2
==========ANNALS Of ANATOMY ========== In memoriam Professor Werner Lierse (,. Mitten aus seiner Arbeit gerissen verstarb Prof. Dr. med. Werner Lierse am 21. April 1993. Der Tod iiberraschte ihn plotzlich und unerwartet und nahm einen leidenschaftlichen Verfechter einer engen Verkniipfung von Anatomie und klinischer Medizin zu sich. Am 5. 11. 1928 in Berlin geboren, erlebt Werner Lierse das Ende des 2. Weltkrieges noch als jugendlicher Flakhelfer und Kriegsgefangener, bevor er 1947 die Hochschulreife erhiilt. Einer kurzen Zuwendung zur Zahnmedizin als Zahn- technikerlehrling und Student folgt das Studium der Human- );1 S£MPER £ Ann Anat (1993) 175: 481-482 Gustav Fischer Verlag Jena medizin an der Freien Universitiit Berlin, das mit dem Staatsexamen 1954 und der Promotion zum Dr. med. 1955 abgeschlossen wird. Der Medizinalassistentenzeit folgt eine dreijiihrige Tiitig- keit als Assistent bei Goerttler am Anatomischen Institut der Universitiit Freiburg, in der Werner Lierse die funktionell- anatomischen Betrachtungsweisen iiber den Aufbau glatt- muskuliirer Hohlorgane entwickelt, die er spiiter in Zusam- menarbeit mit vie len chirurgischen Kollegen unter klini- schen Gesichtspunkten weiterfiihrt. Bei Horstmann am Ana- tomischen Institut der Universitiit Hamburg setzt Werner Lierse seine wissenschaftliche Laufbahn fort, habilitiert sich 1961 und wird 1967 zum apl. Professor ernannt. 1968 folgt er einem Ruf auf ein Extraordinariat an das Anatomische Institut der Universitiit Basel; diese Position nimmt er jedoch nur kurze Zeit wahr, da ihm bereits 1969 eine ordentliche Professur fiir Anatomie an seiner Heimatuniversitiit Ham- burg angeboten wird. Der Abteilung fiir Neuroanatomie des Anatomischen Institutes der Universitiit Hamburg bleibt Werner Lierse bis zu seinem Tode treu. Er verliiBt sie auch nicht, als er einen weiteren Ruf an die Freie Universitiit Berlin erhiilt. Werner Lierses wissenschaftliches Werk ist gekennzeich- net durch eine groBe fachliche Bandbreite und Vielfalt. In der Friihphase steht die experimentelle Forschung zur GefiiB- entwicklung, Teratogenese und Strahlensensibilitiit des Gehirns im Vordergrund, Themen, die von zahlreichen Dok- toranden und Assistenten in spiiteren Jahren fortgefiihrt wer- den. Mit der morphologischen Analyse der Biokonstruktion glattmuskuliirer Hohlorgane, in Freiburg bei Goerttler begonnen, schliigt er die Briicke zur klinischen Anatomie, die ihn weiterfiihrt zu Studien iiber Harn- und Stuhlinkonti- nenz. Die Verteilung der GefiiBterritorien des Gesichtes als Grundlage fiir operative MaBnahmen, klinisch-anatomische Studien tiber normale und altersveranderte Gelenke, Vasku- larisation von Tumoren und der Prostata sind weitere For- schungsgebiete, die in enger Kooperation mit den jeweiligen klinischen Fachkollegen durchgefiihrt werden. Die vielfaltige wissenschaftliche Tiitigkeit findet ihren Niederschlag in ca. 300 Publikationen und Buchbeitragen. In Zusammenarbeit mit Klinikern aus verschiedenen operati- yen Fiichern entstehen in 10 Jahren Biicher iiber die ange-

In memoriam Professor Werner Lierse

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: In memoriam Professor Werner Lierse

==========ANNALS Of ANATOMY ==========

In memoriam Professor Werner Lierse

(,. Mitten aus seiner Arbeit gerissen verstarb Prof. Dr. med. Werner Lierse am 21. April 1993. Der Tod iiberraschte ihn plotzlich und unerwartet und nahm einen leidenschaftlichen Verfechter einer engen Verkniipfung von Anatomie und klinischer Medizin zu sich.

Am 5. 11. 1928 in Berlin geboren, erlebt Werner Lierse das Ende des 2. Weltkrieges noch als jugendlicher Flakhelfer und Kriegsgefangener, bevor er 1947 die Hochschulreife erhiilt. Einer kurzen Zuwendung zur Zahnmedizin als Zahn­technikerlehrling und Student folgt das Studium der Human-

);1 S£MPER £

Ann Anat (1993) 175: 481-482

Gustav Fischer Verlag Jena

medizin an der Freien Universitiit Berlin, das mit dem Staatsexamen 1954 und der Promotion zum Dr. med. 1955 abgeschlossen wird.

Der Medizinalassistentenzeit folgt eine dreijiihrige Tiitig­keit als Assistent bei Goerttler am Anatomischen Institut der Universitiit Freiburg, in der Werner Lierse die funktionell­anatomischen Betrachtungsweisen iiber den Aufbau glatt­muskuliirer Hohlorgane entwickelt, die er spiiter in Zusam­menarbeit mit vie len chirurgischen Kollegen unter klini­schen Gesichtspunkten weiterfiihrt. Bei Horstmann am Ana­tomischen Institut der Universitiit Hamburg setzt Werner Lierse seine wissenschaftliche Laufbahn fort, habilitiert sich 1961 und wird 1967 zum apl. Professor ernannt. 1968 folgt er einem Ruf auf ein Extraordinariat an das Anatomische Institut der Universitiit Basel; diese Position nimmt er jedoch nur kurze Zeit wahr, da ihm bereits 1969 eine ordentliche Professur fiir Anatomie an seiner Heimatuniversitiit Ham­burg angeboten wird. Der Abteilung fiir Neuroanatomie des Anatomischen Institutes der Universitiit Hamburg bleibt Werner Lierse bis zu seinem Tode treu. Er verliiBt sie auch nicht, als er einen weiteren Ruf an die Freie Universitiit Berlin erhiilt.

Werner Lierses wissenschaftliches Werk ist gekennzeich­net durch eine groBe fachliche Bandbreite und Vielfalt. In der Friihphase steht die experimentelle Forschung zur GefiiB­entwicklung, Teratogenese und Strahlensensibilitiit des Gehirns im Vordergrund, Themen, die von zahlreichen Dok­toranden und Assistenten in spiiteren Jahren fortgefiihrt wer­den. Mit der morphologischen Analyse der Biokonstruktion glattmuskuliirer Hohlorgane, in Freiburg bei Goerttler begonnen, schliigt er die Briicke zur klinischen Anatomie, die ihn weiterfiihrt zu Studien iiber Harn- und Stuhlinkonti­nenz. Die Verteilung der GefiiBterritorien des Gesichtes als Grundlage fiir operative MaBnahmen, klinisch-anatomische Studien tiber normale und altersveranderte Gelenke, Vasku­larisation von Tumoren und der Prostata sind weitere For­schungsgebiete, die in enger Kooperation mit den jeweiligen klinischen Fachkollegen durchgefiihrt werden.

Die vielfaltige wissenschaftliche Tiitigkeit findet ihren Niederschlag in ca. 300 Publikationen und Buchbeitragen. In Zusammenarbeit mit Klinikern aus verschiedenen operati­yen Fiichern entstehen in 10 Jahren Biicher iiber die ange-

Page 2: In memoriam Professor Werner Lierse

wandte Anatomie des Beckens (zusammen mit Stelzner, Frohmilller und Stegner, Neubearbeitung des entsprechen­den Bandes der Praktischen Anatomie des Lanz Wachs­muth), Magenchirurgie (zusammen mit Becker und Schrei­ber), die Chirurgische Operationslehre (zusammen mit Kre­mer, Schreiber, Platzer und Weller), Radiologische Anato­mie des Neugeborenen (zusammen mit E. Richter) und die Anatomie der Hernien (zusammen mit Schumpelick). Seine Verdienste urn die Verbindung von klinischer und Grundla­genforschung wurden von verschiedenen klinischen Gesell­schaften mit Preisen ausgezeichnet.

Neben der umfangreichen eigenen wissenschaftlichen Arbeit findet Werner Lierse noch Zeit, als Herausgeber und Mitglied des Herausgeberstabes verschiedener Zeitschriften EinfluB auf die Entwicklung der Anatomie zu nehmen . So versucht er, in den Acta anatomica der klinisch-angewandten Anatomie ein adaquates Forum zu geben und in klinischen Zeitschriften die Grundlagenanatomie einzubringen.

Werner Lierse ist ein begeisterter Lehrer. 1m Diskurs mit seinen Studenten versucht er, die anatomischen Grundkennt­nisse in Vorlesungen und Kursen zu vermitteln und dabei die Verbindung zur klinischen Anwendung deutlich zu machen . Seine Beziehung zu den Studenten ist weniger durch strenge Kontrolle als durch Starkung der Eigenverantwortlichkeit filr den Lernerfolg gepragt. Die Studenten danken es ihm mit Achtung und Verehrung.

Seinen Schillern ist Werner Lierse ein groBzilgiger und wohlwollender Lehrer. Mit einer im Zeitalter der streng hierarchisch gegliederten wissenschaftlichen GroSgruppen kaum noch verstandlichen Liberalitiit ermoglicht er es jedem einzelnen seiner Assistenten , seine eigenen Forschungspro­jekte zu definieren und durchzufilhren. Dies in einem Rah­men, der keine Kontrolle und gezielte Anleitung vorsieht, dafilr aber standige Diskussionsbereitschaft und Toleranz filr Eigenstandigkeit. In Konzeption, Planung und Durchfilh­rung der Experimente und beim Schreiben der Arbeiten weitgehend auf sich allein gestellt, merkt jeder bald , ob er filr eine wissenschaftliche Laufbahn geeignet ist oder nicht. In diesem von GroSzilgigkeit und Wohlwollen gepragten Arbeitsklima entstehen ca. 150 Dissertationen und 7 Habili­tationen filr das Fach Anatomie , und es wachsen 3 Ordina­rien und ein Extraordinarius heran, die ihm fachlich und menschlich eng verbunden bleiben.

Werner Lierse hinterlaGt seine Mutter und seine Frau , die ihm auf seinem Weg mit Hingabe und Verstandnis gefolgt sind und ihn in aHem unterstiltzt und bestarkt haben . Ihnen gehOrt unsere Anteilnahme und Mitgefilhl ilber den vorzeiti­gen VerJust, der eine Lilcke reiSt, die nur schwer zu fill1en sein wird.

Jobst Sievers , Kiel

482