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42 ZENTRALASIEN arabischer Linguistik, islami- schem Recht und antiker Philoso- phie – man denke nur an den Ma- thematiker al-Khwarazmi, den Namensgeber des Algorithmus, an den Arzt und Philosophen Ibn Sina (Avicenna), den Autor des Standard-Lehrbuches der euro- päischen Medizin bis in die Neu- zeit, und an den Universalgelehr- ten al-Biruni mit der ältesten um- fassenden Beschreibung Indiens. Besonders erfolgreich war eine Erfindung, die wir bis heute kaum wahrnehmen, obwohl sie die isla- mische Welt von Westafrika bis Indonesien und China prägt: die Netzwerke der mystischen Bru- derschaften. Die geistige Beweglichkeit die- ser Region hatte ohne Zweifel mit ihrer Bedeutung als Drehscheibe des internationalen Handels zu tun. Der Handel prägte die Re- gion, und dementsprechend er- wähnen die Quellen der Zeit den Handel immer wieder. Kaufmann wie Marco Polo die ganze Strecke von Venedig bis China bereiste und auch wohlbe- halten heimkehrte, war eine gros- se Ausnahme. Meistens bestand die Route aus mehreren Etappen, und die Waren wechselten immer wieder die Hand, bis sie schliess- lich ganz unglaubliche Preise er- zielten. Pulsierendes Zentrum Heute fristen die Provinz Khura- san in Ost-Iran und die Republi- ken Kasachstan, Kirgisien, Usbe- kistan, Tadschikistan und Turk- menistan meist ein bescheidenes Leben fernab vom Interesse der Weltöffentlichkeit. Doch bis ins 16. Jahrhundert lag hier die pul- sierende Mitte der Seidenstrasse. Hier trennten sich die Wege nach Iran, Südrussland, China und In- dien. Noch heute zeugen die far- benprächtigen Moscheen, Kara- wansereien und Grabmäler in Buchara und Samarkand vom eins- tigen Reichtum. Aus Zentralasien kam die Elite der mittelalterlichen Forschung, deren Konzepte unser Denken bis heute prägen, meist Iraner und Türken, geschult in Zentralasien bildete bis ins 16. Jahrhundert die internationale Drehscheibe für den Handel auf der Seidenstrasse. Trotz ihrer grossen kulturhistorischen Bedeutung ist die wirtschaftliche Funktion die- ser Region bislang kaum unter- sucht worden. VON ANDREAS KAPLONY S eit uralten Zeiten bildete die Seidenstrasse die nördliche Verbindung zwischen China und Europa. Auf ihr schleppten Men- schen und Tiere Waren, beispiels- weise Jade und Moschus. Auf die- ser Route wanderte auch Wissen – die Kunst der Papierherstellung und des Schiesspulvermischens et- wa hat uns über die Seidenstrasse erreicht. Die Reisenden kämpften nicht nur mit Hitze und Kälte, Wind und Wetter, sondern auch mit un- freundlicher Bevölkerung, aus- nützerischen Wirten, Zolleintrei- bern und Wegelagerern. Dass ein Im Herzen der Seidenstrasse Dr. Andreas Kaplony ist Privat- dozent am Orientalischen Semi- nar der Universität Zürich. MAGAZIN UNIZÜRICH 4/01 Zentralasiatische Städte wie Buchara und Samarkand bildeten bis ins 16. Jahrhundert das pulsierende Zentrum des weit verzweigten Handelsnetzes der Seidenstrasse.

Im Herzen der Seidenstrasse - UZH

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arabischer Linguistik, islami-schem Recht und antiker Philoso-phie – man denke nur an den Ma-thematiker al-Khwarazmi, denNamensgeber des Algorithmus,an den Arzt und Philosophen IbnSina (Avicenna), den Autor desStandard-Lehrbuches der euro-päischen Medizin bis in die Neu-zeit, und an den Universalgelehr-ten al-Biruni mit der ältesten um-fassenden Beschreibung Indiens.Besonders erfolgreich war eineErfindung, die wir bis heute kaumwahrnehmen, obwohl sie die isla-mische Welt von Westafrika bisIndonesien und China prägt: dieNetzwerke der mystischen Bru-derschaften.

Die geistige Beweglichkeit die-ser Region hatte ohne Zweifel mitihrer Bedeutung als Drehscheibedes internationalen Handels zutun. Der Handel prägte die Re-gion, und dementsprechend er-wähnen die Quellen der Zeit denHandel immer wieder.

Kaufmann wie Marco Polo dieganze Strecke von Venedig bisChina bereiste und auch wohlbe-halten heimkehrte, war eine gros-se Ausnahme. Meistens bestanddie Route aus mehreren Etappen,und die Waren wechselten immerwieder die Hand, bis sie schliess-lich ganz unglaubliche Preise er-zielten.

Pulsierendes Zentrum

Heute fristen die Provinz Khura-san in Ost-Iran und die Republi-ken Kasachstan, Kirgisien, Usbe-kistan, Tadschikistan und Turk-menistan meist ein bescheidenesLeben fernab vom Interesse derWeltöffentlichkeit. Doch bis ins16. Jahrhundert lag hier die pul-sierende Mitte der Seidenstrasse.Hier trennten sich die Wege nachIran, Südrussland, China und In-dien.

Noch heute zeugen die far-benprächtigen Moscheen, Kara-wansereien und Grabmäler inBuchara und Samarkand vom eins-tigen Reichtum. Aus Zentralasienkam die Elite der mittelalterlichenForschung, deren Konzepte unserDenken bis heute prägen, meistIraner und Türken, geschult in

Zentralasien bildete bis ins 16.Jahrhundert die internationaleDrehscheibe für den Handel auf derSeidenstrasse. Trotz ihrer grossenkulturhistorischen Bedeutung istdie wirtschaftliche Funktion die-ser Region bislang kaum unter-sucht worden.

VON ANDREAS KAPLONY

S eit uralten Zeiten bildete dieSeidenstrasse die nördliche

Verbindung zwischen China undEuropa. Auf ihr schleppten Men-schen und Tiere Waren, beispiels-weise Jade und Moschus. Auf die-ser Route wanderte auch Wissen– die Kunst der Papierherstellungund des Schiesspulvermischens et-wa hat uns über die Seidenstrasseerreicht.

Die Reisenden kämpften nichtnur mit Hitze und Kälte, Windund Wetter, sondern auch mit un-freundlicher Bevölkerung, aus-nützerischen Wirten, Zolleintrei-bern und Wegelagerern. Dass ein

Im Herzen der Seidenstrasse

Dr.Andreas Kaplony ist Privat-dozent am Orientalischen Semi-nar der Universität Zürich.

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Zentralasiatische Städte wieBuchara und Samarkand bildetenbis ins 16. Jahrhundert das pulsierende Zentrum des weitverzweigten Handelsnetzes derSeidenstrasse.

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mische Welt ist ein Common-wealth von Städten – bezogen ge-wisse Waren grundsätzlich ausder allernächsten Umgebung. Je-de Stadt hatte ihren eigenen Holz-sammelplatz, meist ein naherBerg, wo wohl besonders Dienerund Arme für das Feuerholz derStadt sorgten. Dort holte manauch Lehm für Tonwaren, Gipsund Stein zum Bauen. Alle dieseWaren wurden nicht als Handels-waren betrachtet, sondern alsRohmaterial, das man sich ein-fach besorgte.

Auch über die Lebensmittel-versorgung erfahren wir so gutwie nichts. Die Symbiose zwi-schen Stadt und Land war ver-mutlich zu selbstverständlich, umviel von ihr zu reden. Die Dörflerkamen jeden Tag mit ihren Pro-dukten auf den Markt der Stadt.Nur in Ausnahmefällen hören wirGenaueres. Manche Städte hattenkein Umland mit Landwirtschaft,sondern mussten alles importie-

werden in einem ersten Schritt dieAngaben der arabischen Geogra-phen ausgewertet. Dabei handeltes sich um eine Gruppe von Geo-graphen (8.–14.Jahrhundert), diezwar aus Iran oder aus Zentral-asien kamen, aber ihre Werke aufarabisch, der Wissenschaftsspra-che der islamischen Welt, verfass-ten – darum «arabische Geogra-phen». Sie verbanden ältere irani-sche, griechische und genuinmuslimische Vorstellungen mitdem eigenen Augenschein und be-schrieben etwa Klima, Städte,Verkehrswege, Exportprodukte,politische Strukturen, Sitten undBräuche. Ihr Publikum warenKaufleute, das weitere gebildetePublikum und nicht zuletzt dieGeheimdienste der Kalifen undihrer Gouverneure.

Komplexes Handelsnetz

Aus ihren unzähligen Angabenzur Wirtschaft und zum HandelZentralasiens ergibt sich ein kom-plexes Nebeneinander mehrererNetze. Der Fernhandel spielte hiernur eine Rolle unter mehreren.Doch beginnen wir auf der ande-ren Seite der Skala, bei den loka-len Netzen. Die Städte – die isla-

Angesichts der immensen kul-turhistorischen Bedeutung derSeidenstrasse und angesichts desQuellenreichtums wirkt es ganzunglaublich, dass das Funktionie-ren dieser internationalen Dreh-scheibe noch kaum untersucht ist.

Stiefkind der Forschung

Nach viel versprechenden Anfän-gen ist die Forschung in der erstenHälfte des 20. Jahrhunderts lang-sam eingeschlafen. Vermutlichhat dies damit zu tun, dass die Ge-schichte Zentralasiens bis vorkurzem fast ausschliesslich dieDomäne sowjetischer Forscherwar, die sich für die Handelsge-schichte der Seidenstrasse überra-schenderweise kaum interessier-ten, während sich die westlicheForschung ihrerseits um die Er-gebnisse ihrer sowjetischen Kolle-gen kaum kümmerte.

Erst seit ein paar Jahren be-fasst sich die Forschung intensivmit Zentralasien. ArchäologischeTeams aus Westeuropa undNordamerika graben vor Ort –im letzten Jahr erregten die Fun-de einer französisch-usbekischen Mission unter Schweizer LeitungAufsehen. Berlin, Bonn und Göt-tingen haben nun eigene Zen-tralasien-Institute, in der Schweizunterhalten Zürich und Bern in-tensive wissenschaftliche Kon-takte mit Zentralasien. Einen ers-ten Einblick in die Lebendigkeitder Forschung vermittelt das Zen-tralasien-Programm der Univer-sität Harvard (www.fas.harvard.edu/~centasia). Trotz des wach-senden Interesses an Zentralasienliegt die Organisation des inter-nationalen Handels, auf dem derReichtum Zentralasiens doch ba-sierte, noch im Schatten: WelcheKaufleute wann wie auf welchenRouten reisten, welche Waren sietransportierten, wie sie sich orga-nisierten, wem sie Abgaben zahl-ten ist noch weitestgehend unbe-kannt.

Angesichts der Quellenfüllehilft nichts anderes als bewusstesschrittweises Vorgehen. Zurzeit

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Die Sklaven auf den Märkten der islamischen Welt stammtenzumeist aus Zentralasien oder Afrika. (Darstellung des Sklaven-markts von Zabid, Jemen, aus dem Jahr 1237).

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ren – sei es, weil sie reine Berg-baustädte waren, sei es, weilfromme Stiftungen für denLebensunterhalt der Glaubens-kämpfer sorgten. Oder eineGrossstadt wie Samarkand wartrotz ihres sehr fruchtbaren Um-landes auf zusätzliche Lebensmit-telimporte von weiter weg ange-wiesen.

Über das weitmaschigere Netzdes Handels zwischen den Regio-nen Zentralasiens untereinanderund mit anderen Regionen erfah-ren wir hingegen eine Fülle vonEinzelheiten. Dabei war Zen-tralasien wirtschaftlich autark,hatte sogar einen solchen Über-fluss an Waren, dass es bei Katas-trophen wie Frost, Dürre und Pestandere Länder weiter beliefernkonnte.

Bei manchen Gütern hatteZentralasien ein Monopol. Am-moniak etwa förderte man sonstnur noch in Sizilien, und dazunoch in geringerer Qualität; hierwurde es in den Bergen unterabenteuerlichen Bedingungen des-tilliert und dann weiterverkauft.Färberröte war international sobegehrt, dass sie die staatlichenBehörden aufkauften und mitgrossem Gewinn nach Indien wei-terverkauften. In den Bergen desHindukusch fanden (und finden)sich besonders reiche und reineVorkommen an Gold, Silber,Eisen, Kupfer, Quecksilber undEdelsteinen. Indigo wurde in Ka-bul so rein und in so grossen Men-gen hergestellt, dass die Händlerjedes Jahr davon für zwei Millio-nen Dinar, also zwei MillionenGoldstücke, verkauften.

Darüber hinaus war Zentral-asien für seine Textilien berühmt.Städte wie Isfahan, Nischapur,Marw und Kabul exportiertenerstklassige Seiden- und Baum-wollstoffe. Ihre Spezialität warein bei den Herrschern sehr ge-suchtes repräsentatives Pracht-gewand. Eine kleinere Stadt beiSamarkand setzte auf «Qualitätfür alle» und versorgte ganzZentralasien mit speziell dichten

Wintermänteln, die auch im Irakhochbegehrt waren, die man dortaber nur ausnahmsweise erhielt.

Bei so viel Reichtum kamen die besten Produkte der Welt nach Zentralasien: Stoffe aus Spa-nien, Lupinen aus Ägypten undKamelstuten aus dem heutigenPakistan, die man wiederum fürdie berühmte Zucht der riesigenBalkh- und Samarkand-Kamelebrauchte.

Lohnender Sklavenhandel

Wirklich lohnend war aber derTransithandel mit Sklavinnenund Sklaven – und hier spielte dieLage Zentralasiens eine entschei-dende Rolle. Besonders die Leutevon Khwarazm, dem riesigenOxus-Delta südlich des Aralsees,kauften bei den Türken und Sla-wen der Nachbarschaft regelmäs-sig kostbare Pelze und Sklavenauf. Um dort nicht unangenehmaufzufallen, rasierten sie sich ganzunislamisch ihren Schnurr- undBackenbart ab.

Selbstverständlich wurdendort, so unsere Geographen, aus-schliesslich Heiden versklavt,nicht Muslime, Christen oder Ju-den, denn diese durfte man janicht in den Sklavenstand zwin-gen. Und da es innerhalb der isla-mischen Welt per definitionemkeine Heiden gab, konnte manhier keine frei Geborenen zu Skla-ven machen. Die Sache war aller-dings nicht ganz einfach. MancheFamilien verkauften ihre Kinder,um ihnen eine gute Ausbildungzu ermöglichen, und Abenteurerliessen sich einfach kaufen. OhneZweifel waren die Karrierechan-cen eines gut ausgebildeten Mi-litärsklaven in der islamischenWelt ausgezeichnet; arrivierteSklaven nahmen den Kontakt mitder Heimat wieder auf. Am bestenist die ganze Sache mutatis mu-tandis mit den fremden Dienstender Söldner vergleichbar.

Die frischen Sklavinnen undSklaven wurden zuerst einmalnach Zentralasien gebracht unddort «veredelt». Der gewiefte

Händler bildete nämlich die vielversprechenden, aber noch unge-schliffenen Slawinnen und Tür-kinnen, Slawen und Türken zuTänzerinnen und Sängerinnen re-spektive zu Soldaten aus – Zen-tralasien war berühmt für die ent-sprechende Ausbildung. Auf denregelmässig stattfindenden Märk-ten erreichten ausgebildete Skla-vinnen und Sklaven den ganz un-glaublichen Preis von 3000 Dinar.Auch wenn diese Art des Um-gangs mit Sklaven in Zentralasienexistierte, so war wenigstens eineandere Art der «Veredelung» un-gebräuchlich: die Kastration. Dieszu einer Zeit, in der in Westeuro-pa männliche Sklaven kastriertund – sofern sie überlebten – teu-er nach Spanien weiterverkauftwurden.

Für Europa war die Seiden-strasse nach China ohne Zweifelwichtig. Für die arabischen Geo-graphen aber stammten die wirk-lich prächtigen Seiden- undBaumwollstoffe nicht aus China,sondern aus den Städten Zen-tralasiens. Zwar kannten sie denHandel mit China durchaus – ausChina und Tibet beispielsweisekam der Moschus –, aber dieseRouten waren nur einige untervielen, die zum Ruhm und Reich-tum Zentralasiens beitrugen.Deshalb hätten sie Zentralasienvermutlich nicht als Drehscheibeder Seidenstrasse, sondern viel-mehr als Drehscheibe der Skla-venstrasse bezeichnet.

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Das Projekt «Drehscheibe der Sei-denstrasse: Organisation des Han-dels in Zentralasien (7.–16.Jahrhun-dert)» des Autors wird durch einForschungsstipendium der Gerda-Henkel-Stiftung, Düsseldorf, unter-stützt.

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© 1998 Daniel Schwartz / Lookat

Globale Netzwerke. Kabelstränge, in denen die zum welt-weiten Transfer von Finanzdatensätzen verwendeten Glasfaserkabel liegen.London.