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Infrastruktur - Heimatverein Hoogstede-Arkel e.V. · stand ein großer Tisch, drum herum ein Dut-zend Stühle. An einer Wand ein Sofa, daneben ein Kleiderschrank. Zwischen den hohen

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Gasthaus und BauernhofDer Autor Gerrit Ranft wurde 1937 als Enkelder Gastwirtin Swenne Wolters geb. Alferinkgeboren. Er lebte mit seiner verwitweten MutterDina und den Schwestern Ricarda und Elke von1942 bis 1956 auf dem Hof Wolters. Er ist Autorverschiedener Bücher und arbeitet heute alsFreier Journalist in Ulm. (www.grrtextfoto.de)

Die erste und bis weit in die zweite Hälftedes 20. Jahrhunderts hinein zugleich ältesteWirtschaft in Hoogstede war das „Gasthausunter den Linden“. Das lange, rechteckigeBacksteingebäude barg ursprünglich allesunter einem Dach: Gastwirtschaft, Wohnhaus,Stallungen fürs Vieh und Dachboden fürs Ge-treide. Denn zum Gasthaus gehörte immerauch ein Bauernhof. Urkundlich erwähnt wirddas Anwesen erstmals im Jahr 1795.

Das Wirtshaus lag in der Ortsmitte, west-lich der Hauptstraße, gegenüber der Einmün-dung der heutigen „Molkereistraße“, auf demnun freien Platz südlich der „Friedenseiche“von 1871. Zwei der vier namengebenden Lin-den wuchsen vor der Gastwirtschaft zurStraße hin, zwei weitere südlich an der Gie-belseite des Hauses. An einem der Bäumezeigte ein hölzerner Wegweiser nach Osten dieRichtung auf „Adorf“ an.

Nächste Nachbarn der Wirtschaft warenauf der östlichen Straßenseite die evangelisch-reformierte Kirche, das Pastorenhaus, zwischenbeiden der 1929 erbaute „Lehrsaal“. Schräg ge-genüber und südlich der heutigen „Molkerei-straße“ lagen die Molkerei von ErichPfundheller, Schmiede und Wohnhaus vonHermann Schophuis, die „Gastwirtschaft Mül-ler“. Das zweistöckige Wohnhaus, das heute

rechts neben dem Friedhofseingang an derHauptstraße steht, liegt im ehemaligen Obst-und Gemüsegarten des Gasthauses „Unter denLinden“. Der Haupteingang zur Wirtschaft warauf der Straßenseite, beiderseits eingefasst vondrei hohen Fenstern. Sie bestanden aus jeweils24 kleineren Scheiben. Ein viertes Fenster mitsechzehn Scheiben lag über dem kleinen Kel-lerfenster und gehörte zur „Upkamer“. Ähnli-che Fenster waren auf beiden Giebelseiteneingebaut.

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Das „Gasthaus unter den Linden“Gerrit Ranft, Ulm

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Jan Harm Harms-Ensink (Wolters) vor seinem Gasthaus (Gerrit Ranft)

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Die Nordseite enthielt ein großes Fenstermit 24, ein kleineres mit zwölf Scheiben. Zwi-schen beiden lag das „Unnerschur“, die gegenWind und Wetter geschützte Einfahrt zurDiele. Sie war groß genug, einen hoch belade-nen, von zwei Pferden gezogenen Erntewagenhindurchzufahren. Der hohe dreieckige Giebelbestand aus einer senkrecht vernagelten Bret-terwand, in die zwei kleine Türen eingelassenwaren.

Die südliche Giebelseite trug ebenfalls zwei,allerdings gleich große Fenster mit ebenfalls je24 Scheiben. Von hier führte eine Holztür inden Nebensaal des Gasthauses. Im Schattender beiden Linden standen nach Art eines Bier-gartens ein langer Tisch und zwei Bänke, allesgrob gezimmert und im Boden verankert.

Das hohe, steile Dach setzte auf der Stra-ßenseite in einer Höhe von gut drei Metern an.Nach Westen, zur Wetter- und Hofseite hin,war es bis auf etwa 1,20 Meter herabgezogen.Entsprechend niedrig war dort das Mauerwerk.In ihm saßen fünf kleine Fenster. Sie gehörtenzur Wohnküche, zur Waschküche und zu zweikleinen Schlafkammern. Eine niedrige Ein-gangstür führte zunächst in die Waschküchemit Spülstein und Wasserabfluss. Von dort gingeine Tür geradeaus auf die Diele, eine zweiterechts eine Stufe hoch in die Wohnküche.

In der geräumigen Küche stand in der hin-teren Ecke unterm Rauchfang der riesige Herd.Er wurde mit Holz und Torf befeuert. Nebenihm war eine Art Couch, Chaiselongue ge-nannt, unmittelbar an die Wand zur Gaststubegerückt. Ihr gegenüber zwischen den Fensternstand der Küchentisch, an dem gegessen wur-de. Zwei, drei Schränke für Geschirr und an-deres Gerät vervollständigten das Mobiliar. Ander Holzdecke über dem Eingang hingen Würs-te und Schinken aus der Hausschlachtung.Eine Tür führte direkt in die „Wirtschaft“ unddort hinter den Tresen, eine weitere in die ers-te der beiden anschließenden Schlafkammern.

Von der großen Diele hinterm „Unner-schur“ gingen Türen in die Wirtsstube, in denKeller, zum Elternschlafzimmer, zu einer wei-teren Kammer und durch die Waschküche indie Wohnküche. Eine schmale, sehr steileTreppe führte auf den Dachboden. Über dem

Keller, der nur einen guten Meter tief in denSandboden gebaut war, lag – einem Hochpar-terre ähnlich – die „Upkamer“, ein Schlafraum.Der guckte mit einem Fenster zur Straße hi-naus, mit dem andern in die Wirtschaft hinein.Wenn Tanz war, saß dort oben die Musikka-pelle. „Es ladet ein Familie Harms-Wolters“,stand dann in nicht ganz korrektem Deutschauf den Plakaten. Wenn „Kasperle“ mit sei-nem Theater aufs Dorf kam, wurde die Upka-mer zur Bühne.

Das einstöckige Gebäude mit seinem gro-ßen Dachboden war in zwölf unterschiedlichgroß bemessene Räume unterteilt. Den größ-ten bildete die Diele mit einem Fußboden ausBentheimer Sandstein. Ihr schloss sich der ge-ringfügig kleinere Gasthaussaal an. Er warfast ständig mit einer hölzernen, faltbaren„Spanischen Wand“ in zwei etwa gleich großeRäume unterteilt. Nur zu größeren Veranstal-tungen wie Tanzabenden, Hochzeiten und an-deren Festen wurde sie zusammengeschoben.Beheizt wurden beide Säle über einen Kachel-ofen, in dem Torf verbrannt wurde.

Das Familienleben wurde in der Wohnkü-che gehalten. Dort fanden sich Besucher undVerwandte ein, wurde gegessen und „geklönt“.Am zweiten Ostertag war Wettessen hartge-kochter Hühnereier. An „Oaljoahrsoavend“ (Sil-vester) kamen die großen Schüsseln auf denTisch. Jeder durfte sich jetzt einmal an Fleischund Speck und Würsten satt essen. Kartoffelnblieben an diesem „Fullbuksoavend“ im Keller.Jahrzehnte hindurch fand sich an jedemAbend des Jahres Johannes Harms-Ensink inder Küche ein. Er kam mit dem Fahrrad, saßmeist recht schweigsam in der Familienrundeund radelte gegen zehn Uhr nachts zurücknach Hause.

Die Schlafräume der Eltern und Großelternlagen an der nördlichen Giebelseite beiderseitsdes „Unnerschur“, zwei weitere Kammern fürdie Kinder unter dem weit heruntergezogenenDach auf der Westseite neben der Küche. Die„Gute Stube“ war zwischen dem Nebensaalund den Kinderzimmern eingerichtet. Sie hattezwei große Fenster zur südlichen Giebelseitehinaus mit Blick auf zwei mächtige Flieder-sträucher und den Obstgarten. In der Mitte

DAS „GASTHAUS UNTER DEN LINDEN“

stand ein großer Tisch, drum herum ein Dut-zend Stühle. An einer Wand ein Sofa, danebenein Kleiderschrank. Zwischen den hohen Fenstern fand ein Schreibtisch Platz, auf ihmdas einzige Telefon des Hauses. Ferngesprä-che wurden bis weit in die fünfziger Jahre desvorigen Jahrhunderts von der Poststelle imKolonialwarenladen Sloot handvermittelt. DieGute Stube wurde selten betreten.

Im „Gasthaus unter den Linden“ traf sichdie Welt – sozusagen. Sonntagmorgens schau-ten Kirchgänger kurz rein. Wochentags kamendie Fuhrleute mit der frischen Kuhmilch fürdie Molkerei schräg gegenüber. In der Wirt-schaft oder davor schlugen sie die Zeit tot,während sie auf Molke und Butter warteten.Die Pferde blieben eingespannt, scharrtenvorm Haus mit den Hufen. Die Fuhrleute hat-ten es gut. Auf ihren „Milchwagen“ hielten siegelegentlich ein Schläfchen. Die Pferde wuss-ten ihren Weg. Brav blieben sie überall dortstehen, wo Milch auf der Hinfahrt auf- undzur Rückfahrt Molke und Butter abgeladenwerden mussten.

Hochzeiten wurden im Gasthaus gefeiert. Inder Wirtschaft zog Gemeindekassierer HarmBoll (Foto S. 331) von den Bauern die Steuernein. Am Tag vor „Nikolaus“ war „Knobeln“ imNebensaal. Für ein paar lang gesparte Gro-schen wurde um verlockende Gewinne ge-würfelt – eine Tafel Schokolade, eine DoseFisch, Bockwürstchen, ein Frankfurter Kranz.Aus heutiger Sicht Kleinigkeiten, damals Le-ckerbissen, die es das ganze Jahr über kaumeinmal gab.

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Alte Bäckerei bei der Gaststätte Wolters, im Hintergrund Behelfsheim, 1956 (Gerrit Ranft)

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Mit dem „Kleedwagen“ zur KircheGerrit RanftSonntags zwischen neun und halb zehn rollendie „Kleedwagen“ auf den Hof neben dem„Gasthaus unter den Linden“. Die Pferde wer-den ausgespannt, die Wagen an der Nordseitevorm „Unnerschur“ abgestellt. Sie bringen dieGottesdienstbesucher aus den umliegendenOrtschaften heran. Einfache Ackerwagen sind

es zumeist. Hin und wieder eine Kutschedabei. Eine Leinenhaube, „dat Kleed“, istihnen übergestülpt zum Schutz gegen Windund Wetter und die Sonne. Die ganze Familie,auch einige Nachbarschaft, hockt gedrängtunterm weißgrauen Leinenkleid.

Ein knappes Dutzend Wagen sind es anhohen Festtagen, sonst meist weniger. Siekommen von jenseits der Vechte herüber aus

Erinnerung an einen alten Hof(Gaststätte und Hof Wolters, Aus Jahrbuch 2002)

Gedicht von Ricarda Ranft-Koschek

Als ich noch ein Kind in Hoogstede war,da gab’s in Omas Weertschup Eis am Stielaus der Kiste und rote Regina, die uns besonders gefiel.Hilje und Boden, staubig-dunkle Eckenin der Scheune – Ställe, Strohund Heu – herrlich, sich dort zu verstecken.An der Kastanie unsere Schaukel hing.Der Baum lebt hier heute noch.Sonst ist alles weg – auch das kleinste Ding.

Es ist dort nichts mehr so, wie es mal war,ist alles lange dahin– ist alles vorbei schon so viele Jahr’.Fort sind die Menschen, die damals dort lebten.Die Familie war groß.Viele sind tot, die am Leben da webten.Oma und Opa, Onkel und Tanten.Fort Kusine und Vettern.Niemand mehr dort – von all den Verwandten.

Eine Kreissparkasse steht jetzt da, undneue Häuser zum Wohnenwuchsen schnell empor auf dem alten Grund.Auch der kleine Friedhof – evangelischkonnte wachsen, wurde groß.Alles ist jetzt recht ein bisschen modisch.Neues kommt her, und das Alte vergeht.Doch warum muss ein ganzer Hof so vergehn – wie vom Winde verweht.

Nichts ist mehr so, an das ich denken kann,nur all das Verschwundenesteigt in die Erinnerung – dann und wann.Am Haus standen vier mächtige Linden,auf dem Hof waren Eichenund auch andere Bäume zu finden,Holunder, Weißdorn. Im Garten Flieder,Apfel-, Pflaumen-, Birnen- und Äffiesbäume – wir sehen sie nie wieder.Johannis- und Stachelbeeren am Strauch,rosa, weiße und roteRosen – weg und dahin sie alle auch.Flieder- und Weißdorn- und Buchenhecken,Schneeglöckchen, Herbstes Astersich nie wieder mit Blüten bedecken.An den Mauern der alten Bäckereiwucherten Efeu und Wein,an der Pütte Holunder – `s ist vorbei.

Wo blieb das Alte, das lange dort standim Dorf – mehr als hundert Jahr?Nur diese Kastanie ich wiederfand.Alles verschwunden, vergangen, dahin,Menschen, Tiere, Haus und Hof,– als Erinnerung ist es stets im Sinn.Alles, was einstmals so schön gewesen,als ganz viel Leben dort war,alles fort – als wär’ es nie gewesen.

Vierständerscheune – Dreiständer das Haus,Heim für Menschen und Tiere –vergangen. Eins, zwei, drei und sie sind aus.Ändernd, verwandelnd geht die Zeit dahin, erneuert, lässt vergessendas Alte, was noch gewesen im Sinn.Alles, was wir einstens gedacht – es gehtmit der Zeit. Und der Zukunftverloren. Doch nicht was geschrieben steht.

DAS „GASTHAUS UNTER DEN LINDEN“

Kalle und Tinholt. Auch aus Arkel rollen sieheran, von wo die evangelische Kirche 1821nach Hoogstede versetzt worden war. Dazuvon Scheerhorn her, aus Bathorn, „vom Kanal“.

Weite Wege sind das für viele immer wie-der zum sonntäglichen Kirchgang. Und essind Sandwege. Die Ackergäule haben schwerzu schleppen an den Fuhrwerken. Von denPferdehufen aufgewirbelter Staub dringt unterdie Haube, legt sich auf die Festtagskleidung.Endlich am Gasthaus angekommen, wird dasGewand erst mal kräftig geschüttelt und aus-geklopft.

Nach dem Ausschirren der Pferde geht'smeist schnell eben noch rein in die „Wirt-schaft“. Der Täufling wird neu gewickelt, be-kommt kurz die Brust. Damit er nachher in derKirche nicht so brüllt. Geld wird gewechseltfür den Klingelbeutel. „Kannst ruhig ein paarGroschen rausgeben“, brummelt mancher er-munternd der Wirtin zu. Die Männer muntertnach der langen Reise ein „Scholtens Gene-ver“ etwas auf.

Frauen trinken nichts, höchstens mal einGlas hellrotes, quietschsüßes „Regina“. Sie

eilen aber noch mal kurz übern Hof zurScheune und aufs Klo. Keine Wasserspülung,kein Handwaschbecken, keine Kanalisation.Halb zehn. Mit dem Beginn des Glockenläu-tens leert sich die Wirtschaft.

Gut hundert Schritt nur zur Kirche. Das istsehr praktisch. Frauen sitzen links, Männerrechts. Der Kirchenvorstand vorn erhöht im ei-genen Gestühl. Gesangbücher bringen alleselbst mit, meist Goldschnitt, oft mit Verschluss.

Der Pastor steigt bedächtig die kleineTreppe zur Kanzel hinauf. Bis zur Erweiterungder Kirche 1951 stand sie an der Nordwandzwischen zwei Rundbogenfenstern. Andert-halb Stunden können lang werden. Da istnicht jeder ständig hellwach dabei. Die Ge-danken gehen schon mal zurück zur Kuh aufdem Hof, die bald kalben wird. Auch die Kar-toffeln sollten allmählich raus. Zu KöstersMühle müsste er demnächst wohl mal wieder,ein paar Sack Roggen mahlen zu lassen.

Der Klingelbeutel pendelt an einer langenStange heran. Verflixt, wo ist der Groschenbloß? Schon ganz schön was drin. Nun kann'snicht mehr lange hin sein. Beim Rausgehen

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„Kleedwagen“ und Kutsche um 1890 vor der reformierten Kirche. Mit der Kutsche rechts im Bild machte Pastor und Schulinspektor Nyhuis (rechts im Bild) seine Inspektionsreisen. (Hilde Neuwinger)

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steht an der Tür noch mal einer und hält denKlingelbeutel hin. Draußen ein paar kurze Ge-spräche. Man trifft sich ja so selten. Rüberzum Gasthaus. Konfirmanden kriegen jetztihren ersten Schnaps. Pferde einspannen. ZumMittagessen wird man daheim sein.

Der Bauernhof WoltersGerrit RanftEin paar Schritt nordwestlich des Gasthausesstand – breit hingelagert – die Scheune. In denvier oder fünf Ställen wurden zwei, dreiPferde gehalten, mal vier, mal sechs schwarz-bunte Kühe, ein paar Bunte BentheimerSchweine. Auf der Diele an der Wand zumKuhstall stand eine Viehwaage. Kühe,Schweine, gelegentlich ein Schaf wurden ge-wogen, ehe sie die Fahrt zum Schlachthof an-traten. Regelmäßig wurde die Waage geeicht.

Auf dem Dachboden lagerte Heu als Win-terfutter. In der Mitte war eine große vier-eckige Öffnung. Durch sie wurde das Heunach der Mahd mit großen Gabeln per Handauf den Boden gereicht. Zur Fütterung im

Winter wurde es durch dieselbe Öffnung nachunten abgeworfen. Einmal rutschte der Hof-besitzer Jan Harm Harms-Ensink selbst miteiner solchen Ladung durch die Luke. Erstürzte vier Meter in die Tiefe, fiel aber ver-hältnismäßig weich ins Heu. Es blieb beimBruch eines Schlüsselbeins.

Zwei „Plumpsklos“ waren in die südöstli-che Ecke der Scheune eingebaut. Weder dortnoch in Wirtschaft und Wohnung gab es zurMitte des vorigen Jahrhunderts fließend Was-ser, auch keinerlei Kanalisation. Wasser wur-de, sobald es gebraucht wurde, mit der Hand-pumpe neben dem rückwärtigen Hauseinganggefördert. Die fror in strengen Wintern schonmal ein. Für solche „Notfälle“ war gleich ne-benan ein offener Brunnen angelegt, der ingut vier Metern Tiefe im Grundwasser stand.

Rechtwinklig an die Scheune war der Hüh-nerstall angebaut mit zwei Dutzend Hennenund ein, zwei Hähnen, auch ein paar Enten.An die rückwärtige Giebelseite der Scheunelehnte sich ein hoher Schuppen. In ihm warder Heiztorf gelagert, der im Bathorner Moorvon Hand gestochen wurde. Im Winkel, den

DAS „GASTHAUS UNTER DEN LINDEN“

Das Innere der ev.-reformierten Kirche um 1900 (Hilde Neuwinger)

Scheune und Hühnerstall bildeten, lag derGöpel. Er wurde von einem Pferd immer imKreis herum gezogen. Eine Kardanwelle über-trug die Drehbewegung in die Scheune. Dortkonnten ein paar einfache Geräte angeschlos-sen werden. Ein Schäferhund war immer amHof. Einer hieß Prinz, der Nachfolger Flora.

Als weiteres Gebäude gehörte die „Bäcke-rei“ zur Gastwirtschaft. Sie wurde im 20. Jahr-hundert nicht mehr genutzt, war als Wohn-haus eingerichtet. Während des Zweiten Welt-kriegs wohnten ein paar Jahre lang zwei Fa-milien mit fünf Kindern in den drei mittel-großen Räumen. Eine baute sich 1946 auf demHof ein „Behelfsheim“ mit einer Wohnflächevon gut 24 Quadratmetern.

Äcker, Wiesen und Felder des Bauernhofslagen weit verstreut in Tinholt jenseits derVechte, im Bathorner Bruch, im „Künn Mö-chin“ hinter Kleine-Neerken, am südlichenDorfrand beiderseits des heutigen Mühlen-wegs, östlich der Molkerei. Die Grundstückedirekt am Hof reichten nach Süden hin bis andie heutige Bergstraße, nach Westen bis halb-wegs zur Bahnlinie. Der westliche Teil desFriedhofs samt Leichenhalle liegt heute da-rauf, ebenso mehr als die Hälfte der Grund-

stücke zwischen Bürgermeister-Harms-En-sink-Straße und der Straße „Am Neuland“.

Noch weit über die Mitte des 20. Jahrhun-derts hinaus war Hoogstede ohne einen einzi-gen offiziellen Straßennamen. Bauernhöfe,Wohnhäuser, Geschäfte, Gasthäuser wurdennur unter ihren Hausnummern aufgeführt. DerPostbote kannte sie alle. Nummer 18 war das„Gasthaus unter den Linden“. Angebracht wardas blauweiße Täfelchen an der Nordwesteckedes Hauses.

Ein mit Granit-, streckenweise auch mitBacksteinen gepflasterter, hier und da mitAsphalt ausgebesserter breiter Weg zog vonNord nach Süd in voller Länge durchs Dorf.Heute die „Hauptstraße“. Noch in den fünfzi-ger Jahren spielten die Kinder auf dieserStraße. Mit Holzstöckchen zogen sie die Sand-rillen zwischen den Granitsteinen nach, so-dass sich seltsame Muster über die Straßezogen. Gegenüber dem „Gasthaus unter denLinden“ zweigte das einzige asphaltierteSträßchen ab in Richtung Bathorn. Die Leutenannten es einfach „Die Neue Straße“, weil sieschon geteert war. Heute heißt sie „Molkerei-straße“.

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Gasthaus Wolters „Unter den Linden“ in 1956 (Gerrit Ranft)

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sische Festung Sedan. Die 28 Jahre alte WitweSwenne Wolters, zu diesem Zeitpunkt schonMutter von vier Kindern und mit dem fünftenschwanger, führte Haus und Hof allein weiter.Sie heiratete 1920 den sechs Jahre jüngerenBauern und Viehhändler Jan-Harm Harms-Ensink aus Hoogstede.

Swenne Harms-Ensink, verwitwete Wol-ters, geborene Alferink brachte in den neun-zehn Jahren von 1909 bis 1927 zehn Kinderzur Welt. Berendina als Zweitgeborene starbnach vierzehn Tagen. Anderthalb Jahre dar-auf wurde eine weitere Tochter geboren. Sieerhielt ebenfalls den Namen Berendiena, nunallerdings mit einem „E“ hinter dem „I“. Die-sen drei Mädchen folgten drei Jungen. Siewurden auf die Namen Johann, Gerrit undHermann getauft.

Als Hermann Wolters 1917 geboren wurde,war sein Vater Gerrit bereits tot. Er war nur 34Jahre alt geworden. Nach acht Ehejahren warSwenne Wolters Witwe. Ihr ältester Sohn Jo-hann fiel mit dreißig Jahren als Soldat im Zwei-ten Weltkrieg in Russland. Hermann Wolterskehrte zwar aus dem Krieg heim, litt aber zeit-lebens an den Folgen einer Verwundung. SohnGerrit wurde Bäcker und zog nach Berlin.

Aus der Ehe mit Jan-Harm Harms-Ensinkgingen ein Sohn und drei Töchter hervor –Heinrich, Gesine, Berta und Adele Harms-En-sink. Sohn Heinrich Harms-Ensink fiel wiesein älterer Halbbruder Johann Wolters imZweiten Weltkrieg. In zwei Kriegen verlorSwenne Wolters/Harms-Ensink sechs nächsteAngehörige – den Ehemann, zwei Söhne, zweiBrüder, einen Schwiegersohn.

Unter den 25 Kindern und Enkelkindernder zweiten und dritten Generation war keinLandwirt. Zwei Töchter unterhielten eigeneGasthäuser in Hoogstede und am BahnhofVeldhausen. Das „Gasthaus unter den Linden“und der zugehörige Bauernhof wurden nichtweitergeführt. Der Backsteinbau mit den Lin-den davor stand nicht unter Denkmalschutz.So wurden Land- und Gastwirtschaft in densiebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auf-gegeben, die Gebäude abgetragen. Nichts erin-nert heute an das traditionsreiche Wirtshaus –außer einem leeren Platz in der Ortsmitte.

DAS „GASTHAUS UNTER DEN LINDEN“

Familie Wolters/Harms-Ensink Das 1795 erstmals urkundlich genannte„Gast haus unter den Linden“ mit zugehörigerLandwirtschaft hat Gerrit Wolters, Bauern-sohn aus Bischofspool, ums Jahr 1908 herumvon Berend Jan Laarmann erworben. Knappsiebzig Jahre lang blieb es im Besitz der Fa-milie Wolters, später Harms-Ensink, auchHarms-Wolters genannt. Mitte der siebzigerJahre des vorigen Jahrhunderts wurden dasGasthaus, der Bauernhof, die landwirtschaft-lichen Grund stücke von den Erben verkauft,die Gebäude abgetragen.

Gerrit Wolters war 1881 in Bischofspool,das heute nach Neuenhaus zählt, zur Welt ge-kommen. Im Alter von knapp 27 Jahren hei-ratete er die sieben Jahre jüngere SwenneAlferink, die aus dem heutigen Escher OrtsteilBinnenborg stammte. Finanziert hatte Woltersseinen neuen Besitz – zumindest teilweise –vermutlich mit seinem Erbteil, das ihm wohlzur Heirat ausgezahlt worden war. Gemein-sam betrieben er und seine junge Frau Haus,Hof und Gastwirtschaft. Eine Menge Arbeitfür ein jungvermähltes Paar. Ihr erstes ge-meinsames Kind Aaltien wurde 1909 geboren.

Nach nur knapp achtjähriger Ehe fiel Ger-rit Wolters als Soldat im Ersten Weltkrieg am26. September 1916 im Kampf um die franzö-

Jan Harm Harms-Ensink und seine Ehefrau SwenneHarms-Ensink, verw. Wolters, geb. Alferink im Alter von84 Jahren in 1972 (Gerrit Ranft)

Zum Gasthaus gab es ein schönes Fotovom Jahr 1911. Auf der Straße vor dem Haussteht sehr selbstbewusst der 30 Jahre alte Be-sitzer Gerrit Wolters, ein Pferd am Zügel hal-tend. Neben ihm seine 23 Jahre alte EhefrauSwenne, an der Hand ihr erstes Kind, TochterAaltien. Nachbarn stehen daneben, wohl auchzufällig vorbeikommende Fuhrknechte miteinem „Kleedwagen“. Das Bild ist verschollen,seit es 1978 auf einer Ausstellung in Hoog-stede gezeigt wurde.

Anner Löö de gek anstekken – Jan Harm „Wolters” von Jan Hindrik HöllmannWolters Jan Harm (Harms-Ensink) was metSwenne Wolters – ne Wedefrau – traut. Debäiden verwarkden ́ ne kläine Buurderij en be-drewen ok noch ̀ ne aulerwetsche Weertschupin Hoogstee. Ik sölws heb d`r in miene jungeJoahren woar ´n moal `n Söpien dröinken,wenn`t kault was. Tegenover van Jan Harms

Weertschup lag Pfundteller siene Molkereij.Wij munnen de Melk van de Haar alle Dagemet Peerd en Wage doorhäin brengen. Datlööt wij Noabers uns ümgoan. Eenmoal in deWekke was ik dran. Bij de Winterdag kwamman dan verschäiden moal döörfrören en metIesklumpen an de Föte up de Hoogstee an.Dan was man bliede, wenn man sik bij JanHarm eem `n paar Söpies drinken un upwör-men kunn.

Jan Harm was nich bloos nen urigenWeert, hee was ok noch `n groot Kalw, wennhee wel föör de Gek kriegen kunn. Ik hebbemij vertellen loaten, et möt wal woar ween,wo hee oavens moal `n Köppeltien Fäinte an-schmeert hef. Jan Harm säg tegen eer: „Jungs,ij möt mij even helpen, door will ne Koh kal-wern!“ De Fäinte güngen ok met em. Et wasdüster. Up de Delle brande bloos ´n kläinLecht. De Fäinte stünnen buten vöör de Stall-döre un kunnen nich seen, dat Jan Harm dateene Äinde van`t Töuw an´n Stallfessel (Hal-tepfosten für Kuhkette) böind. See wochdendann, dat se dat anner Äinde, woar se an trek-ken süllen, te pakken kregen. Jan Harm rekdeeer dat Töuw döör de Döre en säg: „Fäinte,trekkt, et is ̀ n swoar Kalw, et sit d´r struw bij!“De Fäinte trökken, wat drin sat. Du kreeg JanHarm sein Tükmess en sneet döört Töuw. DeFäinte föllen alle met Gat in`n Dräk. Jan Harm

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Vor der Gastwirtschaft Wolters, 1911. Dies ist ein identischer Abzug vom verschollenen Bild. Im Buch Alt-Hoogstede (S. 78) heißt es: „Gasthaus Laarmann. Hier wurden sonntags die Pferdegespanne der Kirchgängeruntergestellt. In den Wintermonaten hatte man die Mög-lichkeit, sein ‚Stövchen‘ erneut mit Glut zu beschicken. Die Täuflinge wurden hier eingekleidet und vor dem Kirch-gang noch einmal gestillt. Hoogstedes erste Gastwirtschaftwird bereits 1795 urkundlich erwähnt. Der letzte Besitzerwar Jan-Harm Harms-Ensink“ (Wolters) (Gerrit Ranft)

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lachde sik in`t Füsien, men hee mus eer föörde Undöge, de hee eer andoan hadde, metFusel un Beer trakteren.

Mij fallt door noch`n Ding ien. N´annermoal sat n`Büürtien uut Scheerhorn bij JanHarm an de Theke – ik will `n Namen nichnömen – dat göing to wiet. De bäiden proat-den `nen Set over dit un dat. Du föing JanHarm an te gapen. Froag nich wo – däin Bekgöing em bis an`n Kinhaken lös. „Wat hesse?“,froagde dat Büürtien, „bisse löj?“ „Och“, säJan Harm, „ik mach d`r nich mehr van wetten;ik heb al dree Nachte bij`t Peerd upsetten.Meens`te, däin will füllen!“ Hee gapde nochis moal un sä: „Of wis du moal `ne Nacht up-passen? Ik wol wal gerne moal weer sloapen!“„Wenn`t soa is“, sä dat Büürtien, „dann do`kdat. Woar mök ween?“ Jan Harm göing metem noa de Delle un sä: „Däin Voss doar inStall, däin mot füllen.“

Dat Büürtien setde sik up `nen SchoafStroah un pös up – de heele Nacht – men doarkwam niks. Dat Peerd woll nich füllen. An annern Mörgen kwam Jan Harm bij em unfroagde: „Wo sött`t ut? Heffe dann nu `nFüll?“ „Nee“, sä dat Büürtien. „noch nich!“„Hesse dann ok al kekken, offe Häess (Stuten-harz = angetrocknete Kolostralmilchtropfen)

hef?“ froagde Jan Harm. „Nee, noch nich“, sädat Büürtien, „men dat kan ik nu wal evendoon.“ He göing in`n Stal u keek den Vos unnern Balg. Du sach hee, dat hee bij `neRune (Wallach) upsetten hadde. Jan Harm mutok disse Undögde met`n paar Söpies un`n GlasBeer betalen.

DAS „GASTHAUS UNTER DEN LINDEN“

Jan Harm Harms-Ensink 1956 (Gerrit Ranft)

PostgeschichteJohann Kemkers und Heinrich Keen

HoogstedeIm Rahmen der Übergabe der neuen Dienst-räume in der alten katholischen Schule für diePoststelle I in Hoogstede im März 1983 gabPostrat Tannen aus Lingen einen Rückblickauf die „fast einhundertjährige Postge-schichte“ der Gemeinde Hoogstede. In demBericht der Grafschafter Nachrichten heißt esdazu, dass nach den vorliegenden Unterlagendie Postagentur am 1. August 1886 einge-richtet worden sei. Ab 1904 habe die Agenturim Hause Sloot Platz gefunden; sie sei damalsvom Kaufmann Hermann Sloot geführt wor-den, unterstützt von seiner Ehefrau Swennegeb. Tymann.

Die überörtliche Postverbindung wurde, daes noch keine Eisenbahn gab, durch Postkut-schen bewerkstelligt. Der Schreiber der Chro-nik der Katholischen Schule überliefert unsaus dem Jahre 1895, dass „die Privatpost vonNeuenhaus nach Emlichheim ... durch Hoog-stede“ fahre und „hier 4mal täglich“1 halte.

Als Landbriefträger wurde am 10. März1890 Hindrik Jan Stroot (geb. 1855) aus Bat-horn durch die Kaiserliche OberpostdirektionOldenburg angestellt2. Die Zustellung erfolgte„zu Fuß ... von Hoogstede aus über Scheer-horn, Georgsdorf, Adorf und dann zurück überden Bathornerdeich im wahren Sinne desWortes ein Deich einem Sprungbrett gleich,

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Postkutsche vor Sloot,zwischen 1890 und 1910 (Ausschnitt)(Hilde Neuwinger)

1 Schulchronik der Kath. Volksschule Hoogstede 1857–1938 2 s. Bestallungsurkunde

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immer von der einen Sudde auf die anderestets in Gefahr ... in den Abgrund zu sinken“3,wie der Bäcker J. H. Harms-Ensink zu Scheer-horn voller Hochachtung schreibt, als er JanHindrik Stroot zu dessen 82. Geburtstag (1937)gratuliert und sicher zu Recht hinzufügt, dass,wenn er (Stroot) alle seine „Botengänge u. Er-lebnisse von A. bis Z. würde aufgezeichnethaben“, das ein Buch geworden wäre, „wo diejetzt ankommende Generation würde sagen ...nicht zu glauben“. So ein Erlebnis war z.B.,wie in der Familie Stroot übermittelt wurde,der Auftrag an Hindrik Jan Stroot, nach einer

Schlägerei in Adorf Stuhlbeine nach Hoog-stede zur Post zu bringen, damit sie als Be-weismittel an das Amtsgericht Neuenhausgeschickt werden konnten.

Die Anstellung von Hindrik Jan Stroot warder Beginn eines über drei Generationen wäh-renden Briefträgerdienstes durch die FamilieStroot. Die Verbindung dieser Familie mit demPostzustelldienst war so sehr im Bewusstseinder Hoogsteder eingeprägt, dass man im Laufeder Zeit allgemein nur noch „de Boode“ sagte,wenn man Stroot meinte.

Am 1. August 1916 trat Sohn Jan (geb.1891) den Dienst als Postbote an. Er warmit einer Handverletzung aus dem ErstenWeltkrieg entlassen worden. Seinen Dienstübte er bis zur Pension im Jahre 1955 aus.

Ihm folgte der Sohn Hindrik Jan, der1980 in Pension ging – 90 Jahre nachder Anstellung seines Großvaters.

Für die Poststelle Hoogstede war ab1943/ 44 Frau Swenne Sloot als Post-halterin verantwortlich. Nachdem erschon seit 1946 als Vertreter für

Swenne Sloot tätig gewesen war, über-nahm der aus dem Zweiten Weltkrieg schwer-verletzt zurückgekehrte Wasse Hannebrookam 1. Januar 1950 die im Geschäftshaus Slootneu eingerichtete Poststelle; als sogenanntePoststelle I stand sie nun der Bevölkerung mitfesten Schalterstunden zur Verfügung.

Bestallungsurkunde des Landbriefträgers Hindrik Jan Stroot (Johann Stroot)

Drei Generationen Postler. Gerda Stroot (Brouwer), Gesine Stroot (Schöppner) Zwenna Stroot geb. Tübbergen,

Jan Stroot mit Gerhard auf dem Arm, rechts Hindrik Jan Stroot, davor Gesien Stroot

geb. Joostberends,1855-1940, Johann Stroot, vermisstund Hindrik Jan Stroot,1855-1937) (Brouwer)

POSTGESCHICHTE

3 Persönliches Schreiben von J. H. Harms-Ensink, Bäcker zu Scheerhorn, und seiner Ehefrau Anna geb. Kwade

Im Jahre 1953 zog die Post auf die andereSeite der Hauptstraße in das von der FamilieHannebrook neu erbaute Haus.

Neben dem Schalterraum wurde hier auchein Zustellraum für zunächst zwei Zustellereingerichtet, nach der Auflösung der Poststel-len Scheerhorn/Berge, Kalle und Tinholt imJahre 1976 mit vier Zustellern. Die seinerzeitzuständigen Stammzusteller waren HindrikJan Stroot, Hindrikus Hesselink, Gerrit Onsteeund Heinrich Keen.

Im Jahre 1983 zog die Post dann noch ein-mal in die ehemalige katholische Schule um,nachdem diese umgebaut worden war.

Nach der Umwandlung der DeutschenBundespost in die Post AG wurde 1995 dieZustellung von Emlichheim aus durchgeführt.Auch die Posthalterstelle Hoogstede fiel derRationalisierung zum Opfer. Es wurden soge-nannte Postagenturen in Geschäften eingerich-tet; zuerst beim Geschäftshaus Sloot, da- nachbei LOTTO/TOTO Renate Kolthof, beim Land-handel Köster und jetzt bei Wilhelm Warmer.

Tinholt 1931–1965Ab 1922 wurden die Bauernschaften Tinholtund Kalle, die bis dahin zum Bestellbezirk Em-lichheim gehörten, von Hoogstede aus bestellt.

Im Jahre 1931 wurde im Hause Grüppe ei-ne sogenannte Poststelle II mit Zustellung ein-gerichtet. Den Dienst versah Hermann Grüppevon 1931–1939. Als er zum Militär eingezo-gen wurde, übernahm sein Bruder Geert dieAufgabe für zwei Jahre. Danach, von 1941 an,war die Schwester Everdine Grüppe (späterverh. Roeles) in der Poststelle tätig. Die Zu-stellung erledigte Gerhard Lübberink bis etwa1956. Ihm folgte Hindrikus Hesselink, der zu-vor in Kalle zugestellt hatte.

Als 1965 die Poststelle Tinholt aufgelöstwurde, erfolgte die Zustellung wieder vonHoogstede aus.

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Jan Stroot, 1891-1972 (Johannn Stroot)

Wasse Hannebrook an seinem Arbeitsplatz im Schalterraum(Sina Hannebrook)

Geert Grüppe als Postbote zu Pferd mit Jan Harms-Ensink,Tinholt, ca.1940. Postbote G. Grüppe benutzte bei Hoch-wasser als Transportmittel sein Pferd (Harm Grüppe)

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Im Rahmen von Maßnahmen zur Umstruk-turierung der Post wurde der Zustelldienst1976 zur Poststelle nach Hoogstede verlegt.Die Poststelle in Scheerhorn konnte als reineAnnahme-Poststelle erhalten werden, in derHendrikje Onstee, Ehefrau von Gerrit, 1976die Dienstgeschäfte übernahm.

Im Verlauf weiterer Umstrukturierungenbei der Post erfolgte 1995 die Auflösung derPostannahmestelle Scheerhorn. Damit endetezugleich die 60-jährige Tradition der FamilieOnstee im Dienste der Post – ein Dienst, derkeine Öffnungszeiten kannte und von früh bisspät für die Kunden da war.

Lager Bathorn 1949–1965Da im Lager Bathorn nach dem Krieg immermehr Flüchtlinge Unterkunft fanden und ihreZahl auf etliche Hundert angestiegen war,wurde auch hier 1949 eine Poststelle einge-richtet. Posthalter wurde bis Ende 1951 Gu-stav Drees. Die Zustellung der Post übernahmFrau Miriam Drees, heute Frau Kronemeyer,wohnhaft in Emlichheim.

Nach dem Ausscheiden von Frau MiriamDrees übernahm Frau Eva Drees die Poststelle;sie versah ihren Dienst hier über 13 Jahre biszur Auflösung der Poststelle 1965. Danach er-folgte die Zustellung von Hoogstede aus.

POSTGESCHICHTE

Hermann Ensink am 30.06.1976 auf seiner letzten Post-fahrt auf der 98er Rixe (Geert Ensink)

Poststellenleiter Jan Hindrik Onstee, 1903-1987, mit Ehefrau Jennegien geb. Aalderink, 1906-1991,ca. 1940 (Onstee)

Kalle 1935–1976Im Jahre 1935 wurde in Kalle im Hause GeertEnsink eine Poststelle II eingerichtet. GeertEnsink wurde auch gleichzeitig die Zustellungübertragen. Ihm folgte 1940 seine Adoptiv-tochter Henni Ensink.

Nach dem Krieg versah ab 1948 zunächstHindrikus Hesselink die Zustellung in Kalle.

Etwa 1954 übernahm Hermann Ensink geb.Grüppe und Ehemann von Henni Ensink,Poststelle und Zustellung in Kalle. 1976 fieldie Poststelle der Rationalisierung zum Opfer.Aber nach wie vor befindet sich noch der 1935angebrachte Briefkasten am Hause Ensink.

Scheerhorn 1935–1995Im Jahre 1935 eröffnete das Leit-PostamtNeuenhaus für den Bezirk Scheerhorn/Bergeeine sogenannte Poststelle II im Hause desBauern Jan Hindrik Onstee, dem die Leitungder Poststelle übertragen wurde. Die Zustel-lung erfolgte durch die Hilfskraft JohannHeinrich Plas.

1938 übernahm Jan Hindrik Onstee dieZustellung; seine Ehefrau Jenne geb. Aalde-rink, die schon zuvor die Krankheits- und Ur-laubsvertretung gemacht hatte, führte nun dieDienstgeschäfte der Poststelle.

Ab 1953 versah Sohn Gerrit den Zustell-dienst. Als sein Vater J. H. Onstee 1962 ausdem Postdienst ausschied, wurde ihm auch dieLeitung der Poststelle anvertraut. Für den Zu-stelldienst benutzte er fortan ein Moped undab 1974 einen PKW.

Mirjam Kronemeyer geb. Drews war alsPosthalterin beim Postamt in Neuenhaus be-schäftigt. Sie betreute die Postnebenstelle imLager Bathorn von 1949 bis 1952. Danachübernahm Eva Drews die Stelle. Postsammel-stelle war Hoogstede. Hier erhielten die Post-boten aus Kalle, Tinholt, Lager Bathorn undHoogstede selbst ihre Post.

„Ich bekam von der Post in Neuenhaus einneues gelbes Fahrrad mit einem gelben An-hänger. Bei den schlechten Wegverhältnissenvon Hoogstede nach Bathorn und etwa beistarkem Wind war die Fahrt auch für eine 25-Jährige anstrengend.“ (Mirjam Kronemeyer,49824 Emlichheim, den 22. Juli 2007

Postalische MerkwürdigkeitZeitung und Anzeigenblatt 1900/01Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim Ausgewählt von Johann Jeurink

Hoogstede, 4. December 1900 Eine postalische Merkwürdigkeit ist der Brief-und Paketbestelldienst nach dem in unmittel-barer Nachbarschaft gelegenen Tinholt. DieseBauernschaft ist von hier aus in einer kleinenViertelstunde bequem zu erreichen, auch sinddie Verbindungswege mit Hoogstede in gutemZustande. Der Übergang über die Vechte wirddurch die jederzeit passierbare Brücke vermit-telt. Trotz dieser Umstände findet jedoch derPostbestelldienst von dem mindestens andert-halb Stunden entfernten Emlichheim statt. Fürdie hiesige Einwohnerschaft ist dies mit gro-ßen Unzuträglichkeiten verbunden. Alle an-kommenden Sendungen bleiben eine, bzw.Sonn- und Festtags mehrere Nächte in Em-lichheim liegen. Für abgehende Sachen wirdschon jetzt ausnahmslos die Postagentur inHoogstede in Anspruch genommen. Was fürTinholt gilt, lässt sich in ähnlichem Maße vonder gleichfalls benachbarten Bauerschaft Kallesagen.

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Mirjam Kronemeyer, Posthalterin in Bathorn (Mirjam Kronemeyer)

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Volksbank seit 1923(Johann Jeurink)Der Lehrer Friedrich Voltmer, der PostagentHermann Sloot und die Landwirte Hindrik Köster, Jan Koops, Hermann Kolthoff, HarmBoll, Hermann Hannebrook, alle aus Hoog-stede, sowie Albert Bielefeld und Harm Grüp-pe aus Tinholt gründen 1923 die Spar- undDarlehnskasse eGmuH (eingetragene Genos-senschaft mit unbeschränkter Haftung.) Hin-drik Köster wird Rendant dieses Geldinstitutes,das vorläufig auf der Upkamer im Hause desLandwirtes Albert Köster untergebracht ist.Für die Abwicklung der nur zeitweise geöff-neten Spar- und Darlehnskasse steht ein Zim-mer von etwa neun Quadratmeter Größe zurVerfügung. Lehrer Voltmer vermittelt Kösterdie Grundlagen der Buchführung.

1932 zieht die Bank in das neue Haus vonHindrik Köster auf der gegenüberliegendenStraßenseite. Der „Schalterraum“ ist fast dop-pelt so groß wie vorher.

Die beiden Banken

Altes Haus Köster, rechts neben der Tür Fenster der „Upkamer“ (Johann Jeurink)

Die Volksbank in Hoogstede, 2008 (Johann Jeurink)

1959 baut die Spar- und Darlehnskasse ander Hauptstraße/Ecke Blanke ein neues Bank-gebäude, das mehrere Male erweitert und um-gebaut wird. Im Hause Tiedemann an der Hin-rich-Wilhelm-Kopf-Straße in Neugnadenfeldwird eine Zweigstelle eröffnet.

An der Großringer Straße in Neugnaden-feld entsteht 1968 ein neues Geschäftshausmit einer Einliegerwohnung. GeschäftsführerGeert Lübbers wird 1971 hauptamtliches Vor-standsmitglied. Die Spar- und Darlehnskassewird 1975 nach zweiundfünfzig Jahren zurVolksbank und Johann Jeurink 1977 haupt-amtliches Vorstandsmitglied.

1989: Fusion mit der Raiffeisenkasse Ge-orgs dorf. Vorstandsmitglied Jan Schüldinkkommt als hauptamtliches Mitglied in denVorstand. Die Bank baut 1993 auf der gegen-überliegenden Straßenseite ein neues Ge-bäude, das seitdem zweimal umgebaut wurde.

Die Volksbank fusioniert 1999 mit derRaiffeisenkasse Wilsum eG und heißt nun„Volksbank Hoogstede-Wilsum eG“. Nach ihrer Verschmelzung mit der Volksbank Uel-sen wird diese 2001 zur Volksbank Uelsen-Hoogstede-Wilsum eG mit Sitz in Uelsen.

Aufgrund von Altersteilzeitregelungen schei-den die Vorstandmitglieder Donker und Jeurink2005 aus dem „Vierer-Vorstand“ aus. Die Bankwird von den Vorstandsmitgliedern Gortmannund Schüldink geführt. Sie firmiert seit 2006als „Volksbank Niedergrafschaft“.

Kreissparkasse seit 1967(Hans-Jürgen Grobelny)Aufgrund des starken Kontenwachstums be-schließt der Vorstand der Sparkasse 1967, fürdie Kunden, die nicht im engeren Einzugsge-biet einer Geschäftsstelle leben, Serviceleistun-gen in einer mobilen Geschäftsstelle anzu-bieten. Im gleichen Jahr nimmt man die fahr-bare Geschäftsstelle, auch „Sparbus“ genannt,in Betrieb. Von Anfang an besteht in Hoogstedeeine Haltestelle vor der ehemaligen GaststätteMüller. Der Sparkassenangestellte Kuno Klom-parend fährt sie regelmäßig an. Sparkassen-kaufmann Josef Foppe übernimmt 1971 diefahrbare Geschäftsstelle.

Die Kreissparkasse Grafschaft Bentheim zuNordhorn eröffnet 1977 in Hoogstede eine Fi-liale in einem neu errichteten Wohn- und Ge-schäftshaus (Am Neuland 1). Geschäftsstellen-

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Der Sparbus der Kreissparkasse 1967-1977 (Grobelny)

INFRASTRUKTUR

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leiter wird der Sparkassenkaufmann GeertMomann. Der Bankkaufmann Hermann-HeinzMaatmann übernimmt 1982 die Leitung derGeschäftsstelle Hoogstede.

Die Kreissparkasse Grafschaft Bentheim zuNordhorn kauft 1987 die Wohnung in der ers-ten Etage des Geschäftsstellengebäudes inHoogstede zurück. Um eine bessere Beratungzu ermöglichen, wird die Sparkasse 1992 um-fangreich umgebaut und erhält eine neue Fas-sade. Der Geschäftsbetrieb wird währenddes-sen im Obergeschoss weitergeführt. 1993 wirddie umgestaltete Sparkasse wieder eröffnet.

Um eine denkbare Erweiterung der Ge-schäftsstelle zu sichern, erwirbt die Kreisspar-

kasse Grafschaft Bentheim zu Nordhorn 1998das direkt an der Hoogsteder Hauptstraße ge-legene Nachbargrundstück. Nachdem die pla-nerisch aus den frühen 90er Jahren stammen-den Räumlichkeiten der Sparkasse Hoogstedenicht mehr den aktuellen Sicherheits- und Be-ratungsansprüchen genügten, erfolgt 2005 einweiterer umfangreicher Umbau. In der neuenSparkasse – nunmehr ohne Vollverglasung –stehen den Kunden seitdem zwei Berater undzwei Kundenbetreuer sowie zusätzliche Selbst-bedienungseinrichtungen zur Verfügung.

DIE BEIDEN BANKEN

Die Kreissparkasse in Hoogstede (Grobelny)

Molkerei HoogstedeJohann Jeurink

EigentümerBezüglich der Eigentums- und Besitzverhält-nisse hat die Molkerei in Hoogstede eine sehrbewegte Anfangszeit hinter sich. Die gefunde-nen Veröffentlichungen zeigen zum Teil keineplausible Reihenfolge auf.

Die erste Information zur Molkerei fandich im Kreisblatt der Grafschaft Bentheimunter Nachrichten des Königlichen Amtsge-richtes Neuenhaus vom 3. Januar 1915 mitfolgendem Text veröffentlicht: „Die Gesell-schaft mit beschränkter Haftung Dampfmol-kerei Hoogstede ist aufgelöst.“

Am 14. Januar 1916 wurde unter „König-liches Amtsgericht Neuenhaus“ im Kreisblattder Grafschaft Bentheim veröffentlicht, dassHerr Märtens als Eigentümer eingetragen seiund das Geschäft aus einer Dampfmolkereibestehe.

Am 15. Oktober 1917 verkaufte der Besit-zer der hiesigen Dampfmolkerei, Herr Märtens,sein Geschäft an den bisherigen Pächter derBersenbrücker Molkerei, Herrn Basse (Chronikkatholische Volksschule Hoogstede).

Zum 1. Januar 1925 ging die Molkerei desHerrn Basse durch Verkauf in den Besitz einesHolländers, des Herrn de Vlaes aus Rotterdam,über (Chronik katholische Volksschule Hoog-stede). Lt. Kreisblatt für den Landkreis Graf-schaft Bentheim war der Beteiligte ein HerrBen de Kla aus Overschie bei Rotterdam.

Wahrscheinlich hatten sich zwischen HerrnBasse und dem Holländer nicht die Eigen-

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„Heini“ Bloemendal und Heiner Hilfers auf dem Milchwagen. Um 1955 mit Pferd und Wagen vor demHause Hilfers, Hoogstede, Hauptstraße 1. (Hermann Stroot)

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tumsverhältnisse, sondern die Besitzverhält-nisse geändert, da laut Chronik der kath.Volksschule Hoogstede im Dezember 1926 dieMolkerei aus der Hand des Herrn Basse in denBesitz von Pfundheller überging.

Emil Pfundheller wurde am 13. Februar1880 in Ostpreußen geboren. Sein Sohn undspäterer Besitzer und Eigentümer der Molke-rei, Erich Pfundheller wurde am 12. Juli 1909in Suldanen in Ostpreußen geboren und hei-ratete am 24. Juli 1951 Ruthilde geboreneArends aus Nordhorn.

„Melkboeren“Einer Ende der fünfziger Jahre von Pfundhel-ler gefertigten, etwa ein Quadratmeter großenÜbersichtskarte, die vergilbt und kaum nochzu lesen ist, kann man entnehmen, welcheMilchkannenfahrer für welche Milchlieferan-tenbezirke zuständig waren.

Demgemäß teilten sich ter Veen und Hes-selink den Kaller Bezirk. Hesselink fuhr zu-sätzlich noch die Betriebe „auf Arkel“ und denwestlichen Bezirk von Hoogstede an.

Der östliche Bereich von Hoogstede (RaumBathorn) wurde zu dem Zeitpunkt abwech-selnd von den Bauern erledigt.

Johann Brinkmann betreute den BereichWagenholt. Aus dem Bezirk Alexisdorf, fürden Heinrich Fledderus zuständig war, liefer-ten die am weitesten von der Molkerei gele-genen Milchbetriebe die Milch. Molendyk ausEsche war für den Escher, Berger und Scheer-horner Bereich zuständig. Flächenmäßig ge-hörte dieser zu den größten. Der Tinholter Be-reich war in zwei Bezirke aufgeteilt. Diesewurden von den Milchfahrern Meyerink undten Brink versorgt.

Tankwagen seit etwa 1960Gleich zu Beginn der sechziger Jahre wurdendann die teils von Pferden und teils von Trak-toren gezogenen Milchwagen gegen Milch-tankwagen ausgetauscht. Zu Beginn wurdedie Milch noch den Milchkannen entnommen.Später mussten die Landwirte sich Milchtanksmit größerem Volumen anschaffen. Die tägli-che Milchentsorgung endete aufgrund derdamit verbundenen Kosten. Die Landwirtewurden zu Beginn noch alle zwei Tage ange-fahren. Inzwischen – trotz wesentlich höhererLiterzahl – nur noch zweimal wöchentlich.

Als Privatunternehmer führte Herr ErichPfundheller die Molkerei bis 1968. Danachverpachtete er sie an die Milchwerke H. Wöhr-mann & Sohn GmbH und Co. KG in Kalka-Appeldorn. In der Zwischenzeit hatten sich die

MOLKEREI HOOGSTEDE

Vom Milchwagen zum Tankwagen. 1971 bis 2001 fuhrHarm Egbers Tankwagen (Johann Jeurink)

Milchlieferanten aus dem Bereich Hoogstedeund Umgebung zu einer Milcherzeugerge-meinschaft Hoogstede (ohne Rechtsform) zu-sammengeschlossen. Mit dem Übergabever-trag vom 10.08.1993 erfolgte die Vereinba-rung, dass mit Wirkung vom 01.01.1994 diebislang an die Milchwerke Wöhrmann gelie-ferte Milch an die MolkereigenossenschaftenUelsen/Emlichheim, der späteren Milchver-wertung Niedergrafschaft eG geliefert werde.

Im südwestlichen Bereich des Gebäude-komplexes (Hauptstraße L 44 / GrundstückSchophuis) wohnte die Familie Erich und Rut-hilde Pfundheller gemeinsam mit ihren beiden

Kindern Esther und Edgar. Die Eheleute Pfund-heller sind verstorben. Das Wohnhaus wirdzeitweise noch von Edgar Pfundheller be-wohnt. Ein Teil des gewerblichen Traktes wur-de abgebrochen. Der Rest wird zur Zeit vonder Firma G+H gepachtet.

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Molkerei in den 1950er Jahren (Pfundheller)

Molkerei mit einem der ersten Tankwagen, Anfang 1960er (Willy Friedrich)

Erich Pfundheller war ein leidenschaftlicher Jäger v.l. stehen 2 unbekannte Jagdhornbläser, Johann Schroven. Es sitzen von links: Bernhard Müller, Hindrik-Jan Slikkers,Erich Pfundheller und Jan Schroven (Pfundheller)

Polizei Hoogstede

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In Hoogstede gab es einige Jahrzehnte eine ei-gene Polizeistation. In den 1950er Jahrenwohnten und arbeiteten hier die PolizistenLeipner und Drees. Die Bürgerwehren nachdem Ersten Weltkrieg waren eine Art Vorläu-fer der Polizei. (gjb)

Hamsterer und Bürgerwehren 1919Zeitung und Anzeigenblatt Kreisblatt für die Grafschaft Bentheim Zusammengestellt von Johann Jeurink

Zeitung und Anzeigenblatt Nr. 17 vom 26. Februar 1919 Bildung von Bauernwehren in Esche und Hardingen gegen die zunehmenden Diebstähle durch Hamsterer, Soldaten etc.Die Klagen über Holzdiebstähle wollen nichtverstummen. Mit der Zunahme des Mangelsan Brennmaterialien scheint ihre Vermehrunggleichen Schritt zu halten. Klagen über solcheDiebstähle kommen aus allen Teilen der Graf-schaft – ist doch auch kürzlich bei Hoogstedeein wertvoller Baum umgesägt und mitgenom-men – am meisten jedoch augenblicklich ausder Nordhorner Gegend. Die Diebe brechen inirgend welchen Holzbestand ein, legen wahllosBäume um, wobei sie in der Regel, wohl ihrerBequemlichkeit halber, Baumstümpfe von einemMeter Höhe stehen lassen. Sie beschränkensich dabei nicht etwa auf schlagreifes Holz,sondern im Gegenteil wird in der Regel wert-volles Nutzholz gefällt und gestohlen. DieLandwirte können gegen diese Forstdiebstählekaum geschützt werden, es bleibt ihnen wohlnur der Weg der Selbsthilfe, wie ihn beispiels-weise die Gemeinde Frensdorf schon durch die

Bildung einer Sicherheitswehr betreten hat. IhrBeispiel dürfte zweckmäßig in den anderenLandgemeinden Nachahmung finden.

Zeitung und Anzeigenblatt Nr. 19 vom 05. März 1919Hoogstede, 3. März. 1919. Wie in vielen ande-ren Orten hat man auch hier eine Bürgerwehrgegründet. Es meldeten sich ungefähr 100 Mannfreiwillig dazu. Zum Vorsitzenden wählte maneinstimmig Herrn B. Stönnebrink. Die Wehr tratsofort in Tätigkeit; es gehen des Nachts mehreregut ausgerüstete starke Patrouillen. Hoffentlichwird den Dieben dadurch das Handwerk gelegt.Jede Patrouille, die einen Dieb abfaßt, erhälteine Belohnung von 50 Mark.

Zeitung und Anzeigenblatt Nr. 8 vom 19. Januar 1920Versammlung. Eine Versammlung der Bürger-wehr Hoogstede findet am Mittwoch, 21. Ja-nuar, nachm. 4 Uhr, bei der evang. Schule inHoogstede statt. Gewehre sind mitzubringen.Pünktliches Erscheinen erforderlich. Hoogstede, den 16. Januar 1920Der Führer

Die Polizei 1926–1972Johann JeurinkTrotz großer Anstrengungen konnte ich vonder Polizei Hoogstede aus alten Aufzeichnun-gen und aus Archiven nicht viel in Erfahrungbringen. Insoweit beschränkt sich das Aufge-zeichnete überwiegend auf mündliche Be-richte von heute noch lebenden Bürgern.

In der Schulchronik der katholischenVolksschule Hoogstede steht, dass eine Dop-

wurde von der verantwortlichen Dienststelleein Wechsel angeordnet. Kaiser wurde nachWilsum versetzt. An seine Stelle kam 1954 der1922 in Münster geborene Heinrich Drees, derseit 1946 in Veldhausen/Neuenhaus seinenDienst versehen hatte. Fortan bildeten diesebeide Polizisten das Gespann in unserer Ge-meinde. Heinrich Drees und Ehefrau Tia wohn-ten mit ihren beiden Söhnen Horst und Hans-helmut im hinteren südlichen Teil des Polizei-gebäudes, bevor sie an die Hauptstraße inHoogstede zogen.

1961 wurde Alfred Leipner mit sechzigJahren vom aktiven Dienst befreit. Bis dahingalt er auch aufgrund seiner Körpergröße und

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Polizeistation Hoogstede, am Bahnübergang Bergstraße(Tia Drees)

pelwohnung für Oberlandjäger in 1926 aufeinem dem Grundbesitzer Weuste gehörendenGrundstück in der Nähe des Bahnhofs durchden Harener Bauunternehmer Mecklenburgfür 30.000 Mark errichtet wurde. Das Gebäudebefindet sich noch heute in der Bergstraße, di-rekt an der Bahnlinie der Bentheimer Eisen-bahn. Wer die ersten Bewohner waren, istnicht genau bekannt. Vor den Polizisten Leip-ner und Kaiser gab es in Hoogstede unter an-derem die Polizisten Katzner, Habers undKrabbe. Ob sie auch hier untergebracht waren,lässt sich nicht genau bestimmen. Landjägernahmen früher die Stellung von Polizistenwahr. Sie wohnten vor der Errichtung des Po-lizeigebäudes bei verschiedenen Landwirten.Landjäger waren unter anderem die HerrenPlötz, Schneider und Tönsing.

1945 kam der in 1901 in Herrnstadt, KreisGuhrau in Schlesien geborene Alfred Leipnernach Hoogstede. Mit seiner Ehefrau und SohnKlaus hatte er im vorderen Hausteil seineDienstwohnung. Im hinteren Bereich wohntedie Familie Kaiser. Gemeinsam versahen diePolizisten Leipner und Kaiser ihren Dienst inHoogstede. Die für eine solche Konstellationso wichtigen persönlichen Beziehungen warenbei diesen beiden Polizisten nicht gegeben. So

Waren 1954–1960 gemeinsam in Hoogstede, Alfred Leipner und Heinz Drees (Johann Jeurink)

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seines Auftretens als Freund und Helfer in derGemeinde und als Vertrauens- und Respekt-person. Durch sein Engagement im musika-lischen Bereich, im Musikverein und später imPosaunenchor, erwarb er sich viele Freundeinnerhalb der Gemeinde. Geschätzt sind seineschönen Ölbilder, von denen hier und da nocheinige das Wohnzimmer schmücken. 1986verstarb Alfred Leipner 85-jährig. Sein SohnKlaus wohnt in Nordhorn.

Die frei gewordene Stelle Leipners besetzteder Polizist Peuker. Bis zu dessen Pensionie-rung versahen Drees und Peuker ihren Dienstin Hoogstede gemeinsam.

Nach der Pensionierung von Peuker bekamHoogstede keinen neuen Polizisten. Die Poli-zeidienststellen durchliefen zu der Zeit eineReform. Die Polizeistation Hoogstede wurdeim Jahr 1972 aufgelöst. Das bekannte Polizei-haus wurde verkauft und Heinrich Drees derPolizeistation Emlichheim zugeordnet. Dortbeendete er seinen Polizeidienst 1982. VierJahre später ist er mit 64 Jahren verstorben.

Hoogstede wird seitdem von der Polizei-station Emlichheim betreut. Sie ist inklusiveder Außenstellen Neuenhaus, Wietmarschenund Uelsen mit insgesamt 24 Beamten besetzt.

POLIZEI HOOGSTEDE

Alfred Leipner auf dem Schützenfest. Jan-Harm Harms-Ensink (Wolters), Alfred Leipner, Max Richert, Anton Haubrich, Berta Schönecker geb. Harms-Ensink mit Tochter Swenna, genannt Erna. (Johann Jeurink)

GesundheitswesenJohann Jeurink

Praktische ÄrzteHoogstede wurde bis Anfang der 1950er Jahrevon den Ärzten Schulte aus Emlichheim undRost aus Neuenhaus versorgt. Zum Glück ver-fügten beide Ärzte schon über ein Auto, umdie Menschen in dem weitläufigen Raum zubetreuen.

Sonst war kaum jemand motorisiert. Re-zepte und Medikamente musste man aus Em-lichheim oder Neuenhaus holen. Das geschahin der Regel mit dem Fahrrad. Bei Arztbesu-chen in Neuenhaus oder Emlichheim war dasnicht anders. Nur bei schweren Erkrankungenwurde der Arzt zum Patienten gerufen. Wenndie Ärzte nicht gerade zu einem Patientenbe-such unterwegs waren, gab es zu der Zeit sel-ten überfüllte Wartezimmer.

Krankenversicherungen gibt es seit Anfangder fünfziger Jahre. Die Arzthonorare muss-ten vorher privat bezahlt werden. Bevor derArzt gerufen wurde, hatte man in vielen Fäl-len zuvor altbewährte Rezepturen angewandt.Wenn man mit diesen Therapien nicht den ge-wünschten Erfolg erzielt hatte, blieb nur nochder Ruf nach dem Arzt.

Dieser musste dann erst einmal eine Stre-cke, egal ob von Emlichheim oder von Neu-enhaus aus, von etwa zehn Kilometern be-wältigen. Der Zustand dieser Straße von Em-lichheim über Ringe nach Hoogstede bezie-hungsweise von Neuenhaus über Esche nachHoogstede war schlecht und mit heute nichtvergleichbar. Weitere befestigte Straßen gabes in den Gemeinden und Bauernschaften nurwenige. Das Verkehrswegenetz war dürftigund in einem schlechten Zustand. Zur Win-terzeit konnten manche Einwohner – insbe-

sondere in den Bauernschaften – nur unterden schwierigsten Umständen und vielfachnur unter Mithilfe der Nachbarn ihre Häusererreichen. Man kann sich vorstellen, dass, so-weit einer der Ärzte auf eine abgelegene Hof-stelle in den Bauernschaften oder schlimms-tenfalls zum Bathorner Diek gerufen wurde,ohne Weiteres für den Hin- und Rückweg biszu zwei Stunden benötigt wurden. Das warsowohl für den jeweiligen Arzt als auch fürden Patienten eine schlimme Situation.

Praxiseröffnung 1949Ein Glück für die Einwohner Hoogstedes undUmgebung, dass Dr. Kurt Krüger im April1949 in Hoogstede seine Praxis eröffnete.Damit war die ärztliche Versorgung in und umHoogstede gewährleistet. Es war ein Zeit-punkt, wo es kaum leer stehende Wohnräumegab. Kam dann noch eine Arztpraxis hinzu,war es noch schwieriger. Die meisten zuvor

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Dr. Kurt Krüger,1916–1996 (Krüger)

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nicht ausgelasteten Zimmer bewohnten Ver-triebene. Doch der am 27. August 1916 inNordhorn geborene praktische Arzt für Allge-meinmedizin hatte Glück. Bei Familie Strootin Hoogstede-Bathorn wurde er fündig undmietete von dieser einen Teil des Wohnhau-ses, das zur Straßenseite, zum heutigen„Schwarzen Diek“ hin, gelegen war.

Zur Erstausstattung gehörte ein Motorrad,um die Hausbesuche zu den weit verstreutwohnenden Patienten zu bewältigen. In einerschlichten Feierstunde, zu der die politischeGemeinde anlässlich der Verabschiedung ihres„Doktors“ im August 1985 den 68-Jährigennebst Ehefrau und einige Gemeindevertreterin die Gemeindeverwaltung eingeladen hatte,erzählte der Scheidende aus seinem 36 jähri-gen Arztleben. Die Grafschafter Nachrichtenschrieben in ihrem Bericht von seinen Erzäh-lungen, unter anderem auch von den Hausbe-suchen. Das „Gewand“ so Dr. Krüger, bestandzu Beginn bei seinen Fahrten per Motorradaus alten Uniformteilen, die Wind und Wettergar bald zerfetzten. Alle paar Kilometer habeer den Vergaser sauber machen müssen. Inden Wintern mit Hagel und Schnee wurde esauf den Wegen kriminell, denen die den Pfer-den bald folgenden Traktoren den Rest gaben.Hatte er einen Vertreter, dann war der Kollegedieser Situation nicht gewachsen. Drum fuhrFrau Ursula diesen Arzt zu den Patienten. Esgab damals keinen Notfalldienst, keine Sonn-tagsdienstregelung, und rief die Hebamme an,dann war es um Mitternacht, wenn die Geburtauch erst am Morgen begann.

Privat wohnte die Familie Krüger zu Be-ginn im Haus bei der Familie Taubken inHoogstede an der Hauptstraße. Danach zog sie

GESUNDHEITSWESEN

Die erste Praxis von Dr. Krüger

befand sich im Hause Stroot, Schwarzer Diek

(Johann Jeurink)

V.l. Alfred, Krüger, Lehrer Berend-Jan Harms-Ensink, Dr. Kurt Krüger im Hemd und Lehrer Friedrich Wüppenbeim Skatspielen um 1975 (Krüger)

in das Haus Stönnebrink. Sie bewohnte diesüdliche Hälfte dieses Gebäudes.

Für die Familie Krüger kam dann ein er-freuliches Ereignis, als sie 1964 in das neueHaus, Wilsumer Straße 261 – heute Kampweg–, das die Familie Hofsink aus Emlichheim ge-baut hatte, einziehen konnte. Dieses neue Do-mizil entsprach den Anforderungen einesSieben-Personen-Haushaltes. Der Patienten-kreis, der sich stetig ausweitete, erfordertemehr Räumlichkeiten.

1964 zog Dr. Krüger mit seiner Praxis indas Gebäude, das er zuvor privat nutzte. Alsdann der Eigentümer, die Familie de Gijt,ihren persönlichen Wohnungsbedarf anmel-dete, musste die Praxis für eine kurze Zeit indie südlich gelegene Haushälfte des ehemali-gen Polizeigebäudes an der Bahn verlegt wer-den. In beiden Fällen standen für die Praxismehr Räumlichkeiten zur Verfügung. Die Auf-teilung war jedoch nicht gut und entsprachnicht den Erfordernissen.

Das alles wurde wesentlich besser, als Dr.Krüger 1968 in das neue Haus der Familie Jo-hann Schroven, an der Ecke Hauptstraße/Blanke, gegenüber dem LebensmittelgeschäftSloot einziehen konnte. Bei diesem Bau konnteKrüger seine Wünsche mit einfließen lassen.

Von 1950 bis 1984 hielt Dr. Krüger zu-sätzlich im Dorfgemeinschaftshaus in Neu-gnadenfeld Sprechstunden. Hiervon profitierteninsbesondere ältere Menschen, die nicht mehrso mobil waren, zumal es kaum öffentlicheVerkehrsmittel gab.

Am 1. April 1985 übergab Dr. Krüger seinePraxis an Dr. med. Gerold Esmann. DieSprechstunden in Neugnadenfeld wurden2005 eingestellt. Am 31. März 1996 verstarbDr. Krüger. Zu dieser Zeit wohnte die FamilieKrüger in Nordhorn.

Dr. Gerold Esmann wurde 1952 in Halle/Hesingen geboren. Er studierte Medizin inMünster und Berlin. Seine Ausbildung zumFacharzt für Allgemeinmedizin machte er inGronau, Lingen und Nordhorn.

Am 01. November 1987 zog Dr. Esmannmit seiner Praxis an den Eschweg, Hausnum-mer 8. Dort wohnt er auch mit seiner FrauHerma geb. Kohlmann und den vier Kindern.Seit dem 01. Juli 1991 führt Esmann mit UlfMartiny eine Gemeinschaftspraxis. Beide ken-nen sich aus ihrer gemeinsamen Zeit im frü-heren Kreiskrankenhaus in Nordhorn. UlfMartiny wurde 1956 in Rostock geboren undstudierte in Hannover. In Lingen und Nord-horn erhielt er die Ausbildung zum Allge-meinmediziner. Mit seiner Frau Ellen geb.Stutt hat er zwei Kinder. Familie Martinywohnt an der Möllengasse in Hoogstede.

Gemeindeschwestern und -pflegerVon 1945 bis 2001 wurden kranke und pfle-gebedürftige Bürgerinnen und Bürger durchbei der evangelisch-reformierten Kirchenge-meinde angestellte Schwestern und Kranken-pfleger betreut.

Anfangs wurde ein sogenanntes Schwes-terngeld von Bürgerinnen und Bürgern allerKonfessionen erhoben, Fehlbeträge beglichdie politische Gemeinde. Ende der 1980erJahre konnte ein Teil der Kosten aus dem Per-sonalbereich mit den Krankenkassen abge-rechnet werden. Ab 1991 konnte kosten- deckend gearbeitet werden.

Anschaffungen hingegen mussten durchfreiwillige Spenden finanziert werden. Mitteder 1990er Jahre, mit Einführung der Pflege-versicherung kam, wurde die Schwesternsta-tion Hoogstede in die Diakoniestation Emlich-heim und Umgebung eingebracht. Das Inven-tar der Schwesternstation wie Pflegebetten,Betttische, Nachtstühle und andere Utensilienwurde zum Teil auf der Diele bei Jan Harms-

Ensink in Bathorn und im Gebäude der altenPost an der Hauptstraße gelagert. Mit demWechsel von Jürgen Weuste im Jahre 2000zum Grafschafter Klinikum endete die Ära derSchwesternstation.

1945 bis 1955 Schwester Hermine LübbersGleich nach Kriegsende wechselte SchwesterHermine Lübbers, 1905 in Frensdorf bei Nord-horn geboren, von Lemgo, wo sie in einem

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Team der Arztpraxis Dr. Martini und Dr. Esmann im Herbst 2008: Ulf Martiny, Kathrin Brünger, Frauke Nykamp, Johanne Harsmann, Gerold Esmann, Elke Schütte, Herta Gysbers, Sandra Bleumer (Esmann)

Schwester Hermine Lübbers, Frühjahr 1955 (Jürgen Weuste)

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Lazarett Verwundete pflegte, nach Hoogstede.Hier versorgte sie „ihre“ Kranken erst mit demFahrrad und später auf einem knatterndenMotorrad. 1955 wechselte sie wieder für dreiJahre nach Lemgo, anschließend in das Kreis-krankenhaus nach Nordhorn. Während ihrer„Schwesternzeit“ wohnte sie im Hause der Fa-milie Rosemann an der Hauptstraße.

1955 bis 1979 Schwester Anni BartelsAm 29. März 1939 legte Schwester Anni Bar-tels ihr Schwesterexamen erfolgreich ab. Über24 Jahre betreute sie die Kranken in unsererGemeinde. Schwester Anni war eine geboreneMeppelink und kam gebürtig aus Hilten. Mitihren zwei Kindern Maike und Hartwigwohnte sie im vorderen Teil des Hauses Rose-mann in der Hauptstraße, in der sich heute dieZahnarztpraxis Dr. Holl befindet. Zuletztwohnte sie oberhalb der Volksbank im altenGebäude, in dem die heutige Löwenapothekeansässig ist.

1979–1991 Schwester Gertien StevensAm 11. November 1979 wurde im 10.30 Uhr-Gottesdienst Gertien Stevens als die neueSchwester begrüßt. Im Jahr 1950 trat sie indas Mutterhaus der Diakonissen in Detmoldein. Seit 1960 war die gebürtige Bimolterin inder Grafschaft tätig. Schwester Gertien be-suchte ihre Patienten anfangs mit dem Fahr-rad. Nach kurzer Zeit stellte die Kirchenge-meinde ihr ein Mofa zur Verfügung. Anfangder achtziger Jahre erwarb sie den Führer-schein. Von diesem Zeitpunkt an besuchte sieihre Patienten mit dem Auto.

66-jährig kehrte sie in das Mutterhaus derDiakonissen zum „aktiven Ruhestand“ nachDetmold zurück. Während ihrer aktiven Zeitwohnte Schwester Gertien oberhalb des Fri-sörgeschäftes Drechsel/Büdden.

1991–2000 Jürgen WeusteAm 1. Mai 1991 übernahm Jürgen Weuste dieKrankenpflege der Pflegestation und wech-selte nach neunjähriger Tätigkeit am 1. Juni2000 zum Grafschafter Klinikum. Damit en-dete unter der Trägerschaft der Evangelisch-reformierten Kirche eine segensreiche Arbeit.

GESUNDHEITSWESEN

Schwester Anni Bartels, Jan u. Aaltien Schroven und die Zwillinge Arnold u. Günther, 1955 (Aaltien Schroven)

Schwester Gertien Stevens 1979 bis 1991 in Hoogstede (Mini Büdden)

Leo Eichhorst und Gemeindepfleger Jürgen Weuste, etwa 2000 (Jürgen Weuste)

HebammeIm Jahr 1946 bezog die Familie Dahlenbrookanderthalb Zimmer im Hause des LandwirtesNeerken in Hoogstede. Als diese dann durchdie Verheiratung des Herrn Klass Neerken be-dingt diese Zimmer für eigene Zwecke benö-tigte, baute die Familie Neerken schräggegenüber ihres Hofes, direkt an der Straßevor dem landwirtschaftlichen Betrieb Koopsin 1949 ein kleines Wohnhaus, das von derFamilie Dahlenbrook bis Anfang der sechzi-ger Jahre bewohnt wurde. Während dieserZeit war Frau Dahlenbrook als Hebamme inHoogstede tätig. Familien aus Hoogstede, diedie Dienste der Hebamme beanspruchten, be-richten, dass sie während der Wintermonatedie Hebamme mit Pferd und Wagen holenmussten. Heinrich Dahlenbrook war währendder „Hoogsteder Zeit“ viele Jahre bei der Fa. C. Deilmann in Scheerhorn tätig.

ZahnärzteKurzfristig hat es im Lager Bathorn eineZahnarztpraxis gegeben, die gelegentlich auchvon Einheimischen in Anspruch genommenwurde. Auch nur kurzfristig, und zwar etwaanderthalb Jahre, in den Jahren 1953/1954,währte die Praxiszeit des Zahnarztes Dr. PaulFax. Er war während dieser Zeit in dem klei-nen weißen Häuschen gegenüber der katholi-schen Kirche untergebracht. Er mietete vonder Familie Hehnefeld. Heutige Eigentümerin

ist die Familie Horstkamp. Ein Teil des Ge-bäudes dient zur Zeit als Werkstatt.

Lange hatte Hoogstede keinen Zahnarzt.Diese Zeit endete 1990, als der Zahnarzt Jo-hann Josef Hörning sich im Hause der Fami-lie Hövelkamp niederließ. Die Familie Hövel-kamp hatte das Anwesen 1970 von der Fami-lie Rosemann gekauft. Doch lange währtediese Zeit nicht. Mitte 1990 brach er bereitsseine Zelte wieder ab.

Knapp ein Jahr dauerte es, und zwar bisApril 1991, als der Zahnarzt Dr. BurghardtHoll, der 1954 in Bergen auf Rügen geborenwurde, seine Praxis in den selben Räumlich-keiten eröffnete. Dr. Holl studierte in RostockMedizin, absolvierte eine Facharztausbildungin Neubrandenburg und promovierte an derUni in Rostock.

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Hier war 1954die Praxis von Dr. Paul Fax untergebracht (Johann Jeurink)

Zahnarztpraxis im alten Haus Rosemann 2008 (Johann Jeurink)

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Neben den alltäglichen Behandlungen, wiezum Beispiel Füllungen, Extraktionen etc. hatsich Dr. Holl in den 15 Jahren „Hoogstede“auf die Prothetik spezialisiert und seit dreiJahren hat er ein Praxislabor speziell für Ke-ramische Restauration eingerichtet.

LöwenapothekeEigentümer der Löwenapotheke ist Dr. Klaus-Bernd Ebhardt. Er wurde 1952 in Gronau gebo-ren, promovierte 1982 in analytischer Chemieund legte im selben Jahr das zweite Staatsex-amen und 1983 das dritte Staatsexamen ab.

Bis 1990 führte er zahlreiche Vertretungendurch. Danach eröffnete er die Löwenapo-theke in den Räumen von Albert-Jan Klingein der Hauptstraße Nr. 32. Im Oktober 1997zog er mit der Apotheke in das alte Gebäudeder Volksbank.

Praxis für PhysiotherapieMark Peter Bosma, 1965 in Amsterdam gebo-ren und jetzt in Laar wohnhaft, und Erno Bos,1966 in Enschede geboren und jetzt in Emmenin den Niederlanden wohnhaft, absolviertenbeide ihre Physiotherapie-Ausbildungen inHolland. Kennengelernt haben sie sich in derPraxis Stangier und Rademaker in Emlich-heim, in der sie angestellt waren. Ihren ge-meinsamen Wunsch, sich selbstständig zumachen, realisierten sie im Mai 1997. MarkBosma, der die Fußballmannschaften des

SV Hoogstede betreut hatte, kannte vieleHoogsteder. Das war eine gute Ausgangs-basis, um sich in Hoogstede niederzulassen.

Erno Bos und Mark Bosma mieteten Teiledes von dem Apotheker Dr. Ebhardt von derVolksbank gekauften alten Bankgebäudes.Nach erfolgreicher Markteinführung ihresDienstleistungsbetriebes wurde im Januar 2000Patrick Lucas eingestellt. Lucas wurde 1973 inHardenberg geboren und wohnt zur Zeit in Al-melo in den Niederlanden. Auch er absolvierteseine Ausbildung als Physiotherapeut in Hol-land. Planungen, ein medizinisches Fitness-center aufzubauen, waren der Grund, Lucas alsweiteren Eigentümer mit aufzunehmen.

Problematisch stellte sich der Erwerb einespassenden Grundstückes dar. Durch Mitwir-kung der politischen Gemeinde ist es gelun-gen, ein Grundstück der Gemeinde, das un-mittelbar hinter der Kreuzung an der K 15 inRichtung Wilsum gelegen ist, zu erwerben. ImDezember 2007 konnte das neue Gebäude be-zogen werden. Es trägt die Anschrift „Im Dorf1“. Insgesamt sind zur Zeit inklusive der Ei-gentümer acht Personen beschäftigt.

GESUNDHEITSWESEN

Die Löwenapotheke Hoogstede seit 1997 in der alten Volksbank (Johann Jeurink)

Die drei Inhaber M. Bosma, E. Bos und P. Lucas (Johann Jeurink)

Bentheimer Eisenbahn und Bahnhof HoogstedeJohann Jeurink

Bereits um 1850 schmiedete man Pläne, dievon Pferden gezogenen Postkutschen in derGrafschaft Bentheim durch von Dampfrösserngezogene Waggons abzulösen. Schon damalsverliefen derartige Planungen nicht ohnedurch Streit bedingte Verzögerungen. DreiTrassen waren im Gespräch.

Dass die Bentheimer Eisenbahn in der Nie-dergrafschaft nicht von Neuenhaus über Uel-sen und dann in Richtung Emlichheim gebautwurde, soll auf die Intervention des dama-ligen Pastors der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Hoogstede-Arkel, JohannesHendrikus Nyhuis (1849-1917), zurückzufüh-ren sein. In seinem langen Pastorenleben –von 1866 bis 1917 wirkte er in seiner Ge-burtsgemeinde Hoogstede – hatte Nyhuis viele

Aufgaben inne. So war er unter anderem Mit-initiator und Verfechter einer Streckenführungder Bentheimer Kreisbahn in Nord-Süd-Rich-tung, d. h. einer Trassenführung von Bentheimnach Emlichheim („Längsbahn“).4

Pastor Nyhuis spielte im Vorfeld des Ei-senbahnbaues eine Schlüsselrolle. Sein Plä-doyer für die sogenannte Längsbahn wurdejedoch damals nicht überall zustimmend zurKenntnis genommen. Im Gegenteil, der Nord-horner Bürgermeister Derk van Delden warstrikt dagegen. Er hat die Meinung von PastorNyhuis als unhaltbar bezeichnet und sichnicht minder intensiv für eine Querbahn von Almelo (Niederlande) in Richtung Nord-horn–Lingen mit Anschluss an die sogenannte„Hannoversche Westbahn“ stark gemacht.5

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Bahnhof Hoogstede um 1909; mit Lok, Waggonund elf Personen (Aus „Alt-Hoogstede“)

5 Grafschafter Nachrichten (Sonderbericht „Aus denTagen vor dem Bau der Bentheimer Eisenbahn“)vom 10. Juni 1986 Seite 17

4 Günther ter Stal, 175 Jahre Evangelisch-reformierteKirche Hoogstede 1821-1996. Beiträge zu ihrer Geschichte und Gegenwart, Bentheim 1996, S. 36.

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dann weiter über Groß- und Kleinringe Rich-tung Emlichheim verläuft.

Bereits drei Jahre später berichtet dasKreisblatt in seiner Sonnabendausgabe vom9. November 1907, dass es mit dem Bahnbaurasch weiter vorangehe. Die Strecke vonHoogstede bis Kleinringe sei im Rohbau fertig.In Richtung Berge habe man den Anfang ge-macht und bediene sich dort einer Pferde-bahn, während man in entgegengesetzterRichtung mit zwei Lokomobilen arbeite.

In einem Nebenbericht schreibt das Kreis-blatt, dass Sonntags zuvor ein betrunkenerErdarbeiter, der beim Bahnbau beschäftigtwar, gegen Abend in die Scheune einer hiesi-gen Wirtschaft in Hoogstede geschlichen sei,um dort seinen Rausch auszuschlafen. Bereitskurze Zeit später fand man ihn als Leiche wie-der. Höchstwahrscheinlich habe infolge über-mäßigen Schnapsgenusses eine Herzlähmungseinem Leben ein so plötzliches und gar trau-riges Ende bereitet, so das Kreisblatt.

1909 erreichte die Kreisbahn im NordenEmlichheim und 1910 Coevorden. Die Schie-nenstrecke von Bad Bentheim bis nach Coe-vorden hat eine Länge von 56 Kilometer.

Parallel zum Bau der Bahn wurden dieBahnhöfe gebaut. Massivbauten gab es in derNiedergrafschaft in Neuenhaus, Veldhausen,Esche, Hoogstede, Großringe, Emlichheim, Vor-wald und Laarwald, während in Berge undKleinringe Wartehallen aus Wellblech standen.

Das Bahnhofsgebäude in Hoogstede wurdezu der Zeit wie folgt beschrieben: „Wartehallemit angebautem Güterschuppen sowie einemAnbau für die Wohnung des Agenten.“6

BENTHEIMER EISENBAHN UND BAHNHÖFE

Eisenbahnmitarbeiter auf einer Draisine um 1920 (Jenny Barth)

6 Jubiläumsausgabe „100 Jahre Bentheimer Eisenbahn 1895-1995“. Bad Bentheim 1995, diverse Seiten

Nach einem Machtwort aus Hannover imAugust 1890 sprach sich der GrafschafterKreistag im September 1892 einstimmig füreine „Längsbahn“ aus.

Am 16. Januar 1895 erteilte Wilhelm, Königvon Preußen, dem Landkreis Grafschaft Bent-heim die Konzession für den Betrieb einer Ei-senbahn. Am 14. März 1895 erfolgte der ersteSpatenstich am Vennweg, südlich von Nordhorn.

Schon am 7. Dezember 1895 war die 17,58Kilometer lange Strecke zwischen Bentheimund Nordhorn fertiggestellt. Bereits am 1. April1896 wurde die Bahnlinie bis Neuenhaus of-fiziell freigegeben. Der weitere Bau in Rich-tung Niedergrafschaft ließ noch einige Zeitauf sich warten.

Das Kreisblatt für den Kreis GrafschaftBentheim berichtet in seiner Sonnabendaus-gabe vom 3. September 1904, dass die vonNeuenhaus Richtung Emlichheim projektierteBahnlinie größtenteils abgesteckt sei. Zu derZeit war die projektierte Bahnlinie mit Neu-enhaus-Haftenkamp-Hoogstede-Emlichheimangegeben. Weiterhin weist das Kreisblatt da-rauf hin, dass im Interesse der Grundstücksei-gentümer noch einige Abänderungen getrof-fen werden könnten, bevor der Kreistag denBau dieser Bahnlinie beschließen würde.

Änderungen wird es danach noch gegebenhaben, da die Bahnlinie bekannterweise vonNeuenhaus über Esche nach Hoogstede und

Der Bahnhof Hoogstede von Tinholt aus gesehen(Johann Jeurink)

tere Brüder nicht aus dem Krieg zurückkehrte,bauten die Eheleute Taubken mit ihrem SohnHeinrich ein Wohnhaus an dieses Schlacht hausund zogen 1955 in die Hauptstraße.

In diesem Jahr bezogen dann die EheleuteRichard Temme und Ehefrau Wilhelmine geb.Meyering das Bahnhofsgebäude. Herr Temmewar bei dem inzwischen im Jahr 1924 vonKreisbahn in Bentheimer Eisenbahn umbenann-ten Unternehmen als Bahnassistent angestellt.Bei der Fahrkartenausgabe und dem Schankbe-trieb wurde er von seiner Frau unterstützt. DieEheleute Temme hatten fünf Kinder, sodass auchsie sich mit wenig Platz begnügen mussten.

1962 bauten die Eheleute Temme am Oel-weg in Neuenhaus ein Einfamilienhaus, dassie Ende 1962 bezogen. Das Bahnhofsgebäudedurfte nicht leer stehen, denn zu diesem Zeit-punkt erfolgte der Personenverkehr fast aus-schließlich mit der Bahn, und die Fahrkartenerhielt man im Bahnhof.

Hermann Günnemann und Ehefrau Adelegeborene Schophuis waren die Nachfolger derFamilie Temme. Auch Günnemann war bei derBentheimer Eisenbahn beschäftigt, und zwarals Rangierer. Wie schon im Fall Temme erle-digte Ehefrau Adele die Fahrkartenausgabeund fungierte zu bestimmten Tageszeiten alsGastwirtin. Die Familie Günnemann bewohntegemeinsam mit ihren zwei Kindern das Bahn-hofsgebäude in der Zeit von 1962 bis 1969,ehe sie im Herbst nach Nordhorn zog.

Sofort danach zogen die Eheleute Heinrichund Frieda Langius geb. Prenger als letzte Be-wohner in das Bahnhofsgebäude ein. HeinrichLangius war zu dem Zeitpunkt noch Malerge-selle bei der Firma Schipper in Ringe. Er wurdeumgehend nach dem Einzug als Streckenarbei-ter bei der Bentheimer Eisenbahn angestellt.Wie auch in den Familien zuvor, erledigte dieEhefrau alle anfallenden Arbeiten im Bahnhof,wie zum Beispiel die Ausgabe der Fahrkartenund die Annahme und Abgabe von Paketen.

Stress verursachten das Monatsende undder Monatsanfang. Dann mussten die Mo-natsfahrkarten an die Fabrikarbeiter der zudem Zeitpunkt noch florierenden Textilunter-nehmen Nino, Povel und Rawe sowie an dieSchüler der weiterführenden Schulen in Neu-

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Bahnhof mit dem Ortsschild „Hoogstede“ (Johann Jeurink)

Willi Taubken und Anna geb. Wösten um 1935(Johann Jeurink)

Dieses Gebäude wurde 1910 von den Ehe-leuten Willi Taubken und Ehefrau Anna geb.Wösten bezogen. Taubken war bei der Kreis-bahn angestellt und handelte nebenbei nochmit Vieh. Taubkens waren anfangs für die Fahr-kartenausgabe und den Paketdienst verant-wortlich. Später richteten sie im Warteraumauch eine kleine Schankwirtschaft ein. Die Ehe-leute Taubken hatten dreizehn Kinder, vondenen zwei im Klein kindalter starben. Aus heu-tiger Sicht ist es unvorstellbar, dass diese Groß-familie in der kleinen „Agentenwohnung“untergebracht war, in der sich ein Elternschlaf-zimmer, ein Kinderzimmer, ein Wohnzimmer,eine Küche und ein Waschraum befanden.

Der Sohn Johann Taubken hatte inzwischenin der Hauptstraße in Hoogstede ein Schlacht-haus gebaut. Nachdem dieser wie auch drei wei-

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enhaus und Nordhorn ausgegeben werden. BisEnde der sechziger Jahre stiegen auch dieSchüler aus Neugnadenfeld beim Bahnhof inHoogstede ein und aus. Sie kamen mit demFahrrad etwa sieben Kilometer bis nach Hoog-stede. Nach Schulschluss mussten sie die glei-che Strecke bei Wind und Wetter zurücklegen.Verkehrssichere Fahrradwege entlang derStraße gab es zu dem Zeitpunkt nicht.

Dies alles erfolgte auf freiwilliger Basis. Eshatte jedoch zwei Vorteile: Zum einen sparteman das Busgeld und zum anderen war man,insbesondere nach der Rückkehr aus der Schule,wesentlich flexibler, da in der Mittagszeit nurein Bus fuhr.

Aus heutiger Sicht war das eine unzumut-bare Situation. Alternativen gab es nicht, es wareben so. Die Neugnadenfelder stellten ihre Fahr-räder bei Familie Brouwer (heute Lügtenaar) ab.

Der Gaststättenbetrieb nahm anders als beiden meisten anderen Gaststätten zu, jedochnur zu den Kernzeiten von etwa 11.00 bis13.00 Uhr und von 17.00 bis 20.00 Uhr. Zudiesen Zeiten kehrten dort gerne selbststän-dige Handwerker und Kaufleute wie auch vonder Arbeit zurückgekehrte Arbeitnehmer ein.

Mit dem Einsatz der Omnibusse für den Per-sonenverkehr etwa Mitte der siebziger Jahre warder Weg von der Schiene auf die Straße vorge-geben. So entfiel die Fahrkartenausgabe imBahnhof Hoogstede im Jahre 1974. Als dannauch noch der Stückgutverkehr vom Kraftver-kehr der Bentheimer Eisenbahn mit Lastkraft-wagen übernommen wurde, hatte der Bahnhofin Hoogstede für das Unternehmen BentheimerEisenbahn AG keine wirtschaftliche Bedeutung

BENTHEIMER EISENBAHN UND BAHNHÖFE

Für einen Heimatfilm in alten Trachten am Bahnhof um1960; v. l. Timmer Bätz (= Lambertus Jeurink), Arend-JanHarms-Ensink, Jan-Harm Harms-Ensink, Jenni Heckertgeb. Jeurink (jetzt Nordhorn) und ihre Schwester Dina vanMünster geb. Jeurink

v.l.: Ferdinand Egbers, Lukas Schroven, Jan-Harm Harms-Ensink (Wolters), ein Bahnbediensteter, Wwe. Gesina Brouwer und Schaffner Bouwkamp von der Bentheimer Eisenbahn

mehr. Von dem Zeitpunkt an wurde die FamilieLangius gebeten, sich um eine andere Wohnungzu bemühen. Das Ehepaar Langius wohnte nochbis zum Frühjahr 1976 mit seinen vier Kindernim Bahnhofsgebäude. Dann zog es sie nach Ag-terhorn. Kurze Zeit später wurde das Bahnhofs-gebäude abgebrochen.

QuellenGünther ter Stal, 175 Jahre Evangelisch-reformierte Kirche Hoogstede 1821-1996Grafschafter Nachrichten (Sonderbericht „Aus den Tagen vor dem Bau der Bentheimer Eisenbahn“) vom 10. Juni 1986 Seite 17Jubiläumsausgabe „100 Jahre Bentheimer Eisenbahn 1895-1995” diverse Seiten

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Haus Jan-Harm Brouwer, jetzt Lügtenaar, Bahnhofsstraße, links hinten der Bahnhof (Lügtenaar)

Haltestation Berge, am 24.12.1962 (Willy Friedrich)

Die Bahnlinie aus Richtung Emlichheim vor 1929. Mansieht im Hintergrund die Scheerhorner Mühle am Ortsaus-gang Scheerhorn, Wohnhaus Brouwer und Bahnhof Hoog-stede, im Vordergrund die Bergstraße (Aus „Alt-Hoogstede)

Die FeldbahnJohann Jeurink

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Geschichte der FeldbahnEtwa Mitte der 30er Jahre begann das Kultur-amt Osnabrück östlich des Coevorden-Piccar-die-Kanals mit Kultivierungsarbeiten. Sieumfassten das Gebiet von Alexisdorf bis Ge-orgsdorf/Füchtenfeld und große Flächen desEmslandes. Die Wegeverhältnisse waren inden nicht erschlossenen Gebieten sehr schlecht.Das Transportproblem wurde mit Feldbahnengelöst. Die Schienen dafür waren schmal undkonnten leicht und schnell verlegt werden.Das Gewicht der Lokomotiven war dem moo-rigen Untergrund angepasst und erforderteauch keine größeren Arbeiten und Kosten fürden Unterbau der Bahn.

Hinter diesen Loks der Feldbahn wurdeninsbesondere Kipploren und Brigadewagenangehängt. Vorwiegend wurde mit den Kipp-loren Sand für den Unterbau von Wegen undStraßen transportiert. Die Brigadewagen hin-gegen wurden anfänglich für den Transportvon Weiß- und Schwarztorf aus dem Mooreingesetzt. Später wurden dann Kriegsgefan-gene vom Bahnhof Hoogstede zu den LagernAlexisdorf und Bathorn transportiert.

Das Schienennetz verlief in unserem Dorfvom Bahnhof in Hoogstede Richtung Berg-straße. Danach rechts entlang der Bergstraßeund überquerte beim Wohnhaus Schroven(heute Hoesmann) die Hauptstraße. Die Trasseführte dann entlang der Müllerschen Säge-mühle Richtung heutiger Schulstraße. Kurz vorder Schulstraße knickte sie mit fast neunzigGrad links ab entlang des heutigen Coma-Ge-bäudes und der Tennisplätze hin zur Molkerei-straße. Hier knickte sie rechts ab und verliefdann entlang der Molkereistraße hin zumTransformator. Kurz vor der Stelle, an der heuteeine vom Heimatverein aufgestellte Feldbahnsteht, hatte man eine Weichenanlage installiert.Dann verlief das Gleis rechts entlang der Bat-horner Straße und überquerte bei Kronemeyerden Kanal. Von dort aus verzweigte sich dasSchienennetz, und zwar Richtung Alexisdorf,Bathorner Diek und in Richtung Georgsdorf.

In Hoogstede hat man den Stapenberg ab-getragen, dort wo der Schützenverein heuteseinen Festplatz hat. Im Bereich östlich derBahnlinie und nördlich des heutigen Feldwe-ges wurde ebenfalls Sand abgetragen. Hierfürmusste dann auch das Schienennetz innerhalb

Feldbahngleiseam Bathorner

Diek um 1940 (Heinz Sloot)

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Warnschild „Feldbahnanlagen“ vor der Müllerschen Mühle,um 1948 (Aus „Alt-Hoogstede)

unseres Dorfes erweitert werden. Insgesamtwurden tausende Kipploren mit Sand perHand aufgeladen und dann zum BathornerDiek transportiert. Vielfach hatten die LoksSchwierigkeiten mit den angehängten belade-nen Loren Fahrt aufzunehmen. Gerne wurdevon den heranwachsenden Kindern die Mög-lichkeit genutzt, hinten auf die letzte Lore auf-zuspringen und ein Stück mitzufahren. Daswurde jedoch von den Lokführern wegenmöglicher Unfälle nicht gerne gesehen.

Nach Fertigstellung der wichtigsten Kulti-vierungsarbeiten verloren die Feldbahnen im-mer mehr an Bedeutung. Bis spät in dieneunziger Jahre wurden Feldbahnen jedochnoch für die Bewirtschaftung des Moores vonden „Torffirmen“ eingesetzt. Die Firma Kwadeaus Ringe betreut viele Öl- und Gasplattformenim benachbarten emsländischen Moorgebiet.Wegen des moorigen Untergrunds nutzt sie dortbis heute circa 120 Kilometer Schienen undsetzt für den Transport der benötigten Materia-lien und Maschinen vier Feldbahnen ein.

Restaurierung und Aufstellung der FeldbahnDank einer großzügigen Spende der Firma Eh-renborg und Fortmann aus Füchtenfeld ist esden Handwerkern des Heimatvereins Hoog-stede-Arkel gelungen, drei Teile der früherenFeldbahn in mühevoller Arbeit zu restaurie-

Feldbahn mit Brigadewagen – unterwegs zur „Arbeit“.Wahrscheinlich handelt es sich um polnische Kriegsgefan-gene. Auch von Ulrich Göhler in: Lager unterm Haken-kreuz, S.14. Dies ist eins von drei Fotos bei der heutigenFeldbahn Ecke Molkereistraße/Bathorner Diek (Herta Conen)

Lok der Feldbahn mit Lokführer Hermann Deimann (Deimann)

ren und an der Einmündung der Molkerei-straße in die Kreisstraße 15 in unmittelbarerNähe des Transformators aufzustellen, wo frü-her auch die Trasse der Feldbahn verlief. EineInformationstafel gibt Auskunft über ihre Ge-schichte.

Zusätzlich hat die Landjugend Hoogstededort eine Sitzgelegenheit gebaut, den Platzgroßzügig gepflastert und bepflanzt und einmit einem Ortsmotiv bemaltes Ortseingangs-schild mit einem Willkommensgruß aufgestellt.Erfreulich ist, dass die Landjugend die Pflegefür dieses Grundstück übernommen hat.

QuellenHermann Kronemeyer, Jan-Hindrik Olthoff sowie GN-Bericht vom 04. April 1967

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DIE FELDBAHN

Oben: Lok der Feldbahn vor der Restaurierung

Mitte: Die Trasse der Feldbahn führte am Transformatorvorbei, wo heute das Feldbahndenkmal aufgestellt ist.

Unten: Heutiges Denkmal der Feldbahn am Transformator (Johann Jeurink)

Wasserwerk 1937–1992Johann Jeurink

In den Jahren 1937 und 1938 wurden in denEmslandlagern … des Landkreises GrafschaftBentheim … Wasserwerke für die Trinkwas-serversorgung der Gefangenen in den Lagernerrichtet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erstellte dasWasserwirtschaftsamt Meppen im Rahmen desPlanes zur Emslanderschließung Entwürfe fürdie zentrale Wasserversorgung der staatlichenSiedlungsgebiete und Altdörfer, die einen Was-serbezug aus Lagerwasserwerken vorsehen.

Auf dieser Grundlage ist der Wasserbe-schaffungsverband (WBV heute WAZ) gegrün-det worden. Nach den vorliegenden Unterlagensollten die Wasserwerke Bathorn, Füchtenfeldund Osterwald (Preußag) die östliche und nörd-liche Niedergrafschaft versorgen.

Das Wasserwerk Bathorn ging am 01. Ja-nuar 1964 in den Besitz des WBV über undwurde in den Folgejahren modernisiert. 1968ging das Wasserwerk wieder in Betrieb.

Die in 1938 gebohrten Brunnen hatteneine Tiefe von 36 Meter. Bis ein Meter Tiefewar Torf, bis 12 Meter Feinsand, bis 21 Metertorfiger Schluff, bis 36 Meter Mittel- bis Grob-sand und ab 36 Meter stark toniger Sand. Die Brunnen förderten aus dem zweitenGrundwasserstockwerk 22 Kubikmeter in derStunde, nach dem Umbau (1964-1967) waren es sechzig Kubikmeter in der Stunde. In denbeiden Vorratsbehältern speicherte man tau-send Kubikmeter Trinkwasser. Das Wasserwurde mit Kalkmilch und über vier Kiesfilteraufbereitet.

Ab 1975 wurde die Aufbereitung einge-stellt und das Wasserwerk als Zwischenspei-cher und für eine Druckerhöhung verwendet.

Das Wasser kam jetzt aus dem neuen Wasser-gewinnungsgebiet Getelo.

1985 bis 1990 ist das Wasserwerk nocheinmal in Betrieb genommen worden für Auf-bereitungsversuche und Versorgung für einPilotprojekt der Firma Deilmann am Bathor-ner Diek. Man wollte die Möglichkeit prüfen,die Erdölförderung mit Polymeren zu erhöhen.

1992 wurde das Wasserwerk an einen Pri-vatmann verkauft. Der Käufer hat das Was-serwerk zu einem Wohnhaus umgebaut.

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Walter Witte 1968 im Wasserwerk Bathorn (Willy Friedrich)

Moorkultivierung Bathorner Diekund UmgebungJohann Jeurink

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Viele Menschen waren im Laufe der Zeit von1937 bis Ende der sechziger Jahre an der Er-schließung des Moores beteiligt: Arbeiter undjunge Männer des Reichsarbeitsdienstes (RAD),Kriegsgefangene, Ostvertriebene und Einheimi-sche. Es begann im Sommer 1937. Das dama-lige Wasserwirtschaftsamt Osnabrück rich tetedie Kulturbauleitung Hoogstede ein. Das Bürowar zunächst im Hause Stönnebrink an derHauptstraße in Hoogstede untergebracht. DieAufgabe lautete: Kultivierung und Erschließungder Moorgebiete.

1938 entstand in der Nähe der alten Wind-mühle in Hoogstede – südlich der jetzigenStraße „Am Schulfeld“ – auf der Höhe des jet-zigen Wohnhauses Fark – eine Bauleitungs-baracke. Diese enthielt zwei Büroräume undUnterkünfte für vierzehn Personen.

1937 und 1938 waren Jahre des Aufbaues.13 Diesellokomotiven und zwanzig KilometerFeldbahngeleise, 90 Stammarbeiter und zwölfReichsarbeitsdienst-Abteilungen standen zurVerfügung. Die Reichsarbeitsdienstbarackenhatten die Bezeichnungen „Preußen I und IV“,„Bayern I bis IV“, „Friesland I und II“ sowie„Sachsen I bis II“. Sie befanden sich in Ale-xisdorf-Kleinringe, Alexisdorf-Großringe, Bat-horn, Am Bathorner Diek, in Berge-Osterwaldund in Scheerhorn. Man legte Gräben an undbaute die Bahnhofstraße in Hoogstede aus.Lange jedoch währte der Reichsarbeitsdienst-Einsatz nicht. Im Mai 1938 wurde er an denWestwall verlegt.

Vorm Lokschuppen wird um 1937 eine Lok der Feldbahn„betankt“; v.l. Heinrich Wolters, unbekannt, Evert Jeurink,unbekannt, Heinrich Kronemeyer, unbekannt, unbekannt

tungskolonnen. Das war der Grund dafür, dassdas Wasserwirtschaftsamt Meppen 1941 dieAufsicht über die Moorgebiete übernahm. DieBauleitung wurde von Hoogstede nach Bat-horn in das Kulturamtsgebäude verlegt. Kriegs-bedingt mussten alle Feldbahngeräte anWehrmachtsbaustellen abgegeben werden. Mitder Feldbahn wurden fortan auch Kriegsge-fangene transportiert und zu den Lagern bisin das nördliche Emsland gebracht.

Mit Ende des Krieges 1945 wurden die nochvorhandenen Geräte und das Handwerkszeugteilweise beschlagnahmt oder aber auch ge-stohlen. Man war fast bei „Null“ angelangt.

Nur zaghaft begann 1946 der Wiederauf-bau der Dienststelle und des Geräteparks. Manmusste sich zunächst mit drei Dieselloks be-gnügen. Hinzu kam, dass man mit nur gerin-gen Kraftstoffzuteilungen auskommen musste.Die menschliche Arbeitskraft war ausschlag-gebend. Ostvertriebene, die inzwischen in denLagern Alexisdorf und Bathorn eine neueBleibe gefunden hatten, legten gemeinsam mitdem Stammpersonal der Bauleitung die Handan den Pflug. Erstmals brachen gewaltige Ot-tomeyer-Pflüge das Moor um. Entwässe-rungsmaßnahmen schafften bessere Voraus-setzungen für den Einsatz der schweren Ma-schinen. Der Ingenieur Dietrich Schöppner lei-tete das Projekt. Im Raum Alexisdorf ent-standen elf Vollbauernstellen und in Groß-ringe acht. Das Dorf Neugnadenfeld begannzu wachsen.

Die Wasserwirtschaftsbauleitung beschäf-tigte jetzt 140 Personen. Auch der Straßenbauwurde forciert. Am Coevorden-Piccardie-Kanalentstand eine Betonfahrbahn. Der BathornerDiek wurde ausgebaut und der SiedlungsraumKalle-Tinholt mit insgesamt 18 Voll- und Ne-benstellen erschlossen.

In dieser Zeit übernahm die Justizverwal-tung erneut das Lager Bathorn. Aus demStrafvollzug wurden zusätzliche Arbeitskräftebereitgestellt. Dadurch wurde die Abwande-rung in die Ölindustrie aufgefangen.

Elf Dieselloks, Förderbänder und sonstigeHilfsmittel waren jetzt eingesetzt. In Hoog-stede, Scheerhorn, Berge, Osterwald und inFüchtenfeld entstanden neue Vollerwerbs-

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Sofort begann der Aufbau der Kultivie-rungslager. In Alexisdorf und Bathorn ent-standen Trinkwasserwerke, deren Gebäude inden achtziger Jahren zu Wohnzwecken umge-baut wurden und auch heute noch bewohntwerden. 1939 wurden die Baracken in Bathornvon der Justizverwaltung übernommen. Fort-an wurden Strafgefangene bei den Erschlie-ßungsarbeiten eingesetzt. Der Bau der Straße„Bathorner Diek“, von Hoogstede bis zumKanal, war die erste größere Baumaßnahme.Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach,stoppte die Arbeit in der bisherigen Form.

Die Justizverwaltung übergab das LagerBathorn der Wehrmacht, sie übernahm auchdas Lager Alexisdorf. Jetzt arbeiteten ersteKriegsgefangene aus Holland, Belgien, Frank-reich und Polen in den Mooren der Nieder-grafschaft. Sie wurden im Moor und imStraßenbau eingesetzt. So entstand in Hoog-stede entlang des Kanals die „Kanalstraße“vom Lager Bathorn bis zur Schleuse I beiBrooksnieder, weiter bis Alexisdorf und biszur Straße nach Neuringe.

Bereits zu Beginn des Jahres 1940 wurdendie jüngeren Stammarbeiter der Wasserwirt-schaftsbauleitung eingezogen. Der Dienststelleverblieben somit nur noch kleinere Unterhal-

Evert Jeurink (1904-1982) am Graben im Moor

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und Kleinbauernstellen. Zug um Zug wurdender Bau von Vorflutern und die Befestigungvon Wirtschaftswegen fortgesetzt. In diesemZeitraum wurde auch der Sandabbau im Sta-penberg durchgeführt, dort wo sich jetzt derSchützenfestplatz an der Bergstraße befindet.Der Sand wurde per Hand aufgeladen und

dann mit der Feldbahn zu den einzelnen Stra-ßentrassen im Bereich des Bathorner Dieks ge-fahren. Auch im Bereich östlich der Bahnlinieund nördlich des Feldweges wurde der Sandper Hand aufgeladen und mit der Feldbahnabtransportiert.

So wurden insgesamt drei Jahrzehnte Er-schließungsarbeit durch die Wasserwirt-schaftsbauleitung geleistet. Im Jahr 1967wurde die Dienststelle aufgelöst. Die dort bis-lang beschäftigten Angestellten und Arbeiterwurden von der Vechtevorarbeitenstelle desWasserwirtschaftsamtes Meppen in Neuen-haus übernommen. Die Wasserwirtschafts-bauleitung hat im Hinblick auf die Urbarma-chung und Kultivierung der Moorflächen undErschließung dieser Parzellen eine Schlüssel-position eingenommen. Sie hat entscheidendzur Strukturverbesserung in diesen Gebietenbeigetragen.

MOORKULTIVIERUNG BATHORNER DIEK UND UMGEBUNG

Um 1965 Ausflug Wasserwirtschaftsamt Bathorn zum Hermannsdenkmal. Untere Reihe, jeweils v. l. 3. Trude Züwerink, 4. Gerrit Jan Züwerink, 8. Dietrich Schöppner; 2. Reihe 3. Hillegien Soer, 6. Gesine Schöppner; 3. Reihe 5. Hinderkien Keen, 6. Albertus Keen, 7. Heinrich Plas; 4. Reihe 4. Johanne Boll, 5. Harm Boll, 8. Jennegien Lucas, 9. Geert Lucas; 5. Reihe (hinten) 2. Evert Jeurink, 3. Gertien Jeurink, 4. Jennegien Harms-Ensink 5. Jan-Hindrik Harms-Ensink, 6. Hindrik Soer

Harm Boll und Johannes Harms-Ensink, Mitarbeiter desKulturamtes in 1962 (Erna Harms-Ensink)

Coevorden-Piccardie Kanal

Der Bau des Coevorden-Piccardie-Kanalswurde im Jahre 1878 begonnen und im Jahre1882 fertiggestellt. Dieser Kanal diente in ers-ter Linie dem Zweck der Entwässerung großerMoor- und Niederungsgebiete. Er zweigt inGeorgsdorf (früher Piccardie) vom Nord-Süd-Kanal ab … Der Kanal hat eine Sohlebreitevon 6,50 Meter und eine Spiegelbreite von 13Metern. Die Wassertiefe beträgt 1,60 bis 1,80Meter. Da das … Gefälle von Georgsdorf bisEschebrügge (niederländische Grenze) sechsMeter beträgt, mussten auf dieser Strecke vierSchleusen gebaut werden. Auch gewann derKanal als Schifffahrtsstraße zunehmend anBedeutung. Große Mengen von Weißtorf wur-den auf diesem Wege von Georgsdorf nachEmlichheim transportiert und dort umge-schlagen. Heute wird der Kanal nicht mehr fürdie Schifffahrt benutzt. Er dient nun vor-nehmlich als Ruhe- und Erholungszone.

Aus: Festschrift, 10 Jahre Niedergrafschafter Edelweiß-Schützen e.V. Bathorn 1984 / 1994, S. 15

Willy Friedrich, Chronist S. 189„1972 wurden alle linksemsischen Kanäle alsSchifffahrtswege außer Dienst gestellt.“

Noch 1949 wurden 47.000 Tonnen Torfauf den linksemsischen Kanälen befördert.Hinzu kamen 62.000 Tonnen Kohle für dieNordhorner Textilindustrie, 52.000 TonnenBaustoffe aller Art, 8.800 Tonnen Rasenei-senerz und 1.000 Tonnen Kunstdünger. Aufnahmen aus den frühen 60er Jahren. EinGespräch mit Schleusenwärtern und Kanalar-beitern war für die Schiffer eine willkommeneUnterbrechung ihrer zuweilen eintönigen undlangwierigen Kanalfahrten im Sechs-Kilome-ter-Tempo.

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Torfschiffe auf dem Coevorden-Piccardie-Kanal (Willy Friedrich)

Schleusenwärterin am Coevorden-Piccardie-Kanal,1959(Willy Friedrich)

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Leben am Coevorden-Piccardie-KanalHermann Kronemeyer„Ja, meine Herren, die Leute in den Moorko-lonien sind von allen Verkehrsverhältnissenabgeschlossen. Im Winter müssen die Leuteselbstverständlich Kraftfutter für ihr Vieh ha-ben. Dann holen sie ihre Ölkuchen (ein in denÖlmühlen auffallendes gut riechendes Pro-dukt, wertvolles Futtermittel) drei Stundenweit auf dem Rücken her. Sollen die Wirt-schaftsverhältnisse in dieser Weise sich bes-sern, dann müssen vor allen Dingen auch dieWege geebnet werden, damit die Leute ihreWirtschaften mit Kunstdünger und derglei-chen verbessern können. Das fehlt uns und istauf keinem anderen Wege zu erreichen, alsdurch Kanalisierung. Die Moorgegend läuftparallel der holländischen Grenze. Wenn manvon dem preußischen Gebiet auf das hollän-dische kommt, da ist der Kontrast so groß,dass man sich wirklich schämen muss. Darandarf unser Staat und dieses Haus nicht unauf-merksam und unbeteiligt vorübergehen, weilder große Staat Preußen das ebensogut undbesser machen kann wie das kleine Holland.Meine Herren, ich hoffe, dass ich Sie über-zeugt habe, dass wir den vorliegenden Anträ-gen zustimmen und die Königliche Staats-regierung den großen Staatsbeutel mal öffnenwird, damit dieses Projekt durchgeführt wird.“

So setzte sich der Landwirt und preußischeLandtagsabgeordnete Jan Jacobs (1818–1886)aus Georgsdorf leidenschaftlich für den Aus-bau der Linksemsischen Kanäle ein. Seit 1863hatte sich die königlich-hannoversche Regie-rung entsprechende Pläne ausarbeiten lassen.Doch es fehlten immer wieder der Wille unddas nötige Geld.

Nachdem das Land Hannover 1866 vonPreußen übernommen worden war, setzte sichdie preußische Regierung großzügig für dasProjekt ein. 1867 wurde der Bau des großenKanalsystems beschlossen und im Jahre 1870mit dem Ausbau begonnen. Nicht nur denMoorbewohnern bot sich ein guter Nebenver-dienst. Aus allen Landesteilen wurden Arbei-ter herangezogen. Zusätzlich wurden fran-zösische Kriegsgefangene eingesetzt, somitmachte der Kanalbau gute Fortschritte. 1894

waren die Kanäle mit einer gesamten Längevon 111 km fertiggestellt.

Piccardie-Coevorden-KanalAm Rande des Moores durchschnitt der Pic-cardie-Coevorden-Kanal die Fluren Bathorn,Scheerhorn und Berge. Diese Kanaltrassewurde wegen der Bodenstruktur gleichzeitigzur Entwässerung des Gebietes ausgebaut. Zudiesem Zweck verlief zu beiden Seiten des Kanals ein breiter, tiefer Abzugsgraben durchden das Sickerwasser aus dem Kanal und dasWasser aus der Fläche zur Vechte abgeleitetwurden. Auf der Nordseite durchlief das ausdem Moor anfallende Wasser vor dem Kanalzwei größere Sandfänge, um dann durch gus-seiserne Rohre unter dem Kanal durchgeleitetzu werden. Ein zu diesem Zweck errichtetes,in den Kanal hineinragendes Bauwerk aus1,10 m dickem Mauerwerk befindet sich ander Kanalbrücke in Bathorn. Es hat seit eini-gen Jahren seine Funktion eingebüßt.

Der Kanalkörper wurde den Erfordernissenentsprechend ausgebaut. Im Querschnitt gese-hen verlief beidseitig ein Abzugsgraben, darananschließend ein etwa fünf Meter breiterStreifen, der in seinem Urzustand verblieb.Dann folgten beidseitig die aufgeschüttetenKanaldämme, die gleichzeitig als Wege dien-ten. Der südseitig verlaufende Weg war innormaler Breite ausgeführt mit einer Baum-reihe abseitig vom Kanal. Dieser Weg dienteals Treidelpfad. Nordseitig verlief zunächst aufder Böschungskrone ein Fußweg, in spätererZeit ein Radweg. Am Radweg stand eine Baum- reihe, dann kam ein breiter Verkehrsweg unddann wiederum eine Baumreihe. Erstaunlichist, unter welchen Umständen der Ausbau er-folgte. Technische Geräte standen kaum zurVerfügung. Hoher Wasserstand, der sich wäh-rend der Sommerzeit kaum änderte, behin-derte die Arbeit. Bezüglich der umfangreichenErdarbeiten waren Schaufel und Schubkarredie einzigen Arbeitsgeräte. Mittels relativ klei-ner, der Schwere der Arbeit angepasster Schub-karren mit schmalem Rad, wurden die Boden-massen über ausgelegte Bohlen hochgekarrtund in die Kanaldämme verbaut. Überschüs-siger Boden wurde außerhalb der Abzugsgrä-

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ben in bis zu drei Meter hohen Erdwällen ge-lagert, im sogenannten Stött (Sturz, „Aus derSchubkarre gestürzt“).

BrückenbautenNicht weniger mühevoll war die Errichtungder Brückenbauten: allein schon das Heran-schaffen der Baumaterialien und der vielenformgerechten Sandsteinblöcke. Auf tief unterder Kanalsohle verlegten Holzbohlenlagerwurde die umfangreichen Brückenfundamenteaus Klinkermauerwerk hochgezogen, gemauertin säurefestem Trassmörtel. Jeder Weg bekameine Brücke leichterer Bauart in „Pferdewagen-spurbreite“ und einen seitlichen „Bürgersteig“.

Nur die Bathorner Brücke war von schwe-rer Bauart, breiter und ohne „Bürgersteig“. AlsDrehbrücken konstruiert waren die Brückenüber einem sogenannten „Königsstuhl“ festmontiert. Auf seiner Spitze, knapp einenHandteller groß, ruhte die geöffnete Brücke imSchwebezustand. Auf demselben Fundamentwar ein Eisenkranz angebracht, auf dem sichdie Brücke bei starken Schwankungen oderplötzlicher Gewichtsverlagerung auf vier Rä-

dern abstützte. Von der festen Lagerung in denSchwebezustand wurde die Brücke mittelseiner Handkurbel über ein Zahnradgetriebe ge-bracht. Somit konnte die Brücke für die Durch-fahrt der Schiffe abgeschwenkt werden.

Brückenwärter-HausZur Unterhaltung und zum Betrieb der Anla-gen bedurfte es entsprechender Kräfte. Zu die-sem Zweck wurde im Bereich des KirchspielsArkel/Hoogstede in Bathorn, Scheerhorn undBerge jeweils ein Wohnhaus an einer Brückeerrichtet. Seinerzeit modern und unvergäng-lich stabil erbaut. Ein kleiner Vorbau führtezur Bodentreppe und zum Wohnbereich, indem sich die Wohnküche und drei Schlafzim-mer befanden. Darunter waren ein geräumigerKellerraum und unterm Vorbau ein Regen-wasser-Sammelbecken. Der Wirtschaftsteilwar zur einen Seite für drei Kühe, mit einemSchweinestall und einem abgeschlossenenAbortraum mit darunter befindlichem Kellerausgebaut. Zur anderen Seite, an der Trenn-wand zur Wohnung, eine Wasserpumpe mitSpülstein und der Hausnebeneingang. Der üb-rige Platz diente als Bansenraum. In der Gie-belwand befand sich die große zweiflügelige„Bansentür“ (Dielentür) mit eingelassenemHühnerschlupf. Die Hühner selbst hatten ihr

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Familie Brooksnieder, Schleusenwärter an der GroßringerSchleuse vor 1920. Harm Brooksnieder mit Sohn Johann,Fennegien Brooksnieder geb. Warmink, Sohn Gerhard,„Böppe“ Jana Brooksnieder geb. Boll, Tochter JohanneBrooksnieder, verw. Hans, verh. Drechsel (Mini Büdden)

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Quartier über den Kühen in der Hyle. (Bansen= Raum zum Aufnehmen der Garben, lautDuden)

VerpflichtungenZur Übernahme dieser Häuser wurde in einemVertrag festgelegt:

Der Vorstand der Linkemsischen Kanalge-nossenschaft verleiht dem --Name-- die Stelleeines Brückenwärters und verpachtet ihm dienachstehenden zu dieser Wärterstelle gehöri-gen Gegenstände, 1. Wohnhaus nebst Hofraum2. Ackerland und Hausgarten3. Ackerland4. Grasland5. Grasnutzung an den Kanalböschungen.

Das aus diesem Vertrage sich ergebendeDienst- und Pachtverhältnis beginnt mit dem-- Datum --. Der Wärter übernimmt die War-tung und Bedienung der Brücke St. 69, die Be-dienung der Brücke St. 62 für bergwärtsfahrende, bei St. 74 für talwärts fahrendeSchiffe, die Wartung der Brücken Stat. 62 und74 während der Monate Februar, April, Juni,August, Oktober, Dezember. Er unterwirft sichwegen dieses Dienstes den anliegenden beson-deren Vorschriften. Dafür bezieht der Wärterdie in Gemäßheit des Tarifs zu ent- richtendenGebühren sowie aus der Genossenschaftskasseeine Vergütung von jährlich 12,00 Mark. Fürdie Durchfahrt von Fahrzeugen des Staatesund der Genossenschaft steht dem Wärter ir-gendwelche Vergütung nicht zu. Der Wärterhat die noch vorhandenen Ödländereien all-mählich in Kultur zu setzen. Er ist nicht be-fugt, Brandkultur zu treiben oder Früchte aufdem Halme zu verkaufen. Afterverpachtung istnicht gestattet.

Eine schwere Verpflichtung für die Wär-terfamilien, die sie durch ihre Unterschrift ein-gingen.

Vor allem traf es für die Frauen zu. Siemussten für Haus, Kinder, Hof und Gartensorgen und hatten ständig Bereitschaft für denBrückendienst. Dabei waren sie für jedesSchiff etwa eine Stunde außer Haus, hatten siedoch zwei Brücken zu bedienen und dazu

einen Fußmarsch von etwa 1.400 Meter zu be-wältigen. Ein Fahrrad wurde erst sehr vielspäter benutzt. Waren Kleinkinder zu Hause,wurden diese sicherheitshalber zwischen imViereck zusammengebundenen Stühlen ge-schützt. Männer arbeiteten über 60 Stundendie Woche im Auftrag der Kanalgenossen-schaft. Außerdem lag die nicht geringe Arbeitin der kleinen Landwirtschaft mit Acker, Heu-und Brenntorfgewinnung an. In der regulärenArbeitszeit wurden alle anfallenden Unterhal-tungsarbeiten ausgeführt, wie Ausbesserun-gen an Böschungen, Räumung der Wasser-läufe, Rostschutzarbeiten und anderes. Fielenkleinere Rammarbeiten an, so waren vierMann nötig an der Handramme. Bei schwerenRammarbeiten waren sieben Mann erforder-lich. Hierbei wurde über Seile und Rammge-rüst gearbeitet. Dabei wurde im Arbeits-rhythmus gesungen. Zum Einsatz hieß es da-rin: Haal up denn Bär he buckert al weär. Mitdem jeweiligen 15ten Rammstoß hieß es dann„füffteen“ = Ruhepause. In den Anfangsjah-ren fielen noch Arbeiten in einer Korbwei-denkultur und einer Fischteichanlage an.

Wie allgemein üblich ging gelegentlich inder Kolonne die „Pette round vöar ´nen Kloa-ren“, jeder schmiss dann fünf oder zehn Pfen-nig hinein. Nur einer drückte sich zur Seite.Seine Frau verwahrte jeden Deut. Als Aus-gleich durfte er morgens seine Tabakdose auf-halten und seine Frau gab ihm ein Söpie überseinen groben Krüllkautabak. Insgesamt warden Familien ein mühsames Leben beschie-den. Das Brückengeld von 13 Pfennigen jeBrücke und Schiff war nicht überwältigend,obwohl es sich zum Ende der Schifffahrt, zumJuni 1964, auf 30 Pfennig erhöhte. Die Woh-nung und das dazugehörige Land waren ko-stenfrei bis zum September 1955. Schiffeverkehrten in unterschiedlicher Zahl. Dashöchste Aufkommen wird im Juni 1953 ge-wesen sein mit 258 Schiffen, überwiegendholländischer Herkunft. Ihre Frachten warenWeißtorf in Ballenform. Brenntorf, Mauer-steine, Dünger, Kartoffeln und vieles andere,in den Vorkriegsjahren Fertigelemente für Barackenbau und in den Kriegsjahren Schiffs-ladungen Holzschuhe für die zahllosen

COEVORDEN-PICCARDIE KANAL

Kriegsgefangenen sowie Presstorf für den Lagerbedarf. Diese Güter wurden im Bathor-ner Hafen entladen, wie auch in den Jahrenzuvor Kunstdünger und Mauersteine für denhiesigen Bedarf. Bei Beanspruchung von Lagerflächen über drei Tage hinaus war eineLagergebühr von 3 Pfennig je Kubikmeter undJahr zu entrichten, wofür der Wärter zu sor-gen hatte.

Zu seiner Aufgabe zählte auch die Ab-schätzung von durch Schiffe verursachteSchäden an Bauwerken oder Brücken. Hattemal ein Schiff die Brücke von seinem Königs-stuhl gerammt, so waren sofort der Inspektorund die Handwerker zu benachrichtigen. Wasin einer Welt ohne Telefon seine Zeit brauchte.Zumal diese Personen über Tag bis zu fünf-zehn Kilometer entfernt sein konnten. Aufjeden Fall musste der Schiffer eine bestimmteSumme hinterlegen, bevor die nächste Brückegeöffnet wurde. Besonderes Augenmerk galtdem längs des Kanals angelegten Fuß- bzw.Radweg. Dieser wurde immer wieder durch amStrick geführte Rinder oder Pferde oder auch

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Im Bathorner Hafen werden Steine vom Schiff auf Loren verladen (Aus „Alt-Hoogstede)

Zwei Kanalschiffe mit Segeln, um 1940(Johann Kortmann)

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Treidelpferde, die an der falschen Kanalseitegeführt wurden, zertrampelt. Zum Ärger desWärters, denn in diesem Fall holte er sichleicht einmal „Brumme“ vom Inspektor ein.

Zur Fortbewegung wussten die Schiffer ge-konnt den Wind zu nutzen. Am Schiffmastsetzten sie die Segel so geschickt, dass siescheinbar selbst gegen den Wind segelten.Doch bei Flaute mussten andere Kräfte mobi-lisiert werden. Das waren in erster Linieschiffseigene kostenlose Kräfte. Frau und Kin-der legten sich dann einen breiten Riemenüber die Brust und zogen über ein langes Seilverbunden mit dem Schiffsmast das Schiff ki-lometerweit zum Zielort. Der Mann blieb an

Bord und bediente das Ruder. Fehlten eigeneKräfte so wurde ein „Jäger“ angeheuert, dersein Pferd vorspannte und den Leinpfad längs-treidelte. Dabei brauchte der „Jäger“ nicht diegesamte Strecke zu laufen, er konnte sichnach Bedürfnis auf das Pferd setzen. Im Laufeder Jahre wurden mehr und mehr Motorbooteoder fest eingebaute Maschinen in Schiffenmit Kabinenaufbau eingesetzt. Zur Schonungder Böschungen durften diese nicht alsSchlepp-, sondern nur als Schubboote einge-

setzt werden. Brückengeld hatte der Schifferdirekt „up de Haund“ zu entrichten. Oft warfer es, in ein Knäuel Papier gewickelt, auf dieBrücke, was in der trockenen Jahreszeit nichtimmer erfolgreich war, weil es dann durch dieRitzen zwischen den Bohlen ins Wasser fallenkonnte und ein zweites Mal zu bezahlen war.Sicherer war die Überreichung mit dem Ess-löffel, der an einem langen Staken befestigtwar. Diese Art machten wir Jungs uns nutz-bar, damit waren die „Krickenejer“ (Eier desTeichhuhns) leicht zu erreichen. Hatte derSchiffer Kartoffeln geladen, so steckte er dieMünzen in eine Kartoffel und warf sie „aanWall“. So war es sicher.

Um sich für eine Brückenöffnung bemerk-bar zu machen, wurde vom Schiff aus insHorn gestoßen, eine Glocke betätigt oder kräf-tig gerufen. Geöffnet werden musste von Son-nenaufgang bis Sonnenuntergang, außer anSonn- und Feiertagen während des Vor- undNachmittagsgottesdienstes. Traf zu später Zeitnoch ein Schiff ein, so war die Neigung groß,es noch durchzulassen, wollte man nicht vor„Tag und Tau“ aus den Federn. War es nichtmehr möglich, so kam der Schiffer vielleichtmit seiner Frau zu einem Pröatien herüber,auch um sich mit etwas Proviant, Eiern undMilch zu versorgen, eventuell im Tausch ge-

Schiffe mit Segeln 1938 auf dem Kanal an der Brücke amBöppeldiek, die die abgebauten Arbeitsdienstlager laden undfür den Bau des Westwalls abtransportieren (Kronemeyer)

gen Kaffee, Zichorie und Tee. Um die kleinsteFläche des Schiffes als Frachtraum zu nutzen,standen für die Schiffsleute äußerst beengteRäumlichkeiten zur Verfügung. Anmutendwie eine Zwergenwohnung mit golden blin-kenden Väschen, Töpfchen und Kleintöpfchenzum Kochen, strahlte es anheimelnde Gemüt-lichkeit aus. Waren Kinder an Bord, so hattensie bei Leerfahrten den Schiffsbauch als Spiel-platz zur Verfügung. Ansonsten blieb für Kin-der nur das gefährliche Deck. Dabei wurdenKleinkinder am Mast angeseilt, somit konntensie sich in einem Umkreis von etwa zweiein-halb Meter sicher bewegen. Als Schlafraumdiente vorwiegend der Roof-Raum (Bugraum)des Schiffes. Es bot sich für das Schiffsvolkeinfach an, eine Angelschnur am Schiff mit-laufen zu lassen. So war die Versorgung mitFisch gedeckt. Hatte doch der Kanal einensehr reichen Fischbestand. Durch das saubere,blanke Wasser sah man Fische in Schwärmenund Hechte im Schilfrand regungslos aufBeute lauern. Viele Anlieger nutzten das Ka-nalwasser noch einige Jahre nach dem Zwei-ten Weltkrieg als Viehtränke und Hauswasser.Das Fischrecht hatte seinerzeit die FamilieKiewit. Ich sehe noch, wie Kiewit mit seinemFischerboot von einer Seite des Kanals zur an-deren schipperte und seine Bungen und Fuken(Reusen) leerte. Abtransportieren ließ er seineAusbeute mit einem Pferdewagen, wahr-scheinlich nach Neuenhaus, wo sie dann si-cherlich auf Eis gelegt wurde. Durch den Baudes Kanals war eine große, nützliche Verän-derung eingetreten, aber zum Nachteil der

vielen Hasen. Sie waren von ihrem ursprüng-lichen Weidegrund abgeschnitten und muss-ten ihre Fußwege über die Brücken verlegen.So hoppelten sie abends über die Brücken zumFressen und morgens zurück. Zu beobachtenwar das noch bis vor fünfzig Jahren. Das zogauch „Ströäper“ an, die sich an den Brückenauf Lauer legten. Umgehend nach dem Kriegewurden drei Brücken (eine in Berge und zweiin Bathorn vor dem Aulen Diek und vor dem Böppel-Diek) als Ersatz für im Krieg zer-störte Brücken abgebaut. Für die vier betrof-fenen Wärter eine Entlastung, die sie gerneannahmen.

Im sehr kalten Winter 1946/47 fielen alleBäume längs des Kanals der strengen Kältezum Opfer. Im Lager Bathorn lebende, nochnicht zurückgekehrte Kriegsgefangene undzahlreiche Zwangsarbeiterfamilien konntensich, der Not gehorchend, mit dem nötigenBrennmaterial über den für lange Zeit zuge-frorenen Kanal versorgen.

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Hermina Kronemeyer betätigt die Brücke in Bathorn, etwa 1938. Vor der Brücke Hilda Kronemeyer, 2 Arbeitsmänner, ein Mann aus der Planung und Vermessung, Frieda van der Kamp, Sina Kronemeyer,Gerda van der Kamp (Mina Kronemeyer)

Neue Kanalbrücke in Berge, 2007 (Harm Kuiper)