesuch-te öffentliche Gartenanlage. Der Versuch Colberts, denGarten exklusiv für den König zu reservieren, scheiterte.Der Erneuerung des Louvre in den 1980er Jahren ver-dankt der Garten seine Rebarockisierung im Sinne Le

Nôtres. Die Anlage bildet heute einen veritablen Skulp -tu renpark mit zum Teil hochkarätigen Werken aus denletzten vier Jahrhunderten. (StS)

Lit. [Desgots] 1630 / Bresc-Bautier 1996 / Fonkenell 2010 /Hazlehurst 1980 / Le Nôtre, un inconnu illustre 2003

Tuileriengarten 77

Abb. 2Idealgrundriß von André Mollet, 1651 (Mollet 1651)

Abb. 3Doppelrampe am westlichen Endes des Gartens mit Blick Richtung Avenuedes Champs-Élysées (Foto: Stefan Schweizer)

18Plan du Jardin di Palais des Thuilleriesde l’inuention de M.r le Nôtre comme il est à present

A: Les 3 pieces de Broderie entourés de plattes Bandes /B: Les 3 bassins bordez de Gazon / C: Parterre deGazon / D: Petits bois plantez / E: Bosquets /F: Salles ou bassins de Gazon / G: Alleés planteés deMaroniers d’Inde, et d’Ifs / H: Salle de la Comedfie /I: Frise ou Paneaux de Gazon / K: Pieces de Gazon /L: Le Grand bassin Octogone / M: Escalier / N: PetitsEscaliers / O: Escaliers de la Terrasse / P: Terrasse lelong de l’eau / Q: Terrasse le long du Palais / R: Plan duPalais / S: Fossé de la ville / T: Terrasse le long du Manege

Grundriß des Gartens am TuilerienpalaisAdam Pérelleum 1680Radierung, 22,3 × 31,9 cmStiftung Schloß und Park Benrath, Inv.-Nr. B-1982/6a

Der Grundrißplan des Tuileriengartens vermittelt ein Maxi -mum an bildlichen und textlichen Informationen. Nebender Lage – zwischen der Seine mit der Porte de la Con -ference, der nördlichen und südlichen Terrasse, der westli-chen Doppelrampe sowie dem Fassadenverlauf des Palaisdes Tuileries – befindet sich auch ein ausführlicher Index

(unter anderem mit der Bezeichnungen einzelner Gehölze –Gemeine Roßkastanie und Eibe) sowie drei Maßstäbe (100,8 und 5 Toises) auf dem Blatt. Darüber hinaus hat derStecher auch das Profil der Begren zungs terrassen in zweiunterschiedlich großen Aufriß dar stel lungen am Fuß desBlattes integriert, um das Höhen pro fil der von hohenTerrassen eingefaßten Anlage anschaulich darzustellen.

Die Ost-West-Hauptachse des Jardins des Tuileriesmarkiert die horizontale Blattmitte, wobei das Blatt nichtnach Norden, sondern nach Süden orientiert wurde.Links sind die Ornamente der Broderieparterres detail-liert eingetragen, ebenso der Standort einzelner Skulp -turen. Gra phisch schematisiert erscheinen dagegen dieBosketts und die Darstellung einzelner Bäume entlangder Alleen. Die Boskettzone ist rasterförmig entlang derHauptachse organisiert und besteht aus abwechslungs-reich gestalteten und von Hecken eingefaßten Einzel bos -ketts.

Obgleich als Grundriß konzipiert, besitzen die in dieHöhe schießenden Springstrahlen mit ihren Schatteneine perspektivischen Zug, der die räumliche Orien tie -rung ver einfacht und die Abstraktheit der Bild in for ma -tionen des Blattes etwas mindert. Bemerkenswert scheintdie ter minologische Kenntnis des Zeichners bzw. desVer le gers, der ein reiches ziergärtnerisches Vokabular zurBezeichnung der einzelnen Flächen einsetzt. (StS)

78 IV. Die Gärten Le Nôtres

19Veüe du Jardin des Thuileries comme il est à present 1680à Paris chez N. Langlois rue S. Jacques a la Victoire,dessiné et gravé par Perelle1: la Porte de la Conference. / 2: la Cour de la Reine / 3:Meu don / 4: le fer à cheval / 5: le nouveau chemin deVer sailles

Ansicht des Gartens der Tuilerien wie er sich 1680 darstelltAdam Pérelle1680Radierung, 27,7 × 18,3 cmStaatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek,Inv.-Nr. OS 2482, 3

Diese Ansicht nach Westen vermittelt auf eindrucksvolleWeise André Le Nôtres Intention einer visuellen Ver -knüpfung von Garten, städtischem Raum und Land -schaft. Adam Pérelle nimmt so in den Index zur Be zeich -nung einzelner Orien tierungspunkte auch Orte jenseitsdes Gartens auf: Das Stadttor Porte de la Conference, denBoulevard Cour-la-Reine, das auf einem Hügel in derFerne liegende Meu don sowie den neuen Weg nach Ver -sailles, die zukünftige Avenue des Champs-Élyseés.

Der Stich zeigt den Garten in Kavaliersperspektivevon der Terrasse des Palais des Tuileries aus. Die Terrasse,die Treppenanlage sowie das Areal rund um die sich imVordergrund erstreckenden Broderieparterres sind vonzahlreichen Staffagefiguren bevölkert. Der Garten zähltein der Tat zu den meistbesuchten Attraktionen von Parisund war weitgehend öffentlich zugänglich.

Unklar muß bleiben, ob der Bewuchs der Boskettzone1680 tatsächlich so spärlich ausfiel oder ob Pérelle zu -gun sten einer besseren Übersicht partiell auf die Dar -stellung der Baumbepflanzung verzichtete.

Am westlichen Ende schließt eine zweiarmige Rampe denGarten gegenüber dem Umland ab. Ihr Baum be wuchs ebnetdie Grenze in der Graphik weitgehend ein, was wohl auf dieIdee der Darstellung zurückzuführen ist. Von der Ram -penöffnung ausgehend, schließt sich die seitliche Alleen ein -fas sung des Weges nach Versailles naht los an. Auf dieseWeise wird der Garten zum Aus gangspunkt der infrastruk-turellen Erschließung der Gebiete westlich der Stadtgrenze.Dies entspricht weitgehend Le Nôtres Konzept für den seit1665 durch Boulevards erschlossenen Stadtrand. Bereits vor1700 strahlte westlich des Gartens ein dreigeteiltes, bis heuteexistierendes Wegesystem ins Umland aus. (StS)

Tuileriengarten 79

80 IV. Die Gärten Le Nôtres

20Veüe et Perspective des Thuilleries, et du Jardinà Paris chez N. Langlois rue S. Jacques a la VictoireAPerelle del et. Sculp. N. Poilly

Ansicht der Tuilerien und des GartensAdam Pérelleverlegt von Nicolas Poilly1680Radierung, 28,9 × 19,9 cmStaatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek,Inv.-Nr. OS 2482, 73

Komplementär zur vorherigen Ansicht blickt der Be -trach ter nun von einem Hügel jenseits der Stadtgrenzeüber den Garten zum Palais des Tuileries zurück. Auchdiese zentralperspektivische Ansicht ist von dem Kon -zept bestimmt, die Stadtgrenze in der Gartengraphikoptisch und motivisch gleichsam einzuebnen. Besondersprominent ist die über den Stadtgraben führende Brückeins Bild gesetzt, die gerade von einer Kutsche sowie einerGruppe von Reitern überquert wird. Anders als im Bild

war der Tuileriengarten indes durch Wachen gesichertund folglich auf die dargestellte Art und Weise nicht ohneweiteres zu betreten.

Das Auge des Betrachters blickt aus der Kavalier s per -spektive über die westlichen Begrenzungsterrassen hin-weg in den Garten, der mit dem Palais seinen östlichenAbschluß findet. Darüber hinaus deutet Adam Pérelleauch die Lage im städtischen Raum an und zeichnet un -ter anderem die Türme der Kirchen Saint Eustache sowieNôtre-Dame und Bauten am anderen Seineufer ein.

Um optisch einen Überblick herstellen zu können,mußte der Zeichner in dieser Ansicht den Baumbewuchsder im Vordergrund liegenden Rampen und Terrassen til-gen. Überhaupt fallen die Gehölze der Boskettzone sehrklein aus und bilden nicht mehr als schematisierte Minia -turen, besonders im Vergleich zu den hochgewachsenenBäumen der Alleen der nördlichen Terrasse. Auch diesevisuelle Einebnung des Areals dient dazu, spezifischeInformationen in den Vordergrund zu stellen. Das Blattteilt die Grundstruktur des Gartens mit und nähert sichdamit einem Grundriß an. (StS)

21Veüe du bout de la grande Allée des ThuilleriesA Paris chez N. Langlois rüe St. Jacques a la victoire dessiné et graué par Perelle

Blick vom Ende der großen Allee des TuileriengartensAdam Pérelle1680Radierung, 27,3 × 17,5 cmStaatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek,Inv.-Nr. OS 2482, 71

Vom Ende der zentralen Allee wird der Blick des Be -trachters über das oktogonale Bassin auf die zweiarmigehalbkreisförmige Rampe und von dort auf die Land -schaft jenseits der Stadt geführt. Die Terrasse wird hierim Gegensatz zur Ansicht der Kat.-Nr. 20 als dicht mitBäumen bepflanzt dargestellt, wodurch der Abschlußdes Gartenraums akzentuiert wird.

Den Betrachterstandort am Ende der Allee nutzt AdamPérelle, um den Bildausschnitt zu rahmen – auch dies ein

Widerspruch zur Darstellung auf dem Blatt der Kat.-Nr.20, die die Bäume kaum mannshoch zeigt.

Hinter der Terrasse läßt sich eine spärliche Bebauungausmachen. Viel wichtiger erscheint jedoch die Dar stel -lung der sich perspektivisch verjüngenden Allee den Hügelder Champs-Élysées hinauf. Sie schließt optisch nahtlosan die Hauptachse des Tuileriengartens an und verlängertdiese damit in die Landschaft (vergleiche Kat.-Nr. 19).

Erneut belebt vielfältige Staffage die Ansicht. Analogzur Darstellung auf Kat.-Nr. 20 bestimmt am rechtenBildrand eine Gruppe mit Kutsche und Reitertroß dasBild. Es dürfte sich um einen hochrangigen Reisendenund seine Begleitung handeln, die sich mutmaßlich aufdem Weg vom königlichen Palais des Tuileries nach Ver -sailles befinden.

Wie bereits auf der Gartenansicht vom Palais aus(Kat.-Nr. 19) übersetzt Pérelle die Intention Le Nôtres,die westlich der Stadt vorgelagerte Landschaft visuellund infrastrukturell aus dem Tuileriengarten heraus zuerschließen, auf kongeniale Weise. (StS)

Tuileriengarten 81