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Hintergrund: Indien Nr. 19 / April 2015 | 1 Boom im Schatten der Klimapolitik – Zum Besuch von Indiens Ministerpräsident Narenda Modi in Europa Dr. Ronald Meinardus In seiner bald einjährigen Amtszeit hat Indiens Ministerpräsident Modi vor allem in der Außenpolitik Akzente gesetzt. Mit einer pro-aktiven Diplomatie und Gipfeltreffen mit den Führern Amerikas, Chinas, Japans und Russlands ist es Modi in kurzer Zeit gelungen, dem südasiatischen Schwellenland einen vor- deren Rang auf der weltpolitischen Bühne zu sichern. Ab Donnerstag ist der Inder wieder unterwegs, zunächst in Frankreich. Von dort führt die Reise nach Deutschland und schließlich nach Kanada. Neben politischen Fragen werden vor allem wirtschaftspolitische Belange die Gespräche Modis be- stimmen. Denn er weiß: Alle außenpolitischen Erfolge bleiben Makulatur, wenn es ihm nicht gelingt, das Land mit seinen über 1,2 Milliarden Menschen aus der Armut zu führen. Noch immer müssen in dem Schwellenland rund 800 Millionen Menschen statistisch mit weniger als zwei US Dollar am Tag auskommen. Und täglich wächst die Zahl der Menschen, die einen Arbeitsplatz, ein Auskommen su- chen – um 13 Millionen in einem Jahr. Indien ist die größte Demokratie der Welt. Modi wurde im vergangenen Frühjahr gewählt, weil er sehr viele Inder überzeugen konnte, er habe einen Plan, Arbeit und Entwicklung zu schaffen. Kernstück seiner wirtschaftspolitischen Strategie ist die „Make in India“-Kampagne, die – schwer zu übersehen – an das globale Marketing-Phänomen „Made in Germany“ angelehnt ist. Ziel der indischen Kampagne ist es, ausländische Investoren ins Land zu holen. Der Löwe soll Kraft und Ausdauer symbolisieren. Dieser Löwe wird auch die Stände der rund 350 indischen Aussteller auf der Hannover Messe zieren, die am Wochenende beginnt. Indien ist in diesem Jahr das offizielle Partnerland. Die Regierung in Neu Delhi hat sich ordentlich ins Zeug gelegt. „Ich bin überzeugt, dass Indien die Erwartungen übertreffen und die Welt in Erstaunen versetzen wird“, sagt Berlins Botschafter in Indien Michael Steiner anläss- lich einer Pressekonferenz im Vorfeld der größten Industriemesse. Modi wird mit großem Gefolge an die Leine reisen: Fünf Minister und drei Landesministerpräsidenten seien dabei, dazu über einhundert Firmenchefs, heißt es im Vorfeld. Hintergrund: Indien Nr. 19 / 09. April 2015

Indien: Boom im Schatten der Klimapolitik

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In seiner bald einjährigen Amtszeit hat Indiens Ministerpräsident Modi vor allem in der Außenpolitik Akzente gesetzt. Mit einer pro-aktiven Diplomatie und Gipfeltreffen mit den Führern Amerikas, Chinas, Japans und Russlands ist es Modi in kurzer Zeit gelungen, dem südasiatischen Schwellenland einen vorderen Rang auf der weltpolitischen Bühne zu sichern. Ab Donnerstag ist der Inder wieder unterwegs, zunächst in Frankreich. Von dort führt die Reise nach Deutschland und schließlich nach Kanada.

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  • Hintergrund: Indien Nr. 19 / April 2015 | 1

    Boom im Schatten der Klimapolitik Zum Besuch von

    Indiens Ministerprsident Narenda Modi in Europa

    Dr. Ronald Meinardus

    In seiner bald einjhrigen Amtszeit hat Indiens Ministerprsident Modi vor allem in der Auenpolitik

    Akzente gesetzt. Mit einer pro-aktiven Diplomatie und Gipfeltreffen mit den Fhrern Amerikas, Chinas,

    Japans und Russlands ist es Modi in kurzer Zeit gelungen, dem sdasiatischen Schwellenland einen vor-

    deren Rang auf der weltpolitischen Bhne zu sichern. Ab Donnerstag ist der Inder wieder unterwegs,

    zunchst in Frankreich. Von dort fhrt die Reise nach Deutschland und schlielich nach Kanada.

    Neben politischen Fragen werden vor allem wirtschaftspolitische Belange die Gesprche Modis be-

    stimmen. Denn er wei: Alle auenpolitischen Erfolge bleiben Makulatur, wenn es ihm nicht gelingt,

    das Land mit seinen ber 1,2 Milliarden Menschen aus der Armut zu fhren. Noch immer mssen in

    dem Schwellenland rund 800 Millionen Menschen statistisch mit weniger als zwei US Dollar am Tag

    auskommen. Und tglich wchst die Zahl der Menschen, die einen Arbeitsplatz, ein Auskommen su-

    chen um 13 Millionen in einem Jahr.

    Indien ist die grte Demokratie der Welt. Modi wurde im vergangenen Frhjahr gewhlt, weil er sehr

    viele Inder berzeugen konnte, er habe einen Plan, Arbeit und Entwicklung zu schaffen. Kernstck

    seiner wirtschaftspolitischen Strategie ist die Make in India-Kampagne, die schwer zu bersehen an das globale Marketing-Phnomen Made in Germany angelehnt ist. Ziel der indischen Kampagne

    ist es, auslndische Investoren ins Land zu holen. Der Lwe soll Kraft und Ausdauer symbolisieren.

    Dieser Lwe wird auch die Stnde der rund 350 indischen Aussteller auf der Hannover Messe zieren,

    die am Wochenende beginnt. Indien ist in diesem Jahr das offizielle Partnerland. Die Regierung in Neu

    Delhi hat sich ordentlich ins Zeug gelegt. Ich bin berzeugt, dass Indien die Erwartungen bertreffen und die Welt in Erstaunen versetzen wird, sagt Berlins Botschafter in Indien Michael Steiner anlss-

    lich einer Pressekonferenz im Vorfeld der grten Industriemesse.

    Modi wird mit groem Gefolge an die Leine reisen: Fnf Minister und drei Landesministerprsidenten

    seien dabei, dazu ber einhundert Firmenchefs, heit es im Vorfeld.

    Hintergrund:

    Indien

    Nr. 19 / 09. April 2015

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    Zusammen wollen und mssen sie berzeugungsarbeit leisten, um auswrtige Investoren nach Indien zu locken. Denn aller Werbeslogans in den Hochglanzbroschren zum Trotz bleibt Indien ein

    schwieriges Umfeld: Korruption, Brokratie, schlechte Infrastruktur, mangelhafte Rechtsstaatlichkeit dies sind nur einige der Stichworte auf einer Mngelliste, die Indien in den Indices der internationalen

    Investitionsstandorte in den Keller drcken.

    Indien berholt China

    All dem hat Narandra Modi den Kampf angesagt. Bislang ist vieles in Bereich der wohlklingenden Rhe-

    torik verweilt. Selbst Modis Freunde rumen ein, es dauere Zeit, Wunder seien nicht ber Nacht zu

    erwarten.

    Trotz der Zweifel und der Zurckhaltung der Zauderer hat sich das Klima deutlich aufgehellt. Diejeni-

    gen, die sagen, Wirtschaft habe mit Psychologie zu tun, sehen sich besttigt: Die Zeichen stehen auf

    Wachstum in Indien und dies auf Dauer. Im kommenden Jahr werde der sdasiatische Koloss China

    beim Wirtschaftswachstum berholen: Nach 7, 8 Prozent Wachstum in diesem Jahr werde dieses im

    Folgejahr auf 8, 2 Prozent ansteigen, berichtet die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) und schliet

    sich mit dieser Prognose der Projektion des Internationalen Whrungsfonds (IWF) an. Die Antreiber des

    Wachstums seien die erwarteten Infrastrukturinvestitionen und niedrige Energiekosten.

    An dieser Stelle wird die Dialektik des Booms deutlich: Um das Wachstum zu erreichen, sind gewaltige

    Mengen Energie ntig. Hier besteht in Indien ein groer, struktureller Nachholbedarf. Selbst in der

    Hauptstadt Neu Delhi sind Stromausflle an der Tagesordnung, riesige Landstriche sind nicht an das

    Versorgungsnetz angeschlossen.

    Energiepolitik ist heutzutage auch ein Synonym fr Klimapolitik, so sehen es zumindest kologisch

    sensible Beobachter. Indien steht diesbezglich im Fadenkreuz des weltweiten Interesses. Anders als

    der ewige Rivale China hat Indien keine verbindliche Zusage gemacht, wann und ob berhaupt es sei-

    ne Treibhausgasemissionen drosseln oder senken will. Es besteht kein Zweifel, dass die von der Regie-

    rung vorangetriebene Ausweitung der heimischen Industrie die CO2-Emissionen in die Hhe treiben

    wird. Unmissverstndlich hat Narendra Modi zu Protokoll gegeben, dass die wirtschaftliche Entwick-

    lung fr ihn Prioritt vor klima- und umweltpolitischen Zielen habe. Er werde sich, auch dies machte

    er Anfang dieser Woche noch einmal klar, nicht mit gehobenem Zeigefinger aus dem Ausland belehren

    lassen.

    Die Klimapolitik ist lngst zu einer, wenn nicht der Prioritt der deutsch-indischen Beziehungen ge-

    worden. Das wurde auch deutlich angesichts des Besuches von Bundesumweltministerin Barbara Hen-

    dricks Anfang des Jahres in Neu Delhi. Angesichts der drngenden Herausforderungen im Umweltbe-

    reich setzt Deutschland auf einen verstrkten politischen Dialog mit Indien, heit es hierzu diploma-tisch in einer Verlautbarung der Deutschen Botschaft in Indien. Energieversorgung, Energieeffizienz,

    Umwelt- und Ressourcenschutz sind hier die Bereiche, die lngst Schwerpunkte der deutsch-indischen

    Entwicklungszusammenarbeit geworden sind.

    Atom- und Waffendeals mit Paris?

    In dieser Liste fehlt der politisch explosive Terminus Atomenergie. Dieses Terrain berlsst Deutsch-land der europischen und auereuropischen Konkurrenz. Bevor Modi am Sonntag nach Hannover

    kommt, ist er in offizieller Mission in Frankreich unterwegs.

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    In Toulouse wird der Inder die Airbus-Zentrale besuchen und in Paris mit Prsident Hollande vor allem

    ber Rstungs- und Atomgeschfte feilschen. Das Verb ist mit Bedacht gewhlt, denn seit vielen Jah-

    ren verhandeln Inder und Franzosen um Milliarden-schwere Deals ber Atomreaktoren und Kampf-

    flugzeuge. Diese scheiterten bislang immer wieder, so die indische Presse, an Geldstreitigkeiten. Wir

    reden hier von groem Geld: Allein die Lieferung von 120 Kampfjets der Firma Rafale wird mit ber 20

    Milliarden US Dollar taxiert.

    Die Inder sind die weltweit grten Waffenimporteure; zwei Drittel des Kriegsgerts stammt aus dem

    Ausland. Ministerprsident Modi will den Anteil der lokalen Produktion erhhen und ist in den sensib-

    len Bereich der Waffentechnologie an Wissenstransfer interessiert. Auch dies ist eine Komponente der

    Make in India Kampagne, die auf der Hannover Messe aber nicht im Vordergrund stehen drfte.

    Bei den Gipfelgesprchen mit Angela Merkel wird neben wirtschaftspolitischen Aspekten auch die

    weltpolitische Lage eine Rolle spielen. In der Afghanistan-Thematik ist Indien traditionell ein wichtiger

    Akteur. Aktuell von Bedeutung ist die Eskalation im Jemen: Hier hat das indische Militr bei der Mas-

    senevakuierung von Zivilisten auch Deutschen geholfen; Modi drfte sich des Dankes der Kanzlerin

    sicher sein.

    Narendra Modis erster Besuch als Indiens Regierungschef in Europa steht im Zeichen des Bilateralis-

    mus. Die Europische Union findet dabei praktisch nicht statt. Das ist bemerkenswert, denn die Ge-

    meinschaft ist Indiens wichtigster Handelspartner mit einem jhrlichen Volumen von ca. 100 Milli-arden US Dollar. Whrend Brssel mit Sdkorea, Kanada, Mexiko, China Freiheithandelsabkommen hat

    und derzeit in diesbezglichen Verhandlungen mit den USA und Japan steht, ist ein derartiger Vertrag

    mit Indien derzeit nicht in Sicht. Zu tief und fundamental seien die Meinungsgegenstze, heit es in

    der EU- Delegation in Neu Delhi.

    Der Lwe als Symbol fr Modis Marketing-Kampagne Make in India mit dem Ziel, wirtschaftliche Investitionen aus dem Ausland nach

    Indien zu holen. / Quelle: FNF-Bro Neu Delhi

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    Im Resultat heit dies, europisch-indische Beziehungen werden bis auf weiteres auf dem bilateralen

    Niveau der Mitgliedslnder ausgetragen. Deutschland ist hier gut positioniert. Seit 2011 sind zwi-

    schenstaatliche Regierungskonsultationen ein fester Bestandteil des Verhltnisses. Nach Israel ist In-

    dien das einzige auereuropische Land, mit dem Berlin diese Form der partnerschaftlichen Zusam-

    menarbeit praktiziert.

    Die nchste Gipfelrunde ist fr diesen Herbst in Indien terminiert. Dann werden sich Angela Merkel

    und Narendra Modi erneut zusammensetzen. Es gehrt keine Prophetengabe dazu, dass das Klima-

    thema wie jetzt in Hannover und Berlin ganz oben auf der Agenda stehen wird.

    Dr. Ronald Meinardus ist Leiter des FNF-Regionalbros Sdasien mit Sitz in Neu Delhi, Indien.

    Impressum

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF)

    Bereich Internationale Politik

    Referat fr Querschnittsaufgaben

    Karl-Marx-Strae 2

    D-14482 Potsdam