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Pro Dialog Freitag/Samstag, 14./15. Dezember 2018 Nr. 134-241D 8 IM BLICK » ARZT UND PRAXISTEAM Eine Serie in Kooperation von ÄrzteZeitung und AOK-Bundesverband Ärzte Zeitung: Wie könnten die Ergebnisse der Perinatalmedizin in Deutschland verbessert werden? Professor Rainer Rossi: Zum Beispiel, indem bei jeder Geburt kinderärztli- che Präsenz und Kompetenz zur Ver- fügung steht. Bei den Spitzenreitern in Skandinavien gibt es fast keine Ge- burtsklinik, die nicht unmittelbar mit einer Kinderklinik zusammenarbei- tet. Bei uns hingegen haben wir dop- pelt so viele Geburts- wie Kinderklini- ken und fast jedes dritte Kind wird in Deutschland in einer Klinik geboren, an die keine Kinderklinik angeschlos- sen ist. Und wie sieht das speziell bei Frühgeborenen aus? Ich trete für ein abgestuftes Versor- gungskonzept mit einem differenzier- ten Versorgungsauftrag ein. Je kom- plizierter eine Schwangerschaft, desto eher soll die werdende Mutter ihr Kind in einem höchstqualifizieren Zentrum zur Welt bringen und vorab dort betreut werden, um nach Mög- lichkeit die Schwangerschaft noch zu verlängern. Das funktioniert in ande- ren Ländern sehr gut, in denen die Ge- burtshilfe stärker strukturiert und zentralisiert ist. Mütter mit komplika- tionsreicher Schwangerschaft werden frühzeitig in solche Zentren gebracht, damit das Kind die besten Überle- benschancen hat. Kommt es dann zur frühen Geburt eines Kindes mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1500 Gramm, braucht es auch für die Kin- derklinik Übung und Routine. Finn- land schafft es, mit nur fünf Perinatal- zentren sehr gute Ergebnisse zu erzie- len. In Schweden sind es sechs derarti- ger Zentren – das bedeutet bei weitaus größeren Distanzen ein solches Zent- rum für circa 18 000 Geburten, wäh- rend bei uns ein Zentrum für 5000 Geburten zur Verfügung steht. Diese große Zahl ist nicht der Garant besse- rer Ergebnisse. Dabei macht nicht die Länge des Weges den Unterschied, sondern die Ausstattung, die Qualifi- kation und die Erfahrung des Teams. Was halten Sie von einer Erhöhung der Mindestmenge für die Versor- gung von Frühgeborenen mit gerin- gem Geburtsgewicht? Die bisherige Mindestmenge von 14 pro Jahr ist für die Versorgung durch ein erfahrenes und personell gut auf- gestelltes Team viel zu niedrig. Daher sollte nun dringend eine neue, höhere Mindestmenge festgelegt werden. Die rechtlichen Voraussetzungen sind nach den Änderungen durch das Krankenhausstrukturgesetz und ei- ner Grundsatzvereinbarung zu den Mindestmengen im GBA da. Und die Studienlage für die kleinen Frühgebo- renen zeigt eindeutig den Nutzen ei- ner höheren Mindestmenge. Was können niedergelassene Ärzte beitragen? Eine Frühgeburt ist nur sehr selten ein unerwartetes Ereignis aus dem sprichwörtlichen heiterem Himmel. In der Regel ist eine Erkrankung der Mutter in der Schwangerschaft die Ursache. Dann muss die Frau an die richtige Stelle mit der höchsten Kom- petenz überwiesen werden. Niederge- lassene Ärzte haben hier eine wichti- ge Steuerungsfunktion. Ich bin als Kinderarzt zudem dafür, dass die Frauen dort hingehen, wo es eine Kinderklinik gibt. Niedergelassene haben eine wichtige Steuerungsfunktion Wenngleich die Säuglings- sterblichkeit in Deutschland über Jahrzehnte gesunken ist, liegt sie seit Jahren über der aus Finnland oder Schweden. Für Kinderarzt Professor Rai- ner Rossi nur ein Grund für ei- nen Blick nach Nordeuropa. Professor Rainer Rossi ist Vorstands- mitglied der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM). © VIVANTES BERLIN. Zu zögerlich, zu halbherzig: Anlässlich der Vorstellung des neuen „Qualitätsmonitors 2019“ hat der AOK-Bundesverband die bisweilen la- sche Umsetzung der gesetzlichen Vor- gaben für Mindestmengen und Quali- tätsindikatoren in der Krankenhaus- planung kritisiert. Eine „Strategie der Verschleppung“ von Klinikvertretern und Ländern führe letztlich dazu, „dass unnötig Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden“, sagte der Vor- standsvorsitzende des Verbandes, Martin Litsch. In der aktuellen Kran- kenhaus-Gesetzgebung der großen Koalition, aber auch in der Klinikpla- nung der Bundesländer sei der Wille, für eine bessere Versorgungsqualität zu sorgen, nicht mehr erkennbar. „Die Luft ist raus.“ „Wahrlich keine Raketentechnik“ Der AOK-Chef verwies unter anderem auf den derzeitigen Stand bei den pla- nungsrelevanten Qualitätsindikato- ren (PlanQI). Das Verfahren geht zu- rück auf das Krankenhaus-Struktur- gesetz (KHSG) von 2016 und soll den Planungsbehörden der Bundesländer ermöglichen, bei der Klinikplanung die Qualität der medizinischen Ver- sorgung der Häuser zu berücksichti- gen. Litsch sprach in diesem Zusam- menhang von einem „Desaster“, da die Umsetzung der PlanQI viel zu lan- ge dauere und sich die Bundesländer teils darüber hinweg setzten. „Bis heute gibt es nur ganz schmale Ergeb- nisse – und das, obwohl es hier wirk- lich nicht um Raketentechnik geht.“ Die AOK fordere die Politik deshalb auf, ein „Krankenhaus-Strukturge- setz II“ auf den Weg zu bringen. Die- ses Gesetz müsse dafür sorgen, dass die Fristen für die Umsetzung der pla- nungsrelevanten Qualitätsindikato- ren deutlich verkürzt und die Prozes- se im Gemeinsamen Bundesaus- schuss (GBA) beschleunigt würden. Jürgen Klauber, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) und einer der Mithe- rausgeber des „Qualitätsmonitors“, sagte, die Publikation liefere klare Be- lege dafür, dass die Vorgabe von Min- destmengen für stationäre Behand- lungen und eine stärkere Zentralisie- rung von Leistungen in bestimmten, vor allem hochkomplexen Versor- gungsbereichen Leben retten könn- ten. Ein Dauerthema bleibe die „Gele- genheitschirurgie“ bei bestimmten Krebs-Indikationen wie etwa Brust- krebs. Alle zwei Wochen ein Eingriff Klauber wies darauf hin, dass ein Viertel der 781 behandelnden Klini- ken im Jahr 2016 maximal acht Brust- krebs-Operationen erbracht hat. Ein weiteres Viertel führte im Mittel 26 Operationen durch, was etwa einen Eingriff alle zwei Wochen bedeutet. Von zertifizierten Brustkrebs-Zent- ren würden dagegen 100 Brustkrebs- Operationen pro Jahr gefordert, be- tonte Klauber. „Eine eingespielte Pro- zesskette für solche Operationen kann es nur in Häusern mit hohen Fallzahlen geben.“ Die Realität sehe jedoch anders aus: Zu viele Kliniken mit geringer Er- fahrung wagten sich noch immer an komplexe Therapien und gefährdeten damit die Patientensicherheit. Sterblichkeitsrate differiert deutlich Das gelte auch bei Katheter-gestütz- ten Aortenklappen-Implantationen, den TAVIs, so Klauber. Laut „Quali- tätsmonitor“ versorgen etwa 30 Pro- zent der 97 Kliniken, die diese Ein- griffe im Jahr 2016 durchführten, we- niger als 100 Fälle pro Jahr. In Kran- kenhäusern mit Fallzahlen unter 100 liegt die Zahl der Todesfälle dem Re- port zufolge im Vergleich zum erwar- teten Wert um 46 Prozent höher. In den Kliniken mit mindestens 200 Eingriffen liegt die Sterblichkeitsrate dagegen um 32 Prozent niedriger. Klauber: „Schon mit einer Fallzahl- vorgabe von 100 ließe sich eine deutli- che Senkung der Krankenhaussterb- lichkeit bei den TAVI-Patienten errei- chen. Noch besser sind Kliniken mit 200 Fällen.“ Nötig sei zudem eine kombinierte kardiologische und herz- chirurgische Versorgung vor Ort. Als Beispiel für die unzureichende Umsetzung von Mindestmengen führte Professor Rainer Rossi, Vor- standsmitglied der Deutschen Gesell- schaft für Perinatale Medizin (DGPM), die Behandlung von Frühge- borenen an. Internationale Studien belegten, so Rossi, eine bessere Ver- sorgung von Frühgeborenen mit ge- ringem Geburtsgewicht in Kliniken mit höherer Fallzahl und besserer Ausstattung. Mehr Strukturqualität nötig Auch eine im „Qualitätsmonitor“ ver- öffentlichte Analyse auf Basis von AOK-Abrechnungsdaten (wir berich- teten) zeigt, dass Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht unter 1500 Gramm eine schlechtere Überlebens- chance haben, wenn sie in Kliniken versorgt werden, die weniger als 34 Fälle pro Jahr vorweisen können. Die Sterblichkeitsrate in diesen Kranken- häusern liegt etwa 50 Prozent höher als in Kliniken mit 91 oder mehr Fäl- len (siehe Interview auf dieser Seite). Der jährlich erscheinende „Quali- tätsmonitor“ ist eine gemeinsame Pu- blikation des Vereins Gesundheits- stadt Berlin, des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) und der In- itiative Qualitätsmedizin. Sie liefert für ausgewählte Krankheitsbilder und Behandlungen Daten zu Fallzahlen und Qualitätskennzahlen. Neben den TAVIs und dem Bereich Geburtshilfe stehen in der aktuellen Ausgabe Herz- infarkte, Harnblasen-Entfernungen sowie Eingriffe an der Bauchspeichel- drüse und der Speiseröhre im Fokus. In einer Klinikliste werden die Ergeb- nisse von 1401 Krankenhäusern bun- desweit dargestellt, in denen 2016 be- ziehungsweise 2015 eine dieser Be- handlungen dokumentiert worden ist. Der „Qualitätsmonitor 2019“ steht kostenlos als e-Book zum Herunterla- den bereit: www.wido.de Qualitätsagenda für Kliniken stockt Die Botschaft des „Quali- tätsmonitors 2019“ ist ein- deutig: Noch immer wagen sich zu viele Krankenhäu- ser mit geringer Erfahrung an komplexe Therapien und gefährden damit die Sicherheit der Patienten. Von Thomas Hommel TAVI: Laut „Qualitätsmonitor“ versorgen etwa 30 Prozent der 97 Kliniken, die diese Eingriffe im Jahr 2016 durchführten, weniger als 100 Fälle pro Jahr. © CHASSENET / SCIENCE PHOTO LIBRARYSCIENCE PHOTO LIBRARY Der feste Wille zu einer Verbesserung der Versorgungsqua- lität ist in der aktuel- len Krankenhaus- Gesetzgebung der großen Koalition, aber auch in der Krankenhauspla- nung der Bundeslän- der, nicht mehr erkennbar. Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes Lesen Sie am 11. Januar: Der Heil- mittelbericht des Wissenschaftli- chen Instituts der AOK analysiert die Heilmittelverordnungen aller GKV-Versicherten und zeigt Trends für die Bereiche Ergo-, Sprach- und Physiotherapie sowie für Podolo- gie. Wir informieren über zentrale Ergebnisse des aktuellen Berichts. Kontakt: Haben Sie Fragen oder Anregungen an die AOK oder Themenwünsche für diese Seite? Dann schreiben Sie uns eine E-Mail an: [email protected]. Die Praxis- Serie

IM BLICK ARZTUND PRAXISTEAM Qualitätsagenda für Kliniken ... · Ich trete für ein abgestuftes Versor-gungskonzept mit einem differenzier-ten Versorgungsauftrag ein. Je kom-plizierter

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Pro Dialog Freitag/Samstag, 14./15. Dezember 2018 Nr. 134-241D8

IM BLICK » ARZT UND PRAXISTEAM Eine Serie in Kooperation von ÄrzteZeitung und AOK-Bundesverband

Ärzte Zeitung: Wie könnten dieErgebnisse der Perinatalmedizin inDeutschland verbessert werden?Professor Rainer Rossi: Zum Beispiel,indem bei jeder Geburt kinderärztli-che Präsenz und Kompetenz zur Ver-fügung steht. Bei den Spitzenreiternin Skandinavien gibt es fast keine Ge-burtsklinik, die nicht unmittelbar miteiner Kinderklinik zusammenarbei-tet. Bei uns hingegen haben wir dop-

pelt so viele Geburts- wie Kinderklini-ken und fast jedes dritte Kind wird inDeutschland in einer Klinik geboren,an die keine Kinderklinik angeschlos-sen ist.

Und wie sieht das speziell beiFrühgeborenen aus?Ich trete für ein abgestuftes Versor-gungskonzept mit einem differenzier-ten Versorgungsauftrag ein. Je kom-plizierter eine Schwangerschaft, destoeher soll die werdende Mutter ihrKind in einem höchstqualifizierenZentrum zur Welt bringen und vorabdort betreut werden, um nach Mög-lichkeit die Schwangerschaft noch zuverlängern. Das funktioniert in ande-ren Ländern sehr gut, in denen die Ge-burtshilfe stärker strukturiert undzentralisiert ist. Mütter mit komplika-tionsreicher Schwangerschaft werdenfrühzeitig in solche Zentren gebracht,damit das Kind die besten Überle-

benschancen hat. Kommt es dann zurfrühen Geburt eines Kindes mit einemGeburtsgewicht von weniger als 1500Gramm, braucht es auch für die Kin-derklinik Übung und Routine. Finn-

land schafft es, mit nur fünf Perinatal-zentren sehr gute Ergebnisse zu erzie-len. In Schweden sind es sechs derarti-ger Zentren – das bedeutet bei weitausgrößeren Distanzen ein solches Zent-rum für circa 18 000 Geburten, wäh-rend bei uns ein Zentrum für 5000Geburten zur Verfügung steht. Diesegroße Zahl ist nicht der Garant besse-rer Ergebnisse. Dabei macht nicht dieLänge des Weges den Unterschied,sondern die Ausstattung, die Qualifi-kation und die Erfahrung des Teams.

Was halten Sie von einer Erhöhungder Mindestmenge für die Versor-gung von Frühgeborenen mit gerin-gem Geburtsgewicht?Die bisherige Mindestmenge von 14pro Jahr ist für die Versorgung durchein erfahrenes und personell gut auf-gestelltes Team viel zu niedrig. Dahersollte nun dringend eine neue, höhereMindestmenge festgelegt werden. Die

rechtlichen Voraussetzungen sindnach den Änderungen durch dasKrankenhausstrukturgesetz und ei-ner Grundsatzvereinbarung zu denMindestmengen im GBA da. Und dieStudienlage für die kleinen Frühgebo-renen zeigt eindeutig den Nutzen ei-ner höheren Mindestmenge.

Was können niedergelasseneÄrzte beitragen?Eine Frühgeburt ist nur sehr seltenein unerwartetes Ereignis aus demsprichwörtlichen heiterem Himmel.In der Regel ist eine Erkrankung derMutter in der Schwangerschaft dieUrsache. Dann muss die Frau an dierichtige Stelle mit der höchsten Kom-petenz überwiesen werden. Niederge-lassene Ärzte haben hier eine wichti-ge Steuerungsfunktion.

Ich bin als Kinderarzt zudem dafür,dass die Frauen dort hingehen, wo eseine Kinderklinik gibt.

Niedergelassene haben eine wichtige SteuerungsfunktionWenngleich die Säuglings-sterblichkeit in Deutschlandüber Jahrzehnte gesunken ist,liegt sie seit Jahren über deraus Finnland oder Schweden.Für Kinderarzt Professor Rai-ner Rossi nur ein Grund für ei-nen Blick nach Nordeuropa.

Professor Rainer Rossi ist Vorstands-mitglied der Deutschen Gesellschaft fürPerinatale Medizin (DGPM). © VIVANTES

BERLIN. Zu zögerlich, zu halbherzig:Anlässlich der Vorstellung des neuen„Qualitätsmonitors 2019“ hat derAOK-Bundesverband die bisweilen la-sche Umsetzung der gesetzlichen Vor-gaben für Mindestmengen und Quali-tätsindikatoren in der Krankenhaus-planung kritisiert. Eine „Strategie derVerschleppung“ von Klinikvertreternund Ländern führe letztlich dazu,„dass unnötig Menschenleben aufsSpiel gesetzt werden“, sagte der Vor-standsvorsitzende des Verbandes,Martin Litsch. In der aktuellen Kran-kenhaus-Gesetzgebung der großenKoalition, aber auch in der Klinikpla-nung der Bundesländer sei der Wille,für eine bessere Versorgungsqualitätzu sorgen, nicht mehr erkennbar. „DieLuft ist raus.“

„Wahrlich keine Raketentechnik“Der AOK-Chef verwies unter anderemauf den derzeitigen Stand bei den pla-nungsrelevanten Qualitätsindikato-ren (PlanQI). Das Verfahren geht zu-rück auf das Krankenhaus-Struktur-gesetz (KHSG) von 2016 und soll denPlanungsbehörden der Bundesländerermöglichen, bei der Klinikplanungdie Qualität der medizinischen Ver-sorgung der Häuser zu berücksichti-gen. Litsch sprach in diesem Zusam-menhang von einem „Desaster“, dadie Umsetzung der PlanQI viel zu lan-ge dauere und sich die Bundesländerteils darüber hinweg setzten. „Bisheute gibt es nur ganz schmale Ergeb-nisse – und das, obwohl es hier wirk-lich nicht um Raketentechnik geht.“Die AOK fordere die Politik deshalbauf, ein „Krankenhaus-Strukturge-setz II“ auf den Weg zu bringen. Die-ses Gesetz müsse dafür sorgen, dassdie Fristen für die Umsetzung der pla-nungsrelevanten Qualitätsindikato-ren deutlich verkürzt und die Prozes-se im Gemeinsamen Bundesaus-schuss (GBA) beschleunigt würden.

Jürgen Klauber, Geschäftsführerdes Wissenschaftlichen Instituts derAOK (WIdO) und einer der Mithe-rausgeber des „Qualitätsmonitors“,sagte, die Publikation liefere klare Be-lege dafür, dass die Vorgabe von Min-destmengen für stationäre Behand-lungen und eine stärkere Zentralisie-rung von Leistungen in bestimmten,vor allem hochkomplexen Versor-gungsbereichen Leben retten könn-ten. Ein Dauerthema bleibe die „Gele-genheitschirurgie“ bei bestimmtenKrebs-Indikationen wie etwa Brust-krebs.

Alle zwei Wochen ein EingriffKlauber wies darauf hin, dass einViertel der 781 behandelnden Klini-ken im Jahr 2016 maximal acht Brust-krebs-Operationen erbracht hat. Einweiteres Viertel führte im Mittel 26Operationen durch, was etwa einenEingriff alle zwei Wochen bedeutet.Von zertifizierten Brustkrebs-Zent-ren würden dagegen 100 Brustkrebs-Operationen pro Jahr gefordert, be-tonte Klauber. „Eine eingespielte Pro-zesskette für solche Operationenkann es nur in Häusern mit hohenFallzahlen geben.“

Die Realität sehe jedoch andersaus: Zu viele Kliniken mit geringer Er-

fahrung wagten sich noch immer ankomplexe Therapien und gefährdetendamit die Patientensicherheit.

Sterblichkeitsrate differiert deutlichDas gelte auch bei Katheter-gestütz-ten Aortenklappen-Implantationen,den TAVIs, so Klauber. Laut „Quali-tätsmonitor“ versorgen etwa 30 Pro-zent der 97 Kliniken, die diese Ein-griffe im Jahr 2016 durchführten, we-niger als 100 Fälle pro Jahr. In Kran-kenhäusern mit Fallzahlen unter 100liegt die Zahl der Todesfälle dem Re-port zufolge im Vergleich zum erwar-teten Wert um 46 Prozent höher. Inden Kliniken mit mindestens 200Eingriffen liegt die Sterblichkeitsratedagegen um 32 Prozent niedriger.Klauber: „Schon mit einer Fallzahl-vorgabe von 100 ließe sich eine deutli-che Senkung der Krankenhaussterb-lichkeit bei den TAVI-Patienten errei-chen. Noch besser sind Kliniken mit200 Fällen.“ Nötig sei zudem einekombinierte kardiologische und herz-chirurgische Versorgung vor Ort.

Als Beispiel für die unzureichendeUmsetzung von Mindestmengenführte Professor Rainer Rossi, Vor-standsmitglied der Deutschen Gesell-schaft für Perinatale Medizin(DGPM), die Behandlung von Frühge-

borenen an. Internationale Studienbelegten, so Rossi, eine bessere Ver-sorgung von Frühgeborenen mit ge-ringem Geburtsgewicht in Klinikenmit höherer Fallzahl und bessererAusstattung.

Mehr Strukturqualität nötigAuch eine im „Qualitätsmonitor“ ver-öffentlichte Analyse auf Basis vonAOK-Abrechnungsdaten (wir berich-teten) zeigt, dass Frühgeborene miteinem Geburtsgewicht unter 1500Gramm eine schlechtere Überlebens-chance haben, wenn sie in Klinikenversorgt werden, die weniger als 34Fälle pro Jahr vorweisen können. DieSterblichkeitsrate in diesen Kranken-häusern liegt etwa 50 Prozent höherals in Kliniken mit 91 oder mehr Fäl-len (siehe Interview auf dieser Seite).

Der jährlich erscheinende „Quali-tätsmonitor“ ist eine gemeinsame Pu-blikation des Vereins Gesundheits-stadt Berlin, des WissenschaftlichenInstituts der AOK (WIdO) und der In-itiative Qualitätsmedizin. Sie liefertfür ausgewählte Krankheitsbilder undBehandlungen Daten zu Fallzahlenund Qualitätskennzahlen. Neben denTAVIs und dem Bereich Geburtshilfestehen in der aktuellen Ausgabe Herz-infarkte, Harnblasen-Entfernungensowie Eingriffe an der Bauchspeichel-drüse und der Speiseröhre im Fokus.In einer Klinikliste werden die Ergeb-nisse von 1401 Krankenhäusern bun-desweit dargestellt, in denen 2016 be-ziehungsweise 2015 eine dieser Be-handlungen dokumentiert worden ist.

Der „Qualitätsmonitor 2019“ stehtkostenlos als e-Book zum Herunterla-den bereit: www.wido.de

Qualitätsagenda für Kliniken stocktDie Botschaft des „Quali-tätsmonitors 2019“ ist ein-deutig: Noch immer wagensich zu viele Krankenhäu-ser mit geringer Erfahrungan komplexe Therapienund gefährden damit dieSicherheit der Patienten.

Von Thomas Hommel

TAVI: Laut „Qualitätsmonitor“ versorgen etwa 30 Prozent der 97 Kliniken, die diese Eingriffe im Jahr 2016 durchführten,weniger als 100 Fälle pro Jahr. © CHASSENET / SCIENCE PHOTO LIBRARYSCIENCE PHOTO LIBRARY

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Der feste Wille zueiner Verbesserungder Versorgungsqua-lität ist in der aktuel-len Krankenhaus-Gesetzgebung dergroßen Koalition,aber auch in derKrankenhauspla-nung der Bundeslän-der, nicht mehrerkennbar.Martin Litsch, Vorstandsvorsitzenderdes AOK-Bundesverbandes

Lesen Sie am 11. Januar: Der Heil-mittelbericht des Wissenschaftli-chen Instituts der AOK analysiertdie Heilmittelverordnungen allerGKV-Versicherten und zeigt Trendsfür die Bereiche Ergo-, Sprach- undPhysiotherapie sowie für Podolo-gie. Wir informieren über zentraleErgebnisse des aktuellen Berichts.

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