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wie der supraleitende Diamagnet im Feld des Permanent- magneten bewegt wird. Grundsätzlich wirkt sie immer ge- nau gegen die Bewegungsrichtung beider Partner aufein- ander zu oder voneinander weg. Wir stellen hier ein Gerät vor, das wir an der Universität Saarland entwickelt haben. Es lässt sich gut für Praktika in Hochschulen und Schulen nachbauen. Die Waage eignet sich auch für anspruchsvolle Experi- mente in fortgeschrittenen Semestern, denn aus der Levi- tationskraft kann man zwei wichtige physikalische Kenn- größen des untersuchten HTSL-Materials errechnen. Eine Größe ist die kritische Dichte des elektrischen Stroms, die zum Phasenübergang in die Normalleitung führt. Die andere Größe ist noch spannender: Das sogenannte Haftkraftpo- tential beschreibt,wie stark die Flussschläuche in der Schub- nikow-Phase an Fehlstellen in Kristallgittern, den Haftzen- tren, festhalten. Sobald die Flussschläuche von diesen Haftzentren abreißen und zu wandern beginnen, zeigt der Supraleiter bei Stromtransport einen elektrischen Wider- stand. Deshalb ist für das Design technisch gut einsetzba- rer Typ-II-Supraleiter, gerade bei HTSL, ein effizientes Fixie- ren der Flussschläuche (Flux Pinning) entscheidend und ein wichtiges Forschungsgebiet. Die Waage Bei der Konstruktion der Levitationswaage standen wir vor der Herausforderung, eine möglichst einfache technische Realisierung mit einer möglichst hohen Präzision und Wie- LEVITATIONSWAAGE PHYSIKDIDAKTIK Levitationswaage für Hochtemperatur-Supraleiter In der Schwebe MICHAEL B ECKER | J EROME MEISER | MICHAEL R. KOBLISCHKA | U WE HARTMANN © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 6/2011 (42) Phys. Unserer Zeit 285 DOI: 10.1002/piuz.201101269 Wenn man die Levitationskraft eines Hoch- temperatur-Supraleiters im Feld eines Perma- nentmagneten misst, kann man wichtige Materialgrößen gewinnen: die kritische Stromdichte und sogar die Haftkraft der Flussschläuche, die das Magnetfeld ein- schließen. Wir stellen hier eine Levitations- waage vor, die sich zum Nachbau für Schul- und Universitätspraktika eignet. D ie supraleitende Levitation gehört zu den besonders faszinierenden physikalischen Effekten, die man mit relativ einfachen Mitteln demonstrieren kann. Bei Hochtem- peratur-Supraleitern (HTSL) genügt ein Flüssigstickstoffbad, um die Proben unter die Sprungtemperatur abzukühlen. Im Feld eines Permanentmagneten hebt die Probe dann ab und schwebt eigenstabil. Klassische Supraleiter vom Typ I, wie sie Heike Kamerlingh Onnes vor hundert Jahren entdeck- te, verdrängen dabei in der Meißner-Ochsenfeld-Phase das Magnetfeld – bis auf die Londonsche Eindringtiefe – völlig aus sich heraus. Allerdings sind sie gegenüber äußeren Ma- gnetfeldern sehr empfindlich:Werden diese etwas zu stark, dann bricht die Supraleitung sofort zusammen. HTSL hingegen bringen neben der hohen Sprungtem- peratur eine weitere Eigenschaft mit, dank derer sie sich für Levitationsexperimente besonders eignen: Sie gehören zu den Typ-II-Supraleitern. Bricht bei ihnen die Meißner- Ochsenfeld-Phase in einem zu starken Magnetfeld, dem un- teren kritischen Feld, zusammen, dann gehen sie in eine Mischphase aus supra- und normalleitendem Zustand über. In dieser Schubnikow-Phase lassen sie das äußere Magnet- feld tief in sich eindringen. Sie schließen es in einem Gitter aus Flussschläuchen ein, die im Kern normalleitend sind [1, 2]. Erst oberhalb eines noch stärkeren oberen kritischen Felds bricht die Supraleitung komplett zusammen. Wegen dieser Typ-II-Eigenschaft ist bei HTSL die Supra- leitung wesentlich robuster bei Annäherung an einen star- ken Permanentmagneten. So eignen sie sich auch für eine Untersuchung in einer Levitationswaage. Eine solche Waa- ge misst die Kraft, mit der sich ein supraleitendes HTSL-Ma- terial von einem Permanentmagneten abstößt – oder diesen anzieht. Die Richtung der Levitationskraft hängt davon ab, Abb. 1 Aufbau des Experiments an der Universität Saarbrücken.

In der Schwebe : Levitationswaage für Hochtemperatur-Supraleiter

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wie der supraleitende Diamagnet im Feld des Permanent-magneten bewegt wird. Grundsätzlich wirkt sie immer ge-nau gegen die Bewegungsrichtung beider Partner aufein-ander zu oder voneinander weg. Wir stellen hier ein Gerätvor, das wir an der Universität Saarland entwickelt haben.Es lässt sich gut für Praktika in Hochschulen und Schulennachbauen.

Die Waage eignet sich auch für anspruchsvolle Experi-mente in fortgeschrittenen Semestern, denn aus der Levi-tationskraft kann man zwei wichtige physikalische Kenn-größen des untersuchten HTSL-Materials errechnen. EineGröße ist die kritische Dichte des elektrischen Stroms, diezum Phasenübergang in die Normalleitung führt. Die andereGröße ist noch spannender: Das sogenannte Haftkraftpo-tential beschreibt,wie stark die Flussschläuche in der Schub-nikow-Phase an Fehlstellen in Kristallgittern, den Haftzen-tren, festhalten. Sobald die Flussschläuche von diesenHaftzentren abreißen und zu wandern beginnen, zeigt derSupraleiter bei Stromtransport einen elektrischen Wider-stand. Deshalb ist für das Design technisch gut einsetzba-rer Typ-II-Supraleiter, gerade bei HTSL, ein effizientes Fixie-ren der Flussschläuche (Flux Pinning) entscheidend undein wichtiges Forschungsgebiet.

Die WaageBei der Konstruktion der Levitationswaage standen wir vorder Herausforderung, eine möglichst einfache technischeRealisierung mit einer möglichst hohen Präzision und Wie-

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Levitationswaage für Hochtemperatur-Supraleiter

In der SchwebeMICHAEL BECKER | JEROME MEISER | MICHAEL R. KOBLISCHKA | UWE HARTMANN

© 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 6/2011 (42) Phys. Unserer Zeit 285

DOI: 10.1002/piuz.201101269

Wenn man die Levitationskraft eines Hoch-temperatur-Supraleiters im Feld eines Perma-nentmagneten misst, kann man wichtigeMaterialgrößen gewinnen: die kritischeStromdichte und sogar die Haftkraft derFlussschläuche, die das Magnetfeld ein-schließen. Wir stellen hier eine Levitations-waage vor, die sich zum Nachbau für Schul-und Universitätspraktika eignet.

Die supraleitende Levitation gehört zu den besondersfaszinierenden physikalischen Effekten, die man mit

relativ einfachen Mitteln demonstrieren kann. Bei Hochtem-peratur-Supraleitern (HTSL) genügt ein Flüssigstickstoffbad,um die Proben unter die Sprungtemperatur abzukühlen. ImFeld eines Permanentmagneten hebt die Probe dann ab undschwebt eigenstabil. Klassische Supraleiter vom Typ I, wiesie Heike Kamerlingh Onnes vor hundert Jahren entdeck-te, verdrängen dabei in der Meißner-Ochsenfeld-Phase dasMagnetfeld – bis auf die Londonsche Eindringtiefe – völligaus sich heraus. Allerdings sind sie gegenüber äußeren Ma-gnetfeldern sehr empfindlich: Werden diese etwas zu stark,dann bricht die Supraleitung sofort zusammen.

HTSL hingegen bringen neben der hohen Sprungtem-peratur eine weitere Eigenschaft mit, dank derer sie sichfür Levitationsexperimente besonders eignen: Sie gehörenzu den Typ-II-Supraleitern. Bricht bei ihnen die Meißner-Ochsenfeld-Phase in einem zu starken Magnetfeld, dem un-teren kritischen Feld, zusammen, dann gehen sie in eineMischphase aus supra- und normalleitendem Zustand über.In dieser Schubnikow-Phase lassen sie das äußere Magnet-feld tief in sich eindringen. Sie schließen es in einem Gitteraus Flussschläuchen ein,die im Kern normalleitend sind [1,2]. Erst oberhalb eines noch stärkeren oberen kritischenFelds bricht die Supraleitung komplett zusammen.

Wegen dieser Typ-II-Eigenschaft ist bei HTSL die Supra-leitung wesentlich robuster bei Annäherung an einen star-ken Permanentmagneten. So eignen sie sich auch für eineUntersuchung in einer Levitationswaage. Eine solche Waa-ge misst die Kraft, mit der sich ein supraleitendes HTSL-Ma-terial von einem Permanentmagneten abstößt – oder diesenanzieht. Die Richtung der Levitationskraft hängt davon ab,

Abb. 1 Aufbaudes Experimentsan der UniversitätSaarbrücken.

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derholbarkeit der Messungen zu verbinden. Abbildung 1zeigt den Aufbau. Aus technischen Gründen stellten wirden klassischen Levitationsversuch auf den Kopf: Wir mes-sen die Levitation des Permanentmagneten über dem Sup-raleiter.

Das Messprinzip funktioniert wie in Abbildung 2 ge-zeigt. Man fixiert die HTSL-Probe auf einer Kupferplatte,die während eines Experimentlaufs im zuvor gefüllten Stick-stoffbad gekühlt wird. Über dem Supraleiter hängt der Per-manentmagnet an einer elektronischen Präzisionswaage.Ein Schrittmotor kann die zu untersuchende HTSL-Probemitsamt dem Stickstoffbad nun fein abgestuft zum Perma-nentmagneten hinauf oder von ihm weg nach unten fahren.Die Waage misst die Kraft zwischen beiden Kontrahenten.Ihre Messwerte als Funktion des Abstands zeichnet ein PCauf,der auch den Schrittmotor über eine Elektronik steuert.Der Rechner fährt die Versuchsläufe voll automatisiert.

Um brauchbare Messwerte zu erzielen,mussten wir denAufbau so gestalten, dass die Wärmeausdehnung der ver-wendeten Materialien den Abstand zwischen Probe undPermanentmagnet möglichst wenig beeinflusst. Deshalbwird die Probe nicht direkt in den Styroporcontainer gelegt,denn Styropor hat einen relativ hohen Wärmeausdeh-nungskoeffizienten und arbeitet beim Einfüllen von Flüs-sigstickstoff entsprechend. Stattdessen entwickelten wir ei-nen speziellen Probenhalter: Ein Stab aus Macor verbindetdie Kupferplatte, auf der die Probe liegt, mit einer Alumini-umplatte außerhalb des Stickstoffs, die an der Mikrometer-schraube befestigt ist. Macor ist eine Glaskeramik, die sichdurch einen sehr niedrigen Wärmeausdehnungskoeffizien-ten und eine niedrige Wärmeleitfähigkeit auszeichnet.

Als Probenhalter verwenden wir eine möglichst dünneKupferplatte, die im Außenbereich 0,5 cm dick ist und ei-nen Radius von 4 cm hat. Dank der kleinen Wärmekapazität

und der großen Wärmeleitfähigkeit des Kupfers ist diesePlatte bereits nach etwa 60 s im Stickstoffbad auf 77 K ab-gekühlt. Das ist wichtig, denn während des Versuchs sollteman keinen Stickstoff nachfüllen, um die Messungen nichtzu stören. Das schnelle Abkühlen verlängert die Messzeit,bis der Stickstoff verdampft ist. Auch nach dem Abkühlensteigen am Rand der Kupferscheibe noch Stickstoffblasenauf. Vermutlich entstehen sie, weil doch noch Wärme überden Macorstab in den Container fließt.

Damit diese Blasen die Kraftmessung möglichst wenigbeeinflussen, legten wir den Radius der Kupferplatte größerals denjenigen der Probe aus. Zwar prallen die aufsteigen-den Blasen nun von unten gegen den Kupferteller und übenauf diesen eine Kraft aus, diese ist aber wegen dessen Ge-wicht und der Fixierung der Probe vernachlässigbar.

Zum Festkleben der Probe auf der Kupferplatte neh-men wir meist einen Tropfen Alkohol, denn dieser klebt imGegensatz zu konventionellen Klebstoffen auch noch bei 77 K sehr gut. Er hat zudem den Vorteil, dass man die Pro-be nach dem Aufwärmen problemlos wieder entnehmenkann.

Der Permanentmagnet sollte nicht in das Stickstoffbadeintauchen,weil sonst einerseits der Probenstab vereist undandererseits die Messwerte durch sein Eintauchen in denStickstoff via Blasenbildung und Aufschwimmen verfälschtwerden. Deshalb stellten wir die Versuchsanordnung aufden Kopf. Der Magnet ist über einen wärmeisolierendenPVC-Stab an der elektronischen Waage wie an einem Gal-gen aufgehängt.

TechnikÄhnliche Arbeiten wie unsere legten uns nahe, dass wirKräfte im Bereich weniger Millinewton zu erwarten hatten[3]. Da wir ein kommerziell erhältliches Gerät für die Kraft-messung einsetzen wollten,mussten wir bei seiner Auswahlauf eine möglichst feine Auflösung und geringe Standard-abweichung achten. Außerdem sollte es möglichst einfachan einen PC anschließbar sein und über eine Unterflur-Wä-geeinrichtung verfügen. Nur so ist das Gerät von unten fürdie Aufhängung des Permanentmagneten frei zugänglich.Diese Anforderungen kann eine Laborwaage leichter erfül-len als Kraftsensoren. Unsere Wahl fiel schließlich auf dieLaborwaage PW 254 der britischen Firma Adam Equipment.Ihr Wägebereich beträgt maximal 250 g (2,45 N) mit einerAuflösung von 0,0001 g (1 µN) und einer Standardabwei-chung von 0,0002 g (2 µN).

Eine Schwierigkeit während der Kraftmessung ist derEinfluss des kochenden Flüssigstickstoffs, der immer füreinen leicht schwankenden Messwert sorgt. Deshalb muss die Waage so steuerbar sein, dass sie nicht auf einensich stabilisierenden Messwert wartet,wie das Waagen nor-malerweise tun. Näheres dazu und zu vielen weiterenDetails des Experiments erklären wir im „Zusatzmaterialzur Levitationswaage für Hochtemperatur-Supraleiter“ aufwww.phiuz.de, Download unter Special Features/Zusatz-material zu den Heften.

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A B B . 2 V E R S U C H SAU F BAUSchema desAufbaus. DerSchrittmotornähert die auf der Kupferplattefixierte HTSL-Probe von untendem Permanent-magneten an.Dieser ist aneinem PVC-Stabbefestigt, der ander Waage hängt.Die Waage misstdie Levitations-kraft, die denPermanent-magneten beiAnnäherung desSupraleiters nachoben drückt. EinPC nimmt ihreMesswerte aufund steuert denVersuch.

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Bei der Levitation eines Permanentmagneten über ei-nem Supraleiter treten nicht nur vertikale, sondern auchhorizontale Kräfte auf. Letztere müssen die Einrichtung zurKraftmessung auffangen,ohne dass dies den vertikalen Mess-wert stört. Wir erreichten das durch eine frei schwingendeAufhängung des PVC-Stabs (an dem der Magnet befestigt ist)an der Waage. Damit erfasst diese nur die vertikale Kraft-komponente. Eine horizontale Kraftkomponente lässt al-lerdings den PVC-Stab schwingen. Wir legten ihn deshalbmöglichst schwer aus, um diese Störung gering zu halten.

MessungDie Vorbereitung und den Ablauf der Messung erläutert das„Zusatzmaterial zur Levitationswaage für Hochtemperatur-Supraleiter“ in Einzelschritten. Als HTSL-Proben verwende-ten wir kreisförmig-strukturierte YBCO-Dünnfilme auf ei-nem Substrat aus Yttrium-stabilisiertem Zirkonoxid derMünchner Firma Theva und ein Stück eines Bi-2223-Band-leiters von Bruker EAS aus Hanau.

Nachdem die HTSL-Probe auf die gewünschte Messdis-tanz an den Permanentmagneten herangefahren ist,erreichtdie Levitationskraft typischerweise nach etwa 30 s einen sta-bilen Wert. Da wir relaxierte Kraft-Abstands-Kurven auf-nehmen wollen, messen wir folglich an jedem Abstands-punkt 30 s lang die Relaxationskurve und verwenden denjeweils letzten Messwert für die Kraft-Abstands-Kurve. Dader Stickstoff nach einer Weile so weit verdampft, dass dieProbe nicht mehr ausreichend gekühlt wird, ist die Dauereines Laufs begrenzt. Bei einer Anfangshöhe von etwa 4 mm Stickstoff über der Kupferplatte und einer Wartezeitvon 30 s vor jedem Messpunkt können wir in einem Laufzehn Punkte aufnehmen. Kurven mit mehr Punkten benöti-gen also mehrere Läufe. Mit einem zusätzlichen Wärme-schild um die Probe konnten wir die Laufzeiten etwas ver-längern.

Vor jedem Lauf muss der Versuchsaufbau neu justiertwerden. Dabei macht man zwangsläufig Fehler bei der achs-gleichen Positionierung der Probe unter dem Magneten so-wie bei dem Nullpunkt des Positionszählers. Dieser Fehlerist zwar während des Laufs konstant,wird sich aber ändern,sobald der Versuch neu justiert wird. Dies führt dazu, dassman in zusammengesetzten Kurven die Nahtstellen imGraph deutlich erkennen kann. Deshalb haben wir die inAbbildung 3 dargestellten, relaxierten Kraft-Abstands-Kur-ven für den runden YBCO-Film mehrmals aufgenommenund daraus Mittelwerte gebildet.

Bei Läufen mit längeren Wartezeiten ist es nur sehrschwer möglich, auf dem Rückweg, bei dem sich der Ma-gnet wieder von der Probe entfernt, noch Messwerte auf-zunehmen. Wenn der Magnet den Umkehrpunkt erreichthat, ist in der Regel nur noch wenig Stickstoff in der Wan-ne. Schon nach wenigen Messungen auf dem Rückweg istder Stickstoff dann vollständig verdampft, so dass die Pro-be nicht mehr supraleitend ist. Wartet man die Relaxationhingegen nicht vollständig ab, so kann man in einem Lauf

wesentlich mehr Punkte messen und den Rückweg „mit-nehmen“.

Die Messungen in Abbildung 3 sind aus diesem Grundmit einer Wartezeit von nur 2 s je Messpunkt aufgenommen.Hier gibt es einen Peak in der Levitationskraft, dessen Posi-tion von den Maßen der in unserem Fall runden Magnetenund der ebenfalls kreisförmig strukturierten Probe abhängt.Bei dem Permanentmagneten M15081 von supermagne-te.de ist er bei etwa 2 mm Abstand zur HTSL-Probe ansatz-weise zu erkennen. Dagegen ist der Peak beim ebenfallsvon uns eingesetzten Magneten M20051 bei etwa 4 mmDistanz deutlich ausgeprägt. Beide Peaks sind durch dieGeometrie der unterschiedlichen Permanentmagneten undder Probe bedingt, hängen also beim Nachbau unseres Ver-suchs von der Wahl dieser Komponenten ab.

Die Kraft-Abstands-Messungen mit kurzer Wartezeit sindsymmetrisch. Bei Hin- und Rückweg sind beide Beträgegleich groß. Auf dem Rückweg ziehen sich jedoch Magnetund Probe gegenseitig an, weil im Supraleiter als idealemDiamagneten nach der Lenzschen Regel die induzierten Ab-schirmströme immer der Bewegung entgegen wirken. Auchauf dem Rückweg beobachten wir deshalb an gleicher Stel-le den diskutierten Peak. Wählt man dagegen zylinderför-mige Magneten über zylinderförmigen Bulk-Proben anstel-le dünner Filme, dann beobachtet man in der Kraft-Ab-stands-Kurve keinen Peak [3].

Kritische StromdichteHTSL-Bulk-Proben haben allerdings den Nachteil, dass dieBerechnung kritischer Effekte der Supraleitung in ihnenschwieriger ist als in dünnen HTSL-Filmen,weshalb wir dün-ne Proben wählten. Eine Kenngröße der HTSL-Materialien,die wir aus Messungen mit der Levitationswaage gewinnenkönnen, ist die kritische Stromdichte jc, die zur normallei-tenden Phase führt.

Die Dichte des in der Probe fließenden Stroms könnenwir nach einem Modell berechnen,das Anjali Riise und Kol-legen entwickelt haben [3]. Dieses Modell gilt jedoch nurfür dünne Supraleiter wie unsere Filmproben, da sonst zu-

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2

3

4

0

1

z/ m

N

-2

-1Fz

-4

-3

25 30

Abstand d / mm200 5 10 15

A B B . 3 K R A F T- A B S TA N DS - KU RV E N

Jeweils ausmehreren Ver-suchsläufengemittelte Mess-werte für dieLevitationskraftals Funktion desAbstands zu zweiverschiedenenPermanent-magneten: blaufür Magnet 15 08 1und rot für 20 05 1.

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sätzliche Kraftkomponenten auftreten können. Zudem brau-chen wir ein zutreffendes Modell des kritischen Zustands,bei dem der magnetische Fluss die HTSL-Probe gerade voll-ständig durchsetzt. Dieses geht auf Charles P. Bean undYoung Kim zurück [4, 5]. Magnetooptische Experimente[3] zeigten allgemein, dass dies bei einem HTSL-Dünnfilmgeschieht,wenn bei 77 K das lokale Magnetfeld etwa 18 mTüberschreitet. Die von uns eingesetzten Permanentmagne-ten erreichen dieses Feld schon im Abstand von 20 mm. In-nerhalb dieser Distanz können wir alle Messwerte mit demModell von Riise und Kollegen auswerten.

Die detaillierte Berechnung der kritischen Stromdichtezeigen wir im „Zusatzmaterial zur Levitationswaage fürHochtemperatur-Supraleiter“. Für unser Experiment mitden Dünnfilm-HTSL erhalten wir den einfachen Zusam-menhang

wobei Fz(z) die Levitationskraft ist, die z-Achse ist dieLängsachse durch Probenhalter und Magnetaufhängung. Inden konstanten Faktor I gehen, einfach gesagt, das Magnet-feld des Permanentmagneten und die Geometrie ein, diegenaue Berechung zeigen wir im „Zusatzmaterial“. Fürunsere YBCO-Dünnfilmprobe von Theva ermittelten wir so kritische Stromdichten von 2,86 · 109 Am–2 mit demPermanentmagneten M15081 und 3,35 · 109 Am–2 mit M20051. Diese Werte stimmen gut mit dem vom Herstel-ler angegebenen Wert von umgerechnet 2,9 · 109 Am–2

überein [6].

HaftkraftpotentialEine zweite charakteristische Größe für Typ-II-Supraleiter,zu denen die HTSL gehören, ist das Haftkraftpotential. Es be-schreibt, wie eingangs gesagt, wie stark sich die Fluss-schläuche an den Haftzentren (Pinning-Zentren) im Kristallfesthalten können. Ein Modell des thermisch aktiviertenFlusskriechens entwickelten Philip W. Anderson (Nobel-preis für Physik 1977) und Young Kim in den 1960er Jah-ren [7]. Sie beschreiben darin Flussschläuche, die anHaftzentren verankert sind, als Teilchen in einer Potential-mulde, in der sie bei thermischer Anregung schwingen.Nach dem Modell können Flusslinien bei thermischenSchwankungen mit der Rate R = ω0e–U/kT

in benachbarte Potentialmulden springen. Dabei ist k istdie Boltzmann-Konstante, U die Aktivierungsenergie undω0 eine charakteristische Frequenz der Schwingung derFlussschläuche. Sie ist nicht bekannt, liegt aber vermutlichim Bereich zwischen 105 s–1 und 1011 s–1.

Solange keine elektrischen Ströme fließen, sei es we-gen äußerer Magnetfelder oder einer angelegten elektri-schen Spannung, sind Sprünge der Flussschläuche in alleRaumrichtungen gleich wahrscheinlich. Die Anwesenheiteiner Stromdichte,die im Vergleich zum Ringstrom um den

j zF z

Icz( )( )

,=

Querschnitt eines Flussschlauchs makroskopisch ist, kipptjedoch die Potentiallandschaft in Richtung der Lorentz-Kraft. Das senkt auch den Potentialwall auf einer Seite,wes-halb die gefangenen Flussschläuche mit größerer Wahr-scheinlichkeit in diese Richtung springen.

Wenn Flusslinien wandern, wird allerdings Energie dis-sipiert,weshalb ein Supraleiter bei Stromtransport schon un-terhalb der kritischen Stromdichte einen endlichen Wider-stand aufweist. Bei Abschirmströmen fließt die kritischeStromdichte allerdings nur unmittelbar bei Änderung desäußeren Magnetfelds, also in unserem Experiment bei Än-derung des Abstands zum Permanentmagneten. Danach fälltdie Stromdichte ab. Für j = jc muss die AktivierungsenergieU Null werden. Anderson und Kim nahmen an, dass für dieAktivierungsenergie die Abhängigkeit

gilt, wobei U0 das von uns gesuchte Haftkraftpotential ist.Die zeitliche Abnahme der Stromstärke ist proportional zurSprungwahrscheinlichkeit, denn je leichter die Fluss-schläuche wandern, desto höher ist der elektrische Wider-stand. Damit kann man zeigen [7], dass die Stromstärke lo-garithmisch abnimmt:

t0 ist eine Zeitkonstante zwischen 10–10 s und 10–13 s. Ei-nerseits ist diese Zeitkonstante aus der Anlaufswahrschein-lichkeit der Flusslinien gegen den Potentialberg errechnet,andererseits enthält sie auch Informationen über die Pro-bengröße,die Temperatur und den elektrischen Widerstandbeim Fließen der Flussschläuche [8]. Die Magnetisierung,die aus den Abschirmströmen im Supraleiter resultiert, zeigtanalog eine logarithmische Relaxation

Bei t � t0 können wir den Summanden 1 im Logarithmusvernachlässigen.

Messen wir bei unserem Experiment nun die Levitati-onskraft direkt nach dem Erreichen einer gegebenen Höheals Funktion der Zeit, dann halten wir in einem Messpunktden Abstand konstant. Nun verfolgen wir das Kriechen derFlussschläuche, das sich in einer Abnahme der Levitations-kraft bemerkbar macht. Die Kriechrate R können wir direktaus einem logarithmischen Diagramm bestimmen – unddaraus das Haftkraftpotential U0. Dies ist relativ einfachmöglich, da wir ausnutzen können, dass das zeitliche Ver-halten von M(t) demjenigen der Kraft Fz(t) entspricht. Wiedas funktioniert, zeigen wir in den „Zusatzmaterialien“.

Die Abbildungen 4a und b zeigen solche Relaxations-messungen Fz als Funktion der Zeit und die dazugehörigelogarithmische Auftragung für einen YBCO-Dünnfilm (The-va) und ein Stück eines Bi-2223-Bandleiters (EAS, Hanau).Man erkennt gut, wie die Leviationskraft nach einer Verän-

M t MkTU

tt

( ) .= − +⎛⎝⎜

⎞⎠⎟

⎣⎢⎢

⎦⎥⎥

cln1 1

0 0

j t jkTU

tt

( ) ,= − +⎛⎝⎜

⎞⎠⎟

⎣⎢⎢

⎦⎥⎥

cln1 1

0 0

U j Ujj

( ) = −⎛⎝⎜

⎞⎠⎟0

1c

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derung der Distanz zum Permanentmagneten innerhalb vonSekunden mit dem Abklingen der dadurch induzierten Ab-schirmströme nachlässt. Die auf den Startwert normiertenRelaxationsraten R betragen 0,047 für den YBCO-Film und0,148 für den Bandleiter (Einschübe in den Abbildungen4a,b). Das entspricht typischen Relaxationswerten,die zumBeispiel mit einem Magnetometer gemessen werden [9,10].Die Haftkraftpotentiale U0 liegen damit im Bereich von etwa70 meV für Bi-2223 und etwa 100 meV für den YBCO-Film.

Der Versuch „Levitationswaage“ eignet sich für Schülerwie für Studierende. In den „Zusatzmaterialien“ geben wirgenauere Tipps für das Experimentieren mit diesen unter-schiedlichen Zielgruppen.

ZusammenfassungEine Leviationswaage kann die Levitationskraft zwischen ei-ner Hochtemperatur-Supraleiter-Probe und einem Perma-nentmagneten in Abhängigkeit des Abstands zwischen bei-den messen. Der Artikel stellt eine Waagenkonstruktion vor,die sich für Praktika in Hochschulen und Schulen eignet. DerVersuch läuft computergesteuert. Für den Einsatz in fortge-schrittenen Semestern ist besonders interessant, dass manaus der Levitationskraft die kritische Stromdichte und dasHaftkraftpotential der Flussschläuche in der Probe errechnenkann.

StichworteHochtemperatur-Supraleitung, Levitationswaage, Meißner-Ochsenfeld-Phase,Schubnikow-Phase,Typ-II-Supraleiter,kri-tische Stromdichte, Flusslinie, Haftkraftpotential.

Literatur[1] F. C. Moon, Superconducting Levitation, John Wiley and Sons, New

York 1994.[2] E. H. Brandt, Science 1989, 243, 349.[3] A. Riise et al., Phys. Rev. B 1999, 60, 9855.[4] C. P. Bean, Phys. Rev. Lett. 1962, 8, 250.[5] D. V. Shantsev, Y. M. Galperin, T. H. Johansen, Phys. Rev. B 1999, 60,

13112.[6] P. Berberich et al., Physica C 1993, 219, 497.[7] P. W. Anderson, Y. B. Kim, Rev. Mod. Phys. 1964, 36, 39.[8] M. V. Feigelman et al., Phys. Rev. B 1991, 43, 6263.[9] A. J. J. van Dalen et al., Supercond. Sci. Technol. 1996, 9, 659.

[10] A. Yu. Galkin et al., Physica C 1998, 308, 21.

Die Autoren

Michael Becker (v. l. n. r.) studierte Physik (Lehramt) an der Universität desSaarlandes. Der Aufbau der Levitationswaage war seine Lehramtsarbeit(2008). Jerome Meiser studiert Diplom-Physik an der Universität desSaarlandes und arbeitet als studentische Hilfskraft mit der Levitationswaage.Michael Koblischka studierte Physik an der Universität Stuttgart und promo-vierte am MPI für Metallforschung, Stuttgart. Nach Auslandsaufenthalten ister derzeit Habilitant an der Universität des Saarlandes. Uwe Hartmann ist seit1993 Professor für Experimentalphysik an der Universität des Saarlandes,Lehrstuhl für Nanostrukturforschung. 1998 wurde er mit dem Philip MorrisForschungspreis ausgezeichnet. 2007 wurde ihm für besondere Verdienste umdie Nanostrukturforschung eine Honorarprofessur an der Fudan-UniversitätShanghai verliehen.

AnschriftDr. Michael R. Koblischka, Experimentalphysik, Gebäude C6 3, Universität des Saarlandes, Postfach 15 11 50, D-66041 Saarbrücken. [email protected]

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I N T E R N E T |Zusatzmaterial zur Technik und Auswertung des Experimentswww.phiuz.de

Anbieter des HTSL-Materials und der Permanentmagnetewww.theva.de/prodwww.bruker-est.com/materials.htmlwww.supermagnete.de

4,7 1,00

4,6

0.95

Fz/

Fz,

0

4,5

2 3

0,95

z/ m

N

4 3

4,4 ln tFz

5 10 15 20 25 304,2

4,3

5 10 15 20 25 30

t / s

A B B . 4 K R I EC H E N D E R L E V I TAT I O N S K R A F T

Relaxationsmessungen von Fz als Funktion der Zeit an a) einem YBCO-Dünnfilm (Theva) und b) einem Bi-2223-Bandleiter (EAS, Hanau). Die Einschübe zeigen normierteRelaxationskurven, aus der sich jeweils die Relaxationsratebestimmen lässt.

1,0

0,30

0,32

0 8

0,9

z/F

z,0

0,26

0,28

0,7

0,8

Fz

/ mN

0,22

0,24 0 1 2 30,6

ln t

Fz

0 5 10 15 20 25

0,20

t / s

a)

b)