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Umweltethik für Kinder T. Pyhel, A. Bittner, A.-K. Klauer, V. Bischoff (Hrsg.) DBU-Umweltkommunikation / Band 9 Impulse für die Nachhaltigkeitsbildung

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Umweltethik für Kinder

T. Pyhel, A. Bittner, A.-K. Klauer,

V. Bischoff (Hrsg.)

DBU-Umweltkommunikation / Band 9

Impulse für die Nachhaltigkeitsbildung

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Umschlagentwurf: Elisabeth Fürnstein, oekom verlag

Umschlagabbildung: © Christin Lola - Fotolia.com

Bildmaterial im Innenteil: alle Fotos Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt (LaNU) außer S. 155 und 168

unten: Amöba – Verein für Umweltbildung e. V. (Amöba);

Zeichnungen und Aquarelle: Claudia Weiand, auf folgenden Seiten ergänzt durch Zeichnungen und Aquarelle

von Anna-Katharina Klauer: S. 155, 164, 171, 172 Tiere, 189 unten, 191 Mitte und 196.

Textgestaltung: Helga Kuhn, DBU Zentrum für Umweltkommunikation

Druck: Bosch-Druck GmbH, Ergolding

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-86581-818-8

E-ISBN 978-3-96006-144-1

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Anna-Katharina Klauer, Vera Bischoff

Umweltethik für Kinder

Impulse für die Nachhaltigkeitsbildung

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Inhaltsverzeichnis

EINFÜHRUNG

»Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung

Thomas Pyhel und Alexander Bittner 7

WISSENSCHAFTSTHEORETISCHE BETRACHTUNG

Grundzüge der Umweltethik Konrad Ott 15

Natur schützen, nutzen und gerecht teilen Umweltethik im Lichte nachhaltiger Entwicklung Uta Eser 33

»Es gibt nichts Gutes, außer man tut es«. Zur Bedeutung von Ethik in der Umweltkommunikation Markus Vogt 45

Das »ökologische Interesse« als Basis der Umweltethik? Thomas Petersen 59

Nachhaltige Entwicklung: Leitbild für eine ethische und politische Grundbildung? Bernd Overwien 69

»Ist Tugend lehrbar?« Zwischen Werteerziehung und kritischer Urteilsbildung Ulrich Gebhard und Kerstin Michalik 79

Das Prinzip »Achtsamkeit« in der religionspädagogischen Umweltbildung Matthias Albani 93

PRAKTISCHER TEIL Warum? – Darum! Umweltethik mit Kindern im Vor- und Grundschulalter Anna-Katharina Klauer 103 Ansatz und Ziel 103 Umweltbildung für nachhaltige Entwicklung 104 Philosophieren mit Kindern 113 Rückblick und Ausblick 131

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Inhaltsverzeichnis

Umweltethik, Material zur praktischen Umsetzung mit Kindern im Vor- und Grundschulalter Anna-Katharina Klauer 133

Thema 1, Energie: Energie – aber wie? 135

Thema 2, Konsum: Essen mit Spaß – aber was? 157

Thema 3, Artenvielfalt: Mein Recht – echt? 167

Thema 4, Abfall und Boden: Müll und Dreck – einfach weg? 177

HERAUSGEBER- UND AUTORENVERZEICHNIS 199

Zugunsten der Lesefreundlichkeit wurde auf eine durchgehend geschlechtsneutrale

Schreibweise verzichtet. Die verwendete männliche Form schließt bei Entsprechung die

weibliche Form selbstverständlich ein.

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Thomas Pyhel und Alexander Bittner

»Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung

Aufgrund der Tatsache, dass nachhaltige Entwicklung in erster Linie ein anthropozen-

trisches normatives Konzept ist, sind umweltethische Fragestellungen und Nachhaltigkeits-

bildung in diesem Handlungsfeld untrennbar miteinander verbunden. Es ergibt sich aus diesem

Sachverhalt eine Verpflichtung, dass sich Nachhaltigkeitsbildung ethischen Fragestellungen

ebenso gleichrangig zuwenden muss, wie sie sich naturwissenschaftlichen und ökonomischen

Aspekten widmet. Hier werden neue methodische Zugänge bedeutsam, die unter anderem

auch Aspekte der ethischen und politischen Grundbildung berücksichtigen, da die Bewertung

von Nachhaltigkeitsfragen aber auch die Mitwirkung und Beteiligung bei der Bearbeitung

solcher Fragen wesentlich für eine nachhaltige Transformation gesellschaftlicher Handlungs-

felder sind. Der Beitrag stellt die Notwendigkeit einer grundsätzlichen inter- und transdiszip-

linären Weiterentwicklung von Bildungsansätzen heraus, die insbesondere jungen Menschen

eine Teilhabe an der Gestaltung einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Gesellschaft ermöglichen,

und ordnet die Einzelbeiträge des Herausgeberbandes in diesen Kontext ein.

Ethik ist en vogue. Kaum ein gesellschaftlicher Bereich kommt heute noch ohne eine

ethische Reflektion, ohne eine Einordnung von Aufgaben, Zielen und Handeln in mora-

lische Maßstäbe aus. Je komplexer unsere Welt wird, umso größer erscheint das Bedürfnis

nach Orientierung, nach Sicherheit und Verlässlichkeit für unser aktuelles und zukünftiges

Handeln. Eine der Kernfragen ethischer Reflexion lautet daher: Wie beziehungsweise nach

welchen Prinzipien wollen wir leben?

Bei der Suche nach einer Antwort stoßen wir schnell auf ein bekanntes Problem. Theorie

und Wirklichkeit klaffen nicht selten weit auseinander. Auch das durchdachteste Konzept

oder die im breitesten Konsens erarbeiteten »moralischen Leitplanken« sind kein Garant

tatsächlichen adäquaten Handelns. Das Beispiel des Leitbilds der Nachhaltigkeit, das

Markus Vogt in seinem Beitrag zum vorliegenden Band heranzieht, verdeutlicht dies ein-

drücklich: Trotz einer breiten Zustimmung des Konzeptes in politischen, wirtschaftlichen

und privatgesellschaftlichen Bereichen ist nicht zwingendermaßen ein verbessertes ökolo-

gisches Handeln auszumachen. Vergleichbare Phänomene sind uns aus der Verhaltensfor-

schung bekannt (vgl. u. a. Diekmann/Preisendörfer 2001; Kruse 2002 und 2013; Abrahamse

et al. 2005; Bamberg/Möser 2007).

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»Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung

Gleichwohl spielen ethische Leitbilder eine wichtige Rolle für unser Tun und drücken

unsere Grundhaltung, unsere Einstellungen und Wertehaltungen aus. Sie sind ein Angebot

»guter Gründe«, sich so oder so zu verhalten, diese oder jene Perspektive einzunehmen,

und sie repräsentieren das »moralische Wissen« einer gesellschaftlichen Gruppe, einer

Institution oder eines Unternehmens. Als Reflexionsfläche für das individuelle und gesell-

schaftliche Handeln übernehmen ethische Leitbilder insbesondere in komplexen, unüber-

schaubaren Situationen und Zusammenhängen eine wichtige Funktion bei der Einordnung

und Bewertung verschiedener Handlungsoptionen. Gerade bei aktuellen Umweltthemen

wie dem Klimaschutz, der sicheren Energieversorgung oder dem nachhaltigen Ressour-

cenmanagement geht es im Kern immer auch um ethische Positionen (etwa zur Vertei-

lung materieller Güter, zur Gerechtigkeit zwischen den Generationen, bei der Suche nach

geeigneten Maßstäben bei der Abwägung zwischen Ansprüchen intra- und intergeneratio-

neller Gerechtigkeit, beim Verständnis von Natur und Nachhaltigkeit etc.), die sich in einem

ethischen Leitbild widerspiegeln und die eine entsprechende Orientierung geben können.

Und dennoch: Ethische Orientierungen reichen allein nicht als Motivator für unser tatsäch-

liches Handeln aus. Sie weisen vielmehr in eine Richtung, in die wir aber zunächst lernen

müssen zu gehen. Bedeutsamer als das Leitbild selbst erscheint dabei der Weg dorthin, der

einen gut vorbereiteten demokratischen Diskurs, die Aneignung und den Austausch von

Fachwissen, Vorstellungen, Wünschen, Ängsten und Hoffnungen, die Klärung von Hand-

lungsalternativen, die Festlegung von Zielvereinbarungen und vieles mehr umfassen muss.

Hier kommt der Nachhaltigkeitsbildung eine besondere Aufgabe und Verantwortung

zu. Nachhaltigkeitsbildung kann und sollte den Rahmen für einen entsprechenden Diskurs

über ethische Fragen und Aspekte bilden. Sie kann nicht nur beispielhaft aufzeigen, mit

welchen ethischen Implikationen zu rechnen und wie diesen zu begegnen ist, sondern sie

kann und sollte auch motivieren, erste Schritte auf dem gewählten »Pfad der Vernunft« zu

gehen. Nachhaltigkeitsbildung wird damit zu einem Erfahrungsfeld, das uns sicherer im

Umgang mit schwierigen, komplexen Fragen zu Gerechtigkeit, Solidarität und Verantwor-

tung für zukünftige Generationen macht. Die formalen Voraussetzungen, sprich die Prin-

zipien guter Nachhaltigkeitsbildung, die darauf ausgerichtet sind, Menschen durch die

Vermittlung von Kompetenzen zu befähigen, Zukunft nachhaltig zu gestalten, bilden hier-

für eine hervorragende Plattform. Nachhaltige Entwicklung ist nicht auf eine kurzfristig

geltende Verantwortlichkeit ausgerichtet, sondern ist ein Querschnittsthema, das alle

gesellschaftlichen und individuellen Lebensbereiche betrifft, wie etwa den globalen Wandel

von Ökosystemen und deren Belastungsfähigkeit, den Zugang zu und Umgang mit Rohstof-

fen, Wachstumskriterien der Wirtschaft, Produkte, Dienstleistungen, Konsum, aber auch

Gerechtigkeitskonzepte und Lebensstile (vgl. Gruber-Mannigel/Pyhel/Wiener 2010: 20).

Dabei kommt es darauf an, Problembereiche wie zum Beispiel Armut in Entwicklungslän-

dern, gerechte Handelsbeziehungen, sozial-, umwelt- und gesundheitsverträgliche Pro-

duktions- und Konsummuster, Bevölkerungsentwicklung und Generationengerechtigkeit,

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»Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung

den Zugang zu neuen energieeffizienten Technologien oder neue Formen der Partizipation

auch ethisch in den Blick zu nehmen.

Nachhaltigkeitsbildung kann und sollte aber nicht nur den theoretischen Diskurs zu

einer ethischen Orientierung vorantreiben, sondern möglichst auch konkrete Hand-

lungsangebote unterbreiten. Das sozialwissenschaftliche Konstrukt der Lebensstile kann

zumindest in einem Teilbereich hierzu einen Beitrag leisten, da sich in Lebensstilen Res-

sourcen, Verhaltensweisen und Wertorientierungen zu erkennbaren und gegebenenfalls

zu verändernden Mustern der Lebensführung verbinden. Lebensstile stellen somit Typen

von Lebensmustern dar, »die sich heute insbesondere durch die Art der Konsumorien-

tierung unterscheiden« (Michelsen 2007: 35). Dabei bedarf es auf der konkreten Hand-

lungsebene einer Reflexion und Bewertung, um zwischen besseren und weniger guten

Alternativen entscheiden zu können. Die Nachhaltigkeitsbewertung von Prozessen, Pro-

dukten und Dienstleistungen, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Ausgestaltung des

gewählten Lebensstils vermuten lässt, stellt damit eine große Herausforderung dar. Diese

besteht darin, auf Basis von Indikatoren Entscheidungshilfen für die Bewertung von Nach-

haltigkeit zu entwickeln, zu kommunizieren und anzuwenden. Die Vermittlung von ent-

sprechenden Kompetenzen und systemischen Zusammenhängen sowie die Förderung von

Bewusstsein und Handeln im Rahmen einer Bildung für Nachhaltigkeit sind die Voraus-

setzung für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Dabei sind auch Fragen zu

leitenden Werten und ethischen Grundhaltungen zu berücksichtigen.

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) hat zum Ziel, »allen Menschen Bildungs-

chancen zu eröffnen, die es ermöglichen, sich Wissen und Werte anzueignen sowie

Verhaltensweisen und Lebensstile zu erlernen, die für eine lebenswerte Zukunft und eine

positive gesellschaftliche Veränderung erforderlich sind« (Nationalkomitee der UN-Dekade

»Bildung für nachhaltige Entwicklung« 2011: 7). Gerade Kinder und Jugendliche stellen

hierbei eine wichtige Zielgruppe entsprechender Bildungsprogramme und -maßnahmen

dar. Die »Stärkung kindlicher Autonomie und sozialer Mitverantwortung«, wie es etwa der

Bildungsplan Hessen fordert, kann und soll dazu beitragen, »dem Kind zu helfen, sich selbst

zu organisieren, ein Bild über seine Stärken und Schwächen zu gewinnen und dadurch ein

gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln« (Hessisches Ministerium für Soziales und Inte-

gration & Hessisches Kultusministerium 2015: 25). Damit verbunden ist die Stärkung des

kompetenten Umgangs mit Veränderungen und Belastungen, die Mobilisierung eigener

Kräfte und die Nutzung sozialer Ressourcen, die dem Kind eine erfolgreiche Bewältigung

ermöglichen (ebd.: 26). Frühkindliche Bildungsprozesse sollten dabei den Erwerb von

Kompetenzen zur Entwicklung, kritischen Reflexion und Verstetigung von Werten und

Normen umfassen. »Die Einigung auf Normen ist ein wesentlicher Bestandteil funktionie-

render Gesellschaften. Bestehende Normen tragen aber auch zu einer nicht nachhaltigen

Entwicklung bei. Daher muss die Reflexion dieser Normen in dem Moment einsetzen,

in dem Kinder beginnen sich an dem Verstehen und der Durchsetzung der Normen zu

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»Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung

beteiligen und einen Sinn für die Sozialität des menschlichen Daseins zu entwickeln«

(Kosler/Benoist 2013: 152). Warum-Fragen von Kindern können dann »Ausgangspunkt für

eine Transformation gesellschaftlicher Normen sein« (ebd.: 152).

Eine Annäherung an diese komplexe Herausforderung kann über den Zugang des

philosophischen Gespräches erfolgen. »Philosophieren ist die Kunst, im richtigen Moment

die richtige Frage zu stellen«, schreibt Eva Zoller-Morf in ihrem Buch »Die kleinen Philoso-

phen: Vom Umgang mit ›schwierigen‹ Kinderfragen« (1995). Kinder stellen Fragen, sie wol-

len die Welt begreifen und die Zusammenhänge erkennen. Sie wollen wissen, warum der

Himmel blau ist, ob Pflanzen Schmerzen empfinden, ob wir ohne Strom leben können, ob

der Mensch wichtiger ist als die Tiere oder ob es Dinge gibt, auf die der eine verzichten kann

und der andere nicht. Die Fragen nach dem Warum und Woher sind entscheidend für die

Entwicklung des eigenen und kollektiven Bewusstseins, für die Einordnung individuellen

und gemeinschaftlichen Handelns und damit für die Entwicklung neuer kreativer Ideen

und Lösungskonzepte. Philosophische Gespräche und ein gemeinsames, spielerisches Tun

können helfen, Klarheit und eine »Orientierung im Denken« (Martens 2007) zu finden.

Die Zahl entsprechender Publikationen und Initiativen, die sich mit der Methode des

Philosophierens mit Kindern befassen, ist in den letzten Jahren auffällig gestiegen (vgl.

u. a. Brüning 2001; Martens 2007; Rude et al. 2007; Akademie Kinder philosophieren 2008;

Zoller-Morf 2010; Calvert/Hausberg 2011). Aber auch wenn das Philosophieren mit Kindern

im Trend liegt, werden umweltphilosophische und umweltethische Fragen nur selten

thematisiert. Daher gibt es nur wenig geeignetes Lehr- und Lernmaterial. Umgekehrt hat die

Umweltpädagogik bisher nur wenig auf die Methoden des Philosophierens zurückgegrif-

fen, sondern ist oft bei der reinen Vermittlung von Sachverhalten stehen geblieben. Dabei

bietet sich der Umweltbereich geradezu für philosophische und ethische Reflektionen mit

Kindern an. »Wenn sich Kinder Themen der Nachhaltigkeit aus philosophischer Perspek-

tive nähern, dann setzen sie sich bewusst und aktiv mit einzelnen Teilaspekten der Nach-

haltigkeit auseinander: Begriffe werden durchleuchtet, nach Sinn und Bedeutung gefragt,

Bezüge zu anderen Bereichen hergestellt und Antworten und Lösungen gesucht. Philoso-

phieren ist ein Prozess des Reflektierens und Bewusstmachens, dessen Ausgangspunkt die

eigene Lebens- und Erfahrungswelt ist« (Akademie Kinder philosophieren 2012: 23).

In dem von der Deutschen Bundesstiftung (DBU) geförderten Projekt »Warum? –

Darum! Umweltethik für Kinder. Entwicklung und Erprobung philosophischer Methoden

zur Umweltbildung mit Kindern«, das den praktischen Kern der vorliegenden Publikation

bildet, wurden für die Zielgruppe der Kindergarten- und Grundschulkinder die klassischen

Methoden der Umwelt- und Nachhaltigkeitsbildung mit Methoden des Philosophierens

verknüpft. Die Kinder wurden und werden angeregt, über aktuelle Umweltprobleme und

über die Möglichkeiten jedes Einzelnen, Verantwortung zu übernehmen, nachzudenken.

Im Vordergrund stand die Entwicklung geeigneter pädagogischer Konzepte und Materi-

alien zu Themen wie Nachhaltigkeit, Verantwortung oder Rechte von Menschen. Diese

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»Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung

Materialien wurden in Partnerschulen und Kindergärten erprobt, optimiert und anschlie-

ßend publiziert. Ergänzend wurden Aktionstage, Projektwochen und regelmäßige Arbeits-

gruppengespräche durchgeführt sowie eine kleine Wanderausstellung zu dem Thema mit

den beteiligten Kindern, Erzieherinnen sowie Grundschullehrerinnen und Grundschul-

lehrern umgesetzt.

Die Projektergebnisse, die am Ende dieser Publikation in dem Beitrag »Warum? –

Darum! Umweltethik mit Kindern im Vor- und Grundschulalter« von Anna-Katharina

Klauer zusammengefasst werden und auch Material zur praktischen Umsetzung umfassen,

zeigen, dass auch Vorschul- und Grundschulkinder schon in der Lage sind, differenziert

über Sachverhalte und ethische Fragen wie zum Beispiel über die Notwendigkeit zum

Teilen oder den Wert eines Lebewesens nachzudenken. Darüber hinaus zeigt sich, dass

bei Erzieherinnen und Erziehern sowie bei Lehrerinnen und Lehrern ein großes Interesse

an der Einführung von philosophischen Methoden in die Umwelt- und Nachhaltigkeits-

bildung besteht. Hierzu soll dieses Buch neue Impulse geben.

Die konkrete Projektbeschreibung ist eingebettet in wissenschaftstheoretischen Über-

legungen, die das Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. So werden in dem

Beitrag von Konrad Ott zunächst die »Grundzüge der Umweltethik« und damit einige der

zentralen Topoi dieser Disziplin rekonstruiert und die Rolle der Umweltethik im Gefüge

der Philosophie und der Umweltwissenschaften verortet.

Uta Eser stellt in ihrem Beitrag »Natur schützen, nutzen und gerecht teilen – Umwelt-

ethik im Lichte nachhaltiger Entwicklung« bewusst nicht die Frage nach dem moralischen

Selbstwert der Natur, die lange Zeit als Schlüsselfrage der Umweltethik galt. Ihr erweiter-

ter Fokus verlangt neben Fragen instrumenteller Klugheit und ökologischer Gerechtigkeit

(und damit Fragen sozialer und globaler Gerechtigkeit) insbesondere auch die Frage nach

dem Guten Leben, die in den Blick der Umweltethik gelangen muss.

Dass (Umwelt-)Ethik durch die stets neu zu suchende Balance zwischen den drei Grund-

funktionen der Ethik, nämlich kritisieren, motivieren und integrieren, zur Entwicklung und

Übernahme von Verantwortung befähigt, verdeutlicht der Aufsatz von Markus Vogt. Unter

dem Titel »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Zur Bedeutung von Ethik in der Umwelt-

kommunikation« beschreibt er nicht nur die Grenzen rationaler Ethik, sondern betont ins-

besondere das Prinzip der Verantwortung als Schlüsselbegriff der Umweltkommunikation.

Eine ethische Umweltkommunikation wird dann als erfolgreich gesehen, wenn sie im Sinne

eines Kulturwandels die mentalen Vorstellungsmuster von einem gelingenden und sinn-

vollen Leben um ökologische Dimensionen erweitert.

Der Beitrag von Thomas Petersen geht der Frage nach, ob »Das ›ökologische Interesse‹

als Basis der Umweltethik?« zu verstehen ist, und wenn ja, an welche Voraussetzungen

dieses Interesse gebunden ist und wie man es bestimmen kann. Ein Ergebnis seiner Analyse

ist: Wenn wir das ökologische Interesse qualifizieren wollen, müssen wir die Frage

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»Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung

beantworten, warum Menschen überhaupt existieren sollen oder anders gefragt: was den

Menschen einer solchen Erhaltung würdig macht.

Bernd Overwien beleuchtet in seinem Beitrag »Nachhaltige Entwicklung: Leitbild

für eine ethische und politische Grundbildung?« die Rolle der politischen Bildung bei der

Sensibilisierung auch für ethische Fragen. Auch wenn Nachhaltigkeitsfragen in der politi-

schen Bildung (noch) kein »Mainstream-Thema« sind, eröffnet der Beitrag einen wertvollen

Blick in die Bildungspraxis und verdeutlicht die Möglichkeiten und Chancen einer Ver-

knüpfung globalen Lernens mit Aufgaben und Zielen der politischen Bildung.

Natur- und Umweltbildung ist oft mit dem Vorwurf der Indoktrinierung und Überwäl-

tigung konfrontiert. In ihrem Aufsatz »Ist Tugend lehrbar? Zwischen Werteerziehung und

kritischer Urteilsbildung« zeigen Ulrich Gebhard und Kerstin Michalik unter anderem auf,

dass Rahmenbedingungen geschaffen werden können, unter denen Moral- und Werteent-

wicklung als Ausdruck des autonomen Subjekts möglich sind. Neben der Frage, wie ethisch

relevantes Handeln entsteht, gehen die Autoren dabei auf den Ansatz der Alltagsphanta-

sien ein, bei dem es um das Verhältnis von rationalen Argumenten einerseits und irratio-

nalen, intuitiven, erlebnisbezogenen Elementen des Naturbezugs andererseits geht und die

Fähigkeit, zwischen rationalen und intuitiven, symbolischen Vorstellungen hin- und herzu-

pendeln, erfordert. Das Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen wird als Chance

gesehen, verantwortungsvolles Handeln gegenüber Mensch und Natur anzubahnen.

»Das Prinzip ›Achtsamkeit‹ in der religionspädagogischen Umweltbildung« ist Gegen-

stand des Beitrages von Matthias Albani. Der vorliegende Aufsatz skizziert dabei die

Grundlinien eines noch in der Entwicklung befindlichen umweltethischen Konzeptes, das

in Zusammenhang mit dem genannten DBU-Projekt »Warum? – Darum! Umweltethik für

Kinder« erfolgt. Aus religionspädagogischer Sicht geht es darum, das Thema Schöpfungs-

bewahrung beziehungsweise Umweltethik/Umweltpädagogik noch stärker in der Religions-

pädagogik zu verankern, wobei im Zentrum der spirituelle Gedanke der Achtsamkeit

steht. Im Gegensatz zu kognitiven und pragmatischen Lernansätzen kann das spirituelle

Achtsamkeitsprinzip aus Sicht des Verfassers auch die emotionalen Tiefen der mensch-

lichen Existenz erreichen und vermag daher wirksamer und nachhaltiger zu einem umwelt-

ethischen Verhalten zu motivieren.

Die vorliegende Publikation soll Anregungen für eine weitere Diskussion und Erpro-

bung umweltethischer Ansätze in der Nachhaltigkeitsbildung junger Menschen geben. Sie

soll die vielfältigen Perspektiven auf und die möglichen Herangehensweisen an das Thema

aufzeigen und erste Impulse für eine praktische Umsetzung im Bereich der schulischen und

außerschulischen Umweltbildungsarbeit setzen.

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»Und wo bleibt die Moral?« Ethische Aspekte einer Nachhaltigkeitsbildung

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Konrad Ott

Grundzüge der Umweltethik

Die Umweltethik ist ein Bereich der praktischen Philosophie, der an der diskursrationalen

Begründung von Maßstäben und Grundsätzen für einen moralisch verantwortbaren Umgang

mit außermenschlichen Wesen interessiert ist. Der folgende Beitrag rekonstruiert einige der

zentralen Topoi dieser noch recht jungen Disziplin und versucht, die Rolle der Umweltethik

im Gefüge der Philosophie und der Umweltwissenschaften zu verorten. Dabei sollen einige

der begrifflichen, zeitdiagnostischen und normativen Voraussetzungen und die mit ihnen ver-

knüpften Probleme benannt werden.

Gründe und Maßstäbe für Werte und Normen in der Umwelt- und Naturschutzethik

Die Umweltethik (synonym: environmental ethics, Naturethik) ist eine Teildisziplin der

praktischen Philosophie. Sie fragt zum einen nach den Gründen und den aus ihnen gewon-

nenen Maßstäben (Werte und Normen), die unser individuelles und kollektives Handeln

im Umgang mit der außermenschlichen Natur bestimmen sollten. Zum anderen fragt sie

danach, wie diese Maßstäbe praktisch umgesetzt werden könnten. Die Umweltethik hat

also eine theoretische und eine praktische Dimension.

Die Frage nach Gründen setzt einiges voraus. Erstens setzt sie ein Konzept der Gründe

(Argumente) einschließlich eines Verständnisses davon voraus, warum und wofür wir

einander Gründe schuldig sind, und wie wir uns bei praktischen Fragen mit Gründen an

Gründen orientieren können und sollen. Zweitens setzt sie die Möglichkeit gemeinsa-

mer Einsichten in Maßstäbe unseres Naturumgangs voraus. Für überzeugte Naturschüt-

zerinnen sind die Gründe, die zugunsten des Umwelt- und Naturschutzes sprechen,

bereits mehr oder minder feste Überzeugungen und daher auch Motivationsquellen; es

steht aber außer Frage, dass nicht alle Personen diese Überzeugungen und Motive teilen,

sodass ein »Wir« hier nichts Gegebenes, sondern etwas Aufgegebenes ist. Naturschützer

mögen ihre Schutzbestrebungen und -ziele für etwas halten, was sich »eigentlich« von selbst

versteht; die Umweltethik fragt, ob Naturschutz eines bestimmten Ausmaßes aufgrund

guter Gründe selbstverständlich werden sollte.

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Grundzüge der Umweltethik

Übergänge von naturschützerischen Emotionen und Intuitionen zu ethischen Argu-

menten erfolgen auf Wegen der Versprachlichung. Dieser mühselige Weg ist auch der ein-

zige ethische Weg, vom Ich zu einem Wir oberhalb einzelner Kulturen und Generationen

zu gelangen. Dass in Bezug auf Maßstäbe des Naturumgangs eine kulturübergreifende

Orientierung ethisch sinnvoll ist, kann angesichts der Vielzahl der realen Naturzustände,

der Umgangsweisen mit natürlichen Ressourcen und der kulturellen und religiösen Natur-

verständnisse nicht einfach vorausgesetzt werden. Viel näher liegt ja die Auffassung, dass es

kulturübergreifende Prinzipien allenfalls im zwischenmenschlichen Bereich (etwa »Men-

schenrechte«), nicht aber in Bezug auf den Naturumgang geben kann, der auf immer kultur-

geprägt und -abhängig bleiben müsse und sogar bleiben solle, da andernfalls sogar die

Gefahr bestünde, dass westliche Naturschützer ihre Vorstellungen (etwa von »wilderness«)

anderen Kulturen aufnötigten. »Wilderness«, so sagen es Mitglieder der First Nations, sei

eine Erfindung der weißen Kolonisatoren, durch die sie selbst zu »Wilden« gemacht worden

seien. Andererseits zwingen die Entwicklungen in einer globalisierten Welt dazu, Fragen

des Naturumgangs universalistisch beziehungsweise »menschheitlich« zu thematisieren.

Die Umweltethik steht daher konzeptionell in der Spannung, eine transkulturelle Ausrich-

tung ohne den vielfach kritisierten Hegemonieanspruch westlicher Wertvorstellungen zu

erreichen.

Drittens setzt die Ausgangsfrage ein Konzept der Natur voraus, das nicht nur die von

Menschen unberührte Natur (»Wildnis«) betrifft, sondern auch die graduell von Menschen

überformte Natur einschließen kann. Ein solches graduelles Naturkonzept ist, erkenntnis-

theoretisch betrachtet, elementar realistisch. Es setzt voraus, dass es »gibt«, worüber

gesprochen wird. Dieses Naturkonzept darf den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen

nicht widersprechen, muss aber darüber hinaus offen sein für kulturelle Naturdeutungen.

Die Umweltethik geht davon aus, dass die »objektiven« Wahrheiten der Naturwissen-

schaften nicht alles enthalten, was sich vernünftigerweise über Natur sagen lässt. Grob gesagt,

beschäftigen sich die Naturwissenschaften mit der Natur »an sich«, das heißt mit einer

verobjektivierten Natur, die sich für jeden neutralen Beobachter in ihren realen Eigen-

schaften und Kausalstrukturen gleich zeigt, wohingegen sich die Umweltethik mit der Natur

»für uns« befasst, das heißt mit all den Hinsichten, in denen Natur uns als bedeutsam, wert-

voll und verpflichtend erscheint. Während die moderne Naturwissenschaft eine Tendenz

hat, sich für sehr kleine und große zeitliche und räumliche Skalen zu interessieren (Mikro-

und Makrokosmos), bewegt sich die Umweltethik eher im Mesokosmos der Erfahrungs-

welt. Die umweltethisch wesentlichen Erfahrungen finden nicht am Mikro- oder Teleskop,

sondern in der Lebenswelt statt, sodass eine Nähe der Umweltethik zu den Naturwissen-

schaften besteht, die ebenfalls auf mesokosmischen Skalen forschen. Dies sind vornehm-

lich die organismische Biologie und die Landschaftsökologie. Im Unterschied zu den

Naturwissenschaften interessiert sich die Umweltethik nur für Natur, sofern diese im

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Grundzüge der Umweltethik

Bereich menschlicher Handlungsvollzüge liegt, also derzeit allenfalls bis zum Mond. Die

Naturethik ist »planetarisch« dimensioniert.

Unterschiedliche Begründungen für Umwelt- und Naturschutzethik

Die Umweltethik fragt, wie gesagt, nach vernünftigen Begründungen für Umwelt-, Tier-

und Naturschutz. Terminologisch wird »Naturschutz« als Oberbegriff verwendet, der den

Umweltschutz (Wasser, Böden, Luft, Abfall, Lärm u. ä.), den Tierschutz und den Natur-

schutz im engeren Sinne (Artenschutz, Habitatschutz, Wildnisschutz u. ä.) umfasst. In erster

und grober Annäherung lässt sich die Grundfrage nach dem Sinn von Naturschutz im

weiten Sinn so beantworten, dass Menschen die Natur schützen sollen, erstens sofern sie

(und ihre Nachkommen) auf deren Nutzung (als Ressource, Speicher und Medium) ange-

wiesen sind und (wahrscheinlich) sein werden, und zweitens, sofern bestimmte Naturzu-

stände ihnen (allen, den meisten vielen, einigen mit hoher Intensität usw.) Freude, Beha-

gen, Beruhigung, Vergnügen, das heißt Naturgenuss bereitet. Ressourcennutzung und

Naturgenuss können unter einem weiten Begriff des Nutzens oder auch des menschlichen

Wohlergehens zusammengefasst werden. Eine dritte Antwort auf die Frage nach Begrün-

dungen geht von der Intuition aus, dass Naturschutz nicht nur aufgrund des Nutzens für

Menschen, sondern um der Natur respektive um bestimmter Naturwesen willen moralisch

geboten, das heißt allen Personen unabhängig von ihren kulturellen Werten und indivi-

duellen Vorlieben als eine einsehbare Pflicht beziehungsweise als komplexer Pflichten-

katalog auferlegt sein könnte. Diese Intuition bezieht sich auf die Kategorie des moralischen

Selbstwertes (auch: moralischer Eigenwert), sofern diese auf Naturwesen bezogen wird.

Entsprechende Argumente werden als physiozentrisch bezeichnet (von »physis« = altgr.

Natur); Argumente, die die beiden ersten Antworten auf die Ausgangsfrage thematisieren,

werden hingegen als anthropozentrisch bezeichnet. Konzeptionen von Umweltethik befas-

sen sich daher mit Natur als Ressource, mit Natur als Quelle des Genusses und mit Natur

als einem Ensemble von Wesen, denen moralischer Selbstwert zukommen könnte. Je nach

umweltethischer Konzeption variieren Bedeutung und Status der einzelnen Begründungs-

elemente zueinander. So werden in physiozentrischen Konzeptionen anthropozentrische

Begründungen randständig und tendenziell entbehrlich, da der Naturschutz direkt mit-

hilfe der Kategorie des moralischen Selbstwertes begründet werden kann. Dies enthebt die

Physiozentrik über Fragen der Art, welchen Naturschutz das naturästhetische Erleben nach

sich ziehen sollte.

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Grundzüge der Umweltethik

Die Fundierung der Umweltethik im Spannungsfeld der normativen Konzepte »Natur« und »Interesse«

Die Umweltethik kann entweder in der Natur selbst, in normativ gehaltvollen Konzep-

ten wie etwa dem des Interesses oder im menschlichen Sprachgebrauch fundiert werden.

Aus einer als wertfrei vorgestellten physikalischen Natur können Werte und Normen

nicht logisch abgeleitet werden, denn aus einer beliebigen Menge empirisch-deskrip-

tiver Aussagen lässt sich nicht ableiten, was getan werden soll. Dies wäre ein sogenannter

naturalistischer Fehlschluss. Zwar kann man den Fehler des naturalistischen Fehlschlusses

vermeiden, indem man Natur anders konzipiert. Schreibt man der Natur vom Menschen

unabhängige, das heißt absolute Werthaftigkeit zu oder fasst man sie als Gottes gute Schöp-

fung, als Große Mutter oder als Weltseele auf, von der alle Wesen ein Teil sind, so begeht

man keinen logischen Fehler, wenn man aus solchen Prämissen Präskriptionen für Hand-

lungen oder für angemessene Grundeinstellungen der Natur gegenüber ableitet. Die Fun-

dierung der Umweltethik in der Natur kann also nur gelingen, wenn ein ethisch gehalt-

voller Naturbegriff vorausgesetzt wird. Entsprechende Naturphilosophien sind keineswegs

antiwissenschaftlich, aber immer derart voraussetzungsvoll, dass sie leicht unter Meta-

physikverdacht gestellt werden könnten. Wenn man solcherlei Naturphilosophie (als

spekulativ, metaphysisch usw.) zurückweist, bleibt die Möglichkeit, die Umweltethik so zu

konzipieren, dass es gut und richtig wäre, wenn durch menschlichen Naturumgang mög-

lichst viele menschliche Interessen befriedigt und möglichst wenig Interessen verletzt

würden. Für menschliche Interessen gilt jedoch: Interessen sind nicht einfach vorhan-

den, und nicht alle Interessen verdienen moralische Anerkennung. Viele Interessen mögen

auf aufgeklärtem Egoismus beruhen, aber auch in Situationen, in denen man Mitleid ver-

spürt oder sich solidarisch erklärt, nimmt man ein Interesse. Dieser weite Interessenbegriff

ist für die Umweltethik sachgerecht, da viele Menschen daran interessiert sind, dass es in

dieser Welt weiterhin Wale, Tiger, Korallenriffe usw. gibt. Ökonomen sprechen hinsichtlich

solcher Interessen von Existenzwerten. Eigene oder fremde Interessen müssen als solche

geltend gemacht werden. Nur in sprachlich verfasster Form werden die Intensität, Aner-

kennungswürdigkeit und ethische Bedeutung von Interessen (Bedürfnisse, Präferenzen,

Wünsche) deutlich.

Zudem unterscheidet man mit Blick auf Naturwesen zwischen einem starken und

einem schwachen Interessenbegriff. Ein starkes Interesse meint, dass ein Wesen selbst Inte-

resse an etwas hat. Ein schwaches Interesse meint, dass etwas im Interesse eines Wesens

ist. Ein Hirsch hat Interesse an frischem Wasser, Wasser ist im Interesse einer Pflanze. Ob

das Vorliegen schwacher Interessen hinreicht, ihre Träger moralisch direkt zu berücksich-

tigen, ist eine diffizile umweltethische Frage. Unabhängig davon, welche Antwort man

gibt, ist der Fall schwacher Interessen ein Beleg dafür, dass Interessen auch in Bezug auf

Naturwesen nicht nur empirisch registriert, sondern in ihrer moralischen Signifikanz »für

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Grundzüge der Umweltethik

uns« diskursiv anerkannt werden müssen. Sollten wir Menschen moralische Vorwürfe

machen, wenn sie ihre Zimmerpflanzen nicht gießen, wenn wir ziemlich sicher sind, dass es

falsch ist, einen Hund im Käfig verdursten zu lassen?

Aufgrund des bisher Gesagten ist es vorteilhaft, die Umweltethik weder in der Natur

noch im umstrittenen Konzept des Interesses, sondern vielmehr in der Argumentations-

praxis zu verankern. Dies erscheint vielen Naturschützern eigenartig, denn dadurch wird

der Naturschutz abhängig von etwas, das üblicherweise als Gegensatz zur Natur gedacht

wird: nämlich dem argumentativen Gebrauch der menschlichen Sprache. Gleichwohl soll-

ten Naturschützer den Umweltethikern, die diesen Weg einschlagen, einmal versuchsweise

folgen. Der Naturschutz ist in dieser Perspektive eine kulturelle Praxis, die in diskursiver

Verständigung über Mensch-Natur-Verhältnisse gründet.

Umweltethik – eine Bereichsethik auf Basis der Diskurstheorie praktischer Vernunft

Die Umweltethik wird üblicherweise als eine von mehreren Bereichsethiken verstanden,

die mit Blick auf Gegenwartsprobleme praktische Orientierung vermitteln wollen (Medi-

zinethik, Wirtschaftsethik, Medienethik, Technikethik usw.). Bereichsethiken werden oft

unter dem Titel einer angewandten Ethik (Applied Ethics) zusammengefasst.1 Bereichs-

ethiken sind an konkurrierende allgemeine Ethiktheorien gebunden und beziehen sich auf

bestimmte Bereiche menschlicher Praxis, die sich in kollektiver geschichtlicher Erfahrung

als wertbestimmt und regulierungsbedürftig erwiesen haben (Medizin, Erziehung, Wirt-

schaft, Politik, Wissenschaft, Landnutzung). Die Einheit der Bereichsethiken liegt in der

Metapraxis der Argumentation (Ott 1997). Als übergreifendes Vernunftkonzept bietet sich

daher eine Theorie des kommunikativen Handelns an, die zu einer Diskurstheorie prak-

tischer Vernunft (Diskursethik) spezifiziert werden kann (Habermas 1981). Die Metapraxis

der Argumentation erlaubt es, die ethischen Probleme, die sich innerhalb von Praxisfeldern

stellen, in ihrem Eigensinn unverkürzt zu erörtern. Dabei muss man technische, ökonomi-

sche, rechtliche, axiologische, existenzielle und moralische Aspekte unterscheiden können.

Im Innern der jeweiligen Bereichsethiken bildet sich im Verlauf der Zeit eine kom-

plexe »Textur« (ein Gewebe) von Argumentationsmustern heraus, die sich unter anderem

auf Werte, Normen, Regelwerke (Institutionen) und auf kasuistische Problemlösungen

beziehen. Nur im Medium einer kritischen Beurteilung all dessen, was in bestimmten

Bereichen argumentativ geltend gemacht wird, kann man sich das Universe of Discourse der

1 Dieser Titel wäre missverstanden, würde man einen schematisch-technischen Sinn des Anwendens zugrunde legen. Es gibt keine allgemein anerkannte Ethiktheorie, deren Maßstäbe (Werte, Nomen, Klug-heitsregeln, Kriterien) nur logisch korrekt und empirisch plausibel auf die Themen der Bereichsethiken angewendet werden müssten.

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