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Informationen 265 zur politischen Bildung Neudruck 2010 Revolution von 1848

Informationen zur politischen Bildung - 265 - Revolution von 1848

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Informationen265 zur politischen Bildung

Neudruck 2010

Revolution von 1848

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

Inhalt

2 Revolution von 18482 Revolution von 1848

Europa unter Modernisierungsdruck 4Neue Modelle politischer Herrschaft 4Stabilisierung durch Restauration? 6Deutschland im Vormärz 11

Märzrevolution und Liberalisierung 15Februarrevolution in Frankreich 15Aufbruchstimmung in Südwestdeutschland 15Umsturz in Österreich 18Kapitulation des Preußenkönigs 19

Vorparlament und Paulskirche 23Weichenstellungen des Vorparlaments 23Zusammensetzung der Nationalversammlung 26Wahl des Reichsverwesers 29Differenzen um das Militär 29Bemühungen um internationale Anerkennung 30Weltmachtperspektiven 31Beratungen über die Grundrechte 33Entscheidung über den Staatsaufbau 35

Entstehung einer pluralistischen Öffentlichkeit 36Entfaltung der Presse 38Entstehung von Parteien 39

Erfolgreiche Gegenrevolution 43Krise der Habsburgermonarchie 43Verselbstständigung des Militärs 44Niederschlagung des Wiener Aufstandes 45Staatliche Neuordnung 47Preußen – Bündnis von Militär und Monarchie 48Schwächung der liberalen Regierungen 48Konflikt zwischen Parlament und König 49Konservativer Staatsstreich 52

Scheitern eines Traumes 55Ringen um Deutschlands Grenzen 55Kampf um die Reichsverfassung 58Militärgewalt gegen Demokraten 59Preußische Unionspläne 60Rückkehr zum Deutschen Bund 60Weiterentwicklung und Bilanz nach 1849 61

Literaturhinweise und Internetadressen 66Zeittafel der Revolution von 1848 68

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

Editorial

I n der Geschichte des 19. Jahrhunderts spielt das Jahr 1848 eine besondere Rolle. Lange hatte zuvor

die Erschöpfung nach den opferreichen Kriegen gegen Napoleon in Europa angehalten, hatten die Kräfte der Restauration seit 1815 für eine Lähmung des politischen Lebens gesorgt. Doch die erzwungene Ruhe war allenfalls vordergründig. Im Frühjahr 1848, unter dem Einfluss erneuter revolutionärer Umwälzungen im Nachbarland Frankreich, schien auf einmal auch für die Reformkräfte im Gebiet des Deutschen Bundes alles möglich, alles erreichbar: Persönliche Freiheit ohne staatliche Repression und gesellschaftliche Schranken, politische Gleichberechtigung, wirtschaftliche Entfaltung, nationalstaatliche Einheit ohne monarchisches Gottesgnadentum.

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Für diese Ideale waren Menschen aus allen Gesellschaftsschichten bereit, ihre ganze Existenz in dieWaagschale zu werfen und der Verfolgung durch die herrschenden Gewalten zu trotzen. Diese beugten sich unter dem Druck der Revolutionäre zunächst überraschend schnell den „Märzforderungen“. Sie gewährten Presse- und Versammlungsfreiheit, Geschworenengerichte und die Wahl verfassunggebender Versammlungen, allen voran ein in der Regel nach allgemeinem Wahlrecht der Männer gewähltes, erstes gesamtdeutsches Parlament.

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Für zusätzlichen Antrieb des revolutionären Geschehens sorgten auch die wirtschaftlichen Veränderungen, die von England ausgehend im 19. Jahrhundert Deutschland erreichten: Durch Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft und hygienische Verbesserungen wuchs die BevölkerungTechnische Neuerungen, wie die Dampfmaschine und der mechanische Webstuhl, setzten die Industrialisierung in Gang. Sie stärkte das Selbstbewusstsein und den Fortschrittsoptimismus des unternehmerischen Bürgertums, konnte jedoch anfänglich noch kein ausreichendes Arbeitsplatzangebot schaffen. Aufgrund dieser Entwicklungen verelendete vorübergehend ein Teil der Bevölkerung und sorgte so für sozialen Druck zur Veränderung der herrschenden Verhältnisse.

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Unter diesen Vorzeichen trat am 18. Mai 1848 die verfassunggebende Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt am Main zu ihrer

Eröffnungssitzung zusammen, um über Deutschlands staatliche Zukunft zu beraten.

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Nach dem Vorbild der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der französischen Menschenrechtserklärung entwickelten die Parlamentarier in den Folgemonaten einen beispielgebenden Katalog freiheitlicher Grundrechte und eine Verfassung Deutschlands als konstitutionelle Monarchie mit Gewaltenteilung.

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Doch bereits im Juni 1849 musste die Nationalversammlung unter dem Druck der Verhältnisse kapitulieren. Die Mächte der Restauration in Österreich und Preußen nutzten die Angst breiter Teile des Bürgertums vor Anarchie und den durch Armut und Not radikalisierten Unterschichten. Gestützt auf ihre Verfügungsgewalt über das Militär eroberten sie sich die Macht zurück.

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In der Folge kehrte ein Teil der Revolutionäre entmutigt Deutschland und Europa den Rücken. Besonders die junge Demokratie Nordamerikas profitierte von ihnen. Ein anderer Teil blieb, beugte sich realpolitischen Einsichten und unterstützte unter vorläufigem Verzicht auf freiheitlich-demokratische Bestrebungen Bismarcks Reichseinigung.

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Doch auch die Sieger mussten den Veränderungen Rechnung tragen: Die Uhr ließ sich nicht mehr vollständig zurückdrehen. Und – wie von den zunächst unterlegenen Verfechtern der Demokratie, so auch Ernst Moritz Arndt, erhofft – wirkte das Erbe der 1848er nach: Die Frankfurter Reichsverfassung setzte Maßstäbe für die spätere Verfassungsentwicklung Deutschlands. Der Grundrechtskatalog von 1949 bezieht sich fast wortgleich auf die Grundrechte der Paulskirche. Übernommen wurden auch nationale Symbole wie die Farben Schwarz-Rot-Gold. 1989 verwirklichte sich schließlich eine weitere Vision der 1848er: ein in Freiheit geeintes Deutschland inmitten eines, so Wolfgang J. Mommsen, „friedlichen Europas freiheitlicher Nationalstaaten“.

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Christine Hesse

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4 Revolution von 1848

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Europa unter ModernisierungsdruckGünter Wollstein

Am Anfang war die Revolution: Tanz um den Freiheitsbaum mit der roten Jakobinermütze während der französischen Besetzung des Rheinlands 1792/93

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es

Nach dem Sturz Napoleons soll die Rückkehr zu alten Ordnungsvorstellungen Europa stabilisieren. Doch die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Neue gesellschaftliche Gruppierungen fordern Freiheit, nationale Einigung und politische Teilhabe.

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Das Revolutionsjahr 1848 zählt zu den Glanzpunkten, aber auch zu den Wendepunkten deutscher

Geschichte. Kennzeichnend war der richtungweisende Versuch, einen national geeinten, modernen deutschen Staat mit einer freiheitlichen Verfassung zu schaffen, ausgerichtet auf die Interessen und auf das Wohl des Volkes. In diesem Rechtsstaat sollten mündige Staatsbürger ihr politisches Schicksal mitbestimmen, sie sollten durch Grundrechte geschützt sein und neue Chancen für ihre soziale und wirtschaftliche Entfaltung erhalten. Ein auf solche Weise freiheitlich gestaltetes Deutschland war gedacht als Teil einer friedlichen gesamteuropäischen Staatenund Völkerfamilie.

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Neue Modelle politischer Herrschaft

Dieses Projekt eines modern anmutenden „europäischen Hauses“ gleichberechtigter freiheitlicher Verfassungsstaaten hatte eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten und Vorbildern: Einzelne deutsche Reformer hatten schon vor der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation,

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1806, Überlegungen in diese Richtung angestellt, so beispielsweise Immanuel Kant (1724-1804) mit seiner Maxime von einer „Befreiung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ oder Johann Gottfried von Herder (1744-1803), der die Betonung auf die kulturelle Eigenständigkeit jedes einzelnen Volkes legte. Auch lieferten fortschrittliche westliche Staaten, neben Großbritannien vor allem die USA und Frankreich, Visionen für eine Neugestaltung Europas, bei der einem neuartigen deutschen Staat eine Schlüsselrolle zufallen sollte. Die bei Unterschieden in Einzelaspekten parallelen Impulse waren von Strömungen der Zeit wie dem Rationalismus und der Aufklärung, dem Empirismus und dem

Materialismus geprägt.

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Im England des 17. Jahrhunderts hatten Kämpfe zwischen Stuart-Königen mit absolutistischen und katholisierenden Tendenzen auf der einen sowie deren Parlamenten auf der anderen Seite zur Hinrichtung eines Königs (1649) und zur Restauration der Anglikanischen Staatskirche geführt, was eine protestantisch orientierte Öffnung des Glaubens und politischen Denkens auslöste.

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Habeas-Corpus-Akte(1679), „Glorreiche Revolution“(1688/89) und Bill of Rights (1689) veränderten die monarchische Struktur des Staates richtungweisend: Der König regierte nicht mehr „von Gottes Gnaden“, sondern als eine Art Angestellter der Nation und Garant für den inneren Frieden.

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Auch wurden die Rechte des Parlaments in der nun

mehr konstitutionell ausgerichteten Monarchie mit ungeschriebener Verfassung auf Dauer gesichert; John Locke (1632-1704) genießt seitdem den Ruf, herausragender Begründer und Theoretiker eines solchen bürgerlich-liberalen Staatsgedankens gewesen zu sein.

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Mochte auch in England, schon aufgrund eines stark eingeschränkten Wahlrechts, der Weg zur Demokratie noch weit sein, Whigs und Tories stellten

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5Europa unter Modernisierungsdruck

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hier fortan Vorformen politischer Parteien dar und bildeten – für die übrige Welt immer wieder faszinierend – mit ihrer Kultur der streitbaren Konsensfindung die Vorhut einer modernen zivilen Gesellschaft.

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Auch auf Amerika blickte das alte Europa des 19. Jahrhunderts. Neben Deutschen orientierten insbesondere Italiener und Polen, denen noch die Entfaltung eines nationalen Lebens in eigenen freiheitlichen Staaten versagt war, vielfach ihr politisches Denken an der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika und insbesondere an deren Unabhängigkeitserklärung (1776), die sich auf naturrechtlich vorgegebene Prinzipien wie Freiheit und Gleichheit der Menschen berief.

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In hohem Ansehen stand zudem die moderne, erstmals von einem Verfassungskonvent erstellte präsidiale und bundesstaatliche Verfassung der USA mit der Bill of Rights (1787/89). Schließlich be-eindruckte die handelspolitische Erfolgsgeschichte Amerikas, eines freiheitlich strukturierten großen

Flächenstaates, der sich positiv von weiten Teilen Europas mit muffiger Enge und bitterer Armut abhob.

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Frankreichs politische Strahlkraft ging demgegenüber auf die Französische Revolution und die Napoleonische Zeit (1789-1815), mithin eine erheblich jüngere Vergangenheit zurück. Bestimmend waren zumeist Mythen, welche die politischen Denker und Akteure mit Royalisten auf der Rechten und Republikanern auf der Linken polarisierten.

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Frankreich galt ungeachtet einer verbreiteten Ablehnung der Schreckensherrschaft der Jakobiner (1793/94) und bei einer nachhaltigen Betroffenheit der Menschen von einer Kette verlustreicher Kriege und Bürgerkriege vor allem als Mutterland der Revolution und jener Volksherrschaft, die Jean-Jaques Rousseau (1712-1778) in seiner Lehre von einem demokratischen Gesellschaftsvertrag als alleiniger Grundlage des

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Impulse durch Napoleon

Im Anfang war die Revolution. Als sich die französischen Generalstände im Juni 1789 in Versailles zur Nationalversammlung erklärten, konnte allerdings noch keiner der Abgeordneten ahnen, welche grundstürzenden Veränderungen dieser Beschluss in Gang setzen sollte. Wenige Jahre und eine Epoche der Weltgeschichte später waren Europas Throne ins Wanken geraten, und kurz nach der Wende zum neuen Jahrhundert beherrschte ein General der Revolution den Kontinent, der sich 1804 selbst zum Kaiser gekrönt hatte: Napoleon Bonaparte.

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Auch für Frankreichs Nachbarn begann jetzt eine neue Zeit. Am 1. August 1806 erklärten 16 deutsche Landesfürsten – darunter die Herren von Bayern, Baden, Württemberg und Hessen-Darmstadt – ihren förmlichen Austritt aus dem Heiligen Römischen Reich und schlossen sich Frankreich im Rheinbund an. Fünf Tage später kapitulierte in Wien Kaiser Franz II. vor dem Ultimatum Napoleons, der Europas Mitte allein für sich reklamierte, und legte die Krone nieder. Nach mehr als 800 Jahren hatte das Reich [...] aufgehört zu existieren. [...]

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Dieses bittere Ende hatte sich lange schon vorbereitet. Der Versuch der deutschen Fürsten, das revolutionäre Feuer jenseits des Rheins auszutreten, war im Herbst 1792 bei Valmy gescheitert; die Invasionstruppen des Alten Europa mussten kehrtmachen. Stattdessen rückte Frankreich vor. Mit der Besetzung Belgiens, Savoyens, Nizzas und der linksrheinischen Gebiete, später mit der Errichtung von Tochterrepubliken in Italien, der Schweiz und den Niederlanden dehnte sich das neue Modell der politischen Herrschaft immer weiter aus.

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In den Nachbarstaaten war der Beginn der Revolution von vielen Menschen mit Sympathie, ja mit Begeisterung verfolgt worden. [...] Im annektierten Rheinland war die Zeit der Ständegesellschaft zu Ende. Hier herrschten Rechtsgleichheit, Gewerbe- und Religionsfreiheit (endlich durften die Juden gleichberechtigte Bürger sein), aber auch die Pflicht zum Wehrdienst in der französischen Armee. Wirtschaftlich profitierte das Rheinland von den neuen Absatzmärkten des Imperiums. Die französischen Jahre legten den Grundstein für einen ökonomischen Vorsprung, der das Ende der napoleonischen Herrschaft überdauerte. [...]

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Ganz anders als im napoleonbegeisterten Westen und Süden sah die Lage im Norden und Osten Deutschlands aus. Nach zehn Jahren Frieden hatte der verlorene Krieg gegen Frankreich 1806/07 Preußen in eine Wirtschaftskrise gestürzt, die alles Bisherige in den Schatten stellte. [...]

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Auch Hamburg und andere norddeutsche Hafenstädte litten. Am 21. November 1806, einen Monat nachdem Preußens Armee bei Jena und Auerstedt untergegangen war, hatte Napoleon von Berlin aus eine Handelssperre gegen England verfügt. Damit wollte er den Erzfeind endlich in die Knie zwingen. Doch sie schlug auf sein Reich selbst zurück und gefährdete (nicht nur) Norddeutschlands Handelszentren in ihrer Existenz. [...]

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Doch selbst in den Rheinbundstaaten begann die Stimmung allmählich umzuschlagen. Der wirtschaftliche Niedergang durch die fatale Kontinentalsperre hinterließ auch hier seine Spuren. Schlimmer aber war, dass Napoleons Kriege in Spanien (seit 1808) und Russland (seit 1812) immer mehr Soldaten forderten. In den Rheinbundverträgen hatte der Kaiser die Pflicht seiner Bundesgenossen zur Heerfolge festschreiben lassen. [...]

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Gerade weil Napoleon stets von Sieg zu Sieg geschritten war, löste die Nachricht über den Untergang der Grande Armée in Russland so großes Entsetzen aus [...]. Erst jetzt fanden Europas Großmächte zu einer dauerhaften Allianz zusammen. Im Herbst 1813, verstärkt nach der „Völkerschlacht“ von Leipzig, wechselten dann auch die Rheinbundstaaten die Seite, nicht ohne sich die Gebietsgewinne der französischen Zeit garantieren zu lassen. Eine Propaganda bisher ungekannten Ausmaßes unterstützte die Mobilmachung gegen Napoleon. Von Theodor Körner bis Heinrich von Kleist war so mancher kleine und große Dichter mit einem Hassgesang dabei, und erstmals rückten auch Freikorps aus.

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Doch ein nationaler „Befreiungskrieg“, ein „Freiheitskrieg“ gar, waren die antinapoleonischen Kriege nicht. Es waren die Siege regulärer Truppen, die das Schicksal des Kaisers entschieden, und die so genannte Nationalbegeisterung erfasste keineswegs das ganze Volk, sondern nur den vergleichsweise kleinen Kreis der schon in den Jahren der Revolution politisierten Studenten und der protestantischen Bildungsbürger. [...]

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Ute Planert , „Der Abgott der Menge“, in: Die Zeit Nr. 32 vom 3. August 2006

Großbritannien, die USA und Frankreich boten Visionen für die staatliche Neugestaltung

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6 Revolution von 1848

Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

Staates umrissen hatte. Dessen ungeachtet galten der Sturm auf die Bastille und die Parole „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“ (1848 sollte man von einer „Verbrüderung“ sprechen), des weiteren die Gründung einer Nationalversammlung, die Erklärung der Menschenrechte, die schriftliche Niederlegung einer modellhaften konstitutionellen Verfassung (1789/91) sowie nicht zuletzt auch das erstmalige Auftreten freiheitlicher, auf nationale Selbstbestimmung pochender Völker mit Trikoloren, Hymnen wie der Marseillaise und Nationalkokarden als elementare Bezugspunkte für alle politischen Richtungen des 19. Jahrhunderts.

Auch von Preußen gingen entscheidende Impulse aus: Staatsmänner wie Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757-1831) und Karl August Fürst von Hardenberg (1750-1822) hatten in der Existenzkrise der Hohenzollernmonarchie nach ihrer Niederlage gegen das Frankreich Napoleons für zukunftweisende Erneuerungen gesorgt: Bauernbefreiung, Beseitigung der Ständeordnung, städtische Selbstverwaltung, Gewerbefreiheit und bürgerliche Gleichberechtigung der Juden.

Erfolglos blieben dagegen ihre Bemühungen, den noch absolutistisch regierenden König Friedrich Wilhelm III. zur Einlösung seiner Verfassungsversprechen zu bewegen. Von großer Tragweite war schließlich, dass die Erfahrung der napoleonischen Fremdherrschaft über weite Teile Mitteleuropas zur Entfaltung von National- und Freiheitsbewegungen geführt hatte.

Stabilisierung durch Restauration?

Um so größer war die Enttäuschung, als die Staatsmänner Europas nach dem Sturz Napoleons unter dem entscheidenden Einfluss des österreichischen Staatskanzlers Klemens Fürst von Metternich (1773-

1859) auf dem Wiener Kongress 1814/15 andere Akzente setzten. Nach 25 Jahren voller Umwälzungen, Kriege und Bürgerkriege, von der Französischen Re-volution 1789 bis zur Hegemonialpolitik Napoleons, waren Staaten und Völker erschöpft. Bestimmender Leitgedanke wurde die Errichtung eines europäischen Friedens- und Gleichgewichtssystems, das als fester Damm gegen neue Revolutionen und hegemoniale Bestrebungen einzelner Mächte wirken sollte und von fünf Großmächten mit unterschiedlichem inneren Aufbau getragen wurde. Die eher fortschrittlich und national strukturierten Westmächte England und Frankreich sollten mit den dynastisch und absolutistisch geleiteten Staaten Russland, Österreich und Preußen im Osten zusammenwirken.

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In Deutschland ließ diese Konstruktion keinen Raum für die Verwirklichung eines National- und Verfassungsstaates. Statt dessen entstand mit dem „Deutschen Bund“ ein föderativer Zusammenschluss von zunächst 41 souveränen deutschen Einzelstaaten. Darunter befanden sich zwei Großmächte, das Kaiserreich der Habsburger mit seiner Westhälfte und das Königreich Preußen ohne seine Ostprovinzen, dazu die vier Königreiche Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg sowie weitere Mittel- und Kleinstaaten. Die Könige von Großbritannien, Dänemark und den Niederlanden gehörten beispielsweise als Landesfürsten von Hannover, Holstein und Limburg ebenfalls dem Deutschen Bund an. Als einziges gemeinsames Staatsorgan fungierte die „Bundesversammlung“, ein Gesandtenkongress, der von den einzelstaatlichen Regierungen beschickt wurde und bis 1848 in Frankfurt am Main tagte.

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Dieser Staatenverbund sollte als Puffer in der Mitte Europas zwischen den West- und Ostmächten wirken, der durch internationale Garantien vor äußeren Angriffen geschützt war. Er stellte aber nicht den von der National- und Freiheitsbewegung erhofften kraftvollen Einheitsstaat moderner Prägung dar.

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Allerdings hatte schon auf dem Wiener Kongress alles andere als Einigkeit über diese Neugestaltung Deutschlands geherrscht, was sich darin widerspiegelte, dass der Deutsche Bund mit der „Deutschen Bundesakte“ die Vorform einer Verfassung und damit die Perspektive erhielt, sich doch noch zu einem strafferen Zentralstaat zu entwickeln.

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Für Metternich besaßen die Bestimmungen der Bundesakte, die nicht selten Formelkompromisse darstellten, lediglich den Charakter von Absichtserklärungen, deren Einlösung der Zukunft anheim gestellt wurde. Metternichs konzeptionellem Gegenspieler, dem inzwischen machtpolitisch weit zurückgedrängten vormaligen preußischen Reformer Stein, und mit ihm jenen Kräften, die in napole

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onischer Zeit den nationalen und verfassungspolitischen Aufbruch in Deutschland getragen hatten, war es jedoch gelungen, solchen Absichtserklärungen eine deutliche Richtung und Dringlichkeit zu geben. So sprach diBundesakte von der raschen Schaffung eines definitiven Grundgesetzes für den neuen deutschen Staatenbund mit Bundeskompetenzen für die „auswärtigen, militärischen und inneren Verhältnisse“, von der Einführung von Verfassungen in den einzelnen Bundesstaa

ten und nicht zuletzt – zumindest ansatzweise – von Grundrechten für die deutschen Staatsbürger. Angesichts solch konkurrierender politischer Leitideen der Bundesakte war es eine Machtfrage, wie sich der Deutsche Bund in der Realität entwickeln würde.

Anfangs waren die Verfechter einer lockeren deutschen Föderation klar im Vorteil. Die beiden Großmächte Habsburgermonarchie und Preußen, die eine Verfassungspolitik strikt ablehnten, bildeten eine dualistische Führung des Deutschen Bundes, wobei sich Preußen Österreich unterordnete. Ihre Vorherrschaft wurde abgesichert durch das Interesse der übrigen europäischen Mächte, die Nutznießer des Machtvakuums in Mitteleuropa waren. Metternich gelang es auf dieser Basis, in den folgenden Jahren der Restauration (1815-1840) und des Vormärz (1840-1848), sein politisches System in Europa und Deutschland zu behaupten.

Klemens Fürst von Metternich

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Ebenso zäh wie Metternich an seinen Prinzipien festhielt, beharrte jedoch die deutsche National- und Freiheitsbewegung auf einer Einlösung der in der Bundesakte festgelegten Bestimmungen und verlor den Ausbau Deutschlands zu einem Verfassungsstaat nicht aus den Augen. Mit ihrer wachsenden Stärke untergrub sie Schritt für Schritt das Metternichsche System und drängte so lange auf eine politische Kehrtwende, bis diese 1848 unausweichlich wurde.

Auch diese Entwicklung prägte Ausbruch und Verlauf der Revolution von 1848. Im Restaurationszeitalter, benannt nach dem Versuch, Grundelemente der politischen Struktur Europas aus der Zeit vor der Französischen Revolution zu „restaurieren“, gaben sich zunächst die süddeutschen Staaten Bayern, Baden und Württemberg in den Jahren 1818 und 1819 Verfassungen. Dank erster Parlamente in diesen Einzelstaaten und einer sich ausweitenden politischen Öffentlichkeit begann in Deutschland unumkehrbar das Zeitalter des „Frühkonstitutionalismus“, in dem die Monarchen der neuen Verfassungsstaaten als Staatsoberhäupter die Kontrolle über die Exekutive

und Einfluss auf die Legislative behielten. Zukunftsweisend wurden bald auch Verfassungskämpfe, in denen die einzelstaatlichen Parlamente unter Berufung auf ihre Mitbestimmungsrechte in Gesetzge-bungs- und Budgetfragen versuchten, zusätzlich die Kontrolle über Administration und Heer zu erlangen, die zunächst ganz den Monarchen unterstellt waren. Zeitgleich organisierten sich Studenten in „Burschenschaften“ und versuchten, insbesondere auf dem Wartburgfest 1817, die Ziele der Freiheits- und Nationalbewegung aus der Zeit der Kämpfe gegen Napoleon aufs Neue in den Vordergrund zu rücken.

Aus den Karlsbader Beschlüssen

Aus dem Universitätsgesetz[...] Die Bundesregierungen verpflichten sich gegeneinander, Universitäts- und andere öffentliche Lehrer, die durch erweisliche Abweichung von ihrer Pflicht oder Überschreitung der Grenzen ihres Berufes, durch Mißbrauch ihres rechtmäßigen Einflusses auf die Gemüter der Jugend, durch Verbreitung verderblicher, der öffentlichen Ordnung und Ruhe feindseliger oder die Grundlagen der bestehenden Staatseinrichtungen untergrabender Lehren ihre Unfähigkeit zur Verwaltung des ihnen anvertrauten wichtigen Amtes unverkennbar an den Tag gelegt haben, von den Universitäten und sonstigen Lehranstalten zu entfernen. [...] Die seit langer Zeit bestehenden Gesetze gegen geheime oder nicht autorisierte Verbindungen auf den Universitäten sollen in ihrer ganzen Kraft und Strenge aufrechterhalten, und insbesondere auf den seit einigen Jahren gestifteten, unter dem Namen der allgemeinen Burschenschaft bekannten Verein [...] ausgedehnt werden. [...]

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Die Regierungen vereinigen sich darüber, daß Individuen, die nach Bekanntmachung des gegenwärtigen Beschlusses erweislich in geheimen oder nicht autorisierten Verbindungen geblieben oder in solche getreten sind, bei keinem öffentlichen Amte zugelassen werden sollen. [...]

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Aus dem PreßgesetzSolange der gegenwärtige Beschluß in Kraft bleiben wird, dürfen Schriften, die in der Form täglicher Blätter oder heftweise erscheinen, desgleichen solche, die nicht über 20 Bogen im Druck stark sind, in keinem deutschen Bundesstaate ohne Vorwissen und vorgängige Genehmhaltung der Landesbehörden zum Druck befördert werden. [...]

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Die Bundesversammlung soll [...] befugt sein, die zu ihrer Kenntnis gelangenden [...] Schriften, [...] wenn solche [...] der Würde des Bundes, der Sicherheit einzelner Bundesstaaten oder der Erhaltung des Friedens und der Ruhe in Deutschland zuwiderlaufen, ohne vorhergegangene Aufforderung, aus eigener Autorität [...] zu unterdrücken [...].

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Wolfgang Lautemann/Manfred Schlenke (Hg.), Geschichte in Quellen. Das bürgerliche Zeitalter 1815-1914, München 1980, S. 86 ff.

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...und ihre Unterdrückung

Metternich reagierte, indem er der bislang provisorischen „Verfassung“ des Deutschen Bundes eine konkrete Gestalt gab. Entscheidende Bedeutung

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8 Revolution von 1848

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erhielten dabei die Karlsbader Beschlüsse von 1819 und die Wiener Schlussakte von 1820. Deren Rechtsnormen wurden zu neuen faktischen Grundgesetzen für alle Teile Deutschlands, welche dem Buchstaben nach die Bundesakte zwar nicht beseitigten, wohl aber deren zentrale Bestimmungen über eine Repräsentativverfassung außer Kraft setzten.

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Mit den Karlsbader Beschlüssen wurden die Burschenschaften verboten, eine Pressezensur einge-führt und die Einzelstaaten zur Eindämmung der National- und Verfassungsbewegung angehalten. Diese Unterbindung „revolutionärer Umtriebe“ de

finierte den Staatszweck des Deutschen Bundes für die Folgezeit. Fortan war dieser nicht mehr, wie 1815 vorgesehen, in weitem Sinne für die Wohlfahrt seiner Bürger zuständig, sondern erschöpfte sich darin, durch die Bundesversammlung über die „Sicherheit“ Deutschlands zu wachen, womit eine Sicherheit vor den Gegnern des Metternichschen Systems gemeint war.

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Nach der Wiener Schlussakte galt der Deutsche Bund vollends als Instrument zur „Erhaltung der Ruhe“. Die Einzelstaaten wurden erneut unter Androhung von Sanktionen auf ein „monarchisches System“ eingeschworen, in dem der Führungsanspruch von Fürsten und Dynastien resolut gewährleistet werden sollte. Die gerade in einigen Staaten erstrittenen Mitbestimmungsrechte des Volkes wurden hingegen eng begrenzt und unterdrückt. Infolgedessen vollzog die Gesellschaft für die Jahre der Restauration tatsächlich einen gewissen Rückzug in den privaten Bereich. Pressezensur und Polizeigewalt wurden zu charakteristischen Merkmalen der Zeit.

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Eine Karikatur von 1840 mokiert sich über die Pressezensur , mit der „ revolutionäre Umtriebe“auf dem Gebiet des Deutschen Bundes unterbunden werden sollten.

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Interessen der Großmächte

Die von Metternich erzwungene politische „Ruhe“ währte jedoch allenfalls ein Jahrzehnt, was vornehmlich auf außenpolitische Konstellationen und Entwicklungen zurückzuführen war, die nur eine begrenzte Stabilität der Mächte und ihrer Positi

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onen zuließen. Eine „Heilige Allianz“ konservativer Großmächte, die Russland angestrebt hatte, gewann in Restauration und im Vormärz nicht die Kontrolle über Europa, hier verfestigten sich vielmehr ideologische Fronten mit den liberalen Westmächten und dem konservativen Zarenreich als Exponenten.

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Hinzu kamen Interessengegensätze der führenden Mächte, so dass selbst kleine oder mittlere Staaten an der neuen Ordnung Europas rütteln konnten. Je nach politischer Ausrichtung schreckten oder faszinierten die frühen Freiheitsbestrebungen und -kämpfe vor allem in Spanien (1820-1823), in Neapel und Piemont

(1820-1821) und in Griechenland (1821-1829): Konservative trachteten nach deren Niederschlagung oder Eindämmung, liberale und nationale Kräfte erwärmten sich für leuchtende Vorbilder.

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Am ehesten gelang es nach den napoleonischen Herausforderungen noch Großbritannien die Weltund damit auch die Europapolitik zu dominieren. Im Sinne einer Pax Britannica errichtete es einen Schutzwall gegen große Kriege, der schließlich ein ganzes Jahrhundert funktionieren sollte. Der Historiker Klaus Hildebrand nennt den Hintergrund für diese Leistung der damaligen Welt-Vormacht: „Die Einmaligkeit seiner wirtschaftlichen und politischen Position“ und ein „nur selten bezweifelter Glaube

an die Überlegenheit britischer Institutionen“ habe Großbritannien zu „einem Vorbild an politischer Kultur, industriellem Fortschritt, wirtschaftlichem Wachstum und freiheitlicher Zivilisation“ gemacht. Gestützt auf seine überragende Flotte und seine Seestützpunkte baute Großbritannien zudem das Empire aus. Ferner resultierte aus dem industriellen Vorsprung des Landes, dass dieses zur „Werkstatt der Welt“, zu dessen Bankier und dessen Handelspatron wurde.

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Zu den Kehrseiten dieser Entwicklung gehörte es, dass in der Außenpolitik eine harte Interessenpolitik, bei der nicht selten andere Mächte gegeneinander ausgespielt wurden, liberale Prinzipien überlagerte. Auch herrschte in der Innen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik keineswegs ein „goldenes Zeitalter“. Wie allenthalben brachte das frühindustrielle Zeitalter mit einer rapide anwachsenden Bevölkerung gewaltige Anpassungsprobleme und Krisen in rascher Folge. Kennzeichnend war die Ausbeutung der Arbeiter, wodurch im Zeitraum um 1848 der Chartismus entstand, eine erste Arbeiterbewegung, ausgerichtet vor allem darauf, ein demokratisches Wahlrecht zu erstreiten. Doch dies änderte nichts daran, dass ein ungemein stabiles Großbritannien im ganzen 19. Jahrhundert und darüber hinaus von keinem revolutionären Impuls erschüttert wurde. Ursache dafür waren auch die richtungweisenden „Großen

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Interessengegensätze der Führungsmächte verhinderten die Stabilisierung Europas

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9Europa unter Modernisierungsdruck

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Reformen“ des Jahres 1832, mit denen die politische Elite Großbritanniens aufs Neue die Verfassung des Landes an die zunehmend pluralen und demokratischen Trends der Zeit anpasste. Die Liberalen ganz Europas sahen zu Recht in dieser von England praktizierten Politik einer stufenweisen Modernisierung und eines Peaceful Change ein nachahmenswertes Modell.

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Von einer vergleichbaren Vorreiterrolle und kontinuierlichen Ausstrahlung Frankreichs konnte vor 1848 keine Rede sein. Hintergrund war, dass nur allzu rasch die restaurierte Herrschaft der Bourbonenkönige bei massiven Konfrontationen zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft als reaktionär galt; die „drei glorreichen Tage“ der Julirevolution (1830) ließen sie wie ein Kartenhaus einstürzen. Auch der folgende „Bürgerkönig“ Louis Philippe setzte schließlich keine bleibenden neuen Akzente. Korruption und Reformfeindlichkeit bewirkten schließlich, dass er in der Februarrevolution (1848) bereits nach zwei Tagen das Feld räumen musste.

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Nach der großen Französischen Revolution (1789) wurde Frankreich also in rascher Folge von zwei weiteren Revolutionen erschüttert, mit dem Ergebnis, dass sich der Ruf Frankreichs als Mutterland von Revolution und Volksherrschaft in allen Staaten und Völkern unumkehrbar verfestigte. Bei Frontstellung der Konservativen und deutlicher Distanz der Liberalen bewunderten Republikaner und Sozialisten Frankreich, bei dem die Revolution selbst in Restaurationsphasen allenfalls zu schlummern schien. Erwachte diese aufs Neue, dann galt dies – auch wenn Frankreich anders als nach 1789 keine Führungsrolle mehr übernehmen sollte – europaweit als untrügliches Signal für eine allgemeine Dynamisierung der Politik und für einen Aufbruch in Richtung Fortschritt.

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Russland verlor in Restauration und Vormärz rasch jenes hohe Ansehen, das es in den Kriegen gegen Napoleon gewonnen hatte, 1848 galt es bei allen fortschrittlichen Kräften als finstere Vormacht der Reaktion und gefürchteter wie verachteter „Gendarm Europas“. Schon Zar Alexander (1801-1825), der sich mit einigem Recht auf dem Wiener Kongress als „Befreier Europas“ gefühlt hatte und von Hause aus keineswegs ein prinzipieller Feind von liberalen Verfassungsstaaten war, begann rasch wie Metternich umstürzlerische Kräfte zu fürchten. Als „seine“ Heilige Allianz (1815), eine moralisch erneuerte Völkergemeinschaft, ausgerichtet auf das Bündnis zwischen Thron und Altar, nach wenigen Jahren scheiterte, wurde er zum exponierten Feind von Volksbewegungen.

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Auch sein Bruder und Nachfolger Nikolaj I. (1825-1855) schien nicht prädestiniert, zur Reizfigur für das fortschrittliche Europa zu werden. Vornehmlich interessiert an für Russland günstigen Entwicklungen im Orient sowie an Besitzerweiterungen in

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Mittelasien, Transkaukasien und Sibirien, wollte er in seinem noch absolut regierten Reich, dessen Rückständigkeit durch die kümmerliche Existenz von weiterhin leibeigenen Bauern offenbar wurde, pa

ternalistisch für das Wohl seiner Untertanen sorgen. Auch war seine strikt konservative Innenpolitik immerhin von Diskussionen über eine Neugestaltung des Zarenreichs und moderate Veränderungen in der Gesellschaft begleitet. Doch schon mit dem Start seiner Herrschaft – er ließ den Dekabristenaufstand (1825), welcher auf eine Beseitigung der Autokratie zielte, blutig niederschlagen – und vollends mit der Niederschlagung eines Polenaufstands (1830/31) wurde er in der öffentlichen Meinung Europas zum notorischen Exponenten eines Polizei- und Überwachungsstaates, zum Erzfeind von Reformern wie Revolutionären.

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Seine fortdauernde Rückständigkeit kostete Russland das in den napoleonischen Be-freiungskriegen gewonnene Ansehen. Die Karikatur von Gustav Doré zeigt russische Gutsbesitzer, die ihre Leibeigenen beim Kartenspiel einsetzen.

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rgEuropäische Freiheitsbewegungen

Vor dem Hintergrund dieser Großmächtekonstellation ist die revolutionäre Welle zu sehen, die sich von der Julirevolution in Frankreich ausgehend über Deutschland und andere Teile Europas ergoss. Einen bleibenden Erfolg, der fortan den Liberalen als Symbol dafür galt, dass für Reaktionäre die Uhr ablaufe, erstritt die Freiheitsbewegung in Belgien 1830/31. Vor allem dessen international garantierte Unabhängigkeit und eine deutlich demokratischere Verfassung als die Frankreichs von 1791 stärkten die Hoffnungen auf ein friedliches volksnahes Europa, bestehend aus konstitutionellen Monarchien, in denen die Parlamente gegenüber den Königen dominierten.

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Noch nicht zum Ziel kam hingegen die schon kampferprobte, sich Risorgimento (Wiedergeburt) nennende italienische National- und Freiheitsbewegung; doch auch sie gehörte zu den Kräften, die 1848 ermöglichten. Italien wies bereits im frühen 19. Jahrhundert Strukturen auf, die auf das spätere

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Nord-Süd-Entwicklungsgefälle hindeuteten. Es verfügte nach dem Wiener Kongress nicht einmal über einen dem Deutschen Bund vergleichbaren losen staatlichen Zusammenschluss. Seine wichtigsten Teilbereiche waren neben dem der Habsburgermonarchie eingefügten Königreich Lombardo-Venetien (Hauptstadt Mailand) das Königreich Piemont-Sardinien (Hauptstadt Turin), die mittelitalienischen Herzogtümer, der Kirchenstaat und das Königreich Neapel-Sizilien.

Giuseppe Mazzini, Protagonist des italienischen Risorgimento.

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Im Zuge der Julirevolution brachen 1831 Aufstände in Mittelitalien aus, die von Österreich, das Italien kontrollierte und als Antipode des Risorgimento galt, niedergeworfen wur

den. Doch italienische Liberale und Demokraten, nunmehr auch in europaweit beachteten Zentren von Exilpolitikern wie in Brüssel, Paris oder London aktiv, sahen diesen Erfolg des „Erzfeindes“ als nur temporär an und fanden sich bestärkt in ihrem Kampf gegen Fremdherrschaft, Partikularismus und absolutistisches Regieren.

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Nicht zuletzt Publizisten unterschiedlicher politischer Ausrichtung bestimmten zunehmend das Geistesleben Italiens, rüsteten dabei in romantisierender und heroisierender Weise auf und unterminierten so die Ordnung des Wiener Kongresses. Über Italien hinaus wirkte vor allem der Genueser Advokat Giuseppe Mazzini (1805-1872), der 1834 einen internationalen republikanischen Geheimbund „Neues Europa“ mit nationalen Sektionen gründete, darunter den Gruppen

„Junges Deutschland“ und „Junges Polen“. Gerade dieser Führer des republikanischen Flügels des Risorgimento begeisterte fortschrittliche Kräfte mit dem farbenfrohen Bild eines jugendlichen Europas, bestehend aus liebenswerten Völkern, das alsbald ein besiegtes monarchisch-altes Europa auf den Schutthaufen der Geschichte befördern werde, wobei nicht selten derbe Überzeichnungen zu beobachten waren.

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Tatsächlich erstarkte die italienische Freiheitsbewegung derart, dass in Italien schon 1846 mit der

Wahl eines neuen Papstes, die vor dem Hintergrund angestauter Reformen als liberale Wende angesehen wurde, eine Art Revolution

vor der Revolution einsetzte, die schon vor der Märzrevolution 1848 Österreichs führende Stellung jenseits der Alpen unterminierte.

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In ihrer Wirkung als Katalysator für die 1848er Revolution wurde die italienische nur von der polnischen Freiheitsbewegung übertroffen. Beide

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Gruppierungen waren durch ihr Exil vernetzt und operierten gleichermaßen historisierend und kampfbetont, wobei das heroische Auftrumpfen nicht selten die inneren ideologischen Gra- benkämpfe und die Realitätsferne der Vordenker überdeckten.

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Polens vergeblicher Freiheitskampf weckte breite Sympathie: Zu Füßen des polnischen Soldaten liegt ein zerbrochenes polnisches Wappen und ein Notenblatt des Liedes „Noch ist Polen nicht verloren“.

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Auf polnischer Seite stand der konservativkonstitutionelle Adam Czartoryski (1770-1861) im Vordergrund, verehrt wurden aber auch Dichter wie Adam Mickiewics (1798-1855), die nicht nur das Hohe Lied vom seelenvollen, liebenswürdigen und „edlen“ Polen mit einer heiligen Mission für ganz Europa sangen; sie bestärkten zudem – bei einer europaweit aufblühenden politischen Lyrik und sich ausbreitenden Sangesfreude – die Freiheitskämpfer und lehrten Reaktionäre das Fürchten.

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So fasste der zeitgenössische deutsche Historiker Karl von Rotteck (1775-1840) die Stimmung im liberalen Lager Europas drastisch zusammen, indem er von einer „Leidensgeschichte Polens“ sprach, dem „traurigsten Schauspiel in der neuen Geschichte“, „der entsetzlichsten Verletzung des heiligen Menschen- und Völkerrechts“. Angesprochen war hiermit, dass im 18. Jahrhundert die drei „Ostmächte“ Russland, Österreich und Preußen im Zuge einer drastischen Unrechtspolitik den polnischen Staat in Teile zerlegt, ihn seitdem als Pfand für eine gemeinsame Politik okkupiert und genutzt hatten. Schon zwischen 1789 und 1815 hatten polnisches Exil und polnische Legionen vergeblich die Uhr zurückzudrehen gesucht; der Wiener Kongress brachte eine neuerliche Teilung, die dem Zarenreich 82 Prozent des ursprünglichen Territoriums zusprach.

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Als Kompensation für die Polen gab es eine durchaus ernst gemeinte, aber auch unklar formuliertvölkerrechtliche Garantie der polnischen Nationalität, und im „Königreich Polen“, das mit Russland in Realunion verbunden war, deuteten zunächst auch eine liberale Verfassung und ein eigenes Heer auf eine friedlich-autonome Entwicklung hin. Doch die lange Ruhepause, die für eine friedliche und respektvolle Einbindung der ihres Staates beraubten Polen in Europa notwendig gewesen wäre, blieb zunächst aus, sie sollte schließlich nie eintreten. Zunächst inszenierten Polen den Novemberaufstand 1830/3den beeindruckendsten und weitaus heftigsten Freiheitskampf im Gefolge der Julirevolution, den das Zarenreich mit Einverständnis der anderen Teilungsmächte Österreich und Preußen schließlich

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Italienische und polnische Freiheitskämpfer begeisterten

die fortschrittlichen Kräfte

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niederschlagen und mit drastischer Härte bestrafen sollte; der Ausnahmezustand wurde bis 1856 aufrechterhalten. Das lange Durchhalten der kämpfenden Polen, die sich nun schon seit Jahrzehnten als machtpolitisch schwaches, moralisch aber starkes Gegenlager volksfeindlicher Dynastien stilisierten, führte dazu, dass das liberale und demokratische Europa die ins Exil fliehenden polnischen „Helden“ in einem Triumphzug sondergleichen empfing. Das zujubelnde Süddeutschland lag dabei nicht nur zufällig an der Strecke, auch im übrigen Deutschland fanden sich die fortschrittlichen Kräfte, die vereint Polenlieder sangen und sich an entsprechender Dichtung erbauten, als „Polenfreunde“ in neuem politischen Elan zusammen. 1846/47, bei einem neuerlichen, diesmal aber rasch zusammenbrechenden polnischen Komplott gegen die Teilungsmächte mit anschließendem politischen Prozess in Berlin, war in der reformorientierten deutschen Öffentlichkeit ein Anhalten der Sympathien für die Polen offenkundig.

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Über 30 000 Menschen trafen sich vom 27. bis 30. Mai 1832 bei der Hambacher Schlossruine nahe Neustadt an der Weinstraße zu einer Kundgebung für ein frei- es und geeintes Deutschland.

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Hambacher Fest

1830/31 gaben somit vor allem die Julirevolution in Frankreich, der Gewinn der Unabhängigkeit Belgiens und der polnische Freiheitskampf der deutschen National- und Verfassungsbewegung kräftige Impulse. Auch Staaten Mitteldeutschlands wie beispielsweise Kurhessen (1830) und Sachsen (1831) gaben sich Verfassungen, und es schien nur eine Frage der Zeit, bis auch die modernisierungsfeindlichen Großmächte Habsburgermonarchie und Preußen unter Druck geraten würden. Hiervon zeugte nicht zuletzt ein markantes Einzelereignis, das von über 30 000 Menschen besuchte Hambacher Fest im Jahre 1832, faszinierend nicht zuletzt durch eine demonstrativ propagierte deutsch-polnische Brüderlichkeit. Die wichtigsten Forderungen dieser bedeutendsten, schon als liberal-demokratisch zu bezeichnenden Kundgebung der Zeit zielten auf ein freies und geeintes Deutschland,

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eine „Beseitigung der Fürstenherrschaft“, auf „Vereinigte Freistaaten von Deutschland“ und ein „konföderiertes republikanisches Europa“, mit dessen Freiheitskämpfern man sich solidarisch erklärte.

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Metternich hatte zu dieser Zeit noch die Kraft zurückzuschlagen. In den Jahren 1832 bis 1834 veranlasste er die Bundesversammlung, eine Flut von Maßnahmen zur Eindämmung solcher Bestrebungen zu erlassen. Die Initiatoren des Hambacher Festes wurden verfolgt, zum Teil verhaftet oder zur Flucht ins Ausland getrieben.

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Obwohl diese Gesetze erhebliche Auswirkungen hatten, war mit Beginn der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts der Handlungsspielraum der auf politische Veränderungen drängenden Kräfte sprunghaft größer geworden, was auch daran lag, dass die Knebelungspolitik dieser Zeit nie die Ausmaße der Unterdrückung oppositioneller Regungen durch Diktaturen des 20. Jahrhunderts erreichte.

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Teile des Bildungsbürgertums, vor allem „Germanisten“ (gemeint waren damals Historiker, Juristen und Sprachwissenschaftler) verschrieben sich der Politik und kämpften, da dies in Parlamenten und in offenen politischen Bekundungen nicht möglich war, mit wissenschaftlichen Lehrbeispielen für die Einheit und Freiheit Deutschlands. So entwickelte der Historiker Friedrich Christoph Dahlmann (1785-1860) eine politische Pädagogik und lehrte, dass der reformfreudige Verfassungsstaat England für Deutschland ein leuchtendes Beispiel darstelle. Deutschlands künftige staatliche Konturen wurden in dem 1834 begonnenen „Staatslexikon“ der Freiburger Staatsrechtler Karl von Rotteck und Karl Theodor Welcker (1790-1869) vorgezeichnet. Mit Recht wiesen schon Zeitgenossen des Revolutionsjahres darauf hin, dass die 1848er diesen Vorgaben exakt folgten. Und als schließlich 1837 Professoren im Königreich Hannover, die so genannten „Göttinger Sieben“, gegen die Aufhebung der dortigen Verfassung durch ihren Monarchen protestierten und aus ihren Ämtern entlassen wurden, brachte die Öffentlich

keit ihrer Zivilcourage nahezu einhellig Sympathie entgegen.

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Deutschland im Vormärz

In dem Epochenjahr 1840 fand das Restaurationszeitalter dann unwiderruflich sein Ende. Es begann die in die Märzrevolution des Jahres 1848 einmündende Phase des „Vormärz“, die durch neue Entwicklungen in der Außen- und Innenpolitik gekennzeichnet war. Die Orientkrise, in der – bei starkem Engagement der europäischen Mächte – die Türkei ägyptischen Unabhängigkeitsbestrebungen entgegentrat, demonstrierte nun, dass in den internationalen Beziehungen insgesamt ein grundlegender Wandel eingetreten war. Die längst bröckelnde Solidarität der Großmächte war zunehmend gefährdet, und die europäischen Staaten begannen bei Vorreiterrolle Englands

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sich an weltpolitischen Maßstäben zu orientieren. Kolonien, Welthandel und Flotten rückten mehr und mehr ins Interesse der Politik, das imperialistische Zeitalter hatte begonnen.

König Friedrich Wilhelm IV. von Preussen

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Erstarken des Einigungsgedankens

Die deutsche Nationalbewegung mit ihrem stets großen Interesse am internationalen Geschehen nahm regen Anteil an dieser Entwicklung. Umgehend gab es Befürchtungen, dass Deutschland aufgrund seiner staatlichen Zersplitterung als Kolonial- und Seemacht zu spät kommen und aufgrund außen- und innenpolitischer Rückständigkeit zudem seiner ökonomischen und sozialen Probleme nicht Herr werden könne. Der Ruf nach Einigkeit und Recht und Freiheit wurde ergänzt durch eine entschiedene Forderung nach Macht und Weltgeltung. Als Frankreich zur Kompensation seines Machtverlustes im Zuge der Orientkrise den Rhein als Ostgrenze forderte und damit das linke Rheinufer für sich beanspruchte, stärkte dies den Abwehrwillen und das Ansehen der protestierenden deutschen Nationalbewegung. Von nun an herrschte in Deutschland

die Überzeugung, dass die Ordnungsvorstellungen des Wiener Kongresses nicht mehr griffen und nur ein starker Nationalstaat für äußeren Schutz sorgen könne. Mit seiner Errichtung würde auch die Fürstenherrschaft in den Einzelstaaten verschwinden.

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Innenpolitisch entscheidend waren neue Impulse in der preu-ßischen Politik. 1840 trat Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) die Nach-folge seines Vaters an, der noch als bürokratischer Absolutist geherrscht hatte. Der neue Mon- arch verfolgte parallel zur deut-

schen Nationalbewegung, allerdings mit ganz an-deren Leitideen, politische Veränderungen großen Stils. Damit wurde umgehend der bisherige Gleich-schritt der deutschen Großmächte Preußen und Ös-terreich in Frage gestellt, ohne dass der inzwischen an Einfluss verlierende Metternich dies wirksam unterbinden konnte. Konkret wollte Friedrich Wil-helm IV. Deutschland und Preußen eine christlich-ständestaatliche Struktur geben und begann bald mit Verfassungsexperimenten. Da er eine moderne Repräsentativverfassung strikt ablehnte, versuchte er, bei heftigem Widerspruch Metternichs, mit den ständischen Landtagen der Provinzen Preußens zusammenzuarbeiten. Diese ließ er 1847 schließ-lich als „Vereinigten Landtag“ gemeinsam tagen, schickte das Gremium jedoch, als es eine effektive Mitbestimmung und Gewaltenteilung anstrebte, unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Damit war Preußen am Vorabend der 1848er-Revolution zwar noch nicht definitiv in den Kreis der Verfas-sungsstaaten eingetreten, doch war der Druck der Öffentlichkeit auf den Preußenkönig immens, die

seit Jahrzehnten ausstehenden Verfassungsverspre-chen seines Vaters einzulösen.

Verschiedene Bestrebungen, besonders eine mündig gewordene Freiheits- und Nationalbewegung, hatten somit seit 1840 in verstärktem Maße den föderativen Deutschen Bund untergraben, um der demütigenden Rolle Deutschlands als Pufferzone in der Mitte Europas ein Ende zu bereiten. Der Wunsch der Reformkräfte nach Freiheit und nationalstaatlicher Einigung Deutschlands erscheint heute legitim, doch er war zur damaligen Zeit mit immensen Problemen und Risiken verbunden. Die angestrebte Umkehr der Machtverhältnisse in Mitteleuropa, die von anderen Staaten allzu leicht als Gefährdung des europäischen Gleichgewichts gesehen werden musste, war ohne Gewalt kaum durchsetzbar. Dies galt um so mehr, als von der Mitte bis zum Osten Europas keine klaren Sprachgrenzen bestanden, die vorwegbestimmten, wo die Grenzen des künftigen Deutschlands zu ziehen seien. Das deutsche Volk war bei exponierter Lage in Mitteleuropa zudem im Vergleich zu seinen Nachbarvölkern so groß, dass ein deutscher Nationalstaat leicht nach Vorherrschaft hätte streben können. Schließlich stand auch ein Ende der Teilung Europas in einen politisch fortschrittlichen Westen und einen politisch stagnierenden Osten auf dem Programm. Was sich über die Entwicklung in Deutschland im Vorfeld der Revolution von 1848 anbahnte, war demnach eine fundamentale Umgestaltung ganz Europas, deren Tragweite die Zeitgenossen vielfach unterschätzten.

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Der Ruf nach Einigkeit und Recund Freiheit verband sich mit Wunsch nach Macht und Welt

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Wirtschaftliche Umwälzungen

Auch die gesellschaftlichen, ökonomischen und sozialen Verhältnisse verlangten zwingend einen Neuanfang. Die Epoche war durch einschneidende Veränderungen im Agrarsektor sowie durch den Beginn des industriellen Zeitalters gekennzeichnet. Die Bevölkerung hatte sich im Gebiet des Deutschen Bundes – ohne Einrechnung der österreichischen Bundesgebiete – seit 1815 auf rund 35 Millionen Menschen fast verdoppelt. Ein Überangebot an Arbeitskräften stand einem – auch durch ersten arbeitskräftesparenden Maschineneinsatz – verringerten Arbeitsplatzangebot gegenüber.

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Im Vergleich zur führenden Industriemacht England war Deutschland immer noch weitgehend agrarisch strukturiert. Im Deutschen Bund arbeiteten zur Jahrhundertmitte 60 Prozent der Menschen in der Landwirtschaft, 25 Prozent im Gewerbe und 15 Prozent im Dienstleistungssektor. Die Leibeigenschaft war zwar überall abgeschafft, nicht selten waren aber ungeachtet einer fortschreitenden Auflösung patriarchalischer Verhältnisse noch feudale Abhängigkeiten und Dienstleistungsverpflichtungen zu beobachten.

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Das Zentralproblem war, dass die Reformen in der Landwirtschaft wie neue Düngemethoden und

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erste Maschineneinsätze zwar steigende Erträge erbrachten, aber längst nicht mehr allen Menschen auf dem Lande den Broterwerb sicherten. Während viele – oft vergeblich – durch Emigration vorwiegend in die USA der Armut zu entgehen suchten, löste die Not auf dem Lande zunächst und vor allem eine Binnenwanderung in die Städte aus. Wien, Berlin, Hamburg, Breslau und München wurden zu ersten Großstädten. Hier verstärkten die Ankömmlinge das sprunghaft anwachsende arbeitslose Proletariat in den Vorstädten. Statistiken besagen, dass annähernd 60 Prozent der Stadtbewohner nicht einmal über das Existenzminimum verfügten.

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Das selbstbewusste städtische Bürgertum beobachtete diese Entwicklung mit Sorge, schon die damalige Öffentlichkeit diskutierte über die neue Armut, den „Pauperismus“. Von wachsender Not betroffen waren aber auch als zahlenmäßig stärkste Gruppe die Handwerker, die keine Arbeit mehr fanden. Die Industrie war noch zu schwach entwickelt und nicht effektiv genug, um notwendige Arbeitsplätze, soziale Erleichterungen oder gar Wohlstand zu schaffen.

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Dennoch winkte – jedenfalls mittelfristig gesehen – gerade von dieser Seite Abhilfe. Vor allem der die Eisen- und Kohleproduktion fördernde Eisenbahnbau als neuer Leitsektor leistete in den frühen 1840er Jahren einen großen Beitrag zur Arbeitsbeschaffung. Darüber hinaus schuf er Zukunftsperspektiven, bewirkte eine ganz neue Mobilität der Menschen und ließ die Einzelstaaten, aber auch Stadt und Land, näher zusammenrücken.

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Die Wirtschaftskrise der 1840er Jahre verschlechterte besonders die Lage der Handwerker. Eine Schuhmacherfamilie arbeitet und wohnt auf engstem Raum.

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Die Anfänge der Industrialisierung und die Schaffung eines großflächigen Wirtschafts- und Handelsraums mit dem „Deutschen Zollverein“ von 1834 (dem allerdings die Habsburgermonarchie nicht an

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gehörte) stärkten auch den Willen zum politischen Aufbruch. Als über Deutschland, vor allem durch die Missernten von 1842, 1845 und 1846 bedingt, Hungersnöte, Massenarbeitslosigkeit, Teuerung und Depression hereinbrachen und zu lokalen Revolten führten, erwies sich die alte Führungsschicht als unfähig, dem heraufziehenden industriellen Zeitalter neue Entfaltungsmöglichkeiten zu schaffen. Gerade die entscheidenden Mächte Habsburgermonarchie und Preußen waren bei Bankenkrisen, die auch andere Staaten erschütterten, von einem Staatsbankrott bedroht und hatten einen Kollaps ihrer Wirtschaften zu befürchten. Unwiderlegbar war der Vorwurf der National- und Freiheitsbewegung, eine modernisierungsfeindliche Politik habe es seit dem Wiener Kongress versäumt, sich auftragsgemäß um das Wohl des Volkes zu kümmern.

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Neue Arbeitsplätze im heraufziehenden Industriezeitalter schuf der Eisenbahnbau. Eröffnung der Bahnverbindung München – Augsburg am 1. September 1839.

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Neue politische Gruppierungen

Gleichzeitig begannen sich die noch vielfach an das 18. Jahrhundert erinnernden Milieus ständischer, regionaler oder konfessioneller Art mit ihren starken Bindungen aufzulösen. Die Zeit war reif für einen Aufbruch unter neuer politischer Führung zu einer modernen pluralistischen Gesellschaft mit neuen politischen Strukturen.

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Die Richtung für diesen Neubeginn hatte schon die Freiheits- und Nationalbewegung zur Zeit der Kämpfe gegen Napoleon vorgezeichnet, doch hatte diese sich im Vormärz grundlegend weiterentwickelt. In langer Tradition seit 1812 standen die alten, durch Unterdrückung keineswegs beseitigten Burschenschaften und aus diesen rekrutierte neue Führungskader. Ebenfalls in traditioneller Weise wirkten die von Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) 1811 gegründeten und politisch engagierten Turnvereine und die entsprechend motivierten Gesangvereine. Diese breiten Gruppen konnten sich zwar immer noch nicht direkt politisch artikulieren,

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pflegten aber eine politische, das gesellschaftliche Leben prägende Festkultur, in der die Verherrlichung eines freien und starken Deutschland eine kaum verhüllte Kampfansage an das herrschende System darstellte.

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Hauptbezugspunkte waren das in verklärtem Licht gesehene alte Reich, die vielfach gleichfalls mythologisierten Befreiungskriege gegen Napoleon und der Abwehrwille gegen Frankreichs Ambitionen 1840 auf den Rhein, der in romantischen und trotzigen Rheinliedern popularisiert wurde. In gleicher Intention wirkten nicht nur die genannten Professoren

(s. Seite 11), sondern auch Publizisten und Künstler verschiedenster Richtungen, allen voran politische Dichter wie Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), der 1841 die spätere Deutsche Nationalhymne schrieb, Ferdinand Freiligrath (1810-1876) oder Georg Herwegh (1817-1875). Dank neuer Druck- und Kommunikationsverfahren erreichten Wort und Bild in Salons und Lesezirkeln ein immer größeres Publikum. Dadurch erhielt die politische Öffentlichkeit, Grundvoraussetzung für einen Verfassungsstaat mit politisch mitverantwortlichen Staatsbürgern, eine vormals nicht denkbare Breite.

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Wie Heinrich Hoffmann von Fallers-leben, der Dichter des Deutschland-liedes...

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Auf dieser Basis entstanden allmählich Gruppierungen mit gemeinsamen, auf Mitgestaltung des politischen Lebens ausgerichteten Zielvorgaben, die das im späteren 19. Jahrhundert für Deutschland charakteristische Fünfparteiensystem vorprägten. Zu diesem Zeitpunkt waren Einfluss und Bedeutung von Sozialisten und Katholiken noch begrenzt, und auf konservativer Seite widersprach eine Mobilisierung dem Zeittrend. Verfolgungsmaßnahmen bedingten, dass das Wirken von Sozialisten weitgehend auf Emigrantenbünde beschränkt blieb. Katholiken fanden bei Frontstellung gegen säkularisierende Maßnahmen vor allem im Kampf um kirchliche Selbstverwaltung zusammen. Die verfassungsfeindliche Politik der deutschen Großmächte förderte eher Hochkonservative, die entweder die bürokratischabsolutistischen Regime trugen oder aber an vorabsolutistische ständestaatliche Staatsmodelle anknüpfen wollten. Für Reformkonservative, die sich dem Zeittrend in Richtung von Verfassungsstaaten nicht verschlossen, gab es zunächst kaum Entfaltungsmöglichkeiten. Daher fiel den Liberalen und den Demokraten als Erben und Fortführern der Einheits- und Freiheitsbewegung das entscheidende Gewicht zu.

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Die letztgenannten beiden Gruppierungen, die wie die anderen verschiedene

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Flügel aufwiesen, waren anfangs noch nicht klar voneinander getrennt. Die Liberalen, vielfach Konstitutionell-Liberale genannt, strebten in Anlehnung an die Deutsche Bundesakte und an Erfolge des Frühkonstitutionalismus eine eher sanfte Umwandlung des Deutschen Bundes in eine „konstitutionelle Monarchie“ an. Darunter verstanden sie einen Verfassungsstaat mit einem starken liberalen Monarchen, parlamentarischer Mitverantwortung in Gesetzgebungs- und Budgetfragen und geschützten staatsfreien Sphären der Staatsbürger. Die mehrheitlich republikanischen Demokraten wollten das Metternichsche System mit einem klaren Schnitt durch eine parlamentarische Republik ersetzen; zeitgenössisch wurden sie oder ihr linker Flügel daher vielfach als „Radikale“ gekennzeichnet. Beide Gruppierungen wurden im Vormärz noch weitgehend von Honoratioren getragen, von einzelnen bekannten Persönlichkeiten, die zumeist dem städtischen Bildungsbürgertum angehörten. Bei den Liberalen, vor allem im Rheinland, begann aber auch das wirtschaftlich zu Erfolg gekommene Besitzbürgertum eine Rolle zu spielen.

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...engagierte sich auch die Turnerbewegung für ein freies und einiges Deutschland. Im Bild die Einweihung des ersten Turnplatzes in der Hasenheide bei Berlin 1811.

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Am Vorabend der Revolution von 1848 meldeten sich schließlich im Windschatten der preußischen Verfassungsexperimente vor allem im Südwesten Deutschlands Liberale und Demokraten mit direkten und offenen Forderungen nach einer Umgestaltung Deutschlands zu Wort. In Baden verlangte beispielsweise der Liberale Friedrich Bassermann (1811-1855) für Deutschland ein Nationalparlament, während die Demokraten Friedrich Hecker (1811-1881) und Gustav von Struve (1805-1870) im dortigen Parlament den Deutschen Bund als Unrechtsregime anprangerten. Als schließlich an allen Parteiverboten vorbei die Demokraten im September 1847 in Offenburg und einen Monat später die Liberalen in Heppenheim öffentlich politische Programme aufstellten, war dies der Schlussstein einer gesellschaftlichen und politischen Entwicklung, die eine fundamentale Umgestaltung Deutschlands endgültig unausweichlich werden ließ. Zur Auslösung der „Märzrevolution“ fehlte lediglich der zündende Funke.

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Märzrevolution und Liberalisierung Günter Wollstein

Im März 1848 breitet sich die Revolution in Deutschland und Österreich aus. Während sie in Südwestdeutschland unter Einfluss gemäßigter Reformkräfte weitgehend friedlich verläuft, kommt es in Österreich und Preußen zu blutigen Zusammenstößen.

Die Freiheit erscheint den europäischen Monarchen als Seeungeheuer – Karikatur aus der Illustrirten Zeitung, Leipzig, vom 30.Dezember 1848.

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Februarrevolution in Frankreich Das auslösende Signal, das Europa weithin mobilisierte, kam aus Paris, wo republikanische Demonstrationen zu einem Aufstand mit Barrikadenkämpfen führten, der am 25. Februar 1848 nach der Abdankung König Louis Philippes zur Ausrufung der Zweiten Republik in Frankreich führte. Eine provisorische Regierung, gebildet aus bürgerlichen Republikanern und Sozialisten, verkündigte ein politisches Reformprogramm, das politische Vorhaben wie die Einführung des allgemeinen Wahlrechts und soziale Anliegen wie das Auffangen der Arbeitslosen in Mobilgarden und „Nationalwerkstätten“ umfasste.

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Umgehend verbreitete sich Aufbruchstimmung in Europa, und in einer Kettenreaktion folgte im Monat März eine Vielzahl paralleler, sich wechselseitig stützender Revolutionen mit dem Ziel einer neuen, von den Völkern getragenen Ordnung. In dieser „Märzrevolution“, konzentriert auf Metropolen von Karlsruhe bis Budapest, Wien und Prag sowie von Berlin bis Mailand, wurden viele, zunächst als unumkehrbar angesehene Erfolge erstritten.

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Die Menschen glaubten an den naturnotwendigen Anbruch einer neuen Ära, die Freiheit und Prosperität, Recht und Frieden bringen würde. Vielfach verbreitete sich eine feierliche, festliche, glückliche Stimmung, und es herrschte ein nahezu naives Vertrauen, dass mit dem politischen Umschwung die anstehenden und vielfach unterschätzten Probleme bereits gemeistert seien. Flächendeckend breitete sich die revolutionäre Bewegung über den Deutschen Bund aus, obwohl dieser wegen seines föderativen Aufbaus an sich für eine Revolution denkbar ungeeignet war. Jetzt kam zum Tragen, dass im Vormärz viele Modernisierungen eingesetzt hatten, deren Entwicklung zwar von den Regierungen künstlich abgebremst, aber nicht völlig zum Erliegen gebracht worden war. Dank der neuen technischen Möglichkeiten, etwa des Eisenbahnnetzes und der

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vorzugsweise entlang der Bahnstrecken verlegten elektromagnetischen Telegraphenlinien, weiteten sich Kommunikation und Mobilität schlagartig aus. Die politische Öffentlichkeit wuchs dadurch nochmals sprunghaft an; damit begann, nicht zuletzt in Deutschland, das Zeitalter der Meinungsvielfalt.

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Aufbruchstimmung in Südwestdeutschland

Für das Geschehen in den deutschen Mittel- und Kleinstaaten waren die Vorgänge im Großherzogtum Baden charakteristisch und bahnbrechend. In der Industrie- und Handelsstadt Mannheim feierte allen voran der volkstümliche Anwalt und Demokrat Friedrich Hecker am 26. Februar das Eintreffen der Nachrichten aus Paris und machte sich an das „Werk für Deutschlands Befreiung“. Schon am folgenden Tage fand in der Stadt eine erste, mehr als 2500 Menschen zählende Volksversammlung statt, unzählige weitere sollten in den nächsten Tagen und Wochen im gesamten Deutschland folgen. Die große Zahl der Demonstranten zeigte, dass sich in der Märzrevolution ganz unterschiedliche Volksgruppen und

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16 Revolution von 1848

Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

Interessen zusammenfanden oder nebeneinander agierten. In nicht wenigen ländlichen Regionen mit besonderer Rückständigkeit, besonders in Teilen des Südwestens, Hessens, Thüringens und Frankens, setzten bäuerliche Aufstandsbewegungen ein, die eine Befreiung von drückenden Lasten, Verschuldung und Not zum Ziel hatten. Verfassungs- und deutschlandpolitische Anliegen waren demgegenüber weitgehend Sache der Städter, besonders des gehobenen Bürgertums mit dessen liberalen und demokratischen Gruppierungen. In Bewegung geraten waren auch Teile der städtischen Unterschichten, die der Protest gegen ihre hoffnungslose Lage an einzelnen Orten zu Gewaltaktionen und zu Zerstörungen von Maschinen trieb. Charakteristischer aber war, dass auch Kleinbürger und Arbeiter nicht zuletzt dank der Volksversammlungen den Anschluss an die für einen Machtwechsel bereiten Gruppierungen, besonders die Demokraten, fanden, zumal diese zunehmend sozialpolitische Forderungen aufnahmen.

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Märzforderungen aus Dresden

Die drohenden Zeitereignisse machen jedem echten Deutschen die ruhige, aber unverhüllte Kundgebung dessen, was nach seiner Überzeugung die Eintracht des Vaterlandes im Innern und nach Außen erheischt, zur heiligsten Pflicht.[...] Von dieser Überzeugung beseelt sprechen wir, die unterzeichneten Bürger und Einwohner Dresdens, die Erwartung aus, daß auch von der sächsischen hohen Staatsregierung den Forderungen der Zeit, deren Gewährung teils für die Ruhe und das Wohlergehen unseres Sachsenlandes, teils für die einheitliche Entwicklung Deutschlands und „seine Erhebung auf die unter den Nationen Europas ihm gebührende Stufe“, unerläßlich und unabweisbar ist, dieselbe schleunige Erfüllung werde zu Teil werden, welche ihnen in anderen deutschen Staaten teils verheißen, teils schon gefolgt ist.Diese Wünsche sind:1. Freiheit der Presse, Wegfall des Konzessionszwangs für Zeitschriften und Überweisung der Preßvergehen an die ordentlichen Gerichte;2. Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der kirchlichen Vereinigung.3. Freiheit des Versammlungs- und Vereinsrechtes.4. Gesetzliche Sicherstellung der Person gegen willkürliche Verhaftung, Haussuchung und Untersuchungshaft.

5. Verbesserung des Wahlgesetzes namentlich durch Herabsetzung des Zensus und Ausdehnung der Wählbarkeit auf das ganze Land.6. Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege mit Schwurgericht.7. Vereidigung des Militärs auf die Verfassung.8. Verminderung des stehenden Heeres, Umbildung des Militärwesens und der Bürgerbewaffnung. [...]Wir zweifeln nicht an dem landesväterlichen Sinne des allverehrten, allgeliebten Königs, wir geben uns seiner Huld und Weisheit mit Vertrauen hin, wir erwarten aber ebenso zuversichtlich von den Ratgebern der Krone, daß sie klare Einsicht und aufrichtigen Willen genug haben werden, jenen dringenden Forderungen der Neuzeit zu entsprechen, oder dafern dies mit ihren Überzeugungen nicht im Einklang stehen sollte, dies offen bekennen und durch freiwilligen Rücktritt von ihrem Amte das gesetzliche Zustandekommen zeitgemäßer Reformen ermöglichen und sich dadurch der Achtung und des Beifalls aller Parteien versichern werden.Es lebe der König! Es lebe die Verfassung! Es lebe die Eintracht zwischen Regierung und Volk!Dresden, den 7. März 1848.

Karl Obermann (Hg.), Flugblätter der Revolution 1848/49, München 1972, S. 49 f.

Durchsetzung der „Märzforderungen“

Vor diesem Hintergrund gelang es den zahlenmäßig dominierenden Vertretern der liberalen Richtung, vor allem reformfreudigen Beamten und Bildungs-bürgern, Männern der Wirtschaft und freier Berufe, relativ leicht, sich als künftige Regierungspartei und politische Mitte zwischen den aufgebrachten Massen und den Vertretern des alten Systems zu empfehlen. In Zusammenarbeit mit Demokraten lenkten sie Volksversammlungen und sorgten dafür, dass bewaffnete Teilnehmer nicht zu zerstörender Gewalt griffen, sondern vielmehr „petitionierten“, was bedeutete, dass sie der politischen Führung durch Abordnungen ihre Wünsche auf verfassungsmäßigem

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Wege vortrugen. Allerdings kamen „Sturmpetitionen“ zustande, die den Forderungen durch neuerliche und wiederum nicht ganz friedfertige Demonstrationen – wie es hieß – „Nachdruck“ verliehen. Der Inhalt der Forderungen trug erneut die Handschrift der Liberalen und der mit ihnen zusammenarbeitenden Demokraten. In der badischen Hauptstadt Karlsruhe wie auch in den anderen Residenzen wurden den Fürsten und Regierungen die erstaunlich gleichlautenden „Märzforderungen“ unterbreitet, darunter Volksbewaffnung, Pressefreiheit, Schwurgerichte und ein deutsches Nationalparlament.

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Mit diesen Programmpunkten wurde nicht auf punktuelle politische Veränderungen, sondern auf eine fundamentale politische Kehrtwende in den deutschen Ländern und in Gesamtdeutschland abgezielt. Die Heere der Zeit waren bis dahin nämlich strikt auf die Monarchen hin orientiert, sie bildeten neben der politischen Polizei das Rückgrat der bisherigen Unterdrückungspolitik. Mit dem Ruf nach milizartigen „Bürgerwehren“ oder „Nationalgarden“ sollte nun das Gewaltmonopol der Fürsten gebrochen werden und die Unterdrückung des Volkes ein Ende finden. Die Pressefreiheit sollte eine breite liberal-demokratische Öffentlichkeit schaffen. Volksnahe Gerichte zielten auf eine von den Interessen der bisherigen Machtinhaber unabhängige Justiz.

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Bei alledem war klar, dass so weitreichende politische Kehrtwenden nur mit neuen – liberalen oder demokratischen – Regierungen zu realisieren waren. Schließlich sollte mit der Schaffung einer Natonalversammlung der parlamentarische Gedanke in Deutschland bestimmend werden. Der Deutsche Bund wie dessen Einzelstaaten waren in mit Bürger

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In der Märzrevolution fanden ganz unterschiedliche Volks- und Interessengruppen zusammen.

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rechten ausgestattete Ver-fassungs- und Rechtsstaa- ten umzuwandeln.

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Die im Volksmund als „Zaunkönige“ bezeichneten Fürsten der deutschen Klein- und Mittelstaaten beugten sich dem revolutionären Drängen. So auch Großherzog Leopold von Baden (l.) und Ludwig I. von Bayern

Die baldige Umsetzung dieser Märzforderungen durch neu gebildete Regie-rungen trug zur Befriedung der Unruhen in Stadt und Land bei. Solche Erfolge waren anfangs allerdings keineswegs sicher. Überall ließen sich Ängste und cha-otische Zustände beobach-ten. Als etwa in Karlsruhe am 1. März, umgeben von demonstrierenden Men-schen und Abordnungen vor allem aus Städten, die Zweite Kammer Badens tagte und die Märzforde-rungen aufgriff, hatte Groß-herzog Leopold zwar schon ein Einlenken signalisiert. Aber es herrschte alles an-dere als Sicherheit, hatten doch die Großmächte und die Vertreter der alten Ordnung bislang noch immer kritische Situationen zu ihren Gunsten gewendet.

Panikartig wurde häufig in der Märzrevolution auch mit äußeren Kriegen gerechnet. Reale wie vermeintliche Gefahren drohten die zuversichtliche Aufbruchstimmung immer wieder zu erschüttern, es war oft ein kurzer Weg zum Ausbruch einer Volkswut. Der noch aus Zeiten der Französischen Revolution bekannte Ruf „Verrat“ konnte Hass und Raserei auslösen. Vor allem die Liberalen fürchteten eine in einem Blutbad endende soziale Revolution, zumal in Paris der republikanisch-demokratische „Vierte Stand“ gesiegt hatte. Sie wurden damit an die Ausschreitungen während der Französischen Revolution und an die Fremdherrschaft Napoleons erinnert.

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Nicht zuletzt rechnete man mit der Möglichkeit eines Interventionskrieges Frankreichs mit dem Ziel, im Rahmen einer republikanischen Umgestaltung Europas auch eine deutsche Republik zu errichten. Die Demokraten hatten weniger Berührungsängste gegenüber den Massen, trugen aber den Risiken einer entfesselten Gewalt gleichermaßen Rechnung. Außenpolitisch fürchteten sie vor allem, dass das zaristische Russland als „Hort der Reaktion“ einen politischen Erdrutsch in der Mitte Europas nicht tatenlos hinnehmen würde.

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Großherzog Leopold von Baden sah keine Alternative. Ein Einsatz des Heeres, sofern dieses für einen Schlag gegen das Volk überhaupt noch zur Verfügung stand, musste dazu führen, dass sich die Unruhen auf dem Lande und in den Städten verbanden und eskalierten. Nach einigen Tagen des Lavierens stimmte er am 9. März allen Forderungen endgültig zu und setzte eines der ersten „Märzministerien“ in Deutschland ein, eine „konstitutionelle Regierung“ unter liberaler Führung. Dies bedeutete, dass die Regierung – und nicht mehr der Landesherr – durch ihre Unterschrift für alle Gesetze und Regierungsakte die politische Verantwortung übernahm. Den

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anderen Mittel- und Kleinstaaten blieb keine Wahl, als diesem Beispiel zu folgen, auch wenn in manchen von ihnen eine hinhaltende Politik des Fürsten (Württemberg) oder die Rückständigkeit des Landes (Mecklenburg, Oldenburg) die fälligen Modernisierungen erheblich verzögerten. In Bayern musste König Ludwig I. zugunsten seines Sohnes abdanken.

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Spaltung von Liberalen und Demokraten

Auf den ersten Blick mag an dieser Entwicklung verwundern, dass die Liberalen – oft in Verbindung mit zu Reformen bereiten Konservativen – die Märzministerien bildeten, sich aber nicht mit ihren traditionellen Partnern, den Demokraten, zu einer Regierungskoalition zusammenfanden. Dies verwundert um so mehr, als die Demokraten dank ihres Rückhalts in den zu Gewalt bereiten Massen der Märzrevolution erst die nötige Schubkraft verliehen, die Ziele der Revolution mit formuliert und sich verantwortungsbewusst der Gewalteindämmungsstrategie angeschlossen hatten. Doch gerade im Zuge der Bildung der neuen Regierungen trennten sich die Wege der beiden Parteien deutlich. Die Demokraten fanden sich in der bitteren und undankbaren Rolle einer Oppositionspartei wieder, während die nun gegenüber der politischen Rechten nicht selten konzessionsbereiten Liberalen das Werk der konkreten Umsetzung der Märzforderungen übernahmen.

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Diese Entwicklung war darin begründet, dass die Gemeinsamkeit der beiden Gruppierungen im Vormärz in ihrer Ablehnung gegen das alte Regime und in dem allgemeinen Willen gelegen hatte, Deutschland zu erneuern. Als 1848 eine definitive Umgestaltung Deutschlands anstand, kam dagegen zum Tragen, dass die Liberalen eine konstitutionelle Monarchie und die Demokraten eine Republik und damit unterschiedliche Staatsformen anstrebten. Auch in zentralen Einzelheiten wie der Wahlrechtsfrage unterschieden sich die Anschauungen erheblich. Wäh

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rend die Liberalen von einer noch verbreiteten poli-tischen Unmündigkeit des Volkes ausgingen und das Wahlrecht nur Staatsbürgern mit Besitz zukommen lassen wollten, befürworteten die stärker egalitär ausgerichteten Demokraten das gleiche Wahlrecht für alle.

Eher noch wichtiger war der unterschiedliche Umgang beider mit der politischen Tradition in Deutschland. Die Liberalen wollten das – wie sie sagten – „organisch“ Gewachsene nicht zerstören und lehnten einen völligen Neuanfang ab. Analog zu ihrem Verhalten im Vormärz ging es ihnen um einen Staatsumbau, wobei sie sich auf die Bundesakte und die Erfolge des Frühkonstitutionalismus beriefen. Sie setzten sich für eine fundamentale Reform ein und sahen diese als „Verrechtlichung“ der Zustände in Deutschland an. Hierbei vertrauten sie darauf, dass eine Traditionen bewahrende Zusammenarbeit mit den Fürsten nach der Märzrevolution möglich und nötig sein würde. Leitend war der Gedanke, dass die Fürsten – nun endlich – die Zeichen der Zeit eines sich herausbildenden bürgerlichen Zeitalters respektieren und als weiterhin führende Kräfte definitiv und dauerhaft auf einen liberalen Kurs einschwenken würden.

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Die Demokraten wiederum schienen nach Bildung der Märzregierungen von den Oppositionsbänken aus kaum noch eine Chance zu besitzen, die von ihnen erstrebte Staatsform und damit einen klaren Bruch mit der Vergangenheit durchzusetzen. Auf der anderen Seite hatten sie sich durch die von ihnen mitgetragene erfolgreiche Eindämmung der Revolution jede Chance genommen, wieder zu revolutionären Mitteln zu greifen: Eine „zweite Revolution“ war in Deutschland kaum noch möglich.

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Am 13. März 1848 schießen Soldaten in Wien wahllos in die Menge de-monstrierender Handwerker, Arbeiter und Studenten und lösen so einen Aufstand aus.

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Umsturz in Österreich

So spannend und richtungweisend der machtpolitische Sturz der „Zaunkönige“ von Mittel- und Kleinstaaten auch sein mochte, das Schicksal der Revolution entschied sich in Preußen und vor allem in Österreich. Letzteres bestand aus höchst unterschiedlichen Landesteilen mit vielfach ständestaatlichen Einrichtungen; nirgends gab es Repräsentativverfassungen. Nicht zum Deutschen Bund gehörten die Habsburger Königreiche Galizien und Ungarn im Osten sowie das Lombardisch-Venetianische Königreich im Süden. In allen Regionen lebten verschiedene Nationalitäten nebeneinander, wobei die kroatische Minderheit in Ungarn und die deutsche Minderheit im zum Deutschen Bund gehörenden Königreich Böhmen-Mähren für 1848 besonders wichtig waren.

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Dieser für eine Umgestaltung Europas im Sinne von nationalen Verfassungsstaaten denkbar ungeeignete Vielvölkerstaat wurde durch die Dynastie der Habsburger zusammengehalten. An der Spitze Österreichs stand mit Ferdinand I. ein an Epilepsie leidender, regierungsunfähiger Kaiser. Eine „Staatskonferenz“ traf alle wichtigen Entscheidungen. Die

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ser gehörten Erzherzöge des Hauses Habsburg und hohe Regierungsvertreter an, wobei Metternich, obwohl seit 40 Jahren Staatskanzler, längst keine Integrationsfigur mehr darstellte. Die dem ganzen Deutschen Bund verordnete Politik der Unterdrückung fortschrittlicher Kräfte funktionierte selbst in der Hauptstadt Wien nur noch unvollkommen. Verlass war höchstens noch auf das Militär und die Bürokratie, während zur Erhaltung des Status quo Nationen, Parteien und Klassen geschickt gegeneinander ausgespielt wurden.

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Für den Offenbarungseid des Systems Metternich sorgte 1848 das Nationalitätenproblem des Vielvölkerstaates. Gewalt-sam erstritt in Italien schon Anfang Febru-ar das Risorgimento für Neapel-Sizilien eine Verfassung, während fast zeitgleich und für die italienische Geschichte richtungweisend auch der neue König Karl Albert in Sardinien-Piemont eine Konstitution erließ. Daneben stellte die italienische Nationalbewegung die österreichische Herrschaft in der Lombardei und in Venetien grundlegend in Frage, was nach Metternichs Auffassung eine militärische Intervention nötig machte. Das von massiven wirtschaftlichen und sozialen Nöten betroffene Österreich war hierzu vor allem finanziell nicht in der Lage, ein Staatsbankrott und eine Staatskrise drohten. Zur Abwehr dieser Krise sammelten sich bei eher unklaren Fronten „Reformer“ aus den alten Eliten im Umfeld von Regierung und Bürokratie sowie in

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Das Nationalitätenproblem sorgte für den Offenbarungseid des Habsburger Vielvölkerstaates.

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Adel und ständischen Zirkeln. Diese empfingen von Liberalen in Niederösterreich, Böhmen und Ungarn Reformideen, verfügten aber dennoch über keine klaren Vorstellungen, wie ein modernisiertes Österreich aussehen sollte.

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Metternich muss sich nach seiner Entlassung vor dem Volks-zorn in Sicherheit bringen – Zeitgenössische Karikatur mit dem Titel „Die Konstitution macht Bewegung“

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Aufstand in Wien

Über Böhmen und vor allem Ungarn, wo der Revolutionsführer Lajos Kossuth am 3. März in der „Taufrede“ der Revolution konstitutionelle Regierungen für alle Länder Österreichs und weitgehende Selbstständigkeit für das eigene Land forderte, drang die revolutionäre Welle in das ohnehin handlungsunfähige Österreich ein. Am 13. März traten die niederösterreichischen Stände mit dem Ziel zusammen, eine Eingabe an die Regierung zu erstellen. Um dem Anliegen der Stände mehr Nachdruck zu verleihen, förderten die „Reformer“ aus den alten Eliten Demonstrationen, an denen sich Handwerker, Arbeiter und Studenten beteiligten.

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Als sich die Ständeversammlung aber die nun auch in Wien erhobenen Märzforderungen zu eigen machte, kam es prompt zu denselben Turbulenzen wie in den deutschen Mittel- und Kleinstaaten. Gewalttätigkeiten der Demonstranten trafen auf eine übermäßig harte Reaktion der Soldaten und lösten einen regelrechten Aufstand aus. Die bürgerlichen Kräfte, die in einem „Juridisch politischen Leseverein“, im Gewerbeverein und in der Universität ihre Zentren hatten, waren in Wien relativ schwach und konnten sich nicht wie in den deutschen Mittel- und Kleinstaaten an die Spitze der Bewegung stellen. Die Stoßkraft der Aufstandsbewegung resultierte folglich aus dem Bankrott der alten Führungskräfte so-wie massiven Demonstrationen von Handwerkern und Arbeitern, die durch Studentenproteste wirksam ergänzt wurden. Der Wiener Aufstand schuf den Mythos von einer Achse zwischen Arbeitern und Studenten.

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Überstürzt wurde Metternich am 13. März entlassen, als er einen massiven Einsatz des Heeres forderte. Dieses sollte jedoch, da es für äußere Kriege wie in Italien gebraucht wurde, nicht in einem inneren Konflikt aufgerieben werden. Nach der in ganz Europa Aufsehen erregenden Flucht Metternichs sah sich die Staatskonferenz Zug um Zug zu weiteren Teilkapitulationen vor der Volksbewegung gezwungen, bis sie schließlich am 15. März ein konstitutionelles Regime zusicherte, womit die Unruhen zunächst ein Ende fanden.

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In der Habsburgermonarchie konnte eine solche Zusicherung zunächst nicht mehr als die Verwendung einer beschwichtigenden magischen Zauberformel bedeuten. Die Nationalitätenprobleme, allen voran Unabhängigkeitsbestrebungen in Italien, Ungarn und Böhmen, entwickelten erhebliche Sprengkraft innerhalb des bislang dynastischen Staates. Dem allzu schwachen liberalen Bürgertum, das allein als Träger einer Verfassungspolitik in Frage kam, war es nicht gelungen, die Macht zu erobern. Immerhin wurde im Zuge der von der Staatskonfe

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renz zugesagten „Volksbewaffnung“ eine Wiener Nationalgarde aufgestellt, die mit der akademischen Legion als Kerntruppe die Ruhe in der Stadt wieder herstellte. Doch das stärkte die den Problemen nicht gewachsene und von keiner Seite gestützte Regierung nicht dauerhaft. Die Habsburgermonarchie schien als Führungsmacht am Ende zu sein, ihre Konsolidierung lag im Ungewissen.

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Kapitulation des Preußenkönigs

Die Märzrevolution in Preußen hatte wiederum eine andere politische Konstellation zur Folge. Das Königreich war noch kein zusammenhängender Flächenstaat, seine Provinzen Rheinland und Westfalen im Westen waren vielmehr von denen im Osten – Brandenburg, Sachsen, Schlesien, Pommern, Preußen und Posen – durch die Staaten Hannover und Hessen getrennt; die Provinzen Posen und Preußen gehörten dem Deutschen Bund nicht an. In weiten Bereichen waren die Modernisierungen des Staates aus der Stein-Hardenbergschen Zeit in Rückständigkeit umgeschlagen.

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Gegensätze zwischen den überwiegenden Agrarregionen – auf dem Lande und in den kleinen Städten lebten über 90 Prozent der Bevölkerung – und den Industriezonen Berlin/Schlesien und Westfalen/Rheinland waren ebenso augenfällig wie Unterschiede zwischen Osten und Westen, wo Modernisierungen aus napoleonischer Zeit beibehalten worden waren. Während vor allem im Rheinland ein selbstbewusstes Wirtschaftsbürgertum auf politische Mitbestimmung drängte, lebte in den alten Kernregionen Preußens, allen voran in Brandenburg, das Gros der ländlichen Bevölkerung unter

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dem dortigen Landadel in anhaltender politischer Stagnation; vor allem Rittergutsbesitzer bewahrten patrimoniale Strukturen. Nicht befriedigend abgeschlossen waren, vor allem in Schlesien, die Folgen der 1811 verfügten Bauernbefreiung. Da die Ablösung der bäuerlichen Lasten den frei gewordenen Bauern erhebliche Landabtretungen an die Gutsbesitzer auferlegt hatte und ihre Resthöfe häufig unrentabel wurden, bauten sich erhebliche Spannungen auf. Wie in Österreich Wien, so fiel auch in Preußen der Hauptstadt Berlin eine Sonderrolle zu. In ihr stießen die Interessen von Kräften des alten preußischen Beamten- und Militärstaates sowie die von Bürgertum, Handwerkern, Arbeitern und Unterschichten hart aufeinander.

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Männer, Frauen und Kinder halten am 18. März 1848 auf einer Barrikade an der Kronen- und Friedrichstraße in Berlin stand gegen das Militär.

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Der Erhebung im Jahre 1848 gingen Reformanstrengungen des Königs voraus, die den nationalen und liberalen Kräften in letzter Minute zuvorkommen sollten. So hatte Friedrich Wilhelm IV. versucht, über einen Fürstenkongress deutschlandpolitisch die Initiative zu ergreifen und Reformen auf den Weg zu bringen, war aber an Metternich gescheitert. In der Innenpolitik hatte er dem Vereinigten Preußischen Landtag das Recht auf periodische Tagungen eingeräumt, womit dessen Weg hin zu einem modernen Parlament schon vor der eigentlichen Märzrevolution frei zu sein schien. Allerdings fand dies nur noch wenig Beachtung, da sich der Monarch erkennbar allein dem massiven Druck der sich auch in Preußen rasch ausweitenden Demonstrations- und Petitionsbewegung gebeugt hatte, die ihrerseits schon viel mehr, nämlich ein aus demokratischen Urwahlen hervorgehendes Parlament forderte.

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Vom fortschrittlichen Westen aus erfassten die Unruhen alle Provinzen und die Hauptstadt. In Berlin formierte sich in den Tagen vom 6. bis 18. März die bürgerliche Protestbewegung, die Unterstüt

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zung aus den Arbeitervierteln erhielt. Die Auseinandersetzungen zwischen den Protestierenden und eingesetzten Heerestruppen gewannen an Schärfe. Selbst Todesopfer waren zu beklagen. Für diese Entwicklung hatte letztlich der Monarch selbst gesorgt, der das Heer in dessen Herr-im-Haus-Haltung bestärkte. Erst als eine revolutionäre Erhebung in Berlin unausweichlich erschien, gab der König nach und entschied sich, die Märzforderungen zu bewilligen.

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Am Folgetag muss sich König Friedrich Wilhelm IV. auf dem Balkon sei-nes Schlosses vor den Opfern der Barrikadenkämpfe verneigen.

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Barrikadenkämpfe in Berlin

Doch die Dankeskundgebung der begeisterten Volksmenge vor dem Schloss endete am 18. März im Desaster. Als in der Menge der Ruf nach einem Rückzug des Militärs laut wurde, gab der König den Soldaten den Befehl zur „Säuberung“ des Schlossplatzes. Zwei Schüsse von militärischer Seite lösten ein allgemeines Entsetzen über diesen „Verrat“ und blutige Barrikadenkämpfe aus. Als am Folgetag

die Militärs einen Sieg „mit den vorhandenen Streitkräften“ als nicht erreichbar erklärten, gab der König erneut nach und ließ das Heer nach Potsdam abziehen. Der Volkszorn richtete sich in dieser Situation weniger gegen den König, der lavierend und schauspielernd „seinen lieben Berlinern“ schmeichelte und ausländischen Provokateuren alle Schuld zuwies, als gegen den Prinzen von Preußen. Prinz Wilhelm, Bruder des Königs, Thronfolger sowie später erster Kaiser des Deutschen Reiches, musste als prominentester Verfechter einer harten Linie fliehen.

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Einer Übergangsregierung folgte am 29. März ein liberales Märzministerium unter Führung der rheinischen Wirtschaftsliberalen Ludolf Camphausen (1803-1890) und David Hansemann (1790-1864). Wahlen für ein Parlament, das für Preußen eine Verfassung ausarbeiten sollte, wurden für den 1. Mai festgesetzt. Da der König auch eine deutsche Nationalversammlung akzeptierte, endete die Märzrevolution in Preußen wie in den Klein- und Mittelstaaten mit einem Triumph der Aufständischen. Eine gleichzeitige Liberalisierung Preußens als Teil- und Deutschlands als Gesamtstaat schien auf den Weg gebracht.

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Diese Sachlage war allerdings nicht eindeutig. Friedrich Wilhelm IV. lag zwar, wie er selbst plastisch formulierte, „auf dem Bauch“. Symbolträchtig war das Geschehen vom 19. März: Der König musste sich vor den Opfern der Barrikadenkämpfe, den „Märzgefallenen“, verbeugen. Aber schon seine eigene Ausdrucksweise ließ erkennen, dass er weder kapituliert hatte noch zu einem Liberalen bekehrt worden war.

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Dass ihm nach nur gut sieben Monaten ein politischer Wiederaufstieg als gegenrevolutionäre Schlüsselfigur des Revolutionsjahres in Deutschland insgesamt gelang, ruft Interesse an seiner Persönlichkeit wach.

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Der 18. März in Berlin

Am Morgen des 18. März liegt Berlin in strahlender Frühlingssonne da, und im Magistrat herrscht die glücklichste Stimmung: Die Kabinettsbeschlüsse über die Einberufung des Landtags und die Gewährung der Pressefreiheit werden durch Boten zugestellt und finden begeisterten Beifall [...] Der König hat mehr gewährt, als die kühnsten Optimisten gehofft haben, und nun vereinen sich alle Anstrengungen darin, die geplante Demonstration vor dem Schloss zu verhindern. [...] Aber das Vorhaben ist nicht mehr zu verhindern; seit der Mittagsstunde strömen die Menschenmassen auf dem Schlossplatz zusammen. [...] Die dankbaren Bürger wollen ihren König sehen; der Monarch erscheint auf dem Balkon, von rauschenden Lebehochs empfangen. [...] Die auf dem Schlossplatz stehende Menschenmasse ist so groß, der Lärm so gewaltig, dass nur die Vornstehenden die Reden vom Balkon verstehen können. So zerstreut sich die Menge keineswegs, im Gegenteil, aus den Seitenstraßen strömen immer mehr Menschen hinzu, die Enge auf dem Platz wird unerträglich, die vorderen Reihen werden weiter nach vorn geschoben, und jetzt sieht man auch in den Tordurchfahrten und Höfen des Schlosses Soldaten stehen. Die Stimmung kippt um, wird ärgerlich, mancher erwacht aus der royalistischen Begeisterung und erinnert sich daran, dass von der Erfüllung einer wichtigen Forderung noch nicht die Rede gewesen ist. „Das Militär zurück!“ wird gerufen, schließlich von der gesamten wogenden Menschenmenge skandiert. Neuer Ärger, als am Balkon eines dem Schloss gegenüberliegenden Hauses eine preußische, also schwarz-weiße Fahne, entrollt wird. Unten in der Menge wird das als Provokation empfunden, lebhaft fordert man die Farben Schwarz-Rot-Gold.Im Schloss herrscht Verblüffung, beim König wachsende Verärgerung über den anhaltenden Lärm. [...] General von Prittwitz soll mit der Kavallerie den Schlossplatz säubern und, wie der König erklärt, dem dort herrschenden Skandal ein Ende bereiten.[...] Im Handumdrehen ist der Schlossplatz leergefegt, nur zwischen der Breiten Straße und der Langen Brücke stehen noch schimpfende, mit Stöcken drohende Menschen. Gegen sie schickt der Major einen Schützenzug aus, und während die Soldaten, „Gewehr fertig“, auf die Brücke zumarschieren, fallen aus ihrer Reihe heraus zwei Schüsse. [...]

In Sekundenschnelle ändert sich das Bild. Hals über Kopf fliehen die Menschen in die Seitenstraßen; der Ruf „Verrat! Man schießt auf uns“ ertönt allenthalben und verbreitet sich in Windeseile durch die ganze Stadt. [...] Nichts ist vorbereitet, es gibt keinen Plan, keinen Anführer. Barrikaden wachsen aus dem Boden, wo sich eben genügend Hände finden, sie aus dem greifbaren Material aufzuführen. [...] Ähnlich überstürzt und spontan steht es mit der Bewaffnung. Die Waffenläden werden geplündert, aber mit dem Versprechen, nach dem Kampf die Waffen zurückzugeben, was meist tatsächlich geschieht. [...]Die Armee macht sich daran, systematisch Straßenzug für Straßenzug einzunehmen. [...] Dennoch muss der Oberbefehlshaber bald einsehen, dass seine Machtmittel nicht ausreichen, um die gesamte Stadt freizukämpfen und zu behaupten. Gegen Mitternacht begibt er sich zum König. [...] Sein Vorschlag: anstatt die Truppen auszudünnen und im Straßenkampf aufzureiben, sollten sie aus der Innenstadt abziehen, Berlin zernieren und die Widerstandsnester von außen zusammenschießen. Der König geht auf die Vorschläge des Generals nicht ein; er befiehlt, den Kampf einzustellen.[...] Nach langem Zögern gibt der König seinen Ratgebern nach, die ihn beschwören, den Truppen nach Potsdam zu folgen, aber zu spät: Die Straßen sind von Menschenmassen verstopft, die sich auf das Schloss zuwälzen. Die Barrikadenkämpfer führen auf Leiterwagen und Bahren die Leichen der in der vergangenen Nacht Gefallenen mit sich, mit Blumen, Zweigen und Lorbeer geschmückt, die Wunden entblößt. Friedrich Wilhelm erscheint, begleitet von der Königin, beide todbleich, dem Umfallen nah. Leichnam für Leichnam wird vor dem Königspaar niedergesetzt, und die Träger verkünden laut: „15 Jahre alt, mein einziger Sohn.“ – „Ohne Pardon niedergetreten, nachdem er sich ergeben hat.“ – „Ein Familienvater von fünf unerzogenen Kindern“. Die Erregung steigt, die Menge schreit „Hut ab“, der König nimmt seine Militärmütze vom Kopf und will reden, aber der Lärm übertönt ihn. Die Menschen stimmen den Choral „Jesus meine Zuversicht“ an, [...]. Dann führt der König seine weinende Gemahlin in das Schloss zurück; nie zuvor oder später hat ein deutscher Monarch eine so tiefe Demütigung erlebt.

Hagen Schulze, Der Weg zum Nationalstaat, München 1994, S. 32 ff.

Ziele und Taktik Friedrich Wilhelms IV.

Friedrich Wilhelm IV. wollte Deutschland machtund verfassungspolitisch verändern. In romantischer Verklärung des Mittelalters erstrebte er ein mächtiges deutsches Reich, das altfränkisch, hierarchisch und paternalistisch sein sollte. Der sich selbst als abendländisch-christlicher Monarch von Gottes Gnaden verstehende Herrscher legte Wert auf „erneuerte“ Stände in Deutschland und Preußen. Allerdings sollten diese Stände nur hin und wieder einberufen werden und strikt auf eine beratende und akklamierende Funktion beschränkt bleiben. Die Führungsmacht der Habsburgermonarchie wurde nicht in Frage gestellt, doch auch Preußen sollte an

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Macht gewinnen und bei einem möglichen Ausfall Österreichs deutschlandpolitisch die Führung übernehmen.

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Trotz seines eher unmilitärischen und unbürokratischen Wesens beharrte er auf seinen Prinzipien mit doktrinärer Härte. In seiner Jugend war die Existenz Preußens bedroht gewesen, und sein Vater hatte den Kampf gegen die Revolutionäre im Westen sowie gegen Napoleon als heiligen Krieg gegen teuflische Kräfte geführt. Ganz in dieser Tradition sah sich Friedrich Wilhelm IV. gefordert für den Fall, dass aufs Neue Anarchie und Revolution drohten. Mit den Liberalen hatte er im Vormärz einen „Dialog“ gesucht, doch allein mit dem Ziel, sie zur Umkehr zu bewegen. Im Grunde sah er diese bürgerlichen Kräfte in einer Linie mit Anarchisten, Sozialrevolutionären und Demokraten, die die Macht „usurpieren“ wollten und seine Ziele gefährdeten.

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Für die Zeitgenossen, allen voran die Liberalen, war dies schwer zu erkennen. Parallelen im programmatischen Ansatz, „Gesprächsbereitschaft“ und sein vorübergehendes Nachgeben in kritischen Situationen – er wollte von seinem Volk geliebt werden – gaben immer wieder, so auch bei seinen weitreichenden Zusagen im März 1848, Anlass zu der Annahme, mit diesem König sei ein Aufbruch in ein liberales Preußen und Deutschland möglich. Dies galt in besonderem Maße für die nun in der Regierung federführenden rheinischen Liberalen, die Wirtschaftsreformen und einen ungestörten Wirtschaftsaufschwung als Grundbestand

teil einer politischen Erneuerung ansahen, Revolution und sozialrevolutionäre Tendenzen daher besonders

rasch ersticken wollten und ganz auf eine Zusammenarbeit mit dem König setzten.

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Zumindest im historischen Rückblick aber ist nicht zu übersehen, dass Friedrich Wilhelm IV. sich schon in den Tagen der Märzrevolution Rechtsansprüche sichern konnte, die ihm später Veränderungen in seinem Sinn ermöglichten. So sprach das Wahlgesetz für die verfassunggebende Versammlung, die bald „preußische Nationalversammlung“ genannt werden sollte, von einer Verfassung, die zu „vereinbaren“ war, was Mitbestimmungsrechte des Königs festschrieb. Deutschlandpolitische Akzente setzte er am 21. März in einer schauspielerischen Höchstleistung mit einem als versöhnliche Geste wirkenden Umritt in Berlin. Er schmückte sich mit einer Schärpe in den deutschen Farben und sprach in einer Proklamation „An mein Volk und die deutsche Nation“ davon, dass Preußen nunmehr „in Deutschland aufgehe“, dass er „für die Tage der Gefahr“ die Führung übernehme und dass nur eine „innigste Vereinigung der deutschen Fürsten und Völker“ die Rettung Deutschlands bringen könne.

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Nach diesen Aktionen verfiel der Monarch, was die Führung des Landes anging, für Frühjahr und Sommer 1848 in Passivität. Er dachte nicht daran,

seiner Regierung die Hand zur Zusammenarbeit beim Aufbau einer liberalen Ordnung zu reichen, im Gegenteil, er forderte immer neue Rücksichtnahmen und Konzessionen. Bei alledem umgab er sich seit Ende März verstärkt mit einer „Kamarilla“, einem Freundes- und Beraterkreis wechselnder Zusammensetzung, bestehend aus Angehörigen des Hofes, des Landadels, der hohen Bürokratie und der Armee, der sich als Gegenregierung anbot und den König zu gegenrevolutionärem Handeln drängte. In Preußen schien zumindest Wachsamkeit am Platz, damit der Sieg der Liberalen nicht in Gefahr geriet.

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Gesinnungswandel?

Aus der Rede König Friedrich Wilhelms IV. bei der Eröffnung des Vereinigten Landtages am 11. April 1847:Es ist Gottes Wohlgefallen gewesen, Preußen durch das Schwert groß zu machen, durch das Schwert des Krieges nach außen, durch das Schwert des Geistes nach innen. Aber wahrlich nicht des verneinenden Geistes der Zeit, sondern des Geistes der Ordnung und der Zucht. Ich spreche es aus, meine Herren: Wie im Feldlager ohne die allerdringendste Gefahr und größte Torheit nur ein Wille gebieten darf, so können dieses Landes Geschicke, soll es nicht augenblicklich von seiner Höhe fallen, nur von einem Willen geleitet werden. [...]

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Es drängt mich zu der feierlichen Erklärung, daß es keiner Macht der Erde je gelingen soll, mich zu bewegen, das natürliche, gerade bei uns durch seine innere Wahrheit so mächtig machende Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein konventionelles konstitutionelles zu wandeln, und daß ich es nun und nimmermehr zugeben werde, daß sich zwischen unseren Herrgott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt, gleichsam als eine zweite Vorsehung, eindränge, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren und durch sie die alte, heilige Treue zu ersetzen.

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Aus der Proklamation des Königs von Preußen vom 21. März 1848:An Mein Volk und an die deutsche Nation![...] Ich habe heute die alten deutschen Farben angenommen und Mich und Mein Volk unter das ehrwürdige Banner des deutschen Reiches gestellt. Preußen geht fortan in Deutschland auf. [...]Gleichzeitig mit den Maßregeln zur Abwendung der augenblicklichen Gefahr wird die deutsche Stände-Versammlung (Einzuberufender Preußischer Landtag, Fürsten und Stände des Deutschen Bundesgebietes – Anm. d. Red.) über die Wiedergeburt und Gründung eines neuen Deutschlands berathen, eines einigen, nicht einförmigen Deutschlands, einer Einheit in der Verschiedenheit, einer Einheit mit Freiheit.

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Allgemeine Einführung wahrer konstitutioneller Verfassungen, mit Verantwortlichkeit der Minister in allen Einzelstaaten, öffentliche und mündliche Rechtspflege, in Strafsachen auf Geschworenengerichte gestützt, gleiche politische und bürgerliche Rechte für alle religiösen Glaubensbekenntnisse und eine wahrhaft volksthümliche, freisinnige Verwaltung werden allein solche sichere und innere Einheit zu bewirken und zu befestigen im Stande sein.

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Hans Jessen (Hg.), Die deutsche Revolution 1848/49 in Augenzeugenberichten, München 1973, S. 23 f. und 46 f.

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

Vorparlament und Paulskirche

Günter Wollstein

Am 18. Mai 1848 beginnt die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche ihre Beratungen. Sie trifft Entscheidungen über die Verfassung, den Staatsaufbau und die Ausdehnung eines künftigen deutschen Reiches.

Weichenstellungen des Vorparlaments

In den zwei Monaten bis zum Zusammentritt des ersten deutschen Parlaments am 18. Mai 1848, das nach seinem Tagungsort, der Frankfurter Paulskirche, benannt wurde, rückte die Deutschlandpolitik in den Mittelpunkt des Interesses.

Zunächst hatten Liberale und Demokraten bei ihren jeweiligen Landesregierungen durchaus verfassungskonform Anträge auf die Berufung eines deutschen Nationalparlaments gestellt. Am 5. März 1848 sorgte jedoch zusätzlich eine Versammlung mehrheitlich liberaler Vertreter der deutschen Nationalbewegung in Heidelberg für Schubkraft im Einigungsprozess. Sie nahm Kompetenzen in Anspruch, die eigentlich nur der Bundesversammlung zukamen, indem sie ein „Vorparlament“ aus Abgeordneten der Einzelstaaten berief, das Volkswahlen zur Nationalversammlung durchsetzen und eine neue deutsche Regierung schaffen sollte. Das Vorparlament berief seinerseits später einen „Fünfziger-Ausschuss“ mit gleicher Aufgabenstellung.

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Kämpferischer Einsatz für eine Republik: Gustav von Struve, Robert Blum und Friedrich Hecker(v.l.n.r.), Führer der republikanischen Freischärler in Baden

Schwächung der Demokraten

Als das Vorparlament, in dem bei Anwesenheit zahlreicher süddeutscher Vertreter die Liberalen die Mehrheit stellten, vom 31. März bis zum 3. April in Frankfurt am Main tagte, wurden Wahlen zu einer Nationalversammlung recht problemlos auf den Weg gebracht. Mit dem Projekt der Bildung einer Regierung stellte sich aber die Frage nach der künftigen Staatsform Deutschlands. Die Demokraten hofften, Deutschland auf gesamtdeutsch-parlamentarischer Ebene doch noch zu einer Republik machen zu können. Als ein entsprechender Antrag linker badischer Abgeordneter um Hecker und Struve an den Liberalen scheiterte, beugte sich die Mehrheit der demokratischen Abgeordneten diesem Beschluss.

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Die Gruppe um Hecker und Struve unternahm jedoch einen neuen, nun außerparlamentarischen Vorstoß, ließ bewaffnete Einheiten aufstellen und rief am 12. April in Konstanz die Republik aus. Ein De-

monstrationszug durch Baden sollte durch Zulauf aus dem Volk eine derartige Durchschlagskraft erhalten, dass der republikanischen Sache gleichsam automatisch zum Siege verholfen werde. Truppen des Deutschen Bundes und Württembergs bereiteten dem schwach bleibenden Unternehmen jedoch am 20. April bei Kandern ein Ende, wonach elf Tote zu beklagen waren und Hecker ins Ausland fliehen musste.

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Die Folgen waren erheblich. Die Demokraten waren definitiv gespalten, was gleichzeitig eine Schwächung ihres parlamentarisch orientierten Flügels darstellte. Eine Linke, vor allem in Baden, sah in Hecker einen Helden und Revolutionär, da nur dieser einen konsequenten Versuch zur Schaffung eines demokratischen und republikanischen Deutschlands gewagt habe. Bei den Liberalen, die in dieser Zeit auf Eindämmung der Revolution und eine Kooperation mit Reformkonservativen setzten, rückten personelle Koalitionsmöglichkeiten mit den gemäßigten Demokraten erst einmal in weite Ferne. Schließlich bot die fehlgeschlagene Aktion den sich allmählich

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sammelnden Konservativen Muni-tion für ihre Propaganda, in der Demokraten mit gefährlichen Anar-chisten gleichgesetzt wurden.

Staatsmännische Parlamentarier: Feierlicher Einzug der Nationalversammlung zu ihrer ersten Sitzung in der Frankfurter Paulskirche am 18. Mai 1848

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Hinhaltetaktik der alten Gewalten

Mit dem Abstimmungserfolg der Liberalen im Vorparlament war aber noch keine Regierung geschaffen. Dieses Projekt erwies sich vielmehr als so schwierig, dass eine endgültige Lösung der Nationalversammlung überlassen wurde.

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Ursache war, dass Österreich und Preußen keinerlei Anstalten machten, sich den Frankfurter Parlamentariern zu unterstellen. Gesamtdeutsche Wahlen waren das Äußerste, was ihnen zu diesem Zeitpunkt abzuringen war. Die Regierung der Habsburgermonarchie signalisierte, dass sie sich am Vorparlament nur beteilige, um in Deutschland „ihren Einfluss nicht zu verlieren“. Die Wahrung der Eigenstaatlichkeit Österreichs war ihr wichtiger. Immerhin erschien bald mit dem Österreicher Anton Ritter von Schmerling (1805-1893) einer der tatkräftigsten Liberalen auf der Frankfurter Bühne. In Preußen lehnte der Monarch eine Zusammenarbeit mit dem „revolutionären“ Vorparlament strikt ab und wollte sich nur der Anordnung von Urwahlen zu einer deutschen Nationalversammlung durch die Bundesversammlung beugen.

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Diese beteiligte sich ebenfalls an den Vorbereitungen zur Schaffung einer staatlichen Spitze. Seit der Märzrevolution hatte sie sich völlig gewandelt und versuchte sich nun, besetzt mit führenden, meist rechten Liberalen, als Reformgremium zu profilieren. Ihr Ziel war es, als Schaltstelle zwischen den in Frankfurt versammelten Parlamentariern und den Einzelstaaten, nicht selten aber auch als lenkendes Organ in Deutschland zu wirken. So beseitigte sie umgehend die alten Gesetze zur Unterdrückung des Volkes und engagierte sich stark bei der Vorbereitung von Wahlen in Deutschland.

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Als die Bundesversammlung aber bei eigenmächtigen Weichenstellungen für eine Regierungsbildung und bei der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs in den Ruf geriet, in Verbindung mit reaktionären Kräften der Nationalversammlung vorzugreifen, galt sie ebenso wie der Deutsche Bund als erledigt. Der Nationalversammlung fiel fortan die Aufgabe einer Neuschaffung Deutschlands mehr oder weniger allein zu.

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Entscheidung für einen demokratischen Konsens

Ungeachtet aller Animositäten zwischen Liberalen und Demokraten rückten damit Vorstellungen des

linken Flügels der Liberalen in den Vordergrund, die ein weitgehend souveränes Vorgehen der Volksvertreter befürworteten. Auch die gemäßigten Liberalen, unter ihnen führend Heinrich von Gagern (1799-1880), griffen diese Strategie auf, die revolutionärer als die anfängliche Haltung der Liberalen in der Märzrevolution war. Altes sollte zwar weiterhin tunlichst nicht zerstört werden, aber unstrittig war ab diesem Zeitpunkt die Führungsrolle des Parlaments bei der Neugestaltung Deutschlands.

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Revolutionäre Akte gehörten fortan ebenso wie gleichberechtigte Verhandlungen mit Einzelstaaten und Rücksichtnahmen auf konservative Kräfte der Vergangenheit an. Was blieb, war ein souveränes Handeln der Nationalversammlung. Dies bedeutete zum einen, dass eine parlamentarisch-demokratische Konsensfindung als politische Verfahrensweise beschlossene Sache war. Zum anderen war die Konsequenz aus dem Vertrauen, das die Wählerschaft in die Volksvertreter gesetzt hatte, dass das Prinzip der „Volkssouveränität“ maßgeblich wurde, auch wenn die Liberalen unter Anleitung Gagerns diesen Begriff durch Anwendung des Ausdrucks „Souveränität der Nation“ umgingen.

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Parlamentarischer Weg und Übernahme der politischen Verantwortung durch Liberale und Demokraten in Frankfurt hatten jedoch auch unübersehbare Kehrseiten: Eine demokratische Konsensfindung konnte viel Zeit beanspruchen, und für die Zeit des Wirkens der Paulskirche gab es keine feste institutionelle Einbindung der Einzelstaaten, von einer Unterwerfung konservativer Kräfte ganz zu schweigen.

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Das Problem einer Zustimmung der Einzelstaaten zur geplanten Neuordnung Deutschlands war somit

Ab Mai 1848 übernahm das Par-lament die Verantwortung für die Neugestaltung Deutschlands

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

nur vertagt. Deshalb ist vielfach der Vorwurf erhoben worden, die Frankfurter Parlamentarier seien frühen Entscheidungen ausgewichen, hätten Einzelstaaten Zeit zu deren Konsolidierung gelassen und damit machtpolitisch im luftleeren Raum gehandelt. Doch frühe Festlegungen auf eine Regierung und damit auf den künftigen Status Deutschlands waren nicht ohne Konflikte mit den Einzelstaaten zu haben, die zu Zerreißproben geführt hätten. Was blieb, war das Vertrauen auf eine stärkere Nationalversammlung, die sich zudem durch Schaffung einer konkurrenzlos attraktiven Reichsverfassung einen starken und machtpolitisch tragenden Rückhalt in der Bevölkerung verschaffen würde.

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Im März 1848 wird das mehrheitlich deutschsprachige Schleswig zum Streitobjekt zwischen Deutschland und Dänemark. Die Nationalversammlung befürwortet den Kampfeinsatz.

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Konfrontation mit der Nationalitätenproblematik

Für eine erste gewaltige Zeitverzögerung sorgte das Vorparlament selbst, indem es Wahlen für ein Deutschland unter Einschluss der zum Deutschen Bund gehörenden westlichen Landeshälfte Österreichs ansetzte. Bei Ausbruch der Märzrevolution konnten Liberale und Demokraten, deren nationale Haltung keine gravierenden Unterschiede aufwies, zunächst nicht darauf setzen, dass es in Österreich eine vergleichbare deutsche Nationalbewegung wie im übrigen Deutschen Bund gab. Folglich ging die Tendenz dahin, sich auf ein Gebiet in Anlehnung an die Konturen des deutschen Zollvereins zu konzentrieren.

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Als in den Märztagen dann doch die schwarz-rotgoldene Fahne über dem Stephansdom wehte, führte das im Vorparlament wie automatisch zu dem Beschluss, Wahlen für ein „Großdeutschland“ unter Einschluss der westlichen Landeshälfte Österreichs anzusetzen; die Begriffe „Klein-“ und „Großdeutschland“ kamen erst seit dem Jahreswechsel 1848/49 auf.

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Das Vorparlament zögerte bei seinem Votum auch dann nicht, als sich in einer Detailfrage umgehend Probleme ergaben: In Böhmen war eine gleichzeitig aufstrebende Nationalbewegung der Tschechen, die im Lande die Mehrheit der Bevölkerung bildeten, nicht bereit, sich an einem Neuaufbau Deutschlands zu beteiligen. Damit stellte sich – zunächst nur von wenigen erkannt – jene Frage, mit der Österreich im Herbst 1848 offen konfrontiert wurde, ob die Habsburgermonarchie eine Teilung der traditionellen Großmacht und ein Aufgehen in Deutschland akzeptieren werde.

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Von kaum geringerer Tragweite waren die Problemfälle Schleswig und Posen. Das mehrheitlich deutschsprachige Schleswig, das in einer verzwickten, für die Zeit des Deutschen Bundes typischen Konstruktion anders als Holstein diesem

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nicht angehörte, galt seit langem als nationaler Brennpunkt. Seine Zugehörigkeit zu Deutschland wurde zur Zeit der Märzrevolution erneut vehement gefordert. Auf der anderen Seite machte sich das bislang dynastisch-föderative Dänemark, zu dem das engere Königreich Dänemark und die Herzogtümer Schleswig und Holstein gehörten, daran, sich zu einem liberalen Zentralstaat unter Einschluss Schleswigs umzuwandeln. Als dänische Truppen in das Herzogtum eindrangen, bildete sich am 24. März eine provisorische Regierung der Elbherzogtümer, die in Berlin und Frankfurt Unterstützung fand. Das deutsche Heer besiegte am 23. April das dänische am Danewerk und bei Schleswig und drang am 3. Mai in Jütland ein. Dänemarks Flotte hingegen blockierte die deutsche Nord- und Ostseeküste mit erheblichen Folgen für die dortige Bevölkerung.

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Die militärische Hilfe für Schleswig war gleichzeitig ein preußisches und ein Bundesunternehmen, wobei letzteres von Vorparlament und FünfzigerAusschuss im Vertrauen auf eine „gerechte“ Sache kräftig gefördert wurde. Bei dieser kriegerischen Entwicklung zeichneten sich jedoch die Risiken einer Gewaltpolitik der Frankfurter Parlamentarier umgehend ab. Nur Preußen konnte effektive Verbände stellen, und dessen König gelang mit dem Einsatz „seines“ Heeres – wie in Potsdam hatte man allenthalben in den Garnisonen das monarchisch ausgerichtete Heer nicht umgehend demokratisiert und es damit gleichsam rechts liegen gelassen – ein erster Schritt zu seinem politischen Wiederaufstieg.

Zudem stellten sich Russland und England an die Seite Dänemarks und bildeten damit eine Front gegen das im Aufbau befindliche Deutschland. Russland trat ohnehin während des ganzen Revolutionsjahres als entschiedener Gegner einer Einigung Deutschlands auf, während die Chancen, dass das liberale England die Errichtung eines liberalen

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Deutschlands außenpolitisch deckte, nicht schlecht standen. Der deutsche Griff nach Schleswig, dessen Besitz mit Blick auf eine Kontrolle der Seefahrtsverbindungen zwischen Ost- und Nordsee sowie auf eine künftige Seemacht Deutschland wichtig war, wurde von England aber scharf verurteilt und schuf eine unüberbrückbare Distanz Englands zum ganzen späteren Wirken der Paulskirche.

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Anders lagen die Dinge im Großherzogtum Posen: Obwohl seine polnischen Bewohner analog zum Königreich Polen dank des Wiener Kongresses unter besonderen Nationalitätenschutz gestellt worden waren, war Posen nach 1830/31 faktisch in eine „normale“ preußische Provinz umgewandelt worden, in der eine erhebliche deutschsprachige Minderheit lebte. Doch mit der Märzrevolution griff auch in Preußen die von Liberalen und Demokraten gehegte Polenbegeisterung noch einmal, Berliner Bürger umjubelten die im Vorjahr verurteilten und nunmehr befreiten Polen und diesen wurde – vielfach in Erwartung eines baldigen, von Frankreich geführten allgemeinen Freiheitskampfes gegen das reaktionäre Russland – eine „Reorganisation“ ihres Landes versprochen.

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Als aber eine nun auch in Posen selbst rasch an Kraft gewinnende polnische Nationalbewegung die Chance für einen staatlichen Neuanfang nutzen wollte, entstand parallel dazu eine nationale Gegenbewegung der Deutschen in der Provinz, die es dem preußischen König ermöglichte, den pro-polnischen Kurs rasch zu beenden. Der „Aufstand“ der Polen wurde Anfang Mai von preußischem Militär, unter Beifall Russlands und Protesten Frankreichs, nieder

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geschlagen und der Großteil der Provinz fortan zu Deutschland gerechnet; nur ein Rest-Posen sollte autonom werden.

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Diese Entwicklung ließ die Frankfurter Liberalen und Demokraten von einer Verlegenheit in die andere fallen. Vor allem die Argumente der DeutschPosener, die parallel zum Entstehen eines deut-schen Staates nicht zu Staatsbürgern Polens werden wollten, sowie das Streben nach einem gegenüber Russland starken Deutschland führten dazu, dass eine Politik der ungebremsten Interessenwahrung Deutschlands in den Vordergrund rückte. Schon längst vor Zusammentritt der Paulskirche hatte damit der Völkerfrühling sein Ende gefunden.

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Arbeitsbedingungen in der Paulskirche

Den Versammlungsort, die Paulskirche, schildert der Schriftsteller Robert Heller:Den Altar überdeckte man mit einem Vorhang und die darüber befindliche Orgel mit dem Gemälde einer Germania. Von wo der Priester den Segen gesprochen hatte, dahin ward der Sitz des Präsidenten gepflanzt, die Kanzel in eine Rednerbühne verwandelt, [...]. Das runde Schiff wird von einer hohen Säulenreihe eingefaßt, darin nahmen fünfhundert Abgeordnete ihre Plätze. Die Berichterstatter der Zeitungen setzte man zwischen die Säulen, die Zuhörer auf die ungeheure Emporkirche, welche auf der Säulenreihe ruht. Außerdem blieb ein beträchtlicher Raum zur Verteilung übrig. [...] Was dagegen auf beiden Seiten unmittelbar an die erhöhte Tribüne des Präsidiums stößt, ist zur Linken eine den Damen vorbehaltene Loge, zur Rechten eine bevorzugte Abteilung der mit Einlaßkarten versehenen Herren und Diplomaten.

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Robert Blum schreibt seiner Frau Jenny am 27. Mai:Das Treiben hier ist jetzt betäubend, keinen Tag, keine Stunde Ruhe, und doch keine Frucht. Öffentliche Sitzungen, Abteilungssitzungen, Sitzungen in drei Kommissionen, und zwar den wichtigsten, Parteiberatungen, Klubberatungen, Kommissionsarbeiten und dazu eine Zeitung – wer sagt, daß ich nicht arbeite, der lügt schauderhaft.

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Hans Jessen (Hg.), Die deutsche Revolution 1848/49 in Augenzeugenberichten, München 1973, S. 131 ff.

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Aus den Erinnerungen Robert von Mohls, der 1848/49 Reichsjustizminister war:

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[...] Von Lokalen für Ausschüsse war gar keine Rede; diese waren in der Stadt, zum Teile in ziemlichen Entfernungen, gemietet. Es konnte also, was doch oft nötig gewesen wäre, kein schneller Zusammentritt eines Ausschusses stattfinden. Allein nicht einmal der Präsident oder das Ministerium hatten Sprechzimmer, so daß eine Beratung oder schnelle Besprechung in freier Luft auf dem Paulsplatze bei jeder Witterung stattfinden mußte. Ich erinnere mich, eine Verhandlung mit dem Staatsrate [...] über den Eintritt in ein von ihm zu bildendes Ministerium hier in strömendem Regen gehabt zu haben.

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[...] Endlich und hauptsächlich war es ein wirkliches Unglück, daß die Emporbühnen der Kirche Raum für viel zu viele Zuhörer boten. [...] Ihr Beifalls- oder Mißfallensrufen war unwürdig für die Versammlung und hatte auf manches Mitglied einen Einfluß bei der Abstimmung [...].

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Glücklicherweise war jedoch dieser Unfug nicht regelmäßig, im Anfang sogar sehr selten; bei ruhiger Haltung aber machte die Versammlung in der Tat einen großen Eindruck, welchen keiner, welcher sie sah, leicht vergessen wird.

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Dietrich Kerler (Hg.) Robert von Mohl, Lebenserinnerungen, Bd. 2, Stuttgart/Leipzig 1962, S. 34 ff.

Zusammensetzung der Nationalversammlung

Die Wahlen zur Nationalversammlung bestätigten die Erwartung, dass das Volk einen klaren Auftrag zur Nationalstaatsgründung erteilen und damit den Parlamentariern eine starke Position bringen würde. Bei den in Regie der Einzelstaaten durchgeführten Wahlen galt das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht, Frauen waren, gemäß zeitgenössischen Gepflogenheiten, nicht zugelassen. Offen gelassen waren die Alternativen geheime oder öffentliche beziehungsweise direkte oder indirekte Wahl; entspre-chend unterschiedlich wurde abgestimmt. Ferner durften nur „Selbstständige“ wählen, was wiederum unterschiedlich ausgelegt wurde. In manchen Ländern wie Preußen waren nur die Empfänger

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

öffentlicher Armenunterstützung ausgeschlossen, in Österreich und anderen Staaten auch Tagelöhner, Dienstboten, Handwerker und andere. Wahlberechtigt waren dennoch für jene Epoche stattliche 80 Prozent der erwachsenen Männer, von denen ein großer, je nach Region zwischen 40 und 75 Prozent schwankender Anteil tatsächlich wählen ging; nur in Gebieten mit slawischer Bevölkerung wie in Böhmen und Mähren kamen keine Wahlen zustande.

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In der Nationalversammlung fand sich in einzigartiger Weise die geistige Elite Deutschlands zusammen. Mangelnde politische Praxis wurde durch vorangegangene theoretische Studien, Welterfahrenheit und -offenheit kompensiert. Eine gesellschaftliche Aufschlüsselung der 812 gewählten Abgeordneten und ihrer Stellvertreter ergibt 357 Vertreter geistiger und freier Berufe, 312 Staats- und Gemeindediener, 99 der Wirtschaft angehörende Parlamentarier. Professoren, Advokaten, Richter/Staatsanwälte und höhere Verwaltungsbeamte stellten jeweils Gruppen von etwa 100 Abgeordneten. Am unteren Ende der Hierarchie standen vier Handwerker. Arbeiter fehlten. Am auffallendsten war der hohe Anteil von 439 Beamten, denen damals eine überragende politische Sachkunde zugeschrieben wurde. Tonangebend waren vielfach die traditionell politisch engagierten Professoren. Eine starke Fraktion stellten auch die Nationalökonomen in der Tradition von Friedrich List (1789-1846) mit ihren großräumigen Zukunftsvisionen. Veteranen der Befreiungskriege wie Ernst Moritz Arndt (1769-1860) dessen Lied „Was ist des Deutschen Vaterland?“ wie eine Nationalhymne gesungen wurde, saßen neben seit langem eng zusammenarbeitenden ehemaligen Burschenschaftlern, gefeierten Widerständlern der Restaurationszeit und ehemaligen Emigranten.

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Bei den Beratungen, deren Dauer auf drei bis vier Monate veranschlagt wurde, fanden die Abgeordneten mit ihren ganz unterschiedlichen sozialen und staatlichen Traditionen, aus Schleswig oder Triest, aus Posen oder den Rheinlanden, rasch zusammen. Die primitiven Arbeitsbedingungen stellten dabei hohe Anforderungen an die bis zur Erschöpfung tätigen Abgeordneten. Rhetorik stand hoch im Kurs, Langweiler waren schlecht gelitten. Die von einer ausgeprägten politischen Pädagogik gekennzeichneten Reden sollten über das Parlament hinaus die Öffentlichkeit bilden und durch den Gedanken an ein freiheitliches und starkes Deutschland faszinieren. Tatsächlich erreichten die Debattenbeiträge durch neuartige stenographische Mitschriften und Abdrucke von Reden in Zeitungen ein breites Publikum.

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Unter dem Vorsitz Heinrich von Gagerns debattiert die geistige Elite Deutschlands in der Paulskirche über die Zukunft Deutschlands. Farblithographie von Gustav May

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Ausschüsse und Fraktionen

Früh zu Bedeutung gelangten Ausschüsse, allen voran der prominent besetzte Verfassungsausschuss mit liberaler Majorität. Ihm gehörten unter dem Vorsitz von Friedrich Bassermann die Verfassungsexperten Friedrich Christoph Dahlmann, Karl Theodor Welcker, Georg Beseler, Johann Gustav Droysen, Karl Joseph Mittermaier und Robert Mohl an, daneben als Vertreter der Linken beziehungsweise Rechten Robert Blum und Felix Fürst von Lichnowsky.

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Noch wichtiger aber wurden die Fraktionen. Bei neuerlicher Majorität der Liberalen zeichneten sich vier parteipolitische Gruppierungen ab, mehr Clubs als feste Organisationen, deren Einzelfraktionen nach den Frankfurter Tagungslokalen benannt waren: Das „Café Milani“ umfasste Reformkonservative vornehmlich aus Preußen, Österreich und Bayern. Sie hatten sich auf den Bänken der äußersten rechten Seite der Paulskirche platziert. Im „Casino“, der größten Fraktion, und deren Abspaltung „Landsberg“ waren die rechten Liberalen, besonders aus dem Südwesten, aus dem rheinischen Bürgertum und aus der norddeutschen Professorenschaft, versammelt. Der „Württemberger Hof“ und dessen Abspaltung „Augsburger Hof“ beherbergten die linken Liberalen vor allem aus Mittel- und Kleinstaaten.

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Die Linke mit ihren wichtigen Zentren in Baden und Sachsen traf sich in der „Westendhall“, dem „Deutschen Hof“ und im „Donnersberg“. Die Westendhall stellte das Bindeglied zu den Liberalen dar, die stärkste Gruppe, auf der linken Seite der Paulskirche, war der von Blum geführte Deutsche Hof, während im Donnersberg die „radikalen“ Republikaner zusammenfanden. Außerdem gab es mehr als 30

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Prozent Fraktionslose. Konservative im Sinne des Metternichschen Systems waren in dieser Nationalversammlung ebenso wenig vertreten wie Sozialisten. Ein „Katholischer Club“ arbeitete nur in Fragen zusammen, die die Kirchen betrafen.

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Die vier Monate von der feierlichen Eröffnung der Nationalversammlung am 18. Mai bis zur Septemberkrise, die durch den Waffenstillstand von Malmö im Schleswig-Krieg mit Dänemark ausgelöst wurde, waren die Glanzzeit der Paulskirche. Durch die Gegenrevolution in der Habsburgermonarchie und Preußen Ende Oktober/Anfang November geriet die Paulskirche jedoch verstärkt unter Druck, der eskalierte, als das gegenrevolutionäre Österreich am 27. November seine Beteiligung an einem großdeutschen Staat ablehnte und am 9. März des folgenden Jahres die Paulskirche mit der Forderung konfrontierte, den österreichischen Gesamtstaat in den neuen deutschen Staatenverband aufzunehmen.

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Dies bedeutete faktisch, dass statt eines deutschen Nationalstaates ein „Großösterreich“ mit multinationalem Charakter entstehen sollte, wofür es in der Paulskirche keine Mehrheit gab. Da demgegenüber eine Zusammenarbeit mit dem gegenrevolutionären Preußen noch denkbar schien, blieb der Paulskirche nur die Möglichkeit, sich nach einem einjährigen vergeblichen Ringen um eine „großdeutsche“ Lösung auf das Modell „Kleindeutschland“ mit Friedrich Wilhelm IV. als erblichem Kaiser festzulegen.

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Unter großen Turbulenzen gruppierte sich die Nationalversammlung um und ermöglichte dank beeindruckender Kompromisse einen Abschluss der Beratungen über die Verfassung und deren Verkündung am 28. März 1849. An die Stelle der alten Fraktionen mit einer Rechts-Links-Staffelung von

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den Reformkonservativen bis zu den Republikanern traten dabei an der nationalen Frage orientierte Gruppen. Mit knapper Mehrheit behauptete sich eine „erbkaiserliche“ Fraktion, die nach ihrem Tagungslokal auch „Weidenbusch“ genannt wurde, gegenüber jenen Fraktionen, die unbeirrt an großdeutschen oder großösterreichischen Ideen festhielten. Zur Grundvoraussetzung für diesen Erfolg wurde der Simon-Gagern-Pakt, in dem sich eine Gruppe von Demokraten um Heinrich Simon verpflichtete, für eine Monarchie und den Preußenkönig zu stimmen. Als Gegenleistung wurde ihr von den Liberalen um Gagern zugestanden, dass in Deutschland auch künftig nach dem allgemeinen Wahlrecht gewählt werden und die Rechte des Kaisers in der Gesetzgebung eingeschränkt werden sollten, indem dieser nur noch ein aufschiebendes Vetorecht erhielt. Am Ende der Verfassungsberatungen stand damit, denkt man an die Ausgangspositionen der Liberalen und die Abdrängung der Demokraten in die Oppositionsrolle zurück, ein überraschendes Ergebnis: Das neue Deutschland war kleindeutsch und erstaunlich demokratisch und modern.

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Die Fraktionen der Nationalversammlung

Fraktion („Partei“) Donnersberg Deutscher Hof Nürnberger Hof Westendhall Württemberger Augsburger Landsberg Casino Pariser Hof Café Milani (Abspaltung vom (Abspaltung Hof Hof (Abspal- (Abspaltung (Abspaltung Deutschen Hof vom Deutschen tung vom vom Casino vom Casino) im Oktober 1848) und Württem- Württember- und Würt- berger Hof im ger Hof im temberger Sept. 1848 Dez. 1848) Hof)

Flügel derHauptrichtung extreme Linke gemäßigte Linke linkes Zentrum rechtes Zentrum Konservative

Protestanten

Hauptrichtung DEMOKRATISCHE LINKE LIBERALE MITTE KONSERVATIVE RECHTE

Politische Ziele Großdeutsch Kleindeutsches Erbkaisertum Mehrheitlich Erbkaiserlich, Demokratische Mehrheit- Groß- Einzelstaatlich- nationale Parlamentarisch-demokratische Republik für groß- kleindeutsche Monarchie, für preu- deutsche monarchische Demokratie deutsche Lösung preußische ßische Lösung Integrität im durch Lösung Machtposition Führung föderalistischen revolutionäre Rahmen Aktion parlamentarische Monarchie starke Zentralgewalt, auf die Legislative beschränkte Volksvertretung Der Gr0sse Ploetz, Freiburg 1998, S. 846.

Auf das Drama der Monate Oktober 1848 bis März 1849, als die erfolgreichen Gegenrevolutionen in Österreich und Preußen die Paulskirche verstärkt unter Druck setzten, ist später zurückzukommen. Hier sollen zunächst die frühen verfassungspolitischen Ansätze und insgesamt die Politik der Paulskirche, solange diese noch frei von äußeren Zwängen war, vorgestellt werden, verbunden mit einer Würdigung der im März 1849 verabschiedeten Reichsverfassung.

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Die Paulskirche startete mit der Wahl Heinrich von Gagerns zu ihrem Präsidenten, der an das Vorparlament mit den Worten anknüpfte: „Wir wollen

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

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schaffen eine Verfassung für Deutschland, für das gesamte Reich [...] Der Beruf und die Vollmacht zu dieser Schaffung liegen in der Souveränität der Nation.“ Nach heftigen Debatten einigte sich das Parlament sodann auf den Vorrang der künftigen Reichsverfassung vor den Verfassungen der Einzelstaaten. Dann wurde das heiße Eisen der Regierungsbildung angepackt, wobei die Situation im Juni ungewöhnlich günstig war. Zu dieser Zeit konnte sogar auf eine Mitarbeit Österreichs gehofft werden, da hier Führungskrise und nationale Auflösungserscheinungen so weit fortgeschritten waren, dass selbst der Hof eine Aufteilung der Monarchie und eine Anlehnung des westlichen Österreichs an Deutschland als Notanker ansah.

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Wahl des Reichsverwesers

In der Paulskirche wurden die verschiedensten Modelle einer staatlichen Führung diskutiert. Das Casino befürwortete ein Dreierdirektorium, bestehend aus je einem Repräsentanten Österreichs, Preußens und des übrigen Deutschlands, die Linke favorisierte das Projekt eines republikanischen Vollziehungsausschusses. Den Weg zu der schließlich am 28. Juni von 450 Abgeordneten bei nur 100 Gegenstimmen getragenen Lösung wies dann der neue Parlamentspräsident. Er forderte die Nationalversammlung auf, einen Habsburger Fürsten, den als „Volksmann“ geltenden Erzherzog Johann (1782-1859), dem am 15. Juni die Regentschaft in Österreich übertragen worden war, zum Reichsverweser zu wählen. Auf die „Souveränität der Nation“ pochend führte Gagern aus: „Ich tue einen kühnen Griff, und ich sage Ihnen, wir müssen die provisorische Zentralgewalt selbst schaffen!“

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In einem besonderen Gesetz über die provisorische Zentralgewalt war vorgesehen, dass der Reichsverweser eine starke Stellung erhielt, so durch Übertragung der vollziehenden Gewalt in allen Fragen der Wohlfahrt und Sicherheit Deutschlands, wobei diese dehnbaren Begriffe nicht definiert waren. Er war befugt, ein Reichsministerium zu berufen, das seine Regierungsakte gegenzuzeichnen und zu verantworten hatte. Auf konkurrierende Souveränitätsansprüche aus Einzelstaaten, deren Parlamente ebenfalls Mitbestimmungsrechte anmeldeten, wurde keine Rücksicht genommen. Die Landesregierungen sollten zwar Bevollmächtigte nach Frankfurt schicken, doch wollte man sich nur „soweit tunlich“ mit ihnen „ins Einvernehmen setzen“. Der Bundestag wurde aufgehoben.

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Diese Konstruktion einer Staatsspitze stellte mehr als ein Provisorium dar und wurde daher zu Recht als eine von einer beeindruckenden Mehrheit getragene deutliche Richtungsvorgabe für den künftigen Staatsaufbau Deutschlands gefeiert. Mit der Wahl des Habsburgers wurde die Absicht erhärtet, ein starkes Deutschland, benannt „Deutsches Reich“, in großdeutschen Konturen zu schaffen. Die starke Stellung des provisorischen Reichsoberhaupts entsprach den

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Grundüberlegungen des Casino. Doch wie im Vorparlament kam, linksliberalen Vorgaben folgend, auch der parlamentarische Gedanke nicht zu kurz, denn die neue Regierung war, nach einhelliger Meinung und wie die folgende Verfassungspraxis zeigte, vom Vertrauen der Mehrheit der Nationalversammlung abhängig. Das gewaltenteilige Deutschland sollte eine konstitutionelle Monarchie mit starker parlamentarischer Komponente werden.

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Erzherzog Johann von Habsburg

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Das neue Staatsoberhaupt, Erzherzog Johann, hatte sich ungeachtet seiner strikten Loyalität zur Habsburgermonarchie durch national-deutsche Überzeugungen profiliert und war außerdem wegen seiner Ehe mit einer bürgerlichen Postmeistertochter sowie durch seine konziliante Haltung populär. Sein Amt in Deutschland hatte zur Folge, dass er seine Regentschaft in Österreich wieder niederlegen musste, was als Anzeichen dafür anzusehen war, dass der Habsburger eine Führung Österreichs und Deutschlands in Personalunion wegen der „Gefahr“ einer Interessenkollision ablehnte. Johann etablierte umgehend unter Fürst Karl zu Leiningen, einem Halbbruder der Königin Victoria von England, eine liberale Regierung. Eine Schlüsselstellung erhielt der mit Johann eng kooperierende Schmerling als Innenminister. Weitere wichtige Ämter gingen an den Hamburger Johann Gustav Heckscher als Außenminister, den Rheinländer Hermann von Beckerath als Finanzminister und den preußischen General Eduard von Peucker als Kriegsminister.

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Differenzen um das Militär

Der Optimismus der Nationalversammlung, der durch eine recht problemlose, wenn auch unter Vorbehalten ausgesprochene Anerkennung der Zentralgewalt durch die deutschen Einzelstaaten gefördert worden war, erhielt in der Frage der künftigen Wehrverfassung einen heftigen Dämpfer. Der Deutsche Bund besaß zwar ein 300 000 Mann starkes Bundesheer, doch insbesondere die großen Staaten verfügten über ihre jeweiligen Kontingente so gut wie autonom. Nur Bundesfestungen wie das für den Frankfurter Raum wichtige Mainz waren eher der Zentrale zugeordnet. Als Kriegsminister Peucker die Einzelstaaten aufforderte, am 6. August in allen Garnisonen die neuen Reichsfarben Schwarz-Rot-Gold aufzuziehen und dem Reichsverweser zu huldigen, widersetzten sich die Einzelstaaten erstmals. Nicht

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Die Stellung des provisorischen Staatsoberhaupts war richtungswei-send für den geplanten Staatsaufbau

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

einmal ein solcher symbolischer Akt wurde mehrheitlich hingenommen, der eine Ausrichtung der Truppen auf die Interessen Deutschlands widerspiegelte, ohne die Hoheitsrechte über sie im Einzelnen zu definieren.

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Diese Weigerung stellte mit Blick auf Österreich, das strikt auf seine Unabhängigkeit achtete und in Kriege verwickelt war, noch keine neuartige Entwicklung dar. Perspektivisch bedrohlicher war demgegenüber, dass konservative Militärs auch und gerade in Preußen eine erfolgreiche Kampagne gegen den Huldigungserlass starteten. Diese sahen das preußische Heer als Sockel des Hohenzollernstaates an und sprachen davon, dass eine erfolgreiche Deutschlandpolitik nur zustande kommen könne, wenn Preußen mit seinem Heer nicht dem machtlosen Frankfurter „Schattenreich“ geopfert würde. Im Windschatten Preußens verweigerten auch die Mittelstaaten die Huldigung. Der Nationalversammlung blieben nur die traditionellen Zugriffsrechte der Zentrale auf Bundesfestungen, damit aber auch das Risiko, dass von diesen aus kaum anderes als Einsätze bei Unruhen von links denkbar waren.

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Protestnote zum Polen-Entscheid

Deutsches Volk, das Unglaubliche ist geschehen! Die Mehrheit Deiner Vertreter hat die Revolution verleugnet und die theuersten Sympathien freier Völker verscherzt! Sie hat eine neue Theilung Polens ohne sichere Ermittlung der dortigen Bevölkerungsverhältnisse vorgenommen und die alten Theilungen für immer genehmigt [...].Das ist der Sinn ihres heutigen Beschlusses in der Polensache. [...]Dies ist ein unerhörtes Unglück, welches uns den Herzen unserer polnischen Brüder entfremdet, Mißtrauen zwischen ihnen und uns gesät [...] hat [...].Die Mehrheit der Nationalversammlung hat keinen Sinn und kein Herz für die Befreiung unserer Nachbarvölker gezeigt. Sie hat kein Wort des Friedens für Italien, keine Sylbe des Mitgefühls für Polen gehabt. Es hat sich vielmehr ein brutaler Völkeregoismus erhoben, der die Italiener wieder unterwerfen und dem grausamen Bombardierer Radetzky wieder nach Mailand verhelfen, der die polnische Nation für immer aus der Reihe der Völker ausstreichen, und die Slaven in Österreich zu keiner freien und eignen Gestaltung ihrer Angelegenheiten kommen lassen will. [...]331 Stimmen gegen 101 Stimmen haben die Erklärung der Theilung Polens für ein schmachvolles Unrecht und die Anerkenntnis der

heiligen Pflicht des deutschen Volkes zur Wiederherstellung eines selbständigen Polens mitzuwirken verweigert. Und diese 331 sind zu einem Theile dieselben Leute, welche im Vorparlament jene schönen Beschlüsse faßten! [...] Wir, die wir der Minderheit der Nationalversammlung angehören, wir erklären feierlich, vor aller Welt, daß wir nur die Gerechtigkeit gegen unsere Mitvölker, die Gründung eines neuen Friedens und neuer Verträge zwischen gleichen und freien Völkern gewollt und beantragt. [...] Unsere Ehre erfordert es, daß wir dies aussprechen, unser Gewissen, daß wir uns feierlich und förmlich verwahren gegen die Beschlüsse, die am heutigen Tage durch die Mehrheit der Versammlung gefaßt worden sind.Das Ende Polens wäre das Ende Deutschlands, die Theilung Polens durch die deutsche Nation theilt Deutschland zwischen Rußland und Frankreich, zwischen Republik und Despotie, zwischen französische Freiheit und russische Knute, Deutsche, rettet Deutschland.

Die radical-demokratische Partei der constituirenden deutschen NationalversammlungFrankfurt am Main, den 27. Juli 1848

Walter Grab (Hg.), Die Revolution von 1848/49. Eine Dokumentation, Stuttgart 1998, S. 106 ff.

Bemühungen um internationale Anerkennung

Keineswegs günstiger waren die Perspektiven der Paulskirchenversammlung in der Frage einer Anerkennung des Deutschen Reichs durch andere Staaten, von einer außenpolitischen Hilfe durch andere Nationalbewegungen oder etablierte Großmächte ganz zu schweigen. Maßgeblich waren die schon vor dem Zusammentritt der Paulskirche im Vorparlament aufgelaufenen Probleme: Der Krieg deutscher Truppen gegen Dänemark und – besonders bedrückend – die

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unausweichlichen massiven Interessenkollisionen mit anderen Nationalbewegungen, die gleichermaßen wie die deutsche weitgesteckte Ziele verfolgten.

Am tiefsten und mit großer Langzeitwirkung wurde 1848 das Verhältnis zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk getrübt. Die Nationalversammlung war an dieser Entwicklung insofern beteiligt, als sie Ende Juli die Einbeziehung des Großteils der Provinz Posen mit seiner polnischsprachigen Mehrheit in das Deutsche Reich guthieß. Wie in allen deutschlandpolitischen Debatten der Paulskirche fehlten gute oder zumindest bedenkenswerte Argumente ebenso wenig wie besonnene Stimmen, doch haften blieben letztlich eher nationalistische Töne, Kulturdünkel und überzogene Eigeninteressen.

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Von vergleichbaren Vergiftungen verschont blieben die Beziehungen zum Risorgimento. Doch da auch dort Ideen von einer Urfeindschaft heranwuchsen, die auf Österreich gerichtet sei – so im Krieg, den König Karl Albert zur Unterstützung der Mailänder Freiheitsbewegung gegen die Habsburgermonarchie geführt hatte –, strahlte dies auf das Verhältnis zu Frankfurt erheblich aus. Die Paulskirche sympathisierte wie selbstverständlich mit dem „deutschen“ Österreich, zumal es auch direkte Reibungspunkte mit der italienischen Nationalbewegung gab, da Triest und Südtirol mit dessen damals nach Süden ragenden Landesteilen, in denen mehrheitlich italienisch gesprochen wurde, zum Deutschen Bund gehörten. Von einer ähnlichen Frontstellung geprägt blieben auch die Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen in Böhmen und Mähren.

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Bei den Bemühungen um diplomatische Anerkennung des neuen Deutschen Reichs durch etablierte Staaten erwies sich, dass für diese nach wie vor die alten Großmächte Österreich und Preußen die entscheidenden Bezugspunkte blieben. Im England der Königin Victoria, dem Wunschpartner der Liberalen,

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sympathisierte zwar der Hof unter Einfluss des Coburger Prinzgemahls Albert mit den deutschen Liberalen, doch schon der Krieg um Schleswig hatte den leitenden Minister Lord Henry Palmerston zu einer kritischen Distanz veranlasst.

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England war im Vormärz mit der Lage in Mitteleuropa zunehmend unzufrieden geworden, da das labile Österreich dort die Sicherheit und damit das Gleichgewicht Europas nicht mehr garantierte. Ein sich durch moderate Machterweiterung zu einem deutschen Nationalstaat wandelndes Preußen hätte 1848 daher eine willkommene Verbesserung dargestellt. Ganz anders wurde das großdeutsche Projekt der Paulskirche gesehen, denn dessen Realisierung schien gleichbedeutend mit der Errichtung einer kontinentalen Hegemonialmacht, die außerdem Ambitionen als Seemacht hatte.

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Auch der Wunschpartner der Demokraten, Frankreich, dachte eher an Kompensationen für den zu erwartenden Machtzuwachs Deutschlands als an dessen diplomatische Anerkennung, wobei die starken Veränderungen der innenpolitischen Szenerie Frankreichs im Revolutionsjahr eher bedeutungslos blieben. Hier hatten Wahlen zu einer Nationalversammlung libe

ralen Republikanern die Mehrheit verschafft, die – bei gleich zeitiger Radikalisierung der Arbeiterschaft – fortan gegen die linke Opposition vorgingen, was

im Juni zu einem Arbeiteraufstand führte, der von Kriegsminister Louis Eugène Cavaignac blutig niedergeschlagenen wurde. Unter diesem als neuem Regierungschef rückten in Frankreich wieder konservative Leitideen in den Vordergrund, und unter dessen im Dezember vereidigten Nachfolger Louis Napoleon Bonaparte, einem Neffen Napoleons I., sollte das Land dann für längere Zeit „bonapartistisch“ geführt werden.

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Unverhohlen feindlich zeigte sich das absolutistische Russland, von Liberalen wie Demokraten durchgängig als „Hort der Reaktion“ bezeichnet. Zar Nikolaj I. musste bei einer nationalstaatlichen Umgestaltung Europas und der Errichtung eines Deutschen Reichs um seine Vorherrschaft in Osteuropa und seinen Einfluss auf Mitteleuropa fürchten. Solche Sorgen wurden durch das Risiko eines direkten Eindringens der Verfassungsbewegung nach Russland noch gesteigert. Folglich drängte er Preußen während des ganzen Revolutionsjahres zu einem entschiedenen Vorgehen gegen Frankfurt und war mit Angeboten, militärisch zu helfen, schnell bei der Hand.

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Vor dem Hintergrund dieser Distanz beziehungsweise Feindschaft der entscheidenden Großmächte Europas konnte sich die Paulskirche schließlich nur über die Anerkennung durch die fernen Vereinigten Staaten von Amerika freuen sowie durch die kleinerer Staaten wie Schweden, die Niederlande, Belgien, die Schweiz, Sardinien, Neapel und Griechenland.

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Wunschpartner der deutschen Liberalen: Großbritannien unter Königin Victoria und ihrem deutschen Gatten Albert von Sachsen-Coburg-Gotha

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Weltmachtperspektiven

Im historischen Rückblick überrascht es nicht, dass der Traum der Märzrevolution von einem idyllischen „europäischen Haus“ schon früh sein Ende gefunden

hatte und die Paulskirche hieran nichts ändern konnte. Zu fragen bleibt aber nach ihrem eigenen Konzept und damit dem Anteil, den sie an der Entwicklung hatte. Ausgangspunkt waren und blieben die Vorstellungen der traditionellen deutschen Nationalbewegung, denen zufolge das Zeitalter von Volksstaaten angebrochen sei und damit auch Deutschland in einem Staat leben sollte, dessen Grenzen denen des deutschen Volkes in gerechter Weise entsprachen.

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Argumentiert wurde dabei auch mit historischen Rechten, für die teilweise bis in die Zeit des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation zurückgegan-gen wurde, um stützende Beweise zu erbringen. Noch mehr galt der Deutsche Bund als Anknüp- fungspunkt, dessen Territorium als unverzichtbarer Sockel Deutschlands angesehen wurde, dessen vor-malige Außenpolitik aber einmütig als abschrecken- des Beispiel galt. Die Abgeordneten waren durch-drungen von der Vorstellung, Deutschlands „Ehre“ sei nach Jahrzehnten vermeintlich schmachvoller Schwäche und nationaler Erniedrigung „wieder-herzustellen“. Hier spielten auch Reflexionen über das angebrochene imperiale Zeitalter und Beobach-tungen der Entwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika eine Rolle. Vor allem Nationalökonomen entwickelten die Vision, dass die Zukunft sich frei entfaltenden imperialen Weltmächten, großen Flächenstaaten mit kolonialen Ergänzungsräumen gehören werde. Das Deutsche Reich wurde gern in leuchtenden Farben als große mitteleuropäische Basis geschildert, die dank der neuen Eisenbahnen und der „deutschen Ströme“ wie Donau und Rhein an die Nord- und Ostsee sowie an das Mittelmeer und das Schwarze Meer angebunden sei. Die imperialen Anschauungen prägten also das kontinentale Konzept mit und weiteten es aus, sie wurden bei allen sich rundum ergebenden Grenzfragen thematisiert, musste doch die Ausdehnung des Kernlandes den Anspruch auf eine Weltmachtrolle rechtfertigen.

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Insbesondere war zu beobachten, dass immer, wenn der Blick auf den unaufhaltsam erscheinenden Zerfall der Habsburgermonarchie fiel, Südosteuropa als deutsches Interessengebiet hingestellt wurde; auf keinen Fall sollte Russland hier das Erbe Öster-

Für die Staaten blieben Preußen und Österreich die

entscheidenden Bezugspunkte

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reichs antreten dürfen. Mit Blick auf Italien galt die zum Deutschen Bund gehörende Hafenstadt Triest als viel zu schmaler Zugang Deutschlands zum Mittelmeer. Ein verbreitertes Hinterland sollten Istrien mit dem weiteren Hafen Pola und Venetien darstellen. An sich unbedeutende Grenzprobleme mit den Niederlanden führten zu Spekulationen über einen allerdings erst später zu verwirklichenden Ausbau der deutschen Atlantik-Position. Grundlage hierfür war eine Magnettheorie, die besagte, dass der freiheitliche und machtpolitische Glanz des Deutschen Reiches so groß werden würde, dass dieser als germanischer Kernstaat die „Brüdervölker“ anziehen werde, wodurch auch eine friedliche Beerbung der Niederlande ins Blickfeld rückte.

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Angesichts solcher weltpolitischer Ambitionen war der Wunsch nach einer deutschen Flotte zwangsläufig, zumal die dänische Seeblockade als Ausdruck einer akuten und unerträglichen maritimen Schwäche Deutschlands angesehen wurde. Folglich stellte sich die Paulskirche an die Spitze der Flottenbegeisterung, die sich in Deutschland ausbreitete, und gründete – mit bescheidenem Erfolg – eine deutsche Flotte. Für die Gegenwart sollte sie als reiner Küstenschutz fungieren, doch Fernziel war eine große deutsche Seemacht.

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Die dänische Seeblockade rief in Deutschland den Wunsch nach maritimer Stärke hervor. Bau eines Dreimasters im Hamburger Hafen 1864

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Vor diesem Hintergrund entfernte sich die Paulskirche von der Idee einer Staatenfamilie, die Platz für kleine wie große Staaten hatte, und bewegte sich wieder in Richtung auf ein Großmächte-Europa, zu dem nun neben Russland, Frankreich und England das Deutsche Reich gehören sollte. Italien und Polen mochten in nebulöser Zukunft dazustoßen, wenn sie – wie man es ausdrückte – die „Reife“ hierzu erlangt haben würden. England und Frankreich galten als bündnisfähig. Mit Blick auf das absolutistische Russland bestand der Wunsch, dass dieses sich mitteloder langfristig an ein liberal-demokratisches Europa anpassen würde. Deutschland selbst schrieben die Abgeordneten gern eine Mittlerrolle zwischen Ost und West zu.

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Das nationale Konzept der Paulskirche stellte einen ambitionierten und schwer realisierbaren Plan für Europa dar, der ungeachtet der Preisgabe idealistischer Vorstellungen vom Frühjahr 1848 eine bedenkenswerte Fortentwicklung darstellte. Hier zeigte sich ein Erwartungshorizont, der den Zeittrends des imperialistischen Zeitalters entsprach und der sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein behaupten sollte.

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Dennoch sind pauschale Verurteilungen nicht angemessen. Dies gilt in erster Linie, weil sich die Paulskirche im Laufe des Revolutionsjahres, wenn die Umstände es geboten, als lernfähig und konzessionsbereit erwies. Mit ihrem Umschwenken zu kleindeutschen Zielvorstellungen erledigte sich ein erheblicher Teil der weltpolitischen Ambitionen, auch wenn weiterhin auf eine enge Verbindung Deutschlands mit Österreich gehofft wurde. Nicht minder bedeutsam war, dass die Paulskirche nicht an ein chauvinistisches und säbelrasselndes Imperium dachte, vor allem die Liberalen konnten sich das Deutsche Reich nur als Hort von Frieden und Freiheit vorstellen. Ein freiheitliches Deutschland mit einem vorbildlichen Minderheitenschutz im Innern sollte zusammen mit Frankreich und mit England, das allerdings bisweilen schon als Gegenspieler gesehen wurde, für ein prosperierendes Europa sorgen.

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Dieser Grundposition entsprach die Einstellung der Abgeordneten zu nationalen Einigungskriegen. Solche Unternehmungen wurden zwar nicht prinzipiell verworfen, doch anders als in späteren Epochen der deutschen Geschichte blieben Sorgen vor den ruinösen und unkontrollierbaren Folgen europaweiter Kriege vorherrschend. Man erinnerte sich an schmerzliche historische Erfahrungen, die über die napoleonische Zeit hinaus bis zum Dreißigjährigen Krieg zurück reichten. Entsprechend war die Entscheidung zum Krieg gegen das vermeintlich schwache Dänemark nur wegen der Annahme leicht gefallen, dass es sich um ein eng begrenztes Unternehmen in Analogie zu den Sturmpetitionen der Märzrevolution handele. Dänemark sollte durch eine kraftvolle Demonstration bewogen werden, eine vermeintliche Selbstverständlichkeit hinzunehmen.

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Schließlich sind auch die vielfach markigen, nicht selten nationalistischen und martialisch klingenden Kernsprüche von Abgeordneten zu relativieren, die häufig als Redeabschluss gebraucht wurden. Vor dem Hintergrund ihrer Gewalt scheuenden und grundlegende Konzessionen nicht ausschließenden Politik waren sie in erster Linie als politische Strategie zu verstehen. Die deutsche Nationalversammlung entfaltete all ihren rhetorischen und intellektuellen Glanz, um mit missionarischem Eifer für ihre Herzenssache, die Verwirklichung der traditionellen Visionen der deutschen Nationalbewegung von einem freien und starken Deutschland, zu kämpfen. Dabei ließ die Paulskirche den Wunschvorstellungen nicht zuletzt deshalb freien Lauf, weil die deutsche Öffentlichkeit von diesen fasziniert werden und damit auf das Parlament als Baumeister Deutschlands eingeschworen werden sollte. Zudem galten außenpolitisch frühe Abstriche als problematisch, sollte doch

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den anderen Mächten demonstriert werden, dass das Zeitalter der Schwäche des Deutschen Bundes unwiderruflich der Vergangenheit angehöre.

Prestigeverlust in der Septemberkrise

Welche Probleme andererseits auf die Paulskirchenversammlung bei Anwendung von Gewalt lauerten, zeigte sich bei ihren Verstrickungen in den Krieg mit Dänemark. Diese führten schon im September, also zu einem Zeitpunkt, als das eigentliche Drama der Paulskirche durch die Gegenrevolutionen in Österreich und Preußen noch nicht eingesetzt hatte, zu einer von Unruhen begleiteten Parlaments- und Regierungskrise. In Schleswig hatte Preußen auf Druck Englands und Russlands die deutschen Truppen aus Jütland und Nordschleswig zurückgezogen, was eine Verhandlungslösung mit einer Teilung Schleswigs andeutete. Die Folge waren heftige Proteste der Paulskirche und vor allem ein problematischer Beschluss vom 9. Juni. In ihm beanspruchte die Nationalversammlung die Zuständigkeit in der „schleswigschen Sache“ für sich und forderte einen Frieden, bei dem „die Rechte der Herzogtümer Schleswig und Holstein und die Ehre Deutschlands gewahrt“ würden.

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Alle Versuche der Frankfurter Regierung, in entsprechende Waffenstillstandsverhandlungen einbezogen zu werden, waren jedoch erfolglos, so dass das Parlament von dem am 26. August in Malmö vereinbarten Waffenstillstandsabkommen zwischen Dänemark und Preußen völlig überrascht wurde. Die angestrebte Einbeziehung ganz Schleswigs in das Deutsche Reich war fortan nicht mehr zu erwarten. Nach heftigen Debatten beschloss die Paulskirche daraufhin am 9. September, gegen die Vollziehung des Waffenstillstands ihr Veto einzulegen. Die Regierung Leiningen, die keine Chance sah, sich Preußen zu widersetzen, wurde aufgrund eines destruktiven Misstrauensvotums gestürzt. Da eine neue, den Krieg fortsetzende Regierung nicht zu finden war, vollzog das Parlament eine Woche später eine Kehrt

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wende und nahm nun auch seinerseits den Waffenstillstand hin.

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Die politische Linke im Parlament und in der deutschen Öffentlichkeit wertete dies als nationalen Verrat und rief zu einem auf Schleswig konzentrierten nationalen Einigungskrieg auf. Nach dem Scheitern des Hecker-Zuges sammelten sich nun abermals radikaldemokratische Kräfte in den politischen Zentren Deutschlands, so auch im Rhein-Main-Raum, zum Widerstand gegen den Kurs der neuen liberalen Führung und suchten gleichzeitig das Projekt einer zweiten, zunehmend sozialrevolutionär verstandenen politischen Umwälzung voranzutreiben. Vom preußischen Rheinland bis Baden, aber auch in Hessen und Mitteldeutschland war ein Volksaufstand nicht ausgeschlossen. In Frankfurt forderten Radikale die Schaffung eines Gegenparlaments. Parlamentarisch orientierte demokratische PaulskirchenAbgeordnete stoppten diese Initiative, dennoch kam es am 18. September zu einem Aufruhr und zur Ermordung zweier Abgeordneter. Der Aufstand wurde niedergeschlagen, eine neuerliche republikanische Erhebung in Baden fand das gleiche Ende. Tatsächlich behaupteten sich Regierung, nunmehr unter Führung von Schmerling, und Parlament in dieser Septemberkrise, doch war ihr Prestigeverlust beträchtlich.

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Zwischen Liberalen und Demokraten schien das Tischtuch zerschnitten. Für Teile des Bürgertums war der Weg hin zu den sich sammelnden gegenrevolutionären Kräften kürzer geworden, meinten diese doch immer schon gewusst zu haben, dass die Revolution in Anarchie und Mord enden würde.

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Nach heftigen Debatten erkennt die Paulskirche am 16. September 1848 den deutsch-dänischen Waffenstillstand von Malmö an – eine unpopuläre Entscheidung.

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Beratungen über die Grundrechte

Viel weniger dramatisch, wenn auch höchst kontrovers, verliefen die eigentlichen Verfassungsberatungen. Die Debatten über die Grundrechte zogen sich bis zu deren Verabschiedung am 27. Dezember über ein halbes Jahr lang hin. Sie wurden durch Pu

blizierung am 28. Dezember geltendes Recht, das allerdings nur die meisten Mittel- und Kleinstaaten anerkannten. Schon die Entscheidung der Paulskirche, die Verfassungsberatungen mit dem Grundrechtsteil zu be-ginnen, stieß auf harte Kritik, mehr aber noch der akademische Stil und die lange Dauer der Beratungen. Der entsprechende Spott über das „Professorenparlament“ drückte aber schon damals eine von der Rechten und Linken entwickelte und in Deutschland nicht mehr verstummende Parlamentarismuskritik aus. Während rückwärts orientierte Vertreter der alten Eliten von oben herab die Paulskirche als dilettantisch, realitätsfern und anmaßend verurteilten, untergruben radikale Republikaner deren Ansehen, indem sie diese als nicht tatkräftig genug schmähten. Deren Organ, die „Neue Rheinische Zeitung“, diffamierte die Paulskirche als „Schwatzclub“.

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Richtig ist, dass die Beratungen über die Grundrechte auf dem Trugschluss beruhten, in diesem Bereich sei eine rasche Einigung möglich. Doch die Paulskirche wusste, dass sie in Fragen des Staatsaufbaus und der Staatsorgane, beispielsweise hinsichtlich der künftigen Rolle Österreichs und der Habsburger, weniger souverän handeln konnte und Entscheidungen vorbereiten und heranreifen lassen musste. Die freiheitlichen Grundrechte konnten hingegen in eigener Regie beraten und – wie man annahm – in Kraft gesetzt werden. Vor dem Hintergrund einer jahrzehntelangen Unterdrückungspolitik bestand zudem die Hoffnung, dass eine attraktive, auf diesen Grundrechten fußende innere Ausgestaltung Deutschlands das Ansehen des Parlaments und damit dessen Rückhalt in der Öffentlichkeit vergrößern und stabilisieren werde.

Die Reichsverfassung sprach von „Grundrechten“; Begriffe wie Menschen-, Freiheits- oder Bürgerrechte wurden seit den Tagen des Vorparlaments vermieden, um jedes revolutionäre, besonders egalitäre Pathos zu vermeiden, was aber dem Gehalt des glänzenden Katalogs von Rechtsverbürgungen keinen Abbruch tat. Deren Herzstück war die Sicherung unveräußerlicher Freiheitsrechte des Individuums, insbesondere die Unverletzlichkeit der Person, Meinungs- und Pressefreiheit, Demonstrationsrecht und Vereinigungsfreiheit. Unverkennbar waren dabei die Vorbilder der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 und der französischen Menschenrechtserklärung von 1789. Beeindruckend waren auch Klarheit und Rechtsverbindlichkeit, so dass hier noch die Mütter und Väter des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland anknüpfen konnten. Unter Einfluss der deutschen „historischen Rechtsschule“, die auf organisch Gewachsenes Wert legte, wurden zudem auch Korporationen wie Vereine, Genossenschaften, Kirchen und nationale Minderheiten geschützt. So konnten Kirchen bei Glaubensfreiheit im Lande ihre Ordnung und Verwaltung selbst bestimmen, waren aber nicht mehr als Staatskirchen denkbar.

Eine andere Gruppe von Grundrechten befasste sich mit der Garantie der Gleichheit vor dem Gesetz, beispielsweise der Aufhebung des Adels als Stand, eine weitere mit der Freiheit des Eigentums, so der freien Veräußerlichkeit und Teilbarkeit des Grundbesitzes. Beide Komplexe in Verbindung mit den Freiheitsrechten zielten auf einen erheblichen politischen und sozialen Wandel in Deutschland, wobei vor allem die vielfach noch ständischen Strukturen fallen sollten. Ziel war eine umfassende Gesellschaftsreform, die eine neue homogene Bürgergesellschaft als harmonische Gemeinschaft anstrebte, während die Perspektive der sich herausbildenden Klassengesellschaft noch nicht in den Blick gefasst wurde.

Unberücksichtigt blieben Forderungen nach einem Recht auf Arbeit und einem Schutz sozial Schwacher, die von Sozialrevolutionären bzw. -reformern wie

zum Beispiel Karl Marx (1818-1883) und Stephan Born (1824-1898) bereits erhoben worden waren. Dem lag die Annahme zugrunde, dass die neue Freiheit der Einzelnen und der Gesellschaft die wirtschaftliche Not und die sozialen Ungleichheiten so weit eindämmen würden, dass eine „klassenlose Bürgergesellschaft“ (Lothar Gall) entstünde. Zugleich bestand die Befürchtung, dass sozialpolitische Regulierungen den alten Polizeistaat in neuem Gewande wiedererstehen lassen würden. Gleichsam als entscheidende Starthilfe für die Unterschichten wurde zunächst lediglich das Recht auf freien Unterricht für „Unbemittelte“ festgeschrieben. Doch schon in einer späteren Debatte der Paulskirche vom Februar 1849 über das Recht auf Arbeit wurden zwar aufs Neue Bedenken der Parlamentarier bezüglich sozialpolitischer Vorschriften laut, doch das Parlament bekannte sich zu einer Sozialpflichtigkeit des Staates, etwa durch Förderung des Wirtschaftswachstums oder strukturpolitische Maßnahmen.

§ 3. Jeder Deutsche hat das Recht, an jedem Orte des Reichsgebietes seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, [...]§ 7. Vor dem Gesetz gilt kein Unterschied der Stände. Der Adel als Stand ist aufgehoben.

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§ 8. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.

§ 10. Die Wohnung ist unverletzlich.

§ 14. Jeder Deutsche hat das Recht durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern.

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§ 22. Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei.

§ 29. Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

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§ 32. Das Eigentum ist unverletzlich.

Artikel 11 Abs. 1: Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

Artikel 3 Abs. 1: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Artikel 2 Abs. 2: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. [...]

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Artikel 13 Abs. 1: Die Wohnung ist unverletzlich.Artikel 5 Abs. 1: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten [...]Artikel 4 Abs. 1: Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

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Artikel 5 Abs. 3: Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

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Artikel 8 Abs. 1: Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

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Artikel 14 Abs. 1: Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet

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Grundrechte 1848 und heute

Tilman Koops/Heins Boberach, Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte in Rastatt, Bundesarchiv Koblenz 1984, S. 249 f.

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Ein besonderes Problem stellten das Niederlassungsrecht und die Gewerbefreiheit dar, die als Zielpunkt unumstritten waren und in den Grundrechten gewährleistet wurden. Da sich aber beispielsweise für Gemeinden mit noch stark eingeschränkten Bürgerrechten oder für eine Wirtschaft ohne jeden Schutz erhebliche Übergangsschwierigkeiten ergaben, sahen die entsprechenden Paragraphen für die Zukunft eine besondere gesetzliche Ausgleichsregelung vor. Insgesamt entwickelten diese Grundrechte die erwartete Zugkraft. Ihr freiheitliches Ideal und ihre politischen und sozialen Perspektiven trugen erheblich dazu bei, dass weite Kreise der Bevölkerung nach dem 28. März 1849 eine Inkraftsetzung der neuen Verfassung befürworteten und dass die Grundgesetzgebung des Revolutionsjahres bei den Neuschöpfungen der Verfassungen in Deutschland von 1919 und 1949 Pate stand.

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Entscheidung über den Staatsaufbau

Der Staatsaufbau Deutschlands als konstitutionelle Monarchie und gewaltenteiliger Staat sollte sich als nicht weniger zugkräftig erweisen. Anknüpfend an die überkommenen Konturen, die bei der Schaffung einer Provisorischen Zentralgewalt vorgezeichnet waren, sollte Deutschland als Kaiserreich zu einem Bundesstaat werden, der auf gleichfalls konstitutionellen Einzelstaaten mit monarchischer Spitze fußte. Der Tradition der gewachsenen Länder wie der Bindung weiter Bevölkerungskreise an die jeweiligen Dynastien wurde somit Rechnung getragen; eine territoriale Neugliederung, etwa für die thüringischen Kleinstaaten, unterblieb.

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Dennoch war die zentralistische Komponente des Staatsaufbaus stark. Da es einen Katalog über Gegenstände der Reichsgesetzgebung nicht gab, regelten Einzelbestimmungen die Zuständigkeiten. Die Außenpolitik fiel ganz in die Reichskompetenz, während den Ländern mit Blick auf ihre Heere eine nicht unerhebliche Verantwortung zugewiesen wurde. Starke zentralistische Faktoren stellten zudem die Institutionen Kaiser, Reichsregierung und Reichstag dar.

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Der erbliche Kaiser als Staatsoberhaupt, der das Deutsche Reich auch völkerrechtlich vertrat, besaß Kompetenzen in allen Bereichen des staatlichen Lebens. Er nahm insbesondere in Verbindung mit der Reichsregierung die Regierungsgewalt wahr, besaß ein aufschiebendes Vetorecht gegen vom Reichstag beschlossene Gesetze und hatte auch eine Funktion im Rechtswesen, wo ihm das Begnadigungsrecht zustand. Diese Bündelung von Macht erinnerte an die traditionellen Vorstellungen der Liberalen, die vor allem mit Blick auf Krisenzeiten einen starken Monarchen

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wollten. Für den Fall äußerer Krisen, aber auch bei Wiederkehr eines „Parlamentsabsolutismus“ – hier erinnerte man sich an das von Jakobinern dominierte Parlament zur Zeit der Französischen Revolution – sollte der Monarch die Kraft zur „rettenden Tat“ haben. Andererseits war der Titel des Reichsoberhaupts nationaldemokratisch. Der Monarch hieß „Kaiser der Deutschen“, beiseite geschoben war somit das Denken in Kategorien eines Gottesgnadentums. Er besaß zwar das Recht, Reichsminister zu ernennen und zu entlassen, doch die Reichsregierungen waren nach Tradition der Provisorischen Regierung und allgemein vorherrschender Auffassung an das Vertrauen des Parlaments gebunden. Die Verfassung selbst schwieg sich über die Reichsregierung aus.

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Im legislativen Bereich war die Dominanz des Reichstags unbestritten, da dem Kaiser nur ein aufschiebendes Einspruchsrecht zugestanden wurde. Dem Parlament stand damit der Weg offen, die dominierende Rolle, welche die Nationalversammlung bei der Schaffung der Verfassung gespielt hatte, zu bewahren. Dieser Reichstag bestand aus einem aus allgemeinen und gleichen Wahlen hervorgehenden Volkshaus und aus einem Staatenhaus, das zur Hälfte von den einzelstaatlichen Regierungen, zur Hälfte von den entsprechenden Parlamenten beschickt werden sollte. Die Zuständigkeit des parlamentarischen, aus gleichen Wahlen hervorgehenden Volkshauses umfasste Gesetzgebung, Regierungskontrolle und das Recht auf eine Ministeranklage. Reichsoberhaupt, Minister, Beamte, Militär und Abgeordnete wurden durch Eid an die Verfassung gebunden.

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Aus der Not geboren, hatte die Paulskirche mit diesem Staatsaufbau beeindruckende Kompromisse zwischen Liberalen und Demokraten geschlossen, die an deren gemeinsamen Aufbruch im März 1848 erinnerten. Die konstitutionelle Monarchie der Reichsverfassung besaß schon deutliche Züge einer parlamentarischen Monarchie, in der ungeachtet der unstrittigen Gewaltenteilung die politische Grundrichtung vorrangig vom Parlament bestimmt wurde.

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36 Revolution von 1848

Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

Entstehung einer pluralistischen Öffentlichkeit

Günter Wollstein

Ständische Schranken, Unterschiede zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, Männern und Frauen spalten Mitte des 19. Jahrhunderts die Gesellschaft. Über Zeitungen und Zusammenschlüsse schaffen sich politisch aktive Gruppierungen Gehör.

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Gegensätze prägten auch die Gesellschaft Mitte des 19. Jahrhunderts: Städtische Bürgerfamilie (l.) und alemannische Bauernfamilie beim Tischgebet.

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Der Wandel von Untertanen zu Staatsbürgern eines Verfassungsstaates mit Parlamenten, Par

teien und Interessenvertretungen war wie das Aufblühen einer politischen Öffentlichkeit gleichzeitig Ziel und Voraussetzung für die Arbeit des Paulskirchenparlaments. Dies erforderte einen gewaltigen Modernisierungsschub, denn ungeachtet aller Politisierung, die sich im Vormärz vollzogen hatte, lebten die Menschen auch nach der Märzrevolution noch weitgehend in ihren privaten Milieus, die durch – zweifellos morsch gewordene – ständische Schranken und durch christliche Konfessionen geprägt waren.

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Innergesellschaftliche Sprengsätze

Der Grad der Politisierung war dabei je nach Region höchst unterschiedlich. Es bestand ein auffälliges Nord-Süd-Gefälle zwischen den noch ständischen mecklenburgischen Staaten und den längst konstitutionellen Staaten im Süden. Massiv waren zudem die Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den Städten hatten die Liberalen und Demokraten weiterhin ihre Machtbasis, während auf dem Land, beispielsweise in Brandenburg und Pommern, die alten patrimonialen Ordnungsgefüge bisweilen so intakt blieben, dass konservative Kräfte die Bevölkerung für eine Politik des Bewahrens gewinnen konnten. In Schlesien war die Agrarverfassung so rückstän

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dig, dass zahlenmäßig starke „Rustikalvereine“ entstanden, die die bäuerlichen Interessen gegenüber Grundherrn und Staat vertraten. Das Gros der Landbevölkerung in den Kernländern der Großmächte trug jedoch schließlich die Gegenrevolution mit.

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Auch nach der Märzrevolution vollzog die politische Öffentlichkeit, etwa in der Septemberkrise nach dem Waffenstillstand von Malmö oder im Kampf um die Durchsetzung der Reichsverfassung, Entwicklungsschübe, die allerdings der Paulskirche nicht im erhofften Maße zugute kamen. Im Gegenteil, die Konflikte der Zeit steigerten eher die Gegensätze und Polarisierungen im Volk als die Basis eines parlamentarischen Staates mit einer friedlichen Konkurrenz gouvernementaler und oppositioneller Parteien zu stärken.

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Ein Schlüsselproblem war das Andauern der wirtschaftlichen und sozialen Nöte, selbst wenn deren Höhepunkt mit den Jahren 1846/47 1848 bereits überschritten war. Auch die neue liberale Führung konnte keine Wunderdinge vollbringen. Da Paulskirche und Provisorische Zentralgewalt ihre Arbeit vornehmlich auf die Konstruktion des künftigen Deutschen Reiches abstellten, richtete sich der Blick der Notleidenden und Unzufriedenen mehr und mehr auf ihre einzelstaatlichen Regierungen, was das Risiko einer zunehmenden Distanz zur Paulskirche in sich barg. Unter den Einzelregierungen übernahm die preußische Regierung eine Vorreiterrolle, indem

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37Entstehung einer pluralistischen Öffentlichkeit

Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

Eintritt in die Politik – die Achtundvierzigerinnen

Männer machen Geschichte? In Deutschland war das so. (...) Aber als eine Gruppe, die politisch gleichberechtigt sein und handeln wollte, nahm man(n) Frauen erst seit dem Schicksalsjahr 1848/49 wahr.(...) Sie waren dabei als Zuschauerinnen, als Helferinnen und schließlich auch als Mitkämpferinnen. Sie saßen auf den Zuschauertribünen der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche und in den Landtagen der Einzelstaaten – und sie kämpften auf den Barrikaden. [...]

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Schon zu den allerersten Freiheitskämpfern, die im März 1848 auf den Berliner Barrikaden unter den Kartätschenstreichen der königlich-preu-ßischen Truppen gefallen waren, gehörten sechs Frauen. Viele andere haben dann im Verlauf der Revolution bis zu der endgültigen bitteren Nie-derlage im Juli 1849 aktiv mitgetan. Die Berlinerin Emma Herwegh begleitete ihren Mann, den Dichter Georg Herwegh, bei seinen (insgesamt wenig erfolgreichen) Versuchen, mit einer in Frankreich mobilisierten „deutschen demokratischen Legion“ den Aufstand der badischen Radikalen um Friedrich Hecker zu unterstützen. Sie verhandelte, ging, da Herweghs Legion an der Grenze festgehalten wurde, als Kundschafterin nach Baden und führte schließlich im April 1848 sogar für einen Moment selber Teile der Truppen.Neben Emma Herwegh kämpfte die Mannheimer Lehrerin Amalie Struve mit, Frau des Revolutionsprotagonisten Gustav Struve. Ihr gelang es, in ihrem Wagen 1000 Patronen durch die gegnerischen Reihen zu den Revolutionsverbänden zu bringen. Ebenso unerschrocken agierte die Schriftstellerin und Journalistin Mathilde Franziska Anneke, geboren 1817 bei Hattingen an der Ruhr. Ein Zeitzeuge staunte nicht schlecht, als er „vor einer Legion“ der revolutionären Truppen im badisch-pfälzischen Aufstand von 1849 „eine üppige Weibsperson“ sah, „eine rote Feder auf dem Heckerhut, Brille auf der Nase, angetan mit einem Reitkleid aus schwarzem Samt, im roten Gürtel zwei Pistolen, an der Seite einen Schleppsäbel und – hinter ihr reitend ein badischer Dragoner als Ordonnanz“.

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Andere, weniger namhafte Frauen taten es ihr gleich. Herwegh, Struve und Anneke – sie alle gingen mit ihren Männern ins Exil – sind heute noch besonders bekannt, da sie ihr Engagement später in literarischpolitischen Erlebnisberichten reflektierten und rechtfertigten. [...].So spektakulär diese und andere Taten waren [...] – am meisten nachgewirkt haben doch die zahlreichen Frauenorganisationen und -zeitschriften jener Jahre.

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In den Zentren der Revolution, aber auch in vielen kleinen Orten, entstanden 1848/49 Frauenvereine. Meist waren sie im demokratischen Milieu angesiedelt, doch es gibt auch bemerkenswerte Beispiele für das christlich-konservative Spektrum, in dem die autonome Organisation von Frauen langfristig mindestens ebenso subversiv gewirkt haben dürfte wie das revolutionäre Engagement der Demokratinnen.

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Denn die Gründung eines Vereins, die Artikulation politischer Interessen durch Frauen waren ja schon an und für sich spektakulär – in einer Zeit, in der viele Männer den unbeaufsichtigten Aufenthalt von Frauen an öffentlichen Orten wie Gasthäusern, Parlamenten oder den lokalen bürgerlichen Versammlungssälen für „unerhört“ hielten.

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[...] Der Eintritt vieler Frauen in die Sphäre der Politik ging 1848 häufig einher mit einer Flucht aus Ehen, die vor der Emanzipation geschlossen worden waren und nun als beengend empfunden wurden. Es war ein Akt auch des privaten Widerstands gegen bevormundende, wenn nicht gar gewalttätige Ehe-Herren. [...].

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Betrachtet man umgekehrt die revolutionäre männliche Elite von 1848 – etwa am Beispiel der demokratischen Paulskirchenabgeordneten –, so fällt auf, dass vielen von ihnen Frauen zur Seite standen, die zugleich Mitstreiterinnen waren. Kam der Mann in Haft, so führten sie seine Arbeit fort, leiteten die Zeitschrift, die er herausgab, souverän weiter und hielten die Netzwerke lebendig. Sie unterstützten die parlamentarische Tätigkeit ihrer Männer als Vorsitzende demokratischer Frauenvereine in deren Wahlkreisen. Sie waren selbst erwerbstätig und ernährten die Familie, wenn der Hausvater wegen politischer Verfolgung seinen bürgerlichen Beruf verloren hatte.

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So führte Henriette Obermüller, die glühende Demokratin, nach der Revolution eine Fremdenpension in Badenweiler und ermöglichte damit ihrem Mann, dem Republikaner Jakob Venedey, die gemeinsame Arbeit fortzusetzen. [...]

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In den Polizeidossiers war es hingegen schon ein Topos, bei politisch engagierten Paaren die Männer als eher harmlose Schöngeister darzustellen, die erst durch ihre Frauen wirklich radikal und gefährlich geworden seien. [...] Liest man diese Büttelprosa, so muten die Forderungen, die von den Frauenvereinen aufgestellt und von den ersten Politikerinnen in ihren Blättern vertreten wurden, mit dem Abstand von 150 Jahren sehr maßvoll an: Es ging vor allem um den Zugang der Frauen und Mädchen zum Bildungssystem – vom Wahlrecht war nur in Ausnahmefällen die Rede. [...] Insbesondere nach dem Scheitern der Revolution gab es [...] eine heftige Wendung der AchtundvierzigerInnen hin zu Erziehungsfragen. Wenn es schon nicht gelungen war, ein neues Staatswesen, ein einiges, freies und mächtiges Deutschland zu schaffen, so machte man sich nun daran, den neuen Menschen zu erziehen, der es dann bei der erhofften nächsten Revolution „besser ausfechten“ werde. [...]

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Christian Jansen, „Frau und gleich“, in: Die Zeit Nr. 35 vom 25. August 2005

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Auch die Frauen forderten Rechte ein – kritisch beäugt von den Männern. Karikatur von 1848 .

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38 Revolution von 1848

Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

sie die seit der Reformzeit ohnehin vorhandenen fortschrittlichen Elemente des preußischen Gesellschaftsaufbaus, fassbar in städtischer Selbstverwaltung und freiem Handel, zügig modernisierte, und damit die lähmende Perspektive eines Staatsbankrotts abwendete. Die wichtigste Erneuerung war, dass nun Aktiengesellschaften als Finanzierungsinstrumente zur Ankurbelung der Industrie dienten.

Die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Modernisierungen wurden allerdings erst in den

1850er Jahren spürbar. Vor allem aus der Arbeiterschaft drangen Forderungen nach modernen sozialstaatlichen Gesetzen,

nach Staats- und Musterwerkstätten, nach einem Arbeitsministerium und nach einer progressiven Einkommensteuer. Ähnlich argumentierende Demokraten strebten vielfach nach einer Beschneidung des Einflusses der Besitzenden und nach Staatshilfen für Kleinproduzenten. Darauf reagierten die Liberalen allerdings brüsk abweisend, da sie als Konsequenz einer Politik, die sich dem „Schutz der Arbeit“ verschrieb, Anarchie oder neuen Despotismus fürchteten. Der Pariser Arbeiteraufstand vom Juni 1848, der blutig niedergeschlagen worden war, diente ihnen als neuerliche Bestätigung. Demgegenüber betrieben die Liberalen eine Politik, die auf die Selbstheilungskräfte einer Bürgergesellschaft setzte, welche durch neue staatliche Strukturen geschaffen werden sollte.

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Vor dem Hintergrund anhaltender Nöte sowie sich sammelnder gegenrevolutionärer Kräfte blieb aber eine Radikalisierung breiter Bevölkerungskreise nicht aus. In der Septemberkrise wurden beispielsweise die Liberalen als „Volksverräter“ bezeichnet, was nur allzu deutlich zeigte, wie kurz die Wege zu einer regelrechten Vergiftung der politischen Atmosphäre geworden waren. In Teilen des Bürgertums regten sich angesichts dieser unruhigen Entwicklung Ängste und ein wachsendes Bedürfnis, die „Ordnung“ wiederherzustellen.

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Charakteristisch waren die zahlreichen Auseinandersetzungen um die Bürgerwehren. Die Linke forderte vergeblich, dass diese die regulären Heere ersetzen sollten. Die Landesherren zeigten wenig Neigung, auf das traditionelle Heer als innenpolitischen Rückhalt zu verzichten, während die bürgerliche Führung der Bürgerwehren beweisen wollte, dass die neue Schutztruppe Herrin der Lage sei und dies mit biswei

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len harten Einsätzen gegen unruhige Unterschichten zu untermauern suchte. Die weitere Entwicklung in Preußen zeigte den sich abzeichnenden Trend: Während das an nationalen Brennpunkten erfolgreiche Heer wieder Vertrauen gewann und schon seit dem 30. März Zug um Zug in die Berliner Garnison zurückkehrte, wurde zur Bewahrung der inneren Ordnung mit den königstreuen „Konstablern“ eine neue Polizeischutztruppe aufgebaut. Danach war es ein kurzer Weg bis zur Auflösung der Bürgerwehr, womit auch das Heer wieder in seine traditionelle Funktion als innenpolitische Eingreif-Reserve einrückte.

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Nach Wegfall der Zensur informierten neu entstandene Zeitungen unzählige Maueranschläge und Flug-schriften eine breite Öffentlichkeit. Aquarell „Verkauf der Wahrheit“ in Wien von Johann Nepomuk Höfel.

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Entfaltung der Presse

Blickt man vor diesem Hintergrund zunehmender Polarisierung zwischen demokratischen, liberalen und gegenrevolutionären Kräften auf die Kommunikationswege und das parteipolitische Umfeld der Paulskirche, so fällt zunächst auf, dass das deutsche Parlament durchaus über einen breiten Zugang zur Öffentlichkeit verfügte. An den politischen Brennpunkten und insbesondere in Frankfurt trafen Abordnungen und interessierte Bürger ein, informierten sich, demonstrierten und bildeten Lobbys. Wichtiger waren die schließlich etwa 1700 Zeitungen, von zahlreichen improvisierten Blättern mit wenigen Erscheinungsnummern bis hin zur mit 17 000 Exemplaren pro Ausgabe auflagenstärksten liberalen „Kölnischen Zeitung“. Gelesen und besprochen wurden die sich nun durchweg zu parteinahen Blättern wandelnden Zeitungen nicht nur von Einzelnen; sie lagen auch in Lesegesellschaften, Salons und poli

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Anhaltende Nöte und Angst vor der Gegenrevolution radikalisierten

die Bevölkerung

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tischen Vereinen aus und wurden Analphabeten – man schätzt ihre Zahl auf 20 Prozent der Bevölkerung – vorgelesen. Unzählige Maueranschläge und Flugblätter hatten ihr Publikum, politische Lieder und politische Lyrik blieben wie im Vormärz gefragt, und Moritatensänger bereiteten die Politik auf ihre Weise auf. Letztere konnten sich auf eine Vielzahl publizierter Bilder stützen, so besonders auf die Neuruppiner Bilderbögen oder die Drucke in der Leipziger „Ilustrirten Zeitung“. Schließlich zeigte die Vielzahl von Karikaturen den Trend, die Paulskirche zunächst zu glorifizieren, später aber zu verspotten.

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Die Debatten der großen Parlamente, festgehalten in den neuartigen stenographischen Mitschriften, wurden gedruckt und zudem durch umfangreiche Zeitungsberichte einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht; auch die Fraktionen belieferten die Presse mit Informationen über ihre Tätigkeit.

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Die berühmteste Zeitung war, neben der von Marx herausgegebenen „Neuen Rheinischen Zeitung“, die Heidelberger „Deutsche Zeitung“, das schon Mitte 1847 gegründete Zentralorgan der Liberalen. Basierend auf einem europaweiten Korrespondentennetz, war diese Zeitung gleichzeitig Sprachrohr des Casino wie selbstständiges politisches Forum. Sie konnte ihren Leserkreis allerdings kaum über das städtische Bildungsbürgertum hinaus ausdehnen. Demgegenüber erweiterten die demokratischen, stärker dezentralisierten Blätter ihre Leserschaft, wobei sie ihre Hoffnungen zunehmend auf die Führungen der Einzelstaaten setzten. Entsprechende Tendenzen sah man bei der von erheblichen Teilen der Arbeiterschaft gelesenen „Verbrüderung“ wie bei der „Deutschen Volkshalle“ der Katholiken.

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Entstehung von Parteien

Auch das Parteiwesen blühte auf, wobei die seit der Märzrevolution bestehenden Ansätze für ein Fünfparteiensystem zügig ausgebaut wurden. Die Parlamentarier waren hieran durch ihre Fraktionsbildungen beteiligt, blieben allerdings durch ihre Konzentration auf die Verfassungsarbeiten weitgehend isoliert. Nur durch eine Flut von Petitionen, mit denen sich die Abgeordneten auch beschäftigten, waren sie mit der Basis im Land verbunden. Der eigentliche Aufbruch ins Zeitalter der Massenparteien fand allerdings in Stadt und Land seit der Märzrevolution durch die Gründung lokaler politischer Vereine statt. Solche Gruppen von Arbeitern, Demokraten, Liberalen, Konservativen und Katholiken, die vielfach noch nicht klar voneinander getrennt waren, suchten ihre Chancen zur politischen Mitbestimmung durch Statuten, Programme und Zentralisierungen wahrzunehmen. Die Programme der jeweiligen Vereine orientierten sich an den Vorgaben aus der Zeit des Vormärz.

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Arbeitermanifest

[...] Mit der gespanntesten Aufmerksamkeit und mit hingebender Erwartung haben die Arbeiter, nachdem die politische Bewegung Europas auch sie in Anspruch genommen, sie zur Mitwirkung und, nach langer Zeit wieder, zum Hoffen erweckt hat, die Maßregeln, welche die deutschen Staaten zur Begründung besserer Staatseinrichtungen ergriffen haben, namentlich den Entwurf betreffend die Grundrechte des deutschen Volks und die davon ausgehenden Beratungen der hohen deutschen National-Versammlung verfolgt.

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Sie haben nunmehr leider die Überzeugung erlangt, daß auch in der Verfassungsurkunde für Deutschland die soziale Frage ebensowenig wie in andern Verfassungsarbeiten, eine Stelle finden könne. [...]

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Der Staat verfährt in diesem Stück gewissermaßen richtig; denn solange der Arbeiter nur als eine zerstreute Menschenmenge zu betrachten ist, läßt sich auch nichts Gesetzlichbestimmtes für ihn als Ganzes [...] zur Beschützung von Rechten begründen.Es ist also vor allem erforderlich, daß die Arbeiter, um ihr Arbeiten als einen bestimmten Besitz in das Grundgesetz des Staats einzuführen, sich selbst als lebendige Gemeinschaften, gleichsam als politisch-beseelte Körperschaften, unter die übrigen Bürger hinstellen und den Staatsmännern bemerklich machen.

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Dieses konnte nur von den Arbeitern selbst ausgehen. Es war bisher versäumt worden, ist aber von uns, soweit es der Augenblick zuläßt, nachgeholt worden, und die Organisation der Arbeiter Deutschlands, wie sie jetzt im Leben steht, liegt in den Grundzügen ihres Verfassungs-Statuts einer hohen National-Versammlung vor Augen. [...]

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So organisiert [...] treten wir jetzt unter unsere Mitbürger und vor den gesetzgebenden Körper unserer Wahl, mit der Bitte: in der künftigen Gesetzgebung auch uns, als Besitzer der Arbeit, anzuerkennen und solche gesetzliche Bestimmungen eintreten zu lassen, durch welche die Existenz und Fortdauer unserer Organisation und Assoziation für alle Zeiten geschützt und ihre weitere gedeihliche Ausbildung von seiten des Staats begünstigt werden möge. [...]

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Nur notgedrungen würden wir, wenn [...] unserer Rechte auch fernerhin, wie früher, von keinem der Machthaber auf humane Weise gedacht würde [...] unter der Macht der finstern Not aus den wärmsten Freunden der bestehenden Ordnung zu den bittersten Feinden derselben werden müssen.

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Berlin, den 2. September 1848.Der Arbeiter-Kongreß.

Walter Grab (Hg.), Die Revolution von 1848/49. Eine Dokumentation. Stuttgart 1998, S. 115 ff.

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Arbeiterzusammenschlüsse

Das Ausmaß der inneren Gegensätze in den politischen Vereinen verdeutlicht ein Blick auf die Anfänge der Arbeiterbewegung in Deutschland. Bei den höchst unterschiedlichen Gruppen von Arbeitern, die zumeist noch im Handwerk, in Dienstleistung und auf dem Lande tätig waren, gab es ein Neben- und Miteinander von konservativen, revolutionären und reformpolitischen Zielvorstellungen. Weithin bestimmend für das öffentliche Erscheinungsbild waren die notleidenden Hand

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40 Revolution von 1848

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werker. Als diese Mitte Juli in Frankfurt einen Handwerkerund Gewerbekongress veranstalteten, machten sie hauptsächlich die Aufhebung der Zunftschranken für die Existenzkrise des Handwerks verantwortlich und suchten ihre Lage durch sozialkonservative Maßnahmen zu verbessern.

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Stephan Born

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a Die wichtigste Arbeiterorganisation war jedoch die auf einem vom 23. August bis 3. September in Berlin tagenden Arbeiterkongress gegründete „Allgemeine deutsche Arbeiterverbrüderung“ des

Schriftsetzers Stephan Born, eine politische Partei, die – bei schwacher Beteiligung aus dem Süden Deutschlands – im Frühjahr 1849 schließlich etwa 170 Ortsvereine und mehr als 15000 Mitglieder zählte. Sie suchte die Zusammenarbeit mit der Paulskirche, indem sie forderte, dass die bürgerlichen Freiheits

rechte durch soziale Schutzbestimmungen zu ergänzen seien. Die Arbeiterverbrüderung behielt ihre reformpolitische Grundhaltung und Wertschätzung von Selbsthilfemaßnahmen bei Anlehnung an das Parlament bis zum Ende des Revolutionsjahres bei. Auf der anderen Seite stand das Wirken des „Bunds der Kommunisten“, der aus Geheimorganisationen von Gesellen des Vormärz hervorgegangen war. Karl Marx, der in London im November 1847 die Parole „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“ und drei Monate später das „Kommu

nistische Manifest“ formuliert hatte, wirkte im Revolutionsjahr in Köln. Sein Programm war und blieb eine Zukunftsvision, die mit zeitgenössischen Realtäten wenig zu tun hatte. Auch seine von verschiedenen Taktiken geprägten sozialrevolutionären Unternehmungen scheiterten. Das Hauptaugenmerk galt seinem Sprachrohr, der „Neuen Rheinischen Zeitung“, die eine scharfe linke Antiparlamentarismuskritik in Deutschland mitbegründete.

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Karl Marx (Porträt um 1850)

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Demokratische Gruppierungen

Aufgrund der schon im Vormärz starken Rolle von Liberalen und Demokraten entstanden in der Märzrevolution explosionsartig Clubs dieser beiden Parteien. Den Demokraten, an den Regierungen nicht beteiligt und auf Schubkraft durch eine mobilisierte demokratische Öffentlichkeit angewiesen, gelang mit ihren „Volksvereinen“, „Demokratischen Verei

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nen“ oder „Vaterlandsvereinen“ ein besonders erfolgreicher Aufbruch als „Volkspartei“.

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Sie wurden, sieht man von dem schon erwähnten Aufkommen sozialpolitischer Vorstellungen ab, geleitet von dem auch in ihren Frankfurter Fraktionen maßgeblichen Gedanken der Volkssouveränität bei starker Betonung des Gleichheitsprinzips; da alle staatliche Herrschaft auf dem Volk beruhte, galt zumeist ein parlamentarischer Einheitsstaat mit einem Präsidenten als Staatsoberhaupt als Ideal, aus taktischen Gründen war die Duldung einer Monarchie möglich. Letzteres galt nicht für die Partei-linke, für die es zur Schaffung einer Republik keine Alternative gab und die an der Parteibasis vor allem zur Zeit der Gegenrevolutionen im Herbst 1848 ein bleibendes Übergewicht zu gewinnen schien; charakteristisch war der Ruf nach einer zweiten Revolution in Versammlungen, bei denen rote Fahnen gezeigt und die Marseillaise gesungen wurden. Das Bild änderte sich aber wieder im Frühjahr 1849, als die Demokraten für die Reichsverfassung kämpften.

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Schon eine Offenburger Volksversammlung am 19. März 1848 fasste eine Parteiorganisation für ganz Deutschland ins Auge. Tatsächlich riefen dann sächsische Demokraten am 28. März in Leipzig mit großem Erfolg zu landesweiten Gründungen von „Vaterlandsvereinen“ auf. Ein erster Demokratenkongress, der vom 14. bis 17. Juni in Frankfurt unter dem Vorsitz von Julius Fröbel (1805-1893) tagte und in dem 89 Vereine vertreten waren, nahm schließlich die Gründung einer gesamtdeutschen Partei in Angriff. In Berlin, wo man sich dank der „linken“ preußischen Nationalversammlung und einer besonders aktiven Parteibasis größere Wirkungsmöglichkeiten ausrechnete, entstand die erste Parteizentrale Deutschlands.

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Julius Fröbel (um 1850)

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Zeit für eine Konsolidierung und Bewährung blieb jedoch nicht. Septemberkrise und Formierung der Gegenrevolution bedingten, dass auf dem zweiten Demokratenkongress in Berlin vom 26. bis zum 31. Oktober, beschickt von 260 Vereinen, in explosiver Atmosphäre über einen Sturz der Paulskirche, Neuwahlen und eine zweite Revolution diskutiert wurde. Auch ein „Gegenparlament“, besetzt mit demokratischen Landtags- und wenigen Paulskirchenabgeordneten, suchte am 27. Oktober hektisch nach Aktionsmöglichkeiten, um die Märzrevolution zu retten oder weiterzutreiben.

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Nach den Gegenrevolutionen in Österreich und Preußen mit wieder einsetzenden Unterdrückungsmaßnahmen gegen Demokraten fanden diese in der zweiten Novemberhälfte die Kraft zu einem organisatorischen Neuanfang in Frankfurt. Abgeordnete

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der linken Fraktionen schlossen sich zur Verteidigung der „Märzerrungenschaften“ im „Zentralmärzverein“ zusammen, der in der Zeit seiner stärksten Entfaltung, im Frühjahr 1849, aus 950 Ortsvereinen und 500 000 Mitgliedern bestand. Wie im Vormärz lag die Führung noch in der Hand des Bildungsbürgertums, auffallend waren jetzt aber das Überwiegen von Freiberuflern an der Spitze und eine starke Vertretung von Handwerkern an der Basis.

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Liberale Vereinigungen

Auch der parteipolitische Aufschwung der Liberalen verlief stürmisch, trotz ihrer weit verbreiteten Vorstellungen, dass Honoratioren für die Politik zuständig seien und eine Mobilisierung des Volkes Gefahren mit sich bringe. Ziel blieb die Einrichtung einer konstitutionellen Monarchie unter Anknüpfung an staatliche Traditionen, aber bei Schaffung einer einheitlichen Bürgergesellschaft. „Deutsche“

und „Vaterländische Vereineentstanden in großer Zahl und mit beträchtlicher Mitgliederzahl nicht zuletzt in Preußen, wo etwa 300 solcher Ortsverbände gezählt wurden, die – obwohl sie das mittlere und gehobene Bürgertum repräsentierten – auch Unterschichten offen standen.

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Doch alle Zentralisierungsversuche der liberalen Clubs scheiterten letztlich. Der noch erfolgreichste Anlauf wurde vom 3. bis 5. November in Kassel durch Delegierte von 28 Vereinen unternommen. Aber bereits die Zusammensetzung des gegründeten „Nationalen Vereins“, dem im Frühjahr 1849 160 Vereine angehörten, offenbarte das Dilemma der Liberalen. Bei gespaltener Loyalität gegenüber der preußischen Monarchie auf der einen und den parlamentarischen Institutionen wie der Paulskirche auf der anderen Seite, waren kaum preußische Vereine vertreten. Eine deutliche Ausrichtung auf eine Seite hin oder gar eine Kooperation kam nicht zustande. Leidtragende war vor allem die liberale Paulskirchen-Mehrheit, die keinen Rückhalt an einer organisierten parteipolitischen Basis fand.

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Heinrich von Gagern (1848);

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Konfessionelles Vereinswesen

Die konfessionelle Prägung Deutschlands besaß starke Auswirkungen auf die Herausbildung des Partei

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wesens in Deutschland. Protestanten wie Katholiken stand der Weg zu rechten wie linken Parteien offen und dieser wurde auch genutzt. Daneben zeigten sich intakte konfessionelle Milieus aber auch in eindeutigen politischen Präferenzen: Während Protestanten vor allem in Preußen zum Rückhalt der Konservativen wurden, suchten Katholiken in einer Zeit des Aufblühens weltlicher Leitvorstellungen einerseits ihren traditionellen Einfluss in der Gesellschaft und andererseits ihre Kirche vor staatlicher Bevormundung zu bewahren.

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Ein katholisches Vereinswesen, vor allem Piusvereine, blühte auf und organisierte eine wirksame Petitionsbewegung, deren Adressat die mit den Grundrechten befasste Paulskirche war. Einem erst in Mainz am 28. März zusammenfindenden Piusverein folgten Vereinsgründungen im ganzen katholischen Deutschland. Als diese auf einer Generalversammlung in Mainz vom 3. bis 6. Oktober, die zwar nur aus 32 Orten beschickt war, aber 100 000 Gesamtmitglieder repräsentierte, einen Dachverband ins Leben riefen, war eine kräftige Organisation zur Abwehr unliebsamer Beschlüsse der Paulskirche entstanden. Gleichzeitig stellte diese Versammlung den ersten Katholikentag in Deutschland dar. In der Folgezeit waren Piusvereine maßgeblich an der Schaffung von Ansätzen einer kleinbürgerlichen und klerikalen Partei beteiligt, die nun sämtliche politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse vom konfessionellen Standpunkt aus beurteilte. Dies schmälerte den vormaligen Konsens vieler Katholiken mit den Liberalender bei den Maiwahlen 1848 noch beherrschend gewesen war.

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Joseph Maria von Radowitz

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Konservative Sammlungsbewegung

Besondere Aufmerksamkeit verdienen auch die Konservativen, allen voran die in Preußen, da de-

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ren Erstarken mit dem raschen Erfolg der dortigen Gegenrevolution eng verknüpft war. Der Weg der Rechten, die bislang für Parteiverbote gesorgt und Veränderungen unterbunden hatte, zu Modernisierungen schien lang. Um so mehr überrascht das erfolgreiche Streben, sich den Zeittrends mit Parlamenten, Parteien und einer entsprechenden Öffentlichkeitsarbeit zu stellen, ja sich auf diesen Sektoren nicht selten effektiver als die liberalen und demokratischen „Herausforderer“ zu zeigen. Maßgeblich waren zunächst nicht die schon im Vormärz aktiven Reformkonservativen, die wie Joseph Maria von Radowitz (1797-1853) oder Felix Fürst von Lichnowsky (1814-1848) mit erheblichem Einfluss in der Paulskirche saßen und dort das Ziel konstitutioneller Monarchien mit einer gesicherten Vormachtstellung der Monarchen verfochten. Auffallend war vielmehr, dass Hochkonservative häufig die Initiative ergriffen und aktiv wurden.

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Felix Fürst von Lichnowsky

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Diese vor allem auf die höfischen Eliten und den Landadel gestützte Gruppe, die einen Parteienstaat und eine effektive Mitbestimmung von Staatsbürgern strikt ablehnte – ihr Ziel blieb ein an der Vergangenheit orientierter Ständestaat oder eine absolutistische Monarchie –, versuchte, eine konservative Sammlungsbewegung zu schaffen. Anfang Juli gründete Ernst Ludwig von Gerlach (1795-1877) den „Verein für König und Vaterland“ der zur Schaffung weiterer Vereine aufrief, die unter hochkonservativer Lenkung stehen sollten. Tatsächlich entstanden diese in beträchtlicher Zahl mit den Namen „Preußen-„ oder „Vaterlandsverein“, „Patriotischer Verein“ oder „Verein zur Wahrung des Grundbesitzes“, allerdings ohne die angestrebte hochkonservative Führung oder Kontrolle. In den Provinzstädten und agrarischen Bereichen, die

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das Gros der konservativen Vereine stellten, dominierten Beamte, Kaufleute, Handwerksmeister und Militärs, auch mittelbäuerliche Schichten waren vertreten. Diese Basis sorgte dafür, dass hochkonservative Staatsauffassungen in den Hintergrund rückten, während zumeist reformkonservative Leitvorstellungen dominierten. Ein zweiter Zentralisierungsversuch mit über 200 Basisvereinen drückte mit dem neuen Namen „Generalkomitee der monarchisch-konstitutionellen Vereine“ folgerichtig eine Befürwortung von Verfassungsstaaten aus.

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Vor dem Hintergrund, dass Friedrich Wilhelm IV. die christlich-ständestaatlichen Grundpositionen der Hochkonservativen teilte und ihnen im Zuge der Gegenrevolution doch noch zu großer Bedeutung verhalf, sind die Motive und Strategien der Hochkonservativen etwas genauer zu beleuchten. Ihr unumstrittenes Ziel war es, die Märzrevolution ungeschehen zu machen und die Souveränität Preußens zu „retten“. Zwar hielten sie die Mobilisierung der Öffentlichkeit durch Liberale und Demokraten für nicht mehr umkehrbar, wohl aber deren Richtung.

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Den öffentlichen Druck, den Liberale und Demokraten im März gegen den König erzeugt hatten, wollten sie unter Benutzung der gleichen Mittel umkehren. Da Liberale und Demokraten Berlin beherrschten, sollte das königstreue Umland mobilisiert und damit Berlin isoliert und bedrängt werden. Bezeichnend für das Aufgreifen der „Waffen“ der Liberalen und Demokraten in der Absicht, diese zu besiegen, war der Einstieg der Hochkonservativen in das politisch motivierte Pressewesen.

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Mit der „Neuen Preußischen Zeitung“ wurde eine konservative Zeitung gegründet, deren zupackende Propaganda Gegner noch in der Zeit der Weimarer Republik zu fürchten hatten. Ihr Emblem war das 1813 gestiftete Eiserne Kreuz, das Ausdruck eines christlich verstandenen Abwehrkampfes gegen Napoleon und das revolutionäre Frankreich war. Die Parole des daher auch „Kreuzzeitung“ genannten Blattes lautete denn auch „Mit Gott für König und Vaterland“ und wurde tatsächlich weithin in Preußen zum Losungswort. Sie stärkte, zumal erhebliche Teile der Protestanten des Landes sie aufgriffen, die vom Monarchen angestrebte, anhaltende Verankerung des Königtums in Preußen in einem Gottesgnadentum mit Folgen für das Fortleben einer entsprechenden Untertanenmentalität im Hohenzollernstaat.

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-Ernst Ludwig von Gerlach (1872)

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Erfolgreiche Gegenrevolution Günter Wollstein

Das Habsburgerreich steht im Sommer 1848 vor dem Staatszerfall, in Preußen muss der König eine liberale Regierung dulden. Mit Unterstützung konservativer Militärs können sich beide Monarchien die Macht zurückerobern.

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In der Praterschlacht am 23. August 1848 ging die Nationalgarde gewaltsam gegen Arbeite-rinnen und Arbeiter vor, die gegen die Herabsetzung der Löhne protestierten.

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arallel zur Septemberkrise in Frankfurt wurden auch die Habs

burgermonarchie und Preußen von Krisen geschüttelt. Den jungen Verfassungsstaaten mit ihren liberalen „Märzregierungen“ war eine Stabilisierung nicht geglückt. Ende Oktober/Anfang November kam die Stunde der Gegenrevolutionäre, in der diese wieder die Macht an sich nahmen und ihre Traditionsstaaten erneut in souverän handelnde Großmächte konservativer Prägung umwandelten, womit auch die Erfolgschancen für die Frankfurter Liberalen dramatisch zusammenschrumpften.

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Fortan konnte die Paulskirche nicht mehr damit rechnen, dass sich die Einzelstaaten der Entwicklung im deutschen Gesamtstaat anpassen und unterordnen würden. Doch auch in der nächstfolgenden, bis 1850/51 andauernden Phase hielt ein gegenrevolutionärer Prozess an. Zwar erhielten Österreich und Preußen erstaunlich fortschrittliche Verfassungen, da an den politischen Maßstäben, die Liberale und De-mokraten innerhalb und außerhalb der Parlamente gesetzt hatten, nicht vorbeizukommen war. Gleich-zeitig ließen sie jedoch die Paulskirche scheitern und drängten mit zunehmender innerer Stabilisierung auch das Verfassungsleben in ihren eigenen Staaten zurück.

Krise der Habsburgermonarchie

In der Habsburgermonarchie war auch während des Sommers 1848 die Politisierung der Öffentlichkeit auf eine recht kleine aktive Minderheit in den städtischen Zentren beschränkt geblieben. Politische Vereine besaßen durchaus Gewicht, doch flächendeckende Parteiorganisationen fehlten. Soziale Konflikte verschärften die nationalen Spannungen nur unerheblich. Eine wichtige Ausnahme war Wien. Hier führte die „Praterschlacht“ vom August, aus der die bürgerlich strukturierte Nationalgarde und die Akademische Legion als Sieger hervorgingen, zu Toten auf Seiten der in den Vorstädten lebenden

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Unterschichten. Erst im Zuge der Gegenrevolution fanden sich Teile der regulären Truppen, Nationalgardisten, Handwerksgesellen und Arbeiter wieder zum gemeinsamen Kampf gegen das Gros der regulären Truppen zusammen.

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Drohender Staatszerfall

Für Sprengstoff sorgten die Interessenkollisionen der verschiedenen Nationalbewegungen im Vielvölkerstaat, am meisten in Italien und Ungarn. Im lombardisch-venetianischen Königreich schien der Triumph des Risorgimento schon perfekt, doch gelang es den Italienern wegen programmatischer Differenzen, dynastischer Eigeninteressen und militärischer Schwäche nicht, Österreichs hier aus Südslawen zusammengestellte Truppen unter General Johann Graf von Radetzky (1766-1858) aus einem Festungsviereck an Etsch und Mincio zu vertreiben. Im Königreich Ungarn mit seinen Magyaren, Slawen, Rumänen und Deutschen erreichten die Magyaren unter Lajos Kossuth (1802-1894) und Ludwig Graf Batthyány (1806-1849) eine weitgehende Unabhängigkeit des Landes bei Fortbestehen einer Personalunion mit Österreich, doch war zu erwarten, dass die Habsburgermonarchie im Falle eines Wiederer

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44 Revolution von 1848

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starkens jede sich bietende Chance nutzen würde, um ihre reale Oberhoheit wiederherzustellen, zumal dabei mit Hilfe der südslawischen Minderheit Ungarns, insbesondere der Kroaten, zu rechnen war.

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In Prag versuchten zwar ein tschechischer Nationalausschuss und bald eine provisorische Regierung, das Königreich Böhmen und Mähren zum autonomen Bestandteil einer föderativ umgestalteten und mit einer Verfassung ausgestatteten Habsburgermonarchie zu machen, in der die Slawen die Majorität besaßen. Doch eine hinhaltende Politik Österreichs und die Präsenz seiner Truppen im Lande hielt die Lage in der Schwebe. Im Königreich Galizien konnten Bürokratie und Militär sogar umgehend die polnischen Unabhängigkeitsbestrebungen eindämmen und niederschlagen.

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Der deutschlandpolitische Komplex war daher nur ein Aspekt der grundsätzlichen Frage, ob Österreich erhalten oder geteilt werden sollte. Eine dominierende Zielvorgabe war nirgends auszumachen. Da mit einem Verlust Italiens und Ungarns gerechnet wurde, wetteiferten die verschiedenen Parteien und Völker mit Überlegungen, was mit einer entsprechend verkleinerten Habsburgermonarchie geschehen sollte. Unter den Verfechtern eines straff zentralistisch geführten Staates konkurrierten bei manchen Über

einstimmungen Anhänger einer absolutistischen Staatsform mit Befürwortern eines Verfassungsstaates. Entsprechend gespalten waren auch die Vertreter eines

föderativen Staatenbundes. Das Modell der Paulskirche, demzufolge das westliche Österreich zum Bestandteil eines konstitutionellen Großdeutschlands werden sollte, dominierte in der Gesamtbevölkerung nie, von der politischen Führung ganz zu schweigen. Selbst im deutschen Teil der Bevölkerung standen durchgängig „schwarz-gelbe“, also der Habsburgerdynastie verpflichtete, neben den „schwarz-rot-goldenen“ Ideen der „Germanophilen“.

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Unpopuläre Verfassung „von oben“

Während die Regierung zur Untätigkeit verurteilt war, versuchte sich der Hof, nun von einer Kamarilla statt der Staatskonferenz gelenkt, an einem Spagat zwischen Bewahrung des Alten und Arrangement mit unvermeidlich Neuem. Improvisationen sollten möglichst viel sowohl von der eigenen Macht als auch vom traditionellen Besitzstand des Staates bewahren. Als am 25. April 1848 eine Verfassung verordnet wurde, bescherte dies dem Staat zwar ein Parlament, aber kein populäres Führungsorgan.

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Immerhin fand am 22. Juli 1848 tatsäch-lich – wenn auch ohne Vertreter Italiens und Ungarns – die feierliche Eröffnung eines Reichstags statt. Die Hälfte der Abgeordneten waren Slawen; eine große Zahl von Bauern aus den deutschen Kronländern und Galizien saß neben bürgerlichen Parlamen

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tariern aus Wien und anderen städtischen Regionen, insbesondere auch Böhmens; Aristokraten waren nur schwach vertreten. Es fehlte eine gemeinsame liberale Führungsschicht analog zur Paulskirche. Trotz massiver Verständigungsprobleme gelang die Verabschiedung eines grundlegenden Gesetzes auf dem Agrarsektor. Am 31. August beschloss der Reichstag eine entschädigungslose Aufhebung der Untertänigkeitsverhältnisse und eine Beseitigung der Grundlasten bei Entschädigungsvorbehalt. Diese Bauernbefreiung löste das längst überfällige zentrale soziale Problem des noch überwiegend agrarischen Österreich. Im Sommer 1848 blieb es jedoch bei diesem einmaligen Kraftakt des Reichstags, so dass dieser nicht die Popularität gewann, um im inneren Kräftefeld eine bedeutende Rolle zu spielen.

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Während des Slawenkongresses in Prag im Juni 1848 provozieren kaiserliche Truppen durch eine militärische Machtdemonstration die tschechische National-bewegung zur Gegenwehr.

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Verselbstständigung des Militärs

Die Tatsache, dass die Verfassung vom April 1848 nicht das Werk einer Nationalversammlung war und somit nicht vom Volk ausging, aber auch weitere Bemühungen von Hof und Regierung, sich den Volksbewegungen nicht zu beugen, führten im Mai zu einem Aufstand, der anders als im März auf Wien beschränkt blieb und die Entmachtung der Regierung durch einen „Sicherheitsausschuss“ der Stadt zur Folge hatte. Kaiser Ferdinand und die Kamarilla entschlossen sich zur Flucht ins kaisertreue Innsbruck.

In dieser verfahrenen und chaotischen Situation verselbständigten sich verschiedene durch den Zusammenbruch der Habsburgermonarchie aufgebrachte und durch den eigenen Prestige- und Machtverlust unmittelbar betroffene Heerführer. Sie begannen an ihren Standorten, auf eigene Faust „Ordnung“ zu schaffen, wovon der kaiserliche Hof bisweilen erst nachträglich informiert wurde. Ihre Aktionen entwickelten sich zur Gegenrevolution in

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In Österreich fehlte eine liberale Führungsschicht

analog zur Paulskirche

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45 Erfolgreiche Gegenrevolution

Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

Österreich-Ungarn, wobei sie Hof und Kamarilla jenen Machtgewinn bescherten, der diesem in der Schlussphase der Gegenrevolution wieder die politische Führung einbrachte.

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Die entscheidenden Generäle waren neben Radetzky in Italien, dem der Diplomat Felix Fürst zu Schwarzenberg (1800-1852) als kommender politischer Kopf Österreichs zur Seite trat, Alfred Fürst

zu Windischgraetz (1787-1862) in Böhmen und Joseph ^

Freiherr von Jellacic (1801-1859) in Ungarn, der nicht nur für das alte Österreich, sondern auch als Kroate gegen die Magyaren kämpfte. Zuerst nutzte Windischgraetz während des für politische Aufregungen sorgenden Slawenkongresses am 2. Juni 1848 in Prag die Gunst der Stunde, um die tschechische Nationalbewegung durch militärische Machtdemonstrationen zu einem „Aufstand“ zu reizen und Mitte Juni in fünftägigen Barrikadenkämpfen auszuschalten. Radetzky, der mit Hilfe Schwarzenbergs nur mit Mühe eine politische Kapitulation Österreichs in Italien abgewendet hatte, gelang Ende Juli bei Custozza der entscheidende Sieg, der bei vorläufigem Ausscheiden Sardinien-Piemonts aus dem Krieg die Herrschaft der Habsburgermonarchie in Oberitalien wieder konsolidierte.

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Diplomat Felix Fürst von Schwarzenberg

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Bevor im September Ungarn an die Reihe kam, hatte sich die Lage in Wien zunächst nicht zuletzt dank des gemäßigt wirkenden Reichstags deutlich entspannt. Auch der Hof kehrte am 11. August nach Wien zurück. Nach dem Erfolg in Italien betrieb dieser dank der Mithilfe des neuen Kriegsministers Theodor Graf Latour (1780-1848) immer entschiedener eine militärische Lösung der Ungarnfrage, wobei die Kroaten gegen die Magyaren ausgespielt wurden. Diese scharfe Konfrontationspolitik wurde von der Regierung zwar nicht mitgetragen, doch auf einem Verhandlungsweg bemühte auch sie sich um eine Revision der Zusage an Ungarn, dass das Königreich fortan mit der übrigen Habsburgermonarchie nur noch in Personalunion verbunden sein sollte.

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Diese Politik mobilisierte die mit der ungarischen Nationalbewegung sympathisierende politische Linke in Wien aufs Neue. Wie in der Frankfurter Septemberkrise bereiteten nationale Empörung in Verbindung mit sozialen Problemen und Sorgen vor gegenrevolutionären Entwicklungen den Weg zu einer Radikalisierung und zu neuen Unruhen. Dadurch ergab sich für die Gegenrevolutionäre die Perspektive eines Doppelschlages gegen die Ungarn und gegen die Linke in Wien. Da auf die Truppen Verlass war, spielte ihnen ab jetzt jede Eskalation der Situation in die Hände.

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In diesem Bewusstsein nahm Jellacic am 11. September den Kampf gegen die Ungarn auf. Als Jella- cics Lage aufgrund der unerwarteten Schlagkraft der Magyaren kritisch wurde und er sich auf öster

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reichisches Gebiet zurückziehen musste, brach auch Windischgraetz aus Prag auf, um Österreich zu „retten“. Schwarzenberg erschien Ende September in der österreichischen Hauptstadt Wien.

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Die Verknüpfung des Kampfes gegen die Ungarn mit dem gegen die Liberalen und Demokraten Wiens machte Fortschritte, als das Hilfeersuchen einer ungarischen Reichstagsdelegation in Wien durch eine Mehrheit des dortigen Reichstags abgelehnt wurde, was in der österreichischen Hauptstadt für neuerliche Unruhen sorgte. Nutzen zogen die Gegenrevolutionäre auch aus der Ermordung des von der Regierung Wessenberg als außerordentlicher Kommissar für Ungarn entsandten Generals Franz Graf Lamberg am 28. September in Pest.

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Am 28. September 1848 ermordeten Aufständische den österreichischen General Graf von Lamberg auf der Brücke zwischen Buda und Pest.

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Niederschlagung des Wiener Aufstandes

Als Latour am 4. Oktober den Einsatz eines in Wien stationierten Bataillons als Ergänzung der gegen die Ungarn kämpfenden Truppen anordnete, mündete eine Beinahe-Meuterei der betroffenen Truppenteile in einen umfassenden Aufstand in der Hauptstadt, bei dem Latour ermordet und das Zeughaus gestürmt wurde.

Angeführt von demokratischen Vereinen und linken Reichstagsabgeordneten entstand eine einzigartige Bürgerkriegsfront gegen die Gegenrevolutionäre, die allerdings auf Wien beschränkt blieb und nur eine politisch aktive Minderheit umfasste. In ihr waren radikale Demokraten und sozial Unzufriedene mit maßvollen und kompromissbereiten Demokraten zusammengeschweißt, zu denen auch der Paulskirchenabgeordnete Robert Blum gehörte, der als Abgesandter seiner Fraktion nach Wien gekommen war.

Der Hof floh am 7. Oktober erneut, nunmehr in die erzbischöfliche Residenzstadt Olmütz in Mähren, wobei der Kaiser die österreichischen Völker zum

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46 Revolution von 1848

Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

Kampf gegen die Wiener Revolution aufrief. Mitte Oktober entschied sich der Hof intern für Schwarzenberg als künftigen gegenrevolutionären Regierungschef, während dessen Schwager Windischgraetz als Oberkommandierender mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet wurde, um die Revolution in Wien zu bekämpfen.

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Kaiserliche Truppen unter Feldmarschall Alfred Fürst von Windischgrätz griffen Ende Oktober 1848 Wien an, am 31. Oktober endete der Bürgerkrieg. Es waren mehr als 2000 Tote zu beklagen.

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In der Literatur wird vielfach von einer Wiener Oktoberrevolution gesprochen, doch ist dieser Ausdruck mit Vorsicht zu gebrauchen. Die Weichenstellungen kamen von den Gegenrevolutionären, die – wie Schwarzenberg formulierte – eine Abrechnung mit „der europäischen Partei des Umsturzes“ suchten und durch entsprechende Vorgaben die Bürgerkriegssituation vom Oktober hervorriefen. Da die Aufständischen jedoch mit ihren Bluttaten, vor allem der Ermordung des Kriegsministers, die Eskalation maßgeblich vorantrieben, lässt sich von einem Nebeneinander von Gegenrevolution und präventiver Revolution sprechen, wobei beide Seiten glaubten, defensiv zu handeln.

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Am 20. Oktober wurde Wien von Windischgraetz eingeschlossen. Die übermächtige Streitmacht der regulären Truppen siegte faktisch schon am ersten Tag des Bürgerkriegs, doch ein rasch scheiternder Versuch ungarischer Verbände, die Stadt zu befreien, ließ Beschießungen durch Artillerie und

Straßenkämpfe erst nach vier Tagen, am 31. Oktober, enden; schließlich waren über 2000 Tote, meist Zivilisten, zu beklagen. Es folgte eine ebenso grausame wie willkürliche Abrechnung durch die Gegenrevolutionäre, deren spektakulärster Fall – gedacht als Demonstration gegen die Linke im Allgemeinen und die Paulskirche im Besonderen – die „standrechtliche Erschießung“ Robert Blums war, des angeblich „hervorragendsten unter den deutschen Anarchisten“.

Instrumente der Repression

[...] Die Gegenrevolution verfügte im Jahrzehnt der Reaktion zwischen 1849 und 1858 über fünf Instrumente: die Strafverfolgung durch die Justiz, die Gesetzesrestauration, die Geheimpolizei, die politische Manipulation der Landtage und die Säuberung des öffentlichen Dienstes. [...]

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Durchgängig versuchten die deutschen Einzelstaaten und die 1851 wiederhergestellte Deutsche Bundesversammlung in Frankfurt am Main, den „Rechtsboden von 1848“ zu revidieren. Da man als Träger revolutionärer Bestrebungen Parteien, Presse, Parlamente und nationale Propaganda ausgemacht hatte, richteten sich die ersten Repressionsmaßnahmen gegen diese vier Aktionsfelder. Die Bundesversammlung hob in ihren Beschlüssen von 1851 ausdrücklich die Grundrechte von 1848 wieder auf und setzte einen „Reaktionsausschuss“ ein, welcher die Rechtsrestauration in den Einzelstaaten zu überwachen hatte. Je ein besonderer Bundesbeschluss im Jahr 1854 knebelte das Vereinswesen und die Presse. Österreich und Preußen betrieben eine nationale Politik aus der Defensive heraus, indem sie die Bundesversammlung dazu benutzten, letzte Reste an demokratischem und nationalem Widerstand in den Mittel- und Kleinstaaten zu unterdrücken.

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Parallel dazu und oft auf äußere Pressionen der deutschen Großmächte hin erließen die Einzelstaaten Vereinsgesetze, welche die

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Bildung politischer Parteien entweder gänzlich untersagten oder diese an den Ort fesselten, damit überregionale Zusammenschlüsse zu nationalen Dachverbänden unmöglich würden.

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Auf dem Gebiet der „politischen Polizei“, wie es nun häufig in den Akten heißt, entwickelten die größeren deutschen Bundesstaaten in streng geheimer Weise ein Überwachungssystem, das es in dieser Perfektion und Effektivität in Deutschland noch nicht gegeben hatte, nicht einmal während der Napoleonischen Zeit, in der die Geburtsstunde der modernen politischen Polizei liegt. [...]

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Dieses lange Zeit unbekannte System der politischen Polizei, [...] erklärt für sich allein schon, wie in so überraschend kurzer Zeit sämtliche Regungen oppositioneller Art so erstickt werden konnten, [...].

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Es ist eine Paradoxie und entspricht der angedeuteten Zwiespältigkeit der Epoche, dass Deutschland in diesen Jahren massiver, politischer Unterdrückung zugleich den entscheidenden Durchbruch der Industrialisierung und einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte, welcher die Massenauswanderung nach Amerika abflauen ließ und andererseits eine neue – innerdeutsche – Migration aus dem Osten zu den neuen industriellen Standorten im Westen in Gang brachte. [...]

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Wolfram Siemann, „Strategien der Gegenrevolution“, in: Damals spezial 1848, S. 86 ff.

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47 Erfolgreiche Gegenrevolution

Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

Die Lage im gesamten Italien bekamen die Gegenrevolutionäre erst Monate später in den Griff, zumal sich die Gegenseite radikalisierte und vor allem in Rom und Venedig für ihre Freiheit kämpfende Republiken entstanden. Als Reaktionär, der seinem engeren Herrschaftsbereich wieder ein absolutistisches Regiment aufzwang, schritt der König von Neapel-Sardinien voran. Österreich besiegte sodann am 23. März 1849 Piemont-Sardinien bei Novara, was zur Abdankung Karl Alberts zugunsten seines Sohnes Viktor Emanuel II. führte. Im Juli wurden die Römische Republik – zu deren Beseitigung kämpfte nunmehr eine in ideologischer Hinsicht seltsame Koalition von, unter anderen, Österreichern und Franzosen Seite an Seite – und die Republik Venedig niedergerungen, und abermals einen Monat später signalisierte ein österreichischpiemontesischer Friedensschluss das vorläufige Scheitern der italienischen Nationalbewegung; allerdings blieb Piemont-Sardinien analog zu Preußen ein Verfassungsstaat.

Kaiser Franz Josef (um 1850)

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Zu einem weitaus härteren Kampf, in dem Schwarzenberg – wenn auch nach langem Zögern – die kriegsentscheidende militärische Hilfe von Zar Nikolaj I. in Anspruch nahm, entwickelte sich der ab Dezember 1848 wütende Krieg Österreichs gegen Ungarn. Auch Ungarn, das die kurze Spanne seiner faktischen Unabhängigkeit nicht zuletzt zu Rüstungen genutzt hatte und in dem Kossuth während des Krieges quasi wie ein Diktator herrschte, wurde am Ende der Revolutionsphase, im April 1849, noch in eine Republik umgewandelt. Doch schließlich wurde auch deren Gegenwehr sinnlos, und nach der Niederlage der Ungarn am 13. August 1849 mit einer Kapitulation vor den Russen bei Világos rechneten die Sieger in grausamer Form ab.

Staatliche Neuordnung

Nach der Niederschlagung der Demokraten in Wien kam es ungeachtet des Andauerns äußerer Probleme zu einer raschen Entscheidung in der Frage der künftigen Staats- und Regierungsform. Als Schwarzenberg am 21. November Ministerpräsident wurde, erhielt erstmals ein Vertreter jenes „realpolitischen“ Kurses das Amt eines Regierungschefs, der später in der Bismarckzeit vorherrschend werden sollte. Schwarzenberg befürwortete einen zentralistisch-bürokratischen Obrigkeitsstaat, der den „Stämmen“ Gleichberechtigung und dem Volk Staatsbürgerrechte einräumte. An dessen Spitze sollte die Habsburgerdynastie mit einem Kaiser stehen, dessen zentrale Stützen Bürokratie und Armee waren, während allenfalls den Großgrundbesitzern und ähnlich Vermögenden

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eine darüber hinausgehende Teilhabe an der politischen Verantwortung zugedacht war.

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Als Sieger der Gegenrevolution trat Schwarzenberg jedoch, seinen Rivalen Windischgraetz beiseite drängend, zunächst als Reformkonservativer auf, der den Erfordernissen einer nach der Märzrevolution veränderten politischen und gesellschaftlichen Landschaft Tribut zollte. So blieb sein Hauptanliegen zwar die Rekonstruktion eines auf die Habsburgerdynastie gestützten Systems, doch stattete er dieses mit einer Verfassung und einem Parlament aus. ImReichstag, der in die mährische Stadt Kremsier beordert worden war, erntete er am 27. November 1848 enthusiastischen Beifall, als er ausführte: „Wir wollen die konstitutionelle Monarchie aufrichtig und ohne Rückhalt.“

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Kurswechsel unter Kaiser Franz Joseph

Mit der Einsetzung des 18jährigen Kaisers Franz Joseph (1830-1916) am 2. Dezember 1848 erfolgte jedoch eine nicht unwesentliche Kurskorrektur. Für fast sieben Jahrzehnte betrat nämlich ein gewissenhafter und mutiger, dabei nur wenig kreativer Herscher die politische Bühne, der vor allem verinnerlicht hatte, dass er dem Heer sowohl den Fortbestand

der Habsburgermonarchie wie seine Macht verdankte. In seinem Antrittsmanifest

hielt er sich mit seinen eigenen Absichten noch zurück. Doch sehr

bald wurde klar, dass der junge Monarch keinen Wert auf

seine eigene Volkstümlichkeit oder einen konstitutionellen Aufbau des Staates legte, dass er vielmehr als autokratischer Fürst selbst herrschen wollte.

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Franz Joseph kam die uflösung des Kremsierer

eichstags durch Schwarenberg am 4. März 1849

entgegen. Sie erfolgte zum Zeitpunkt, als der Reichstag

sich gerade zur Fertigstellung einer Verfassung anschickte.

Als der Regierungschef zeitgleich eine Verfassung oktroyieren ließ,

bereitete es dem Kaiser und anderen Gegnern eines konstitutionellen Österreichs keine Schwierigkeiten,

die Wahl eines neuen Reichstags zu verhindern. Für Schwarzenberg brachte dies nur Vorteile, konnte er so doch in freier Gestaltung die Konsolidierung der Großmacht Österreich außenpolitisch vorantreiben.

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Schon in den Jahren 1849/50 übernahmen Abso-lutisten im Umfeld des Kaisers Zug um Zug wieder die innenpolitische Führung. Schwarzenberg kapitulierte 1851 vor ihnen. Schon seit längerem schwer erkrankt, starb er im April 1852.

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Ab April 1851 regierte Franz Joseph ohne Abstriche absolutistisch, mit Hilfe „seines“ Reichsrats, besetzt

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mit hohen Angehörigen der Bürokratie. Mit dem Silvesterpatent zum Jahreswechsel 1851/52 wurde schließlich auch die Zusage einer Verfassung rückgängig gemacht. Hiermit war der dramatische Versuch der Jahre 1848 bis 1851, den Vielvölkerstaat zu modernisieren, in einer revolutionären wie in einer gegenrevolutionären Etappe völlig gescheitert. Unangetastet blieb lediglich die sozialpolitische Reform im Agrarbereich von 1848. Auch in Wirtschaft und Handel wurde eine Anpassung an das bürgerliche Zeitalter versucht.

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Die Dynastie richtete erneut und verstärkt ihr Hauptaugenmerk auf die Bewahrung der Integrität der Großmacht, wobei sie versuchte, den Staatsbürgern/Untertanen sowie den Völkern und historisch gewachsenen Einheiten Freiräume zu verschaffen. Als durch die Revolutionszeit bewiesene Staatsdoktrin galt, dass Emanzipationsbestrebungen und Nivellierungsversuche jeder Art die Habsburgermonarchie zwangsläufig in Chaos und Verderben führen mussten. Neu war eine strikte Ausrichtung des Kaisers auf das Militär, die auf die politische Kultur des Landes ausstrahlte. Da sich aber die Nationalitätenprobleme des Vielvölkerstaates in der Folgezeit nicht mehr eindämmen ließen, konnte der absolutistische Staat nach frühneuzeitlichem Muster die angestrebte neue innere Stärke zu keinem Zeitpunkt mehr erreichen.

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Preußen – Bündnis von Militär und Monarchie

Ausgangs- und Endpunkt der Entwicklung in Berlin unterschieden sich erheblich von denen in Wien, doch waren vergleichbare Etappen der Gegenrevolution zu beobachten. In der preußischen Hauptstadt hatte die Märzrevolution den Liberalen die politische Führung gebracht. Drei aufeinander folgende Regierungen unter den Ministerpräsidenten Ludolf Camphausen, Rudolf von Auerswald und Ernst von Pfuel schienen über unangefochtene Autorität zu verfügen. Von der im Mai gewählten Nationalversammlung war zu erwarten, dass sie an ihre Seite trat. Preußen übernahm in den Kämpfen gegen Dänemark und die polnische Nationalbewegung eine wichtige deutschlandpolitische Funktion. Es gewann dadurch an nationalem Renommee, während das weiterhin auf den Monarchen ausgerichtete Heer sein demütigendes Zurückweichen in der Märzrevolution wieder vergessen machen konnte.

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Hiermit gelangten konservative Militärs auch in Preußen in eine günstige Ausgangsposition, um zu einer treibenden gegenrevolutionären Kraft zu werden. Maßgeblich war dabei, dass der König den Gegenrevolutionären Rückendeckung gab und strikt auf seiner persönlichen Kommandogewalt über das Heer beharrte. Immer wieder gab er zu erkennen, dass er im Falle einer preußischen Politik, die von dem Prinzip der Volkssouveränität ausgehe, damit sein Gottesgnadentum missachte und seine Kommandogewalt über das Heer einschränke, entweder abdanken oder das Heer als Machtfaktor einsetzen

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wolle. Diese Situation nutzten als Vertreter der Gegenrevolution im Heer General Friedrich von Wrangel (1784-1877) und Oberstleutnant Karl Gustav von Griesheim (1798-1854).

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General Friedrich von Wrangel (1848)

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Der populistische General Friedrich Graf Wrangel sollte von Friedrich Wilhelm IV. nach seinem prestigeträchtigen Kommando in Schleswig schließlich den Auftrag zur militärischen Einkreisung des „revolutionären“ Berlin erhalten. Sein wichtigster Beitrag zum Gelingen der Gegenrevolution war seine überzeugend gespielte Bürgernähe beim Einrücken in Berlin, die nicht einmal Ansätze eines Widerstandes aufkommen ließ. Die politischen Fäden im Hintergrund zog die „graue Eminenz“ Griesheim, der als Direktor des Allgemeinen Kriegsdepartements das politisch bedeutendste Amt im Kriegsministerium innehatte. Er hing absolutistischen Staatsvorstellungen an und gehörte zu jenen Konservativen, die sich nach der Märzrevolution mit großem publizistischen Einsatz und Erfolg der Öffentlichkeitsarbeit zuwandten, um die Dominanz liberaler und demokratischer Leitvorstellungen zu brechen.

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Durch Militärzeitschriften erreichte er die Soldaten, von denen eine große Zahl in die konservativen Vereine eintrat und sich in ihnen für ein starkes, auf das Heer gestütztes, monarchisches Preußen einsetzte. Vier große Propagandakampagnen, die jeweils in Flugschriften kulminierten und weit über militärische Kreise hinaus wirkten, kamen hinzu. Zunächst gestaltete Griesheim die Wende in der preußischen Politik gegen die polnische Nationalbewegung mit und verhinderte dadurch, dass Preußen in einen unüberbrückbaren Gegensatz zum reaktionären Russland und ins Fahrwasser einer westlich-liberalen Blockpolitik geriet. Der anschließende Kampf gegen den Huldigungserlass (s. a. Seite 29 f.) und das vermeintliche „Schattenreich“ der Paulskirche legte die Basis für die staatliche Selbstbehauptung Preußens. Danach schob er einer demokratischen Kontrolle des Heeres, beispielsweise durch einen Verfassungseid, einen Riegel vor. Schließlich lieferte Griesheim mit der bald gängigen Parole „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“ das Motto zur „Abrechnung“ mit der politischen Linken in Preußen, aber auch im übrigen Deutschland.

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Schwächung der liberalen Regierungen

Da die Regierung Camphausen an der Realisierbarkeit ihres liberalen Programms bei eigener Führungsrolle nicht zweifelte und weiterhin auf eine

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Zusammenarbeit mit dem König setzte, akzeptierte sie Kernbereiche von dessen Haltung und unterließ es, für eine Einbindung des Heeresbereichs in den konstitutionellen Staat zu sorgen. Dies stellte den Auftakt zu einer fatalen Entwicklung dar, in der Friedrich Wilhelm IV., obwohl er nicht handelte, sondern „nur“ überall seine Meinung kundtat und Rücksichtnahmen verlangte, der Regierung subtil Schaden zufügte.

Zunächst aber brachte die Regierung die schon angesprochenen Modernisierungen in Wirtschaft und Handel auf den Weg (s. a. Seite 38). Außerdem suchte sie eine liberale Bürgergesellschaft im Sinne der Märzforderungen in die Tat umzusetzen. So sollte im unruhigen Berlin ein Sicherheitsausschuss, bestehend aus demokratischen und liberalen Vertretern der Justiz und Polizei, die angestrebte neue Rechtssicherheit gewährleisten. Schließlich wurde ein Verfassungsentwurf erstellt, um die Tätigkeit der Nationalversammlung vorzubereiten.

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Angesichts dieser Maßnahmen kam Berlin für eine kurze Zeitspanne zur Ruhe. Doch neue Ungereimtheiten des liberalen Kurses, die aus der Haltung alter Eliten und des Monarchen resultierten, alarmierten nur allzu bald wieder die politische Linke. Bezeichnend war das Wirken des Berliner Sicherheitsausschusses. Der Versuch liberaler und demokratischer Richter, Staatsanwälte und Polizisten, eine rechtsstaatliche und gewaltenteilige Ordnung mit mündigen Staatsbürgern zu praktizieren, wurde von Günstlingen des Königs zum Scheitern gebracht, die ihre Kompetenzen aus der Zeit der alten Untertanengesellschaft nicht preisgeben wollten. Um ein effektives Wirken der liberalen Beamten zu verhindern, halfen sie selbst bei Unruhen nach und dramatisierten diese.

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Die weit über die Frage der inneren Sicherheit in Berlin hinausgehenden Folgen für die liberale Führung waren, dass einerseits die Unterschichten und die demokratischen Verbände den Liberalen die obrigkeitsstaatlichen Übergriffe anlasteten und andererseits das Bürgertum die Sicht der Konservativen übernahm und die Liberalen nicht für fähig ansah, eine neue Ordnung in der Stadt und im Staat zu gewährleisten.

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Da die Regierung unverändert dem König große Rechte einräumte, geriet sie in den Verdacht, Gegenrevolutionären in die Hand zu spielen, während der König sie gleichzeitig als „ernste Narren“ und „so genannte konstitutionelle Minister“ herabsetzen konnte.

Beispielhaft zeigte sich diese Problematik bei der Rückberufung des Prinzen Wilhelm von Preußen aus dem Exil. Als der

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König sich durchsetzte und die Regierung den Beschluss am 11. Mai mittrug, wertete die misstrauische politische Linke dies als Signal für die Vorbereitung einer Gegenrevolution. Neuerliche, nun nicht mehr abreißende Unruhen in der Hauptstadt waren die Folge. Als anschließend der Monarch nicht Willens war, sich zur Eröffnung der preußischen Nationalversammlung am 22. Mai an den Tagungsort dieses Parlaments zu begeben, steigerte die Regierung den Unmut der Linken noch, indem sie willfährig den feierlichen Auftakt der Parlamentsberatungen in die Residenz des Königs, den Weißen Saal des Stadtschlosses, verlegen ließ.

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Prinz Wilhelm von Preußen (später Wilhelm I., r.) kommt als Abgeordneter des Kreises Wirsitz am 8. Juni zur Sitzung der preußischen Nationalversammlung, die über die künftige Verfassung Preußens beraten soll.

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Konflikt zwischen Parlament und König

Nicht zufällig waren damit schon zu Beginn der preußischen Nationalversammlung die grundlegenden Konflikte offengelegt: Für die politische Linke stellten weiterhin die Kapitulation und die Zusagen des Königs vom März das Fundament dar, auf dem ein vom Volk gewähltes und beauftragtes Parlament ein demokratisches Preußen aufbauen sollte. Demgegenüber beanspruchte Friedrich Wilhelm IV. im Bewusstsein seiner unantastbaren Position als König von Gottes Gnaden Mitsprache- und Kontrollrechte, die ein monarchisches Preußen gewährleisten sollten.

Ein Verfassungsentwurf der Regierung, der wiederum einen monarchischen Führungsanspruch vorsah, veranlasste die Nationalversammlung daraufhin am 8. Juni, unterstützt von lebhaften Demonstrationen demokratischer Vereine in Berlin, eindeutig Stellung zu beziehen, indem sie auf dem Prinzip der Volkssouveränität als Grundlage für ihre Verfassungsberatungen beharrte.

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

Dieser frühe Beschluss, der als Antwort auf die demonstrativen Richtungsvorgaben des Königs zu verstehen war, markierte den endgültigen Beginn einer anhaltenden Konfrontation von Parlament und König. Er gab den gegenrevolutionären Kräften des Landes Anlass, die Nationalversammlung als ein Gremium zu diffamieren, das von einer radikalen Linken beherrscht sei und sich durch anmaßendes und unfähiges Verhalten selbst diskreditiere.

Bei näherer Betrachtung verfügte die Berliner Nationalversammlung, die aus einem bemerkenswert demokratischen Wahlverfahren hervorgegangen war, zwar tatsächlich nicht über die geistige Brillanz der Paulskirche. Auch zeigte sich im Vergleich zur Paulskirche insgesamt eine Linksverschiebung des politischen Spektrums, da das Bildungsbürgertum weniger dominierte und auch die untere Mittelschicht vertreten war. Schon ein Blick auf die vier Fraktionen zeigt aber, dass von einer Linkslastigkeit oder Radikalität keine Rede sein konnte. Die konservative Gruppe, zu der Hochkonservative wiederum nicht gehörten, war viel stärker als die des Frankfurter Parlaments. Demgegenüber auffallend schwach vertreten waren die rechten Liberalen, doch stellten sie mit den Konservativen die Majorität des Hauses. Bei den linken Liberalen fiel deren Aufgeschlossenheit für sozialpolitische Maßnahmen auf. Die Demokraten schließlich strebten mehrheitlich nach einer parlamentarischen Monarchie; nur eine kleine Minderheit vertrat strikt republikanische Zielvorstellungen. Auch der Vorwurf, das Parlament sei unfähig gewesen, war verfehlt; sein folgerichtiges und maßvolles Handeln widersprach dem.

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Verfassungsdebatte

Nach dem turbulenten Auftakt zu den Beratungen der preußischen Nationalversammlung versuchte die Regierung, dem Parlament wie dem König gerecht zu werden, indem sie mit Hilfe der beiden rechten Fraktionen einen Formelkompromiss durchsetzte, der Königs- und Volksrechte nebeneinander stellte. Doch schon das erschien dem König wie den Linken unerträglich. Die Erregung auf demokratischer Seite über den Kompromiss bündelte sich mit Streitigkeiten über die Bürgerwehr, die in einen Sturm auf das Berliner Zeughaus am 14. Juni einmündeten. Die Einnahme der preußischen Waffenkammer durch eine aufgebrachte Menge, die eine „allgemeine Volksbewaffnung“ forderte, galt den

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Konservativen als Beweis, dass die „Straße“ Hand in Hand mit linken Parlamentsvertretern eine Anarchie im Land ansteuere. Als die in Bedrängnis geratene Regierung Camphausen dem Parlament riet, sich in militärische „Obhut“ zu begeben, was die Nationalversammlung in einem Misstrauensvotum zurückwies, war ihr Rücktritt besiegelt.

Dessen ungeachtet liefen die Verfassungsberatungen an. In dem rechtsliberalen Verfassungsentwurf der Regierung Camphausen waren alle „Minimalbedingungen“ berücksichtigt, die der König für sein Einschwenken auf einen konstitutionellen Kurs gestellt hatte. Preußen sollte eine konstitutionelle Monarchie werden, in der der Monarch Heer und Bürokratie dominierte. Auch wurde dem König zur Vermeidung eines immer wieder beschworenen „Parlamentsabsolutismus“ ein absolutes Vetorecht gegenüber dem für Gesetze und Budget zuständigen Parlament zugestanden. Eine Erste Kammer, die stark auf besitzende Schichten ausgerichtet war, sollte als gleichberechtigte legislative Körperschaft die Macht der Volksvertretung als Zweite Kammer eingrenzen. Die Nationalversammlung reagierte, indem sie am 26. Juni einen eigenen Verfassungsentwurf vorlegte und zur Grundlage der Beratungen machte. Diese neue Vorlage entsprach dem auf einen parlamentarischen Konstitutionalismus ausgerichteten Bestreben der Paulskirche.

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Am 14. Juni stürmte eine aufgebrachte Menge das Zeughaus in Berlin und forderte eine „allgemeine Volksbewaffnung“. Konservative Kräfte profitierten in der Folgezeit von der Furcht des Bürgertums vor Anarchie.

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Kampf um das Heer

Ansätze zu einer geradlinigen Arbeit an der Verfassung endeten bereits einen Monat später, als Gegenrevolutionäre am 31. Juli in der Festung

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51 Erfolgreiche Gegenrevolution

Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

Schweidnitz in einem Konflikt zwischen Bürgerwehr und stehendem Heer zur Herstellung der Ordnung 14 Bürger niederschossen. Daraufhin forderte das Parlament am 7. September, unterstützt durch die demokratischen Gruppen der Berliner Öffentlichkeit, von der Regierung nicht nur die Bestrafung der Schuldigen, sondern auch die Armee von reaktionären Kräften zu säubern. Erklärtes Ziel war eine nunmehr als elementar wichtig erachtete Einbindung des Heeres in den Verfassungsstaat. Da die Regierung Auerswald das gegenüber der Krone nicht durchsetzen konnte, trat sie am folgenden Tage zurück.

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Gedrängt von der gegenrevolutionären Kamarilla, griff Friedrich Wilhelm IV. nun wieder unmittelbar lenkend in die Staatsgeschäfte ein. Am 11./13. September wurden durch einen geheimen „Revolutionsfahrplan“ und durch Personalentscheidungen die Weichen für die Gegenrevolution gestellt. Diese Absichten des Königs wurden im Verlauf der kommenden Ereignisse fast generalstabsmäßig vollzogen, obwohl er zwischendurch häufig Meinungswechseln unterlag und andere Vorstellungen verwirklichen wollte: Zur Vermeidung größerer Kämpfe war ein Vorgehen in Etappen vorgesehen. Eingangs sollte eine gegenrevolutionäre Kampfregierung gebildet werden, dann war die Nationalversammlung zu vertagen und in die Provinz zu verlegen, schließlich sollte das Parlament mittels Staatsstreich aufgelöst und eine Verfassung von oben befohlen werden.

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Neuer Ministerpräsident wurde zunächst der populäre, reformfreundliche und an fortbestehende Vermittlungsmöglichkeiten glaubende General Ernst von Pfuel, der den Säuberungsbe

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schluss des Parlaments unterstützte und die Gefahr einer Gegenrevolution eindämmen wollte. Zwischen dem Parlament, das ein weiteres Lavieren nicht mehr hinnehmen wollte, und dem König mit seinen hochkonservativen Helfern sah er sich schon bald vor unlösbare Aufgaben gestellt.

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Als entscheidender machtpolitischer Schachzug erwies sich die Einsetzung Wrangels als Befehlshaber einer bald 50 000 und schließlich 80000 Mann umfassenden Truppe im Raum Berlin mit dem Ziel der Wiederherstellung der „öffentlichen Ruhe“. Diese militärische Übermacht musste als Bedrohung der konstitutionellen Regierung sowie der Liberalen und Demokraten innerhalb und außerhalb des Parlaments angesehen werden und nach dem Kalkül der Konservativen in Preußen verstärkte Unruhen in der Hauptstadt provozieren.

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Ende Oktober 1848 ersetzte Friedrich Wilhelm von Preußen den Ministerpräsidenten Ernst von Pfuel durch seinen Onkel Friedrich Wilhelm Graf von Brandenburg. Anlass für ein kritisches Flugblatt.

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Unruhen in Berlin

Einen Monat später war diese Rechnung voll aufgegangen. Auch in Berlin spürte man die in der Frankfurter Septemberkrise deutlich gewordene allgemeine Radikalisierung der Linken. Doch wie in Frankfurt und zeitgleich in Wien erwuchs sie aus Befürchtungen, die Gegenrevolutionäre könnten bei den anstehenden Grundsatzentscheidungen die Oberhand behalten.

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Vor diesem Hintergrund versuchte die preußische Nationalversammlung, den Gegenrevolutionären auf gesetzgeberischem Wege und damit in ihrem eigentlichen Kompetenzbereich entgegenzuwirken. Mittels verschiedener Einzelgesetze sollte Preußen

unaufhebbar demokratisiert werden. Für den König waren bald wieder die Grenzen des ihm erträglich Erscheinenden überschritten. Als die Nationalversammlung am 12. Oktober „sein“ Gottesgnadentum abzuschaffen suchte, forderte er Pfuel auf, in Berlin den Belagerungszustand auszurufen, und als dieser sich weigerte, wurde er nur noch geschäftsführend im Amt belassen.

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Die Unruhen in Berlin rissen nun nicht mehr ab: Ein am 13. Oktober verabschiedetes Gesetz, das aus der Bürgerwehr eine staatliche Einrichtung machte, stieß auf heftigen Widerstand der

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52 Revolution von 1848

Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

Demokraten, die um ihren letzten militärischen Rückhalt bei den bislang frei gewachsenen Volksverbänden fürchteten. Arbeiterunruhen, die niedergeschlagen wurden, waren die Folge. Die nächsten Turbulenzen wurden ausschließlich von außen in die Stadt hineingetragen.

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Vor allem die sich dramatisch zuspitzende Lage in Wien führte zu einer Solidarisierung der Berliner Demokraten mit ihren bedrängten Gesinnungsgenossen. Der Ruf aus ihren Reihen nach einer „zweiten Revolution“, vorgetragen vor allem auf dem zweiten Demokratenkongress, ermöglichte es den Gegenrevolutionären, ihre Eingreifpläne als dringliche Notstandsmaßnahme hinzustellen. In gleicher Weise wurde der chancenlose Versuch linker Abgeordneter verschiedener Parlamente gewertet, in Berlin ein „Gegenparlament“ zu gründen. Die Unruhen in der Stadt erreichten am 31. Oktober ihren Höhepunkt, als sich die Mehrheit der Nationalversammlung gegen eine direkte Unterstützung des belagerten Wien aussprach.

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Im gleichen Monat schlossen sich König, Kamarilla, Heer und konservative Verbände auch nach außen zu einer Front zusammen und erreichten eine massive politische Mobilisierung. Angesichts drohender Eingriffe in ihnen unveräußerlich erscheinende Rechte des Monarchen und der wachsenden Unruhen in Berlin wurde zum Widerstand und Kampf für den König aufgerufen, der als „Gefangener“ von Parlament und Regierung hingestellt wurde. Diese Kampagne überzeugte bei nun massiver Unterstützung durch die protestantische Kirche nicht nur die Landbevölkerung, sondern

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auch das Berliner Bürgertum bis in kleinbürgerliche Kreise hinein. Die konservative Sammlungspolitik hatte zum Erfolg geführt, die Liberalen und Demokraten Berlins waren in eine aussichtslose Lage gedrängt.

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Entwaffnung der Berliner Bürgerwehr auf dem Gendarmenmarkt durch Truppen unter General von Wrangel

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Konservativer Staatsstreich Der König nutzte die sich bietende Chance und setzte am 1. November – zeitgleich mit der Etablierung Schwarzenbergs als Ministerpräsident in Wien – ein gegenrevolutionäres Kampfkabinett unter seinem Onkel Friedrich Wilhelm Graf von Brandenburg (1792-1850) ein. Dieser vertagte am 9. November die Nationalversammlung und verlegte sie in die Stadt Brandenburg. Als sich das Parlament widersetzte, marschierte General von Wrangel in Berlin ein und verhängte den Belagerungszustand, der auch nach vollzogenem Machtwechsel nicht aufgehoben wurde und den weiteren Kurs der Regierung Brandenburg absicherte. Das Parlament versuchte vergeblich, Widerstand zu leisten, die Vermittlungsbemühungen der Reichsregierung und des Paulskirchenparlaments blieben wirkungslos. Am 5. Dezember folgten die Auflösung der Nationalversammlung und der Erlass einer Verfassung.

In Preußen war damit die Gegenrevolution in Form eines Staatsstreichs vollzogen worden. Weder die Linke in der Nationalversammlung noch die demokratischen Vereine hatten gegen das militärgestützte Vorgehen des Königs Vorkehrungen

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53 Erfolgreiche Gegenrevolution

Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

getroffen. Sie wurden von seinem etappenweisen und legalistischen Vorgehen, das stets einen Notstand für seine Maßnahmen vorzuschützen wusste, überrumpelt und verzichteten schließlich ganz anders als in Wien auf einen Verzweiflungsakt. So hatten die Schachzüge gegenrevolutionärer Militärs, die Sammlungspolitik der Hochkonservativen und Friedrich Wilhelm IV. mit seiner obstruktiven Verweigerungshaltung die allzu kooperationsbereiten Regierungen entmachtet und die preußische Nationalversammlung zum Staatsfeind gestempelt.

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Mit dem Staatsstreich setzten auch in Preußen Richtungskämpfe innerhalb des konservativen Lagers ein. Absolutisten und Anhänger eines christlichen Ständestaats verloren trotz ihres Rückhalts beim König zunächst zusehends an Macht. Tonangebend wurde hingegen das neue Ministerium, dessen Kurs weitgehend von Brandenburg bestimmt wurde. Dieser setzte, obwohl Friedrich Wilhelm IV. wieder die Zeit für eine Verwirklichung seiner Weltanschauung für gekommen hielt, in Preußen die Verordnung einer Verfassung durch und sorgte dafür, dass das Königreich unumkehrbar zum Verfassungsstaat wurde.

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Heer

Herrenhaus

Übereinstimmungbei derGesetzgebung

Wahlberechtigt:Männl.Bevölkerung

über 25 Jahre

Die Verfassung Preußens von 1849/1850

Ministerpräsident/Staatsministerium(=Regierung)

Gerichte Abgeordnetenhaus

König

BerufungAuflösung

Berufung auf Lebenszeit ab 1853Ernennung

Ernennungauf Lebenszeit

1 AbgeordneterDreiklassenwahlrecht:

(ungleich-öffentlich-mündlich)

16 Wahlmänner 16 Wahlmänner16 Wahlmänner(pro Klasse gleiche Anzahl)

I.Klasse II. Klasse III. KlasseWahlbezirk:Steueraufkommen

ErnennungEntlassung

Verwaltung

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1998

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Oktroyierte Verfassung

In auffälliger Analogie zu Schwarzenberg war Friedrich Wilhelm von Brandenburg eigentlich hochkonservativ, doch stellte er die seit der März-

revolution veränderte politische Welt in Rechnung und handelte als Realpolitiker und Reformkonservativer. Der Ministerpräsident dachte an einen Ausgleich mit dem Bürgertum, dem er eine Art politischer Juniorpartnerschaft anbot, und konnte das Besitzbürgertum wie auch kleinbürgerliche und bäuerliche Kreise mit beachtlichem Erfolg davon überzeugen, dass „Ruhe und Ordnung“ nicht zuletzt in ihrem eigenen Interesse und zur Sicherung der Eigentumsordnung wiederhergestellt wurden.

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Preußen sollte sich nach seinem Wunsch mit einem starken König und gesicherten konservativen Strukturen als gewaltenteiliger Verfassungsstaat verfestigen und als solcher das künftige Deutschland prägen. Eine Rückkehr zum Absolutismus oder zu einem Ständestaat verwarf er, schon weil im übrigen Deutschland nach dem Wirken der Paulskirche hierfür keine hinreichende Unterstützung zu gewinnen war. Der Ministerpräsident hielt diesen Kurs mit seiner Regierung, bestehend aus hohen Beamten, Militärs und Vertretern des Wirtschaftsbürgertums, bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1850 durch.

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Die auf ihn zurückgehende Verfassung vom Dezember 1848, die auf der „linken“ Verfassungsvorlage der Nationalversammlung, nicht auf der der Regierung Camphausen beruhte, trug den zentralen Forderungen des Königs mit etwa 40 Änderungen Rechnung. Entscheidend gestärkt wurde die monarchische Position dadurch, dass dem König ein Einspruchsrecht in Gesetzgebungsfra

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54 Revolution von 1848

Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

gen und ein Notverordnungsrecht zugestanden wurden. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass Preußen über die Gegenrevolution hinaus eine konstitutionelle Monarchie blieb. Seine neue Verfassung, die Gewaltenteilung, Zweikammersystem, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte gewährleistete, entsprach in erstaunlichem Maße jenen Vorstellungen, mit denen rechte Liberale Anfang 1848, vor dem Schwenk von Vorparlament und Paulskirche hin zum Parlamentarismus, angetreten waren; von den Demokraten war sogar das gleiche Wahlrecht für das Volkshaus übernommen.

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Eine in den Verfassungstext eingebaute Revisionsklausel ließ den König und die Hochkonservativen allerdings auf baldige Veränderungen hoffen. Sie sahen in der Verfassung ein Provisorium

mit dem alleinigen Sinn, einen Aufstand der Linken zu verhindern. Dementsprechend führten sie bei der Umsetzung der Ver

fassungsnormen in eine Verfassungswirklichkeit ihre Politik des hinhaltenden Widerstands und der Obstruktion aus der Zeit liberaler Regierungen fort. Eine enge Eingrenzung der Wirkungsmöglichkeiten des Parlaments und ein Austrocknen der ohnehin durch Gesetzesvorbehalte eingeschränkten Grundrechte waren in der Folgezeit zu beobachten.

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Dennoch vermochte es der König nicht, der Verfassungsentwicklung Preußens in der Phase 1849/50 allein seinen Stempel aufzudrücken. Das Land sah zwar einen zweiten, für den weiteren Verlauf der preußisch-deutschen Geschichte wichtigen Staatsstreich: Im Mai 1849 wurde das allgemeine Wahlrecht durch das bis 1918 beibe-

haltene Dreiklassenwahlrecht ersetzt. Im übrigen behauptete Brandenburg aber die politische Führungsrolle seiner Regierung.Unter seinem massiven Druck leistete der bis zuletzt heftig widerstrebende König am 6. Februar 1850 den Verfassungseid. Dies kommentierte der Liberale Camphausen mit den Worten: „Der Vogel sitzt im Käfig, und das ist die Hauptsache.“

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Im März folgten in Ergänzung zu den Wirtschaftsreformgesetzen Maßnahmen, die eine Aussöhnung der bäuerlichen Bevölkerung mit dem konservativen Staat in Gang setzten: Die Bauernbefreiung fand eine abschließende Regelung, indem noch bestehende Lasten durch finanzielle Leistungen abgegolten werden konnten. Als Gegenleistung für den widerstrebenden Landadel wurden allerdings dessen lokale Herrschaftsfunktionen erneut bestätigt.

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Damit war Preußen zu einem zumindest dem Verfassungstext nach weit moderneren Staat als Österreich geworden. Allerdings stützte sich die neue Staatsform ganz wesentlich auf das nun konservativ ausgerichtete Militär, das sich als Zentrum des Staates ansah.

Ebenfalls bedeutsam blieben die Mobilisierung des konservativen Lagers und, seit dem Revolutionsjahr, ein verstärkter, durch die Protestanten Preußens christlich geprägter Royalismus in großen Teilen der Bevölkerung. Die Demokraten blieben auch in Preußen mit großer Langzeitwirkung besiegt. Die Liberalen aber hatten, ungeachtet ihrer Abdrängung aus der Politik, die Genugtuung, dass „ihre“ Staatsform zumindest als verfassungsmäßig festgeschrieben war. Schon bald zeigte ihr neuerliches Streben nach politischer Mitbestimmung und nach freiheitlichen Grundrechten, dass sie dies als Wechsel auf die Zukunft betrachteten.

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Dreiklassenwahlrecht

Der auf Grund der Verordnung vom 30. Mai 1849 gewählte preußische Landtag wurde von der Regierung aufgefordert, nachträglich die Einführung des Dreiklassenwahlrechts zu billigen. Die folgende Denkschrift vom 12. August begründete den Antrag, dem die Mehrheit des Landtags am 13. Dezember 1849 zustimmte.

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Die Kräfte der Staatsbürger, auf deren harmonischer Zusammenwirkung das Bestehen und Gedeihen der Gesellschaft wesentlich beruht, sind teils physischer oder materieller, teils geistiger Art. Unter den materiellen nimmt die Steuerkraft eine vorzügliche Stellung ein. Sie gibt den allgemeinsten Maßstab der individuellen Leistungen für das Gemeinwesen ab. Es liegt daher auch nahe, nach dem Verhältnis der Besteuerung das Stimmrecht zu regeln, indem man damit der Forderung „gleiche Pflichten, gleiche Rechte“ zu genügen strebt [...].

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Dessenungeachtet kann dieser Maßstab an und für sich nur als ein sehr unbefriedigender betrachtet werden. Dennoch ist von der Verteilung des Stimmrechtes nach der Besteuerung ein richtiges Resultat zu erwarten, weil die Verhältnisse im großen und ganzen so gestaltet sind, wie in den ärmeren Mitgliedern der Staatsgesellschaft die größere Summe der physischen, so in den reicheren das höhere Maß der geistigen Kräfte zu liegen pflegt, und somit dasje

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nige Gewicht, welches man anscheinend dem materiellen Vermögen beilegt, – in der Tat der höheren Intelligenz zu gute kommt. Daß außerdem die Größe des Besitzes mehr oder weniger für das Interesse an dem diesen Besitz schützenden Staatsorganismus maßgebend ist, bedarf einer weiteren Ausführung nicht.

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[...] Wenn man sich hierbei zu der Dreiteilung entschlossen hat, so beruht dies [...] wesentlich auf der Erfahrung, daß sich in der Regel überall drei Hauptschichten der Bevölkerung nach dem Maße des Vermögens unterscheiden lassen, deren Angehörige auch in den übrigen Verhältnissen am meisten miteinander gemein zu haben pflegen.Nachdem das Prinzip der Öffentlichkeit und Mündlichkeit in den Verhandlungen über öffentliche Angelegenheiten mehr und mehr in den übrigen Zweigen des Staatslebens zur Geltung gekommen war, haben sehr viele achtbare Stimmen sich dafür erhoben, dasselbe auch bei den Wahlen einzuführen. [...] Einem freien Volke ist nichts so unentbehrlich als der persönliche Mut des Mannes, seine Überzeugung offen auszusprechen. Auf keinem anderen Wege werden die Parteien sich besser kennen, achten und verständigen lernen.

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Wolfgang Lautemann/Manfred Schlenke (Hg.), Geschichte in Quellen. Das bürgerliche Zeitalter 1815–1914, München 1980, S. 239 f.

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Preußens neues modernisier-tes Staatswesen stützte sich

wesentlich auf das Militär.

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

Scheitern eines TraumesGünter Wollstein

Gegen die militärgestützten Großmächte haben weder die Nationalversammlung noch die europäischen Freiheitsbewegungen eine Chance. Doch auch für die Sieger sind die Zustände der Restaurationszeit nicht wieder herstellbar. Langfristig werden die Leitideen der 1848er realisiert.

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In der nationalen Frage war die Paulskirche im Sommer 1848 keinen Schritt weiter gekommen.

Ungeachtet aller Konflikte wurde an dem ambitionierten Projekt des Vorparlaments festgehalten, ein Deutsches Reich in großdeutschen Konturen zu schaffen. Unmittelbar vor Ausbruch der Gegenrevolution begann die Paulskirche schließlich mit der Beratung der eigentlichen Verfassungsbestimmungen, die Deutschlands Grenzen und äußeren Status festschreiben sollten.

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In einer sich über vier Tage erstreckenden deutschlandpolitischen Debatte vom 20. bis 27. Oktober beschäftigte man sich vor allem mit der problematischen Einbindung Österreichs. Eine erste Lesung der entsprechenden Verfassungsparagraphen endete mit dem erwarteten, von einer beeindruckenden Mehrheit getragenen Beschluss, dass das Territorium des Deutschen Reiches auf dem des Deutschen Bundes fußen solle, während weitere nicht-deutsche Länder – gedacht war an die nicht zum Deutschen Bund gehörenden Teile Österreichs – nur durch ein gemeinsames Staatsoberhaupt „in reiner Personalunion“ mit Deutschland verbunden sein durften.

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Die leidenschaftlichen und kontroversen Debatten der Paulskirche reizten die Kari-katuristen zur Überzeichnung: „Der Radicale, der Liberale und der Conservative“.

Ringen um Deutschlands Grenzen

Vom bisherigen Widerstand der österreichischen Führung gegen eine Teilung der Habsburgermonarchie ausgehend, betrachtete die Paulskirche diesen Beschluss als „Frage an Österreich“. Man hoffte, Wien davon überzeugen zu können, dass ein „großdeutscher“ Staat mit einem Habsburger Kaiser an der Spitze in dessen eigenem Interesse liege. Die Alternative, ein „kleindeutscher Staat“ unter preußischer Führung, wurde in der Debatte nicht einmal erwähnt, obwohl es in der Paulskirche bereits Politiker gab, die nicht mehr an die Möglichkeit einer Teilung Österreichs glaubten und daher die kleindeutsche Lösung anstrebten.

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Nicht vorhersehbar war, dass die „Antworten“ aus Wien und alsbald auch aus Berlin schon von den neuen gegenrevolutionären Regierungen kommen würden. In Österreich stellte die Ermordung des Paulskirchenabgeordneten Blum am 9. November eine Richtungsvorgabe dar. In seiner Regierungserklärung vom 27. November vor dem Reichstag in Kremsier ließ der neue Ministerpräsident Schwar

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zenberg sein ausdrückliches Nein zur „Anfrage“ der Paulskirche folgen: „Nicht in dem Zerreißen der Monarchie liegt die Größe, nicht in ihrer Schwächung die Kräftigung Deutschlands. Österreichs Fortbestand in staatlicher Einheit ist ein deutsches wie ein europäisches Bedürfnis.“

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Den Ausführungen des Ministerpräsidenten waren allerdings weder die Absicht eines Rückzugs der Habsburgermonarchie aus ihren deutschen Positionen noch eine endgültige Frontstellung gegen die Paulskirche zu entnehmen. Denkbar blieb, dass Schwarzenberg ein Kleindeutschland akzeptierte, das sich mit der Habsburgermonarchie in bestimmten Bereichen wie der Außen- und Sicherheitspolitik auf dem Wege von Staatsverträgen zusammenfinden würde. In der Paulskirche wurde dies als Hinweis verstanden, dass fortan auf die kleindeutsche Variante zu setzen sei. Das führte am 15. Dezember zum Rücktritt des großdeutsch orientierten Ministerpräsidenten Schmerling.

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Zug um Zug entwickelte daraufhin der österreichische Ministerpräsident jedoch einen Gegenentwurf zu den Plänen der Paulskirche, eine „mitteleuropäische Lösung“, bei der die gesamte Habsburgermonarchie mit Deutschland zu einem „70-Millionen-Reich“ zusammengefasst werden sollte.

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Möglicherweise war Schwarzenberg dabei von ausschließlich taktischen Erwägungen geleitet: Mit diesem Vorschlag konnte er alle anderen deutschlandpolitischen Lösungen scheitern lassen, um dann die dritte Variante ins Spiel zu bringen, die später Realität werden sollte, nämlich eine Rückkehr zu den

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für Österreich nicht ungünstigen Verhältnissen des Deutschen Bundes. Für diese Auffassung spricht, dass ein mitteleuropäisches Reich das Gleichgewicht Europas sprengen musste und das Veto der übrigen Mächte programmierte. Doch die außenund sicherheitspolitischen Interessen der Habsburgermonarchie, dazu handels- und wirtschaftspolitische Bestrebungen, die sich vor allem gegen die Barrieren des Deutschen Zollvereins richteten, wiesen andererseits durchaus in Richtung eines solchen Großprojektes.

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Auch Preußen beantwortete die „Frage“ der Paulskirche nicht durchweg zustimmend, doch kam die Regierung Brandenburg dem deutschen Parlament viel weiter entgegen. Der Ministerpräsident versuchte die Abgeordneten davon zu überzeugen, dass der Staatsstreich in Preußen eine unumgängliche Konsequenz aus einem Staatsnotstand gewesen sei. Des weiteren legte er dar, dass die Verordnung einer Verfassung für Preußen als Richtungsvorgabe für eine Vereinbarung mit der Paulskirche

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anzusehen sei, die einen deutschen Verfassungsstaat herstellte. Das reformkonservative Preußen, in dem bei Beibehaltung traditioneller sozialer Strukturen ein starker König Administrative und Heer beherrschte, sollte Kern des künftigen Deutschlands sein. Zur Empörung Schwarzenbergs bot Brandenburg Österreich in einer Zirkularnote vom 23. Januar 1849 schließlich nur einen weiteren Bund mit diesem großpreußisch geprägten Kleindeutschland an.

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Groß- oder Kleindeutschland?Aus den Debatten der Paulskirche

18. Dezember 1848[...] Der Abgeordnete Venedey aus Köln: Wir sind hierher gekommen, meine Herren, um Deutschland’s Einheit zu constituiren, und man schlägt uns hier vor, einen Theil Deutschland’s aus Deutschland hinauszuwerfen. (Stürmisches Bravo und Händeklatschen auf der Linken.) [...]. Die deutsche Nation, meine Herren, hat schon genug gelitten, jetzt endlich ist sie aufgestanden, und hat uns hierher gesandt, Deutschland zu constituiren, und man will uns einen Theil Deutschland’s feil machen. Ich bin hierher gekommen in die Paulskirche, fest entschlossen, mit der Paulskirche zu stehen, oder zu fallen. Aber nicht einen Augenblick länger will ich hier sitzen, wenn Oesterreich nicht dabei ist. (Stürmisches Bravo auf der linken Seite des Hauses.) [...]

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Der Abgeordnete Moritz Mohl aus Stuttgart:[...] Wir sind 40 Millionen Deutsche; wir haben diese zerbröckelten kleinen Nationalitäten nicht zu fürchten. Es sind vielleicht fünf Millionen Czechen; es sind nicht fünf Millionen Magyaren, noch viel weniger Croaten, noch viel weniger Walachen u. s. w. Alle diese Nationen können der deutschen Nationalität nicht nachtheilig werden; aber es ist von der allergrößten Wichtigkeit, daß sie mit uns zusammen sind, daß sie mit Deutschland ein Reich von 70 Millionen Menschen bilden. Meine Herren! Ich frage Sie, wenn der Kaiser von Oesterreich Kaiser von Deutschland wird, wenn diese 70 Millionen Menschen vertreten sind in einem deutschen Parlament, welche Macht in Europa, selbst Rußland mit seinen 66 Millionen, oder Frankreich mit seinen 36 Millionen, welche Macht in Europa wird mächtig genug sein, um gegen dieses große Reich anzugehen? [...]

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13. Januar 1849 Der Abgeordnete Beseler aus Greifswald:[...] Oesterreich will die Gesammtmonarchie, wir wollten das wissen, und das ist genügend für uns. Will es aber die Gesammtmonarchie, so kann es die deutschen Provinzen aus der Gesammtmonarchie nicht entlassen, und sie dem deutschen Bundesstaate einreihen. Es kann nicht Jemand zweien Herren dienen. Wenn hier eine souveräne Gewalt ist, und dort, da kann man nicht beiden zugleich unterworfen sein. Eben so wenig kann Deutschland zugeben, dass

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die deutsche Politik getheilt werde, und daß hier Oesterreich und hier Deutschland herrsche. Entweder, oder! [...] Wir werden nicht weinen, wie die Weiber, aber (Gelächter auf der Linken) mit einem männlichen ehrlichen Händedruck, wenn wir unsere Freunde aus Oesterreich scheiden sehen sollten, würden wir scheiden, und wir würden eine aufrichtige, männliche Liebe für die Oesterreicher behalten. [...]12. März 1849 Dringlicher Antrag des Abgeordneten Welcker:Die deutsche verfassunggebende Nationalversammlung, in Erwägung der dringlichen Lage der vaterländischen Verhältnisse, beschließt:

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1) Angesichts der wiederholten öffentlichen Nachrichten von fremder Einsprache gegen die von der deutschen Nation zu beschließende Verfassung [...]

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3) Die in der Verfassung festgestellte erbliche Kaiserwürde wird Sr. Majestät dem König von Preußen übertragen. (Große Sensation.)4) Die sämmtlichen deutschen Fürsten werden eingeladen, großherzig und patriotisch mit diesem Beschlusse übereinzustimmen, und seine Verwirklichung nach Kräften zu fördern [...]

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6)Se. Majestät der Kaiser von Oesterreich, als Fürst der deutsch-österreichischen Lande, und die sämmtlichen Bruderstämme in diesen Landen, einzeln und vereint, sind zum Eintritt in den deutschen Bundesstaat und seine Verfasssung jetzt und zu aller Zeit eingeladen und aufgefordert.

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7)Die deutsche Nationalversammlung legt gegen ein etwa von der Regierung der deutsch-österreichen Lande; oder von diesen Landen selbst beanspruchtes Recht, von dem deutschen Vaterlande, und aus der von seinem Gesammtwillen beschlossenen Verfassung auszuscheiden, für alle Zeiten feierlichen Widerspruch ein.8)Sie ist aber bereit, solange einer definitiven Verwirklichung des völligen Eintritts der deutsch-österreichischen Lande in die deutsche Reichsverfassung noch Schwierigkeiten im Wege stehen sollten, die bestehenden nationalen brüderlichen Verhältnisse, jedoch unbeschadet der Selbständigkeit der deutschen Reichsverfassung, zu erhalten. [...]

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Hagen Schulze, Der Weg zum Nationalstaat, 4. Aufl., München 1994, S. 157 ff.

Die Volksvertreter in der Paulskirche beharrten in dieser Situation wie auch später auf ihrem Anspruch, das neue Deutschland gemäß dem Prinzip der „Souveränität der Nation“ nach eigenem Wissen und Gewissen zu gestalten. Durch den beschleunigten Abschluss der Grundrechtsberatungen und der Verfassungsbestimmungen über den Staatsaufbau suchten sie Herren der Lage zu bleiben und gleichzeitig auf die „Antworten“ aus Österreich und Preußen zu reagieren.

Die Richtung gab am 18. Dezember der neue Ministerpräsident Gagern vor, indem er einen „Dop

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57Scheitern eines Traumes

Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

pelbund“ vorschlug. Danach sollte die Nationalversammlung einen engeren deutschen Bundesstaat ohne Beteiligung Österreichs schaffen, dessen späterer Regierung die Aufgabe zufiel, mit der Österreichs einen weiteren Bund zu schließen. Doch erst nach einer ultimativen Gegenforderung Schwarzenbergs vom 9. März, die am gleichen Tage mit einer eigenen Verfassung ausgestattete Habsburgermonarchie zum Mittelpunkt des neuen Gesamtstaates zu machen, fand sich die Paulskirche zu einer Konsensentscheidung für die erste Stufe von Gagerns Plan bereit.

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Die Delegation der Frankfurter Nationalversammlung unter Eduard Simson am 3. April 1849 vor König Friedrich Wilhelm IV. in Berlin

Angebot der Kaiserwürde

Das Ergebnis war die Konstruktion eines Kleindeutschlands, das durch seine starke parlamentarische Komponente und durch die geforderte Unterordnung Preußens unter liberale gesamtdeutsche Strukturen mit dem Modell Brandenburgs erheblich kontrastierte. Preußen sollte in Deutschland aufgehen, nicht umgekehrt. Für diesen Preis wurde das erhebliche Risiko eingegangen, Friedrich Wilhelm IV. zum erblichen Kaiser zu wählen.

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Schwarzenberg, durch den Kampf gegen die Ungarn noch bis August 1849 militärisch gebunden, fürchtete, zwei entscheidungsreife kleindeutsche Projekte würden eine – wie er es formulierte – „Vertreibung“ der Habsburgermonarchie aus Deutschland nach sich ziehen und ihre traditionelle Stellung in Deutschland und Europa gefährden. Folglich verlegte er sich auf eine Blockadepolitik und berief die österreichischen Abgeordneten aus Frankfurt ab.

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Dennoch war Schwarzenberg ins Abseits gedrängt. Die folgenden Wochen standen ganz im Zeichen eines duellartigen Ringens zwischen der deutschen Nationalversammlung und Preußen. Für die Paulskirche ging es um Erfolg oder Scheitern, um die Tragfähigkeit ihrer Strategie, musste sich nun doch zeigen, ob eine hinreichend starke Öffentlichkeit hinter ihr stand.

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Die direkte Konfrontation begann am 3. April, als eine „Kaiserdeputation“ der Paulskirche unter ihrem Präsidenten Eduard Simson dem Preußenkönig feierlich die Kaiserkrone anbot, und endete am 28. April 1849 mit der Zurückweisung dieses Angebots durch Friedrich Wilhelm IV.

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In dieser Zeitspanne fiel dem preußischen König wieder eine Schlüsselrolle zu. Eigenmächtigkeiten von seiner Seite waren zu erwarten, da mit einer Annahme der Kaiserkrone seine Unterordnung unter die Ziele der von ihm als Reichsfeinde eingestuften Parlamentarier der Paulskirche drohte.

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Als die Entscheidungen der Paulskirche vom 27./28. März 1849 bekannt wurden, entwickelte sich innerhalb der preußischen Führung ein Tauziehen mit zunächst offenem Ausgang. Bei Erscheinen der Frankfurter Abordnung schmähte der König intern die Kaiserkrone als einen „Reif aus Dreck und Letten“ und wollte sich der Volkssouveränität um keinen Preis beugen, während die Mehrheit der preußischen Regierung unter dem Druck der Öffentlichkeit zum Nachgeben tendierte.

Angebot und Ablehnung der Kaiserkrone

Ansprache des Präsidenten der Nationalversammlung und Leiters der Kaiserdeputation, Eduard Simson, beim Empfang durch den König im königlichen Schlosse zu Berlin am 3. April 1849Die verfassunggebende deutsche Reichsversammlung, im Frühling des vergangenen Jahres durch den übereinstimmenden Willen der Fürsten und Volksstämme Deutschlands berufen, das Werk der deutschen Verfassung zu Stande zu bringen, hat am Mittwoch, den 28. März des Jahres 1849, nach Verkündigung der in zweimaliger Lesung beschlossenen deutschen Reichsverfassung die in derselben begründete erbliche Kaiserwürde auf Seine königliche Majestät von Preußen übertragen. [...] Sie hat endlich den Beschluß gefaßt, den erwählten Kaiser durch eine Deputation aus ihrer Mitte ehrfurchtsvoll einzuladen, die auf Ihn gefallene Wahl auf Grundlage der Verfassung annehmen zu wollen. In der Vollziehung dieses Auftrages stehen vor Euerer königlichen Majestät der Präsident der Reichsversammlung und zwei und dreißig ihrer Mitglieder in der ehrfurchtsvollen Zuversicht, daß Euere Majestät geruhen werden, die begeisterten Erwartungen des Vaterlandes, welches Euer Ma

jestät als den Schirm und Schutz seiner Einheit, Freiheit und Macht zum Oberhaupt des Reiches erkoren hat, durch einen gesegneten Entschluß zu glücklicher Erfüllung zu führen.Aus einem Brief Friedrich Wilhelms IV. vom 23. Dezember 1848 an Joseph von Radowitz, Abgeordneter der Nationalversammlung[...] Jeder deutsche Edelmann, der ein Kreuz oder einen Strich im Wappen führt, ist hundertmal zu gut dazu, um solch ein Diadem! aus Dreck und Letten der Revolution, des Treubruchs und des Hochverrats geschmiedet, anzunehmen. Die alte, legitime, seit 1806 ruhende Krone deutscher Nation, das Diadem von Gottes Gnaden, das den, der es trägt, zur höchsten Obrigkeit Deutschlands macht, der man Gehorsam schuldet um des Gewissens willen, das kann man annehmen, wenn man in sich die Kraft dazu fühlt und die angeborenen Pflichten es zulassen. Die Krone aber vergibt keiner als Kaiser Franz Joseph, ich und unseresgleichen und wehe dem! der es ohne uns versucht und wehe dem! der sie annimmt, wenn ihr Preis der Verlust eines Drittels von Deutschland und der edelsten Stämme unseres deutschen Volkes ist. Gott helf uns! Amen.Wolfgang Lautemann/Manfred Schlenke (Hg.), Geschichte in Quellen. Das bürgerliche Zeitalter 1815–1914, München 1980, S. 221 f.

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58 Revolution von 1848

Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

Die erste offene Antwort des Königs an die Abgesandten vom 3. April spiegelte die Auseinandersetzungen in der Führung wider und spielte bei Verwendung unklarer Formulierungen auf Zeitgewinn. Der König berief sich seinem eigenen Denken folgend auf das Vereinbarungsprinzip und drohte „inneren Feinden“ mit dem „Schwert“. Zugleich zeigte er sich aber so konziliant, dass die eigene Regierung seine Worte als Annahme unter Vorbehalten verstand. Brandenburg seinerseits forderte von der Paulskirche Nachbesserungen der Verfassung im konservativen Sinn – was in Frankfurt umgehend abgelehnt wurde – und versuchte die Regierungen der übrigen Einzelstaaten einzuschalten, um Bewegungsspielraum zu gewinnen und das politische Kräfteverhältnis auszutesten.

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Kampf um die Reichsverfassung

Die Entwicklung im übrigen Deutschland, die nach dieser halben Zustimmung des Königs einsetzte, zeigte, wie stark die Position der Paulskirche in diesen Tagen war. Es gelang dem deutschen Parlament, die Öffentlichkeit in erheblichem Maße zu mobilisieren, 28 vor allem kleinere Staaten stellten sich hinter die Reichsverfassung. Die Mittelstaaten, von Österreich zu einer Verteidigung ihrer Souveränität animiert und durch das Zögern Preußens bestärkt, suchten sich zu widersetzen, gerieten jedoch unter erheblichen Druck ihrer jeweiligen Parlamente und der Öffentlichkeit. Selbst in Preußen stimmten die neu gebildeten Kammern für eine Annahme der Reichsverfassung. Ein Erfolg der deutschen Nationalversammlung lag greifbar nahe.

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Für die zunehmend in Zugzwang geratende preußische Regierung war und blieb die Annahme oder Ablehnung der Reichsverfassung sowie der Kaiserwürde eine Machtfrage. Preußen gewann die Überzeugung, den bei Zurückweisung der Kaiserkrone möglicherweise drohenden innerpreußischen Schwierigkeiten begegnen zu können, indem es gleichzeitig sein eigenes kleindeutsches Konzept energisch vorantrieb. Auch die Haltung Russlands, das für den Fall eines Zusammenspiels zwischen Berlin und Frankfurt ernsthaft mit einer militärischen Intervention drohte, musste bedacht werden.

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Vor diesem Hintergrund entschied sich die preußische Führung zur Ablehnung der Reichsverfassung am 28. April bei gleichzeitiger Intensivierung ihrer eigenen Deutschlandpolitik. Sie startete ihre „Uni-onspolitik“, die den Gagernschen Plan eines Doppelbundes nach preußischen Vorstellungen modifizieren und weiterverfolgen sollte. Ein von Preußen geführter engerer Bund, föderalistischer und weniger parlamentarisch ausgelegt als das Deutsche Reich der Paulskirche, sollte mit Österreich in ein staatenbündisches Unionsverhältnis treten.

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Die Paulskirche dachte zwar auch in dieser dramatisch zugespitzten Situation nicht an ein Nachgeben gegenüber Preußen, unternahm aber andererseits auch keinen Versuch, in Deutschland eine neue Revolution auszulösen. Eine knappe Mehrheit der

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Paulskirche rief am 4. Mai alle deutschen Parlamente, die Institutionen der Selbstverwaltung und das deutsche Volk auf, sich für eine Annahme der Reichsverfassung einzusetzen.

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„Zwischen mich und mein Volk soll sich kein Blatt Papier drängen“ – Friedrich Wilhelm IV. und sein Bruder Prinz Wilhelm verweigern sich der Paulskirchenverfassung.

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Auflösung des Paulskirchenparlaments

Als Reichsverweser Erzherzog Johann den Ministerpräsidenten Gagern, der den genannten Kurs des Parlaments unterstützte, zum Rücktritt zwang, wurden die letzten Brücken zwischen Berlin und Frankfurt abgebrochen. Dem frühen Beispiel Österreichs vom April folgend, beriefen nun auch Preußen, Sachsen, Hannover und Baden ihre Abgeordneten aus Frankfurt ab. Die Mehrheit der Liberalen resignierte, und die Paulskirche schrumpfte rasch zu einem linken Rumpfparlament, das vor preußischen Truppen nach Stuttgart ausweichen musste und dort am 18. Juni von württembergischem Militär aufgelöst wurde.

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Das Machtkalkül der preußischen Führung war aufgegangen. Allerdings verlief die Ausschaltung der Paulskirche keineswegs reibungslos. Schon Ende April hatte eine Volksbewegung zugunsten der Reichsverfassung eingesetzt, die sich zur „Reichsverfassungskampagne“ ausweitete. Sie wurde von demokratischen Vereinen getragen, allen voran vom Zentralmärzverein. Die Demokraten mobilisierten nicht zuletzt dank der anfänglichen Unterstützung durch Frankfurt Massen wie nie zuvor.

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Doch angesichts der festgefügten militärgestützten Abwehrfront der gegenrevolutionären Großmächte besaßen auch machtvollste Demonstrationen keine Erfolgschancen, und weite Teile des ohnehin revolutionsfeindlichen Bürgertums waren zu einem bewaffneten Kampf gegen die gut gerüsteten reformkonservativen Großmächte nicht bereit. Die Reichsverfassungskampagne blieb daher in ihrem Kern eine breite, demokratische Demonstrati

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Weite Teile des Bürgertums waren nicht zum Kampf für die Verfassung bereit

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onsbewegung, die bald in Vergessenheit geriet. Im Gedächtnis haften blieb demgegenüber eine ebenso spektakuläre wie aussichtslose militärische Erhebung, die eine republikanische Minderheit, unterstützt von Sympathisanten aus ganz Mitteleuropa, in einzelne deutsche Staaten hineintrug.

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Ende der deutschen Nationalversammlung

Die Sitzung des 8. Juni war die letzte, die wir in der württembergischen Kammer gehalten; von diesem Tage an waren wir sozusagen obdachlos, und die souveräne Nationalversammlung des deutschen Volkes irrte in den Straßen umher. [...] Wieder am 16. beherbergte uns das Fritz‘sche Reithaus [...]. Am 17. spät abends erhielt der Präsident Löwe von Calbe im Namen des Gesamtministeriums ein von Herrn Römer (württembergischer Innenminister – Anm. d. Red.) unterzeichnetes Schreiben, in welchem dieser verkündete, „daß das Tagen der hierher übersiedelten Nationalversammlung und das Schalten der von ihr am 6. dieses Monats gewählten Reichsregentschaft in Stuttgart und Württemberg nicht mehr geduldet werden könne“. Der Präsident ließ diese Zuschrift unbeantwortet. Herr Römer schickte ihm am nächsten Tage, gegen Mittag, wieder einen Zettel zu, um ihn „darauf aufmerksam zu machen“, daß gegen eine Sitzung der Nationalversammlung „die erforderlichen Maßregeln ergriffen werden“. Der Präsident wollte sich hierauf mit den Schriftführern in das Sitzungslokal begeben, um es vor Eröffnung der Sitzung, welche um drei Uhr beginnen sollte, in Besitz zu nehmen, aber schon um ein Uhr wurde er benachrichtigt, daß das Haus bereits von Militär besetzt sei. Doch war von Truppenbewegungen nichts bemerkt worden. Die Soldaten hatten sich durch Seiten- und Nebengassen in die Nähe des Fritz‘schen Lokals geschlichen. Man wußte bald, daß dort verhältnismäßig bedeutende Truppenmassen aufgehäuft waren, und in den Straßen hieß es, daß man uns alle niederhauen wolle. Da trat Ludwig Uhland auf. Er forderte den Präsidenten auf, so viele Mitglieder als möglich zu versammeln und sich mit diesen in einem Zuge an Ort und Stelle zu begeben, um die Gewalt an uns sich vollenden zu lassen, und käme es auch aufs äußerste. Wir versammelten uns unter den Bäumen eines [...] Platzes und setzten uns von da aus in Bewegung. An unserer Spitze schritt der Präsident, ihm zu Seiten [...] die beiden Greise Albert Schott und Ludwig Uhland, zwei Männer, die ein ehrenvolles, fleckenloses, langes Leben hinter sich hatten. [...] Unmittelbar hinter dem Präsidenten und den beiden Greisen ging ich [...]. Ich wußte, daß wir unserm Ende entgegengingen, und das dicht gedrängte Volk, rechts und links an unserm Wege flößte mir trotz aller Zurufe kein Vertrauen ein. [...] Wir kamen in eine Straße, in der wir das Militär, Infanterie, aufgestellt sahen, während links in einer Seitenstraße Kavallerie wartete. Wir setzten unseren Weg fort, als ob jenes Hindernis vollkommen unsichtbar wäre, und kamen so an die Reihen der Soldaten, welche die Straße, die zum Sitzungslokale führte, absperrten. Der Präsident mit seinen beiden Begleitern war eben bis auf ungefähr zwei Schritte Entfernung den Soldaten nahe

gekommen, als sich deren Reihen plötzlich öffneten und ein älterer Mann mit weißer Binde und einem Papier in der Hand heraustrat und dem Präsidenten verkündete, daß er als Zivilkommissär den Auftrag habe, zu erklären, daß keine Sitzung gehalten werden dürfe. [...] Der Präsident erhob seine klangvolle Stimme und rief: „Ich erkläre“ – hier aber wurde er von Trommelwirbel unterbrochen wie ein Delinquent, den man nicht zu Worte kommen läßt. [...] Der Präsident erhob [...] die Stimme noch einmal und rief: „Ich protestiere gegen dieses Verfahren als gegen einen Verrat an der Nation!“ und die Worte wurden gehört, trotzdem die Trommelwirbel immer stärker wurden und trotz dem Waffengeklirr. Die meisten Abgeordneten hatten sich indessen nach vorn gedrängt und standen in kompakter Masse vor den Soldaten. [...]Mittlerweile, [...] kommandierte man „Fällt das Bajonett“ – aber sie gehorchten nur zur Hälfte. [...] General Miller [...] rief dem Präsidenten, der unbeweglich stand, ein „Fort!“, dann einem Offizier in der Seitenstraße ein Kommandowort zu, und in demselben Augenblicke sprengte die Kavallerie auf uns ein, während der Offizier, der sie führte, „Einhauen!“ kommandierte und die anderen Offiziere fortwährend „Haut zu! Haut zu!“ ausriefen. [...]Im allgemeinen aber hatten auch die Kavalleristen, trotz der beständigen Aufmunterung der Offiziere und Unteroffiziere, nicht die geringste Lust zum Einhauen. Sie taten nur so und schwenkten, indem sie in unsere Schar hineinritten und uns trennten, ihre Säbel über unsern Köpfen. Der Präsident war in Gefahr, niedergeritten zu werden. [...] Hätten die Soldaten gehorcht, ihre große Anzahl hätte unser kleines Häuflein binnen fünf Minuten bis auf den letzten Mann niedermetzeln können. Das Volk drängte sich mit in das Gewirre, und die Erkenntnis von der Stimmung der Soldaten, die man sofort gewinnen mußte, war wohl mit eine der Ursachen, daß es zu keinem weiteren Konflikte kam.Bei dem Gedränge von Abgeordneten, Soldaten und Volk, bei der Verwirrung war es nicht möglich, uns wieder zusammenzufinden und an Ort und Stelle etwas Gemeinschaftliches zu beginnen. „Nach dem Hotel Marquardt!“ rief ein Abgeordneter dem andern zu, und in der Tat fanden wir uns dort zur selben Stunde zusammen, auf welche die Sitzung in der Reitschule angesetzt war. Aber wir zählten uns – unsere Zahl belief sich nur noch auf 94 – wir waren nicht mehr beschlußfähig – die Nationalversammlung war gestorben oder, wenn es besser klingt, hingerichtet [...].

Aus der Erinnerungsschrift von Moritz Hartmann, „Die letzten Tage des deutschen Parlaments“, in: Wolfgang Lautemann/Manfred Schlenke (Hg.), Geschichte in Quellen. Das bürgerliche Zeitalter 1815-1914, München 1980, S. 234 ff.

Militärgewalt gegen Demokraten

Die preußische Führung war vorbereitet, revolutionäre Versuche im eigenen Lande wie in anderen deutschen Staaten zu ersticken. Landwehrmeutereien in Breslau, am Niederrhein und im Sauer

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land konnten auf lokaler Ebene eingedämmt und von den Bürgerwehren abgefangen werden. Nur in Iserlohn schossen Linientruppen Landwehrsoldaten nieder. Unter dem Oberbefehl des Prinzen von Preußen wurden die Aufstände in Sachsen, der bayrischen Pfalz und in Baden niedergeschlagen.

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In Dresden glückte den Demokraten die Bildung einer provisorischen Regierung. Obwohl der König floh, blieb ihre Reichweite auf die Landeshauptstadt begrenzt. Sie lieferte den preußischen Truppen immerhin einen verlustreichen viertägigen Straßen- und Barrikadenkampf, an dem unter anderem auch Richard Wagner und Gottfried Semper teilnahmen. In der Pfalz, die sich von Bayern und dessen König losgesagt hatte, wurde eine republi

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kanische Führung in wenigen Tagen mühelos vertrieben. Viel härter war das Ringen in Baden. Im Großherzogtum – auch hier war der Landesherr geflohen – gelang den Demokraten, gestützt auf das breite Netz demokratischer Volksvereine, die Aufstellung eines 45 000 Mann starken Heeres. Auf gegenrevolutionärer Seite standen mittlerweile zusätzlich Verbände anderer deutscher Staaten, die Prinz Wilhelm daran zu hindern suchten, in Baden nicht nur die Demokraten auszuschalten, sondern darüber hinaus das Land richtungweisend für ganz Süddeutschland der preußischen Deutschlandpolitik zu verpflichten. Trotz erbitterten Widerstands wurden die Truppen der Aufständischen nach wenigen Tagen am 21. Juni entscheidend besiegt. Mit der Kapitulation der Festung Rastatt am 23. Juli endete die Reichsverfassungskampagne.

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Trotz erbitterten Widerstands wurden die Demokraten in Baden durch Reichstruppen undpreußisches Militär besiegt. Kapitulation in Rastatt am 23. Juli 1849

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Der spätere deutsche Kaiser rechnete ganz im Sinne seines königlichen Bruders mit den Demokraten ab. Es ergingen etwa 1000 Verurteilungen durch Standgerichte und in Hochverratsprozessen, wobei zahlreiche Todesurteile und hohe Zuchthausstrafen verhängt wurden. Auch die anderen deutschen Einzelstaaten drängten nach und nach die Liberalen aus den ihnen noch verbliebenen politischen Führungspositionen, wobei deren bürgerliche Existenzgrundlagen nicht angetastet wurden. Ganz anders sah das Schicksal der Demokraten aus. Vielfach ausgegrenzt, kriminalisiert und in die Emigration getrieben, wurden sie die eigentlichen Opfer der Gegenrevolution.

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Preußische Unionspläne

Die Ablehnung der Kaiserkrone durch den König und die Militäraktionen des Prinzen von Preußen waren Teil einer breiter angelegten Deutschlandpolitik des Ministerpräsidenten Brandenburg. Schnelles Handeln war erforderlich, da ein baldiger Sieg Öster-

reichs in Ungarn abzusehen war und die durch die Reichsverfassungskampagne bedingte militärische Präsenz Preußens in Teilen Deutschlands genutzt werden sollte.

Nachdem das Paulskirchenparlament als möglicher Juniorpartner endgültig ausgeschieden war, blieb nur die Möglichkeit, in Verhandlungen mit den deutschen Mittel- und Kleinstaaten ein Kleindeutschland preußischer Prägung voranzutreiben. Am 26./28. Mai 1849 gelang Preußen durch Abschluss eines entsprechenden Dreikönigsbündnisses mit Sachsen und Hannover ein beachtlicher Erfolg. Bis Ende April 1850 einigte sich auch ein Erfurter Reichstag, beschickt von 26 Einzelstaaten, auf eine „Unionsverfassung“. Da an diesem Unternehmen aber mittlerweile bereits alle mittleren Königreiche nicht mehr beteiligt waren, wurde die Basis für die Unionspolitik zuneh

mend schmaler.

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Zar Nikolaj I., der schon bei der Ablehnung der Kaiserkrone Druck auf Preußen ausgeübt hatte, verstärkte diesen nunmehr mit dem Ziel, einen Abbruch der Unionspolitik herbeizuführen. Zudem hatten die militärischen Interventionen des preußischen Heeres im übrigen Deutschland traditionelle Ressentiments gegen Preußen als Militär- und Obrigkeitsstaat wiedererweckt, so dass für den Fall internationaler Verwicklungen als Folge der Unionspolitik eine Unterstützung durch die Regierungen der Einzelstaaten nicht zu erwarten war.

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Brandenburg suchte daher wieder den Kontakt zu Österreich als Hauptgegner der Unionspolitik auf deutscher Seite. Doch Schwarzenberg, der seit der Niederlage der Ungarn wieder handlungsfähig war, star

tete nun eine politische Gegenoffensive ge-gen Preußen, die schließlich bis hart an die Eröffnung eines Krieges führte. Im Ringen

um die Führung im nachrevolutionären Deutschland zeigten sich weder Preußen noch Österreich in der Lage, ein Konzept zur Umgestaltung Deutschlands mit bescheidenen Neuerungen zu konkretisieren und voranzutreiben. Immerhin einigte sich Österreich im Februar 1850 mit den Königreichen Bayern, Württemberg, Sachsen und Hannover vorübergehend auf einen deutschen Staatenbund. Das hierbei sichtbar werdende Pendeln der Mittelstaaten von Preußen zu Österreich zeigte allerdings nur, dass diese ihrerseits wieder einige Souveränitätsansprüche ins Spiel brachten und nicht bereit waren, sich dem Führungsanspruch einer der Großmächte unterzuordnen.

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Rückkehr zum Deutschen Bund

Zug um Zug rückte daher Schwarzenberg das Notprojekt einer Rückkehr zum Deutschen Bund bei Verzicht selbst auf die kleinste Reform in den Mittelpunkt der Überlegungen. Mit Hilfe eines am 2. September 1850 eingesetzten Rumpfbundestages, dem zunächst nur dreizehn Staaten angehörten, setzte er

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unter kräftigem militärischen Säbelrasseln Preußen unter Druck, um eine Preisgabe der Unionspolitik zu erzwingen. Der preußischen Führung wurde immer mehr bewusst, dass es Zeit zu einem Arrangement mit Österreich und zu einem Einschwenken auf dessen nunmehrigen Kurs einer Erneuerung des Deutschen Bundes sei. Die Entwicklung kam zum Abschluss, als der preußische Ministerpräsident Brandenburg plötzlich verstarb und eine Mehrheit der preußischen Regierung den von ihr fast zwei Jahre lang kontinuierlich verfolgten Plan eines monarchisch orientierten deutschen Doppelbundes als konservative Variante des Gagernplanes fallen ließ, wobei einer „vermittelnden“ russisch-österreichisch-preußischen Konferenz am Warschauer Zarensitz besondere Bedeutung zufiel. Im österreichisch-preußischen Vertrag von Olmütz vom 29. November 1850 gab Preußen schließlich die Unionspolitik unter als demütigend empfundenen Umständen auf. Weniger spektakulär, aber ebenso bedeutsam war, dass gleichzeitig auch die letzten Chancen für eine Realisierung von Schwarzenbergs Projekt eines 70-Millionen-Reiches zu Grabe getragen wurden.

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Die deutschen Mächte kehrten zur Konstruktion jenes Deutschen Bundes zurück, dessen Unzeitgemäßheit nur unbelehrbare Reaktionäre bestritten und der offenkundig eine provisorische Verlegenheitslösung darstellte. Gleichzeitig war der auf Ausgleich angelegte Dualismus der Restaurationszeit nicht wiederherstellbar, da Österreich und Preußen in der Frage des Führungsanspruchs uneinig blieben.

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Von herausragender Bedeutung blieb, dass sich die gegenrevolutio-nären Großmächte Österreich und Preußen unter dem Eindruck des Wir-kens von deutscher Nationalbewegung und Paulskirche letztlich unumkehrbar in den Trend einer neuartigen, mit der Restaurationszeit nicht vergleichbaren Großmachtpolitik gestellt hatten.

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Österreich hatte sich dabei in Revolution und Gegenrevolution weiter von Deutschland entfernt als in der Zeit Metternichs. Preußen, das mit der Übernahme des Gagernplans selbst Führungsansprüche in Deutschland angemeldet hatte, schmerzte das Scheitern der Unionspolitik, doch im Grunde konnte es warten, bis die Zeit reif wurde für einen neuen Anlauf.

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Die zeitgenössische Federlithographie zeigt den „Kehraus“ der alten Mächte Europas und die Flucht der deutschen Revolutionäre nach dem Sieg der Gegenrevolutionen 1849.

Weiterentwicklung und Bilanz nach 1849

Die Betrachtungen zur Staatenwelt und zu den Freiheitsbewegungen im Jahre 1848 führen zu einer ambivalenten Bilanz der 1848er Revolution und deren Wirkung: Auf der einen Seite sieht man ein elementares Scheitern der vorpreschenden Kräfte der Bewegung, des Fortschritts und der Modernisierung sowie einen unzweideutigen Triumph der Reaktionäre, die

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im Kern jene alte Staatenwelt, die auf den Wiener Kongress zurückging, mit den dazugehörigen Gesellschaften wiederherstellten. Eine aufgeschreckte und manche Modernisierungen wie eine aktive Medienpolitik nicht mehr scheuende politische Rechte betrachtete fortan die 1848er Revolution als Warnung und Ansporn, im vorbeugenden Kampf gegen ein Wiedererstarken revolutionärer Kräfte nicht nachzulassen.

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Auf der anderen Seite war aber – ungeachtet blutiger Siege und manchen Terrors der Gegenrevolutionäre – das Ringen der jungen Vorkämpfer für eine freiheitlich-nationalstaatliche, nicht selten schon demokratische oder sozialistische Ordnung keines-wegs perspektivlos geworden, besaß vielmehr bei Zugrundelegung langer Entwicklungszeiträume sogar recht gute Chancen.

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So hatte sich 1848/49 das schwer angeschlagene konservative Lager, das, wie dargelegt, in großen Teilen Europas schon vor dem Revolutionsjahr nicht

mehr als legitime Herrschaft respektiert wurde, schließlich allzu deutlich nur mit Mühe behauptet. Selbst in zentral wichtigen Fragen wie im Bereich der Staatsverfassungen schien es ihm dabei richtig oder opportun, Grundforderungen der Liberalen nicht rückgängig zu machen. Zudem beruhte die Selbstbehauptung der Rechten darauf, dass diese ihre traditionellen Machtmittel zu nutzen und Kompromisse unter Gesinnungsgenossen einzugehen verstanden hatte. Die Linke hingegen – überrascht von der Problemfülle, die sich hinter ihrem Reformprogramm verbarg – zeigte sich vielfach politisch unreif; so vertraute sie – zwar wohlüberlegt an der Erhaltung des inneren und äußeren Friedens orientiert, zugleich aber machtpolitisch naiv – allzu stark auf die Wucht ihrer Argumente und konnte die Interessengegensätze in den eigenen Reihen nicht überzeugend beherrschen. Aus alledem mussten sich über kurz oder lang neue Kraftproben mit großen neuen Chancen, aber auch Gefahren ergeben; nicht abzusehen war, ob in Zukunft Wendepunkte

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mit dann gradlinigen Modernisierungen wie in England oder Kehrtwenden mit den schlimmen Folgen, die im 20. Jahrhundert eintraten, bestimmend würden.

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Großbritannien suchte seine Position als Welt-Vormacht durch einen verlässlichen Partner auf dem Kontinent zu stützen. Dazu diente auch die Heirat der britischen Prinzessin Victoria mit dem preußischen Thronerben Friedrich (deutscher Kaiser 1888) im St. James Palast 1858.

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Europäische Machtverhältnisse

Das von inneren Unruhen 1848 nicht betroffene Großbritannien blieb Welt-Vormacht, gestützt auf eine kontinuierliche Reformpolitik im Innern. Bei der anhaltenden Suche nach einem potenten und verlässlichen Partner auf dem Kontinent, der – ohne

eigene hegemoniale Ambitionen – zur Sicherung der britischen Gleichgewichts- und Friedenspolitik beitragen sollte, hatten die wechselvollen Phasen des Revolutionsjahres kein klares Ergebnis gebracht. Doch besaß fortan die Perspektive eines arbeitsteilig mit England verbundenen Preußens, das mit einer Verfassung ausgestattet und zu Kleindeutschland erweitert war, eine gewisse Attraktivität; Englands Haltung in der bald folgenden Bismarck-Zeit orientierte sich an diesem Sachverhalt.

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Frankreichs Politik hingegen stellte eine große und dramatische Kehrtwende dar, von gewissen Ansätzen zu einer demokratisch-sozialistischen Prinzipienpolitik hin zu einem blassen Imitat des napoleonischen Kaisertums durch Louis Napoleon (Kaiser 1852 bis 1870). Schon die Niederwerfung der Römischen Republik 1849 durch ein französisches Expeditionscorps zeigte, dass unter Napoleon III. wieder eine nach Hegemonie strebende Machtpolitik bei opportunistischer Haltung gegenüber anderen Völkern und Freiheitsbewegungen praktiziert wurde, die schließlich ihre Ziele gründlich verfehlte. Zudem blieb Frankreich eine Rückkehr zur republikanischen Staatsform bis zum deutsch-französischen Krieg 1870/71 versagt.

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Demgegenüber mochte sich Russland in der Rolle eines erfolgreichen Gendarmen Europas sonnen, Zar Nikolaj I. zudem für all seine antidemokratischen

Kassandrarufe und schließlich den Auftritt seines Heeres in Ungarn bleibende Dankbarkeit im konservativen Lager erwarten. Doch hatten Österreich und Preußen im Revolutionsjahr ungeachtet mancher gemeinsamer ideologischer Positionen wie ein Sperrriegel gewirkt, der keinen großen Einfluss Russlands im Westen, etwa mit Eingriffen in Verhältnisse Mittel-, Süd- und Westeuropas, zuließ. Einen „Großauftritt“ des Gendarmen im Westen wünschte selbst im konservativen Lager kaum jemand, von den elementaren und bisweilen panischen Sorgen der politischen Mitte und Linken in dieser Frage ganz zu schweigen. Perspektivisch war folglich durch das

Revolutionsjahr eine stärkere Einordnung und Einbindung des Zarenreiches in Europa keineswegs leichter geworden.

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Mit Blick auf die Freiheitsbewegungen stellte sich nach 1849 die Lage der offenkundig düpierten polnischen Vorkämpfer hoffnungslos dar; Autonomie oder gar staatliche Unabhängigkeit wurden definitiv einer nebulösen Zukunft vorbehalten. Bis hin zum Ersten Weltkrieg galt die Regel, dass die eigenen Kräfte nicht ausreichten, um die Teilung zu revidieren, dass fortschrittliche Mächte im Westen für Polen nur gute Worte übrig hatten und dass die Teilungsmächte in der Polenfrage ungeachtet sonstiger Interessengegensätze zusammenhielten. Die politische Haltung der Polen änderte sich folglich nach dem Revolutionsjahr – auch wenn 1863 noch ein weiterer polnischer Aufstand folgen sollte – grundlegend. Ein letztes Mal waren sie 1849 nach fast sechzig von heroischer

Haltung geprägten Jahren in den verzweifelten Schlusskämpfen der Demokraten in Deutschland, Italien und Ungarn als „Sturmvögel“ der Revolution und als tragische Helden aufgetreten. Danach war statt eines romantisierenden Kampfes zunehmend eine „organische Arbeit“ angesagt: Bei nüchterner Loyalität gegenüber den jeweiligen Teilungsmächten galt der Einsatz dem Wohlstand und der Bildung des eigenen Volkes, das dadurch als Nation mit Zukunftsperspektive – was immer dies heißen mochte – erhalten und gestärkt werden sollte. Nicht zu beantworten blieb im 19. Jahrhundert mit dessen Nationalisierungsschüben – zu denen 1848 auch das Ende der deutschen „Polenfreundschaft“ und ein Ausbruch von Hass gehört hatten – die Frage, wohin diese Strategie schließlich und endlich führen würde, zu einer Befriedung in einem langwierigen Prozess oder zu eskalierenden nationalen Kollisionen. Entsprechend offen war die Konstellation in Posen, das nunmehr auch rechtlich, nämlich durch die preußische Verfassung, zur „normalen“ preußischen Provinz ohne Sonderstatus für Polen wurde, in dem aber dank eines zunächst weithin funktionierenden Minderheitenschutzes auch keine düstere Zukunft vorprogrammiert war.

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Demgegenüber blieben dem Risorgimento, nur von einer viel schwächeren und instabilen Mächtegruppierung mit dem keineswegs übermächtigen Öster

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Mit der Kaiserproklamation am 18. Januar 1871 in Versailles verwirklichten Bismarck und Kaiser Wilhelm I. ein Teilziel der 1848er: einen geeinten Nationalstaat.

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reich an der Spitze zurückgedrängt, ein viel größerer politischer Spielraum und bessere Chancen. Mit Piemont-Sardinien stand zudem – bei mancherlei Parallelen zu der künftigen Rolle Preußens in Deutschland – eine Führungsmacht bereit, die Italiens Einigung in die Hand nehmen konnte. Diese wurde vom jungen Monarchen Viktor Emanuel II. und dessen Ministerpräsident Camillo Graf von Cavour (1810-1861) – auch er Exponent einer neuartigen, als maßvoll zu charakterisierenden und vielfach als „realpolitisch“ bezeichneten Politik – im Einigungskrieg gegen Österreich schon 1859 endgültig auf den Weg gebracht.

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Nicht viel später, dank des österreichisch-ungarischen Ausgleichs von 1867, wendete sich das Blatauch wieder zugunsten der Ungarn, allerdings auf andere Weise: Zwar erstritten sie keine staatliche Unabhängigkeit, erhielten jedoch innerhalb der kaiserlich und königlichen Monarchie mit deren wachsender antislawischer Frontstellung „ihr“ Königreich.

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Langfristige Schwächung der revolutionären Kräfte

Analog zur europäischen Ebene endeten Märzrevolution, Wirken der Paulskirche und Gegenrevolution auch in Deutschland mit einer ernüchternden Bilanz. Die Liberalen und Demokraten waren mit ihrem Versuch gescheitert, Deutschland als Teil einer europäischen Modernisierung nach freiheitlichen und nationalen Leitvorstellungen auszurichten. Der anachronistische Deutsche Bund hatte Wiederauferstehung gefeiert, und Österreich war wieder ein absolutistischer Staat. Dadurch hatten sich die Perspektiven für die Habsburgermonarchie keineswegs verbessert, doch waren ihre baldige außenpolitische Isolierung, ihre Niederlage im italienischen Einigungskrieg und im Krieg gegen Preußen 1866, dem ein Jahr später ein weitreichender Staatsumbau im Innern folgen sollte, keineswegs abzusehen.

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Allein in Preußen bot die Umwandlung des Staates in eine konstitutionelle Monarchie Aussichten für die spätere Umsetzung liberaler Ansätze. Hier waren die keineswegs exklusiven, in ihrer Summe aber doch spezifischen Besonderheiten des nunmehrigen Verfassungsstaates in der Zeit der Gegenrevolution durch eine Politik der vollendeten Tatsachen geschaffen worden. Diese hatten die Konsequenz, dass für lange Zeit ein nahtloses Wiederanknüpfen an den politischen Start in der Märzrevolution unwahrscheinlich, wenn nicht ausgeschlossen wurde. Preußens erfolgreiche Deutschlandpolitik in der Bismarckzeit bewirkte, dass dies auch für das übrige Deutschland galt. In Preußen hatten die resolut zupackenden gegenrevolutionären Kräfte das insgesamt glücklose Handeln der Demokraten genutzt, um dieses Lager nicht nur momentan zu besiegen, sondern auch nachhaltig zu schwächen; sie sollten für lange Zeit ihre im Vormärz und Frühjahr/Sommer 1848 gewonnene Position nicht mehr zurückgewinnen können.

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Nicht so klar und hart war die Ausgrenzung der Liberalen, die allerdings in ihrem Anspruch, die füh-

rende Kraft im 19. Jahrhundert darzustellen, schwer getroffen wurden. Reformkonservative und Hochkonservative verhinderten gemeinsam, dass Liberale ihr Meisterstück, die Gründung eines Deutschen Reiches auf parlamentarischem Wege, verwirklichten. Dieselbe konservative Allianz trat in Preußen den „Beweis“ an, dass nur sie in der Lage sei, einen Verfassungsstaat Wirk-lichkeit werden zu las-sen, wobei die Liberalen selbst zumindest vor- übergehend aus dem politischen Leben abgedrängt wurden. Immerhin blieb diesen der Trost, dass ihre Grundprinzipien in Preußen durch die Verfassung gleichsam eine dauerhafte politische Anerkennung gewonnen hatten, auf der sich später wieder aufbauen ließ.

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Zunächst waren jedoch neben der unterschiedlichen, aber insgesamt massiven Schwächung von Liberalen und Demokraten weitere Vorkehrungen der Konservativen in Preußen gegen deren politischen Wiederaufstieg zu beobachten. Das konservative Lager war und blieb durch den Schock des Revolutions-jahres nachhaltig geprägt. Hatten nach 1815 Politiker wie Metternich Entscheidungen getroffen, die durch das Trauma der Französischen Revolution und Napoleons geformt worden waren, so sollten nach 1848, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Persönlichkeiten wie Bismarck und der spätere Kaiser Wilhelm I. die deutsche Politik gestalten, die durch das Revolutionsjahr 1848 geprägt waren. Wie seinerzeit Metternich setzten sie alles daran, den Kräften der Revolutionszeit jede Möglichkeit zu verbauen, ihre Ziele in einem neuen Anlauf durchzusetzen. Als Bismarck und der Hohenzoller 1862 ihre Politik starteten, die in den Aufbau eines deutschen National- und Ver

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Das konservative Lager blieb durch den Schock des Revolutionsjahres nachhaltig geprägt

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fassungsstaates einmündete, fanden sie allerdings die starken Sperrriegel, die sie gegen Liberale und Demokraten benötigten, bereits vor, auch wenn diese noch in eine spezielle Form gegossen werden sollten. Die Grundmodelle stammten von Friedrich Wilhelm IV. und seinem hochkonservativen Kreis.

Zu den Grundgegebenheiten der nachrevolutionären Zeit gehörte die militärische Basis, die der preußische Verfassungsstaat in der Gegenrevolution erhalten hatte. An sich war die Bedeutung des Militärs nicht neu, der Hohenzollernstaat hatte seinen Aufstieg zur Großmacht und die Bewahrung dieses

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Status ganz wesentlich seinem Heer zu verdanken, die Kriege Friedrichs II. und die Befreiungskriege gegen Napoleon waren markante Beispiele.

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1848er – die 68er des 19. Jahrhunderts?

[...] Geschichte wiederholt sich nicht, wohl wahr. Und doch gibt es immer wieder verblüffende Parallelen. [...] Die vielschichtigen Revolutionen von 1848/49 bedeuteten wie „1968“ einen – über etwa ein Jahrzehnt hinweg vorbereiteten – Aufbruch, einen scharfen Generationswechsel, eine Dynamisierung der politischen Verhältnisse, die mit gewissen Verzögerungen zu gesellschaftlichen Umbrüchen führten. Auch nach 1849 begann ein Teil der gescheiterten Revolutionäre den Marsch durch die Institutionen, [...].

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„1848“ bedeutete wie „1968“ eine Kommunikationsrevolution. Das Parteiensystem wurde neu strukturiert. Und in beiden Jahrhunderten folgte mit etwa zwanzigjährigem Abstand auf die Revolution beziehungsweise Revolte eine deutsche Einigung: 1867/71 die Reichsgründung, 1989/90 die Wiedervereinigung. [...]

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Fundis gegen Realos: Besonders heftig brachen die Gegensätze zwischen den einstigen Kampfgenossen während der deutschen Nationalstaatsgründung auf. Diese wäre ohne die Revolutionen von 1848/49 nicht möglich gewesen. Aber die 48er stritten, seit Otto von Bismarck die Führung bei der deutschen Einigung übernommen hatte, darum, ob eine Zusammenarbeit mit diesem [...] Gegner einer liberal-parlamentarischen Verfassung ein Verrat an den Idealen der Revolution sei oder aber eine „realpolitische“ Neuorientierung angesichts veränderter Verhältnisse.

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[...] „Realpolitik“ – das ist bis heute meist das entscheidende Argument zur Begründung politischer Konversionen. Dieser Begriff wurde von einem Mann erfunden, der ebenfalls eine recht turbulente Vita hatte. Er hieß Ludwig August von Rochau, kam aus Wofenbüttel und war Mitglied der radikalen, gewaltbereiten Szene der Burschenschaft [...].

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1833 hatte der Student am Sturm auf die Frankfurter Hauptwache teilgenommen, eine desperate Unternehmung, mit der man einen allgemeinen Aufstand auslösen wollte, ohne allerdings zu bedenken, dass dafür in Deutschland alle Voraussetzungen fehlten. Zu lebenslanger Haft verurteilt, ließ Rochau seine Flucht mit Hilfe eines korrupten Gefängnisaufsehers arrangieren. Bis 1848 lebte er in Paris. Dank der Revolution konnte er in die Heimat zurückkehren.

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Wenig später dann, 1853, zog Rochau in seinem äußerst einflussreichen Buch „Grundsätze der Realpolitik“ seine Konsequenzen aus dem Scheitern der Revolution. Meist wird es als Arrangement mit dem preußischen Obrigkeitsstaat gedeutet. Es enthält aber eine genuin linksliberale Verarbeitung der Ereignisse von 1848/49. Das Buch sollte die bürgerliche Linke repolitisieren und trug tatsächlich zu deren Abkehr von philosophisch inspirierten Utopien bei. Rochau verabschiedete sich stellvertretend für die meisten 48er vom Modell der Volksrevolution, ohne jedoch die Ziele von 1848 zu revidieren. Insbesondere im zweiten Band der Grundsätze, der 1869 – also nach den ersten Triumphen Bismarcks – erschien, betont

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Rochau, dass „Realpolitik“ nicht hemmungsloses Machtstreben bedeute. Sein Ziel war vielmehr ein Rechtsstaat mit allgemeinem Wahlrecht.Konsequenterweise machte er sich selbst daran, seine neu gewonnenen Grundsätze umzusetzen. An der Spitze des Deutschen Nationalvereins, der wichtigsten Organisation des liberalen, großpreußischen Nationalismus, unterstützte er Bismarcks Deutschland-Politik. Auch trat er gleich bei ihrer Gründung 1866 in die mit Bismarck zusammenarbeitende Nationalliberale Partei ein, die er dann von 1871 bis 1873 im Reichstag vertrat.

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Ein anderer, besonders heftiger Konvertit war Johannes Miquel. [...] Der Heidelberger Jurastudent hatte sich während der Revolution für radikale Ideen begeistert. Ende 1848 versuchte er mit einem bewaffneten Haufen Kommilitonen die Frankfurter Nationalversammlung zu sprengen. Seit 1850 gehörte er dem Bund der Kommunisten an. [...]

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Nach dem Studium ließ Miquel sich 1854 als Anwalt in Göttingen nieder. [...] 1859 war er an der Gründung des Deutschen Nationalvereins beteiligt. 1863 wurde er in den Hannoverschen Landtag gewählt. 1866 zog er als Spitzenmann der Nationalliberalen Partei ins preußische Abgeordnetenhaus und 1871 in den Reichstag ein. [...] 1890 wurde er preußischer Finanzminister, 1897 Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums, geadelt und mit dem schwarzen Adlerorden ausgezeichnet.

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Johannes von Miquel ist ein extremes Beispiel für politisches Konvertitentum im 19. Jahrhundert. Typischer sind Männer wie Arnold Ruge, Theodor Mommsen oder Ludwig Bamberger [...] Sie begannen sich für Bismarck zu begeistern, weil er, nach all den Jahren des Stillstands im Einigungsprozess, mit seiner riskanten Gewaltpolitik greifbare Erfolge erzielte. In einer „realpolitischen“ Selbstkritik waren sie zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Einigung „von unten“ in beiden denkbaren Varianten – basisdemokratisch oder parlamentarisch – wie 1848/49 auch künftig zum Scheitern verurteilt sei. [...] Nur große (National) Staaten hätten eine Zukunft, nur in ihnen sei eine freiheitliche Entwicklung möglich.

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So stellten sie, die alternden Helden von 1848/49, ihre Forderungen nach Freiheit und Demokratie einstweilen zurück. Sie waren überzeugt, dass sich das historisch „Notwendige“ und politisch „Richtige“ ohnehin durchsetzen werde und dass Bismarck ein Werkzeug des historischen Fortschritts sei. Wenn sie mit ihm kooperierten [...], dann könnten sie ihn für ihre eigenen Ziele benutzen[...] – und distanzierten sich mehr oder minder schnell von Bismarck, als dieser ihre Erwartung einer durchgreifenden Liberalisierung und Modernisierung des Reichs enttäuschte [...]. [...]

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Christian Jansen, „Weltgeist und Zeitgeist“, in: Die Zeit Nr. 24 vom9.Juni 2005

Neu war jedoch, dass der Royalismus des Heeres insofern seit 1848 eine starke innenpolitische Komponente bekommen hatte, als ein auf dem Gottesgnadentum fußender und damit christlich verbrämter Führungsanspruch des Monarchen durch das Militär abgestützt wurde. Eng damit verbunden war eine in der konservativen Sammlungsbewegung 1848 vorbereitete, durch die Hochkonservativen um Friedrich Wilhelm IV. in der Zeit der Gegenrevolution

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65Scheitern eines Traumes

Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

in Kraft gesetzte Staatsdoktrin. Als staatserhaltend galt einzig das konservative Lager, während die Demokraten insgesamt, die Liberalen nur bezüglich ihres politischen Führungsanspruchs als Staatsfeinde stigmatisiert waren. Bismarcks Ausgrenzung von „Reichsfeinden“ und Kaiser Wilhelms Militarisierung weiter Teile der Gesellschaft des Kaiserreichs schlossen sich nahtlos an.

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Bezeichnend war der Umgang mit der jüngsten Geschichte. Sorgsam wurde darauf geachtet, dass kein Gedenkstein im Lande an die Opfer auf demokratischer Seite erinnerte, während über den gepflegten Gedenkstätten für 1848/49 gefallene Soldaten preußische Adler oder Standbilder des Erzengels Michael angebracht waren, die an den „heiligen“ Kampf gegen die Staatsfeinde des Revolutionsjahres erinnerten. Mit großer Langzeitwirkung wurde 1848 als das „tolle Jahr“ hingestellt, dessen revolutionäre Ereignisse als bloße Störfälle angesehen wurden, während in der Folgezeit ein vorgezeichneter Weg Preußen dank monarchischer Führung zur Vormacht Deutschlands geführt hatte.

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In der Frankfurter Paulskirche erinnert eine 1998 neu gestaltete Ausstellung an das erste frei gewählte deutsche Parlament.

Durchsetzung liberal-demokratischer Ziele im 20. Jahrhundert

Die Frontstellung gegen Liberale und Demokraten, die militärische Basis des Staates und ein christlich verbrämter Monarchismus prägten Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in erheblichem Maße. Hierzu stand in scharfem Kontrast, dass Ernst Moritz Arndt, im Revolutionsjahr prominenter Interpret des Geschehens von liberal-bürgerlicher Warte, noch nach dem Scheitern der Paulskirche Optimismus ausstrahlte. Er ging davon aus, dass sich mit Blick auf die Zielvorstellungen der 1848er „durch eine innere Notwendigkeit alles doch zuletzt durcharbeiten“ werde. Bei sehr langfristiger, auf das Ende des 20. Jahrhunderts gerichteter Perspektive sollte er Recht behalten.

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Allerdings war auch die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, wie Arndt es prophezeit hatte, eine Zeit des politischen Aufbruchs in die 1848 vorgezeichnete Richtung. Parteien und Verbände befanden sich in einer Wartestellung, aus der heraus sie ein Jahrzehnt später, bei veränderter politischer Großwetterlage, neu starteten. Bismarck baute das Deutsche Reich als Verfassungsstaat auf, der einerseits über starke Bollwerke gegen eine Parlamentarisierung verfügte, dessen Reichstag aber andererseits, ausgestattet mit dem allgemeinen Wahlrecht der Paulskirchenverfassung von 1849, eine Macht im Staate darstellte.

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1919, bei Gründung der Weimarer Republik, standen die Verfassungsveteranen von 1849 Pate, als ein umfassender, zweiter Versuch unternommen wurde, Deutschland zu einem parlamentarischen Verfassungsstaat zu gestalten. Hatten sich im Kaiserreich allein die Sozialdemokraten des Erbes der 1848er angenommen und waren nicht zuletzt deshalb als „Reichsfeinde“ ausgegrenzt worden, so versuchte nun der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert, die Erinnerung an die Paulskirche zum

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Kernpunkt einer neuen demokratischen, Bürger und Arbeiter gleichermaßen verpflichtenden Staatsdoktrin zu machen.

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1949 schließlich wurden bei der Schaffung des Grundgesetzes und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland entscheidende Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik und Eberts gezogen, zugleich wurde neuen politischen Gegebenheiten des 20. Jahrhunderts Beachtung geschenkt. Dennoch stellte die Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Kern eine Realisierung der Leitideen der 1848er in einem dritten Anlauf dar.

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Das Gedenken 1998 an die 150 Jahre zurückliegende Revolution zeigt, dass ein entsprechendes Traditionsbewusstsein in der Bundesrepublik Deutschland zumindest kräftig heranwächst. Die Revolution von 1848 kann zu den Glanzpunkten deutscher Geschichte gerechnet werden. Es lohnt ein Besuch ihrer zentralen Gedenkstätten in Berlin und Frankfurt. Im Berliner Friedrichshain, wo die demokratischen „Märzgefallenen“ bestattet sind, wird gleichzeitig an die Novemberrevolution 1918 erinnert, und in Frankfurt verkündet Ernst Moritz Arndt auf dem vor der Paulskirche stehenden Einheitsdenkmal: „Wir sind geschlagen, nicht besiegt, in solcher Schlacht erliegt man nicht.“

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66 Revolution von 1848

Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 265/2006

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Impressum

Der AutorProf. Dr. Günter Wollstein, geb.1939, war bis 2004 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Köln.

Seine Arbeitsschwerpunkte:Preußische und deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts, Beziehungen Deutschlands zu Polen, Erster Weltkrieg und Deutschland im Nationalsozialismus

Herausgeberin: Bundeszentrale für politische Bildung / bpb, Adenauerallee 86, 53113 Bonn, Fax-Nr.: 02 28/99 515-309 Internetadresse: http://www.bpb.de E-Mail: [email protected]

Redaktion: Jürgen Faulenbach, Christine Hesse (verantwortlich/bpb), Jutta Klaeren.

Manuskript und Mitarbeit: Prof. Dr. Konrad Canis, Neuenhagen; Elke Diehl, Bonn; Prof. Dr. Hans Fenske, Speyer; Christine Hesse, Bonn; Jutta Klaeren, Bonn; Christoph Kuhn, Altenbeken; Prof. Dr. Günter Wollstein, Frechen.

Gesamtgestaltung: Otterbach Medien KG GmbH & Co., 76437 Rastatt.

Vertrieb: IBRo, Verbindungsstrasse 1, 18184 Roggentin

Druck: SKN Druck und Verlag GmbH Co. KG, 26506 Norden

Titelbild: Feierliche Eröffnungssitzung der deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche unter dem Vorsitz Heinrich von Gagerns am 18. Mai 1848 in einer zeitgenössischen Kreidelithographie – picture-alliance/akg-images

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Erscheinungsweise: vierteljährlich. ISSN 0046-9408. Auflage dieser Ausgabe: 150 000.

Redaktionsschluss dieser Ausgabe: Oktober 2006

Text und Fotos sind urheberrechtlich geschützt. Der Text kann in Schulen zu Unterrichtszwecken vergütungsfrei vervielfältigt werden.Der Umwelt zuliebe werden die Informationen zur politischen Bildung auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt.

Anforderungen bitte schriftlich an Bundeszentrale für politische Bildung c/o IBRo, Kastanienweg 1, 18184 Roggentin Fax: 03 82 04/66-273 oder E-Mail: [email protected]

Absenderanschrift bitte in Druckschrift.

Für telefonische Auskünfte (bitte keine Bestellungen) steht das Infotelefon der bpb unter Tel.: 02 28/99 515-115 von Montag bis Freitag in der Zeit von 8.30 bis 15.30 Uhr zur Verfügung.

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Informationen über das weitere Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung / bpb erhalten Sie unter der links oben genannten bpb-Adresse.

Änderungen der Abonnementmodalitäten bitte melden an [email protected]

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Zeittafel der Revolution von 1848

1848 Februar Kommunistisches Manifest

22. Februar Beginn der Unruhen in Paris

24. Februar Abdank ung Louis Philippes, Ausrufung der Republik

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5. März Aufruf zur Bildung eines „Vorparlamentes“ in Heidelberg

9. März Die Frankfurter Bundesversammlung übernimmt die Farben Schwarz-Rot-Gold, Liberale Regierung in Württemberg

13. März Beginn des Aufstandes in Wien15. März Bewilligung der Pressefreiheit

und einer Konstitution in Wien16. März Liberale Regierung in Sachsen18. März Ausbruch der Revolution in Berlin19. März Abzug der Truppen aus Berlin20. März Abdankung König Ludwig I. von

Bayern21. März Proklamation Friedrich Wilhelms IV.

„An mein Volk und an die deutsche Nation“

23. März Dänemark erklärt die Übernahme Schleswigs

24. März Provisorische Regierung in Schleswig-Holstein

29. März Bildung der liberalen Regierung Camphausen-Hansemann in Berlin

31. März Tagung des Vorparlaments in Frankfurt (bis 3. April)

2. April Zusammen tritt des Vereinigten Preußischen Landtags in Berlin

12. April Heck er ruft in Konstanz die Re-publik aus

20. April G efecht zwischen den Freischärlern Heckers und Struves und badischen Truppen bei Kandern

23. April Oktroyierte Verfassung in Wien27. April Niederlage der „Deutschen

Legion“ Herweghs bei Dossenbach 1. Mai Wahlen für die preußische und

deutsche Nationalversammlung 2. Mai Preußische Truppen marschieren

in Dänemark ein15. Mai Aufstand in Wien für einen

gesamtösterreichischen Reichstag17. Mai Kaiser Ferdinand I. flieht nach

Innsbruck18. Mai Die deutsche Nationalversamm

lung tritt in Frankfurt zusammen22. Mai Eröffnung der preußischen

Nationalversammlung in Berlin15. Juni Sturm auf das Zeughaus in Berlin20. Juni Bildung des Ministeriums

Auerswald- Hansemann in Preußen

29. Juni Wahl Erzherzog Johanns zum Reichsverweser

3. Juli Frankfurter Nationalversammlung berät über die Grundrechte

13. Juli Auflösung des Bundestages22. Juli Eröffnung des österreichischen

Reichstages in Wien12. August Rückkehr Kaiser Ferdinands I.

nach Wien

26. August Waffenstillstand von Malmö zwischen Preußen und Dänemark

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16. September Die Nationalversammlung billigt den Waffenstillstand von Malmö

18. September Septemberkr ise: Straßenkämpfe in Frankfurt; demokratische Aufstände in Baden, Hessen, Thüringen und der Pfalz

6. Oktober Volksaufstand in Wien, Ermordung des Kriegsministers Latour

7. Oktober Kaiser Ferdinand I. flieht nach Olmütz

1. November Besetzung Wiens durch kaiserliche Truppen unter Windischgraetz

9. November Hinr ichtung Robert Blums in Wien, Staatsstreich in Preußen

10. November Einm arsch Wrangels in Berlin27. November Sch warzenberg erteilt dem

Frankfurter Verfassungsentwurf die Absage Österreichs

2. Dezember Fr anz Joseph wird Kaiser von Österreich

5. Dezember Aufl ösung der preußischen Nationalversammlung und oktroyierte Verfassung in Preußen

27. Dezember V erabschiedung der Grundrechte1849 4. März V erkündung der oktroyier

ten Verfassung in Österreich; Auflösung des österreichischen Reichstages

28. März Die deutsche Nationalversammlung wählt Friedrich Wilhelm IV. zum Erbkaiser; amtliche Verkündung der deutschen Reichsverfassung

3. April Fr iedrich Wilhelm IV. lehnt die Kaiserkrone ab

5. April Abberufung der österreichischen Abgeordneten aus dem Frankfurter Parlament

14. April Anerk ennung der Reichsverfassung und der Kaiserwahl durch 28 kleine Teilstaaten

4. Mai Aufforderung der Frankfurter Nationalversammlung zur Durchsetzung der Reichsverfassung

14. Mai Die preußischen Abgeordneten werden aus Frankfurt abgezogen

30. Mai Einführung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen

6. Juni Die deutsche Nationalversammlung übersiedelt nach Stuttgart

18. Juni Württembergische Truppen zersprengen das Rumpfparlament in Stuttgart

23. Juli Rastatt ergibt sich den preußischen Truppen

20. Dezember Rücktr itt des Reichsverwesers1850 30. März Unionsparlament in Erfurt

(bis 29. April) 29. November V ertrag von Olmütz zwischen

Österreich und Preußen