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Mitteilungen der Neue Folge / Nr. 2 2016 24. Jahrgang / ISSN 1619-8085 In großer Not A ls Deutschland und Europa im Grauen des Zweiten Welt- kriegs versunken waren, Menschen in den Kellern ih- rer Häuser, in Bunkern, in U- Bahnschächten voller To- desangst verharrten – gab es wohl niemanden, der nicht sagte oder dachte, sei er vom Wahn des Nationalsozialis- mus geheilt oder nicht: Nie wieder Krieg! Wie froh waren sie, wenn ihr Wohnhaus nicht zerstört war, wenn z.B. ‘nur‘ der Dachboden brannte! Und wie schnell wurde gelöscht, repariert, wieder aufgebaut. Nicht wenige hausten in Rui- nen, sofern die ‘Wohnung‘ wenigstens noch Dach und Wände hatte! Die Frauen lie- fen zur Pumpe, den Eimer in der Hand, um ihn, schwer und überschwappend, in die ei- genen, so sehr beschädigten vier Wände zu bringen, den Durst der Kinder zu stillen, und die gab es in großer Zahl in diesen schlechten Zeiten. Die Männer waren im Krieg. Heizung war knapp. Lebensmittel hat es bis zum Kriegsende gegeben, aber ausreichende Mittel zum Leben waren es nicht. Diese Zeit des Mangels und der Ent- behrungen dauerte noch bis weit hinein in die Nachkriegszeit. Dann aber blühte der Schwarzhandel. Erbstücke wechselten den Besitzer. ‘Hamsterfahrten‘ aufs Land gehör- ten zum Alltag. Betrachten wir heute Foto- aufnahmen dieser Züge, deren Dächer, Trittbretter, Fenster, Türen von Men- schenmassen okkupiert waren, erscheint uns unfassbar, was sie damals ertragen, be- wältigt, geschafft und geschaffen haben. Wer einen Schrebergarten besaß, war Krö- sus und wurde beneidet. Gestohlen wurde im Allgemeinen nichts; eher erbat eine Mutter von der Nachbarin ein paar Kartof- feln oder Möhren aus ihrem Garten oder man machte ein Tauschgeschäft: eine war- me Decke gegen einige Kilo Kartoffeln und Gemüse. Oder man verkaufte Liebgewor- denes, Ererbtes und erhielt dafür etwas zum Essen. So hat unser schönes Schmetterlings- bild in der Nachkriegszeit den Besitzer ge- wechselt. Auf den Gedanken, in den Kriegsjahren diesem Elend und der Gefahr für Leib und Leben durch Auswanderung zu entfliehen, die Heimat im Stich zu lassen, ist man nicht gekommen; vermutlich war es auch nicht möglich oder unendlich schwierig und ge- fahrvoll. Dies hat sich gründlich geändert. Wir alle wissen es. Ob Fürsprache oder Gegnerschaft, ob Ver- bot oder Freizügigkeit – Migration, lehrt uns die Geschichte, ist unvermeidlich, Wer im 19. Jahrhundert emigrierte, war voller Tatendrang, wollte möglichst schnell ein neues, besseres Leben beginnen, wus- ste, dass dieser Entschluss harte Arbeit und höchsten Einsatz erforderte, war bereit, ihn zu erbringen. Heute ist gibt es oftmals eine „soziale Hän- gematte“ – auch für den einen oder ande- ren Faulenzer. Jutta Blumenau Niesel

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M i t t e i l u n g e nder

N e u e F o l g e / N r . 2 2 0 1 6 2 4 . J a h r g a n g / I S S N 1 6 1 9 - 8 0 8 5

In großer Not

Als Deutschland undEuropa im Grauendes Zweiten Welt-

kriegs versunken waren,Menschen in den Kellern ih-rer Häuser, in Bunkern, in U-Bahnschächten voller To-desangst verharrten – gab eswohl niemanden, der nichtsagte oder dachte, sei er vomWahn des Nationalsozialis-mus geheilt oder nicht: Niewieder Krieg!

Wie froh waren sie, wennihr Wohnhaus nicht zerstörtwar, wenn z.B. ‘nur‘ derDachboden brannte! Undwie schnell wurde gelöscht,repariert, wieder aufgebaut.Nicht wenige hausten in Rui-nen, sofern die ‘Wohnung‘wenigstens noch Dach undWände hatte! Die Frauen lie-fen zur Pumpe, den Eimer inder Hand, um ihn, schwerund überschwappend, in die ei-genen, so sehr beschädigten vier Wände zubringen, den Durst der Kinder zu stillen,und die gab es in großer Zahl in diesenschlechten Zeiten. Die Männer waren imKrieg. Heizung war knapp. Lebensmittelhat es bis zum Kriegsende gegeben, aberausreichende Mittel zum Leben waren esnicht. Diese Zeit des Mangels und der Ent-behrungen dauerte noch bis weit hinein indie Nachkriegszeit. Dann aber blühte derSchwarzhandel. Erbstücke wechselten denBesitzer. ‘Hamsterfahrten‘ aufs Land gehör-ten zum Alltag. Betrachten wir heute Foto-aufnahmen dieser Züge, deren Dächer,Trittbretter, Fenster, Türen von Men-schenmassen okkupiert waren, erscheintuns unfassbar, was sie damals ertragen, be-wältigt, geschafft und geschaffen haben.Wer einen Schrebergarten besaß, war Krö-

sus und wurde beneidet. Gestohlen wurdeim Allgemeinen nichts; eher erbat eineMutter von der Nachbarin ein paar Kartof-feln oder Möhren aus ihrem Garten oderman machte ein Tauschgeschäft: eine war-me Decke gegen einige Kilo Kartoffeln undGemüse. Oder man verkaufte Liebgewor-denes, Ererbtes und erhielt dafür etwaszum Essen.

So hat unser schönes Schmetterlings-bild in der Nachkriegszeit den Besitzer ge-wechselt.

Auf den Gedanken, in den Kriegsjahrendiesem Elend und der Gefahr für Leib undLeben durch Auswanderung zu entfliehen,die Heimat im Stich zu lassen, ist man nichtgekommen; vermutlich war es auch nicht

möglich oder unendlich schwierig und ge-fahrvoll.

Dies hat sich gründlich geändert. Wiralle wissen es. Ob Fürsprache oder Gegnerschaft, ob Ver-bot oder Freizügigkeit – Migration, lehrtuns die Geschichte, ist unvermeidlich,

Wer im 19. Jahrhundert emigrierte, warvoller Tatendrang, wollte möglichst schnellein neues, besseres Leben beginnen, wus-ste, dass dieser Entschluss harte Arbeit undhöchsten Einsatz erforderte, war bereit, ihnzu erbringen.Heute ist gibt es oftmals eine „soziale Hän-gematte“ – auch für den einen oder ande-ren Faulenzer.

Jutta Blumenau Niesel

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A k t u e l l e s – G e s c h i c h t e

Rosine de Dijn erzählt die abenteuerli-che Geschichte des portugiesischen Luxus -dampfers Serpa Pinto und führt uns Abgründe und Absurditäten des ZweitenWeltkriegs vor Augen. So brachte die Ser-pa Pinto im Frühling 1942 in Brasilien lebende Deutsche, die für >Führer< undVaterland kämpfen wollten, zurück nachEuropa. Gleichzeitig war das Schiff für jü-dische Flüchtlinge, die die alte Welt geradenoch über die Hafenstadt Lissabon verlas-sen konnten, die letzte Rettung.

Die Serpa Pinto wurde Deutsch-Brasi-lianern und Juden gleichermaßen zumSchicksalsschiff.

Auf dem Weg von Südamerika nach Lis-sabon brachte die Serpa Pinto sogenann-te Auslandsdeutsche, die in den Jahren derInflation und Wirtschaftskrise nach Süd -amerika ausgewandert waren, „heim insReich“, wo sie für Hitler in den Krieg ziehenwollten. Die Fahrt von Rio nach Lissabon wareine Luxusfahrt verglichen mit der Atlan-tiküberquerung in umgekehrter Richtungvon Lissabon nach New York. Jetzt wurde dieSerpa Pinto zur letzten Zuflucht für Hunderte

von Flüchtlingen, die Europa über das neu-trale Portugal verließen.Die Geschichte der Serpa Pinto zeigt – qua-si in einem Mikrokosmos – die Dramen desZweiten Weltkriegs: die Fanatisierung fürden Nationalsozialismus auf der einen Sei-te, die so weit ging, dass man die sichereHeimat Brasilien verließ und nach Europaaufbrach, wo ein blutiger Krieg tobte. Aufder anderen Seite aber Menschen, die ihreHeimat verloren und zu Flüchtlingen wur-den.

Weltwirtschaftskrise, Inflation, Arbeitslo-sigkeit, Hungersnot in Deutschland

„Die erste Generation deutscher Aus-wanderer konnte … im Urwaldsboten vom15. Juni 1923, schwarz auf weiß lesen: >Fastmit jedem Dampfer treffen hier Einwan-derer aus Deutschland ein, letzthin besonders aus dem Ruhrgebiet, wo die Ver-hältnisse immer unerträglicher werden. DieLeute sind meist nur mit geringen Mittelnversehen, oft gänzlich mittellos, u. es istnicht leicht für sie, ein Unterkommen zufinden<

„Im Jahre 1923 wurde ein absoluter

Höhepunkt deutscher Auswanderung er-reicht. Über 115 431 Deutsche verließenihre Heimat, um in fernen Ländern ihrGlück zu suchen. Deutsche Reeder mach-ten die Überfahrt möglich. Deutschlandhatte zwar nach dem Ersten Weltkrieg fastseine gesamte Schiffstonnage verloren, aberdie Reeder strebten nach Wiederaufbau.Bereits 1920 hatte die renommierte Ham-burg-Süd-Reederei ihre Südamerikadien-ste mit gemieteten Schiffen wieder aufge-nommen…“

Jutta Blumenau-Niesel

© die Zitate entnahmen wir mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag DVA

Quelle: Rosine de Dijn Das Schicksalsschiff - Rio deJaneiro - Lissabon - New York 1942 2009, DiederichsVerlag München in der Verlagsgruppe Random Hou-se GmbHWeitere Informationen über die Autorin und zu die-sem Buch unter www.dva.de

Wie sich die Geschicke gleichen!

Vor fünfundsiebzig Jahren stürzte der„Größte Feldherr aller Zeiten“ Deutsch-land und die Welt ins Verderben. Auch nach75 Jahren ‘bombardieren‘ uns Fernsehen,Funk und Printmedien ohne Unterlaß mitBerichten, Dokumentationen, Kommen-taren, auch erschütternden Spielfilmen.Jeder nur mögliche Aspekt wird untersuchtund ausgewertet. Die nach wie vor vieler-orts verbreitete Verachtung für das „Volkder Täter“ läßt hier und da böse Absicht,vielleicht auch Neid auf die erfolgreichen,in Demokratie und Toleranz geschultenDeutschen, erkennen.

Die Katastrophe Und ! Wir können uns nicht zur Wehr set-zen ohne sogleich wieder in Verruf zu geraten.Zwang zu Political Correctness kann auchverquer sein.

Wie aber erging es jenen „Deutschbrasili-anern“, im größten Land Südamerikas, das1942 in den Krieg eingetreten war, in ihrerneue Heimat? Was empfanden jene, diehier und dort „zuhause“ waren? Keine Sorge, Sie finden hier nichts Offizi-ell-Herkömmliches, sondern persönlicheBerichte, die einen kleinen Einblick ins Pri-vate diesseits und jenseits des AtlantischenOzeans vermitteln sollen.

Jutta Blumenau-Niesel

Nach verlorenem Ersten Weltkrieg undvolkswirtschaftlich vernichtenden Repa-rationsabgaben, waren Industrie, Wirtschaftund Selbstvertrauen der Deutschen fastzerstört. Nun hofften sie auf eine Art Wun-der. Gerissene Propagandastrategen hat-ten sich über die „Psychologie der Massen“informiert und setzten sie so um, dass AdolfHitlers utopische „Visionen“ später auffruchtbaren Boden fielen. Nicht nur Deut-sche im Ausland waren überzeugt, dass esnur so und nicht anders wieder aufwärtsgehen konnte. Die Folgen dieses schick-salhaften Irrtums sind bekannt.

Große Begeisterung hatte der ZeppelinHindenburg bei seiner Reise am Himmelvon Blumenau ausgelöst! Mit Hakenkreuzam Seitenleitwerk! Einige Blumenauergehörten zu den Passagie-ren. Die allgemeine Begei-sterung war groß.

Im Jahrbuch des VDA1937 (Verein für das Deutsch-tum im Ausland, aktuell Ver-ein für Deutsche Auslandsbe-ziehungen e.V.) wird mein Ur -groß vater als Re prä sentantechten Deutsch tums in SantaCatarina vorgestellt.

Jutta Blumenau-Niesel

Verführung

Mit Hakenkreuzfahne beflaggte Häuser gab esin Deutschland, auch in Blumenau und ande-ren, von deutschen Einwanderern bewohntenRegionen – vornehmlich im Süden des Landes.Dafür sorgte der effiziente »Auslandsdienst«der NSDAP.

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G e s c h i c h t e u n d G e s c h i c h t e n

Ganz kurz nach Ende des zweiten Welt-krieges, es muss noch 1945 gewesen sein,schickte meine Ur-Großtante Edith Gaert-ner, Schauspielerin am Theater in Blu-menau, ein Päckchen, dessen Inhalt ausbraun-grauen Täfelchen bestand. „Das istSchokolade, mein Kind“ erklärte meineMutter, „die kannst du essen“. Ich biss hin-ein – der Geschmack erschien mir ganz un-bekannt und meine Begeisterung warmäßig. Mutter war enttäuscht. Also – Scho-kolade essen und Freude daran zu habenmusste ich erst lernen.

Ich erinnere mich, dass ich an den Dan-kesbrief nicht so recht heran wollte, weilich keine Ahnung hatte, was ich der Tantein Blumenau schreiben sollte. Die Scho-kolade hatte mir ja nicht besonders ge-schmeckt, hatte so grau ausgesehen undwar auch ziemlich verbogen angekommen.Sie ist auf der langen Reise warm gewor-den, erklärte mein Vater. Auch wusste ichnicht, dass diese Leckerei im Jahr 1945 et-was ganz und gar Ungewöhnliches, eineArt Luxus bedeutete. Meine Mutter half einwenig nach bei meinem Brief an TanteEdith, über deren Lebensgeschichte ichspäter viel erfahren sollte.

Jutta Blumenau-Niesel

Muckefuck hieß das Getränk! Malzkaffeeoder in der Pfanne dunkel geröstete Ger-ste schenkten den Erwachsenen wenig-stens die optische Illusion, schwarzenKaffee zu trinken. Da war doch noch was?Ach ja! Echter Bohnenkaffee! Und der duftete durch das ganze Haus, wenn beiBlumenaus Kaffeebohnen aus Blumenaugeröstet wurden! Welch ein Luxus!

Schokolade ausBlumenau

Mit der Eröffnung am 13. Mai 2016 setztdas Auswanderermuseum BallinStadt eineTradition fort, die vor acht Jahren, am 7.September 2008 mit der einzigartigenErlebnisausstellung in Ham-burg einer breiten Öffentlich-keit bekannt gemacht wurde.Damals hieß es Port of DreamsBallinStadt – AuswandererweltHamburg.

Wir waren dabei mit Ein-führung und Präsentation vonBeispiel Blumenau – DeutscheAuswanderung nach Brasilien, un-serer Ausstellung, die damals inPresse und Medien ein gebühren-des Echo gefunden hatte – auch mitBildern und Exponaten (Daueraus-stellung). An weithin sichtbarer Stel-le „Berühmte Deutsche in Übersee“,das Foto Hermann Blumenaus in sei-nem Garten – fast lebensgroß, auf Glaskopiert und von hinten beleuchtet.

Heute erfahren wir: „In insgesamtdrei Häusern auf 2500 qm begleiten wirMenschen mit Wünschen und Träumen,die sie auf ihren Weg in eine neue Heimatmitnahmen“.

Eigentlich nichts Neues und doch – auf-grund aktueller Ereignisse – wieder ganzgegenwartsnah und bewegend.

Im Jahr 1901 hatte Albert Ballin, Gene-raldirektor der Hamburg-Amerikanischen-

Packetfahrt und Actien-Gesellschaft (Hapag), die Einrichtung

einer Auswandererstadt veranlasst – ausgutem, menschenfreundlichem Grund,denn „lange war es für die Emigranten nurum eines gegangen: Ihr fernes Ziel über-haupt zu erreichen. Das war alles andere,als selbstverständlich. Doch die Zeiten hat-ten sich geändert, so sehr, dass nun auch

die Ärmsten unter menschenwürdigen Be-dingungen reisen konnten … Die Auswan-dererstadt …war nicht nur letzte Stationauf dem europäischen Kontinent, sondernauch sichtbares Symbol dieses Wandels.Ballins Name steht bis heute dafür.

Aus einer Informationsbroschüre von Hapag-Lloyd

(2008): Tor zur Neuen Welt

Neueröffnung BallinStadtDas Auswanderermuseum Hamburg stellt vor: Welt in Bewegung – die Geschichte geht weiter

Edith Gaertner, Schauspielerin, Tochter vonRose Gaertner, Gründerin des Theaters in Blu-menau. Beide sind Nachkommen von ReinholdGaertner, Neffe von Dr. Hermann Blumenau.R. Gaertner gehörte zu den ersten 17 Einwande-rern von 1850, war enger Mitarbeiter Blume -naus und in leitender Position tätig.

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B e r i c h t e

I M P R E S S U MMitteilungen der Blumenau-Gesellschaft e.V.Communicaçoes da Sociedade CulturalBlumenau – Alemanha; ISSN 1619-8085

Vorsitzende: Jutta Blumenau-Niesel; Berlin

Herausgeber: Blumenau-Gesellschaft e.V.Gemeinnütziger Vereinc/o Touristeninformation, Breite Straße 17,38899 Hasselfelde/HarzTel. 03 9459/71369 o. 76059;E-Mail: [email protected]

Bankvervindung: Harzsparkasse Wernigerode,Kto. 380 314 096, BLZ 810 520 00

Redaktion: J. Blumenau-Niesel (V.i.S.d.P.),Dr. H. J. Niesel

Satz & Layout: Peter Könnecke

Publikation: 24. Jg., Heft 2-2016

Mitgliedsbeiträge:Mitglieder 25,00 €/JahrUnternehmen/Einrichtungen 65,00 €/JahrStudenten 15,00 €/JahrIm Mitgliedsbeitrag ist die kostenlose Lie fe -rung der Mitteilungen eingeschlossen. Fürzusätzliche Lieferungen der Mitteilungen wirdein Betrag von 3,00 € erhoben.Hinweise: Alle redaktionellen Beiträge sind ur-heberrechtlich geschützt. Abdruck und Veröf-fentlichung – auch auszugsweise – nur mit Urheberrechtsnachweis und einem Belegexem-plar an die Blumenau-Gesellschaft . Mit vol lemNamen gekennzeichnete Artikel liegen in derVerantwortung des Verfassers.

Irgendein Wunsch bleibt in unserem Lebenunerfüllt. Bei mir ist es ein Fallschirm-sprung.

Als ich, noch ein Kind, mit dem grossenschwarzen Schirm vom Opapa Rudolf aufder Balkonbrüstung herumwackelte, hieltMama Wanda mich im letzten Moment vormeinem Absprumg fest. Aus war der Traum.Ich war sehr enttäuscht.

Aber auch im hohen Alter gibt es immernoch Überaschungen! So bekam ich einenTag vor meinem Geburtstag (dem 96! d.Red.) von meinem Enkel Félix, der Pilot beiEmirates, mit Sitz in Dubai ist, eine Einla-dung, mit ihm zu fliegen: Panoramaflugüber Blumenau! Am Abend vorher rief meinjunger Freund Gilberto an: „Dona Alda,kommen Sie auf den Flugplatz wann Siewollen. Der Flieger steht für Sie fertig da,und ich warte auf Sie!“ Gilberto ist Flug-lehrer hier im Aéro-Club. Na, wunderbar.Ich bin ja immer zu „Sondereinsätzen“ be-reit.

Félix holte mich also morgens um 7:30Uhr ab, und mit uns stieg Kurt (Lebensge-fährte von Tochter Beatriz) ins Auto. Aufging’s zum Flugplatz. Hier stand der guteGilberto tatsächlich mit seinem Maschinchen fix und fertig da. Mit meinensteifen Knieen einsteigen war etwas pro-blematisch und schmerzte. Aber ich wur-de auf den Co-Pilotensitz gehievt und an-geschnallt. Neben mir der freundlichlächelnde Gilberto. Auf den Rücksitzen Félix

mit großer Fotoausrüstung,daneben Kurt. Wir rolltenzum Start und hoben leiseund gekonnt ab. Gilbertoweiss sehr wohl, was er tut,er ist ja Fluglehrer. Ich freu-te mich an dem vielen Grün,an der mit bunten Häuserngeschmückten Landschaftunter uns und dann an denvielen dicht beieinander ste-henden Bauten in der Stadt.

Das rote Dach unseresHauses leuchtete zu unsherauf, der Fluss meander-te seine Kurven ... Herrlich! Ich muss nichtdie Fotos ansehen, um mich zu erinnern.

Gilberto sagte „Félix, eu vou a três milpés!“ (ich gehe auf 3000 Fuss). Mir sagte dasgarnichts. Ich freute mich an den grünenHügeln und Bergen unter uns – bis Felixplötzlich sagte „Oma, nimm mal das Steu-er und zieh� nach links!“ Ich hatte ja genaubeobachtet, mit wie wenig Ausschlag Gil-berto das kleine Flugzeug dirigiert. Also griffich mutig zum Steuer und zog langsam,sehr vorsichtig, nach links. Wirklich – dasFlugzeug flog nach links! Ich bekam ein bis-sel Angst und legte das Steuer wieder gra-de. „Und nun noch nach rechts, Oma!“.Auch das ging wunderbar und ich staunte,wie sensibel das Maschinchen reagierte.Als ich zum Gilberto hinüber schaute, hat-te der Knabe die Arme vor der Brust ge-kreuzt und seinen Steuerknüppel ganz los-

gelassen! Mir fuhr ein Schreck in denRücken! Hatte ich doch das Flugzeug für ei-nige Minuten wirklich selbst gesteuert! Nungriff Gilberto wieder dahin, wo seine Hän-de hingehörten und wir lachten und freu-ten uns alle vier.

Mit einem Fallschirm bin ich nicht ab-gesprungen, aber ein Flugzeug habe ich ge-steuert! Ein wunderschöner Ersatz! Unddas alles mit meinen nun 96 Jahren! Ichfreute mich von ganzem Herzen.

Wie sagt Wilhelm Busch? „Wie viel Gutes passiert einem in der Jugend, wor-auf man im Alter nicht mit Sicherheit rech-nen kann.“ – Und ich möchte sagen: Wieviel Gutes passiert einem im Alter, worü-ber man sich wundern und freuen kann. Eswar DAS Geburtstagsgeschenk überhaupt.

Alda Niemeyer, Blumenau SC

Ein unerfüllter Wunsch

Die ErzählungGertrud, jüngste Tochter von Dr. Blumenaulebte, bis sie zehn Jahre alt war, mit Elternund Geschwistern in dieser kleinen Stadtam Rande des brasilianischen Urwalds undübersiedelte Anfang der Achtzigerjahre,Blumenau zählte damals knapp 15 000 Ein-wohner, mit Mutter, Schwester und Brudernach Hamburg. Dort sollten die Mädchendas Lyzeum, der Bruder das HumanistischeGymnasium besuchen. Ende des 19. Jahr-hunderts heiratete Gertud Hugo Sierich,Mitglied einer hochangesehenen und wohl-habenden Hamburger Kaufmannsfamilie,deren Name noch heute als U-Bahnstati-on Sierichstraße bekannt ist. In Hamburg erzählte ‘Tante Trude‘ aus ih-rer Kindheit am großen Fluss Itajaí: umge-ben von dichtem Urwald, beobachtet, zeit-weise überfallen und ausgeraubt von Indi-anern, bedroht von wilden Tieren, belauertvon Kaimanen im nahen Fluss. VonGauchos (Tropeiros) berichtete sie, die mitriesigen Vieherden über die Straße zogen,beschrieb Nachbarn, ihre Sitten und Ge-bräuche, ihren Zusammenhalt in Not undBedrängnis, sprach über ihre Frömmigkeit,großen Fleiß und nicht unterzukriegendenLebensmut.

Jutta Blumenau–Niesel,Vorsitzende der Blumenau-Gesellschaft e.V., ist Urenkelin desGründers und Ehrenbürgerin derStadt gleichen Namens in Süd -brasilien. Sie ist spezialisiert aufdie Geschichte der deutschenAuswanderung nach Brasilien

Auf dieser Grundlage entwickelten diedeutschen Einwanderer jene Stadt, die zumbekanntesten Wirtschafts- und Industrie-standort deutscher Herkunft in Brasilienwurde und es bis heute mit 300 000 Ein-wohnern, ist: Blumenau in Brasilien.Wie sollte die Urenkelin diese außerge-wöhnliche Familien- und Landesgeschichtenicht erforschen und der Öffentlichkeit be-kannt machen! Nicht nur www.blumenau-gesellschaft.deinformiert! Im Blumenau-Museum in Has-selfelde/Harz, Geburtsort des Gründers, istdie Historie in Wort, Bild und Gegenstän-den nachzuvollziehen! Auch die Wander-ausstellung Beispiel Blumenau – DeutscheAuswanderung nach Brasilien gibt Auf-schluss und Einblick in eine Zeit, in Vor-gänge, die mit Migration allgemein und imBesonderen viel zu tun haben und deshalbwieder– vorbildlich und aktuell zugleich –sind.

Jutta Blumenau-Niesel