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In den Klauen der Maahks

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Atlan - Held von Arkon

Nr. 184

In den Klauen der Maahks

Ein Mond wird zum Schlachtfeld -Arkoniden und Maahks kämpfen bis

zum Untergang

von Hans Kneifel

Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9.Jahrtausend v. Chr. entspricht. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III. ein bruta-ler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII. töten ließ, um selbst die Nach-folge antreten zu können.

Gegen den Usurpator kämpft Kristallprinz Atlan, der rechtmäßige Thronerbe desReiches, mit einer stetig wachsenden Zahl von Getreuen und besteht ein gefahrvol-les Abenteuer nach dem anderen.

Doch mit dem Tag, da der junge Atlan erstmals Ischtar begegnet, der schönenVarganin, die man die Goldene Göttin nennt, hat er noch anderes zu tun, als sich mitOrbanaschols Schergen herumzuschlagen oder nach dem »Stein der Weisen« zusuchen, dem Kleinod kosmischer Macht.

Atlan – er liebt Ischtar und sucht sie zu schützen – muß sich auch der Nachstellun-gen Magantillikens erwehren, des Henkers dar Varganen, der die Eisige Sphäre mitdem Auftrag verließ, Ischtar unter allen Umständen zur Strecke zu bringen.

Gegenwärtig kämpft der Kristallprinz wieder einmal um sein Leben. Ein Mond wirdzum Schlachtfeld. Arkoniden treffen mit ihren verschworenen Feinden zusammen –und Atlan befindet sich IN DEN KLAUEN DER MAAHKS …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan - Der Kristallprinz überlebt ein Inferno.Grek - Ein Maahk wird Allans Partner.Zaroia - Eine hochgestellte Arkonidin, die Atlan verhört.

1.

Ich wußte, daß ich auf dem Flug in denTod war.

Es war nur noch eine Frage der Zeit. Un-ruhe, Nervosität und Furcht beherrschtenmich seit dem Augenblick, an dem ich in dieGefangenschaft der Maahks geraten war, da-mals auf dem Planeten des Kryiliane-Sehers… und nur mein scheinbarer Wert als Tau-schobjekt hatte mich bis jetzt am Leben er-halten. Die Maahks, die das varganischeRaumschiff zum Teil ausgeplündert hatten,überließen mich in der Druckkabine meinenÄngsten und Visionen.

Denn ich hatte seit Tagen Visionen. Nachmeiner Vorstellung wurden sie von einerDroge oder einem Stoff hervorgerufen, dersich in winzigen Mengen in der Atemluftdieser Überlebenszelle befand, vielleichthervorgerufen durch einen undichten Filteroder eine schadhafte Dichtung. Jedenfallsbeschäftigten sich sämtliche Visionen nurmit einem Thema:

Dem geheimnisvollen Satelliten.Auch ich kann nicht hinter den Vorhang

blicken, der sich vor der Zukunft befindet.Auch mir ist die Zukunft verschlossen! Einesjedoch ist sicher: Du hattest und hast genugZeit, um deine Position in dieser verwirren-den Welt genau zu überdenken. Deine Lageist jetzt nicht besonders gut, aber noch lebstdu!

Mein Extrasinn schwieg wieder.Richtig! Ich konnte sogar durch lange, er-

müdende Übungen meinen Körper in Formhalten. Ich konnte den Tagesablauf gestal-ten, wie immer ich wollte. Es gab nicht ein-mal Papier und Stift. Die einzige »geistige«Beschäftigung war gewesen, meinen Druck-anzug zu testen und zu kontrollieren. Ichhob den Kopf – dort drüben hing die Schutz-

hülle. Sie würde, wenn die Übergabe statt-fand, so gut funktionieren wie immer.

Ich, der angeblich so wichtige arkonidi-sche Offizier, saß auf der harten Unterlageeiner Art eingebauter Couch. Genau mir ge-genüber war in die Wand der Druckkabineein Bildschirm eingelassen, der bisher keineSekunde lang funktioniert hatte. Eine Toilet-te, eine Waschgelegenheit, ein eingebauterSitz und eine Schreibplatte, ein paar Hakenfür Kleidungsstücke an den Wänden undDecken aus einem flauschigen, unbekanntenMaterial, das war alles, worüber ich verfüg-te. Der freie Boden zwischen den einzelnenGegenständen war nicht größer als zweiQuadratmeter. Je länger ich hier war, destomehr wuchs meine Furcht vor dem Zeit-punkt, an dem ich die Kabine verlassenmußte.

So saß ich hier und träumte meine Visio-nen.

Außerdem hast du Angst vor dem Zeit-punkt, an dem du ausgetauscht werdensollst, erklärte mein Extrasinn.

Richtig! Ich fürchtete mich. Ich war Ge-fangener der Maahks, und ich hatte keinerleiInformationen.

Ich kannte das Ziel nicht. Aber in Wirk-lichkeit bist du überzeugt, daß das Ziel derGEHEIMNISVOLLE SATELLIT ist, sagtedeutlich mein Extrasinn.

Ich hob die Schultern.Es gab keinerlei Informationen. Die Nah-

rung, die mir auf einem Tablett durch einekleine Schleuse hereingeschoben wurde, wareintönig, aber schmeckte nicht einmalschlecht. Ich hatte die Maahks im Glaubengelassen, ich sei ein wichtiger arkonidischerOffizier. In dieser Eigenschaft wollten siemich mit großer Sicherheit gegen einen ihrerGreks eintauschen, der für sie ebenso wich-tig war. Ich tat nichts, um sie über meinePerson aufzuklären. In diesem Fall wäre ich

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schon hier im Maahk-Schiff getötet worden.Du solltest deine Zeit nutzen, dich auf

deine Rolle vorzubereiten!Ich brauchte auch dafür Informationen.Es gab keine Informationen.Lediglich die Zeit verging. Die Sekunden

reihten sich aneinander zu einem endlosenStrang. Das Schiff bewegte sich durch eineunbekannte Entfernung, mit einer unbekannthohen Geschwindigkeit, einem Ziel entge-gen, das ich mir nicht einmal vorstellenkonnte.

Oder doch?Gab es einen derartig unglaublichen Zu-

fall, der das Ziel des Schiffes mit meinenwirren, phantastischen identisch werdenließ? Wo war die Welt, die angesteuert wur-de? War es der Satellit, ein driftender kosmi-scher Körper, geheimnisvoll leer und vonden unterirdischen Bauwerken durchzogen,die ich aus meinen Visionen kannte? Ichhockte hier, spürte mit den Knochen meinerWirbelsäule die Vibrationen der fremdenMaschinen und schloß die Augen. Ich warallein.

Allein mit meiner Furcht, den Visionen,die sich schnell einstellen würden, mit denkorrigierenden Aussagen und Korrekturender Logik meines Extrahirns, allein mit derindirekten Beleuchtung dieser stählernenZelle, allein mit der Erwartung eines be-stimmten Augenblicks.

Ich begann zu träumen.Ich schlief nicht wirklich, sondern dieses

Gift im Gasgemisch betäubte meine direkteWahrnehmung. Ich schwebte wie eineFlaumfeder zwischen Wirklichkeit undTraum, zwischen der tödlichen Realität undder Fluchtwelt der Visionen. Vor meineminneren Auge wurde es dunkel. Es gab nurnoch eine unfaßbar tiefe, kosmische Schwär-ze.

Wie ein Pfeil, wie ein abgefeuertes Pro-jektil, schoß mein Verstand geradeaus indieses Medium hinein und schien sich zwi-schen den winzigen, stechend scharfenLichtpunkten zu verirren.

Die Vision begann erneut.

Sie begann immer mit diesem ersten Ein-druck. Ich hatte mich scheinbar von meinemKörper gelöst und bewegte mich wie einPhantom auf meine Phantasiewelt zu. Gleichwürde sie erscheinen. Gleich würden michdie Geheimnisse des Satelliten gefangenneh-men und mich von meinen Ängsten befrei-en.

Aus der großen Dunkelheit schälte sicheine halbmondartige Form aus Lichtreflexenhervor.

*

Plötzlich gab es Licht.Es ging von einer unerträglich grell strah-

lenden Kugel aus, einer Sonne, die zur rech-ten Seite im Dunkel des Weltraums erschi-en. Irgendwo in der Weite der Galaxis gabes diesen Satelliten, der jetzt immer deutli-cher wurde. Ein riesiger Mond, dessen Ober-fläche in vielen schillernden Farben prunkte.Ebenen und Krater, Flußbetten und Höhen-züge, weich modelliert und schattenwerfend,schälten sich aus der Masse der verwirren-den Eindrücke heraus.

Ich näherte mich der Oberfläche des Mon-des, tauchte hinunter und stand plötzlichkörperlich auf dem Boden dieser galakti-schen Einöde. Ich besaß meinen Körper wie-der. Aber ich konnte mich ohne Schutzan-zug bewegen. Unter meinen Schritten stobenkleine Sandwolken und Staubschleier hoch,die von einem deutlichen Luftzug zur Seitegeblasen wurden. Aber es war keine Atem-luft, es waren vielmehr bewegte Gasmassen,die eruptiv aus der Tiefe des Bodens aufstie-gen, sich eine Zeitlang hielten und dann inden Weltraum abdrifteten, weil die Oberflä-chenschwerebeschleunigung dieser Welt zugering war.

Vor mir lag wieder die Ebene. Groß, weit,mit verschwimmenden Grenzen, von einigengoldgelb leuchtenden Bergzügen einge-rahmt. Felsen ragten wie gichtig verkrümm-te Finger aus dem Boden. Ich ging weiterund befand mich nach einer nicht meßbarenZeitspanne am oberen Rand eines schrägen,

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mit silbernem Staub bedeckten Hanges.Wo würde heute der Eingang in das sub-

lunare Reich dieses Satelliten zu findensein?

Der große, hellgrau und golden gemuster-te Platz der runden Ebene lag klar unter demLicht der Sterne. Hinter dem Gebirge wardie ferne Sonne versteckt. Die säulenartigenFelsen vor mir hatten eine braune Schatten-färbung. Langsam ging ich den Hang hinun-ter und an den Spuren vorbei, die ein Schiffhinterlassen hatte. Tief, bis auf den Fels unddas Geröll hinunter, hatten sich die Landes-tützen eingegraben.

Vor Äonen mußte hier eine Stadt gewesensein. Während ich dem fernen Gebirge ent-gegenschritt und den wirbelnden Staub hin-ter mir ließ, schob sich immer mehr unddeutlicher erkennbar im Sternenlicht dieBurg zwischen den Felssäulen hervor. Ichhatte diesem Gebäuderest diese Bezeich-nung gegeben. Die Würfel und Flächen inder Mitte von breiten Straßen und fast un-kenntlichen Hausfronten deuteten daraufhin, daß es ein riesiges Bauwerk gewesensein mußte, daß sich über die Stadt und dieEbene erhoben hatte.

Vorübergehend verdrängte eine zweiteVision die erste.

Es war ein Sprung in der Zeit. Ich sahplötzlich die Stadt und die Ebene in den Jah-ren, da sie lebten und mächtig waren. DerSatellit war damals noch ein riesiger be-wohnter Mond in der Bahn um einen Plane-ten. In diese Welt drang ich nun ein.

Weiße Gebäude entstanden plötzlich vormeinen Augen in einer unabsehbar großenblauen Fläche aus Bäumen und Vegetation,die bis zu den Hängen der Gebirge hinauf-reichte. Eine runde Stadt, die dicht vor mirmit kleineren Gebäuden neben breitenPrunkstraßen begann, die in die Richtungdes Zentrums immer mehr in die Höhewuchs und schließlich ihren absoluten Mit-telpunkt mit einem runden Hügel und derBurg darauf hatte. Die Burg war wirklich einfaszinierender Bau: groß, strahlend weiß,mit metallenen Verzierungen und leuchten-

den silbernen Dächern und Kuppeln.War sie die Zentrale der Stadt? Wurden

von ihr aus sämtliche Einrichtungen gesteu-ert, die ich aus meinen anderen Visionen herkannte? Jene Gänge und Hallen, voll vonlautlosen Maschinen und reichen Schatz-kammern?

Ich befand mich plötzlich am Hauptplatzder Stadt.

Ich hatte mit einem einzigen Sprung dieMitte der riesigen Ebene erreicht. Hier teiltesich ein Flußlauf und zweigte in hundertkleine Wasseradern auseinander, die zwi-schen den Gebäuden bizarre und harmonischeingefügte Kanäle, Wasserfälle und Teichebildeten.

Ein Krüppel saß auf einer Brücke, hieltdie Füße ins Wasser und drehte pich halbherum, als er meine Schritte hörte. Merk-würdig – heute trug er unverkennbar die Zü-ge Fartuloons, des Bauchaufschneiders. Ge-stern hatte er anders ausgesehen. Alle Ein-wohner der Stadt, die in meinen Visionenaufgetaucht waren, sahen humanoid aus. Sietrugen die Gesichter von Menschen allerPlaneten, die ich jemals gekannt hatte. DerKrüppel zuckte seine buckligen Schulternund wandte sich, als ich über die weißeBrücke ging, wieder dem murmelnden Was-ser zu.

Drei große weiße Vögel glitten mit unhör-barem Flügelschlag über den weiten Platzund landeten in der Krone eines riesigenBaumes. Die Stadt lag verlassen unter demSternenlicht, aber es gab genügend Licht.Die Luft schien zu glühen wie Gas in einerelektrischen Röhre. Ich sah keine Schatten,aber durch diese vage Helligkeit schimmer-ten starr die Sterne.

Ich ging weiter.Ich suchte den Eingang ins unterirdische

Reich. Jetzt, in meiner Vision, sagte mir eineinnere Stimme, daß ich diesen Eingang ein-mal brauchen würde. Er konnte mir das Le-ben retten. Wann? Wie? Auf welche Weise?Und wann würde ich die Stadt wieder betre-ten?

»Antwortet doch! Zeigt mir, was ich tun

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soll!« rief ich laut und bewegte mich weiterauf die Burg zu.

Ohne Echo verhallte meine Stimme. Nie-mand kam und faßte mich an der Hand.

Über den Platz kam ein Mann in einemlangen, schimmernden Umhang. Er sahmich und deutete nach links, in die Richtungder Kolonnaden. Ich wollte etwas rufen,aber der Fremde, der wie Ra aussah, schüt-telte lächelnd den Kopf und eilte zurück indie Schatten.

Ich muß den Eingang suchen! sagte ichmir.

Während ich auf die lange Reihe der Säu-len zuging, die sich über einigen Stufen er-hoben, belebte sich der Platz. Über die vie-len Brücken kamen Menschen jeden Alters.Sie waren unvorstellbar prächtig und ab-wechslungsreich gekleidet. Sie kamen aufmich zu, schritten aneinander vorbei und bo-gen dann schnell ab, ehe sie mich erreichthatten.

Andere ritten auf Tieren, die einem Fabel-buch entsprungen waren, über den Platz. Sietrugen seltsame Gegenstände in den Händen,die entfernt an bizarre Waffen erinnerten.Aber alles ging lautlos vor sich, Vögel rühr-ten sich und zwitscherten in den Zweigen,die vielen Bäche und Fälle murmelten undbrausten, der Wind summte zwischen denGebäuden, und die Blätter der Vegetationrauschten. Aber keiner der Menschen, diewiederum bekannte Gesichter trugen, sprachein Wort. Auch bewegten sie sich völliglautlos.

Ich erreichte die Säulen und ging durchdie Streifen von Licht und Schatten auf einTor zu, das sich am Ende der Säulen zeigte.Lautlos schwang vor mir ein hölzernes, mitschweren Metallbeschlägen versehenes Tür-blatt auf. Nach wenigen Schritten befand ichmich in einem zauberhaften Hof, der von ei-nem Kreuzgang umgeben war. Hinter mirschloß sich die Pforte. Ich war allein.

Dieser Teil der Stadt war neu in meinenVisionen.

So weit war ich noch niemals vorgedrun-gen.

Ich ging bis zu einer Stelle zwischenRundbögen, durchbrochenen Mauern undPfeilern, von der aus ich den rechteckigenHof genau sehen konnte. Dort war ein Mi-niaturgarten angelegt. Rasen und geharkteSandflächen, Ziersteine und ein winzigesRinnsal, etwa ein halbes Dutzend Bäumeund schmale Pfade aus kristallweiß leuch-tendem Kies – alle diese Teile verbandensich zu einem kleinen Park von betäubenderSchönheit. Noch während meine Augen ge-blendet über diese Schönheit glitten, hörteich Schritte vor mir. Plötzlich erfüllte beru-higende Musik den Hof und hallte zwischenden Kreuzgewölben wider. Hinter den Bü-schen sah ich die Bewegungen einer schlan-ken Gestalt in einem weißen Kleid.

Ich schwang mich über eine kniehoheMauer hinaus in den Garten und sagte laut:

»Ich bin hier. Ich habe Fragen. Ich binfremd.«

Dann hörte ich eine bekannte Stimme. Ichblieb ruckartig stehen, als ich erkannte, werhier auf mich zukam.

Es war Ischtar, meine Geliebte. Die Gol-dene Göttin.

»Ischtar!« stammelte ich. Sie lächelte undlegte den Finger an die Lippen. Dann zerrißdas Geräusch eines schnarrenden Summersdie Ruhe. Sämtliche Gedanken und Visionenzerstoben wie Rauch im Sturm. Das Bild rißauf und zeigte die Wirklichkeit. Eine Türfiel knallend zu. Die Sterne verschwanden,alles wurde hell.

Ich war allein.Ein Blick zeigte mir, daß ich mich wieder

in der Druckkabine befand. Mein zweiterBlick zeigte mir, daß der Bildschirm derDruckkabine noch immer stumpf und ohneInformationen war, und dann roch ich denGeruch des Essens.

Der Summer riß dich aus deinen Visio-nen! meldete sich das Extrahirn.

»Ich weiß!« knurrte ich, schwang michvon der Liege und ging auf den Tisch zu.Dort stand, wie immer zweimal am Tag –obwohl ich jegliches Zeitgefühl verlorenhatte und nicht wußte, wieviel Tage seit dem

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Start vergangen waren – das Tablett mit demheißen Essen, dem Wegwerfbesteck und denVerpackungen, die keinerlei Aufschrift tru-gen. Ich kannte den Inhalt inzwischen undhatte seinen Geschmack auf der Zunge. Ichsetzte mich schweigend auf den eingebautenSitz und begann zu essen. Vor meinen Au-gen befand sich der haarfeine Spalt, der dieAusmaße der kleinen Schleuse bezeichnete.

Es gab für mich keinerlei Möglichkeit,aus diesem Raum entfliehen zu können. DasSchott, ebenfalls so genau eingepaßt, öffnetesich nur nach außen. Ich aß und wartete wei-ter. Die Zeit verging. Minuten summiertensich unmerklich zu Stunden. Wieviel Tagewar ich schon in dieser verfluchten Zelle?

Nach meiner Berechnung länger als sechsTage unseres Zeitmaßes, warf mein Extra-sinn ein.

Ich beendete das Essen, stand auf und leg-te mich wieder auf die dünne Matratze. Daes in der Zelle genügend warm war, rollteich die Decke zusammen und schob sie un-ter meinen Kopf.

Ich schloß die Augen und atmete regelmä-ßig.

Ich fühlte mich allein und in Gefahr. Ver-mutlich produzierte mein Unterbewußtseindie übereinander, und ineinander gestaffel-ten Visionen. Und es glückte mir – zum er-stenmal – genau dort wieder neu anzufan-gen, wo ich hatte aufhören müssen.

*

Ich erwachte wieder in der fremden Stadt.Die Gräser funkelten von großen Tautrop-

fen. Eine schläfrige Betäubung erfüllte dieSzene, in der Ischtar auf mich zukam. Siewar jünger, an der Schwelle zwischen Mäd-chen und Frau. Aber es war unverkennbarIschtar. Ich blieb stehen und hörte nur denLärm der Vögel und meinen eigenen Herz-schlag. Von einer Blüte flatterte ein riesigerSchmetterling auf. Er sah aus wie ein prunk-volles Stück Geschmeide.

»Wo bin ich hier?« fragte ich leise, alsIschtar vor mir stehenblieb und mich

schweigend anblickte.»Ich kenne den Namen dieses Mondes

auch nicht!«Ich runzelte die Stirn und erklärte:»Ich weiß, daß ich dich nur in einer Visi-

on sehe. Alles hier ist Vision undWachtraum. Aber hinter dem Schein muß ir-gendwo die Realität verborgen sein. Ichschlafe nicht, und ich war mindestens zwan-zigmal in dieser Stadt. Das muß etwas zubedeuten haben. Und du bist heute zum er-stenmal Bestandteil der Vision.«

Sie lächelte.»Du versuchst nur, deine Ängste zu unter-

drücken. Du flüchtest mit deiner Phantasiehierher, um einen Ausweg zu suchen.«

Sie streckte die Hand aus und streichelteweich meine Wange.

»Das mag richtig sein«, sagte ich beharr-lich und deutete nach unten. »Aber ich ken-ne Dinge von dieser Stadt, die ich niemalsgesehen habe. Unter der Stadt gibt es Höh-len, Gänge und Hallen, in denen Maschinenarbeiten.«

»Das weiß ich nicht, Atlan!« erwidertesie. »Ich weiß nur, daß wir nicht real sind.Und du weißt es auch!«

Ich nickte. Sie hatte recht, aber ich wollteversuchen, die Welt meiner Visionen zu er-gründen. Vielleicht waren meine Kenntnisseeinmal wirklich lebensrettend. Mein Extra-sinn schwieg und mischte sich nicht ein, alsich mich erkundigte:

»Kennst du diese Stadt?«»Ebensowenig wie du, Atlan. Ich weiß

nur, daß sie nicht wirklich ist.«»Du sagtest es bereits einmal. Aber wa-

rum gerade immer wieder dieser geheimnis-volle Satellit? Warum immer dieselbe Visi-on? Es hat etwas zu bedeuten. Komm, gehenwir, und versuchen wir, mehr Geheimnisseaufzuspüren.«

Sie lächelte und erwiderte ernst:»Du bist noch jung und ungeduldig. Du

glaubst, daß alles mit den Erfahrungen derLogik und der Naturwissenschaft zu lösenoder zu erklären ist. Vielleicht siehst duwirklich ein wenig in die Zukunft. Oder dei-

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ne Visionen treiben dich auf eine Parallele-bene. Oder du bewegst dich in der Visionentlang des Fadens der Zeit, wer weiß?«

»Ich weiß es nicht.«Ich faßte sie an der Hand und zog sie mit

mir auf die Stelle zu, an der ich den Gartenbetreten hatte. Sie folgte wortlos. UnsereSchritte knirschten auf dem weißen Kies.Wir gingen in den überdachten Raum hin-ein, und ich suchte eine andere Tür. Eineschlanke, hohe Platte zog meine Blicke undauch mich selbst magisch an.

»Wohin gehst du, Atlan?«Ich drückte die Hand zwischen meinen

Fingern. Einen langen Augenblick wurde dieIllusion derart vollkommen, daß ich IschtarsGegenwart und ihre Hand körperlich spürte.Stechend traf der Pfeil der Erinnerung. Ichflüsterte zurück:

»Etwas ist hinter dieser Tür. Etwas, dasich suche!«

Die Tür schwang nach innen auf, als wirvor ihr standen. Ich zog das Mädchen Ischtarmit mir und betrat den Raum. Während mei-ne Augen über den stumpfen Bildschirm, dieSchreibplatte und den eingebauten Sitz glit-ten, sagte Ischtar:

»Jemand muß hier gewesen sein. Dortsind Essensreste.«

Sie deutete auf die Platte. Ich erkannte einTablett und gebrauchtes Geschirr. Dann be-wegte sich plötzlich ein Stück der Wand, diePlatte kippte, und das gesamte Tablettrutschte in eine dunkle Öffnung. Langsamschloß sich die Wand wieder, und dann fühl-ten wir unter unseren Sohlen die Vibrationendes Bodens.

Schwere, metallische Geräusche erschüt-terten den Raum. Er bebte plötzlich wie einTeil eines Raumschiffes, das seine Lage ver-änderte.

»Ich gehe dort hinein!« sagte Ischtar, rißsich los und ging auf eine kleine Öffnungzu, hinter der sie verschwand. Winselnd ar-beiteten hinter den hellen, metallenen Wän-den schwere Maschinen. Stimmen schrienKommandos, Lautsprecher schalteten sichein. Die Vibrationen des Raumes wurden

stärker. Ich starrte auf den Bildschirm, dernoch immer nicht in Tätigkeit war.

Langsam drehte ich meinen Kopf.Komm zu dir! Das Raumschiff setzt zur

Landung an! sagte scharf eine Stimme inmeinen Überlegungen und Gedanken. Ichdrehte den Kopf und suchte nach dem Spre-cher.

Ich bin es! Der Extrasinn!Während die Erschütterungen und der

Lärm außerhalb des Druckraums zunahmen,während ich bemerkte, daß ich mitten in derZelle stand und das Gleichgewicht zu haltenversuchte, meldete sich der Extrasinn aber-mals und mit deutlicher Intensität.

Das Schiff landet! Es ist soweit, Arkoni-de! Komm zurück aus deinen Visionen! DieMaahks haben den Übergabeort erreicht!

Ich erwachte.Ischtar und die fremde Stadt waren ver-

schwunden. Meine Visionen hatten mich inihrer widersinnigen Logik genau wieder indiese Druckkammer zurückgeführt. Ich be-kam die Kontrolle über die Gegenwart wie-der und orientierte mich schnell. Ich wußte,daß der Extrasinn recht hatte – wie immerund überall. Mit einem schnellen Satz warich auf der Liege und lehnte mich gegen dieWand, um die Schwankungen des Raumesabzufangen.

Bereite dich auf deine neue Rolle vor, At-lan!

Meine neue Rolle war die eines wichtigenArkoniden-Offiziers.

Hoffentlich ließen sich die Arkoniden, de-nen ich übergeben werden sollte, auch täu-schen. Wenigstens solange, bis ich eineFluchtmöglichkeit fand. Ich mußte zurückzu Fartuloon und meinen Kampf um denThron wieder aufnehmen.

»Ich habe verstanden!« sagte ich laut. DieGeräusche außerhalb der Zelle waren jetztdeutlich. Sie waren identisch mit den Vor-gängen in jedem Schiff eines jeden raumfah-renden Volkes, das auf einem luftlosenMond oder einem Asteroiden zur Landungansetzte. Denn ich merkte, daß das Heuleneiner Lufthülle wegblieb, während ich ein-

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deutig spürte, daß das Schiff in rasenderFahrt abwärts glitt und in langen Brems-schüben die Fahrt verringerte. Jedesmalwechselten die Andruckverhältnisse.

Ich wartete …Was blieb mir anderes übrig? Ich ver-

drängte alle Gedanken der letzten Stundenaus meinem Kopf. Ischtar, die anderen Ge-sichter, der geheimnisvolle Mond und diefarbenleuchtende Stadt in der Ebene. Alleswar nur Vision gewesen, hervorgerufendurch meine Ängste und eine Gasspur in derAtemluft dieses Kreislaufs. Wieder bremsteder Maahkpilot ab, dann verringerte sich dieBewegung des Schiffes fast völlig.

Landung!Der Raumer der Methanatmer verringerte

abermals die Sinkgeschwindigkeit. Jetzt warich sicher, daß wir auf einem kleinen Plane-ten oder einem großen Mond landen wür-den, der keine oder fast keine Gashülle seineigen nannte.

Dann kam der Ruck, mit dem das Schiffden Grund berührte. Stufenweise wurden dieMaschinengeräusche leiser, die Kommandosund Durchsagen veränderten ihren Charak-ter. Und zu meiner maßlosen Verblüffungschaltete sich der Bildschirm ein. Ich beugtemich gespannt vor.

Das Bild stabilisierte sich. Die Optikmußte an ein bewegliches System in derZentrale angeschlossen sein, denn die Lin-sen drehten sich und brachten eine ge-schwenkte Aufnahme des Ortes, an dem wirgelandet waren.

Ein gestochen scharfes, farbiges Bild ei-ner unbekannten, öden Welt. An der Art derHorizonte mußte ich erkennen, daß es tat-sächlich ein Weltkörper mit geringeremDurchmesser als ein Planet war; also dochein Satellit oder Mond. Ich blickte die Sze-nerie an und glaubte nicht, was ich sah.

Die Sonne stand rechts im Bild.Die harten Schatten fielen nach links. Ich

sah von einem Hügel oder dem höchstenPunkt eines Hanges auf eine Ebene. Sie brei-tete sich wie eine flache Schüssel zwischenGebirgszügen aus, die nur aus Schwarz-

Weiß-Gegensätzen zu bestehen schienen,aus kalkig weißen Felsen und nachtschwar-zen Schatten. Deutlich waren unbekannteSterne über der Ebene zu sehen.

Der geheimnisvolle Mond!Überlege sorgfältig! Lasse dich nicht von

deinen Visionen übertölpeln! Glaube nicht,weil du es glauben willst! schrie der Extra-sinn Warnend auf.

Aber je mehr ich sah, je deutlicher hinund wieder die Optiken Vergrößerungen aufden Bildschirm brachten, desto mehr wuch-sen meine Überzeugung und mein Erstau-nen. Gewaltsam mußte ich mich bemühen,um nicht in Panik zu verfallen. Diese Bilderhatte ich unablässig in den letzten Tagen ge-sehen. Es waren die ersten Bilder meiner Vi-sionen gewesen.

Dort waren die Gebirge, die das Tiefpla-teau umschlossen. Nur die Farben fehlten.Dort waren die Staubfahnen, von Gasstößenaus der Kruste dieses Mondes hochgeweht.Dort waren die flimmernden Schleier um dieschrägen, geknickten Felssäulen in der Ebe-ne. Dort war auch der Hügel mit Felstrüm-mern, die aussahen wie die Reste meiner vi-sionären Burg.

»Das kann nicht wahr sein!« stöhnte ichauf.

Es ist nur der Treffpunkt beider Schiffe.Ein neutraler Platz irgendwo zwischen denSternen! warnte das Extrahirn.

Ich riß mich zusammen und begann dieSzene mit kühler Überlegung zu betrachten.Zweifellos war die Ähnlichkeit so groß, daßich einem Trugschluß meiner durch die lan-ge Einsamkeit überreizten Nerven erlegenwar.

Ich hatte einen Rundblick um das Schiffangesehen, jetzt schwenkten die Linsen zu-rück und richteten sich ungefähr auf die ge-nau entgegengesetzte Position; zwischendem Maahkschiff und einem ähnlichen fla-chen Hang lag das Rund der tiefen Staube-bene.

Die Geräusche um mich herum ver-stummten. Nur noch das fast unhörbare Zu-schlagen von Schotten war zu hören.

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Sie warten! sagte der Extrasinn.Ich versuchte, mich zu beruhigen. Lang-

sam schaffte ich es, mir selbst gegenüber dieÄhnlichkeit der Vision mit der Wirklichkeitdem Zufall zuzuschreiben. Und jetzt wurdeich abermals abgelenkt. Wieder schlug dieAngst nach mir, als ich sah, wie sich etwazehntausend Meter entfernt ein Schiff näher-te. Die Linsen erfaßten es in der letzten Pha-se des Landeanflugs.

Ich starrte den Schirm an und wußte, daßdas Verhängnis nahte. Sie würden mich er-kennen! Oder sie würden mich abweisen,weil ich für sie völlig unwichtig war.

Keine Panik! Du hast schon schlimmereSituationen durchstanden. Aber jetzt ist Far-tuloon nicht da, der Bauchaufschneider, derdich unterstützen kann! flüsterte eindringlichdas Extrahirn.

Das Kugelraumschiff war unverkennbararkonidischer Bauart. Der Durchmesser be-trug vermutlich fünfhundert Meter, wenn ichdieses Maß in Beziehung zur Umgebungsetzte. Mit ausgefahrenen Landestützen undfeuernden Partikeltriebwerken landete dasSchiff in einer gewaltigen Wolke aufgewir-belten Staubes und blieb dann ruhig stehen.Der Staub senkte sich und wurde zur Seitegetrieben. Noch immer geschah nichts.

Wahrscheinlich verhandelten beide Par-teien über Funk und schalteten die Transla-toren dazwischen. Waffenstillstand im Me-thankrieg herrschte jetzt und hier zwischenzwei Schiffen.

Noch während dieser Überlegung knackteder Lautsprecher über dem Bildschirm. DasBild wechselte. Ich blickte in einen mit tech-nischem Gerät vollgestopften Raum hineinund sah einen Maahk, der ins Mikrophonsprach und mich anstarrte. Natürlich kannteich nicht einmal seinen Namen oder seineBedeutung an Bord. Die Maschine übersetz-te seine Worte.

»Machen Sie sich fertig, Arkonide. Zie-hen Sie Ihren Schutzanzug an, in einigerZeit werden Sie geholt und übergeben.«

Ich nickte.»Wo sind wir hier? An welchem Platz?«

fragte ich hastig und sprang auf.»Das ist unwichtig. Es ist neutrales Terri-

torium. Alles andere können Sie selbst fest-stellen.«

Wieder wechselten die Bilder, und ichblickte wieder hinaus auf den öden Mond,auf die Landschaft aus meinen Visionen.Gegenüber, beim arkonidischen Schiff, wur-den jetzt Scheinwerfer eingeschaltet.

Konnte ich der Aktion entkommen? Sollteich versuchen, zu flüchten? Aber auf diesemMond dauerte mein Leben nur so lange, wiemeine Vorräte an komprimierter Atemluftreichten. Langsam begann ich, meinenSchutzanzug anzuziehen. Mit einem erneu-ten Versuch, die Zeit herauszuschieben, gingich zum zwölftenmal daran, den Anzugdurchzusehen.

Es nützte nichts.Ich saß schließlich da, mit angezogenem

und durchgetestetem Schutzanzug, denHelm nicht geschlossen. Ich sah das Arkon-schiff an und bemerkte den Gleiter, der aus-geschleust und abgesetzt wurde. Dann, weilplötzlich die Linsen wieder auf Vergröße-rung geschaltet wurden, sah ich auch denMaahk in seinem charakteristischen Anzug.Das Wesen also, gegen das ich ausgetauschtwerden sollte. Ich war äußerlich von mas-kenhafter Ruhe und Starre, aber innerlichfühlte ich mich krank. Mein Magenschmerzte, ich begann zu schwitzen, und ei-ne Art inneres Zittern stellte sich ein. DasFurchtbare war, daß ich nicht handeln konn-te. Sie gaben mir keine Chance.

Ohne daß das Bild wechselte, sagte derTranslator durch den Druckkammer-Lautspre-cher:

»Schließen Sie den Helm Ihres Anzugs.Wir kommen, um Sie abzuholen!«

Dann wurden Bild und Lautsprecher aus-geschaltet.

Ich schloß den Anzug, schaltete die In-nenversorgung ein und wartete einige Minu-ten. Dann öffnete sich langsam das Schott.Ich erkannte dahinter zwei Maahks, die ihreschweren Waffen auf mich richteten. Sie tra-ten zur Seite, ein dritter Methanatmer kam

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aus dem Hintergrund und winkte mir.Ich verließ die Druckkammer und wurde

von den beiden bewaffneten Fremden in dieMitte genommen. Wir bewegten uns schnelleinen Korridor entlang. Ein vierter Maahkkam auf uns zu. Seine Augen glühten düster,als er mich anblickte. Mir waren diese We-sen immer unheimlich gewesen. Niemandkonnte sie unterscheiden, und alles, was wirArkoniden über ihre Gesellschaftsform wuß-ten, war keineswegs geeignet, sie zu fairenGegnern werden zu lassen. Aber offensicht-lich hielten sie sich an gegebene Verspre-chen.

Im Lift kamen zwei weitere schwerbe-waffnete Methanatmer dazu. Als wir in derSchleuse standen, schloß sich der siebenteMaahk unserer Gruppe an. Wir warteten aufden Druckausgleich, und schließlich beweg-ten wir uns schweigend auf der Rampe demBoden entgegen. Die Maahks trugen kleineTranslatoren und Kabel mit sich. Ich schal-tete die Außenmikrophone ein, aber dieLufthülle des Mondes war tatsächlichhauchdünn. Ich hörte meine Schritte nurüber die Vibrationen des Körpers und desAnzugsmaterials.

Zwanzig Meter entfernt stand ein alter,zerbeulter Materialgleiter. Mit weitenSchritten, fast mit Sprüngen gingen wir inder geringen Schwerkraft auf das Fahrzeugzu. Ein Maahk stöpselte das geringelte Ka-bel des Translatoranschlusses in meinen An-zug ein.

»Wir hoffen, daß Sie keinen Schaden er-litten haben«, sagte eine kalte Stimme,»Sagen Sie das Ihren Leuten!«

Der andere muß wichtig sein! Sie sind be-sorgt, daß sie ihn vielleicht nicht bekommen!sagte der Extrasinn.

»Ich bin gut behandelt worden!« erklärteich steif. Meine Stimme war rauh geworden.Der Gleiter setzte sich in Bewegung undschwebte den Hang hinunter. An den ste-chenden Scheinwerfern konnte ich erken-nen, daß sich auch das Fahrzeug der Arkoni-den näherte. Der Augenblick der Wahrheitkam unaufhaltsam näher.

Konnte ich bluffen?Es ist dir bisher noch immer gelungen,

kommentierte der Extrasinn. Die Gleiterschwebten aufeinander zu. Ich war sicher,daß sämtliche Geschütze beider Schiffe auf-einander gerichtet waren. Arkoniden undMaahks waren Gegner in einem furchtbarenKrieg. Und auch die Männer, die mich ab-holten und den Maahk mit sich brachten,würden schwer bewaffnet sein wie meineBegleitung. Der Moment, an dem ich wußte,ob ich starb oder weiterlebte, stand unmittel-bar bevor. Die Scheinwerfer blinkten auf,dann schwebten die Gleiter aufeinander zu,drehten sich und blieben in einem Abstandvon mehr als dreißig Meter voneinander ste-hen. Die Maahks standen auf, einer sagtedurch das Gerät:

»Kommen Sie. In wenigen Sekunden sindSie frei.«

Ich antwortete nicht, aber ich ging vor denFremden her, auf den Arkoniden im Schutz-anzug zu, der jetzt auch zur Seite trat undsich in einen Halbkreis aus schwerbewaffne-ten Raumfahrern einreihte, in dessen Mittel-punkt der Maahk stand und jetzt ohne sicht-bare Veränderung seiner Gestik – die viel-leicht Freude hatte ausdrücken können – aufseine Leute zuging. Unter den wuchtigenStiefeln seines Raumanzugs wölkte Staubhoch und wurde von Gasströmen zur Seitegeblasen. Auch ich löste mich aus der Grup-pe und bewegte mich rechts an dem Maahkvorbei. Noch immer zog ich das Kabel desTranslators hinter mir her.

Der Anführer der Arkoniden griff nach ei-nem Stecker und befestigte die Zuleitung anseinem Gürtel.

Dann hörte ich seine Worte.Er sprach Kraahmak. Nach einigen Sät-

zen, von denen ich kein Wort verstand, er-widerte der Anführer »meiner« Gruppe, daßer seine Verpflichtungen ebenfalls erfülltund mich, den hohen Offizier der Arkoni-den, mitgebracht habe. Unversehrt und ohneBeschädigungen, wie er wisse. Tatsächlichübersetzte das Gerät dieses Wort. Unbeschä-digt.

In den Klauen der Maahks 11

Page 12: In den Klauen der Maahks

Aus der Gruppe der Arkoniden löste sichein Offizier. Ich sah die Rangabzeichen aufseinem Anzug. Er kam auf mich zu. Ich sahnur seine Augen hinter dem dicken Glas desRaumanzugs. Er musterte mich lange undgründlich und ließ mich nicht aus den Au-gen, bis er dicht vor mir stand.

Sein Anzugscheinwerfer flammte auf undblendete in mein Gesicht.

2.

Behalte die Nerven! Keinerlei Reaktion!Warte, was jetzt geschieht, erst dann reagie-ren! flüsterte der Extrasinn.

Ich blinzelte in der plötzlichen Dunkel-heit, als der Scheinwerfer abgeschaltet wur-de. Dann hörte ich mit steigendem Entset-zen, wie der Offizier vor mir sagte:

»Wir sind offensichtlich betrogen worden.Nicht von Ihnen, Maahk, sondern überhaupt.Jedenfalls …«, er machte eine Pause, »istdies alles andere als ein wichtiger Mann füruns. Ich kenne ihn nicht einmal.«

Ich holte tief Luft. In meinen Ohrensummte es; über die Kabelverbindung hörteich die Atemzüge der Maahks und der Arko-niden. Durch die vierzehn bewaffnetenRaumfahrer lief wie ein Schauer eine Bewe-gung. Nervös griffen ihre Hände nach denWaffen und hoben sie an. Plötzlich war eineunverkennbar feindselige Stimmung aufge-kommen. Ich sagte heiser und aufgeregt:

»Aber, Offizier! Sie müssen sich irren.Sie wissen, daß ich …«

»Schweigen Sie! Sie sind ein Betrüger!«schnarrte er.

Nicht aufgeben! Die Situation ist unstabil!sagte scharf der Extrasinn.

Der Translator funktionierte einwandfrei.Ich sah mit einem Seitenblick, daß sowohldie Maahks als auch die Arkoniden kleineGeräte dieser Art umgehängt hatten und de-ren Verbindungskabel an die Funkgeräte ge-koppelt hatten. Was konnte ich tun? Der Of-fizier drehte sich uninteressiert herum undsagte dann, auf den Grek deutend:

»Wir sind an diesem Arkoniden nicht in-

teressiert. Nehmen Sie ihn wieder mit undgeben uns Ihren Grek.«

»Nein!« schrie eine Maahkstimme deut-lich aufgebracht.

Es klang endgültig.»Wir denken nicht daran«, sagte der An-

führer der Gruppe meiner Landsleute,»diesen Austausch vorzunehmen. Wir füh-len uns betrogen und werden den Grek wie-der mit uns nehmen, um ihn gegebenenfallsgegen einen wirklich wichtigen Gefangenenauszutauschen. Brechen wir die Verhandlun-gen ab. Es tut mir leid.«

»Wir denken nicht daran, Grek zurückzu-geben. Wir sind mit diesem Tausch zufrie-den und einverstanden!« erklärte einer derMaahks.

»Mir widerstrebt es, Ihnen zu drohen!«sagte der Arkonide und packte mich an denSchultern. Er drehte mich halb herum undschob mich auf die wartende und regungslo-se Gruppe der Methanatmer zu. Verwirrtstolperte ich einige Schritte, fing mich wie-der und rief:

»Seid ihr wahnsinnig? Ihr könnt michdoch nicht in der Gefangenschaft dieser Me-thanatmer lassen!«

Ich fürchtete mich wirklich. Zwar lebteich noch und schien eine Gnadenfrist her-ausgeschunden zu haben, aber jetzt spitztesich die Lage abermals zu.

»Sie werden sehen, daß wir es können!«war die Antwort.

Die laute, wütend klingende Stimme einesMaahks, über die Translatoren verzerrt, un-terbrach mich. Ich taumelte in der geringenSchwerkraft des Mondes seitlich an derGruppe der Methanatmer vorbei. Ich warwirklich bedeutungslos. Niemand schienmich im Augenblick zu beachten.

»Wir haben keinerlei Verständnis für die-sen Vertragsbruch!« schrie der Maahk. »Wirhaben Ihren Gefangenen, Sie haben IhrenArkoniden bekommen, und jetzt werden wirin unser Schiff zurückfliegen und starten.Die Verhandlungen sind beendet.«

»Nicht für uns, Grek!« rief der Arkonide.Gleichzeitig mit ihm hoben auch die anderen

12 Hans Kneifel

Page 13: In den Klauen der Maahks

Raumfahrer ihre Waffen und zielten damitauf die Maahks. Einige von den Arkonidenglitten langsam in die Deckung einer Felsen-gruppe. Auch die Maahks reagierten mit ra-sender Geschwindigkeit. Ihre Kette zog sichweiter auseinander, ihre Waffenmündungensuchten sich jetzt Ziele. Aber noch immerverhandelten die beiden Parteien.

»Nehmen Sie Ihren Arkoniden! GehenSie! Wir haben unseren Teil des Vertrags er-füllt!« sagte ein Maahk. Er deutete auf denGleiter, und der ehemalige Gefangene derArkoniden glitt in einer Reihe von langenSprüngen auf das Fahrzeug zu.

Die anderen Methanatmer zogen sichlangsam zurück.

Der Arkonide stand hoch aufgerichtet da,deutete auf mich und schrie wütend in seinFunkgerät.

»Sie! Unbekannter Arkonide! Gehen Siezurück zum Maahkschiff. Wir brauchen Sienicht! Und sagen Sie Ihren Freunden, daßwir ihr Schiff vernichten, wenn sie den Ge-fangenen nicht augenblicklich zurück-schicken.«

»Ich werde nichts dergleichen tun!« erwi-derte ich fest. Ich hatte eine Fluchtmöglich-keit ins Auge gefaßt, denn ich rechnete da-mit, daß die Feindseligkeiten unmittelbar be-vorstanden.

»Sie werden gehorchen, oder …«»Ich gehorche Ihnen, wenn Sie mich an

Bord nehmen«, erklärte ich. »Aber nicht un-ter diesen Voraussetzungen!«

Durch die Helmlautsprecher erschollStimmengewirr. Direkte arkonidische Stim-men, übersetzte Texte meiner Landsleute,die wilden, aufgeregten Stimmen derMaahks, auch ins Arkonidische übersetzt.Dann schälte sich aus dem Chaos eine dröh-nende Maahkstimme und übertönte alles.

»Sie bringen uns dazu, Arkonide! Wir las-sen uns von Ihnen nicht übertölpeln!«

Der Anführer der Arkoniden erwidertenichts, aber aus seiner schußbereiten Waffezuckte ein Feuerstrahl und verwandelte dasGestein und den Staub vor den Füßen deseinstigen Gefangenen in kochende Lava und

umherspritzende Tropfen aus weißglühen-dem Gestein.

»Stehenbleiben!« Der Arkonide meinteden Gefangenen.

Ich drehte den Kopf und blickte von einerGruppe zur anderen. Ich war für einen lan-gen Moment völlig ratlos.

Flüchte! Du bist waffenlos und unge-schützt! schrie mein Extrasinn alarmiert.

Ich warf mich herum und sprang in dieRichtung eines Felsblocks, der groß genugwar, um mich zu verstecken. Ein zweiterSchuß wurde abgefeuert, als ich mich zu Bo-den warf. Einer der Maahks hatte geschos-sen und den Arkoniden getroffen. Der Offi-zier wurde von einer gewaltigen Kraft ge-packt, hochgerissen und zurückgeworfen.

»Seid ihr wahnsinnig! Hört auf!« schriejemand.

Das Gefecht eskalierte binnen dreißig Se-kunden. Der Körper des Arkoniden war ge-rade auf dem Boden aufgeschlagen, als dieGruppe der sieben Maahks fast gleichzeitigdas Feuer eröffnete. Der Schuß des Arkoni-den war nur eine Warnung gewesen, aber erwar wie ein zündender Funke.

Von sieben verschiedenen Stellen schos-sen Feuerstrahlen auf die Arkoniden zu. Un-unterbrochen zuckten die Blitzschläge hinund her. Die Außenmikrophone übertrugennur leise, undeutliche Geräusche, seltsamhoch und verzerrt. Aber rund um die Felsensplitterte Gestein, surrten die Querschlägerzerfetzter Steine umher, verglühte derMondstaub und kochten kleine, runde Kra-ter. Ein Arkonide taumelte schreiend ausdem Versteck hoch und rannte davon. SeinSchrei riß ab, als ihn ein Schuß in denRücken traf.

Ein Maahk-Schutzanzug explodierte undtötete seinen Besitzer, als ihn die Feuerstrah-len von einigen Schüssen trafen. Der Gefan-gene der Arkoniden rannte auf der entgegen-gesetzten Seite – wie auch ich – auf denGleiter zu und warf sich immer wieder zuBoden, während lange Glutbalken über ihnhinwegfuhren und in den Boden des Satelli-ten schlugen.

In den Klauen der Maahks 13

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Ich erreichte eine Gruppe der schräg aus-einanderstehenden, fingerähnlichen Felsen,wand mich mit grotesken Verrenkungen hin-durch und hechtete, als ein Schuß einen Fel-sen traf und ihn in Hunderte kopfgroßer,scharfzackiger Trümmer zerfetzte, nachlinks.

Hier schien ich in Sicherheit zu sein, denndie Felsen konnten nur mit einem Schiffsge-schütz zerstört werden.

Schiffsgeschütz!Sie bringen sich gegenseitig um! Das

kann deine Chance sein, kommentiertenüchtern der Extrasinn.

Ich war wie gelähmt. Während hundertMeter vor mir das erbitterte Gefecht in ge-spenstischer Lautlosigkeit vor sich ging,hörte ich nur noch einzelne Stimmen und diekeuchenden Atemzüge über Funk. DieSchnüre, die uns mit dem Translator verbun-den hatten, waren herausgerissen, zerfetztoder durch die Schüsse zerschmolzen.

»Meine Chance?«Noch griffen die Schiffe nicht ein. Ich be-

gann zu zittern. Wenn sie sich mit denSchiffsgeschützen bekämpften, dann bedeu-tete dies für mich, daß ich einsam und mitschwindenden Luftvorräten auf diesemMond gefesselt war. Ich hob den Kopf hinterder massiven Felsplatte hoch und spähte auf-geregt nach vorn.

Der Kampf der vierzehn so verschiedenenWesen ging seinem Ende zu.

Vier oder mehr Arkoniden waren tot oderwehrten sich nicht mehr. Die Maahks warennicht zu sehen, aber aus mindestens vierDeckungslöchern oder Felsen brachen dieFeuerstrahlen der schweren Waffen hervor.

Dann, ganz plötzlich, erschien in meinemrechten Blickfeld ein gewaltiger Feuerball.Ich blickte hinter der vorgehaltenen Handgenauer hin und sah den schweren Treffer,der einen Teil des Maahkschiffs zerfetzt hat-te. Eine lodernde Gassäule brandete für eineSekunde senkrecht in den Sternenhimmelhinauf. Sie erlosch augenblicklich.

Ein zweiter Feuerball detonierte dicht vormir. Der Boden bebte; von den halbzerstör-

ten Felsen hagelte es Splitter und Staub aufmich herunter.

Die Schiffe beschießen sich gegenseitig!sagte der Extrasinn aufgeregt.

Als ich mich wieder aus der Deckungwagte, sah ich, daß die Gruppe der Maahksnicht mehr existierte. Dort, wo die Verwun-deten, die Toten und diejenigen gelegen hat-ten, die noch feuerten, gähnte ein gewaltigerTrichter im Boden. Eine Wolke aus Gas undglühendem Nebel schwebte über dem run-den Loch. Hier lebte niemand mehr. DerGleiter brannte mit winzigen, weißglühen-den Flammenzungen. Er war mindestenshundert Meter weit durch das Beinahe-Va-kuum gewirbelt und gegen einen hausgroßenMonolithen geworfen worden.

Ein einzelner Arkonide floh mit langenSätzen in die Richtung seines Fahrzeugs.Die Geschütze beider Schiffe hatten dasFeuer aufeinander eröffnet.

Ununterbrochen zuckten die Feuerstrah-len von rechts nach links und von links nachrechts.

Offensichtlich hatten es die Verantwortli-chen der Kampfschiffe nicht mehr geschafft,die Schutzschirme rechtzeitig einzuschalten.Sie waren von der Entwicklung überraschtworden. Jedenfalls traf so gut wie ein jederSchuß das gegnerische Schiff. Riesige Fet-zen der Schale wirbelten weißglühend da-von. Die Struktur der Schotte wurde unsicht-bar, als sich kochendes Metall scharf gegenden dunklen Hintergrund abzeichnete. Zu-erst waren es fünf oder mehr Geschütze undProjektoren in jedem Schiff gewesen, jetztfeuerten nur noch vier, dann drei, dannschwieg auch das zweite, und als ich lang-sam aufstand und mich schwitzend gegeneinen Felsen lehnte, kämpften die beidenletzten Geschütze.

Ein Feuerball, der wie eine winzige Sonnezwischen den Gebirgen aufging, verwandel-te den flüchtenden Arkoniden, den Gleiterund einige hundert Kubikmeter der Mond-kruste in eine Wolke aus leuchtendem Gas,aus der schwere Entladungen nach allen Sei-ten zuckten.

14 Hans Kneifel

Page 15: In den Klauen der Maahks

Dann brachen die letzten Landestützendes Maahkraumers, das Schiff knickte einund schlug schwer in das Geröll. Aber nochehe es unendlich langsam abwärts zu rollenbegann, lösten sich schnell hintereinandermehrere Schüsse und trafen das Schiff derArkoniden.

Der erste Treffer riß ebenfalls eine Lan-destütze weg, der zweite schlug in die zu-sammenbrechende Kugel ein, und der letztesprengte genau die Sektion auf, in der dasletzte Geschütz und dessen Mannschaft sichbefunden haben mußten.

Dumpfe Explosionen, die den Boden er-schütterten und einen Vulkan transparentenGases unweit des nächsten Kraters ausbre-chen ließen, pflanzten sich nach allen Rich-tungen fort, als in den Schiffen die letztenEnergiebänke detonierten. Dann erloschendie Feuer, die weißglühenden Streben kühl-ten sich ab, und eine Ruhe herrschte, diemich zittern ließ.

Du bist allein hier. Du bist vom Keller desHenkers in das Verlies des Scharfrichtersgekommen, wandelte mein Extrahirn ein ar-konidisches Sprichwort ab. Aber noch lebstdu. Geh und handle!

»Verdammter Krieg!« sagte ich.Aber im Funkgerät und in den Lautspre-

chern hörte ich nur meine eigene Stimme.Vorsichtig und zögernd schob ich mich zwi-schen den Felsen hervor.

Beide Gegner hatten einander umge-bracht, waren vernichtet, niemand lebtemehr. Ich war auf dem kosmischen Irrläuferallein und hatte nur meinen Schutzanzugund für etwa vierzig, fünfundvierzig Stun-den Luftvorrat.

Nichts mehr …Ein leerer Mond, der einer Welt meiner

Visionen glich. Zwei ausgeglühte Wracks.Zwei Gleiter, die bis zur Unkenntlichkeitzerschmolzen waren. Verstreute Waffen undFetzen gesprengter Schutzanzüge. KeinFunkgerät, keine Vorräte, nichts. Ich war imAugenblick der einsamste Mensch des Uni-versums.

»Fartuloon!« keuchte ich auf, als mir die

tödliche Wahrheit immer klarer wurde.»Farnathia!«

Der Bauchaufschneider ist nicht da, undFarnathia wurde von einer deiner anderenGeliebten umgebracht!

Nichts rührte sich.Nur die Sterne und die Helligkeit hinter

den Bergen bildeten Punkte, an denen dasAuge ausruhen konnte. Ich ging langsamund mit seltsam weiten und hüpfendenSchritten auf die Stelle zu, an der die Arko-niden sich versteckt hatten. Ich suchte ir-gend etwas im Staub der Ebene. Zuerst fandich einen Arm im Raumanzug, abgerissen,versengt und grotesk in seiner zusammen-hanglosen Vernichtung. Dann einen dertransportablen Translatoren. Noch heuteweiß ich nicht, warum ich ihn über dieSchulter meines Raumanzugs hängte.

Dann fand ich die erste Leiche.Die Vorräte! wisperte der Extrasinn.Ich fand in den Gürtelfächern des Toten

Luftpatronen für rund hundert Stunden. Da-zu einige Packungen Rationen, die von au-ßen in die Aggregate des Schutzanzugs ein-geschoben werden konnten. Dem Totennahm ich einen mittelschweren Strahler ab,den er nicht benutzt hatte. Ich schnallte denGurt mit den Energiemagazinen um meineHüften und suchte weiter.

Hundert Stunden Leben gewonnen!Ich suchte weiter. Eine namenlose Trau-

rigkeit hatte mich befallen. Vielleicht – aberdiese Chance war mikroskopisch gering! –gab es in dem arkonidischen Schiff noch einbrauchbares Beiboot, aber dieser Gedankewar reines Wunschdenken. Abermals fandich einen Torso und für weitere fünfzigStunden Luft und einen Wassertank. Ichsteckte die Teile in die Taschen des Anzugsoder hängte sie über meinen Rücken. ImZickzack ging ich all die Stellen ab, an de-nen ich die Arkoniden feuernd und inDeckung gesehen hatte. Nach etwa einerStunde hatte ich einen Vorrat an Nahrungs-mitteln, der mich rund zwanzig Tage am Le-ben erhalten würde. Das Wasser oder dieverschiedenen Flüssigkeiten in den Kampf-

In den Klauen der Maahks 15

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anzugfächern reichten schätzungsweise elfTage.

Der Luftvorrat schenkte mir garantiertweitere zwanzig Tage Leben.

»Und jetzt?« murmelte ich, obwohl ichmein Ziel kannte.

Es gibt nur ein Ziel. Suche im Raumschiff.Vielleicht gibt es ein Funkgerät, und dukannst Hilfe herbeirufen! Noch lebst du, At-lan! drängte der Extrasinn.

Es war richtig. Noch lebte ich. Ich hattezwanzig Tage Frist gewonnen. Bis dahinmußte etwas geschehen sein.

Jedenfalls konnte ich endlich handeln,konnte suchen. Und vielleicht fand ich dieReste der Stadt, die in meinen Visionen auf-getaucht war.

Ich hob mein Bündel hoch und machtemich auf den langen Weg durch die Ebene.Mein Ziel war das Wrack des Arkonschiffes.Es gab eine winzige Chance, daß ich mitHilfe dieses Schiffes überleben konnte. Ichmerkte, wie ganz langsam, mit jedem Schrittein bißchen mehr, mein Lebensmut zurück-kehrte.

Ich drehte mich um und blickte zurück.Hinter mir war eine fast gerade, flache

Spur in dem dicken Teppich aus Staub undmehlfeinem schwarzem Sand. Sie führte vonden Felsen fort und deutete, wenn ich sieverlängerte, genau auf den Platz der prächti-gen Stadt. Der Stadt meiner Visionen …

3.

Wieder war ich allein. Meine Stimmungsank nach der kurzen, tödlichen Aufregungdes Kampfes zwischen Arkoniden undMaahks hinunter in einen schwarzen Ab-grund.

Aber im Gegensatz zu den Tagen in derDruckkammer kannst du handeln! Versuche,aus den Trümmern des Schiffes etwas zu ret-ten! flüsterte bohrend der Extrasinn.

»Ich versuche es ja schon …«, flüsterteich.

Ich ging weiter. Mit riesigen Schrittensprang ich in flachen, weiten Bögen durch

den Staub. Jetzt kam ich am ausgeglühtenWrack des arkonidischen Gleiters vorbeiund richtete meine Augen auf den Boden.Vielleicht fand ich Dinge, die mein Lebenerleichtern oder verlängern konnten. Nichts.Nur Trümmer und zerfetztes Material. Halbim Staub begraben, sah ich ein geringeltesKabel. Ich zog an dem Kabel und sah, daßes auf der einen Seite in einen schweren Bat-teriekasten verschwand, durch den Sand undStaub zog ich einen großen Handscheinwer-fer hervor und schüttelte ihn. Mein Hand-schuh war mit stumpfgrauem Staub überpu-dert, als ich den Kontakt drückte. Der Bodenerhellte sich in einem scharf ausgeschnitte-nen Kreis, aber es gab so gut wie keinenLichtstrahl. Das Gas, das allerorten aus demBoden strömte, war zu wenig konzentriert.

Immerhin. Ein Scheinwerfer. Ich schalteteihn probeweise ein und aus.

Ich ging weiter.Wieder erstaunte mich die Ähnlichkeit

der Wege und der Bilder auf diesen Wegen.Die Wirklichkeit war hier, auf diesem kos-mischen Irrläufer, einem riesigen Mond odereinem ehemaligen winzigen Planeten, dersich losgerissen hatte und in eine Bahn umdie ferne, jetzt nicht sichtbare Sonne ge-schwenkt war. Oder nur an dieser Sonnevorbeizog wie ein Komet, der für eine Run-de in seiner Bahn ein paar Jahrtausendebrauchte.

Ich hatte jetzt die Stelle erreicht, an derdie Ebene in den Hang überging. Ich kamschneller vorwärts. Weit vor mir ragten diekantigen Felsen auf dem Zentralberg auf.Oder waren es doch Ruinen? Ab und zublieb ich stehen und verglich die Wirklich-keit mit den Ereignissen und Erinnerungenmeiner Visionen.

Sie waren so gut wie identisch.Vielleicht findest du tatsächlich einen der

Eingänge ins unterirdische Reich des Mon-des, sagte das Extrahirn spöttisch.

Vielleicht.Jetzt befand ich mich auf einer »Straße«,

die zwischen zwei langen Reihen von Ge-bäuden hindurchführte. Ich hatte sie gese-

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hen, damals, im Traum. Wuchtige Bäumesäumten die Fahrbahn, dahinter erhoben sichdie weißen, farbigen und metallenen Frontenlanggezogener, halbhoher Gebäude. DieStraße war jetzt nur eine breite, mit Trüm-mern übersäte Bahn. Aber deutlich warendie Begrenzungslinien. Sie vereinigten sicham Fuß des Zentralhügels. Alles konnte einZufall sein, aber meine Phantasie ergänzte,was die Augen sahen.

Ich blieb mitten auf dieser Straße.Links jenseits des Hügels, von hier aus

gesehen, befand sich das arkonidischeSchiffswrack. Noch etwa dreizehn Kilome-ter bis dorthin. Rund um mich entdeckte ichkein Lebenszeichen. Auch der einzelneMaahk, der Gefangene der Arkoniden, warsicher tot. Ihn mußte einer der ersten Schüs-se aus »unserem« Schiff getroffen haben.Wie im Traum setzte ich einen Fuß vor denanderen und ging weiter. Dabei beobachteteich die abgerundeten Trümmer an den Seitenmeiner Traumstraße. Waren es Reste derGebäude, von einer dicken Staubschicht be-deckt? Oder nur Felsbrocken, Geröll, Trüm-mer von Felsen und Steinen, die vor Jahrtau-senden zersprungen waren?

Es gibt nur eine Methode, dies herauszu-finden und sicher zu sein, wisperte der Ex-trasinn.

Ich grinste kurz hinter dem transparentenVisier meines Helmes. Dann ging ich nichtmehr stur geradeaus, sondern faßte eine be-sonders große, interessant aussehende An-häufung von Trümmerstücken ins Auge.Auch sie waren fast unkenntlich unter einerdicken Staubschicht verborgen. Im Staubsah ich, als ich näherkam, tiefe, aber kleineKrater. Sie stammten von Einschlägen win-ziger Partikel, die in den vergangenen Äo-nen diesen Mond getroffen haben mochten.

Du suchst noch immer die Teile deiner Vi-sionen. Immerhin – vielleicht wirst du wie-der enttäuscht! beschwor mich der Extra-sinn.

Es war schwer, mich jetzt noch zu enttäu-schen. Aber ich stolperte weiter, erreichtedie Formation und blieb stehen. Das Licht

des Handscheinwerfers glitt über den schwe-ren Vorhang aus Staub, von dem ich nichtwußte, wie alt er wirklich war. Dann kauerteich mich nieder und fing an, mit den Händenden Staub zur Seite zu schieben.

Schließlich berührten meine Fingerspitzenunter dem geschmeidigen Material desHandschuhs eine Kerbe im Stein. Meine Be-wegungen wurden hastiger, ich fegte denletzten Staub von einer großen, anscheinendrunden Platte. Dann trat ich drei Schritte zu-rück und hob die Lampe.

Das Licht fiel schräg auf die Platte. Lichtund Schatten bildeten undeutliche Muster.Ich starrte, während ich die Lampe unruhigbewegte, auf das Spiel der Rillen und derReflexe. Dann wurde das Bild langsam deut-licher, und die Linien summierten sich zu ei-nem Bild.

»Also doch!« keuchte ich auf.Du scheinst die richtigen Visionen gehabt

zu haben, versicherte trocken der Extrasinn.Ich erkannte das Bild. Es war ein Ein-

druck, der sich unauslöschlich in meinemGedächtnis eingebrannt hatte und aus derletzten Vision stammte. Aus jener Vision, inder zum erstenmal Ischtar aufgetaucht war.

Auf einem runden Stein, der annäherndhalbkugelig geformt und an den Rändernsehr verwittert war, entstand vor meinen Au-gen das Bild eines Phantasietierkopfes. Fürmich war es ein Tier der Phantasie; viel-leicht hatte es einst zu der Fauna diesesMondes gehört. Eine Mischung zwischenLöwenkopf und Saurier, mit vogelartigenElementen und Augen, die wie die einesMenschen aussahen. Der Kopf war aus Steinund verschiedenen Metallen zusammenge-setzt. Ich beugte mich wieder vor und reinig-te die letzten Vertiefungen in der Plastik.

Wie es schien, starrte mich das Fabelwe-sen aus uralten Augen abschätzend undnachdenklich an, als mache es sich Gedan-ken über meine Lage.

Ich warf einen langen Blick auf den Kopfdes vergessenen Tieres, der einmal von einerSäule der Straße auf mich heruntergestarrthatte. Dann wandte ich mich ab und ging

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weiter, wieder in der Mitte der versunkenenStraße.

Was änderte es an meiner Lage, wenn ichwußte, daß der Mond einst bewohnt gewe-sen war?

Nichts! sagte der Extrasinn.Mit meinen geringen Vorräten, dem

Scheinwerfer und dem nutzlosen Gerät desTranslators bewegte ich mich auf mein Zielzu. Etwa eine Stunde war seit dem Gefechtvergangen, und nichts hatte sich geändert.Nur meine Einstellung änderte sich unmerk-lich. Das Wrack, dem ich immer näher kam,wurde zu einem Zeichen der Hoffnung. DasWrack konnte nicht so gründlich zerstörtsein, als daß ich mich dort nicht längere Zeitam Leben erhalten konnte. Vielleicht gab esnoch ein Beiboot, mit dem ich in den Welt-raum starten konnte. Und vielleicht erfuhrich, wo ich mich eigentlich befand, in wel-chem Teil des Kosmos.

Mach dir nicht zuviel Hoffnungen, warnteder Extrasinn.

Durch die verschütteten Straßen, überstaub- und trümmerbedeckte Plätze, vorbeian Brunnen, die nur in meinen Vorstellun-gen existierten und über tiefe Erdspaltenführten, kletternd durch ehemalige Bachbet-ten oder Kanäle, über Trümmer und immerdurch eine etwa halbmeterhohe Schicht ausVerwitterungsresten, eine nur kurz sichtbareWolke aus Staub hinter mir herschleppend,stapfte ich auf das Wrack zu.

Schließlich erreichte ich die ersten Trüm-mer des kugelförmigen Schiffes. Es war eineriesige Konstruktion. Vorsichtig umrundeteich ein hausgroßes, verbeultes und wie Pa-pier zerfetztes Stück stählerner Masse, dieirgendwo aus dem Schiff herausgerissen undhierher geschleudert worden war.

Teile von Schotten und Trossen, Einrich-tungsteile und Rohrstücke hingen, ebenfallsverformt und zerglüht, an diesem Fragment.Durch den Staub hatte sich eine tiefe Rillegezogen.

Als nächstes sprang ich über das Frag-ment einer Landesstütze, und dann befandich mich unmittelbar vor dem zerschramm-

ten und geschwärzten Metall der Schiffszel-le. Sie schwang sich überhängend und kon-vex hoch und verdeckte die Sterne.

Suche einen Einstieg!Ich stapfte nach rechts. Das Wrack war

durch einen oder mehrere Treffer von denLandestützen gerissen und umgeworfenworden. Die Anziehungskraft war nicht sehrgroß, also war der Fall und die dadurch be-dingten Beschädigungen nicht wesentlich.Aber das Schiff war mindestens fünfzig Me-ter weit durch den Staub und über riesigeFelsen gerollt. Hier war das Wrack zumStillstand gekommen. Ich kletterte zwischenscharfkantigen Arkonstahlfetzen und Felsenherum, schaltete meine Lampe ein undleuchtete immer wieder das Metall an. Ichsah Schrammen und Risse, Explosionskraterund die Gebiete, in denen das Metall bisüber Weißglut erhitzt worden war. Aber dieLuken waren entweder zu weit entfernt oderdurch die unglaubliche Hitze zugeschweißt.

Wie ein Käfer im Vergleich zu den fünf-hundert Metern Durchmesser des Wrackskrabbelte ich im Zickzack rund um den Kör-per. Immer wieder blitzte der Scheinwerferauf, beleuchtete eine zerknitterte und zer-fetzte Fläche, aber ich konnte keine Mög-lichkeit erkennen, das Schiff zu betreten.Die Mechaniken der Landestützen warenhoch über mir, also lag das Schiff auf derSeite. Ich sah keinen der getöteten Arkoni-den, keiner war aus dem Schiff geschleudertworden. Ich wich einem Felsen aus, dann ei-nem Maschinenteil von gewaltigen Dimen-sionen. Ich beugte mich nach hinten undblickte, mich abstützend, nach oben.

Ein riesiges Loch. Man konnte mit einemGleiter hindurchfliegen – wenn man einenGleiter hatte.

Suche weiter! Die Wahrscheinlichkeitspricht dafür, daß du das Wrack betretenkannst.

Auf dieser Seite schien sich das Schiff ge-leert zu haben wie ein gewaltiger Organis-mus, dessen Umhüllung man zerfetzt hatte.

Hier lagen, bis zur völligen Unkenntlich-keit ineinander verkeilt, verdreht und zerris-

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sen, geschwärzt und verglüht, alle nur denk-baren Teile der Ausrüstung eines arkonidi-schen Kampfschiffs. Ich konnte nichts da-von gebrauchen. Langsam kletterte und stiegich durch diesen Schrotthaufen. Immer wie-der suchte ich nach einer Einstiegsmöglich-keit in meiner Höhe.

Nichts.Jetzt suchte ich schon die zweite Stunde.

Ich war trotz der Klimaanlage in Schweißgebadet, und langsam kletterte die Panik inmir hoch. Ich fand mich in der Lage einesMannes, der angesichts eines riesigen Seesverdursten mußte, weil er nicht an das Was-ser herankriechen konnte.

Wieder schoben sich zwei spitze Felsen inmeinen Weg. Sie hatten sich tief in das Me-tall der Schiffszelle geschoben. Aber zwi-schen dem Felsen und dem Metall gab eskeinerlei Stellen, die größer waren als eineHandbreit. Ich rutschte halb einen Abhanghinunter und kam wieder auf die Füße.

Und dann sah ich die Luke.»Endlich!« murmelte ich erschöpft.Es war eine Schleuse, die über eine etwa

sechs Quadratmeter große Öffnung verfügte.Die Schleusentür war aufgerissen und zer-beult worden, beziehungsweise hatte dieVerformung die Riegel aufgerissen und dieTür nach außen kippen lassen. Eine der Kan-ten hatte sich tief in den Mondboden ge-bohrt. Ich erreichte die verformte Platte undpackte einen der gekrümmten Riegel desManuellbetriebs.

Sichere zuerst dein Überleben!Ich leuchtete den Schleusenraum aus und

glaubte zu erkennen, daß die innere Türnicht verformt oder durch die Treffer ver-schweißt war. Ich spannte meine Muskelnund schwang mich hoch, stand nach dreiVersuchen auf einem der Riegel und ver-suchte, die Lage des Schiffes genau zu erfas-sen.

Es lag fast genau in einem Winkel vonneunzig Grad. Das bedeutete, daß sämtlicheBöden zur Wand geworden waren. Darüberhinaus waren diese Wände etwa dreißigGrad schräg. Ich hielt mich fest und ver-

suchte, das Innenschott zu öffnen. Ich zerrtean den langen Hebeln, trat darauf, hängtemich mit meinem ganzen Gewicht dagegenund beseitigte schließlich dieses Hindernismit einer letzten Kraftanstrengung. Das In-nenschott kippte schräg nach oben und er-zeugte, als es gegen die Wand schlug, einenTon wie eine Glocke. Ich spürte ihn durchmeine Sohlen und durch das Anzugmaterial.

Du bist im Schiff. Wende an, was du überein arkonidisches Schiff weißt! sagte der Lo-giksektor.

Ich stand auf einer Wand, tastete michhinter dem Lichtkreis meiner Lampe ineinen Korridor hinein und erkannte, daß ichmich in einem Bereich des Schiffes befand,der die Geschütze, einige Magazine undeinen Teil der Mannschaftsquartiere enthal-ten hatte. Das Schiff war ohne Luft; sie warerhitzt worden und durch die riesigen Öff-nungen in den Weltraum entwichen. Ich ent-deckte einen Indikator auf dem Boden, alsoauf einer Wand, über die ich gehen mußte.Er zeigte Nullwert an.

Weiter! Suche einen verschließbarenRaum!

Ich begann das Schiff zu durchstreifen.Ich sah Hunderte von toten Raumfahrern.Nur wenige befanden sich in Schutzanzü-gen. Von dieser Gruppe wiederum hattennur einige die Helme geschlossen gehabt, alsdas Gefecht begann. Und jene, die Rauman-züge getragen hatten, waren in den Flammenund den Glutströmen, die sich durch das hal-be System der Gänge, Kammern und Hallengepreßt hatten, umgekommen. Sie alle wa-ren qualvoll gestorben, so wie die Maahksim anderen Wrack.

Ich brauchte zehn Stunden, bis ich ausden Resten dieses Schiffes einen Platz ge-schaffen hatte, der für mindestens einigeMonate mein Leben verlängerte.

4.

Ich befand mich in einer winzigen Kabi-ne, die offensichtlich niemals bewohnt ge-wesen war. Einen Riß in der Wand der Toi-

In den Klauen der Maahks 19

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lette hatte ich mit Klebestreifen abgedichtet,die ich in dem Reparatursatz eines unge-brauchten Raumanzugs gefunden hatte.

Zusammengetragene Magazine waren andie Notanlage des Raumes angeschlossenworden. Der Wasserbehälter für dieses Deckwar nicht leckgeschlagen, und ich besaßjetzt eine kleine, funktionierende Umwälz-anlage, etwa einen prall gefüllten, schwerenSack voller verschiedener Nahrungsmittel,ich konnte sogar duschen. Und es war mirgelungen, den Bildschirm dieses Raumes aufdie Anlage der verwüsteten Zentrale zuschalten.

Systematisch hatte ich in der Zentrale desSchiffes sämtliche Schaltungen betätigt. Nurein einziger Linsensatz funktionierte noch.Es lag einige Ironie in dem Umstand, daß esausgerechnet die Zieloptik war, mit denenHilfe die Arkoniden auf das Maahkschiff ge-feuert hatten.

Ich konnte also die Ebene beobachten.Wozu, das wußte ich selbst nicht, aber we-nigstens verhinderte dieses Bild, daß ichmich eingeschlossen fühlte.

Schlafe zunächst aus, dann erst starte dennächsten Versuch! sagte eindringlich derExtrasinn.

Genau das tat ich.Ich erhitzte Konserven, zog mich aus,

duschte mich mit lauwarmem Wasser undzog Kleidung an, die ich irgendwo gefundenhatte. Dann dichtete ich zur Sicherheit dieKammer noch einmal ab, schaltete die War-neinrichtungen von drei Raumanzügen inWandschränken ein und schlief etwa zehnStunden.

Nach einem Frühstück aus arkonidischerFlottenverpflegung begann ich mich aufmein nächstes Vorhaben zu konzentrieren.

Es gab drei Beiboote in dem Kreuzer, dieso aussahen, als würden sie funktionieren.Ich hatte viel Zeit und wenige Werkzeuge,um zu versuchen, eines davon zu befreien.

Überdies war in der Zentrale das Funkge-rät eingeschaltet gewesen, als der Feuerüber-fall stattfand. Mit einiger Sicherheit wußtenandere arkonidische Verbände, daß der

Kreuzer hier gelandet war. Sie würden ver-mutlich kommen und nachsehen, warumsich dieses Schiff nicht mehr meldete.

Dies gilt auch für die Maahks! bestätigteder Logiksektor.

»Wahrscheinlich!« knurrte ich und mach-te mich an die Arbeit.

Ich zog den Raumanzug an, steckte genü-gend Tanks für Luftvorräte in die Taschenund warf die schwere, mit zwei Händen zubedienende Waffe über die Schulter. Ichwürde sie als Schneidbrenner benutzen müs-sen. Bevor ich das Schott dieses einzigenRaumes schloß, der noch als Asyl dienenkonnte, warf ich einen Blick auf den Bild-schirm. Er zeigte das Bild der Ebene im fah-len Dunkel des Sternenlichts und der Refle-xion der Sonnenstrahlen, die jenseits derEbene auf die höchsten Berggipfel auftrafen.Unverändert lag der Kessel da.

Rechts von den Felsen! Bewegung! sagtescharf der Extrasinn.

Der Logiksektor hatte eine Bewegungausgemacht, die meine Augen zwar gesehen,mein Bewußtsein aber nicht verarbeitet hat-te. Ich sah genauer hin, sprang durch die ge-samte Länge des Raumes und drückte einenKnopf, der innerhalb bestimmter Grenzeneine Vergrößerung erlaubte.

Die Grenzen des Bildes lösten sich auf,der Mittelpunkt kam näher, wurde größer.Dann stabilisierte sich das Bild wieder. Ichwar erschrocken: Bewegung bedeutete Le-ben, und Leben konnte in diesem Zusam-menhang nur Gefahr bedeuten. Gefahr fürmich.

Ich sah einen Maahk, der meinen Spurenfolgte und etwa tausend Schritte entferntwar. Dieses Wesen, das an eine Schwerkraftvon mehr als drei Beschleunigungseinheitengewohnt war, bewegte sich mit spielerischerLeichtigkeit und in weiten Sprüngen vor-wärts. In einer halben Stunde würde der Me-thanatmer am Schiff sein; seine Spuren ver-schmolzen mit den tiefen Abdrücken meinerSchritte. Die langen, bis zu den Knien deshellen Schutzanzugs reichenden Armeschwangen vor und zurück. In jeder Hand

20 Hans Kneifel

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trug das Wesen eine Waffe. Einmal blieb erstehen, erkletterte einen Steinbrocken unddrehte sich um. Ich erkannte das Zeichen aufdem Rücken des breiten Raumanzugs.

Es ist der Gefangene der Arkoniden! sagteder Logiksektor mit Bestimmtheit. Ich hatteein photographisch genaues Gedächtnis undidentifizierte das Symbol – eine Ziffern-Buchstabenkombination in geschriebenemKraahmak – augenblicklich.

Er weiß, daß du im Schiff sein mußt. Aberer weiß nicht, daß du ihn siehst. Allerdingswird er damit rechnen, erklärte das Extra-hirn.

Ich sagte dumpf:»Er trägt zwei schwere Waffen. Also

scheint er auch damit zu rechnen, daß ichihn zu töten versuchen werde. Oder erkommt, um mich zu töten. Hat er wirklichgemerkt, daß ich der ehemalige Gefangenedes Maahkschiffes bin?«

Mit einiger Sicherheit!Ich wußte nicht, warum sich dieses We-

sen umgedreht hatte. Zweifellos war einGrund dafür vorhanden, denn diese Wesenwaren dank des Kopfwulstes und der in die-sem Sichelwulst liegenden vier Augen in derLage, nach allen Seiten mit der gleichenSchärfe sehen zu können. Ich zuckte dieSchulter und warf einen weiteren Blick aufden Bildschirm, der mir zeigte, daß sich derMaahk wieder in Bewegung gesetzt hatte.

Ich verließ die Kabine, aber einem schnel-len Impuls folgend, nahm ich den arkonidi-schen Translator mit.

Während ich durch das Wrack eilte, umnach unten zu kommen, sagte ich mir, daß esbesser wäre, zuerst zu verhandeln.

Würde der Maahk auch diese Einstellunghaben?

Vorbei an gitterförmigen, verbogenenStahlträgern, vorbei an löchrigen Platten undan würfelförmigen Raumelementen, in de-nen sämtliche Gegenstände verschmort undunkenntlich waren, über schiefe Böden undzerbeulte Wände, vorbei auch an den Über-resten der Besatzungsmitglieder, rannte ichmit langen Sprüngen durch das Schiff.

Einmal wurde ich mitten in einem Sprungzur Seite gerissen und an die Wand ge-schleudert: ein Element der künstlichenSchwerkraftanlage funktionierte noch durcheinen unglaublichen Zufall. Ich dachte, wäh-rend ich mich durch dieses verbrannte Laby-rinth tastete, darüber nach, warum ausge-rechnet drei Beiboote dem Feuersturm wi-derstanden hatten.

Erstens befanden sie sich auf der den geg-nerischen Geschützen abgewandten Seite,als die ersten schweren Treffer gelandetwurden.

Zweitens lagen zwischen zweien von ih-nen und der Aufschlagstelle der Strahlen-schüsse die Wassertanks oder gewaltige Ma-schinen, so daß die Energie sie nicht volloder gar nicht erreichte.

Und drittens befanden sie sich währendder letzten Schüsse des Maahkraumers un-mittelbar über dem Boden des Mondes.

Ich erreichte eine offene Hangarschleuse.Genauer waren es vier nebeneinander lie-

gende Schleusen, in denen die Wracks vonBeibooten standen. Die Außentüren warenweggesprengt worden. Als ich zwischenScherben, Trümmern und den geplatztenBlasen der Wände die unterste Schleuse be-trat – ich stand auch hier auf der eigentli-chen Wandfläche – sah ich schräg unter mirden Maahk den Hügel hinanstürmen.

Nimm dich in acht! Er ist ebenso verzwei-felt, wie du es warst, warnte mein Extrasinn.

Dies wußte ich inzwischen.Ich sah ihn kommen. Dann schaltete ich

mein Funkgerät ein und drehte die Einstel-lung auf die Welle, die von den Translatorenbevorzugt verwendet wurde. Ich schaltetedas kleine Gerät zwischen Mikrophon undSender, dann holte ich tief Luft und bemühtemich, ruhig zu sein.

»Ich rufe dich, Maahk. Ich sehe dich«,sagte ich langsam und deutlich. In den An-zuglautsprechern hörte ich den fernen Nach-hall der Übersetzung. »Ich will keinenKampf. Sie sind alle getötet worden, in bei-den Schiffen.«

Der Maahk hielt an, als sei er gegen ein

In den Klauen der Maahks 21

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unsichtbares Hindernis gestoßen. Dann han-delte er mit überraschender Schnelligkeit.Während er auf die Deckung einer Gruppeaus Felsen und Trümmern zuspurtete, warfer eine seiner Waffen auf den Rücken undpackte die zweite. Er hielt sie in der linkenHand seines langen Armes und feuerte aufmich. Noch während er durch die Luft segel-te und einen Arm vorstreckte, um sich auf-zufangen, schlugen lange Feuerstrahlen rundum mich in das stählerne Gerippe und in dierelativ unversehrten Bodenflächen ein.

Ich duckte mich hinter eine Landestützeund schrie:

»Hör auf! Ich bin der Gefangene aus eu-rem Schiff!«

»Ihr habt alle umgebracht! Beim Ei, ichwerde sie rächen!« schrie er zurück und hobseine Waffe. Ich sah nur den Raumhelmüber seinem Sichelkamm und die Projektor-mündung, die in meine Richtung deutete.

»Ich habe nichts damit zu tun!« rief ich.Keine Argumente für ihn. Vermutlich

weiß er, daß er sterben muß. Die Vorräte imMaahkraumer …

Wieder schoß er.Er zielte ausgezeichnet. Die einzelnen

Einschläge trafen dicht hinter meinem Kopfdie Verstrebungen. Ich sprang zurück in denSchutz einer verwinkelten Platte. Aber dieFunken und die glühenden Tropfen schwirr-ten durch den Raum wie Querschläger. Zwi-schen den Streben und den ausgerissenenPlatten schimmerten die Sterne.

»Ihr habt angefangen, Arkonide!« schrieer.

Selbst der Mechanismus des Überset-zungsgeräts ließ erkennen, daß der Maahksich in jenem Stadium der Wut und des Has-ses befand, das durch keinerlei Vernunftmehr kontrolliert werden konnte. Ich robbtelangsam zurück und trat, sobald ich aus derReichweite der noch immer einschlagendenBlitze und Feuerstrahlen war, in den Korri-dor, der dreimal so hoch wie breit war – einegroteske Umkehrung der Verhältnisse, weilich auf meinem Weg zum Ausgang überTüröffnungen und aufgerissene Schotte

springen mußte.»Ich komme aus dem Schiff«, sagte ich

keuchend und blieb abwartend hinter derletzten Trennwand stehen. »Und ich hoffe,die beiden letzten lebenden Wesen auf die-sem Mond werden sich vernünftig unterhal-ten können!«

Der Maahk schrie erregt:»Ich zertrete die Schale deines Eis, Frem-

der! Komm aus dem Schiff, wenn du Muthast! Es ist nur logisch, wenn wir uns be-kämpfen bis zum Ende.«

»Du wirst es nicht als logisch empfin-den«, erwiderte ich und befand mich jetztnach einem vorsichtigen Satz auf dem stau-bigen Boden des Satelliten, »wenn du beidem Versuch deiner Rache stirbst.«

»Du wirst sterben!«»Meinetwegen!« sagte ich und rannte in

eine Richtung, von der ich wußte, daß siemich in die Deckung der schweren Maschi-nenteile bringen würde. Der Methanatmerkonnte mich nicht sehen, noch nicht.

Sei vorsichtig! flüsterte der Extrasinn.Ich war vorsichtig.Ich hastete in meinen alten Spuren an eine

Stelle, von der aus ich aus besserer Positiondorthin blicken konnte, wo sich der Maahkverbarg. Aber als ich hinter dem vorletztenFelsen hervorkam, sah er mich und schoßaugenblicklich.

Ich prallte zurück.»Hör auf!« sagte ich und hob die Waffe.

Irgendwie mußte ich ihn zur Vernunft brin-gen. Ich glaubte nicht an meine Fähigkeit,dies mit dürren, von einem Gerät übersetz-ten Worten tun zu können. Vielleicht schaff-te ich es auf andere Weise.

»Ich werde dich töten! So wie die ver-dammten Arkoniden meine Leute ermordethaben!« war die hervorgestoßene Antwort.Ich hob vorsichtig meinen Kopf und sah denMaahk, aber noch deutlicher waren der lan-ge Lauf und die Projektormündung an des-sen Ende. Ich hob meine Waffe, stützteHandballen und Kolben auf den Felsen undzielte konzentriert.

»Sie haben auch mich ermordet, wenn du

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nicht aufhörst!« rief ich und hatte jetzt denSchaft im Visier. Ich drückte ab. Der Schußtraf genau die Waffe. Sie löste sich in einereinzigen Explosion auf. Ich sah nicht einmalmehr die Trümmer, sondern nur eine blen-dende Stichflamme, die mich die Augenschließen ließ. Vielleicht brachte dies denMethanatmer zur Vernunft.

»Du …«, schrie er. Ich verstand das langeWort nicht, aber es war sicher ein Fluchoder eine wüste Beschimpfung. Ich grinstesekundenlang und sagte leise:

»Ich habe ein Beiboot. Und ich brauchedich, weil du mehr Kräfte hast als ich. Ichbiete dir Waffenstillstand an, Methanat-mer!«

Der Grek erwiderte nichts, aber er verließseine Deckung und sprang etwa fünf Meterin meine Richtung. Ich schoß dreimal undbrachte den Staub rund um ihn zum Glühen.

Er rollte durch den schwarzen Sand, warfseine nutzlose Waffe weg und schoß mit deranderen, sobald er sich in günstiger Positionbefand. Ich kauerte jetzt, nach einer kurzenPause, zwischen den Trümmern unbestimm-ter Maschinenblöcke. Deutlich sah ich denMaahk, der zwischen den Felsen hervorkamund sich unruhig, aber schnell bewegte. Erlief auf die Stelle zu, an der ich mich ebennoch befunden hatte. Ich hob die Waffe undzielte erneut.

»Ich könnte dich töten!« sagte ich undfeuerte.

Eine Handbreit vor seinem Kopf zer-spritzten die Felsen. Weiße Glut breitetesich an der Aufschlagstelle aus. Der schwereKörper hielt an und drehte sich. Wenn ichwollte, würde mein nächster Schuß in dieBrust des Anzugs gehen und den zweitenGefangenen dieses Mondes vernichten.

»Bleib stehen!« sagte ich scharf.Ich schoß abermals und verglühte eine an-

dere Stelle. Jetzt sah er ein, daß ich ihn tötenkonnte. Zwischen zwei schrägen Felsnadelnbot sein Körper, massig und größer als zweiMeter, gegen die funkelnden Sterne ein Ziel,das nicht zu verfehlen war.

»Warum tötest du mich nicht?« fragte er

stockend.»Weil ich dich brauche, um uns beide zu

retten. In dem Wrack hier gibt es mindestensein Beiboot.«

»Du bist ein Narr!«»Bisweilen fühle ich mich auch so«,

knurrte ich, aber ich zeigte mich noch nicht.»Wirf deine Waffe weg und geh geradeaus.Ich kann dich auch jetzt noch in einem Se-kundenbruchteil umbringen.«

Es war richtig. Ich wartete gespannt dar-auf, was er tun würde. Er kämpfte mit sich.Vermutlich – und selbst meine geringeKenntnis der Psyche von Methanatmern be-rechtigte mich zu dieser Annahme – würdeaber sein logisches Verhaltensmuster sichdurchsetzen und zu einer klaren Einsichtführen.

Schließlich schwang sein Arm herum, unddie schwere Waffe flog in meine Richtung.Ich stand auf und ging auf ihn zu, die Waffenoch immer auf ihn gerichtet. Mein Zeige-finger lag locker auf dem Auslöser. Er hatteso gut wie keine Chance. Ich sah, als ich nä-her kam, daß er keine weitere Waffe besaß.Mit Sicherheit war dies ein hochqualifizier-ter Offizier, denn sonst hätten ihn dieMaahks nicht austauschen wollen.

»Keine Dummheiten!« sagte ich.»Waffenstillstand, bis wir diesen Mond ver-lassen haben.«

Bleib mißtrauisch! warnte der Extrasinn.Als ich ihn erreicht hatte, sagte ich:»Wir können uns befreien. Ich habe noch

große Luftvorräte, aber mit deinen ist es ver-mutlich nicht mehr weit her. Lebt in deinemSchiff noch jemand?«

»Sie sind alle tot!« erwiderte er erbittert.Ich konnte aus dem Gesicht unter der Helm-scheibe keinen Ausdruck erkennen.

»Hör zu! Wir müssen hier weg. Wenn dieArkoniden zuerst hier landen, werden siedich töten, was auch immer passiert ist. Hilfmir, dann haben wir in ein paar Stunden dasBeiboot frei und können an einen neutralenOrt fliegen.«

Mir war es unmöglich, aus dem Ausdruckdieses halbmondförmigen Schädels mit dem

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riesigen Mund und den vier Doppelaugen et-was herauszulesen. Wir standen zwei Metervoneinander entfernt. Noch immer hielt ichdie Waffe in der Hand und deutete auf diebreite Brust des Fremden.

»Warum tust du das?« fragte er schließ-lich. »Auch dieser Ort war neutral. Und washabt ihr Arkoniden damit gemacht?«

Ich schüttelte den Kopf.»Mache mich nicht dafür verantwortlich.

Ich bin in derselben Lage wie du. Hilfst dumir?«

Er schwieg. Seine vier Augen an der Vor-derseite des Kopfes starrten mich unbeweg-lich an. Ich ging zwei Schritte rückwärts, umaus der Reichweite der langen Arme zukommen, falls er selbstmörderische Absich-ten hatte.

Er kann diesen Vorschlag schlecht anneh-men. Es widerspricht seiner Mentalität, er-klärte der Extrasinn. Ich wartete gespannt.

Zu meiner Überraschung sagte derMaahk:

»In dem anderen Wrack ist ein Funkgerät.Nur halb zerstört. Ich könnte es reparieren.«

Ich deutete nach oben.»Wenn wir erst in dem Beiboot sind, ha-

ben wir vielleicht ein Gerät, das wir nichterst zu reparieren brauchen. Hilf mir, und duhilfst uns beiden, Grek!«

Wieder entstand ein langes Schweigen.»Ich traue dir nicht, Arkonide. Aber ich

helfe dir. Du hättest mich umbringen kön-nen!«

»Ich kann dich auch jetzt noch umbrin-gen. Ich habe dies nicht im Sinn. Wir wer-den keine Freunde sein können, aber wirsollten einen Waffenstillstand schließen.Wie lange reicht dein Luftvorrat noch?«

»Ziemlich lange. Es gibt noch Vorräte inmeinem Schiff.«

»Dann können wir an die Arbeit gehen.Machen wir die Beiboote frei, Grek.«

»Ja. Zeige mir die Plätze!«Ich steckte die Waffe ein, merkwürdiger-

weise vertraute ich ihm jetzt, wenigstens fürdie Dauer unserer Arbeiten. Der nächsteschwierige Augenblick würde kommen,

wenn das Beiboot startfertig war oder kurzdanach. Ich deutete nach oben und ging vor-aus. Wir erreichten das geöffnete Schott.

»Der einzige Eingang.«Der Maahk schwang sich hinauf, indem er

die Kraft seines Körpers und besonders dieder gelenklosen Arme einsetzte.

»Gibt es noch andere Arkoniden außerdir?«

»Nein!«Wir betraten wieder das Innere des Schif-

fes. Ich führte den Maahk durch das Laby-rinth des Wracks und hielt an, als wir vorder ersten, halbzerstörten Hangarschleusestanden. Das kleine, kugelförmige Beiboothatte sich losgerissen und befand sich in ei-ner Ecke. Die Hälfte der Landestützen ragtein den Raum wie seltsame Stahlträger. Ichschaltete die Lampe ein und richtete denLichtkreis aufwärts.

»Versuchen wir es!« sagte ich. »Undmöglichst schnell.«

»Ich helfe dir!«Wir gingen in die Hangarschleuse hinein

und bewegten uns entlang einer Wand. DasLicht zeigte uns binnen zehn Minuten, daßes keinerlei Möglichkeit gab, die Polschleu-se zu erreichen, die zu allem Überfluß nochverschlossen war. Auch keine Luke in er-reichbarer Nähe ließ sich öffnen, keine ein-zige der Schaltungen, angefangen von denServomotoren und aufgehört bei den War-tungsrobotern, funktionierte mehr.

Ich mußte keuchend vor Anstrengung zu-geben:

»Dieses Beiboot bringen wir nicht zumStart. Versuchen wir es weiter hinten in die-sem Gang.«

Der Maahk schwieg. Sein Schweigendrückte sein Mißtrauen aus und seineFurcht, daß ich ihn nur benutzte und dannüberlisten würde. Wenn aber die Maahksmit dem ersten Schiff hier landeten, war ichderjenige, der getötet wurde oder erneut inGefangenschaft geriet.

Wir betraten den zweiten Hangar. Er be-stand nur noch aus einem Metallgitter, dasstark verformt war.

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Wir machten uns an die Arbeit.

*

Während ich eine zweite Lampe suchteoder einen anderen Beleuchtungskörper,strahlte der Maahk mit dem eingebautenScheinwerfer seines Anzugs die Wände desSchleusenhangars an und die Zelle des klei-nen Bootes. Je länger wir uns bemühten, de-sto genauer sahen wir, daß wir einer opti-schen Täuschung zum Opfer gefallen waren.Einer der Schüsse hatte die Schleuse und ih-ren Inhalt aus einem Winkel getroffen, ausdem wir das Loch nicht erkennen konnten.Tonnen von Material waren mit der Zelledes Bootes zusammengeschweißt worden.

Ich nahm dem Maahk, der mit einemSprung zur Seite hechtete, den Scheinwerferaus der Hand und sagte beschwichtigend:

»Keine Angst. Ich will nur deutlicher se-hen.«

Jetzt entdeckte ich, daß auch ein Teil derSchleusentür zerstört und mit dem Boot ver-schweißt war. Ohne Hoffnung ließ ich dieLampe sinken und erklärte:

»Wir versuchen es in der dritten Schleuse.Dieses Boot bekommen wir niemals frei.«

»In meinem Schiff ist ein Funkgerät. Ichkann es vielleicht instand setzen!« antworte-te der Grek. »Sollen wir nicht …?«

»Noch nicht. Versuchen wir erst hier un-ser Glück.«

Seit einiger Zeit verhielt er sich zwar miß-trauisch, aber keineswegs besonders hyste-risch. Er schien zu glauben, daß ich ihn nichtbetrügen wollte. Aber ebenso wie die Arko-niden war auch er in dem simplen Freund-Feind-Schema gefangen und konnte nichtsanderes denken. Wir tasteten uns aus demfinsteren Raum hinaus, durch dessen Löcherund Risse die Sterne sichtbar waren.

»Mein Schiff wird zuerst kommen!« sagteder Maahk plötzlich völlig zusammenhang-los, als wir uns einen Weg in den letztenSchleusenhangar bahnten. Ab und zu feuerteich einen kurzen Schuß nach oben ab, dannerhellten die weißroten Funken und Blitze

den trümmerübersäten Korridor auf einergrößeren Strecke.

»Vielleicht«, erwiderte ich. »Vielleichtauch nicht. Vielleicht verhungern wir hier.Hast du Nahrungsmittel und Luft dort drü-ben im Wrack?«

»Ja. Aber ich brauche sie noch nicht. Wirkönnen dorthin fliegen, wenn wir Glück ha-ben.«

»Einverstanden«, erwiderte ich.Bei der ersten, flüchtigen Kontrolle waren

mir die Schäden in den beiden anderen Han-gars nicht aufgefallen. Jetzt kroch die Angstin mir hoch, auch dieses Beiboot könne zer-stört sein. Aber wir bewegten uns in eineZone des Schiffes hinein, die heller war –genauer: sie war weniger dunkel. DieSchleuse bestand nur noch aus den Verstre-bungen, zwischen denen einzelne FetzenStahlblech hingen. Ich drehte den Schein-werfer und begann, von oben nach unten al-les systematisch abzuleuchten.

Durch die Lautsprecher im Helm hörte ichdie pfeifenden Atemzüge des Methanatmers.Er wartete ebenso ängstlich wie ich.

Das Kugelboot war ebenfalls herumge-schleudert worden. Eine Landestütze wargeknickt. Aber jedes Rettungsboot war dafürkonstruiert, in nahezu unmöglicher Winkelnstarten zu können. Das wai es nicht, was mirSorgen machte.

Es sieht gut aus, kommentierte der Extra-sinn.

Die Polschleuse war offen, die Einstiegs-leiter halb ausgefahren. Sie befand sich kei-ne vier Meter über dem Boden. Aber dieSchleusentore und deren Rahmen bildeteneine Art Gitter.

»Grek!« sagte ich. »Wir müssen versu-chen, mindestens zehn dieser Träger dortdurchzuschneiden. Ich habe genügendschwere Waffen dafür. Holen wir sie!«

Ich leuchtete nacheinander die Stellen an,die ich meinte. Keiner der Träger war mitdem Boot verschweißt, und die Hülle desBootes sah ziemlich unversehrt aus.

»Versuchen wir es!«Nimm dich in acht. Wenn er bewaffnet ist,

In den Klauen der Maahks 25

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wird er dich erpressen oder töten, warnteder Extrasinn.

Ich bedachte auch dies, aber er konnte dieTräger nicht mit den Händen auseinander-biegen. Ich gab ihm die Lampe, zog meinenStrahler und stützte das Handgelenk auf.Dann feuerte ich einen ununterbrochenenStrahl ab und versuchte, die Waffe wie einenSchneidbrenner zu verwenden. Aus demTräger regneten Funken herunter, aber icherkannte an den beiden weißglühenden Lini-en gegen die Kulisse des schwarzen Univer-sums, daß sich der Strahl der Waffe relativschnell durch den Stahl fraß.

»Es funktioniert! Holen wir die Waffenund mehr Energiemagazine!« sagte ich undsteckte die heißgeschossene Waffe zurück.Wir tappten wieder auf den langen Wegdurch das Schiff, in dem kein einziges Lichtmehr brannte außer dem Notaggregat meinerprovisorischen Kabine. Außerdem hatte ichHunger, aber ich unterdrückte ihn und zognur Konzentratnahrung in flüssigem Zustanddurch einen der Helmschläuche. Wir brauch-ten mehr als eine Stunde, um wieder dieSchleuse zu erreichen und damit zu begin-nen, die jeweils äußersten Punkte in demverformten Metallgitter in Angriff zu neh-men.

Von zwei verschiedenen Standorten feu-erten wir immer wieder auf die Stellen undschnitten, Fingerbreit nach Fingerbreit, dieTräger in unterschiedlicher Dicke auseinan-der.

Die erste Verbindung war zerschnitten,die letzten Tropfen fielen abwärts und kühl-ten während des Fluges von weißer Glut biszur völligen Schwärze ab. Auch der Grekhatte seinen ersten Träger zerschnitten. Einleichter Ruck ging durch die Konstruktion.»Nur weiter so!« sagte ich. »Es ist auch inmeinem Interesse!«

»Glaubst du mir jetzt, daß ich den Waf-fenstillstand einhalte?«

»Nein«, sagte er.Ich zuckte die Schultern und richtete mei-

nen schweren Strahler auf das nächsteStück. Wir arbeiteten ununterbrochen. Nach

und nach trennten wir sämtliche Verbindun-gen auf, und schließlich, ich hatte das Zeit-gefühl verloren, waren wir fertig. Es mußteStunden gedauert haben. Wieder hatte sichdie Sonne einige Millimeter höher gescho-ben, und die Bergspitzen leuchteten in einerfahlen Aura gelbweiß auf. Ich war müde,und die Schultermuskeln schmerzten. Ichsetzte die Waffe ab und fragte:

»Fertig auf deiner Seite?«»Ja. Aber nichts bewegt sich.« Ich ging

näher heran, ließ die Waffe sinken und griffwieder nach dem Scheinwerfer. Nachdemich abermals sämtliche durchgeschweißteStellen kontrolliert hatte, mußte ich mir ein-gestehen, daß die hinderliche Konstruktiondurch ihr eigenes Gewicht festsaß.

»Grek. Ich weiß, daß jeder Maahk umvieles stärker ist als ein Arkonide. Ist dasrichtig?«

Eine recht rhetorische Frage!»Es ist so, Arkonide. Was soll ich tun?«»Versuche, das Gitter irgendwie nach au-

ßen zu drücken. Ich bin sicher, daß ich zuschwach bin!«

»In Ordnung. Leuchte mir!« Wie einfremdartig aussehender Roboter schob sichder Grek zwischen Metallfetzen und Schrottdurch und blieb vor mir stehen. Er überragtemich wie eine Statue. Ich deutete nach links.»Dort ist der beste Ansatzpunkt. Oder sollich eine hydraulische Anlage suchen?«

Der Maahk ging auf das riesige, unregel-mäßige Gitter zu und rüttelte prüfend daran.

»Nein«, sagte er. »Warte noch.«Also wartete ich. Hoffentlich waren die

Maschinen und die Einrichtungen des Bei-boots nicht völlig zerstört. Vielleicht gab esin dem Rettungsboot auch ein funktionieren-des Funkgerät, mit dem ich gegebenenfallsHilfe herbeirufen konnte. Sämtliche anderenFunkanlagen des Wracks waren nicht mehrzu reparieren. Der Maahk suchte sich, wäh-rend ich leuchtete, einen guten Platz undstemmte seine gewaltigen, säulenartigenBeine gegen den Boden. Er griff mit beidenHänden um einen mehr als schenkeldickenTräger, und dann hörte ich, wie er pfeifend

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einatmete.Zwei, drei Sekunden vergingen ereignis-

los und schweigend. In den Lautsprechernwaren nur meine flachen Atemzüge und diekeuchenden Laute des Grek zu hören. Dannertönte ein unterdrückter Schrei, wie ihnKämpfer oder Athleten bei einer gewaltigenKraftanstrengung ausstießen.

Der Lichtkreis huschte eine Wand hinaufund heftete sich auf die durchgetrenntenVerbindungen. Sie bewegten sich langsam.Sie scheuerten aneinander, dann glitten dienetzartigen Teile langsam nach außen, Zen-timeter um Zentimeter. Das schwere Gitterlöste sich zuerst von den obersten Verbin-dungen und neigte sich fast unmerklich nachaußen. Die Bewegung wurde schneller, dieSchnittstellen klafften mehr und mehr, unddann kippte die ganze Konstruktion lautlosnach außen und schlug, nachdem der Maahkdem Stahl noch einen gewaltigen Tritt ver-setzt hatte, in den schwarzen Sand des ge-heimnisvollen Mondes.

»Wir sind frei«, sagte ich. »Wenigstenshalb. Wir müssen in die Schleuse.«

»Ich verstehe.«Ich richtete das Licht auf den Boden, um

ihn nicht zu blenden. Wir gingen schwei-gend nebeneinander her und blieben genauzwischen den Landebeinen stehen. Sie wa-ren horizontal ausgestreckt wie die Beine ei-nes verendeten Insekts. Der Handscheinwer-fer leuchtete die Leiter an. Mehr als vierMeter.

»Schaffst du es?« Der Maahk deutetenach oben.

»Ich denke schon. Und wie kommst dunach?«

»Indem du die Leiter kippst.«»Verstanden.«Er scheint dir gegenwärtig zu trauen.

Aber dies kann sich schnell ändern, erklärteder Extrasinn.

Ich klemmte die Lampe an ein StückSchrott und richtete sie auf das Schott undeinen Teil der Leiter aus. Dann stellte ichmich in Position und kauerte mich zusam-men. Grek packte mich an den Hüften,

bückte sich, und mit einer explosionsartigenBewegung schleuderte er mich nach oben.Meine ausgestreckten Hände schlugen gegenden Rand der Luke, ich krümmte die Fingerund fiel mit beiden Sohlen schwer auf dieLeiter, die sich federnd um einige Zentime-ter durchbog.

»Gut! Ich bin oben!«Ich zog die Waffe, stellte einen Fuß in die

Luke und den anderen auf die Leiter undverlagerte mein Gewicht nach außen, wäh-rend der feinsteingestellte Strahl der Waffeden Arkonstahl berührte und erhitzte. DieLeiter bog sich unregelmäßig, ich wechseltevon rechts nach links, und langsam kipptedie Metallkonstruktion tiefer herunter.

Schließlich ergriff sie der Maahk und bogdie Leiter durch, bis sie fast auf dem Bodenaufstand.

»Komm ins Schiff!« sagte ich. »Undbring die Lampe mit.«

Wieder ein Schritt weiter.Ich konnte ein solches Beiboot steuern,

aber ich war alles andere als ein hervorra-gender Pilot. Einen Start unter diesen Um-ständen traute ich mir nicht zu, aber es bliebmir nichts anderes übrig. Ich wartete undstand auf einer Wand der Schleuse, währendmein ehemaliger Todfeind die Leiter hinaufturnte.

Vorsicht. Er hat eine Waffe eingesteckt!Ich sah, daß der Grek eine der mittel-

schweren Waffen in seinem Gürtel trug. MitSicherheit hatte er ein frisches Energiemaga-zin eingeschoben. Ich mußte zugeben, daß erebenso hoch spielte wie ich und versuchte,nicht das geringste Risiko einzugehen. Ichtat so, als sähe ich die Waffe nicht, nahmihm die Lampe ab und leuchtete die Schleu-se aus. Ich konnte den Kontakt mit demStiefel eindrücken, und plötzlich war dieSchleusenkammer hell erleuchtet.

Wir blickten uns schweigend an; schließ-lich sahen wir uns jetzt erst richtig in vollerBeleuchtung. Der Maahk sagte, wie mirschien in etwas versöhnlicherem Tonfall:

»Bis hierher sind wir erfolgreich gewesen.Kannst du das Boot aus der Schleuse steu-

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ern?«»Ich werde es jedenfalls versuchen, so gut

ich es kann. Es geht ebenso um meinenKopf.«

Die Tatsache, daß die Beleuchtung funk-tionierte, gab mir neue Hoffnung. Aber ichkonnte daraus nicht schließen, daß sämtlicheAnlagen des Bootes einwandfrei waren. Esgab mehr Fehlermöglichkeiten, als ich mirvorstellen konnte. Immerhin war das Ret-tungsboot mehrmals hart umhergeschleudertund mehrmals nicht nur auf den Kopf ge-stellt, sondern auch mit voller Wucht gegendie vier Wände und die Decke gerammtworden. Wir gingen geradeaus weiter undzwängten uns in den normalerweise senk-rechten Antigravschacht, der jetzt wie einwaagrechter Tunnel wirkte. Schließlich stan-den wir in der dunklen Zentrale. Es dauertenicht lange, und auch hier flammten die in-direkten Leuchtkörper auf.

»Wenn jetzt auch noch die Triebwerke,das Funkgerät …«

Ich stand auf der Front eines Wand-schranks und ging vorsichtig auf das Pult zu,das vor mir quer im Raum hing. Es warmerkwürdig, sich hier zurechtzufinden. Miteiniger Mühe erkletterte ich den Sockel desPilotensitzes und orientierte mich am Instru-mentenpaneel. Nacheinander schaltete ichdas Funkgerät ein, die Energieversorgung,und dann zog ich als erstes die vier Landes-tützen ein. Die schweren Servomotoren lie-fen an, und dann zeigten die harten Erschüt-terungen an, daß die Landeteller den Schrottzur Seite schoben und sich in die Vertiefun-gen der Außenhülle preßten.

Abwartend stand der Maahk im Antigrav-schacht. Er studierte mit geradezu wissen-schaftlicher Gründlichkeit jede meiner Be-wegungen und Schaltungen. Ich suchte undfand die Schaltungen für die Antigravpro-jektoren des Antriebs.

Nacheinander gab ich Leistung auf dieeinzelnen Sektoren.

Die Kugel bewegte sich. Ich verstärktevier Sektoren, und wir beide hatten das deut-liche Gefühl, daß sich die Kugel hob. Im

normalen Flug war dies ein Manöver, dasein Boot seitlich abdriften ließ. Dann hatteich alle Hände voll damit zu tun, um durchabwechselndes Betätigen der rechten, linkenund der steuerbaren Projektoren das Boot sozu drehen, daß der Boden der Zentrale annä-hernd gerade zum Boden des Mondes stand.

Während das Boot einige Meter über derWand der Schleuse schwebte, stellte icheinen künstlichen Horizont ein und ließ dieLandestützen halb herausfahren. Die Tellerberührten den Grund, und die Automatikglich den Winkel aus, denn es gab keine ab-solute Waagrechte in dem Wrack.

Ich schaltete die Geräte wieder ab unddrehte mich um. Dann setzte ich mich in denPilotensessel. Auch der. Maahk hatte sichangepaßt und kam jetzt auf das Pult zu.

»Zufrieden?« fragte ich leise. Wieder warich einen Schritt näher an meinem Ziel.Aber bis zu einem guten Start von derMondoberfläche gab es noch eine ReiheHindernisse.

»Bis jetzt ja. Unsere Ziele sind iden-tisch!« sagte er und beugte sich vor, um dieAnzeigen zu studieren. Schließlich deuteteer auf ein breites, rotes Leuchtfeld und frag-te:

»Was bedeutet das?«Ich warf einen Blick darauf und überlegte,

dann schluckte ich einen langen Fluch her-unter. Warum waren diese Geräte so anfäl-lig?

»Störung im Funknetz«, erklärte ich.»Vielleicht kann ich es beseitigen, vielleichtnicht. Aber zuerst kommt der Start aus demWrack heraus.«

»Ich muß in mein Schiff. Luft, Flüssigkeitund Nahrung – du verstehst?«

Ich sagte leise:»Ich verstehe.«Ich begann, systematisch die Anlage zu

testen. Nacheinander erwachten sämtlicheBezirke des Bootes in einem vielfarbigenLichterspiel zum Leben. Der Antrieb würdefunktionieren, wenigstens schien keine Stö-rung vorzuliegen. Sämtliche Versorgungssy-steme des Beibootes funktionierten auch,

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aber noch ließ ich die Luftumwälzanlage in-aktiviert. Ich schaltete die künstlicheSchwerkraft ein, die für mich normale, fürden Maahk erträgliche Verhältnisse an Bordherstellte.

»Ich versuche es!« sagte ich und machtemich bereit, das Boot mit einem kleinen Satzaus der Schleuse zu bugsieren und auf demMond zu landen.

Ich schaltete die Antigraveinheiten wiederein, hob das Schiff und ließ es auf diesemPolster nach außen schweben. Dreimal gingein grauenhafter, knirschender Laut durchden Schiffskörper. Die niedrigfrequentenSchwingungen setzten sich durch das Metallfort. Ich schaltete sämtliche Landeschein-werfer ein und sah endlich etwas auf denverschiedenen Schirmen. Vorsichtig, Meterum Meter, schob sich die Kugel aus demWrack heraus, glitt einige Meter weit wegund wurde von mir in eine weite Kurve ge-steuert.

»Wo willst du landen?«»Ich suche einen geraden, ungefährlichen

Platz vor dem Wrack. In der Ebene«, gab ichzur Antwort.

Das Boot schwebte um das Wrack herum,glitt in niedriger Höhe über die zerstörtenMaschinen. Einige rote Leuchtfelder began-nen alarmierend heftig zu flackern, aber ichhatte jetzt keine Zeit, mich darum zu küm-mern. Ich fuhr die Landestützen ganz aus;eine von ihnen scharrte wieder an der ge-knickten Leiter, und dann sah ich unter mirdie Staubschicht mit unserer Doppelspurnach hinten gleiten. Ich fand ein ebenesStück, etwa hundert Meter vom Schiffs-wrack entfernt, und dort ließ ich die Kugellanden.

Weich federten die Stützen ein. Ich fuhrsie zwei Drittel weit ein, denn dann lag dieBodenschleuse so wenig hoch über dem Bo-den, daß wir sie mühelos erreichen konnten.

Bis auf den Scheinwerfer, der den Bereichdirekt unter der Schleuse anstrahlte, schalte-te ich alle anderen Lichtquellen wieder aus.Dann fuhr ich probeweise die Energieerzeu-ger hoch – sie funktionierten tadellos.

»Die roten Anzeigen, Arkonide!« erinner-te mich der Maahk, der auf dem Frontschirmsein Schiff sah, oder vielmehr das andereWrack.

Ich sah nach, was die einzelnen Lichterbedeuteten.

Antigravprojektoren arbeiteten unregel-mäßig. Ich blockierte diejenigen, die defektwaren. Jedesmal, wenn ich einen Sektor des-aktivierte, erlosch die betreffende Warnlam-pe.

»Dieses verdammte Funkgerät!« murmel-te ich und versuchte eine Reihe von Schal-tungen. Die Lampe flackerte, ging einmalganz aus, dann erschien das Leuchten wie-der.

»Dieses Funkgerät ist ausgefallen!« sagteich. »Das zweite können wir nicht erreichen,im anderen Boot, und das dritte ebenfallsnicht. Aber ich bin sicher, daß wir mit die-sem Boot starten können. Soll ich dich zumSchiff zurückbringen?«

Der Maahk schwieg.Er starrte mich mit seinen vier Augen an,

während die rückwärtigen Teile der Augendie Zentrale musterten. Er schien zu überle-gen. Noch immer dachte er wohl, ich würdeohne ihn starten.

Ich kontrollierte weiter die wichtigen Tei-le des Bootes. Ich aktivierte zusätzlicheSchirme, verriegelte die Schleuse und öffne-te sie wieder, testete sorgfältig alle Systeme,die ich brauchen würde, denn ich rechnetemit einem mindestens Tage, wenn nicht Wo-chen dauernden Flug im All. Der Versucheiner automatischen Lagebestimmungschlug fehl; offensichtlich waren die galakti-schen Koordinaten des Mondes nur in denRechenmaschinen des Wracks vorhandengewesen. Zwei der Partikeltriebwerke warenbeschädigt. Sie arbeiteten unregelmäßig,aber ich konnte ohne ihre Kraft starten.

»Grek?« fragte ich.»Was willst du, Arkonide?«»Ich fliege dich zu deinem Schiff. Aber

erst, nachdem ich festgestellt habe, ob ichim Boot hier überleben kann. Einverstan-den?«

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»Meinetwegen. Du sagtest, du hättestnoch Vorräte und Nahrungsmittel dort imWrack?«

Das kann eine Falle sein, um dich ausdem Boot zu treiben, warnte sofort der Ex-trasinn.

»Ich kann sie nicht allein tragen. Ich binauch mißtrauisch, was dich betrifft – ebensowie du mir gegenüber. Komm mit und hilfmir tragen. Dann fliegen wir zu deinemSchiff. Ist dies ein logischer Vorschlag?«

»Ich kann ihn akzeptieren«, erwiderte erund ließ die Hand wie unbeabsichtigt aufden Griff seiner Waffe fallen.

»Dann … gehen wir.«Ich durchsuchte die einzelnen Abteilun-

gen des Bootes. Es würde etwa zwanzigoder fünfundzwanzig Arkoniden Platz gebo-ten haben. Die Kabinen waren ausgespro-chen winzig, aber eine kleine Automatiksagte mir, daß sämtliche Notvorräte eingela-gert und mit der Gründlichkeit, die der Flot-te Arkons eigen war, überprüft und vor we-nigen Monaten erneuert worden waren. Ichwürde hier ziemlich lange überleben kön-nen. Trotzdem war es sinnvoll, die Lufttankszu holen und alles, was ich mühsam imWrack gesammelt hatte. Wir verließen dasBoot, brachen die Leiter ganz ab und stelltensie in die offene Schleuse, nahmen denScheinwerfer und stapften zurück zumWrack. Eine halbe Stunde später befandenwir uns wieder in dem Beiboot. Ich erkun-digte mich:

»Hast du etwas dagegen, wenn ich dieSchleuse schließe und meine Atemluft imSchiff zirkulieren lasse?«

»Nein. Du hast keine Druckkammer mitmeiner Atmosphäre?«

Ich machte eine umfassende, eindeutigeHandbewegung und erklärte:

»Du hast es selbst gesehen. Nur Überle-benssysteme für Arkoniden.«

Ich setzte mich zurecht und plante in mei-nen Überlegungen die einzelnen Schaltun-gen für den kurzen Sprung über die Ebene.Während ich die Schirme betrachtete undverschiedene Hebel drückte – ich hatte einen

Großteil der Räume aus dem Luftkreislaufherausgeschaltet –, ertönte das Summen derhochgefahrenen Energieerzeuger. Wiederblinkten die Lichter am Schaltpult. Nur zweirote waren darunter.

Ein plötzlicher Blick in einen der Schir-me, die gewisse Spiegeleigenschaften hat-ten, zeigte mir den Maahk. Ich erschraknicht einmal mehr. Der Grek deutete mit sei-ner Waffe auf meinen Rücken.

»Ich muß sicher sein. Du startest zumMaahkschiff?«

Ich lachte kurz und versicherte:»Mit und ohne deine Waffe – tatsächlich.

Ich starte nur dorthin. Du bist zu mißtrau-isch, Grek.«

»Nicht ohne Grund. Meine Freunde warenweniger mißtrauisch, und sie sind alle tot.«

»So wie die Arkoniden!« meinte ich undgab volle Last auf die Antigraveinheiten.Die Leiter fiel um, das Schott schloß sich,und die Kugel schwebte rund fünfzig Meterin die Höhe. Dann erwachte heulend einePartikeldüse und schob das Beiboot über dieEbene. Von hier aus sah ich auf dem Bild-schirm die Strukturen unter mir deutlicher.Sie waren kantig und eckig, bildeten einenundeutlichen Raster, in dem auch die Phan-tasie die fehlenden Linien und Ecken ersetz-te. Ohne jeden Zweifel: hier war einst dieStadt gewesen, die in meinen Visionen auf-tauchte. Das Boot wurde schneller, fast zuschnell, und ich ging mit der Leistung zu-rück, bis wir genau neben dem riesigenWrack standen.

Langsam senkte ich das Boot ab und setz-te es auf.

»Jetzt bist du dort, wohin du wolltest!«sagte ich und stand auf. »Geh in dein Schiffund suche zusammen, was du brauchst. Ichlege mich in einer Kabine schlafen.«

Es war überflüssig, daß ich versuchte, dieautomatische Uhr im Schiff zu reparieren.Sie funktionierte nicht. Ich wußte nicht, wieviele Stunden wir in dem arkonidischenRaumschiffswrack gearbeitet hatten. Aberder Maahk rührte sich nicht und zielte nochimmer auf mich.

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»Du kommst ebenso mit wie ich vorhin«,sagte er. »Du könntest starten, wenn ichnicht an Bord bin.«

Ich ließ erschöpft die Schultern sinkenund murmelte wütend:

»Ich hätte dich mehrmals erschießen kön-nen.«

»Das ist etwas anderes.«»Warum?«»Weil du mich und meine Kraft gebraucht

hast. Jetzt bin ich für dich überflüssig.Komm mit ins Schiff, und wir können hierausruhen. Aber ich muß sicher sein.«

Er war schon ein gerissener Kerl. Ich kon-trollierte meine Vorräte und stellte mich ne-ben ihn in die Schleuse. Die innere Schottürschloß sich, die äußere glitt auf, und wirsprangen wieder in den schwarzen Staubhinunter. Dann gingen wir auf das Wrackzu, das ebenso zerstört war wie das der Ar-koniden. Ich hatte eben einen Beweis für dielogische und kalkulierte Denkweise der Me-thans bekommen, und ich mußte sagen, daßer mich verblüfft hatte.

Aber alle diese Tricks und Winkelzügehalfen nicht entscheidend.

Außerdem waren noch immer die Schiffebeider Völker im Anflug.

Welches Schiff würde zuerst über diesemneutralen Übergabeplatz erscheinen? Ichkonnte es nicht wissen, und außerdem warich müde, hungrig und durstig. Und derRaumanzug drückte mich. Und wenn ichauch nur einen Sekundenbruchteil lang dar-an dachte, wie weit ich von meinen Freun-den und meinem Ziel entfernt war, dannwurde es mir buchstäblich schlecht.

Ich folgte dem Methanatmer in sein Schiffund half ihm bei seinen Verrichtungen, dieebenfalls nichts anderes waren als die Ver-suche, zu überleben und ein bestimmtes Zielvielleicht doch noch zu erreichen …

5.

Die Pause war lang genug. Es gab keineunmittelbaren, vordergründigen Problememehr; die Lage war sowohl dem Grek als

auch mir klar. Wir waren ausgeruht, derMaahk hatte alle seine Vorräte an Bord deskleinen Rettungsboots gebracht, so wie ichauch, und wir würden ziemlich lange Zeit indieser Zelle verbringen können. Mir war esunmöglich, das starke Mißtrauen desMaahks zu brechen, und ich fand auch kei-nen Weg, um normal und entspannt mit ihmzu verkehren. Er war Raumfahrer wie ich,außerdem wußte er, welche Risiken wir bei-de eingingen.

Wir konnten von einem Maahkschiff ent-deckt und aufgenommen werden – das warweiteres Pech für mich.

Oder von einem Schiff der Arkon-Flotte.Das würde ihn in die schlechtere Lage brin-gen. Mich allerdings auch, denn alles, wasoffiziell von diesem Planeten kam, war zu-nächst einmal eine Gefahr für mich, der ichversuchen wollte, den Mörder meines Vatersvom Thron zu stürzen. Darauf, daß Fartu-loon hier auftauchte, rechnete ich besser erstgar nicht; er wäre ein reines Wunder. Ichbeugte mich vor und betätigte einen Schal-ter, der das Schott und sämtliche Lukenschloß und verriegelte. Ich blickte auf denBildschirm, der den zentralen Berg in derEbene zeigte.

»Hier gab es vor Urzeiten eine Stadt«,sagte ich. »Sie ist unglaublich verfallen, aberich glaube, daß sich unter dem Boden nocherhaltene Räume befinden. Wir starten jetzt.Bereit?«

Ich befand mich im Raumanzug, hatteaber den Helm zurückgeklappt. Die Luft ausder Umwälz- und Klimaanlage war kühl undfrisch. Nach den langen Tagen in dem engenBezugssystem des Raumanzugs war alleindieser Effekt ein Mittel, meine Stimmungum einen guten Betrag zu heben.

»Ich bin bereit, Arkonide. Wohin fliegenwir?«

»Keine Ahnung«, erwiderte ich und ließdie Energieerzeuger auf Touren kommen.»Erst einmal weg von dem Mond. Vielleichthat die Sonne, die wir sehen, einen Plane-ten!«

»Einverstanden. Vielleicht ist dort ein

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Stützpunkt meines Volkes.«Wir beide hatten die entsicherten Waffen

bei uns. Für den Augenblick war die Situati-on stabil. Der Maahk brauchte mich, so wieich ihn in einem Rettungsboot seines Schif-fes gebraucht hätte. Aber jede Sekundekonnte wieder sein Mißtrauen durchbrechen,konnte er sich vor Angst und Nervosität aufmich stürzen. Ich mußte ausgesprochen be-hutsam handeln und ihn von jeder Änderungunterrichten. Die Triebwerke heulten auf,die intakten Antigravprojektoren begannenzu arbeiten, ich schob langsam die Reglernach vorn und beobachtete die Instrumenteund die Bildschirme. Halbdunkel herrschtein der kleinen Zentrale des Bootes.

Bis jetzt geht es gut. Achte auf die Anzei-gen. Die Wahrscheinlichkeit, daß wichtigeBlöcke nicht hundertprozentig funktionieren,ist groß, warnte mich der Logiksektor.

Das Boot hob ab und stieg langsam höher.Ich scheute mich, mit voller Geschwindig-keit zu starten, denn ich kannte die Bela-stungsmöglichkeiten der Maschinen nicht.Für mich war es wahrscheinlich, daß irgend-welche Teile oder Verbindungen durch dieschweren Erschütterungen in ihrer Funktioneingeschränkt waren. Aber das Boot kletter-te hervorragend, stieg hoch über die Ebenehinweg und wurde schneller. Ich war kon-zentriert, beachtete alle Anzeigen und schoblangsam die Regler weiter und weiter. DieZiffern in den Anzeigenfeldern wechseltenschneller.

Bodenabstand viertausend, flüsterte derExtrasinn.

Ich gab mehr Leistung zu, fuhr die Parti-keldüsen mit zwei Dritteln der Belastungund schaltete, als ich die notwendige Flucht-geschwindigkeit erreicht hatte, die Antigrav-projektoren ab.

»Werden wir die Sonne erreichen?« fragteder Maahk über Außenlautsprecher. Jetztwar der Translator in sein Anzugssystem ge-schaltet.

»Ich habe die Hoffnung«, entgegnete ichheiser. Ich war gespannt und etwas nervös.Das kugelförmige Rettungsboot schoß jetzt

mit mehr als der Fluchtgeschwindigkeit da-von. Die Zelle vibrierte leise, als ich mitneunzig Prozent der Kraft operierte. EinigeMinuten vergingen, dann flackerte dasWarnlicht der Andruckabsorber alarmierendauf. Blitzschnell kippte ich den leichtgängi-gen Schalter und hob die Hand.

»Achtung! Die künstliche Anziehungs-kraft!« rief ich laut. »Festhalten!«

Die geringe Anziehungskraft des Mondeserleichterte den Start. Wir brauchten weni-ger Leistung. Aber während die Antriebsein-heiten arbeiteten und uns ins Weltall hinaus-schleuderten, leuchteten immer mehr Warn-lampen auf. Einige von ihnen strahlten be-reits in höchster Intensität. Sie blendetenmich fast.

Achtung! Die Systeme brechen zusam-men! tobte der Extrasinn.

Meine Finger huschten über das Paneel.Ich schaltete ein Triebwerk ab, eine Warn-lampe erlosch. Die anderen Ausfälle betra-fen Hilfsaggregate, ohne die wir fliegenkonnten. Klickend rasteten die Schalter undRegler ein. Das Boot flog noch immer undbeschleunigte mit den eingestellten Werten.Ich merkte, daß meine Finger zu zittern be-gannen. Was war mit dem Boot los?

»Verdammt! Ich sehe uns schon mit demDing explodieren!« murmelte ich.

Ich fühlte mich, als säße ich auf einertickenden Bombe. Mein Optimismusschwand im selben Maß, wie die Entfernungvom Mondboden zunahm. Das Ziel, dieSonne zu erreichen und dort vielleicht einenPlaneten zu finden, war nicht mehr sicher.Aber noch immer beschleunigten die Ma-schinen.

Ungeduldig warteten wir, inzwischen imschwerelosen Feld, aber durch den Andrucktrotzdem am Boden der Zentrale festgehal-ten. Meine Unruhe steigerte sich. Wiederbrachen zwei Systeme zusammen. Dannging ein harter Schlag durch das Boot, undein Summer quäkte auf.

»Ein Triebwerk!« rief ich. Mit einer Handschob ich die Regler der anderen Partikel-ströme weiter, mit der anderen kippte ich

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einen Schalter. Die torkelnde Bewegung desBootes stabilisierte sich wieder, aber jetztließ der Maahk die Haltegriffe los und schobsich an das Pult heran. Ich hielt michkrampfhaft fest und sagte scharf:

»Ich weiß nicht, ob wir den Start abbre-chen sollen. Das Boot fällt langsam ausein-ander!«

»Was ist los?«Du mußt ihn beruhigen! Er glaubt, du

willst den Start sabotieren! wisperte der Ex-trasinn.

Ich deutete auf die Leuchtfelder, die im-mer wieder aufflammten.

»Bisher waren es nur unwichtige Servo-aggregate«, erklärte ich und drosselte aber-mals die Leistung eines anderen Triebwerks.»Aber jetzt fallen die wichtigen Maschinenaus. Nach und nach. Ich kann nichts än-dern!«

Der Maahk betrachtete das halb ausge-schaltete Pult starr und ohne Ausdruck.Dann öffnete er seinen breiten Rachen undsagte langsam:

»Ich glaube, wir sollten zurückfliegen.Wir sind dort unten sicherer, wenn wir war-ten. Dort haben wir auch ein Funkgerät, dasich reparieren kann.«

Ich lehnte mich zurück und schaute zuihm auf.

Was war klüger, dachte ich. Was ver-sprach mehr Überlebenschancen?

»Zurück zum Mond! Wenn der Antriebganz ausfällt, sind wir verloren. Schaffenwir es noch?«

Ich sagte dumpf:»Ich habe keine Ahnung. Du hast recht –

versuchen wir die Landung. Es wird gefähr-lich werden, so oder so.«

»Haben wir die Wahl?«»Nein«, sagte ich und zog die Regler zu-

rück. Ich leitete eine leichte Kurve ein, ver-ringerte die Geschwindigkeit und wartete,bis ich den halb ausgeleuchteten Mond di-rekt vor mir auf dem Voraus-Bildschirm hat-te. Dann steigerte ich die Geschwindigkeitwieder.

Im Augenblick gab es keinerlei alarmie-

rende Leuchtanzeigen. Ich stand auf undblickte den Maahk an.

»Die Schwierigkeiten entstehen erst beider Landung«, sagte ich deutlich. »Und zwarin Bodennähe. Der Mond zieht uns an, wirbrauchen keinen Antrieb für den Flug dort-hin. Aber ich glaube, es ist eine Frage derZeit.«

»So ernst?«Ich lachte humorlos auf. Wieder flammte

ein Warnlicht auf. Ich konnte es mir nichtanders erklären: ein Verteiler mußte halbzerstört sein. Die Maschinen liefen einwand-frei, die Projektoren und die Düsen hattenbisher reibungslos funktioniert, aber dieRegler schienen alles andere als in Ordnungzu sein.

»Ziemlich sicher.«Die Geschwindigkeit steigerte sich wei-

taus langsamer. Wir warteten schweigend,während sämtliche intakten Triebwerke ar-beiteten. Ich starrte auf den Schirm. Das Ge-biet, auf das wir zufällig zusteuerten, wargenau dasjenige, das wir eben verlassen hat-ten. Ich entdeckte wieder die Einzelheitender riesigen Stadt. Von hier aus sahen sieausgesprochen geheimnisvoll aus. Auch derZentralberg mit den rund angeordnetenTrümmern war zu sehen.

Vielleicht gelang es mir, so glatt zu lan-den, wie ich gestartet war. Jetzt trieben wirohne Antrieb auf den Mond zu. Schweigendund mit steigender Spannung musterten wirdie Bildschirme und die Anzeigen des Pul-tes. Dann holte ich tief Luft und sagte:

»Wir müssen uns auf eine Katastrophevorbereiten, Grek.«

Er war Raumfahrer, er wußte sofort, wasich meinte.

»Genügt es, wenn ich im Raumanzugbleibe?«

»Nein. Festschnallen und alles andere«,sagte ich. »Ich muß den Helm schließen.Vielleicht kann ich das Boot in Schiffsnähelanden.«

Wir hatten uns nicht weiter aus rund ein-tausend Kilometer von dem Satelliten ent-fernt. Noch immer strahlte die Sonne auf

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dem seitlichen Schirm, und im Momentleuchtete keine der Warnlampen. Eine ge-spannte Ruhe herrschte. Der Versuch, denMond zu verlassen, war fehlgeschlagen.Beim Versuch der Landung konnten wirsterben, aber das lag nicht einmal mehr anmeinem Geschick, die Landung durchzufüh-ren. Es lag einzig und allein bei den nicht in-takten Maschinen oder Reglern des Ret-tungsboots. Und an einem Faktor, der durchkeine Macht des Universums zu beeinflus-sen war.

Glück war dieser Faktor.Ich warf einen Blick auf den Entfernungs-

messer, dann auf die Anzeige des Bodenab-standmessers. Ich winkte und deutete darauf.Der Maahk starrte die Felder an, in denendie Zahlen sich ständig änderten. Die beidenletzten wechselten am schnellsten. Im Au-genblick waren wir noch hundertneun Kilo-meter von der Ebene entfernt.

»Mach dich fertig, Partner«, sagte ich fa-talistisch. »Wir werden ziemlich viel Schrottherstellen, wenn wir nicht seidenweich auf-setzen. Halte dich lieber schon jetzt fest.«

Der Maahk war nicht recht in der Lage,meinen Galgenhumor zu würdigen. Ichkippte einen Schalter und aktivierte sämtli-che Antigraveinheiten. Sie schienen nocham wenigsten Ausfälle zu haben. Mit einemweichen Ruck setzte die negative Beschleu-nigung ein. Der Maahk taumelte, fing sichwieder und stieß hervor:

»Ich muß dir vertrauen.«Ich grinste kalt.»Du kannst mir vertrauen. Mein Leben ist

mir mindestens so wichtig wie deines. Ichtue mein Bestes, Grek.«

»Ich hoffe es.«Die Geschwindigkeit verminderte sich

langsam. Trotzdem machte es die optischeTäuschung, daß der Boden des Mondes, jeneereignisreiche Ebene, rasend schnell näherkam. Die Linien zogen sich auseinander, dieLandschaft im Mittelpunkt des Bildschirmsblieb deutlich und wurde größer. Ich klapptemeinen Helm nach vorn, befestigte die Ver-schlußhebel und regulierte die Anzugversor-

gung ein. Dann griff ich nach den Gurtenund schnallte mich sorgfältig an.

Der Grek versuchte dasselbe. Der zweiteSessel, der Platz des Kopiloten oder Astro-gators, war allerdings zu schmal für ihn.Aber er schnallte sich trotzdem fest, klappteden Sessel in die günstigste Position und re-gelte seinen Anzug. Das Gepäck – ebenfallsGasvorräte, Nahrungsmittel und Flüssigkei-ten in verschiedenen Verpackungen – be-fand sich geschützt in einem stabilenSchrankfach.

»Wie weit sind wir?«»Zwanzig Kilometer«, sagte ich und dros-

selte die Leistung eines unregelmäßig arbei-tenden Antigravprojektors, dessen Warnlam-pe flackerte. Das Signal wurde schwächer,verschwand aber nicht.

»Kannst du die Geschwindigkeit nichtnoch drosseln?«

»Noch nicht. Ich warte noch. Ich muß mitvoller Leistung fahren, und ich glaube, daßdie Treibwerke nicht so lange durchhalten.«

»Ich verstehe«, sagte der Grek.Wieder Schweigen. Wir warteten. Ich be-

obachtete wie hypnotisiert den Höhenanzei-ger. Mit ziemlich hoher Geschwindigkeitsank das Boot relativ senkrecht abwärts. Ichkonzentrierte mich auf den zentralen Hügelals Zielpunkt – dort wollte ich landen. Nochelf Kilometer. Ich begann mich zu fürchten,denn wieder flammten Anzeigen auf.

Nimm dich zusammen! Du mußt alles ver-suchen! Du kannst euch beide umbringen!sagte der Logiksektor.

Plötzlich ging alles rasend schnell. Ichholte Luft, versuchte, entkrampft zu arbeitenund ließ die Partikeltriebwerke aufflammen.Noch arbeiteten sie mit geringer Leistung,und ich ignorierte die flackernden Warnlich-ter. Ich gab volle Kraft auf die Antigravs,dann bremste ich mit einem langen Stoß derTriebwerke die Geschwindigkeit herunter.Wir waren vier Kilometer von der Oberflä-che entfernt. Während die Lichter flacker-ten, die Warnsummer schrien, während dieStaubschicht in beängstigendem Tempo nä-her kam, schob ich die Regler der Triebwer-

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ke voll nach vorn. Wieder drückte die An-ziehungskraft uns schwer in die Sitze, undplötzlich funktionierte ruckhaft sogar diekünstliche Schwerkraft.

Das Dröhnen des Antriebs wurde lauter,als wir in den Bereich der dünnen Gas-schicht über dem Mondboden kamen. DasBoot schüttelte sich, noch mehr Warnlam-pen blinkten auf, und ich sah, daß wir nurnoch fünfhundert Meter vom Grund entferntwaren. Volle Kraft auf die Triebwerke, volleLeistung auch auf die Antigravprojektoren.

Der Fall verlangsamte sich, aber nichtentscheidend. Zwei Triebwerke fielen mitknallenden Erschütterungen aus. LangeFlammenzungen leckten aus den Düsen undwirbelten den Staub auf. Das Boot schütteltesich, als würde es über Felsen rollen. DieGurte rissen an meinen Gliedmaßen und anmeiner Brust.

Das Rettungsboot trieb infolge der unre-gelmäßigen Leistung der Triebwerke in dieRichtung des Maahkschiffes davon. Ichdrückte einen Schalter, und zischend scho-ben sich wieder die Landebeine aus. Nochimmer fielen wir. Ich schob die Regler ganznach vorn, holte das letzte aus den Maschi-nen heraus und registrierte verkrampft, daßsich die Zahlen der Abstandsanzeige nichtmehr so rasend schnell veränderten.

Ein Triebwerk das ebenfalls aussetzte,ließ die Kugel torkeln und weiter nach linksabtreiben. Jetzt gab es zwischen den Lande-tellern und dem Staub nur noch einen Ab-stand von zehn Metern. Ich konnte nichtsmehr tun. Sämtliche Geräte arbeiteten aufhöchsten Touren. Ununterbrochen jaultendie Sirenen und tobten die Summer. DieSchiffszelle schwankte wie im Sturm. Ichsah, wie der Kurs des Bootes genau auf eineFelsengruppe zuführte, die abseits von einerder »Straßen« aus dem Staub aufragte.

Ich versuchte, das Boot daran vorbeizu-steuern. In den ersten Sekunden gehorchtees mir, dann kippte es, und eine Landestützeschrammte an den Felsen entlang, riß eineStaubwolke hoch und schleuderte das Bootherum. Es begann zu kreiseln, sackte einige

Meter tiefer und kam ein zweites mal mit ei-ner Landestütze auf. Dann kippte es nachvorn, wurde schwer in den Staub gerammt,und ich schaffte es gerade noch, sämtlicheHebel herunterzureißen und beide Systemeauszuschalten.

Die Summer und Sirenen hörten auf, aberin die abschwellenden Laute hinein dröhntendie schweren, krachenden Stöße, mit denendas Boot aufschlug, in die Höhe geworfenwurde, wieder aufprallte, gegen kleinereFelsen oder Bruchstücke prallte und dann zurollen begann.

Mit kreischenden, knirschenden Ge-räuschen brachen die Landestützen aus undwurden geknickt. Ich klammerte mich miteiner Hand am Pult fest, mit der anderen ander Sessellehne. Die Kabine drehte sich, dieSchirme barsten klirrend. Dann begann dieBeleuchtung zu flackern.

Ich hörte einen Schrei, dann wieder einmahlendes Geräusch, und schließlich gab eseinen dröhnenden Krach. Die Bewegung desBootes hörte auf. Ironischerweise war derBoden der Zentrale im Augenblick völligwaagrecht.

»Wir sind gelandet!« knurrte ich und löstemeine verkrampften Finger. Eine totenähnli-che Stille breitete sich aus. Ich hörte nur dieröchelnden Atemzüge des Methanatmers.Dann fingen meine Außenmikrophone einzischendes Geräusch auf, ein anderes,tickendes, ein dumpfes, immer wieder unter-brochenes Summen und ein scharfesKnacken.

Ich stemmte mich aus dem verkantetenSessel hoch und blickte hinüber zu meinemseltsamen Gast.

Auch der Maahk lebte noch. Er befreitesich gerade aus den breiten Gurten und standauf. Ich hörte so etwas wie ein Stöhnen.

»Wie fühlst du dich?« erkundigte ichmich knapp.

»Schlecht. Aber ich kann mich bewegen.Die Gurte …«

Ich stellte fest, daß ich nichts gebrochenhatte. Nur die Stellen, an denen die Gurteanlagen, schmerzten ein wenig. Die Raum-

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anzüge hatten uns geschützt. Wir sahen unsin der Zentrale um. Nur noch ein paarLeuchtkörper funktionierten, aber sämtlicheanderen Geräte waren tot, ausgefallen oderausgeschaltet.

Der Versuch ist fehlgeschlagen. Repariertdas Funkgerät! sagte der Extrasinn.

Ich hob die Hand und sagte:»Verlassen wir das dritte Wrack. Wir

können nicht aus der Bodenschleuse, weildas Boot genau darauf steht. Wir müssenden Notausstieg nehmen, und ich hoffe, erist nicht verklemmt.«

»Einverstanden. Aber wenn ich das Funk-gerät repariert habe, werde ich einMaahkschiff herbeirufen. Das bedeutet er-neut Gefangennahme für dich.«

Ich breitete die Arme aus und erklärte:»Besser gefangen als tot oder verletzt.

Bringen wir es hinter uns. Jedenfalls ist si-cher, daß ich nicht mehr allein flüchtenkann.«

Mit unbewegter Stimme versicherte derMethanatmer.

»Du hast recht. Diese Möglichkeit bestehtnicht mehr.«

Ich riß das kleine Schott auf, und wir ta-steten uns einen dunklen Quergang entlang.Das Schott klemmte tatsächlich, aber alssich der Grek mit der Schulter dagegenwarf,brach es nach außen auf. Ich hatte nicht ein-mal die Detonationssicherung zu betätigenbrauchen. Dafür setzte in diesem Augen-blick wieder die künstliche Schwerkraft anBord aus, so daß der Maahk sich überschlugund vier Meter weit durch die Luft sprang,schwer aufprallte und auf die stämmigenBeine zurückgefedert wurde.

Der Kreis hatte sich geschlossen. Wir be-fanden uns wieder auf dem Mond. Als ichmich umsah, stellte ich fest, daß wir unsziemlich genau zwischen dem Zentralbergund dem Wrack des Methanraumers befan-den.

Noch, lebst du! tröstete mich der Logik-sektor.

Ich lebte. Aber inzwischen waren mitgrößter Sicherheit Schiffe hierher unter-

wegs. Entweder die der Maahks oder arkoni-dische Kreuzer. Vermutlich sogar beide. Aufalle Fälle würden wir hier nicht langsamverhungern müssen. Ich wartete, bis derGrek sich wieder dem Boot genähert hatteund mir herunterhalf.

Der geheimnisvolle Mond hatte uns wie-der.

Wir hätten uns alle Anstrengungen und al-len Ärger sparen können. Sie hatten absolutnichts eingebracht. Ich dachte an die Gefan-gennahme oder an das Problem, ein zweitesMal den Arkoniden beweisen zu müssen –oder dies wenigstens zu versuchen – daß icheine wichtige Persönlichkeit der Flotte war.Ich warf einen langen Blick auf die zerbeul-te Zelle des Rettungsboots und folgte danndem Maahk.

Inzwischen war die Sonne abermals umwenige Millimeter höher geklettert. Siestrahlte den Oberteil des ausgeglühten undzerfetzten Maahkraumers an, der einen lan-gen Schatten warf. Ich fühlte mich plötzlichunsagbar müde und verzweifelt.

6.

Resignation ist Unsinn. Du bist nicht er-schöpft! Tu etwas, um deine Gedanken abzu-lenken und zu beschäftigen, sagte der Extra-sinn drängend.

Ich saß auf dem weichen Staub über ei-nem Steinbrocken und sah dem Methanat-mer nach, der langsam auf sein Schiff zu-ging. Ich konnte nicht viel anderes tun alswarten. Auf eines der Schiffe, einen Maah-kraumer oder ein arkonidisches Kriegs-schiff. Wieder war ich gelähmt, wieder wa-ren wir handlungsunfähig. Ich ließ meineBlicke über die Landschaft schweifen, dieich genau kannte – aus den Visionen die seitdem Verlassen der Druckkammer aufgehörthatten, und aus der eigenen Erfahrung. Ver-mutlich war der Klotz, auf dem ich saß,ebenfalls Teil eines zusammengebrochenenGebäudes.

»Grek?« fragte ich halblaut.»Ja?«

36 Hans Kneifel

Page 37: In den Klauen der Maahks

Er meldete sich sofort. Er trug jetzt dasÜbersetzungsgerät. Wir hatten einen Waf-fenstillstand geschlossen, der keinem vonuns Vorteile bringen konnte. Ich würde ihmnachfolgen und versuchen, ihm zu helfen.Selbst ein Maahkschiff war angenehmer alsein Aufenthalt auf diesem Mond.

»Brauchst du mich?«»Nein«, sagte er. »Noch nicht. Ich muß

erst genau nachsehen, was ich habe und wasich brauche. Bleibe im Rettungsboot, viel-leicht komme ich nach und hole Lufttanksoder Nahrung.«

»Geht in Ordnung«, erklärte ich.Der geheimnisvolle Mond. Ich stand ge-

dankenlos auf und ging ein paar Schritte aufden Zentralberg zu. Ich betrachtete den Bo-den und sah links von mir die Spur, die dasabgestürzte Boot gezogen hatte. Eine Bahnder Verwüstung, durchsetzt mit den Teilender abgerissenen Landebeine, einigen Blech-fetzen und den Steinen, die vom Staub be-freit worden waren. Zehn oder fünfzehnSchritte weiter entdeckte ich einen rundenKrater, und als ich genauer hinblickte, sahich, wie von den Rändern schmale Bächevon Staub nach unten rieselten. Ein gespen-stischer Anblick; er wurde noch verwirren-der, als ich den Scheinwerfer einschalteteund darauf richtete. Das Loch in der Mittedes Kraters war etwa zwei Meter groß. Vor-sichtig ging ich näher und prüfte zuerst, obder Boden tragfähig war.

Deine Visionen! Vielleicht hast du die un-terirdische Stadt entdeckt! flüsterte der Ex-trasinn. Vermutlich war eine dünne Deckeeingestürzt, als das Boot aufprallte.

Ich blickte in das Loch. Noch immer rie-selte Sand oder Staub nach unten. Das Lichtdes Scheinwerfers verlor sich in einer pech-schwarzen Tiefe. Zögernd ging ich näher,bis ich mich vorbeugen konnte. Ich sah nochimmer nichts, nur, daß der Staub auseinan-derfächerte und in eine größere Tiefe fiel.

Was sollte ich tun?Auf keinen Fall näher heran! Du begibst

dich in Gefahr, warnte der Logiksektor.Ich überlegte, was ich an Hilfsmitteln hat-

te. Ich brauchte ein Seil und eine Seilwindeoder einen flugfähigen Anzug, ein Flugag-gregat. Nichts davon hatte ich im Rettungs-boot entdecken können. Doch, es gab einigeSpezialtaue im unteren Schleusenraum.Vielleicht konnte ich sie benutzen. Ich dreh-te mich um und ging zurück ins Rettungs-boot. Mit einem Klimmzug schwang ichmich ins Innere, suchte einige Minuten undfand drei aufgerollte dünne Taue. Kunststoffmit einer dünnen Stahlsehne. Ich ging daran,in die Seile Knoten und Schlaufen zu knüp-fen und verband die drei Stücke miteinan-der. Dann vergewisserte ich mich, ob ich ge-nügend Vorräte bei mir hatte, nahm zweikleine Lampen aus der Halterungen und ver-ließ das Schiff wieder.

Ein Ende des ersten Seiles hatte ich amHaltegriff nahe der Notschleuse eingehakt,jetzt spulte ich das Tau hinter mir ab undzog es probeweise straff. Dann war ich andem Loch, drehte die beiden Taue von denTrommeln und warf sie locker nach unten.

Ich hakte den Sicherheitsverschluß derFangleine von meinem Anzuggurt, hefteteeine eingeschaltete Lampe mit dem Reflek-tor nach unten an meinen Gürtel und griffnach dem Tau. Langsam trat ich den Abstiegan, rutschte im schwarzen Staub, der in einerkleinen Lawine nach unten stob, dann hingich endlich frei und pendelte hin und her.

Der Strahl der kleinen Lampe verlor sichin der Finsternis. Ich suchte, bis die Spitzemeines Stiefels eine Schlaufe fand, behut-sam griff ich tiefer. Hin und wieder klinkteich den Haken in eine Schlaufe und schalte-te, mich drehend und pendelnd, die schwereLampe ein. Endlich sah ich unter mir denBoden. Ich befand mich in einer Höhle oderKammer, die nicht weniger als fünfzehnoder mehr Meter hoch war.

Etwa sieben Meter über dem Boden hingich, drehend und pendelnd. Der Abstieg warleicht, der Aufstieg würde es auch sein, dennmeine Muskeln hatten weniger als die Hälftemeines normalen Körpergewichts zu tragen.Ich kletterte die letzten Schlaufen hinunterund stand auf dem Boden. Wieder blitzte die

In den Klauen der Maahks 37

Page 38: In den Klauen der Maahks

Lampe auf und beleuchtete die Umgebung.Neben den Stellen, an denen zahllose Rinn-sale aus Staub und Sand kleine Hügel gebil-det hatten, schimmerte es auf. Ich ging dar-auf zu, bewegte die Hand mit dem Schein-werfer und erkannte ein Muster. Unglaub-lich komplizierte Mosaikarbeiten zeigtensich unter der Einwirkung des Lichtes. Glän-zende Metalle, geschliffene Steine in allenmöglichen Farben, Linien und stilisierte Bil-der.

Die Visionen waren also Wahrheit. Esgab doch eine Stadt in dieser Ebene, kom-mentierte der Logiksektor.

Langsam ging ich weiter. Ich fürchtetemich sogar, die Sohlen auf diese rätselhaftenFiguren zu setzen. Ich glaubte, Tierköpfe zusehen, heraldische Begriffe, Blätter undRanken. Silberne und goldene Schleifen bil-deten Muster.

Ich machte etwa hundert Schritte in eineRichtung, bis ich in dem dunklen Gewölbean eine Wand kam. Auch hier entdeckte ichDinge aus der Zeit, in der die Stadt gelebthatte. Prunkvolle Wandmalereien befandensich hier, farbensprühend und mit Metalleneingelegt. Fremdartige Tiere und unbekann-te Wesen schienen einmal miteinander zukämpfen, im nächsten Teil des Bildes aberin einer phantastischen Landschaft friedlichmiteinander zu verkehren.

Du kennst den Schlüssel nicht, sagte derExtrasinn. Du wirst die Bedeutung nichtfeststellen können.

Ich hatte ganz vergessen, daß ich nicht al-lein war.

Aber diese Entdeckungen hatten michderartig gefesselt, daß ich die Atemzüge unddas gemurmelte Selbstgespräch des Greküberhört hatte. Seine Worte und Wortfetzenwurden übersetzt. Er kletterte durch dasWrack des Schiffes und suchte Werkzeugeund Ersatzteile. Jetzt kauerte er vor demFunkgerät und hatte es wohl halbwegs aus-einandergenommen.

Unablässig murmelte und schimpfte er,dazwischen hörte ich die Laute der Anstren-gung. Ich überlegte kurz, ob ich mich ein-

schalten sollte, aber dann ließ ich es bleiben.Der weiße, stechende Kreis des Lichtes

bewegte sich in Schleifen und Ringen überdie hohe, breite Wand. Immer neue Bildertauchten auf, begannen zu leuchten und zuleben und sanken wieder in das Dunkel zu-rück. Sie wirkten plastisch, waren aber nichtwirklich dreidimensional. Immer phantasti-schere Szenen schoben sich vor meine Au-gen. Verwirrt blieb ich stehen, als ich nachetwa zwei Drittel der Wand einen Durch-gang vor mir hatte.

»Soll ich weitersuchen?« murmelte ich.Nein. Zu riskant. Die Decke kann einstür-

zen und dich lebendig begraben! warnte dasExtrahirn.

Das war ein Argument.Ich ging weiter, unschlüssig, was ich tun

sollte. Einerseits wußte ich, daß viele Ent-deckungen und Geheimnisse sich hier unterder Kruste versteckten, andererseits konnteich mich in diesem Labyrinth verirren. Wa-rum ich während der langen Tage imMaahkschiff gerade diese Stadt »geträumt«hatte, würde ich niemals erfahren. Ich ließden Ausgang aus diesem leeren Saal zurückund suchte weiter. Ununterbrochen sah ichneue Bilder, neue und immer phantastische-re Eindrücke. Und plötzlich rissen das Mur-meln und die Atemzüge in meinen Helm-lautsprechern ab, und die Stimme des Grekwar deutlich zu hören.

»Arkonide!«»Ich höre dich«, gab ich zurück.»Du mußt mir helfen. Wo bist du? Ich se-

he dich nicht?«Ich lachte kurz auf und erwiderte:»Ich habe ein Höhlensystem entdeckt.

Vielmehr einen Teil der unterirdischen Stadtdieses Mondes.«

»Uninteressant. Ich brauche Hilfe bei demFunkgerät.«

»Ich komme!« schloß ich.Ich drehte mich um und ging auf die Lam-

pe zu, die eingeschaltet neben dem Seilstand. Für mich hatte das Höhlensystem kei-ne lebensnotwendige Bedeutung, aber eswürde reizvoll sein, einmal mit einer großen

38 Hans Kneifel

Page 39: In den Klauen der Maahks

Truppe und dem entsprechenden Gerät hierzu landen und diese Kavernen zu erforschen.Ich kletterte langsam aus dem unterirdischenSaal hinaus, riß einige Kubikmeter Staubherunter und stand dann neben dem Krater.

Ich holte das Seil ein und ließ es nebendem Rettungsboot liegen. Ich hatte wenigVorstellungen, wie ich dem Maahk helfenkonnte, aber offensichtlich sah er eine Mög-lichkeit. Ohne Eile ging ich neben seinenSpuren auf das Wrack zu. Hin und wiederwarf ich einen Blick auf die Landschaft,starrte in die Sterne und vermochte noch im-mer keine bekannte Konstellation zu ent-decken. Ich wußte nicht im entferntesten, wowir uns befanden.

Vierzig Meter ungefähr vor dem Wrackblickte ich zufällig in die Richtung der Son-ne, die sich noch immer hinter den Bergenverbarg und nur mit ihrem obersten Rand zusehen war. Ich blinzelte, etwas geblendet,aber dann riß ich beide Hände hoch unddrehte mich halb herum.

Ein Stern hatte sich bewegt.Ich schirmte die Augen ab und blickte ge-

nauer hin. Tatsächlich. Ich schrak zusam-men: es war natürlich kein Stern, sondernein Schiff, das sich näherte. Noch war esnicht genau zu erkennen. Ich sagte alarmiert:

»Grek! Ein Schiff kommt! Richtung Son-ne, links davon, etwa dreißig Grad im Au-genblick!«

Er schrie auf.»Ein Maahkschiff?«»Keine Ahnung. Ich kann es nicht genau

erkennen«, versicherte ich wahrheitsgemäß.Er war erregt, darüber bestand kein Zweifel.Ich hörte es auch ohne den Translator.

Der glänzende Punkt beschrieb eine Kur-ve, denn er bremste nicht, dennoch kam ernäher und wurde deutlicher. Etwa zehn Se-kunden lang verfolgte ich die Flugbahn,dann erst erkannte ich die Form des Schif-fes.

Arkoniden! sagte der Extrasinn.Es war unzweifelhaft ein arkonidischer

Kreuzer. Das silberglänzende Kriegsschiffwurde jetzt abgebremst, flog schnell und

zielsicher in die Richtung des Wracks, desWracks des Arkon-Kreuzers natürlich, dorthielt es hoch über dem Mondboden an.

»Es ist ein arkonidisches Kriegsschiff,Grek!« sagte ich. »Das bedeutet Gefangen-schaft für dich.«

Jetzt brachen seine Furcht und seine Wutpanikartig aus.

»Nein!« tobte er. »Ich will nicht. Ich wer-de das Schiff abschießen! Ich will nicht indie Gefangenschaft, ich wehre mich …«

»Hören Sie auf! Sie haben keine Chancegegen die Schiffsgeschütze!« sagte ich, un-willkürlich wieder in diese Form der Anredezurückfallend. »Siebringen sich um, Grek!«

»Ich bringe die Arkoniden um! Alle!«schrie er.

Ich selbst wußte nicht, ob ich über das Er-scheinen des Schiffes besonders glücklichsein sollte. Zweifellos würden sie mich anBord nehmen und mir glauben, denn es gabniemanden, der mich kannte. Davon war ichjedenfalls überzeugt. Das Schiff bewegtesich wieder, blieb aber in achtungsvollemBodenabstand, überflog die Ebene und bliebüber dem Wrack des Maahkraumers stehen.

»Grek! Das Schiff ist über Ihnen! MachenSie keinen Blödsinn!« beschwor ich ihn.

Es wird nichts nützen. Er ist in Panik!Ich blieb stehen, eine winzige Gestalt in

der Ebene, zufällig geschützt durch einigekleine Felsen, aber mit einem Massedetektorspielend leicht auszumachen. Ich wartetedarauf, daß etwas geschah. Schließlich muß-ten die Männer in der Ortungszentrale auchdas Rettungsboot sehen.

»Ich bringe sie um!« schrie der Maahk.Er mußte eine schwere, tragbare Waffe in

den Trümmern seines Schiffes gefunden ha-ben, denn plötzlich sah ich einen dicken,weißglühenden Strahl aus dem Wrackschräg nach oben zucken. Der Maahk schoßmit einer Handwaffe nach einem Kriegs-schiff, das einen Durchmesser von rund ei-nem halben Kilometer hatte. Natürlich rich-tete er nichts aus.

»Hören Sie auf, Grek! Ein Schuß aus demSchiff, und Sie sind tot!«

In den Klauen der Maahks 39

Page 40: In den Klauen der Maahks

Durch die Lautsprecher hörte ich seineFlüche und sein Keuchen. Bis jetzt schien –was ich für unmöglich hielt – die Besatzungnichts von dem Beschuß gemerkt zu haben.Ich rechnete jede Sekunde mit einem Gegen-schlag. Sie wußten ja nicht, daß es ein ein-zelner, verzweifelter Maahk war, der vorAngst und Hysterie halb wahnsinnig war.

Ich stand da, unfähig, mich zu rühren.Das Schiff trieb jetzt langsam nach rechts.

Noch immer feuerte der Maahk seine lächer-lichen Feuerstrahlen ab, die wirkungslosverpufften. Ich sah keine Bewegung, aber inGedanken war ich im arkonidischen Schiff,und dort lief soeben die Maschinerie derZerstörung an.

Das Schiff wich abermals um ein paar Ki-lometer aus.

Noch immer schoß Grek wie ein Irrer;auch die Strahlen seiner Waffe folgten derBewegung des Kriegsschiffs.

Dann erschienen plötzlich und in schnel-ler Folge drei gewaltige Feuerbälle mitten indem ausgebrannten Stahlgeflecht desMaahkschiffs. Sie flammten auf, verwandel-ten sich in eine riesige Kugel, die zuerstweiß, dann sämtliche Farben des Spektrumshinunter bis rot glühten, schließlich sich auf-löste. Innerhalb von zwei Sekunden zerfetz-ten diese drei Treffer den Rest des Wracksvöllig.

In meinen Ohren gellte der letzte Schreides Methanatmers.

Ich schloß die geblendeten Augen, griffautomatisch zum Gürtel und schaltete meinFunkgerät auf die meisten gebräuchlicheFrequenz arkonidischer Schiffe. Dann sagteich erschöpft:

»Achtung! Hier spricht Vregh Brathon,Angehöriger des Schiffes der Arkoniden,das dort hinten als Wrack steht. Ich bin derletzte Überlebende. Ich bitte, an Bord ge-nommen zu werden.«

Ich wartete nur zwei Sekunden. Sichernicht länger. Dann sagte eine aufgeregteStimme:

»Wir hören Sie! Wo befinden Sie sich?Können Sie uns erklären, was hier vorgefal-

len ist?«»Ich kann alles erklären«, meinte ich lei-

se. »Sie finden mich neben dem zerstörtenRettungsboot, ziemlich genau in der Mitteder Ebene. Ich bin der letzte Überlebende.«

»Wir kommen! Wir schicken ein Bootherunter!«

Mein Extrasinn schaltete sich ein und sag-te scharf:

Ein gewagtes Spiel, Atlan. Spiele es gutund denke daran, deine Rolle perfekt auszu-füllen.

Ich konnte nicht genau analysieren, wa-rum ich mich schlecht fühlte und enttäuschtwar. Mein Schicksalsgenosse, mit dem ichnicht viel gemein hatte, war eben getötetworden. Eine unstabile und fragwürdigePartnerschaft hatte eine kurze Zeit lang be-standen. Nicht mehr. Aber auch nicht weni-ger. Ich hatte soeben begonnen, eine be-stimmte Rolle zu spielen, und ich mußtemich jetzt wieder auf mein Glück verlassen.Der Name, den ich genannt hatte, war einsehr häufiger arkonidischer Name. Ich muß-te mich so verhalten, als wäre ich nichts alsein einfacher, müder und halb verhungerterRaumfahrer. Ich sah zu, wie das Schiff sichnäherte und ein Boot ausschleuste. Als ichauf das demolierte Rettungsboot zustolperteund sicher sein konnte, daß sie mich gesehenhatten, stöhnte ich mehrmals auf und ließmich in den Staub fallen.

Dann retteten sie mich …

*

Gut so! Stelle dich tot! Du entgehst ersteinmal unbequemen Fragen, befahl der Lo-giksektor. Ich blieb regungslos liegen, dasGesicht im Staub. In den Lautsprechern hör-te ich die knappen Kommandos der kleinenBergungstruppe. Sie kamen heran, bliebenkurz stehen und hoben mich hoch.

»Armer Kerl. Muß knapp davongekom-men sein!«

»Die Maahks haben sein Schiff total ver-nichtet.«

»Er wird es uns erklären.«

40 Hans Kneifel

Page 41: In den Klauen der Maahks

»Verdammt! Bringt ihn erst einmal anBord!«

Sie trugen mich, nachdem sie mich umge-dreht hatten, zum Boot. Ich blickte in dieSterne und überlegte die nächsten Schrittemeines Überlebensplans. Langsam brachtensie mich ins Boot, legten mich dort auf dieLiege einer offenen Kabine und starteten. Esbereitete mir keinerlei Schwierigkeiten, wei-terhin den Entkräfteten zu spielen. Das Bootstartete und wurde weich in einem Hangardes Kriegsschiffs gelandet. Minuten späterkamen die Männer wieder, öffneten meinenRaumanzug und brachten mich ins Bordla-zarett. Ich sagte, als ich auf einem Bett saßund mich ein Roboter aus dem Raumanzugschälte:

»Es geht schon wieder, Freunde. Habt ihrwas zu trinken? Ich habe Hunger und Durst,mir zittern noch immer die Knie.«

»Begreiflich! Was ist mit dem Schiff ge-schehen?«

Ich senkte den Kopf und murmelte:»Sie haben sich gegenseitig vernichtet.

Ein Kommando war draußen, mit demMaahk. Und plötzlich schossen sie alle auf-einander. Mehr weiß ich auch nicht.«

Eine Robotuntersuchung schloß sich an.Die Maschinen schleppten mich in eineDuschkabine, ich erhielt Essen und ein Ge-tränk, das mich augenblicklich stärkte undauf die Beine brachte. Man stattete mich mitKleidung aus Bordvorräten aus, und schließ-lich erklärte der untersuchende Robot, daßich gesund, wenn auch etwas geschwächtund aufgeregt sei.

»Können wir ihn befragen?«»Selbstverständlich!« erklärte die Maschi-

ne. »Er braucht nur Ruhe.«Ich lehnte mich zurück. Die Männer des

Bergungskommandos blieben hier, dann ka-men einige Offiziere, und schließlich umgabein Kreis von etwa zwanzig Personen dasBett. Ich machte ein Gesicht, das meine Un-sicherheit und eine Portion Unbehagen aus-drückte.

»Sie sind Brathon? Vregh Brathon?« frag-te ein Off zier.

»Ja. Ich bin in der Schleusenmannschaft… ich war in der Schleusenmannschaft desWracks.«

»Wir haben einen dringenden Funksprucherhalten«, warf ein anderer Offizier ein,»und er riß plötzlich ab. Was ist passiert?«

Ich krümmte die Schultern nach vorn undbegann stockend zu berichten, was ich wuß-te. Was ich als Brathon wissen konnte. Eswar nicht viel.

»Zuerst bekamen wir Kontakt mit demKreuzer der Maahks. Dieser Platz dort untenwurde als Treffpunkt ausgemacht.«

Gut, bisher. Sie glauben dir!»Dann ging ein Team hinaus, mit dem

Maahk. Ich habe es durch die Visiphone ge-sehen. Sie nahmen einen Gleiter.«

»Dasselbe passierte mit demMaahkschiff?«

Ich nickte.»Ja. Sie trafen sich in der Mitte. Neben

dem Berg. Wir hörten teilweise mit, undplötzlich feuerte einer von uns in den Boden.Dann … es war so sinnlos. Sie schossen auf-einander, und dann schossen die Schiffsge-schütze.«

»Und was geschah weiter?«Ich zuckte die Schultern und breitete rat-

los die Hände aus.»Ich war beim Schleusenkommando. Wir

sollten den Gleiter einschleusen. Als die er-sten Schüsse einschlugen, mußten die Lan-debeine zerbrochen sein. Ich wurde hochge-hoben, über den Boden geschleudert und un-ter einem Gleiter eingeklemmt. Dort kamich kurz darauf zu mir.«

»Die Luke war offen?«Vorsicht! Erinnere dich richtig! tobte der

Extrasinn.»Ja. Sie war offen. Das Schiff wurde zer-

stört und rollte den Hang hinunter. Ich wur-de herausgeschleudert, das Schiff rollte so-zusagen über mich hinweg. Ich landete imStaub.«

»Was dann?«Ich schilderte ihnen, wie ich versucht hat-

te, mich in dem Schiff auf eine längereÜberlebenszeit einzurichten. Ab jetzt berich-

In den Klauen der Maahks 41

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tete ich die nachkontrollierbare Wahrheit.Ich erzählte vom Kampf mit dem Maahk,von unserer brüchigen Partnerschaft, vomStartversuch und der Notlandung. Bis zu derStelle, an der ich während Greks Reparatur-versuch das Schiff gesehen hatte.

Ich schloß:»Zweifellos sind Maahkschiffe hierher

unterwegs. Sie wurden ebenso alarmiert wieSie. Und wenn ich den Maahk richtig ver-standen habe, kommt ein kleiner Flottenver-band der Methanatmer.«

Ich nickte mehrmals und zeigte dann star-ke Zeichen von Schwäche und Müdigkeit.An den Vibrationen merkte ich, daß sich dasKriegsschiff langsam von dem geheimnis-vollen Mond entfernte. Ich hatte sie offen-sichtlich überzeugt, denn ein Offizier schobsich durch den Ring der Zuhörer und sagtelangsam:

»Schlafen Sie sich erst einmal aus, Bra-thon. Dann sehen wir weiter. Jedenfallskommen Sie jetzt nicht mehr in die Gefan-genschaft der Methanbestien.«

»Danke«, sagte ich. »Ich habe Ruhe nö-tig.«

Langsam leerte sich der Raum. Die Robo-ter und ein Arzt versorgten mich, und ichlegte mich hin und deckte mich zu. Ich sch-lief nicht, keineswegs, aber ich mußte meineneue Lage richtig durchdenken.

Bisher hatte ich es geschafft. Ich war aufdem Weg zu irgendeinem Arkonplanetenund vorläufig in Sicherheit. Aber ich rechne-te damit, in ganz kurzer Zeit von der Besat-zung in schwierige Lagen gebracht zu wer-den; vermutlich kannten sie einige der Arko-niden, die zur Mannschaft des Wracks ge-hört hatten. Ich kannte sie nicht.

Für diesen Zweck gibt es ein einfachesVerfahren, das dir Fartuloon beigebrachthat, erklärte der Logiksektor.

Die schwierigste Frage würden sie mirnoch stellen. Das war sicher.

*

Kurze Zeit später heulte der erste Alarm

durch das Schiff. Ein Lautsprecher schrieimmer wieder:

»Ein Flottenverband der Maahks! Siegreifen an! Ein Flottenverband …«

Einen Raumanzug! Zur Sicherheit! befahlder Extrasinn.

Ich stand auf, suchte nach den charakteri-stischen Einbauschränken und zerrte einenAnzug hervor, der mir paßte. Meinen mitge-nommenen Raumanzug hatten die Robotermit sich genommen, um ihn zu reinigen. DieBefehle quollen in schneller Folge aus denLautsprechern, überall rannten Männer anihre Stationen.

»Sie waren fast zu schnell, die Maahks!«murmelte ich, während ich mich umzog. Eshätte ebensogut sein können, daß zuerst dieSchiffe der Methanatmer landeten. Etwazwei oder zweieinhalb Stunden waren seildem letzten Feuergefecht auf dem Mondvergangen.

Angriff.Ich schaltete beide Interkome ein und be-

trachtete die Bilder, die dort ständig wech-selten. Mindestens fünf Schiffe kamen vonallen Seiten auf unser Schiff zu und feuer-ten. Die Schutzschirme wurden eingeschal-tet und neutralisierten die ersten Treffer. DieGeschwindigkeit des Arkonraumers nahmzu. Eine aussichtslose Lage, fand ich, undwieder wurde ich unruhig. Dann erschütter-ten die ersten Abschüsse unserer Geschütztden Raumer.

Was sollte ich tun? Einen Schleusenspe-zialisten brachten sie jetzt sicher auf keinenFall.

Warte ab!Ich setzte mich auf ein Bett, von dem aus

ich beide Schirme gleich gut betrachtenkonnte. Die Schiffe der Maahks griffen miteiner todesverachtenden Wut an und schie-nen uns keine Chance zu lassen. Aber unsereGeschwindigkeit war höher, und unsere Of-fiziere in den Feuerleitzentralen schossenbesser.

Während unser Schiff einen Fluchtkurseinschlug, wehrte es sich verbissen und li-stenreich. In einer Flugbahn, die einer unre-

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gelmäßigen Spirale glich, raste der Raumerdurch das All, weg von der Sonne und demMond, den ich auf den Schirmen nicht mehrentdecken konnte. Mit ihm schwebten dieGeheimnisse der versunkenen Stadt zurückin die Weite des Weltraums. Die Strahlen-bahnen kreuzten sich, die Feuerbälle der De-tonationen schlugen gegen das Schiff undverglühten in der Schwärze des Alls. EinMaahkschiff drehte ab; es hatte einenschweren Treffer erhalten. Dann erschütter-ten zwei Einschläge unser Schiff. Wiederschrillten die Alarmklingeln.

»Maschinenraum abschotten.Treffer im Umsetzer!« schrie jemand.Wieder hörte ich rennende Füße außer-

halb des kleinen, weißen Raumes. Das Lichtbegann zu flackern und brannte mit niedri-gerem Wert weiter. Wieder traf ein harterSchlag das Schiff. Über die Bildschirmetanzten Funken und farbige Linien. »Trefferim Laderaum Vier!« Die Maschinen arbeite-ten mit höchster Kraft. Ich wurde unange-nehm an unseren Fluchtversuch vom Monderinnert. Aber dann heulte draußen ein Laut-sprecher auf, und zwischen den einzelnenkrauenden und knisternden Störungen sagteeine kalte, leidenschaftslose Stimme:

»Achtung … Transition … Minuten.«Ich schüttelte den Kopf. Wieder konnte

ich sehen, wie einer der Maahkraumer ab-drehte und im Zickzack flüchtete. Ein Teilder Hülle war aufgerissen, hinter dem riesi-gen Loch konnte ich Flammen und Raucherkennen. Ununterbrochen feuerten nun un-sere Geschütze. Vermutlich legten sie einenSperriegel zwischen die Verfolger und dasflüchtende Schiff. Endlich schwenkten dieLinsen herum und zeigten dieses Bild. Esstimmte: wir flüchteten mit höchster Be-schleunigung, und die meisten Geschützeund Projektoren feuerten riesige Entladun-gen nicht nur auf die feindlichen Schiffe ab,sondern auch in die Flugbahn der Verfolger.Und schließlich erfaßte mich der Schock desTransitionssprungs. Ich sank über dem Bettzusammen und wußte, daß wieder eine Ge-fahr überstanden war.

7.

Nur Ruhe! Sie sind keineswegs mißtrau-isch! flüsterte eindringlich der Extrasinn.

Es war etwa einen Tag später. Die Kom-mandos versuchten, die Schäden zu behe-ben, aber der Kreuzer raste weiter. Ich hatteinzwischen erfahren, daß Trantagossa unserZiel war.

Ich hatte den Mann nicht weiter gefragt,um meine Unkenntnis nicht zu verraten. Je-denfalls war ich nun auch in den GroßenMethankrieg verwickelt worden. Jetzt standich in der Kabine des Kommandanten. Ersaß hinter der Schreibplatte, und neben ihmbefanden sich drei Offiziere mit harten Ge-sichtern.

»Wie fühlen Sie sich, Brathon?« eröffneteder Kommandant die Unterhaltung. Er warein massiger Mann mit kurzem Haar und ei-nem kantigen Gesicht voller Falten.

»Danke. Inzwischen ausgezeichnet!« er-widerte ich. »Sie haben mich holen lassen?«

Er hob einige Notizen vom Tisch auf, sahsie kurz an und hob den Blick. Er mustertemich schweigend. Seine Stimme war ruhigwie seine Augen.

»Wir haben noch einige Fragen an Sie,Vregh Brathon!«

Ich blieb ruhig und entgegnete:»Was ich weiß, werde ich gern aussagen,

Kommandant.«Er lehnte sich weit zurück, betrachtete

seine Fingerspitzen und fragte dann:»Wir standen mit dem verlorenen Schiff

in Verbindung. Der Kommandant sagte, daßer einen gefangenen Maahk habe und ihngegen einen wichtigen Arkoniden austau-schen wollte.«

»Sir, ich muß korrigieren«, warf ich ein.»Wir wußten nicht, wer der wichtige Arko-nide war. Die Maahks sagten, daß er ihnenberichtet habe, er sei wichtig. Ich habe ihnnicht gesehen, und ehe wir ihn in Händenhatten, begann die unheilvolle Schießerei.«

»Sie wissen seinen Namen nicht?«»Nein«, sagte ich fest.

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»Dieser Maahk, mit dem Sie zusammendas Rettungsboot freigemacht haben – erwußte auch nichts?«

»Nein. Wie schon gesagt, er hatte einenarkonidischen Translator, sonst hätten wiruns überhaupt nicht verständigen können. Erwar der Gefangene von uns. Er befand sichoffensichtlich abseits der Gruppe und wurdevon den Schüssen nicht getroffen. Alles an-dere habe ich bereits berichtet.«

Einer der Offiziere hob die Hand undknurrte:

»Warum hat der Offizier, unser Offizier,mit dem Schießen angefangen?«

»Ich weiß es wirklich nicht. Die Mann-schaften hörten die Unterhaltung der beidenGruppe nicht mit. Und ich fand in der Zen-trale des Wracks keine Aufzeichnung. Dasheißt, ich konnte kein Gerät finden, das nochfunktionierte. Außerdem bin ich nicht quali-fiziert genug, um in der Zentrale die Gerätebedienen zu können.«

Fartuloon ist ein guter Lehrer, bemerkteder Logiksektor.

»Sie können uns also nichts mehr über diePerson des gefangenen Arkoniden sagen,Brathon?«

»Nein, Kommandant!« sagte ich.Die Männer sahen sich an. Sie mißtrauten

mir nicht, das erkannte ich. Aber ich ent-spannte mich nicht und versuchte, meineRolle so gut wie möglich weiterzuspielen.Ich blieb stehen und wartete. Nach einerWeile fragte ich halblaut:

»Sir?«»Ja?« Der Kommandant blickte mich

nicht unfreundlich an.»Darf ich eine Frage stellen?«»Ja, natürlich.«»Wie lange werden wir auf Trantagossa

bleiben?«»Nun, im Augenblick kann ich das nicht

genau sagen. Auf diesem Flottenstützpunktwird versucht werden, unser Schiff soschnell wie möglich instand zu setzen. Daskann bedeuten, daß die Mannschaft freieZeit erhält, aber auch, daß sie auf andereSchiffe verteilt wird oder ein anderes Kom-

mando erhält. Warum fragen Sie?«Ich versuchte ein schüchternes Lächeln.»Private Interessen, Kommandant.«»Ich weiß es nicht. Sie erfahren es recht-

zeitig, wie alle anderen auch. Danke, Bra-thon, wir brauchen Sie nicht mehr. FühlenSie sich dienstfähig?«

»Ohne weiteres«, sagte ich mit genau dergeringen Menge an Begeisterung, die eineinfaches Mannschaftsmitglied aufbrachte,wenn es Arbeit witterte. Die Männer vor mirgrinsten verständnisvoll.

»Melden Sie sich bei Varltan, Deck Sie-ben. Er wird Ihnen eine Kabine und Arbeitin der Schleuse anweisen.«

»Danke, Sir.«Ich verließ den Raum und befragte in ei-

nem leeren Raum den Schiffscomputer. Icherfuhr alles über Trantagossa, was ich nochnicht wußte, und als ich so schnell wie mög-lich die Auskünfte gelesen hatte, wußte ich,daß mich der Weg genau dorthin führte, woich unter keinen Umständen hätte landenwollen.

Trantagossa war einer der größten Flot-tenstützpunkte der Arkoniden. Dort wim-melte es von Leuten, die mich erkennenwürden. Jedenfalls war ich, kaum dort ge-landet, schon wieder auf der Flucht, würdemich verstellen und verstecken müssen. Dersicherste Platz war im Augenblick diesesSchiff, und als ich in der Messe erfuhr, daßwir noch drei Tage zu fliegen hatten, be-schloß ich, die Zeit zu nutzen. Hier kümmer-te sich niemand mehr um meine Identität.Aber im Stützpunkt würde eine Untersu-chung stattfinden, der meine Maske keines-wegs gewachsen war. Und von dort bis zuOrbanaschol war es dann nur noch ein kurz-er Weg. Ein kurzer Weg in den Tod.

*

Ich benutzte alle Möglichkeiten an Bord,um mein Wissen aufzufrischen und meinenKörper in Form zu halten. Ich versuchte,nicht aufzufallen. Niemand hatte mich er-kannt, ich war anscheinend sicher. Aber

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schon einen Tag später begann meine Ner-vosität stärker zu werden, meine Unruhewuchs. Trantagossa näherte sich mit jederMinute.

Einen Tag vor der Landung vermindertedas Schiff völlig unerwartet seine Fahrt.Kurz darauf informierte die Zentrale dieSchiffsbesatzung.

»Wir haben Kontakt mit einem Flotten-verband unserer Schiffe. Wir erwarten denBesuch einer Inspektion.«

Das kann dir gelten, sagte der Logiksek-tor.

Wir sahen auf den Schirmen drei riesigeSchiffe, die sich näherten. Die Geschwindig-keiten wurden angeglichen, ein Beiboot lös-te sich, und dann kam der Befehl, eineSchleuse vorzubereiten. Sechs höchste Offi-ziere würden uns besuchen. Ich sah zu, wiedas Boot eingeschleust wurde, und jetztwurde das Warten zur echten Qual. Die In-spektion konnte Gründe haben, die mich ab-solut nichts angingen, aber mit einigerWahrscheinlichkeit ging es noch immer umdie Person des hohen Arkoniden, den manhatte austauschen wollen. Ein solcher Vor-gang schien im Großen Methankrieg eineziemliche Seltenheit darzustellen.

Ich wartete und machte mich bereit, dieGeschichte abermals zu erzählen und dabeikeinen Fehler zu machen.

Dann sah ich die Abordnung, die an Bordgekommen war.

Fünf Männer in prächtigen Uniformen,vor denen eine ungewöhnlich junge und sehrgut aussehende Frau neben unserem Kom-mandanten den kurzen Weg zur Zentraleging. Sie alle sahen so aus, als trügen sieStaatsgeheimnisse mit sich.

Vermutlich geht es um den Offizier, sagteder Logiksektor.

Ich wartete in meiner winzigen Kabine.Seit einer Stunde hatte ich keinen Dienstmehr. Ein deutliches Gefühl zwischen Ner-venanspannung und reiner Angst sagte mir,daß ich der Grund dieses Aufenthaltes imfreien Raum war. Sicher waren sie nicht we-gen des einzigen Zeugen der Katastrophe

gleich mit drei Riesenschiffen gekommen,aber wegen des gleichen Grundes hatten siezumindest ihren Flug unterbrochen. Ich warbereit; ich rechnete damit, festgenommenund weggeschleppt zu werden. Merkwürdig– im Augenblick berührte es mich nicht son-derlich. Offensichtlich hatte ich einen Punkterreicht, an dem mich nichts mehr wirklichtraf. Oder war ich nur deswegen so kühl undrelativ unbeteiligt, weil ich ahnte, daß ichauch hier einen Ausweg finden konnte? Ichwußte es nicht. Etwa eine halbe Stunde ver-ging, dann wurde das Schott meiner Kabineaufgerissen.

Zwei bewaffnete Mannschaftsmitgliederstanden auf dem Korridor.

»Brathon! Sie sollen in die Zentrale kom-men. Kommandant Zaroia will Sie unbe-dingt sehen.«

»Meinetwegen«, murmelte ich und folgteihnen. Ich besaß nichts, aber absolut nichts,was ich hätte mitnehmen können. Wir be-wegten uns schnell in die Richtung der Zen-trale. Als ich mich auf dem Hauptkorridorbefand, fragte ich mürrisch:

»Was soll das eigentlich? Warum lassensie mich kommen?«

»Keine Ahnung«, war die knappe Ant-wort. »Wir wissen es auch nicht. Vermutlichist da einiges unklar.«

Ich lachte sarkastisch.»Da ist eine Menge unklar, jedenfalls für

meinen schwachen Verstand.«Wir traten ein. Abseits des Zentrums,

rund um einen versenkbaren Tisch, saßendie Gäste aus dem Riesenschiff. Die jungeFrau wandte mir den Rücken zu. Der Kom-mandant unseres Schiffes stand auf, winktemeine beiden Bewacher zurück und deuteteauf einen Platz vor ihm. Ich blieb stehen, alsich den offenen Sitzkreis erreicht hatte.

»Kommandant?« fragte ich höflich undsetzte wieder mein verwirrtes Gesicht auf.Ich betrachtete die fremden Offiziere. Siewirkten alle sehr bedeutend. Nur die jungeFrau nicht; sie betrachtete mich mit einerMischung aus Interesse, Spott und Neugier-de. Sie war sicher nicht älter als ich. Und

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sehr schön. Sie saß völlig entspannt und imGefühl ihrer Schönheit und ihrer Bedeutungin dem schweren Sessel und sah mich an.

»Sie sind also Brathon, der einzige Au-genzeuge?« fragte sie. Ihre Stimme war lei-se, aber durchdringend. Sie benutzte sie wieein Virtuose ein Instrument.

»Jawohl, Kommandant. Vregh Brathon!«sagte ich etwas linkisch.

Ein deutliches Gefühl sagte mir, daßZaroia mißtrauisch war. Sie lächelte michan, und sicher bildete ich mir nicht ein, daßschwaches weibliches Interesse in ihren Au-gen zu erkennen war.

»Sie sind angeblich Spezialist für mecha-nische Teile in Schiffsschleusen, Brathon?«erkundigte sie sich. »Sie machen den Ein-druck, als wären Sie alles andere als nur eineinfaches Mannschaftsmitglied.«

Ich zuckte die Schultern und sah an mirherunter, dann machte ich eine Bewegung,die andeuten sollte, daß ich hier in Bordklei-dung dastand, über keinerlei Besitz und si-cher nicht über hervorragende Ausbildungverfügte. Ich überlegte mir eine passendeAntwort.

»Sprechen Sie!« sagte sie und zwinkertemir zu. Ich stotterte verwirrt:

»Ich bin, was ich bin. Nicht mehr. Ichglaube, Sie irren sich, Kommandant.«

»Ich irre mich selten. Sie haben alles ge-sehen? Sie können uns genau berichten, wasauf dem neutralen Mond geschehen ist?«

Ich erklärte unschlüssig:»Alles, was ich weiß, habe ich bereits un-

serem Kommandanten gesagt und den Offi-zieren. Es ist ein Zufall, daß ich noch amLeben bin. Alle anderen sind tot.«

»Und das wissen Sie genau?«»Ich hatte genügend Zeit, um nach Über-

lebenden zu suchen. Ich fand nur Leichen imSchutzanzug oder ohne. Und einen lebendenMaahk.«

Zaroia blickte mich so an, wie es Mäd-chen oder Frauen tun, wenn sie daran inter-essiert sind, daß ich ihnen versichere, sie be-gehrenswert, schön und reizvoll zu finden.Nicht anders. Ich war diesmal mißtrauisch,

aber an den verwunderten Gesichtern dersechs anderen Männer in diesem Kreis sahich, daß auch sie es gemerkt hatten. Lang-sam stand Zaroia auf und kam in meineRichtung. Sie blieb auf Armeslänge vor mirstehen und blickte mir tief in die Augen.

»Ich habe keinerlei Beweise, meine Her-ren«, sagte sie, und ich glaubte mich verhörtzu haben, »aber dieser Mann scheint mir al-les andere als ein einfacher Raumfahrer zusein. Wie gesagt: keine Beweise. Aber ichwäre nicht Zaroia, wenn ich es nicht heraus-finden würde. Haben Sie etwas, das Sie mit-nehmen müßten, Brathon?«

Diesmal war meine Verwirrung echt.Sie glaubt dir nicht. Bereite dich auf ein

gefährliches Spiel vor!»Mitnehmen? Was? Wohin?« fragte ich

stockend.»Auf mein Schiff. Ich habe es eilig, und

dort kann ich mich um diesen jungen Mannkümmern. Außerdem enthebe ich Sie, Kom-mandant, Ihrer Verantwortung. Er ist zumin-dest als Zeuge wichtig.«

Unser Kommandant stand auf und nickteunsicher.

»Ich habe keinerlei Bedenken. NehmenSie Brathon mit, und ich melde den Vorfallordnungsgemäß weiter.«

Zaroia und der Kommandant verständig-ten sich mit einem Kopfnicken. Die jungeFrau sah auf die Uhr und schloß dann:

»Wir müssen weiter. Ich habe einen wich-tigen Auftrag, und ich kann beides miteinan-der verbinden. Die Angelegenheit mit die-sem wichtigen Tauschobjekt wird immermysteriöser. Kommen Sie, mein jungerFreund.«

Einer der Offiziere fügte hinzu:»Sie brauchen keinen Schutzanzug.«»Jawohl!«Ich verabschiedete mich von dem Kom-

mandanten. Selbst jetzt versuchte ich, meineRolle so perfekt wie möglich zu spielen. Ichtrottete verwirrt und unsicher hinter den Of-fizieren und der Gruppe der Ordonnanzenher, blieb in der Polschleuse des Verbin-dungsbootes stehen und stieß mit einem

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Raumfahrer zusammen, der mich anbrüllte.Dann schloß sich die Schleuse, das Bootwurde gestartet und schwebte hinüber zuden großen Schiffen. Noch während wir unsin der Schleuse befanden, nahmen die Schif-fe Fahrt auf und rasten davon.

Bisher hatte ich noch einigermaßen ge-ahnt, was mich erwartete. Jetzt aber hattesich alles geändert. Ich wußte nichts mehr.Ich war wirklich verwirrt und unsicher.

8.

Ich blieb neben dem farbig gepolstertenInnenteil des großen Schotts stehen und sahmich in der luxuriösen Kabine um. Sie warnicht sehr groß, aber gegenüber allen ande-ren Schiffskabinen geradezu verschwende-risch eingerichtet. Edle Hölzer, Bilder, einegenau abgestufte Beleuchtung und unge-wöhnlich viele Stoffe. Zwischen zwei Ses-seln stand ein niedriger Tisch, auf dessenPlatte ich das runde Brett eines Quarny-Spie-les sah. Ich kannte dieses Spiel.

Ich stand da und sah zu, wie Zaroia durchden Raum ging, eine Tür aufrollen ließ undin einem anderen Raum verschwand. Ver-mutlich wollte sie mich allein lassen und zueiner untypischen Reaktion verleiten. Ichwar auf der Hut.

Eine ziemlich lange Zeit verging. Ich war-tete scheinbar geduldig. Ich war bereit, ihrenPlan – falls sie einen besaß, und ich zweifel-te nicht daran – zu durchkreuzen.

Die Tür rollte auf. Zaroia kam zurück,aber sie hatte sich umgezogen und trugeinen Anzug, der aus dünnen, kostbaren Fel-len gefertigt war und ihre aufregende Figurherausfordernd betonte. Langsam ging sieüber die dicken Teppiche auf mich zu. IhrParfüm roch verheißungsvoll. Schweigendbetrachtete sie mich, aber ich wurde nichtverlegen. Noch nicht.

»Sie sind ein außergewöhnlicher Bursche,Vregh!« sagte sie leise. »Und das wissen Siegenau, nicht wahr?«

Ich versteckte meine Hände hinter mei-nem Rücken und lehnte mich leicht gegen

die Täfelung. Lächelnd und verführerischstand die junge Frau vor mir.

»Ich … ich weiß nicht, wie Sie das mei-nen, Kommandant!« erwiderte ich linkisch.»Ich weiß überhaupt nicht, was ich hiersoll!«

Sie hatte ihr Haar, das sie noch vor weni-gen Minuten straff an den Kopf gekämmtgetragen hatte, geöffnet. Es fiel bis auf dieSchultern. Sie lächelte und tippte mir mitzwei Fingern gegen die Brust.

»Möchten Sie etwas trinken? Dort drüben– holen Sie sich, was Sie mögen. Für mich…«, sie nannte eine exotische Mischung, dieich natürlich kannte. Ich grinste innerlichund sagte:

»Aber … im Dienst. Und das, was Sie be-fohlen haben, bitte, was ist das, Komman-dant?«

Jetzt musterte sie mich mit einem nieder-trächtigen Lächeln. Sie winkte mit dem Zei-gefinger. Ich löste mich von der Wand undfolgte ihr zu einer eingebauten Bar, in dersich mindestens fünfzig Flaschen befanden.Die meisten waren nicht angebrochen.

»Was möchten Sie, Vregh?«Ich zuckte die Schultern.»Ein Bier«, sagte ich. »Nur ein Bier. Ich

war noch nie in einer solchen Kabine.«Sie blickte mich ungläubig an und stellte

zwei Flaschen auf die Ablage. Der Robotschob zwei eiskalte Gläser aus dem Vorrats-fach, die augenblicklich beschlugen. Zaroiagoß aus zwei verschiedenen Flaschen dieGläser halb voll, dann gab sie mir eines. Sierichtete es so ein, daß sich unsere Finger be-rührten.

»Sie können nicht annähernd so primitivsein und hier ein Bier verlangen! Geben SieIhre Maskerade auf, setzen Sie sich. Dort-hin. Das ist mein Platz.«

Ich hob das Glas, verschüttete absichtlichein paar Tropfen und stolperte zum Sessel.Zwischen uns stand jetzt das Spiel. Derjeni-ge, der hier spielte, wo ich saß, würde nachetwa elf Zügen den anderen besiegen. Erhatte eben eine exotische Zugvariante einge-leitet. Fartuloon hätte der Gegner sein kön-

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nen. Ich fiel in den Sessel, der leicht zuschaukeln begann. Ich trank einen Schluckund stellte das Glas ab.

»Maskerade? Was meinen Sie mit Maske-rade?« fragte ich. »Ich weiß nicht …«

Sie winkte ab.»Sie können vielleicht ein Raumschiff

voller Männer hinters Licht führen. Was Siedenen erzählt haben, stimmt sicher – bis aufeinen Punkt. Ich habe für besondere Männerein ziemlich gutes Gespür, sonst wäre ichheute nicht hier.«

Sie hat dieses Gespür hiermit bewiesen,sagte der Extrasinn.

»Ich verstehe nicht, Kommandant …!«Sie strahlte mich an, nippte an ihrem Glas

und strich in einer aufreizenden Bewegungdas Haar zurück.

»Sie sind etwas ganz Besonderes, Raum-fahrer«, sagte sie leise. »Sie sind genau derTyp Mann, in den sich Mädchen wie ichverlieben müssen. Fast nur aus diesemGrund habe ich Sie hierher geholt. Übrigens– ich bin Zaroia.«

Wieder eine Falle?Ich wand mich im Sessel und versuchte,

eine Antwort zu geben, die meiner Rolleentsprach.

»Kommandant … eh, Zaroia, ich bin eineinfacher Arkonide, und Sie sind Komman-dant … ich glaube Ihnen nicht. Was hättenSie von mir?«

»Was seit Anfang der Geschichte alleFrauen sich von allen Männern erwarten«,sagte sie und hob das Glas. »Du trinkstnicht?«

Ich griff verwirrt nach dem bernsteinfar-benen Getränk, das ein ausgezeichneter,mindestens ein Jahrzehnt alter Frucht-schnaps war. Er wurde teuer gehandelt undgalt als das Getränk der oberen Klassen.

»Das ist kein Bier«, sagte ich.Sie starrte mich wild an, dann schluckte

sie, schließlich begann sie laut zu lachen.Das Lachen war überaus echt und herzlich.Sie trank wieder einen langen Schluck undstand dann auf, noch immer lachend.

»Du übertreibst, mein Kleiner«, sagte sie

und zog mich aus dem Sessel hoch. »Du bistabsolut überperfekt. Eine solche Antworthätte ein primitiver Schleusenmann gege-ben, aber gerade deswegen bin ich über-zeugt, daß du keiner bist. Was soll's – ichhabe noch etwas Zeit, mich mit dir zu be-schäftigen.

Bin ich so häßlich, Vregh?«Ich schüttelte den Kopf.»Keineswegs, Zaroia. Aber ich bin nur ein

einfacher …«Sie legte ihre Arme auf meine Schultern

und faltete die Hände hinter meinemNacken. Zaroia war in hohen Absätzen fastso groß wie ich, und ihre Augen und ihreLippen kamen immer näher. Ihr Blick wirktefast magisch, aber ich war keineswegs echtverwirrt. Sie war nicht die erste Frau, die ichküßte, und sie würde mich nur dann verfüh-ren können, wenn ich es wirklich zuließ.

»Niemand soll sagen«, hauchte sie anmeinem Ohr, »daß ich keine deutliche Einla-dung ausgesprochen habe. Außerdem habeich Sinn für Qualität!«

Dann küßte sie mich.Sie küßte mich mit heißen Lippen und mit

ihrem Körper. Zuerst war ich, wie es meineRolle vorschrieb, abwartend und zurückhal-tend, dann ließ ich mich hinreißen und muß-te fühlen, daß sie so heißblütig war, wie sieaussah. Wir standen in der Mitte des Raum-es, unsere Körper verschmolzen miteinan-der, und unbestimmte Zeit verging. Schließ-lich löste sich Zaroia und ging vier Schrittezurück. Sie ließ mich stehen, nahm ihr Glashoch und fragte mit völlig veränderter Stim-me:

»Wer bist du wirklich? Der Name ist si-cherlich auch nicht echt.«

Eine Falle? Es ist nicht sicher, sagte derExtrasinn. Ich blieb hartnäckig und murmel-te atemlos:

»Ich bin Vregh. Der Name ist mein Na-me!«

Sie sah mich an, als ob sie Maß für dieHenkersschlinge nehmen wollte. Ihr Lächelnwar ausgesprochen kalt und kühl, trotzdemwar es diesmal ihre Maske. Denn sie hatte

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mich nicht wie eine professionelle Verführe-rin geküßt, sondern wie ein Mädchen, dasLiebe und Zärtlichkeit brauchte. Aber wirbeide schienen ebenso wie die schweren Zy-linder dort drüben Figuren in einem wichti-gen Spiel zu sein.

»Ich bin Zaroia aus der Familie Kentigmi-lan. Kein einziger aller einfachen Raumfah-rer Arkons hätte es riskiert, mich zu küssen.Es sind deswegen schon viele Männer ge-storben. Also bist du kein einfacher Raum-fahrer. Ich nehme an, jetzt ist unser Spielvorbei.«

Ich überlegte rasend schnell, dann lächelteich kurz und sagte:

»Du hast recht. Ich bin kein einfacherRaumfahrer. Aber wenn ich dies sage, dannist es schon fast vollzogener Selbstmord.«

»Warum?«»Weil ich in einem Auftrag unterwegs

bin, der über das Schicksal von einer ganzenHandvoll Planeten entscheidet. Niemanddarf etwas wissen. Ich habe mich dir ausge-liefert. Wenn du den Mund aufmachst, ster-be ich. Aber mit mir sterben einige Welten.«

Jetzt blickten wir uns offen in die Augen.Ich mußte mir selbst gestehen, daß ich frohwar, nicht mehr weiterspielen zu müssen.Wenigstens nicht in diesem Raum, und nichtdiese Rolle. Ich schnippte mit den Fingern,ging zur Bar und wählte ein anderes Glas.Das richtige Glas zu dem anerkannt teuer-sten und besten Alkohol, den ich hier findenkonnte. Ich kam zurück; es war, als wärendie Masken von uns beiden abgefallen wiesteife Mäntel.

»Du bist der Offizier, den die Maahks ein-getauscht haben?«

»Ja«, sagte ich. »Die Bar ist ausgezeich-net sortiert. Auf deine Schönheit, und aufdeinen langen, erinnerungswürdigen Kuß.Ja, ich bin jener Mann. Alles andere überdiese Aktion auf dem Satelliten ist die reineWahrheit. Ich lebe noch, weil ich viel zuvielGlück hatte.«

»Kann ich dir glauben?« fragte sie zwei-felnd. Sie sah mich an, bewegte sich aberzur Bar. Ich stand auf, nahm ihr das Glas aus

der Hand und schenkte nach. Jetzt warenauch meine Bewegungen nicht mehr die ei-nes linkischen Raummatrosen, sondern dieeines Mannes, der die schwersten Prüfungenhinter sich hatte, die ein Arkonide bestehenkonnte.

»Du solltest mir glauben«, erklärte ich ru-hig, in gänzlich anderem Tonfall. Meineneue Selbstsicherheit schien sie zu irritieren;würde sie mir auch glauben können? »Wennich sterbe, dann ist der Schaden gering, ab-gesehen von meiner eigenen Einstellung.Dann stirbt nur einer. Aber wenn meineMission mißlingt, dann sterben Milliarden.Es geht nicht gerade um Lappalien, Zaroia.Du als Kentigmilan solltest die Bedeutungkennen.«

Sie schwieg, schaute mich an, trank lang-sam, dann begann sie eine Wanderung durchihre Kabine und blieb neben dem Sessel ste-hen.

»Also war meine Ahnung doch richtig«,erklärte sie und lächelte. »Ich weiß auchjetzt nicht, was mich an dir faszinierte, aberes war etwas. Und noch immer weiß ichnicht, ob ich dich melden oder ob ichschweigen soll.«

Ich hob die Schultern an und sagte ruhig:»Ich kann dich zu nichts zwingen, aber

ich weiß, daß Arkon mehr damit gedient ist,wenn niemand weiß, wer ich bin und wasich zu tun habe. Immerhin habe ich die hal-be Mission bereits überlebt.«

Sie überlegte noch immer, und sie würdenoch überlegen, wenn ich schon längst vonBord war, auf welchem Weg auch immer.Schließlich fragte sie leise, fast behutsam:

»Du mußt nach Trantagossa?«»Ich muß nicht, aber es ist ein guter Platz

für mich.«»Ich werde dir einen wichtigen Brief mit-

geben. Wir kommen nahe an Trantagossavorbei. Du wirst ein Boot bekommen unddort landen, während wir weiterfliegen. Ein-verstanden?«

»Natürlich«, sagte ich. »Ich schlage michschon durch.«

»Mit meinem Brief an den Kommandeur

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des Stützpunktes wirst du dich nicht durch-zuschlagen brauchen. Wir haben noch einenhalben Tag Zeit.«

Sie deutete auf das Spiel.»Ich bin verwirrt. Ich muß mich ablenken

– spielst du weiter?«Ich schüttelte den Kopf und sagte beiläu-

fig:»Wenn ich von hier aus spiele, also mit

Rot, dann schlage ich dich in elf Zügen mitder Königsmörder-Variante. Wir brauchenerst gar nicht anzufangen. Es gibt angeneh-mere Ablenkungen.«

Zaroia hob den Kopf und blickte michprüfend an. Jetzt war sie verwirrt und über-rascht. Ich hingegen war meiner Sacheziemlich sicher und erklärte, während ich ihrdas Glas aus der Hand nahm und sie an michzog:

»Nun, da du und ich wissen, daß ich keinlebensgefährliches Risiko eingehe, kann ichdich küssen, ohne standrechtlich erschossenzu werden. Derlei Dinge soll man mit Hin-gabe und Begeisterung tun; mir widerstrebtes, von dir nur aus Testgründen geküßt zuwerden.«

Sie lächelte, und diesmal gab es nichts,was uns zurückhielt. Binnen weniger Stun-den verwandelte sie sich von der kühlen undbeherrschten Schiffskommandantin in einezärtliche junge Frau, und von dort, als unse-re knappe Zeit zu Ende ging, wieder zurückin eine unnahbare, überlegene und unantast-bare Kentigmilan.

Mit einer Eskorte wurde ich, nachdem dasSchiff in den Normalraum zurückgesprun-gen war, in den Hangar des Beiboots ge-bracht. Die Mannschaft war bereits an Bordund wußte, was zu tun war.

Auch ich hatte mich wieder verwandelt;ich war wieder der einfache RaumfahrerVregh Brathon. In der Tasche meiner Kom-bination befand sich eine kleine Kassette mitZaroias persönlicher Nachricht.

»Sie fliegen nach Trantagossa, Brathon!«sagte Zaroia beherrscht und in dem Tonfall,den alle anderen an ihr kannten.

»Selbstverständlich«, sagte ich. »Für wen

ist die Botschaft?«Jedermann war deutlich, daß ich mit die-

sem Auftrag halbwegs überfordert war.»Lassen Sie sich zum Kommandeur von

Trantagossa bringen, zum Flottenkomman-danten Amarkavor Heng. Übergeben Sieihm meine Botschaft.«

Beherrsche dich! tobte der Extrasinn. Ichhörte den Namen und mußte mich beherr-schen, um nicht vor Überraschung und Wutlaut aufzuschreien. Heng war der Mördermeines Vaters. Trotzdem zuckte ich zusam-men.

»Zu Befehl«, sagte ich und bemühte micheisern, meiner Stimme einen einigermaßenfesten Klang zu geben. »Ich werde tun, wasmir aufgetragen wurde.«

Wieder sah ich Mißtrauen und Unsicher-heit in Zaroias Augen. Ich drehte mich um,nachdem ich vorschriftsmäßig gegrüßt hatte.Wir hatten uns in ihrer Kabine verabschie-det, und vielleicht würden sich unsere Wegewieder einmal kreuzen. Dann mußte diesaber unter völlig anderen Umständen ge-schehen, denn sonst wäre es tatsächlichmein Todesurteil. Ich ging die kurze Rampeaufwärts und verschwand in der Schleuse.

In meinem Kopf tanzten die Gedankeneinen Reigen des Wahnsinns.

Damals, als mein Vater starb, war HengFlottenkommandant gewesen, jetzt be-herrschte er den gesamten Flottenstützpunkt.Ausgerechnet ich mußte ihn treffen und ihmdiese vertrauliche Botschaft überbringen,von der ich nicht wußte, was sie enthielt.

Ich schaffte es, den Start des Beibootsdurchzustehen. Als das Boot Kurs auf denPlaneten nahm und das große Schiff mitZaroia verschwunden war, konnte ich michzurückziehen. Diesmal flog ich offenen Au-ges in den Tod.

Entweder starb ich, oder ich brachteAmarkavor Heng um.

ENDE

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