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9 Pharmaproteine Heinrich Decker, Susanne Dilsen und Jan Weber 9.1 Einleitung 180 9.1.1 Historie 180 9.1.2 Anwendungsbereiche und wirtschaftliche Bedeutung 181 9.2 Industrielle Expressionssysteme, Kultivierung und Proteinisolierung sowie gesetzliche Rahmenbedingungen 182 9.2.1 Entwicklung von Produktionsstämmen 182 9.2.2 Isolierung der Pharmaproteine 186 9.2.3 Behördliche Auflagen für die Herstellung von Pharmaproteinen 188 9.3 Insuline 188 9.3.1 Anwendung und Strukturen 188 9.3.2 Herstellverfahren 190 9.4 Somatropin 194 9.4.1 Anwendung 194 9.4.2 Herstellverfahren 194 9.5 Interferone – Anwendung und Herstellung 195 9.6 Humaner Granulocytenkolonie-stimulierender Faktor 197 9.6.1 Anwendung 197 9.6.2 Herstellverfahren 198 9.7 Impfstoffe 198 9.7.1 Anwendung 198 9.7.2 Herstellung von Gardasil ® 199 9.7.3 Herstellung eines Hepatitis-B-Impfstoffes 199 9.8 Fragmentantikörper 201 9.9 Enzyme 201 9.10 Peptide 202 9.11 Ausblick – zukünftige wirtschaftliche Bedeutung 202 H. Sahm, G. Antranikian, K.-P. Stahmann, R. Takors (Hrsg.), Industrielle Mikrobiologie, DOI 10.1007/978-3-8274-3040-3_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

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Page 1: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

9 Pharmaproteine

Heinrich Decker, Susanne Dilsen und Jan Weber

9.1 Einleitung 180

9.1.1 Historie 180

9.1.2 Anwendungsbereiche und wirtschaftliche Bedeutung 181

9.2 Industrielle Expressionssysteme, Kultivierung und Proteinisolierungsowie gesetzliche Rahmenbedingungen 182

9.2.1 Entwicklung von Produktionsstämmen 182

9.2.2 Isolierung der Pharmaproteine 186

9.2.3 Behördliche Auflagen für die Herstellung von Pharmaproteinen 188

9.3 Insuline 188

9.3.1 Anwendung und Strukturen 188

9.3.2 Herstellverfahren 190

9.4 Somatropin 194

9.4.1 Anwendung 194

9.4.2 Herstellverfahren 194

9.5 Interferone – Anwendung und Herstellung 195

9.6 Humaner Granulocytenkolonie-stimulierender Faktor 197

9.6.1 Anwendung 197

9.6.2 Herstellverfahren 198

9.7 Impfstoffe 198

9.7.1 Anwendung 198

9.7.2 Herstellung von Gardasil® 199

9.7.3 Herstellung eines Hepatitis-B-Impfstoffes 199

9.8 Fragmentantikörper 201

9.9 Enzyme 201

9.10 Peptide 202

9.11 Ausblick – zukünftige wirtschaftliche Bedeutung 202

H. Sahm, G. Antranikian, K.-P. Stahmann, R. Takors (Hrsg.), Industrielle Mikrobiologie, DOI 10.1007/978-3-8274-3040-3_9,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Page 2: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

180 Kapitel 9 ⋅Pharmaproteine

9.1 Einleitung

9.1.1 Historie

Durch die Arbeiten von Stanley N. Cohen zurTransformationdesDarmbakteriumsEscherichiacoli wurde der Grundstein für die Gentech-nik und damit die Herstellung von humanenPharmaproteinen mit Mikroorganismen gelegt.Dadurch war es möglich, gezielt Proteine her-zustellen. Das erste menschliche Protein, das inE. coli hergestellt wurde, war das PeptidhormonSomatostatin, ein Antiwachstumshormon, dasfür die Behandlung von Wachstumsstörungeneingesetzt wird. Als erstes rekombinantes Arz-neimittel kam das Insulin 1982 auf den Markt,welches ebenfalls mit E. coli hergestellt wur-de. Mikroorganismen als Wirt zur Herstellung

� Tabelle 9.1 Expressionssysteme für die in Deutschland zugelassenen gentechnisch hergestellten Arzneimittel(Stand 2012)

Expressionssystem Anzahl zugelassener Arzneimittel

Mikroorganismen

Escherichia coli 44

Saccharomyces cerevisiae 25

Aspergillus flavus 1

Vibrio cholerae 1

höhere Zellen

CHO 53

Maus 13

human 3

BHK 3

Insekten 1

Verozellen 1

transgene TiereZiege 1

Kaninchen 1

CHO: Chinese hamster ovary-Zelllinie, BHK: baby hamster kidney-Zelllinie

von Pharmaproteinen zeichnen sich durch hoheWachstumsraten und eine relativ einfache Hand-habung aus. Sie können allerdings nicht für dieProduktion von allen Proteinen genutzt werden,da beispielsweise einige posttranslationale Mo-difikationen wie etwa die Glykosylierung nursehr bedingt möglich sind. Zur Produktion sol-cher Proteine werden dann Säugerzelllinien odertransgene Tiere eingesetzt.

Die Herstellung von Proteinwirkstoffen inrekombinantenMikroorganismenwar einwich-tiger Meilenstein in der pharmazeutischen In-dustrie. Bis zu diesem Wendepunkt mussten dieentsprechenden Wirkstoffe aus tierischen odermenschlichen Organen extrahiert werden: In-sulin aus Pankreas von Schwein und Rind, dasmenschliche Wachstumshormon aus der Hypo-physe oder der Blutgerinnungsfaktor VIII aushumanem Blutplasma. Die kontrollierte Herstel-lung von Wirkstoffen in Mikroorganismen oder

Page 3: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

9.1 ⋅ Einleitung 181

9

� Tabelle 9.2 Die wichtigstenmikrobiellen Pharmaproteine und ihre Umsätze im Jahr 2010

Wirkstoffe Einsatzgebiet Umsatz(Mrd. US-Dollar)

Insuline Diabetes 15

Filgrastim und Pegfilgrastim Chemotherapieinduzierte Leukopenie 5

Somatropine Kleinwüchsigkeit 3,2

Ranimizumab altersbezogene Makuladegeneration 2,9

Peginterferon alpha und Interferon alpha Hepatitis B und C 2,5

Interferon beta-1b Multiple Sklerose 1,7

Teriparatid Osteoporose 0,8

auch Zellkulturen stellt die Versorgung der Pa-tienten sicher, da im Gegensatz zur limitiertenVerfügbarkeit von Organen oder Blutkonser-ven die biotechnischen Produktionskapazitätenan den Bedarf angepasst werden können. Au-ßerdem werden Risiken minimiert, die bei derVerwendung von menschlichem und tierischemGewebe zu berücksichtigen sind. Hierbei stellenz. B. Viren oder auch Prionen eine potenzielleGefahr dar.

9.1.2 Anwendungsbereiche undwirtschaftliche Bedeutung

In der Bundesrepublik Deutschland waren 2012insgesamt 147 Arzneimittel zugelassen, derenWirkstoffe gentechnisch hergestellt werden. Vondiesen wird in etwa die Hälfte mit mikrobiel-len Expressionssystemen produziert, die andereHälfte mit höheren Zellen (� Tab. 9.1). Ein Arz-neimittel besteht in der Regel aus einempharma-zeutisch aktiven Inhaltsstoff (dem sogenanntenAPI = Active Pharmaceutical Ingredient), dasmit weiteren Hilfsstoffen, z. B. zur Konservie-rung oder besseren Aufnahme und Verteilungdes Wirkstoffes im Körper, versetzt ist. Somit

kann ein Wirkstoff in verschiedenen Darrei-chungsformen als Arzneimittel dem Patientenzur Verfügung gestellt werden. Daraus ergibtsich, dass sich hinter den 147 Arzneimittelnauf dem deutschen Markt 110 verschiedeneWirkstoffe verbergen. So stellt beispielsweisedie Firma Lilly den Wirkstoff Insulin-Lispro (einschnell wirksames Insulin; Abschn. 9.3) in zweiverschiedenen Darreichungsformen unter denHandelsnamen Humalog® bzw. Humalog Mix®zur Verfügung. In den Jahren 2010 und 2011wurden weltweit insgesamt 19 neue Produktevon den Behörden zugelassen. Bei 14 der 19Produkte wird der Wirkstoff mit tierischen Zell-kulturen hergestellt, zwei mit E. coli, einer mitSaccharomyces cerevisiae, einer mit Insektenzel-len und einer mit transgenen Tieren.

Der weltweite Umsatz mit gentechnisch her-gestellten Arzneimitteln (z. B. therapeutischeProteine, Antikörper usw.) betrug im Jahr 2009106Mrd. US-Dollar. Mit 30Mrd. US-Dollar liegtder Anteil an gentechnisch hergestellten Protein-wirkstoffen, diemitMikroorganismen hergestelltwerden, bei etwa einem Viertel (� Tab. 9.2).Der größere Gesamtumsatz der biotechnischenProdukte wird inzwischen mit Wirkstoffen er-wirtschaftet, die aus Zellkulturen gewonnenwerden. Bei den sieben weltweit meistverkauf-ten biotechnisch hergestellten Produkten waren

Page 4: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

182 Kapitel 9 ⋅ Pharmaproteine

die ersten sechs Positionen im Jahr 2010 vonAntikörpern belegt, die mithilfe der Zellkultur-technologie hergestellt werden (Umsatz 2010: 40Mrd. US-Dollar). Erst an der siebten Stelle tauchtdas erste rekombinante Protein aus E. colimit ei-nemUmsatzvolumen von 4,8Mrd.US-Dollar auf(Insulin-Glargin, Lantus®). Betrachtet man dieEinsatzgebiete, bei denen mikrobiell hergestelltePharmaproteine eingesetztwerden, stellt dieHer-stellung und Vermarktung von Insulin und Insu-linanaloga mit einem Umsatz von 15 Mrd. US-Dollar nahezu die Hälfte des Marktanteils dar.

9.2 IndustrielleExpressionssysteme,Kultivierung undProteinisolierung sowiegesetzlicheRahmenbedingungen

9.2.1 Entwicklung vonProduktionsstämmen

Viele Forscher nutzten für ihre grundlegendenArbeiten zur Untersuchung der Physiologie, Re-gulation und Genetik die ModellorganismenE. coli und Saccharomyces cerevisiae (Bäcker-hefe). So ist es nicht verwunderlich, dass dieseMikroorganismen für die Herstellung der ers-ten Generation von Pharmaproteinen verwendetwurden, da die entsprechenden Werkzeuge zurgentechnischen Veränderung dieser Stämme inden 1970er- und 1980er-Jahren zur Verfügungstanden. Die Ära der Antikörper begann erstnach der Etablierung eines Verfahrens zur Her-stellung von monoklonalen Antikörpern.

DieAuswahl eines geeigneten Expressionssys-tems für ein bestimmtes Protein hängt von ver-schiedenen Faktoren wie der Struktur undGrößedes Proteins, aber auch von dessen Eigenschaf-ten ab. Glykosylierte komplexe Proteine werdenmeist in Säugerzellen produziert, da E. coli überkeine Enzyme zur Glykosylierung von Proteinen

verfügt. Zuckerketten werden im endoplasma-tischen Retikulum (ER) eukaryotischer Zellenoder im Golgi-Apparat an die Aminosäuren As-paragin (N-Glykosylierung) undThreonin sowieSerin (O-Glykosylierung) angehängt. Proteine,die in Bäckerhefen produziert werden, zeichnensich durch ein von Säugerzellen abweichendesGlykosylierungsmuster aus. Die Zuckerkettender Bäckerhefe enthalten einen hohen Anteilan Mannose und die Proteine werden zum Teilhypermannosyliert, während in Säugerzellenkomplexere Zuckerseitenketten mit unterschied-lichen Zuckerbausteinen zu finden sind. Diesevon Säugerzellen abweichende Glykosylierungkann zu immunologischen Reaktionen gegendas Protein führen und die Pharmakodynamik(z. B. die Bindung an einen Rezeptor, die biolo-gische Wirksamkeit) sowie die Pharmakokinetik(die Halbwertszeit im Körper) eines Wirkstof-fes beeinflussen. Sowohl Bäckerhefe als auchE. coli können in chemisch definierten Medienoder in einfachen, kostengünstigen Medien mitZusätzen wie Hefeextrakt oder Pepton wach-sen. In industriellen Bioreaktoren können beiFed-Batch-Fermentationen Zelldichten von über50 g/l Trockengewicht und damit hohe Raum-Zeit-Ausbeuten erreicht werden. Die Größe derBioreaktoren kann in der kommerziellen Pro-duktion bis zu 100m betragen.

Bei der mikrobiellen Herstellung von Pro-teinen gibt es prinzipiell drei Möglichkeiten(�Abb. 9.1): (1) die direkte cytoplasmatische Ex-pression, (2) die Expression als Fusionsproteinund (3) die Expression und anschließende Sezer-nierung. Bei der cytoplasmatischen Expressionkanndas Protein intrazellulär als unlöslicher Ein-schlusskörper (inclusion body) oder als löslichesProtein vorliegen. Einschlusskörper entstehen inBakterien durch die Akkumulation von falschgefalteten und aggregierten Proteinen. DiesesPhänomen macht man sich bei der Herstel-lung von rekombinanten Proteinen durch dieVerwendung starker Promotoren zunutze. DieProteine müssen in diesem Fall zwar noch kor-rekt gefaltet werden, auf der anderen Seite sinddie Proteine im Einschlusskörper vor dem pro-teolytischen Verdau geschützt. Außerdem lassen

Page 5: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

9.2 ⋅ Industrielle Expressionssysteme, Kultivierung und Proteinisolierung 183

9

Zellwand äußere MembranZellmembran

Met PS SP

Abspaltung derProsequenz

mechanische oder osmotischeFreisetzung des korrekt gefalteten

Proteins aus dem Periplasma

periplasma-tischer Raum

Zellaufschluss

Ausbildung derDisulfidbrücken

Zellaufschluss

Met

Ausbildung derDisulfidbrücken

Met – D – – D – – D –

– D –

– D –

– D –

a b c

�Abb. 9.1 UnterschiedlicheMöglichkeiten zur Expression eines Gens in E. coli: a Direktexpression im Cytoplasma; b alsFusionsprotein im Cytoplasma; c Sezernierung ins Periplasma. PS: Prosequenz; SP: Signalpeptidsequenz; Met: Methio-nin; D: Disulfidbrücke

sich auf diesem Wege auch für die Zelle toxischeProteine produzieren. Die im Elektronenmi-kroskop sichtbaren Partikel können 30 bis 50%des gesamten Proteingehalts der E. coli-Zellebeinhalten (� Abb. 9.2). Lösliche, korrekt gefal-tete Proteine können im Periplasma von E. colioder – bei Bäckerhefe – durch Sezernierung insMedium gebildet werden. Die Bildung der Di-sulfidbrücken ist bei E. coli im Periplasma starkbegünstigt, da dort ein geeignetes oxidatives Mi-lieu vorliegt, das die Bildung derDisulfidbrückenerlaubt. Bei der Bäckerhefe erfolgen die Bildungder Disulfidbrücken und die Faltung des Prote-

ins in seine native Form im endoplasmatischenRetikulum. Im Cytosol ist die Bildung der Di-sulfidbrücken erschwert, da dort reduzierendeBedingungen vorherrschen. Bei der Herstellungeines Wirkstoffes in E. coli im Periplasma er-folgt die Freisetzung des Proteins in der Regeldurch einen osmotischen Schock. Hierbei wer-den selektiv die Proteine aus dem Periplasmafreigesetzt, um die Freisetzung der cytosolischenProteine zu vermeiden, welche die Aufreinigungdes Zielproteins erschweren könnten.

Eine weitere Möglichkeit zur Herstellung vonProteinen ist die Expression über ein Fusi-

Page 6: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

184 Kapitel 9 ⋅ Pharmaproteine

1 µm

Fusionsprotein

� Abb. 9.2 Elektronenmikroskopische Aufnahme einerrekombinanten E. coli-K12-Kultur zum Erntezeitpunkt. DieGenexpression wurde nach einer anfänglichenWachs-tumsphase induziert, und das Insulinfusionsprotein bildetim Cytoplasma ein deutlich sichtbares unlösliches Protein-aggregat

onsprotein (� Abb. 9.1). Hierbei wird das Ziel-protein mit einem anderen Protein fusioniertund dieser Fremdproteinanteil im Verlauf derIsolierung des Zielproteins enzymatisch oderchemisch abgespalten. Diese Methode wird an-gewendet, wenn das Zielprotein selbst instabilist und durch das Fusionsprotein eine Stabilisie-rung erreicht werden kann oder die Löslichkeitdes Zielproteins erhöht oder erniedrigt wer-den soll. Außerdem kann mit dieser Methodeein N-terminal homogenes Protein hergestelltwerden. Bei der Direktexpression eines Gensin E. coli weist das Zielprotein aufgrund desAUG-Startcodons immer ein N-terminales N-Formylmethionin oder Methionin auf. Die Ent-fernung der N-Formylgruppe wird in E. colidurch das Enzym Peptiddeformylase (def ) ka-talysiert. In der Regel ist die Abspaltung desN-Formylrestes sehr effizient, bei starker Über-expression eines Proteins kann aber ein gewisserProzentsatz des Proteins die N-Formylgruppenoch enthalten. E. coli besitzt auch ein Enzymzur Abspaltung des N-terminalen Methionins(Methionin-Aminopeptidase), die Effizienz derAbspaltung ist aber abhängig von der darauffol-genden Aminosäure in der Position 2 des Prote-ins: Einige kleinere Aminsäuren, wie z. B. Glycin,

Prolin und Alanin, begünstigen die Abspaltungdes Methioninrestes, andere Aminosäuren, wiez. B. Arginin oder Phenylalanin, hemmen dieAbspaltung. Infolgedessen erhält man ein Ge-misch aus dem authentischen Zielprotein undder um ein Methionin oder N-Formylmethioninverlängerten Form (�Abb. 9.1).

S. cerevisiae ist in der Lage, Proteine korrektgefaltet in das Kultivierungsmedium zu szernie-ren. Da S. cerevisiae nur eine begrenzte Zahl vonProteinen ins Medium ausscheidet, erleichtertdies die spätere Reinigung des Zielproteins. Hier-bei wird der natürliche Sekretionsmechanismusder Bäckerhefe genutzt, die Proteine mit einersogenannten N-terminalen Präprosequenz überdas endoplasmatische Retikulum, den Golgi-Apparat und die sekretorischen Vesikel korrektgefaltet und mit ausgebildeten Disulfidbrückenin das Medium ausschleusen zu können. Die so-genannte Signalsequenz vermittelt denTransportdes Proteins in das endoplasmatische Retiku-lum und wird dort durch spezifische Proteasenentfernt. Die Prosequenz dirigiert das Protein an-schließend vom endoplasmatischen Retikulumin die sekretorischen Vesikel. Sie wird eben-falls durch spezifische Proteasen abgespalten. Alsenzymatische Spaltstelle dient z. B. die Amino-säureabfolge Lys-Arg.

Wenn die Zielsequenz des heterologen Ziel-proteins festgelegt ist, erfolgt die Auswahl desExpressionswirtes und die Optimierung derExpressionsrate. Bei der Wahl des Expressi-onswirtes gibt es eine große Auswahl kom-merziell verwendeter Mikroorganismen. Bisherwerden aber fast ausschließlich E. coli, S. cerevi-siae und Pichia pastoris bei der Herstellung vonPharmaproteinen verwendet, da hier die meis-te Erfahrung und ein breites Grundlagenwissenvorliegt. Von diesenMikroorganismen existierenunterschiedliche Wirtsstämme, die sich in derExpressionsleistung oder anderen Eigenschaftenunterscheiden. So kann sich z. B. die Deletionvon bestimmten Protease-Genen positiv auf dieProduktbildung und deren Stabilität auswirken.Proteolytische Abbauprodukte müssen währendder Reinigung aufwendig abgetrennt werdenund belasten außerdem die Syntheseleistung der

Page 7: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

9.2 ⋅ Industrielle Expressionssysteme, Kultivierung und Proteinisolierung 185

9

Zelle, die dann nicht vollständig in die Wert-stoffsynthese, sondern auch in die Bildung vonNebenprodukten einfließt. Häufig werden dieStämme E. coli K oder E. coli B bzw. Deriva-te dieser Stämme verwendet. E. coli BL21 (einE. coli-B-Derivat) ist im Vergleich zu E. coli K12unter anderem bezüglich der beiden Proteasenlon und ompT defizient, was die Isolierung in-takter Proteine erleichtert. Die lon-Protease isteine intrazelluläre Protease, die Proteine abbautbevor die Zellen lysiert werden. Dahingegenbaut die ompT-Protease extrazelluläre Protei-ne ab und kann Proteine im Periplasma odernach Lyse der Zellen degradieren. Ob weitereMikroorganismen, die schon heute für die indus-trielle Anwendung in der Lebensmittelindustrieoder Enzymherstellung eingesetzt werden, inZukunft auch für die Herstellung von Phar-maproteinen verwendet werden, wie Bacillus,Corynebacterium, Aspergillus oder Pseudomonas,bleibt abzuwarten.

Bei der Optimierung der Expressionsratesind die folgenden Faktoren zu beachten:1. die Promotorsequenz: Mit der Wahl eines

geeigneten Promotors kann die ExpressionerGene zeitlich gesteuert und das Expressions-niveau festgelegt werden. Man unterscheidetstarke und schwache Promotoren sowie in-duzierbare und konstitutive Promotoren.Induzierbare Promotoren sind nur aktiv,wenn bestimmte Bedingungen erfüllt wer-den, wie z. B. die Zugabe eines Induktors.Ein häufig verwendeter Promotor zur Gen-expression in E. coli ist der lac-Promotor,der durch die Zugabe von Isopropyl-β-D-1-thiogalactopyranosid (IPTG) oder Lactoseangeschaltet wird. Im großtechnischen Maß-stab wird auch der Arabinose-Promotor ver-wendet, der durch Zugabe von L-Arabinoseinduziert wird. L-Arabinose ist preiswerterals IPTG und auch weniger toxisch. Durchdie Variation der L-Arabinosekonzentrationim Medium kann das Expressionsniveausehr fein justiert werden. Weitere Alterna-tiven sind die PhoA oder trp-Promotoren,die durch Phosphat- bzw. Tryptophanman-gel angeschaltet werden. Durch Zugabe von

β-Indolacrylsäure kann der trp-Promotor zu-sätzlich voll induziert werden, da diese Säuredas trp-Repressorprotein vollständig inakti-viert. Bei der Insulin-Produktion in S. cerevi-siae kommt der konstitutive Triosephosphat-Isomerase-Promotor zum Einsatz. Diesersorgt für ein konstantes Expressionsniveauwährend der kontinuierlichen Prozessfüh-rung.

2. die Initiation und Termination der Trans-lation: Für die Initiation der Translation sinddie Shine-Dalgarno-Sequenz und der korrek-te Abstand dieser Sequenz zum Startcodonwichtig. Effiziente Terminatoren verhinderndie Bildung überlanger instabiler mRNA-Moleküle und die unerwünschte Transkripti-on benachbarter Gene.

3. die Kopienzahl des Plasmids: Die Kopien-zahl eines Plasmids pro Zelle, die zwischenwenigen Molekülen (z. B. pBR322 – 15 bis20 Kopien pro Zelle) und Hunderten Kopien(pBluescript – 300 bis 500 Kopien pro Zel-le) variieren kann, bestimmt die Anzahl derGenkopien des Zielproteins pro Zelle. Die Er-höhung dieser sogenannten Gendosis kanneinen positiven Einfluss auf die Expressions-rate haben. Bei Genen, die im Chromosomintegriert werden, kann die Gendosis z. B.durch eine Mehrfachintegration in das Ge-nom erhöht werden.

4. die Codonverwendung: Für einige Ami-nosäuren stehen verschiedene Codons zurVerfügung, und deren Verwendungshäufig-keit ist spezifisch für einen Organismus. Daselten verwendete Codons die Translationverlangsamen können, empfiehlt es sich, beider Expression eines menschlichen Proteinsin E. coli die Gensequenz so anzupassen, dasssie dem Codongebrauch der Wirtszelle weit-gehend entspricht, aber natürlich noch fürdasselbe Protein codiert.

5. die Auswahl der Proteinsequenz bei Fu-sionsproteinen: Der Fusionspartner einesProteins kann verschiedene Aufgaben über-nehmen: Er kann die Löslichkeit des Ziel-partners beeinflussen, das Zielprotein gegenproteolytischen Verdau stabilisieren oder

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186 Kapitel 9 ⋅Pharmaproteine

Motive zur Affinitätsreinigung des Proteinsbeinhalten, wie z. B. einen His-Tag. Des Wei-teren kann er die Expressionsrate verbessern,die Sekretion fördern oder die Lokalisierungeines Proteins in ein bestimmtes Zellkompar-timent steuern.

6. dieAuswahl der Signalpeptidsequenzen beisezernierten Proteinen: Die Signalsequenzcodiert in der Regel für ein kurzes Peptid,das den Bestimmungsort eines Proteins be-stimmt, wie z. B. das Periplasma (E. coli),Zellkompartimente (z. B. Mitochondrien)oder das Kulturmedium. Für den Trans-port der Proteine durch die Zellmembra-nen existieren spezifische Transportsysteme.Spezifische Signalpeptidasen spalten dieseC-terminalen Proteinmotive beim Transportdurch die Membran ab.

Als Selektionsmarker werden Antibiotika-Re-sistenzen auf dem Plasmid, wie z. B. β-Lactamase(Ampicillin-Resistenz), oder auxotrophe Wirts-stämme (z. B. Leucin-auxotrophe Stämme) ein-gesetzt. Bei auxotrophen Wirtsstämmen wirddie chromosomale Mutation durch das Plas-mid komplementiert und somit die Stabilitätdes Plasmids gewährleistet. Möglich ist auch dieIntegration der Gensequenz des entsprechen-den Proteins in das Chromosom. Wichtig fürindustrielle Stämme ist die Stabilität des Wirt-Vektor-Systems über mehrere Generationen beieiner Maßstabsvergrößerung in ein industriellesUmfeld und bei kontinuierlicher Prozessführungüber einen längeren Zeitraum.

Nach der endgültigen Festlegung des Ex-pressionsplasmids und des Expressionsstammserfolgt die Herstellung der sogenannten Mas-terzellbank. Hierzu wird aus verschiedenenEinzelklonen, die nach der Transformation desendgültigen Plasmids vorliegen, ein einzelnerKlon (initiale Zellbank) ausgewählt, der dannzur Herstellung der Masterzellbank verwendetwird. Die Masterzellbank wird für den gesamtenLebenszyklus des Produktes hergestellt und istTeil der Zulassungsdokumentation, die bei denBehörden eingereicht wird. Für diese Dokumen-tation ist eine intensive Charakterisierung derZellbank notwendig. Unter anderem werden die

Sequenz des Plasmids, die Kopienzahl, die Sta-bilität des Stamms über mehrere Generationen,die Homogenität und die Stammeigenschaftenuntersucht. Aus derMasterzellbank, die ausmeh-reren Hundert Ampullen bestehen kann, werdenWorkingzellbänke hergestellt (� Abb. 9.3). Auchdie Workingzellbänke bestehen aus mehrerenHundert Ampullen. Der Start des Produkti-onsprozesses erfolgt mit einer oder mehrerenAmpullen der Workingzellbank. Durch dieseMaßnahme wird sichergestellt, dass die vorhan-dene Zellbank für den gesamten Lebenszykluseines Produktes zur Verfügung steht, da derWechsel der Zellbank mit einem sehr hohenAufwand verbunden ist.

9.2.2 Isolierung der Pharmaproteine

Biopharmazeutische Herstellprozesse haben imletzten Jahrzehnt eine rasante Entwicklung hin-sichtlich Produktausbeute, Produktivität undKosteneffizienz erlebt. Durch das wachsendemolekularbiologische und zelluläre Verständnisentstanden Expressionssysteme, die in Kombi-nation mit einer immer exakter kontrolliertenProzessführung zu deutlich verbesserten Pro-dukttitern führten. Die Größenordnungen beimikrobiellen Hochzelldichteverfahren liegen beibis zu 10 g/l des gewünschtenPharmaproteins imFermenter. Bei mikrobiellen Herstellprozessenliegen die Kapazitätsengpässe sowie die Haupt-kosten in der Aufarbeitung und Reinigung derPharmaproteine (dem downstream processing),insbesondere in den meist mehrstufigen, säulen-chromatographischen Schritten.

Nach Zellabtrennung und einem gegebenen-falls notwendigen Zellaufschluss kommen beider Reinigung eines Proteins unterschiedlichechromatographische Verfahren (z. B. Ionenaus-tausch-, Größenausschlusschromatographie),Membranverfahren (Ultra- und Diafiltration)sowie physikalische Verfahren wie Fällung undKristallisation zum Einsatz. Die Reproduzierbar-keit des gesamten Verfahrens wird im Rahmeneiner Prozessvalidierung gezeigt. Hierbei muss

Page 9: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

9.2 ⋅ Industrielle Expressionssysteme, Kultivierung und Proteinisolierung 187

9

Masterzellbank 400 Kryovials

Transformations-petrischale

Einzelklon-selelektion

Schüttelkolben Kryovials,initiale Zellbank

Produktionsprozess über 3 Prozessstufen

3. Hauptfermenter40 000 l

2. Vorfermenter2 000 l

1. Kolben1 l

Workingzellbank 400 Kryovials

�Abb. 9.3 Herstellung einer Workingzellbank über die initiale Zellbank und die Masterzellbank. Die Lagerung derZellbänke erfolgt bei niedriger Temperatur in Gefrierschränken oder in Flüssigstickstoff. Produktionschargen werden inder Regel mit einer Ampulle der Workingzellbank gestartet. Im vorliegenden Beispiel können mit der Zellbank 160 000Produktionschargen gestartet werden. Wenn pro Tag eine Charge beimpft wird, reicht die Zellbank für mehr als 400Jahre

eine hohe Reproduzierbarkeit des gesamten Pro-zesses innerhalb vorher festgelegter Grenzenbelegt werden. Da die meisten Pharmaprotei-ne injiziert werden, müssen die entsprechendenWirkstoffe in hoher Reinheit dargestellt werden,um mögliche Nebenwirkungen zu vermeiden.Man unterscheidet dabei zwischen Prozess-verwandten und Produkt-verwandten Verun-reinigungen. Die Prozess-verwandten Verunrei-nigungen kommen aus demVerfahren selbst, wiebeispielsweise die Wirtszellproteine, Endotoxinebei Verwendung von E. coli oder Chemikali-en, die bei der Herstellung und Reinigung desProteins verwendet werden. Die Abreicherung

dieser Stoffe muss kontrolliert und gezeigt wer-den. Für Endotoxine, Wirtszellproteine undDNA haben die entsprechenden Zulassungs-behörden Grenzwerte vorgegeben. Bei Produkt-verwandten Verunreinigungen handelt es sichum Derivate des eigentlichen Zielproteins, dieunter anderem durch Abbau (z. B. proteolytischeAbbauprodukte, Desamidierung von Asparaginoder Glutamin), aus biosynthetischen Vorläu-fermolekülen (z. B. unvollständige Prozessierungwährend der Proteinsekretion) oder währenddes Herstellprozesses selbst entstehen (z. B. Oxi-dation an Methioninresten). Am Ende einesHerstellprozesses liegt ein hochreines Protein

Page 10: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

188 Kapitel 9 ⋅Pharmaproteine

vor, das eine Qualität innerhalb festgelegter Spe-zifikationsgrenzen aufweist. Die Qualität desProteins ist das Resultat des im Rahmen derZulassung festgelegten und reproduzierbarenHerstellverfahrens. Damit wird die Reinheit, Si-cherheit und Wirksamkeit des Produktes für diePatienten sichergestellt.

Die Herstellkosten für ein Biopharmazeuti-kum werden in Material- und Fertigungskostenunterteilt. Der Anteil der Fertigungskosten beiden mikrobiellen Verfahren ist deutlich größerals derMaterialkostenanteil und kann bis zu 90%betragen. Innerhalb der Fertigungskosten sinddie Kapital- und Personalkosten die größten Po-sitionen. In Hochlohnländern wie Deutschlandkönnen die Personalkosten in der Größenord-nung von 40% liegen. Investitionen für denNeubau oder Erweiterungen vonAnlagen fließenüber die Abschreibungen zurück in die Kapital-kosten und können ähnliche Größenordnungenwie bei den Personalkosten erreichen. In derPraxis bedeutet das, dass eine wachsende Nach-frage nach Biopharmazeutika zunächst durchOptimierung der Herstellprozesse bewerkstel-ligt wird, bevor zusätzliche kapazitätssteigerndeInvestitionen getätigt werden.

9.2.3 Behördliche Auflagenfür die Herstellungvon Pharmaproteinen

Die Herstellung von Arzneimitteln erfolgt nachder guten Herstellpraxis (GMP, Good Manu-facturing Practice). Dadurch stellen die Pharma-und Biotechnologie-Firmen sicher, dass derenProdukte spezifische Anforderungen in Bezugauf Identität, Wirksamkeit, Qualität und Rein-heit erfüllen.

Die Herstellung selbst beinhaltet die Wa-renannahme und -freigabe, Produktion, Ver-packung, Umverpackung, Kennzeichnung, Um-etikettierung, Qualitätskontrolle, Freigabe, La-gerung und den Vertrieb von Wirkstoffen sowiedamit verbundener Kontrollen. Von den Behör-

den werden sehr allgemeine Vorgaben gemachtfür:� Qualitätsmanagement� Personal� Gebäude und Anlagen� Prozessausrüstung� Dokumentation und Aufzeichnungen� Materialmanagement� Produktion und Inprozesskontrollen� Verpackung und Kennzeichnung� Lagerung und Vertrieb� Laborkontrollen� Validierung und Qualifizierung� Änderungskontrollen� Zurückweisung undWiederverwendung von

Materialien� Beanstandungen und Rückrufe� Lohnhersteller, Vertreter, Makler, HändlerDiese generellen Vorgaben sind von den Herstel-lern zu interpretieren und intern für die Produk-te und Anlagen in detaillierte Vorgaben umzu-setzen. Die Behörden kontrollieren diese Umset-zung regelmäßig bei Inspektionen vor Ort.

9.3 Insuline

9.3.1 Anwendung und Strukturen

Gegenwärtig gibt es weltweit 246 Mill. Diabeti-ker – die Tendenz ist weiter steigend. Die Inter-nationale Diabetes-Föderation prognostiziert fürdas Jahr 2030 weltweit eine Steigerung um 54%auf nahezu 440 Mill. Erkrankte.

Es gibt zwei Typen von Diabetes. In beidenFällen ist eine erhöhte Blutzuckerkonzentra-tion das Hauptsymptom. Bei Typ-1-Diabetesdegenerieren oft schon in jungen Jahren dieInsulin-produzierenden Beta-Zellen der Bauch-speicheldrüse. Als Folge wird das für die Regu-lation des Blutzuckers notwendige Insulin nichtmehr produziert. Bei Typ-2-Diabetes wird In-sulin zwar produziert, aber die Körperzellenkönnen das Insulin nicht mehr ausreichenderkennen. Um den Blutzuckerspiegel dennochniedrig zu halten, reagiert die Bauchspeichel-

Page 11: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

9.3 ⋅ Insuline 189

9

A-Kette

B-Kette

GLY GLY

GLYHIS

HIS

GLY

ARGARGVAL

VALVAL

LYS

PHE

PHE PHEGLUGLU ALA ARG

ASN

THR –COOH

GLNSER

LEULEU

LEULEU THR PROTYR TYR

CYS

GLY ILE

ILEVAL GLU

GLU ASN ASN –COOHGLN

GLNSER SER LEU LEU

THRTYR TYR

CYS CYSCYS CYS

CYS

S

S

S

S

+S

S

1

1

5

5

10

10

15

15

20

20 2530

�Abb. 9.4 Struktur des nativen Humaninsulins mit A-Kette (1–21) und B-Kette (1–30). Das Molekül verfügt über dreiDisulfidbrücken, wobei zwei Disulfidbrücken die A- und B-Kette miteinander verbinden (Aminosäuren sind im Drei-Buchstabencode angegeben). Das Insulinanalogon Insulin-Glargin (Handelsname Lantus®, Sanofi) unterscheidet sichvon Humaninsulin lediglich durch eine verlängerte B-Kette (zwei zusätzliche Aminosäuren Arginin auf den PositionenB31 und B32) sowie einen Aminosäureaustausch auf der A-Kette (Glycin statt Aspargin auf Position A21; siehe rote Mar-kierung)

drüse mit einer noch größeren Produktion vonInsulin (Insulin-Resistenz). Die Beta-Zellen derBauchspeicheldrüse werden dabei so stark belas-tet, dass sie nach Jahren schließlich erschöpfen.Ein ungesunder Lebenswandel mit zu wenig Be-wegung und ungünstiger Ernährung gehörenzu den Ursachen von Typ-2-Diabetes. WährendTyp-1-Diabetiker in jedem Fall Insulin brau-chen, werden Typ-2-Diabetiker zu Beginn derErkrankung meist mit oralen Antidiabetika be-handelt und steigen erst im weiteren Verlauf derErkrankung auf Insulin um.

Insulin besteht aus zwei Peptidketten (derA-Kette mit 21 Aminosäuren und der B-Kettemit 30 Aminosäuren), die durch zwei Disul-fidbrücken verbunden sind (�Abb. 9.4). Einedritte Disulfidbrücke verbindet die Aminosäu-ren 6 und 11 der kürzeren A-Kette miteinander(�Abb. 9.4). In den Beta-Zellen der Bauch-speicheldrüse wird zunächst das Präproinsulin-Molekül gebildet. Am N-terminalen Ende desPräproinsulins befindet sich eine Signalsequenz,an die sich die B-Kette anschließt, danach einC-Peptid und schließlich die A-Kette. DurchBildung der drei Disulfidbrücken wird das bis-her gestreckte Molekül gefaltet. Im endoplas-matischen Retikulum bzw. im Golgi-Apparatwerden von dem Präproinsulin die Signalse-quenz und das C-Peptid enzymatisch abge-

spalten. Das Insulin liegt nun in seiner nativenStruktur vor.

Die industrielle Herstellung von Insulinweisteine lange Geschichte auf. Nach der erfolgrei-chen Extraktion von Insulin durch FrederickG. Banting und Charles H. Best 1921 beganndie Produktion und der Vertrieb dieses Insu-lins durch die Firma Höchst AG schon im Jahr1923. Insulin wurde hierbei aus dem Pankreasvon Schweinen extrahiert und gereinigt. Al-lerdings unterscheidet sich die Primärsequenzdes Schweineinsulins von der menschlichenSequenz um eine Aminosäure bzw. um dreiAminosäuren beim Rinderinsulin. Dies kannbei einigen Patienten zu Nebenwirkungen wieAllergien führen. Im Jahr 1982 kam das ers-te hochreine rekombinante Insulin aus E. coliauf den Markt, das identisch mit der humanenSequenz war (Humulin®). Die biotechnischeHerstellung dieses Peptidhormons stellte dieVersorgungssicherheit für Millionen Patientenin der ganzen Welt sicher. Allein in Deutschlandleiden 7 Mill. Patienten an Typ-1- bzw. Typ-2-Diabetes. Die Versorgungssicherheit wird durchhohe Produktionskapazitäten in der ganzenWeltsichergestellt.

Neben Humaninsulin und Insulinen tieri-schen Ursprungs gibt es mittlerweile eine Viel-zahl von gentechnisch veränderten Insulinen,

Page 12: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

190 Kapitel 9 ⋅ Pharmaproteine

� Abb. 9.5 Verfahrensschema fürdie Herstellung von Humaninsulinmit Saccharomyces cerevisiae undEscherichia coli

E. coli-Fermentation

Lösen Einschlusskörper

Faltung

Isolierung Einschlusskörper

Zentrifugation

Konzentrierung

enzymatische Spaltung

Ionenaustauschchromatographie

Ionenaustauschchromatographie

enzymatische Spaltung

Umkehrphasen-HPLC

Kristallisation

Zellaufschluss

Trocknung

S. cerevisiae-Fermentation

Filtration

Kristallisation

Ionenaustauschchromatographie

Zentrifugation

Filtration

Ethanol-Präzipitation

Kristallisation

Ionenaustauschchromatographie

Hydrolyse

Umkehrphasen-HPLC-1

Transpeptidierung

Umkehrphasen-HPLC-3

Umkehrphasen-HPLC-2

Kristallisation

Trocknung

die sogenannten Insulinanaloga. Bei den Insu-linanaloga werden gezielt einzelne Aminosäurendes menschlichen Insulins ausgetauscht und soMoleküle mit weiteren gewünschten Eigenschaf-ten geschaffen. Wirkeintritt und -dauer könnendamit praktisch „maßgeschneidert“ werden. Sounterscheidet man Depot-Insuline (z. B. Insulin-Glargin, Handelsname Lantus®, Sanofi), dieüber einen langen Zeitraum gleichmäßig wir-ken, von solchen, deren Wirkung sofort einsetzt,aber nicht lange anhält (z. B. Insulin-Glulisin,bekannt unter dem Handelsnamen Apidra®,Sanofi; Insulin-Lispro, Humalog®, Lilly; oderInsulin-Aspart, Novorapid®, Novo Nordisk). DieUnterschiede der Insulinanaloga im Vergleich zuHumaninsulin sind am Beispiel Insulin-Glarginin�Abb. 9.4 dargestellt.

9.3.2 Herstellverfahren

Insulin kann mit unterschiedlichen Herstellver-fahren produziert werden. Je nachdem, welchenMikroorganismus man benutzt, unterscheidetsich die Aufarbeitung und Reinigung des Hor-mons. Zwei Verfahren sind derzeit gängig: dieProduktion eines Fusionsproteins in E. coli unddie Produktion eines Vorläuferproteins, dem so-genannten Miniproinsulin, mit Saccharomycescerevisiae (�Abb. 9.5). Ein weiteres theoretischmögliches Verfahren, das hier nicht näher be-schrieben wird, ist die separate Produktion derA- und B-Ketten. Bei diesem Verfahren werdendie beiden Ketten getrennt in zwei unterschied-lichen E. coli-Stämmen hergestellt und nach Fer-mentation und Produktisolierung durch einenchemischen Schritt gekoppelt.

Page 13: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

9.3 ⋅ Insuline 191

9

�Abb. 9.6 a Verlauf der Fer-mentationsparameter bei derInsulin-Produktion mit E. coli. DasFusionsprotein liegt intrazellulärals unlöslicher Einschlusskörpervor. Nach einer Wachstumspha-se im Fed-Batch-Betrieb wird dieInsulin-Produktion chemisch in-duziert. Nach ca. 24 h wird dieZellsuspension geerntet. b Ver-lauf der Fermentationsparameterwährend der Startphase bei derInsulin-Produktion mit Saccharomy-ces cerevisiae. Nachdem stationäreBedingungen nach ca. 72 h erreichtwerden, wird die Kultursuspensionkontinuierlich aus dem Fermenterabgezogen. Die kontinuierliche Be-triebsweise dauert ca. drei Wochen

Insulin-Vorläuferprotein

Biomasse

Induktion

pO2

0 15Fermentationszeit [h]

30

Insulin-Vorläuferprotein

Biomasse

Feedstart

pO2

0 50Fermentationszeit [h]

100

a

b

Produktion eines Fusionsproteinsin E. coliDas Fusionsprotein liegt intrazellulär als un-löslicher Einschlusskörper vor (�Abb. 9.2). DieKultivierung erfolgt in einem 60-m-Bioreaktormit einem genetisch veränderten E. coli-Stammim Hochzelldichteverfahren. In den E. coli-Produktionsstamm ist ein Plasmid eingebracht,das die genetische Sequenz eines Insulinfusions-proteins enthält. Mithilfe eines induzierbarenPromotors wird die Genexpression und da-mit die Synthese des Fusionsproteins gesteuert.Ab einer bestimmten Zelldichte wird die Pro-teinproduktion durch Zugabe eines Induktorsgestartet (�Abb. 9.6a). Neben der Überwachungund Regelung der physikalisch-chemischen Pa-rameter wie pH-Wert, pO, Temperatur kommtes auf einen guten Stoff- und Wärmetransportim Bioreaktor an. Hohe Zelldichten erforderneinen hohen Sauerstoffeintrag in den Bioreak-

tor und eine gleichzeitig auf das Zellwachstumbzw. auf die Produktbildung abgestimmte Gluco-sezufuhr, um Nebenproduktbildung wie Acetatzu vermeiden. Eine gute Durchmischung derFermentationssuspension verhindert das Auftre-ten von lokalen Konzentrationsgradienten vonNährstoffen und gewährleistet die Abfuhr derdurch die Mikroorganismen erzeugten beträcht-lichen Wärmemengen.

Nach Kultivierungsende werden die Mikro-organismen inaktiviert und die Zellsuspensionkonzentriert (�Abb. 9.7). Die Zellen werden me-chanisch in einem Hochdruckhomogenisatoraufgebrochen und die das Fusionsprotein ent-haltenden Einschlusskörper freigesetzt. Nachdem Zellaufschluss werden die Einschlusskörperdurch Zentrifugation isoliert. Die Einschluss-körper, die als unlösliche Aggregate vorliegen,werden anschließend in einem denaturierendenAgens gelöst und vollständig reduziert. Zur kor-

Page 14: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

192 Kapitel 9 ⋅ Pharmaproteine

� Abb. 9.7 Aufarbeitung vonInsulin-Einschlusskörpern. A: A-Kette des Insulins; B: B-Kette desInsulins; C: Peptidbrücke oderconnecting peptide; PS: Prosequenz;Scheren symbolisieren die Schnitt-stellen für Proteasen

Insulin

Präproinsulin

Fusionsprotein

Zellernte

Zellaufschluss mittelsHomogenisator

Isolierung und Reinigungdes Fusionsproteins

Faltung

enzymatischeSpaltung

Vorreinigung undAufkonzentrierungdurch Adsorption

S

SS

S

S

S

S

SS

S

S

S

A

B

CPS

S

SS

S

S

S

Einschluss-körper

E. coli-Zelle

Page 15: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

9.3 ⋅ Insuline 193

9

rekten Ausbildung der Disulfidbrücken wird dasvollständig denaturierte und reduzierte Prote-in dann unter oxidativen Bedingungen in diekorrekt gefaltete Form überführt. Nach erfolg-ter Rückfaltung des Fusionsproteins findet dieAbspaltung der Präsequenz und des C-Peptidsdurch proteolytische Prozessierung mit der Se-rinprotease Trypsin statt. Trypsin spaltet dieProteinkette auf derC-terminalen Seite vonLysinbzw. Arginin. Nach der Spaltung liegt das Insulinin seiner nativen Form vor, allerdings befindetsich am C-Terminus der B-Kette noch eine ba-sische Aminosäure, die im weiteren Verlauf desVerfahrens durch die Metalloprotease Carboxy-peptidase B abgespalten werden muss. DiesesEnzym spaltet basische Aminosäuren wie Ly-sin und Arginin am C-Terminus von Proteinenab. Die Reinigung des nativen Insulins erfolgtüber mehrere chromatographische Reinigungs-schritte. Der letzte Aufreinigungsschritt führt zueinem hochreinen Insulin, das unter sauren Be-dingungen isoliert, kristallisiert und schließlichlyophilisiert wird (�Abb. 9.5).

Herstellung eines Vorläuferproteins,demMiniproinsulin, mitSaccharomyces cerevisiaeDie Verwendung von Saccharomyces cerevi-siae als Wirtsorganismus für die Insulinher-stellung weist zwei grundlegende Unterschiedezum oben beschriebenen Verfahren auf: (1) DieHefe sekretiert den Insulin-Vorläufer in dasKultivierungsmedium und ersetzt damit denZellaufschluss. (2) Die Disulfidketten sind imKultivierungsmedium bereits korrekt geknüpft,was den Verzicht auf den verlustreichen Fal-tungsschritt ermöglicht. Das in S. cerevisiaeexprimierte Präproinsulin wird jedoch nichtsehr effizient sekretiert. Stattdessen wird ein demPräproinsulin ähnliches Molekül, das sogenann-te Miniproinsulin, in der Hefe exprimiert. DiesesMiniproinsulin enthält eine Signalsequenz zurAusschleusung des Proteins, eine enzymatischeSpaltstelle zur späteren Abspaltung der Signalse-quenz und den Insulin-Vorläufer. In Letzterem istdie B-Kette durch Deletion des Threonins an derPosition 30 verkürzt und über ein kurzes Peptid

mit der A-Kette verbunden. Dieses Vorläufer-molekül wird korrekt gefaltet und sezerniert,muss allerdings noch enzymatisch prozessiertwerden. Hierbei wird die Peptidbrücke zwischenA- und B-Kette zunächst entfernt. Anschließendwird die B-Kette in einer weiteren enzymatischenReaktion um das fehlende Threonin verlängert(Position 30,�Abb. 9.4).

Die Kultivierung der Bäckerhefe erfolgt ineinem kontinuierlichen Fermentationsverfahrenin einem simplen, Hefeextrakt enthaltenden Me-dium. Der das Miniproinsulin codierende Plas-midvektor liegt in einer hohen Kopienzahl vor.Die Expression des Zielgens erfolgt mithilfe eineskonstitutiven, d. h. immer aktiven Promotors.Somit kann das Insulin-Vorläuferprotein von derBäckerhefe kontinuierlich produziert und auf-gearbeitet werden. Der Produktionsfermenterwird zunächst im Fed-Batch-Verfahren betriebenund nach ca. drei Tagen in den kontinuierlichenBetriebsmodus überführt (�Abb. 9.6b). Die Ver-dünnungsraten sind relativ niedrig im Vergleichzur maximalen spezifischen Wachstumsrate desProduktionsstamms. Optimale Wachstumsbe-dingungen liegen bei pH 5 und einer Temperaturvon ○C vor. Da Zellwachstum und Produkt-bildung eng voneinander abhängen, ist daraufzu achten, dass die Hefe immer im aerobenStoffwechselzustand bleibt. Zuckerüberschussund/oder Sauerstoffmangel sind durch genaueÜberwachung des respiratorischen Quotientenzu vermeiden. Bei Zuckerüberschuss bildet dieBäckerhefe auch unter aeroben BedingungenEthanol („Crabtree-Effekt“), und dieser Zustandist während der kontinuierlichen Produktionnicht erwünscht.

DieAufarbeitung beginntmit derAbtrennungder Hefezellen vom Kultivierungsmedium durchZentrifugation mit einem Tellerseparator. ZurVorreinigung und Konzentrierung des Insulin-Vorläuferproteins wird der Überstand auf eineKationenaustausch-Chromatographiesäule auf-getragen. Das Insulin-Vorläuferprotein wirdmithilfe eines pH-Gradienten von der Säuleeluiert und filtriert, um letzte Hefezellen zuentfernen. Das Zielprotein wird aus dem Eluatdurch Kristallisation isoliert. Weitere Verunrei-

Page 16: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

194 Kapitel 9 ⋅ Pharmaproteine

nigungen, werden durch Präzipitation entfernt:Dazu werden die das Zielprotein enthaltendenKristalle zunächst aufgelöst, der Lösung Ethanolzugegeben und ein schwach alkalischer pH-Werteingestellt. Unter diesen Bedingungen ist In-sulin sehr gut löslich und Verunreinigungen,darunter vor allem Hefeproteine, werden aus derLösung gefällt. Weitere Filtrations- und Kristal-lisationsschritte führen zu einem Produkt mitmehr als 90% Reinheit. Das Insulin-Intermediatenthält aber noch immer Verunreinigungen ausdem Kultivierungsmedium (Hefeproteine undDNA).

Imnächsten Schritt wird der Insulin-Vorläuferenzymatisch, z. B. durch Zugabe von Lysylendo-peptidase oder Trypsin, in die A- und B-Kettegespalten. Die Spaltung erfolgt nach Lysinresten,wobei die Spaltung nach Lysin-29 in der B-Ketteund nach einem Lysinrest im C-Peptid erfolgt.Die zur natürlichen Aminosäuresequenz des Hu-maninsulins fehlende Aminosäure Threonin inPosition 30 der B-Kette wird durch eine enzyma-tische Transpeptidierung eingefügt. Hierbei wirdThreonin-t-Butylester enzymatisch C-terminalan die B-Kette gekoppelt. Der so entstande-ne Insulinester wird anschließend mithilfe derUmkehrphasen-Chromatographie (reversed pha-se) und Anionenaustausch-Chromatographieweiter aufgereinigt, um vor allem das bei derTranspeptidierung eingesetzte Enzym sowie beidieser Reaktion entstandene Nebenprodukte zuentfernen. Das native Insulin entsteht, indem ineiner Hydrolysereaktion die t-Butylestergruppeam Threonin in Position B30 abgespalten wird.Dabei ist insbesondere die Einhaltung der Para-meter Temperatur und pH von Bedeutung, umdie Disulfidbindungen nicht zu zerstören.

Die finale Reinigung des Insulins erfolgt überdie Schritte Umkehrphasen-Chromatographieund Kristallisation. Anschließend wird das Hu-maninsulin durch Gefriertrocknung in einestabile Lagerform überführt. Diese Schritte sindprinzipiell vergleichbar mit dem Hochreini-gungsverfahren bei Verwendung von E. coli alsWirtsorganismus. Am Ende des Prozesses liegtInsulin mit einer Reinheit von mehr als 99% vor.

9.4 Somatropin

9.4.1 Anwendung

Somatropin ist ein körpereigener Wachstums-faktor (engl. human growth hormone, hGH),der in den Alpha-Zellen des Hypophysenvor-derlappens insbesondere während des Schlafensgebildet wird. Als Arzneimittel wird Somatropinbei Kindern mitMinderwuchs verabreicht, wenner auf eine verminderte Sekretion des endogenenWachstumshormons zurückzuführen ist. Auchbei Erwachsenen, die aufgrund einer Hypophy-seninsuffizienz einen Wachstumshormonmangelaufweisen, kann Somatropin zum Einsatz kom-men. Das Marktvolumen der größten Herstellerbetrug im Jahr 2010 mehr als 3 Mrd. US-Dollar(� Tab. 9.2).

9.4.2 Herstellverfahren

Somatropin ist ein 191 Aminosäuren umfassen-des Protein, das überwiegendmit rekombinantenE. coli-Stämmen hergestellt wird. Die erstenVerfahren zur Herstellung von Somatropin ba-sierten auf der Bildung von Einschlusskörpern,die eine aufwendige Aufarbeitung durch Zell-aufschluss, Isolierung und Lösen des Produk-tes bedeuteten. Heutige Verfahren verwendenProtein-Sekretionstechnologien. Hierbei wirddas rekombinante Protein durch Anfügen einerSignalsequenz in das Periplasma des Bakteri-ums sezerniert und anschließend durch os-motischen Schock freigesetzt. Die einzelnenHerstellschritte zur Herstellung von Somatro-pin sind in� Abb. 9.8 beschrieben.

Somatropin wird mittlerweile von zahlrei-chen Herstellern unter anderem als sogenanntesBiosimilar („ähnliches biologisches Arzneimit-tel“) produziert. Im Jahr 2006 wurde Somatropinunter dem Handelsnamen Omnitrop® von derFirma Sandoz als erstes Biosimilar in der EUzugelassen.

Page 17: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

9.5 ⋅ Interferone – Anwendung und Herstellung 195

9

Somatropin

Zellabtrennung

osmotische Extraktion

Fermentation

Anzucht

mehrstufigechromatographische

Reinigung

Ultrafiltration

Konfektionierung

Ultrafiltration

Molekularsiebchromatographie

�Abb. 9.8 Verfahrensschema für die Produktion vonSomatropin mit E. coli. Das Produkt wird in das Periplasmasekretiert

Biosimilars sind Nachahmerprodukte vonBiopharmazeutika, analog den Generika fürchemisch hergestellte Arzneistoffe, die nach Pa-tentablauf des Originalpräparates auf den Marktgebracht werden können. Die Unterschiede zwi-schen Generika und Biosimilars liegen in dendeutlich komplexeren Herstellverfahren für bio-technische Produkte imVergleich zu chemischenVerfahren, weshalb für Biosimilars eigene Zulas-sungsverfahren seitens der Behörden geschaffenwurden.

9.5 Interferone – Anwendungund Herstellung

Interferone sind Proteine, die vor allem von wei-ßen Blutkörperchen gebildet werden und sichdurch eine immunstimulierende, antivirale sowieantitumorale Wirkung auszeichnen und damitwichtige Komponenten des unspezifischen Im-munsystems darstellen. Kommerziell bedeutendsind Interferon α2a und α2b, die sich nur in einerPosition in der Primärsequenz unterscheiden.

Die Umsätze betrugen im Jahr 2010 2,5Mrd. US-Dollar (� Tab. 9.2). Beim Interferon α2a befindetsich inPosition 23 ein Lysinrest, der beim Interfe-ron α2b durch Arginin ersetzt ist. Interferon α2awurde bereits 1987 zugelassen und gehört da-mit zu den ersten rekombinanten Proteinen, diesich auch heute noch auf dem Markt befinden.Das reife Interferon-α2a-Protein besteht aus 165Aminosäuren und weist zwei Disulfidbrückenzwischen den Aminosäuren 1 und 98 sowie 29und 138 auf. Bei der Direktexpression des Inter-ferons α2a in E. coli wird am N-Terminus desProteins ein Methionin angehängt (� Abb. 9.1),das nur zum Teil während der Produktion inE. coli wieder entfernt wird. Auch wenn derüberwiegende Teil des Wirkstoffes hinsichtlichder Aminosäuresequenz mit dem humanen Pro-tein identisch ist, enthält ein kleiner Teil desWirkstoffes dieses zusätzliche Methionin undhat eine Länge von 166 Aminosäuren. Das re-kombinante Interferon α2a unterscheidet sichvon der humanen Version durch die fehlendeO-Glykosylierung, da in E. coli diese Form derProteinmodifikation nicht existiert.

Interferon α2awird intrazellulär inE. coli pro-duziert. Nach dem Zellaufschluss erfolgen dieBildung der Disulfidbrücken und die anschlie-ßende Re6sinigung durch mehrere aufeinander-folgende Chromatographieschritte. Zur Verlän-gerung der Wirkdauer dieser beiden Interferonewurden verbesserte, sogenannte PEGylierteWirkstoffe (PEG = Polyethylenglykol) entwi-ckelt und diese im Jahr 2000 (Peginterferon α2b,PEG-IFN α2b) bzw. 2002 (Peginterferon α2a,PEG-IFN α2a) durch die entsprechenden Be-hörden zugelassen. Diese Wirkstoffe entstehendurch Anknüpfung einer Seitenkette aus ei-nem verzweigten Polyethylenglykol-Polymer.Der zugrunde liegende Reaktionsmechanis-mus zur PEGylierung von Proteinen ist in derBox „Reaktionsmechanismus zur PEGylierungeines Pharmaproteins“ beispielhaft schematischdargestellt. Die Anknüpfung des 40 kDa großenverzweigten Polyethylenglykol-Polymers erfolgtan der freien ε-Aminogruppe von Lysinrestenüber eine Amidbindung. Der Substitutionsgradbeträgt dabei ein Mol Polymer pro Mol Protein.

Page 18: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

196 Kapitel 9 ⋅ Pharmaproteine

Reaktionsmechanismus zur PEGylierung eines Pharmaproteins

Grundstruktur einer PEG-Kette

Grundstruktur einer aktivierten m-PEG-Kette und Darstellung des Reaktionsmechanismus

Struktur des verzweigten aktivierten PEG-Reagens für Pegasys

NO

O

O

NH

OCH3(OCH2CH2)n

CH3(OCH2CH2)n

O

(CH2)4O

NH

O

O

α

N +OOm-PEG

OO

O

NH2

R2

R1HNO NHO

O

O

Om-PEG

O

R2

R1HNO

NH

ε

CH3—(OCH2CH2)n—OH

lineare Monomethoxy-PEG-OH-Kette (m-PEG)

Verknüpfung eines m-PEG-Succinimidylcarbonats mit der ε-Aminogruppe eines Lysinrestes eines Proteins.Das Succinimidylcarbonat wird bei der Reaktion abgespalten, wobei N-Hydroxysuccinimid gebildet wird.

Das aktivierte PEG-Reagens enthält zwei m-PEG-Ketten (Größe jeweils 20 kDa).Die beiden m-PEG-Ketten sind an die α- und ε-Aminogruppe eines Lysins gekoppelt.

a

b

c

®

Durch diese Modifikation nimmt die Größe desInterferons von ca. 20 auf 60 kDa zu, und manerreicht eine deutlich verlängerte Halbwertszeit,sodass das Medikament weniger häufig verab-reicht werden muss.

Interferon β1bwird in E. coliK12 produziert.Das rekombinante Protein unterscheidet sich indrei Punkten von der humanen Version. DasProtein ist nicht glykosyliert, das N-terminaleMethionin fehlt und die Aminosäure Cystein

wurde in Position 17 durch Serin ersetzt. EineDisulfidbrücke verbindet das Cystein in Positi-on 31 mit dem Cystein in Position 141. Auchhier wird das rekombinante Protein als Ein-schlusskörper gebildet, der nach Isolierung indie native gefaltete Form überführt werden mussund dann durch chromatographische Verfah-ren hochrein dargestellt wird. Rekombinantes,in E. coli produziertes Interferon γ1b enthält140 Aminosäuren. Das native Protein enthält

Page 19: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

9.6 ⋅Humaner Granulocytenkolonie-stimulierender Faktor 197

9

� Tabelle 9.3 Interferone, die mit E. coli produziert werden

Interferone Modifikation Verwendung Aminosäurenpro Protein

Marktzulassung

α2a – Krebs 165 1987

α2a PEGylierung Hepatitis B/C 165 2002

α2b – Krebs, Hepatitis B/C 165 2000

α2b PEGylierung Hepatitis C 165 2000

β1b – Multiple Sklerose 165 1995

γ1b – Immunstimulans 140 1992

keine Disulfidbrücken, liegt aber als Homodi-mer vor, wobei zwei identische Proteinmoleküleein nicht kovalent miteinander verbundenesDimer ausbilden. Eine Übersicht über die ver-schiedenen Interferone, die mithilfe von E. colihergestellt werden, und deren Verwendung gibtdie� Tab. 9.3.

9.6 HumanerGranulocytenkolonie-stimulierender Faktor

9.6.1 Anwendung

Der Granulocytenkolonie-stimulierende Faktor(granulocyte-colony stimulating factor, G-CSF) istein Peptidhormon, das aus 174 Aminosäuren be-steht. Es wird als Cytokin unter anderem bei Ent-zündungen vom Körper ausgeschüttet und regtdie Bildung von neutrophilen Granulocyten an.

Das humane G-CSF ist ein Glykoprotein, dasan der Position 133 (Threonin) glykosyliert ist. Esbesitzt eine Molekülmasse von 19,6 kDa. Dabeimacht die Glykosylierung etwa 4% des Gesamt-gewichts aus. Neben der Glykosylierung stellenzwei Disulfidbrücken ein weiteres wesentliches

Element der posttranslationalen Modifikationdar.

Als Wirkstoff kann rekombinantes G-CSFentweder mit Säugerzellen (CHO-Zellen; Leno-grastim) oder mit E. coli (Filgrastim) hergestelltwerden. Lenograstim ist identisch zum huma-nen G-CSF in Bezug auf die Aminosäuresequenzund die Glykosylierung an Position 133. Filgras-tim hingegen hat in der Aminosäuresequenz amN-Terminus zusätzlich ein Methionin eingebautund besitzt keine Glykosylierung.

Zusätzlich existiert G-CSF auch in PEGylier-ter Form (Pegfilgrastim). Dabei wird an das Me-thionin am N-Terminus von Filgrastim kovalentein 20-kDa-Monomethoxypolyethylenglykol ge-bunden. Die Vergrößerung der molaren Masseauf ungefähr 39 kDa führt im Körper zu einerverlängerten Halbwertszeit im Vergleich zu Fil-grastim (� Tab. 9.4).

Der Wirkstoff bewirkt nach dem heutigenStand der Forschung, dass sich infektiöse Ne-benwirkungen einer Chemotherapie reduzierenlassen (Krebsbehandlung), dieNeutropenie (Ver-minderung der neutrophilen Granulocyten imBlut) durch permanente Substitution der feh-lenden Granulocyten therapieren lässt und dassStammzellen sich bei der Stammzelltransplan-tation aus dem Knochenmark lösen und insperiphere Blut gelangen. G-CSF kann entwe-der vorbeugend eingesetzt werden, wenn die

Page 20: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

198 Kapitel 9 ⋅ Pharmaproteine

� Tabelle 9.4 Verschiedene Wirkstoffe des Granulocytenkolonie-stimulierenden Faktors (G-CSF) und deren Expres-sionssysteme

CHO E. coli E. coli

Wirkstoff Lenograstim Filgrastim Pegfilgrastim

Aminosäuren 174 175 175

Modifikation Glykosylierungan Position 133

keine PEGylierungam N-Terminus

Molekulare Masse 19,6 kDa 18,8 kDa 39 kDa

� Tabelle 9.5 Der Wirkstoff Filgrastim befindet sichunter verschiedenen Handelsnamen auf demMarkt.Alle Wirkstoffhersteller nutzen E. coli als Expressions-system

Handelsname Wirkstoffhersteller

Filgrastim Hexal® Sandoz

Zarzio® Sandoz

Biograstim® SICOR Biotech

Ratiograstim® SICOR Biotech

Tevagrastim® SICOR Biotech

Nivestim™ Hospira

Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass ein star-kes Absinken der neutrophilen Granulocyteneintritt, oder therapeutisch, wenn die Anzahl anneutrophilen Granulocyten bereits niedrig ist.

Neben dem Originalpräparat Neupogen®von Amgen befindet sich der Wirkstoff Filgras-tim unter verschiedenen Handelsnamen vonunterschiedlichen Herstellern auf dem Markt(� Tab. 9.5).

9.6.2 Herstellverfahren

Vergleichbar zur Herstellung von rekombinan-tem Humaninsulin mit E. coli wird ausgehendvon einer Zellbank über eine oder mehrere Vor-

kulturstufen in einem Fermentationsverfahrendas Filgrastim als Einschlusskörper gebildet.Nach Zellernte und Zellaufschluss werden dieEinschlusskörper isoliert. Nach der Faltungs-reaktion wird das nativ gefaltete Protein übermehrere Chromatographiestufen isoliert undrein dargestellt.

Im Falle von Pegfilgrastim wird ein 20-kDa-Monomethoxypolyethylenglykol kovalent anden N-Terminus gebunden.

9.7 Impfstoffe

9.7.1 Anwendung

Neben der Herstellung von pharmakologisch ak-tiven Substanzen gibt es auf dem Markt auchImpfstoffe, die rekombinant mit Mikroorganis-men hergestellt werden. � Tabelle 9.6 zeigt eineÜbersicht über die zurzeit auf dem Markt be-findlichen rekombinanten Impfstoffe aus Mikro-organismen. Als Expressionssystem wird dabeiüberwiegend mit der Bäckerhefe S. cerevisiaegearbeitet. Für die Herstellung von Impfstof-fen werden ganz gezielt die immunogenen Teileeines Krankheitserregers mittels gentechnischveränderter Mikroorganismen produziert. Die-se werden anschließend isoliert, bei Bedarf mitentsprechenden Wirkverstärkern, sogenanntenAdjuvantien, versetzt und zur aktiven Impfungzum Schutz vor Krankheitserregern meistens in-tramuskulär appliziert. Das Protein (Antigen)

Page 21: Industrielle Mikrobiologie || Pharmaproteine

9.7 ⋅ Impfstoffe 199

9

wird vom Körper als fremd erkannt. Der Kör-per reagiert mit einer Immunantwort und derBildung von Lymphocyten, die dann Antikörpergegen das entsprechende Antigen produzieren.Der Schutz gegen die Antigene bleibt durch diesogenannten Gedächtniszellen lange erhalten,sodass bei einer Infektion und damit Wiederauf-treten des Antigens eine Infektion unterbundenwerden kann.

9.7.2 Herstellung von Gardasil®

Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom) ist diezweithäufigste Krebserkrankung bei Frauen. Ver-ursacht wird diese Krebsform durch Infektionmit humanen Papillomviren (HPV). Die huma-nen Papillomviren zählen zu den unbehüllten,doppelsträngigen DNA-Viren und sind Erreger,die Zellen der Haut bzw. der Schleimhaut infi-zieren. Einige der bekannten HPV-Typen sindfür die Entstehung von gewöhnlichen Haut-warzen (Papillome) verantwortlich. Etwa zehnbis 15 HPV-Typen können allerdings Zellver-änderungen im Gebärmutterhals verursachen,die sich über Vorstufen zu einer Krebserkran-kung entwickeln können. Die Entdeckung dieserZusammenhänge ermöglichte die Entwicklungprophylaktischer Impfstoffe gegen eine HPV-Infektion.

Die Entwicklung des Impfstoffes unter demHandelsnamen Gardasil® begann Anfang der1990er-Jahre. Nach der Erstzulassung im Jahr2006 ist die Impfung mit Gardasil® inzwischenweit verbreitet. Gardasil® beinhaltet Virus-ähn-liche Partikel (VLP = virus-like particles) für dasHauptkapsid-L1-Protein humaner Papillomvi-ren. Gardasil® ist ein Vierfach-Impfstoff, der sichgegen die HPV-Typen 6, 11, 16 und 18 richtet.

Das Herstellverfahren umfasst zwei Abschnit-te: (1) Die Kultivierung und Ernte einer rekom-binanten Hefe S. cerevisiae und (2) die Auf-reinigung der VLPs inklusive der Bindung dergereinigten VLPs an ein aluminiumhaltiges Ad-juvans. Der Fermentationsprozess besteht auseiner Vorfermentation und einer Hauptfermen-

tation. In der Vorfermentation wird für allevier HPV-Typen dasselbe Medium eingesetzt.Während der Fermentation werden Wachstumund die Glucosekonzentration gemessen. Nachder Hauptfermentation in dem entsprechendenKultivierungsmedium werden die Zellen mit-tels Mikrofiltration geerntet. Das Zellkonzentratwird in Portionen aufgeteilt und eingefroren.

Der Aufreinigungsprozess beginnt mit demAuftauen des eingefrorenen Zellkonzentrats undder Freisetzung der VLPs durch Zellaufschlussund anschließende Mikrofiltration. Die Zelllysa-te werden in der Folge inkubiert und die VLPsmittels Querstromfiltration, Chromatographieund Ultrafiltration aufgereinigt. Für alle vier Ty-pen besteht der finale Aufreinigungsschritt ineinem Pufferaustausch und einer Sterilfiltrati-on, bei der das finale, in wässriger Phase gelösteProdukt (final aqueous product, FAP) hergestelltwird. Das FAP wird für jedes der vier Typen aufamorphes Aluminiumhydroxyphosphatsulfatzur Herstellung der vier monovalent gebunde-nen Bulkprodukte (monovalent bulk adsorbedproducts, MBAPs) adsorbiert.

Aluminiumhydroxyphosphatsulfat wird alsAdjuvans eingesetzt. Darunter versteht maneinen Stoff, der dieWirkung eines anderen Stoffesverstärkt. Auf den Einsatz von Impfstoffen über-tragen bedeutet dies, dass im Falle von Gardasil®die immunogene Wirkung der vier VLPs durchden Zusatz von Aluminiumhydroxyphosphat-sulfat unspezifisch verstärkt wird.

9.7.3 Herstellung einesHepatitis-B-Impfstoffes

Bei Hepatitis B ist die Leber mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV) infiziert. Die Infektion verläuftentweder akut (90%) und die Ausheilung erfolgtinnerhalb von vier bis sechs Monaten, gelegent-lich auch chronisch, wenn die Hepatitis längerals ein halbes Jahr besteht. Weltweit sind nachSchätzungen der Weltgesundheitsorganisation(WHO, World Health Organization) 300 bis420 Mill. Menschen chronisch mit Hepatitis B

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200 Kapitel 9 ⋅ Pharmaproteine

� Tabelle 9.6 Übersicht über die zurzeit auf dem Markt befindlichen Impfstoffe, die rekombinante Antigene enthal-ten, und deren Hersteller

Erkrankung Erreger Handelsname Hersteller Expressionssystem

Hepatitis A/B

Hepatitis-A/B-VirusAmbirix® GlaxoSmithKline Bio-

logicalsS. cerevisiae

Twinrix® GlaxoSmithKline Bio-logicals

S. cerevisiae

Hepatitis-B-Virus

Engerix®-B(Oberflächenprotein)

GlaxoSmithKlinePharma

S. cerevisiae

Fendrix® GlaxoSmithKline Bio-logicals

S. cerevisiae

HBVAXPRO® Sanofi Pasteur MSD S. cerevisiae

Gebärmutter-halskrebs

Humaner Papillomvirus(HPV)

Gardasil® Sanofi Pasteur MSD S. cerevisiae

Cholera Vibrio cholerae Dukoral® Crucell Sweden AB Vibrio cholerae

infiziert, und bis zu einer Million Menschensterben jährlich an dieser Erkrankung. Bei etwaeinemDrittel derWeltbevölkerung (über 2Mrd.)sind Antikörper als Zeichen einer überstande-nen HBV-Infektion nachweisbar. In Folge deschronischen Verlaufs der Krankheit (chronisch-persistierende Hepatitis) besteht das Risiko, aneiner Leberzirrhose sowie einem Leberzellkar-zinom zu erkranken. Die Therapie einer chro-nischen Hepatitis B ist schwierig. Aus diesemGrund ist die vorbeugende Impfung die wich-tigste Maßnahme zur Vermeidung der Infektionund Verminderung der weltweiten Virusträger-zahlen.

Der Hepatitis-B-Virus zählt zu den partielldoppelsträngigen umhüllten DNA-Viren, die fastausschließlich Leberzellen befallen (�Abb. 9.9).Die infektiösen Virionen sind von einer äußerenLipiddoppelschicht umgeben, in der drei vira-le Oberflächenmembranproteine (LHBs, MHBsund SHBs) eingelagert sind. Die Lipiddoppel-schicht stammt vermutlich aus dem endoplas-matischen Retikulum. Die Oberflächenproteinedes Virus werden auch als HBsAg (hepatitis Bsurface antigen) bezeichnet, da diese bei der Im-munabwehr des Virus eine Rolle spielen. Wenn

DNADNA-Polymerase

HBsAg(hepatitis B surface antigen)

HBcAg(hepatitis B core antigen)

�Abb. 9.9 Schematische Darstellung des Hepatitis-B-Virus mit den HBcAg- und HBsAg-Antigenen

Antikörper gegen die Oberflächenproteine imBlut nachweisbar sind, ist dies ein Zeichen derAusheilung. Innerhalb der Virushülle befindetsich ein Nukleokapsid, das aus dem HB-Core-

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9.9 ⋅ Enzyme 201

9

Protein (HBc) aufgebaut ist. Das Nukleokapsidumgibt wiederum das Virusgenom. Das voll-ständige Zusammensetzen des Hepatitis-B-Viruserfolgt im endoplasmatischen Retikulum und imGolgi-Apparat, und die Ausschleusung aus derLeberzelle geschieht durch Exocytose.

Der rekombinante Hepatitis-B-ImpfstoffHBVAXPRO besteht aus einem hoch aufgerei-nigten Hepatitis-B-Oberflächenantigen HBsAg,das an ein Aluminium-Adjuvans adsorbiert ist.Das eingesetzte Plasmid codiert für ein 24 kDagroßes Protein, dem sogenannten SHBs (smallhepatitis B surface antigen). Das Antigen wirdvon einem rekombinanten S. cerevisiae-Stamm inder Fermentation produziert. Nach dem Zellauf-schluss und anschließender Aufreinigung wirddas Antigen formuliert und in den finalen Con-tainer überführt.

9.8 Fragmentantikörper

Die Herstellung von Fragmentantikörpern, densogenannten Fabs (fragment antigen binding)in E. coli gewinnt in den letzten Jahren an Be-deutung. Ein Fab enthält die Antigen-bindendeDomäne eines Antikörpers ohne den sogenann-ten Fc-Teil eines vollständigen IgG-Antikörpers(�Abb. 9.10). Während industriell bisher nurhöhere Zellen für die Produktion vollständigerAntikörper eingesetzt werden, sind bereits zweiFragmentantikörper, die mit E. coli hergestelltwerden, zugelassen. Dies sind die Fab-FragmenteRanibizumab (Handelsname Lucentis®, Novar-tis; � Tab. 9.2) zur Behandlung der Makulade-generation und Certolizumab (HandelsnameCimzia®, UCB) zur Behandlung von rheumati-scherArthritis. Ranibizumabbindet den vaskulä-ren endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF) undverhindert damit die Bildung von Blutgefäßen.Ranibizumab wird bei der altersbezogenen Ma-kuladegeneration, einer Augenerkrankung, ein-gesetzt und ist seit 2006 in den USA auf demMarkt erhältlich. Das Heterodimer hat eine Grö-ße von 48 kDa und ist nicht glykosyliert. Damitist es im Vergleich zu einem vollständigen IgG-

Fc-Region

Antigenbindestelle

Fab-Region

VL

CL

VH

CH1

CH2

CH3

�Abb. 9.10 Schematische Darstellung eines IgG-Antikörpers, mit den einzelnen Regionen, die für dieHerstellung von rekombinanten Pharmaproteinen ausMikroorganismen bereits industriell genutzt werden oderin Zukunft genutzt werden könnten (Abschn. 9.11). VL : va-riable Domäne der leichten Kette; VH : variable Domäneder schweren (heavy) Kette; CL : konstante Domäne derleichten Kette; CH : konstante Domäne der schweren Kette

Antikörper, der bis zu 150 kDa groß sein kann,relativ klein. Die Expression erfolgt in E. coli, wo-bei die schwere und leichte Kette des Antikörpersin das Periplasma ausgeschieden werden. Im rei-fen Protein ist die leichte Kette 214 Aminosäurenlang und über eineDisulfidbrückemit der schwe-ren Kette verbunden, die eine Kettenlänge von231 Aminosäuren aufweist. Weiterhin besitzt dasMolekül vier intramolekulare Disulfidbrücken.Im oxidativen Milieu des Periplasmas erfolgendie korrekte Faltung der zwei Proteinkettenund die Bildung des Heterodimers aus leich-ter und schwerer Kette. Das reife Protein wirddann durch einen osmotischen Schock aus demPeriplasma freigesetzt und über mehrere aufein-anderfolgende Aufreinigungsschritte hochreindargestellt.

9.9 Enzyme

Enzyme stellen eine weitere wichtige Produkt-klasse bei den Pharmaproteinen dar. So wirdz. B. das Enzym Uratoxidase bei der Behandlungvon Nebenwirkungen in der Krebstherapie ein-

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202 Kapitel 9 ⋅ Pharmaproteine

gesetzt. Durch die Chemotherapie kann es zueiner erhöhten Bildung von Harnsäure kommen,die wegen ihrer geringen Löslichkeit in der Niereauskristallisiert und zumAusfall derNierenfunk-tion führen kann. Uratoxidase katalysiert dieUmsetzung von Harnsäure zu Allantoin. Allan-toin ist gut wasserlöslich und wird leicht überdie Niere ausgeschieden. Da es in Menschen die-ses Enzym nicht gibt, wurde das Gen aus einemAspergillus-Stamm isoliert und in Saccharomy-ces cerevisiae kloniert. Bei dem Protein handeltes sich um ein Tetramer aus identischen Un-tereinheiten mit einer Größe von 34 kDa. Nachder Fermentation wird die Zellmasse aufkon-zentriert, die Hefezellen aufgeschlossen und dieUratoxidase über mehrere chromatographischeStufen aufgereinigt.

Ein weiteres Enzym in der medizinischen An-wendung, das in Mikroorganismen produziertwird, ist die Reteplase. Die Reteplase leitet sichvom menschlichen Plasminogenaktivator t-PAab und besteht aus 355 Aminsäuren. Das na-türliche t-PA-Molekül ist eine Serinprotease miteiner Kettenlänge von 527 Aminosäuren. Re-teplase kommt bei Herzinfarkt-Patienten zumEinsatz und beschleunigt die Auflösung vonBlutgerinseln. Die Reteplase wird in E. coli K12als Einschlusskörper gebildet. Das Protein wirdnach dessen Faltung durch verschiedene chro-matographische Schritte rein dargestellt.

9.10 Peptide

Bei der Herstellung von kleineren Peptiden stehtdie rekombinante Herstellung in Mikroorganis-men in Konkurrenz zur chemischen Synthese.Die Produktion von sehr kleinen Peptidenmit ei-ner Kettenlänge von nur 30 bis 40 Aminosäuren,die meist über keine ausgeprägte Sekundärstruk-tur und keine Disulfidbrücken verfügen, ist inMikroorganismen schwierig, da diese intrazel-lulär durch Proteasen abgebaut werden können.Bei der chemischen Festphasensynthese wirdein Peptid aus aktivierten Aminosäuren an ei-nem Trägerharz schrittweise linear aufgebaut,

anschließend vom Träger abgelöst und mithil-fe chromatographischer Verfahren gereinigt.Die Herstellungskosten für die chemische Syn-these steigen mit wachsender Kettenlänge. Abeiner Kettenlänge von 30 bis 40 Aminosäurenist die rekombinante Herstellung der Peptide inder Regel in Mikroorganismen günstiger. EinBeispiel hierfür ist der Wirkstoff Teriparatid(� Tab. 9.2), ein 34 Aminosäuren langes Frag-ment des menschlichen Parathyroid-Hormons,das die Knochenbildung stimuliert und seit 2003eine Marktzulassung hat. Der Wirkstoff bestehtaus einer Proteinkette mit einer molekularenMasse von 4118Da. Die dreidimensionale Struk-tur des Peptids weist eine helikale Region auf.Dieser Wirkstoff wird biotechnisch in E. coli pro-duziert.

9.11 Ausblick – zukünftigewirtschaftliche Bedeutung

Im Zeitraum von 2006 bis 2010 wurden insge-samt 58 Biopharmazeutika in den USA und inEuropa zugelassen. Nur 25 Biopharmazeutikaenthielten einen neuen Wirkstoff (NBE, new bio-logical entities), während 33 Biopharmazeutika,z. B. in einer anderen Formulierung, schon ein-mal zugelassen waren. Von den 58 zugelassenenProdukten basieren 22 (38%) auf mikrobiellenExpressionssystemen. Die „Arbeitspferde“ sindnach wie vor E. coli und S. cerevisiae. Bemerkens-werte Ausnahme ist die kürzliche Zulassung vonEcallantid (Kalbitor®, Firma Dyax) zur Behand-lung des hereditären Angioödems in den USA,das mit der Hefe Pichia pastoris hergestellt wird.

Ein weiteres kompetitives Element in derbiotechnologischen Industrie nimmt gegenwär-tig immer mehr an Fahrt auf: die Biosimilars(„ähnliche biologische Arzneimittel“). Von denzugelassenen 58 Biopharmazeutika gehören 15(26%) zu dieser Klasse. Das weltweite Markt-volumen für Biosimilars betrug 2009 3 Mrd.US-Dollar, und es wird erwartet, dass sich dasMarktvolumen bis 2020 mehr als verzehnfacht.

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9.11 ⋅Ausblick – zukünftige wirtschaftliche Bedeutung 203

9

In Deutschland sind bisher vier Biopharma-zeutika als Biosimilar zugelassen: Epoetin (alphaund zeta), hergestellt durch Zellkulturverfah-ren, und Somatropin und Filgrastim, hergestelltdurch mikrobielle Verfahren. In den europäi-schen und US-Märkten werden in den kommen-den Jahren weitere Biosimilars, insbesondere imBereich der Insuline, erwartet.

Für die kommerzielle Herstellung monoklo-naler Antikörper werden zurzeit ausschließlichhöhere Zellen (vor allem CHO-Zellen) einge-setzt. In der Forschung und Entwicklung zeigtsich allerding ein Trend, nicht mehr den hoch-molekularen, komplexen gesamten Antikörperals Wirkstoff in der Therapie einzusetzen. Wiebei den Fab-Antikörperfragmenten liegt dasBestreben darin, die wirksamen Elemente desAntikörpers selektiv für die Therapie einzuset-zen. Gerade in der Onkologie gibt es vielfältigeMöglichkeiten, Teile oder Fusionen von Anti-körperelementen als Wirkstoffe zu verwenden.Für die Produktion der kleinen Fragmente kom-men häufig mikrobielle Expressionssysteme zumEinsatz. Gegenwärtig befinden sich mehr als 65Antikörperfragment-Wirkstoffe in vorklinischenund klinischen Studien. Neben einer Verkleine-rung von Antikörpern zu Antikörperfragmentenwerden auch mikrobielle Expressionssysteme,die in der Lage sind, Proteine zu glykosylieren, soweiterentwickelt, dass das Glykosylierungsmus-ter dem eines humanen Antikörpers ähnlich ist.

Eine weitere interessante Entwicklung stellendie DARPins und Anticaline dar. Es handeltsich bei beiden Molekülklassen um künstlicheProteine, die Antigene erkennen und bindenund somit als Antikörpermimetika bezeichnetwerden können. DARPins (Designed AnkyrinRepeat Proteins) sind von Proteinen abgeleitet,die ein oder mehrere Ankyrin-repeat-Motiveenthalten. Diese Motive sind in einer großenZahl natürlicher Proteine nachgewiesen worden.DARPins bestehen aus mehreren dieser meist 33Aminosäuren langen Motive, von denen siebenvariabel sind. Sie weisen je nach Anzahl der Mo-tive eine molekulare Masse von 14 bis 21 kDaauf. DARPin-Bibliotheken entstehen mithilfemolekularbiologischer Methoden durch zufäl-

lige Mutagenese. DARPins, die ein Zielproteinbinden können, werden beispielsweise durchPhagendisplay selektioniert. Anticaline sindebenfalls künstliche Proteine, die sich von dennatürlich vorkommenden Lipocalinen ableiten,einer weitverbreiteten Proteinklasse. Anticali-ne sind mit einer Molekülmasse von 20 kDaebenfalls deutlich kleiner als Antikörper. Auchhier erfolgt die Generierung von Molekülbiblio-theken durch zufällige Mutagenese. Anticalinekönnen im Gegensatz zu Antikörpern auch nie-dermolekulare Strukturen erkennen und binden.Die geringe Größe der DARPins und Anticalineim Vergleich zu herkömmlichen Antikörpernerleichtert die Gewebepenetration, und mankönnte sich beispielsweise den gezielten Trans-port von Arzneistoffen als Nutzung vorstellen.Beide Proteinklassen sind außerdem leicht inE. coli in hohen Konzentrationen herstellbar undweisen eine hohe Stabilität auf. Inwieweit dieseMolekülklassen Antikörper und Fab-Fragmentevon ihrer derzeit führenden Rolle in der me-dizinischen Anwendung verdrängen können,werden die nächsten Jahre zeigen.

Die mikrobiellen Expressionssysteme werdenständig dahingehend weiterentwickelt, die po-sitiven Eigenschaften unterschiedlicher Systemezusammenzuführen. E. coli als Expressionssys-tem zeichnet sich sowohl durch die sehr einfacheHandhabung in der Molekularbiologie als auchdurch die robuste Fermentationstechnik aus, dieskalierbar bis in den hohen Kubikmeter-Maßstabist. Die limitierenden Eigenschaften der fehlen-den Sekretion in den Kulturüberstand und diefehlende Glykosylierung von Proteinen stehendiesen Eigenschaften gegenüber. Durchmodernemolekularbiologische Methoden ist es mittler-weile möglich, E. coli-Stämme genetisch so zuverändern, dass eine Glykosylierung von Pro-teinen oder die Sekretion von Proteinen in denKulturüberstand möglich ist. Dabei steckt dieGlykosylierung von Proteinen mit E. coli nochin den Kinderschuhen und die erzielten Titerliegen imMilligramm-pro-Liter-Bereich. Bei derSekretion mit E. coli zeigen Technologien, wiez. B. ESETEC® (E. coli Secretion Technology) vonWacker Biotech GmbH (eine 100%ige Tochter

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204 Kapitel 9 ⋅Pharmaproteine

derWacker Chemie AG), das bereits heute in derHerstellung von biotechnischen Wirkstoffen fürklinische Studien eingesetzt wird, extrazelluläreKonzentrationen von bis zu 5 g/l heterologemProtein im Kulturüberstand.

b Literaturverzeichnis

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