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Zeitschrift für ausländische Absolventinnen und Absolventen der Universität Augsburg • 11/Juni 2006 Alumni Augsburg International

InternationalAugsburgAlumni - aaa.uni-augsburg.de · direction of Prof. Dr. Karl-Heinz Hoff-mann, who was at the time at the Department of Mathematics at the University of Augsburg

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Zeitschrift für ausländische Absolventinnen und Absolventen der Universität Augsburg • 11/Juni 2006

AlumniAugsburgInternational

„Die Welt zu Gast bei Freunden“ in den letzten Wochen an vielen Plakatwänden, in

Fernsehreklamen und Anzeigen hierzulande zu lesen: das Motto der FIFA-Fußball-

weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Dieser Slogan bezog sich freilich auf einen

Zeitraum von gerade einmal vier Wochen.

Seit Jahrzehnten schon hingegen sind ausländische Studentinnen und Studenten,

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an deutschen Hochschulen willkommene

Gäste. Manche für ein oder zwei Semester, um spezielle Fachkenntnisse zu erwerben,

andere für einige Jahre, um einen deutschen Abschluss zu machen. „Die Welt zu Gast

bei Freunden“ gilt also für die Hochschulen seit langem und zu jeder Zeit, und das soll

auch weiterhin so sein.

Alumni-Netzwerke – wie das an der Universität Augsburg für ausländische „Ehema-

lige“ – dienen dazu, mit den Gästen und Freunden, die hier studiert, gelehrt und ge-

forscht haben, weiterhin in Kontakt zu bleiben und so Freundschaften in aller Welt zu

pflegen.

In dieser Ausgabe von Alumni Augsburg International wollen wir Ihnen exem-

plarisch einige der Freunde der Universität Augsburg vorstellen. Sie werden von ihnen

selbst erfahren, wann sie hier waren, zu welchem Zweck, mit welchen Erwartungen

und Zielen. Und Sie werden auch lesen, welchen Stellenwert der Aufenthalt an der

Universität Augsburg in ihrem Leben und ihrem Werdegang hat und was sie inzwi-

schen machen.

Vielleicht kennen Sie ja die eine oder den anderen unserer 17 Alumni-Autorinnen und

Autoren aus Ihrer eigenen Zeit in Augsburg?

Und wenn Sie selbst einmal Lust haben sollten, uns über Ihre „Augsburger Vergangen-

heit“, über Ihre Gegenwart und über Ihre Pläne für die Zukunft zu berichten: Wir

freuen uns - wie Sie wissen - über jede Zuschrift!

Viel Spaß bei der Lektüre wünschen

Ihre

Sabine Tamm Andrea Lorincz

3

Liebe Augsburg-Alumni,

i m J u n i 2 0 0 6

Alumni Augsburg International

Die Zeitschrift für ausländische

Absolventinnen und Absolventen

der Universität Augsburg.

Herausgeberinnen:

Dr. Sabine Tamm & Andrea Lorincz

Akademisches Auslandsamt

der Universität Augsburg

D-86135 Augsburg

Telefon: ++49/821/598-5135

Telefax: ++49/821/598-5142

[email protected]

Redaktion (verantwortlich):

Klaus P. Prem, Referat für

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

der Universität Augsburg

Produktion:

Walch Joh. GmbH & Co Druckerei

Auflage: 800 Exemplare.

Titelgrafik: Marion Waldmann

Namentlich gezeichnete Beiträge geben

nicht unbedingt die Meinung der Heraus-

geberinnen oder der Redaktion wieder.

Für unaufgefordert eingesandtes Text-

und Bildmaterial wird keine Verantwor-

tung übernommen. Die Redaktion behält

es sich vor, eingesandte Manuskripte zu

kürzen und zu bearbeiten.

Impressum

AUGSBURG-ALUMNI AlbanienArgentinien Algerien Armenien Ägypten

Äthiopien Belgien Benin Bolivien Bosnien-Herzegowina Brasilien Bulgarien Chile

China Dänemark Deutschland EcuadorEstland Finnland Frankreich Gabun

Georgien Ghana GriechenlandGroßbritannien Honduras Indien Indonesien

Iran Irland Israel Italien Japan Kamerun Kanada Kasachstan Kenia Kolumbien

Kongo Korea Kroatien Kuba Lettland Litauen Luxemburg Malaysia Marokko Mazedonien

Mexiko Moldau Neuseeland Niederlande Norwegen Österreich Palästina Peru Polen

Portugal Rumänien Russland Saudi-ArabienSchweden Schweiz Senegal Serbien und

Montenegro Slowakei SlowenienSpanien Tadschikistan Taiwan Thailand

Tschechische Republik Türkei Uganda Ukraine Ungarn USA Uruguay Usbekistan

Vietnam Weißrussland IN 81 LÄNDERN

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Ahcène Abdelfettah kam am 26. Okto-

ber 1977 um 16.10 Uhr am Augsburger

Hauptbahnhof an. Der Zug kam von

Bonn, wo Ahcène Abdelfettah über-

nachten musste, weil er wegen des Sti-

pendiums bei der algerischen Bot-

schaft vorbeikommen musste. An der

Schulter eine Gürteltasche, in der

Hand ein Koffer und im Kopf ein gro-

ßes Durcheinander. Die erste Taxifahrt

in das BLLV-Studentenwohnheim in

ALUMNI BERICHTEN

Ahcène Abdelfettah, Algerien

Malgorzata Peszynska, Polen/USA

Yoshiyuki Muroi, Japan

Taha Ibrahim Ahmed Badri, Ägypten/Saudi-Arabien

Raquel García Borsani, Uruguay/Peru

Sliman Abu Amara, Palästina/Israel/Niederlande

Elena (Subarewa) Vasylchenko, Ukraine

Eva Ziltener, Kanada

Maria Kollmann, Finnland

Joanna Janecka, Polen

Eliana Formicola, Italien

Naser Secerovic, Bosnien-Herzegowina

Mariana Ivanova, Bulgarien/USA

Tatiana Misevich, Russland/Deutschland

Olga Berchynska, Ukraine/Deutschland

Maria Diana Florea, Rumänien/Deutschland

Venera Davletshina, Russland/USA

AKTUELLES

"Eine Bereicherung für die international ausgerichtete Lehr- und

Forschungsgemeinschaft": DAAD-Preis 2005 für Kwi-Ja Kim

"Ich werde rausgehen und mir die Welt anschauen": DAAD-

Preisträgerin Kwi-Ja Kim im Gespräch mit AAI

"Gemeinsam für Europa": Andrea Lorincz über das Dresdener

Präsidententreffen mit sechs europäischen Staatsoberhäupter und

100 europäischen Studentinnen und Studenten

Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien 2005 & 2006: Die

Preisträgerinnen Ute Koch und Ulrike Bechmann und ihre Studien

Der Campus wächst: Ein Neubau für die Informatik

„Treffpunkt: Zunge“: Szilvia Lengl über ihren Literaturstammtisch

der Leharstrasse war eine Fahrt ins

Ungewisse, das über zehn Jahre dauern

sollte.

Hauptfach: Neuere Deutsche Sprach-

wissenschaft an einem Lehrstuhl, der

zuerst unbesetzt war – bis zur Beru-

fung von Prof. Dr. Hans Wellmann. Zu-

erst Trimester, dann Semester. Elf Stu-

denten, davon vier Ausländer, saßen

im Einführungskurs in die deutsche Li-

Inhalt

Ahcène Abdelfettah

– ALGERIEN – studierte und promovierte

von 1977 bis 1988 an der Universität Augsburg.

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Ausgewählte Veröffentlichungen:

Die Rezeption der Französischen Revolu-

tion durch den deutschen öffentlichen

Sprachgebrauch. Untersucht an ausge-

wählten historisch-politischen Zeitschriften

(1789-1802), Heidelberg, Winter, 1989.

Zur Begegnung des deutschen politischen

Bewusstseins mit der Französischen Revo-

lution auf sprachlicher Ebene, in: Revue de

l'ILE, n°8, 1998, pp.135-146, texte remanié

de la communication au colloque interna-

tional „La Question allemande“, Université

d'Alger (Bouzaréah), octobre 1992.

Traduction de: Bougie, Die Perle Nord-

Afrikas, Ludwig Salvatore von Habsburg-

Toskana, Prag, 1899, Algier.

L'interculturalité et l'enseignement des

langues étrangères en Algérie: exemple de

la licence d'Allemand, communication au

colloque „Etudes germaniques, perspec-

tives interculturelles“, Université d'Oran,

27-28 mai 2000.

„Eine Hand alleine kann nicht Beifall klat-

schen“. Zum Beitrag der Germanistik zum

algerisch-deutschen Kulturdialog“, in: Ger-

manistentreffen. Deutschland – Arabische

Länder, Iran (2-7.10.2002, Dokumenta-

tion der Tagungsbeiträge, éd. DAAD,

Bonn, 2003, pp.97-106.

Traduction (en collaboration avec Alain

Carré) de: Sittenbilder aus Tunis und Al-

gier, de Malzahn, Heinrich Karl Eckardt

Helmut Freiherr von, Leipzig , Dyk, 1869,

[en cours].

71 1 / J u n i 2 0 0 6

and computational mathematics. Some

of them work with me on research to-

pics similar to those I started in Augs-

burg. I remember very fondly the stay

in Augsburg.

doctorate, I have worked in my home-

land, Poland, and later went to be a

postdoc at the Purdue University in

the USA, and at the University of Te-

xas in Austin. Thanks to the excellent

research opportunities I had in Augs-

burg, I made great discoveries which

put foundation for my future research.

The group of Professor Hoffmann was

an exciting environment for all kinds

of research in applied, computational,

and interdisciplinary mathematics, and

this inspired me for life. Today I have a

regular academic position at the Ore-

gon State University where I teach and

train undergraduate and graduate stu-

dents in the general field of applied

I was supported by a DAAD Stipen-

dium and came to Augsburg from Po-

land where I worked at the Polish Aca-

demy of Sciences. The purpose of my

stay was to do research under the

direction of Prof. Dr. Karl-Heinz Hoff-

mann, who was at the time at the

Department of Mathematics at the

University of Augsburg. My research

went well and I wrote a doctoral thesis.

Eventually I received a Doctorate (Dr.

rer. nat.) from University of Augsburg.

The topic of my research in Augsburg

was „Mathematical and numerical stu-

dy of flow in fissured media.“ I con-

tinue this direction today. After my

6 A l u m n i A u g s b u r g I n t e r n a t i o n a l

teraturwissenschaft; etwa so viele sa-

ßen im entsprechenden sprachwissen-

schaftlichen Kurs. Daneben Deutsch

für Philologen bei Dr. Christel Krauß.

Zugänglicher waren die Romanisten

aus verständlichen Gründen.

„Aller Anfang ist schwer.“ Aber der

Augsburger Anfang war mehr als das.

Der nach kürzester Zeit aufgekomme-

ne, nicht enden wollende Nebel, die wi-

derlichen Krähen auf dem weißen

Schnee um den Haunstetter Beton-

turm – das alles kann nicht vergessen

werden. Doch dann kamen die ersten

Seminarscheine, das Romanistenthea-

ter mit dem sehr talentierten Dr. Plo-

cher und den vielen unvergesslichen

Freunden. Die Augsburger Welt bekam

Farbe, das Studium hatte nun einen

Sinn.

Im Mai 1982 wurde die Magisterprü-

fung in Germanistik und Romanistik

abgelegt. Nach dem typisch französi-

schen Motto „L'appétit vient en man-

geant“ ging es weiter mit der Promo-

tion, die dann am 25. Juli 1988 vorge-

legt und angenommen wurde: Univer-

sitätspreis der Gesellschaft der Freun-

de der Universität Augsburg, mit dem

die Universität einen „neuen“ unheil-

baren Freund bekommen hatte. Ein

weiteres Jahr in Hochschuldidaktik an

der Universität Kassel schloss den

deutschen Aufenthalt ab.

Die Rückkehr nach Algerien mit einer

Promotion in der Tasche. Der Neuan-

fang in der Heimat erwies sich als

komplizierter als vorhergesehen. In

der Heimat brach ein neues Zeitalter

an: Pluralismus, unabhängige Presse,

freie Meinungsäußerung ... Doch die-

ser Frühling war ein Strohfeuer. Bald

flogen die menschlichen Fetzen im

Lande und noch mehr. Ganz ist es

noch nicht überlebt mit zigtausenden

von Toten.

„Deutsch“ (denn „Germanistik“ ist für

ungeübte Ohren scheinbar ein bar-

barisches Wort) war nicht gerade das,

was das Land brauchte. Acht von zehn

postgraduierten Kollegen verließen aus

Sicherheitsgründen das Land inner-

halb von zehn Jahren. Diese Zeit ist

inzwischen überstanden, neuer Nach-

wuchs ist im Kommen, die deutsche

Abteilung in Algier war nie so stark

besetzt, mehr als dreihundert angehen-

de GermanistInnen, davon sechzehn

MagistrandInnen (erste Postgraduie-

rung im Lande). Nach mehr als fünf-

zehn Jahren Arbeit an der Universität

Algier kann eine kleine Bilanz gezo-

gen werden. Jahr für Jahr machen rund

fünfzig Studenten ihren Abschluss. Ein

Teil ist in deutschen Firmen unterge-

kommen, ein anderer irgendwo in Eu-

ropa oder sonst wo. Mit der Wieder-

öffnung des Goethe-Instituts Algier

sind die deutsche Sprache und Kultur

wieder präsent. Das Gefühl einer An-

näherung ist von Tag zu Tag wieder

spürbar.

Doch hin und wieder sehnt sich der

frühere Haunstetter nach dem Sieben-

tischwald, in dem er viele Jahre joggte.

Malgorzata Peszynska

– POLEN/USA – forschte und promovierte von 1990 bis 1992

an der Universität Augsburg.

ALUMNI BERICHTEN

91 1 / J u n i 2 0 0 6

Österreich, die Schweiz, Italien, Frank-

reich, Spanien, Ungarn und Slowenien.

Dies hat meine Kenntnisse und Erfah-

rungen über Europa, über Menschen

und Länder bereichert und war von

großer Bedeutung für meine spätere

Tätigkeit als Dozent für Germanistik

an der Al-Azhar Universität in Kairo

bzw. als Gastdozent an anderen ägypti-

schen Universitäten und – seit Septem-

ber 2005 – auch als Gastprofessor an

der König-Saud-Universität in Riad

(Saudi-Arabien).

Derzeit arbeite ich, wie erwähnt, als

Assistenzprofessor für Deutsche Lite-

raturwissenschaft in der Abteilung für

Germanistik der Fakultät für Sprachen

und Übersetzung der Al-Azhar Uni-

versität in Kairo und parallel dazu als

Gastprofessor in der Abteilung für Eu-

ropäische Sprachen (Deutsches Pro-

gramm) der König-Saud-Universität in

Riad (Saudi- Arabien).

Nach meinem Aufenthalt in Augsburg

erwarb ich mir in Kairo den Doktor-

grad mit der Gesamtnote „Ausgezeich-

net mit dem Ersten Ehrengrad“. Ne-

ben meiner Haupttätigkeit an der Al-

Azhar Universität in Kairo war ich bis

August 2004 auch als Gastdozent an

der Abteilung für Germanistik der

Sprachenfakultät der Al-Minia Uni-

versität tätig.

vor allem von der hervorragenden Be-

treuung durch den Lehrstuhlinhaber

und Präsidenten der Heinrich von

Kleist-Gesellschaft, Prof. Dr. Helmut

Koopmann.

Parallel zu meinen eigenen Studien ha-

be ich Arabischunterricht am Spra-

chenzentrum der Universität Augsburg

gegeben und meinen Aufenthalt in

Deutschland dazu genutz, auch andere

europäische Länder zu besuchen:

Ein zweijähriges DAAD-Stipendium

für Doktoranden im Rahmen des

Channel-Programms ermöglichte mir

einen Studienaufenthalt an der Uni-

versität Augsburg, wo ich am Lehrstuhl

für Neuere Deutsche Literaturwissen-

schaft an meiner Doktorarbeit zum

Thema „Zum Bild der Frau bei Hein-

rich von Kleist“ geschrieben habe. Ich

habe nicht nur von den umfangreichen

Beständen der Universitätsbibliothek

Augsburg profitiert, sondern auch und

8 A l u m n i A u g s b u r g I n t e r n a t i o n a l

Nach meinem ersten, zweijährigen Auf-

enthalt in Augsburg, bei dem ich – un-

terstützt durch ein DAAD-Stipendium

– bei Prof. Dr. Hans-Jürgen Heringer

ein Zusatzstudium im Fach Germanis-

tische Linguistik absolvierte, habe ich

im April 1991 eine Stelle als außer-

ordentlicher Professor für Deutsch an

der Hokkaido-Universität angetreten.

Nach sechsjähriger Tätigkeit habe ich

dort die Gelegenheit bekommen, mit

einem Forschungsstipendium des japa-

versität Augsburg, tätig. Hier unter-

richte ich Deutsch und Linguistik. Was

meine Forschung betrifft, beschäftige

ich mich gegenwärtig mit der Rele-

vanztheorie und ihren Anwendungs-

möglichkeiten auf die lexikalische Se-

mantik.

nischen Kultusministeriums erneut an

die Universität Augsburg zu gehen, um

– wiederum am Lehrstuhl von Profes-

sor Heringer – einen halbjährigen For-

schungsaufenthalt zu absolvieren.

Die Errungenschaften aus der Augs-

burger Zeit wirken sich immer wieder

produktiv auf meine wissenschaftli-

chen Tätigkeiten aus. Seit 1997 bin ich

an der Waseda-Universität in Tokio, ei-

ner der Partneruniversitäten der Uni-

Yoshiyuki Muroi

– JAPAN – absolvierte von 1988 bis 1990 und 1996 zwei Studien-

bzw. Forschungsaufenthalte an der Universität Augsburg.

TahaIbrahimAhmedBadri

– ÄGYPTEN/SAUDI-ARABIEN – studierte

von 1996 bis 1998 in Augsburg.

ALUMNI BERICHTEN

111 1 / J u n i 2 0 0 6

fahrung in meinem Leben. Die poli-

tisch-gesellschaftlichen Veränderun-

gen jener Zeit waren sehr interessant:

Mein Studienaufenthalt in Deutsch-

land fiel zeitlich mit dem Fall der Ber-

liner Mauer zusammen. Die Landkar-

ten Europas und der Welt änderten

sich fast täglich. Als ausländische Stu-

dentin konnte ich die tiefgreifenden

Änderungen, die mit der Wende ein-

setzten, spüren und diesen Prozess mit

Faszination verfolgen.

Mir hat die anspruchsvolle Arbeit im

Hauptfach Hispanistik am meisten ge-

fallen. Hierbei bin ich rückblickend für

die Orientierung und Unterstützung,

die ich von Prof. Dr. Thomas M. Schee-

rer erfahren habe, besonders dankbar.

Wichtige Impulse für meine Arbeit

erhielt ich ebenso von Prof. Dr. Hans-

Jürgen Heringer im Fach Deutsch als

Fremdsprache sowie von Dr. Meyer

und Dr. Anna M. Theis-Berglmair im

Fach Kommunikationswissenschaft.

1993 bis 1997 habe ich an der Univer-

sidad de la República in Montevideo

auf dem Gebiet Hispanistik/Lateiname-

rikanistik geforscht und gelehrt, 1997

und 1998 war ich als Gastdozentin in

Lima an den Universitäten UNMSM

San Marcos und PUCP Católica tätig,

im Sommersemester 1999 war ich als

Gastdozentin einmal mehr in Augs-

burg.

Seit 2000 arbeite ich hauptsächlich als

Übersetzerin und als Sprachlehrerin in

der Abiturstufe an der deutschen Hum-

boldt-Schule in Lima. 2007 will ich

nach Berlin ziehen, um mich dort in

den kommenden Jahren dann wieder

mehr der Forschung zu widmen und ei-

nige Projekte im Bereich der Latein-

amerikanistik zu realisieren.

92 schloss ich dieses Studium mit dem

Magister Artium ab.

Zurück in Montevideo, arbeitete ich an

der Universidad de la República, wäh-

rend ich parallel an meiner Disserta-

tion schrieb. Im Wintersemester 1994/

95 legte ich dann wieder in Augsburg

meine Promotionsprüfung ab.

Der zweijährige Aufenthalt in Augs-

burg war für mich in jeder Hinsicht

sehr fruchtbar. Beruflich und persön-

lich – meine Familie hatte mich be-

gleitet – bedeutete er eine wichtige Er-

Ich trug noch den Namen García de

Sanjurjo als ich von Oktober 1989 bis

Dezember 1991 als DAAD-Stipendia-

tin an der Universität Augsburg stu-

dierte. In meiner Heimatstadt Monte-

video hatte ich Pädagogik, Sprach- und

Literaturwissenschaften studiert und

danach als Sprachlehrerin, Übersetze-

rin und Journalistin gearbeitet. In

Augsburg studierte ich dann die Fä-

cherkombination Romanische Litera-

turwissenschaft/Spanisch als Haupt-

fach mit Deutsch als Fremdsprache und

Kommunikationswissenschaft als Ne-

benfächern. Im Wintersemester 1991/

10 A l u m n i A u g s b u r g I n t e r n a t i o n a l

Im September 2000 nahm ich an einem

DAAD-Symposium für Dozenten und

Assistenzprofessoren der Germanistik

in Alexandria zum Thema „Zwischen

den Sprachen“ teil, im Februar 2001

referierte ich auf der Konferenz „Dia-

log der Kulturen“ in Kairo zum Thema

„Der Andere ist auch ein Ich. Ein Bei-

trag zur Förderung des kulturellen und

religiösen Dialogs“.

Von Februar 2001 bis August 2005 ko-

ordinierte ich die Abteilung für Ger-

manistik der Fakultät für Sprachen

und Übersetzung der Al-Azhar Uni-

versität in Kairo und hielt zugleich

Gastvorlesungen an der privaten „Oc-

tober 6 University“ in Kairo.

An der Al-Azhar und an der Al-Minia

Universität habe ich Magisterarbeiten

zu den Themen „Das Bestmögliche bei

den muslimischen Theologen anhand

ausgewählter deutschsprachiger orien-

talischer Schriften“ und „Die wesentli-

chen Merkmale des Naturalismus in

Gerhart Hauptmanns Novelle Bahn-

wärter Thiel“ mitbetreut.

2003 ermöglichte mir ein DAAD-Post-

doc-Kurzstipendium einen Aufenthalt

an der Universität Freiburg zur Erar-

beitung einer Studie mit dem Titel

„Zum Bild des Propheten Mohammed

in Goethes Gedicht ‘Mahomets Ge-

sang’ – Goethes Einstellung zum Pro-

pheten Mohammed und zum Islam aus

der Sicht eines arabischen Germanis-

ten“.

Ab September 2003 gab ich zusammen

mit einem deutschen Kollegen in der

11. und 12. Klasse der Deutschen Evan-

gelischen Oberschule in Kairo „Ko-

operativen Religionsunterricht“.

Die fünf zuletzt genannten Beiträge

stehen auch auf meiner Homepage

http://tahabadri.tripod.com zur Ver-

fügung.

Mein Selbstporträt will ich mit einem

Vers aus dem Koran abschließen und

mit einem ägyptischen Sprichwort, die

– jedes für sich – wichtige Lebens-

mottos für mich sind: Im Koran spricht

Gott zu allen Menschen: „Wir haben

euch zu Völkern und Sippen gemacht,

damit ihr einander kennt.“ (Sure 49:

13). Und das Sprichwort sagt: „Elli yei-

esh yama yeshuf, we elli yemshi yeshuf

akter.“ Auf Deutsch heißt das: „Wer

lebt, der sieht viel; und wer reist, der

sieht mehr.“ Meine Zeit an der Uni-

versität Augsburg gab mir gute Gele-

genheit, andere Menschen kennenzu-

lernen und andere Teile der Welt zu

sehen.

Unter meinen Publikationen möchte

ich folgende hervorheben:

• Kleists Lustspiel ‘Der zerbrochene

Krug’. Literarische Interpretation, Dar Al-

Kamal Verlag, Kairo 2002. • Texte zur

Diskussion. Literatur – Religion – Kultur –

Politik – Wissenschaft, Dar Al-Kamal

Verlag, Kairo 2002. • Der Andere ist auch

ein Ich. Beitrag zur Förderung des kultu-

rellen und religiösen Dialogs, in: Faculty of

Languages and Translation Studies, Band

33, Al-Azhar Universität, Kairo 2002. •

Zur Mutter-Kind-Beziehung in Erich Käst-

ners Roman ‘Emil und die Detektive’, in:

Faculty of Languages and Translation Stu-

dies, Band 34, Al-Azhar Universität, Kairo

2003. • Liebe und Natur in Goethes Ge-

dichten ‘Willkommen und Abschied’ und

‘Mailied’, in: Faculty of Languages and

Translation Studies, Band 34, Al-Azhar

Universität, Kairo 2003. • Zum Bild des

Propheten Mohammed in Goethes Ge-

dicht ‘Mahomets Gesang’ – Goethes Ein-

stellung zum Propheten Mohammed und

zum Islam aus der Sicht eines arabischen

Germanisten, in: Kairoer Germanistische

Studien (KGS), Band 14, Kairo 2004. • Die

Naturdichtung bei Matthias Claudius als

Mittel zum Unterricht von religiösen und

moralischen Werten, in: Hallesche Beiträ-

ge zur Orientwissenschaft (HBO), Heft 40,

Halle/ Saale 2005.

Raquel García Borsani

– URUGUAY/PERU – studierte von 1989 bis 1991

an der Universität Augsburg, 1994/95 promo-

vierte sie hier und 1997/98 kam sie nochmals als

Gastdozentin.

ALUMNI BERICHTEN

131 1 / J u n i 2 0 0 6

Die Zeitschrift Alumni Augsburg In-

ternational hilft mir die Verbindung

zur Universität Augsburg aufrechtzu-

erhalten, was mich besonders freut. So

bleibt man auch nach dem Auslands-

aufenthalt mit den Kommilitoninnen

und Kommilitonen, die man kennenge-

lernt hat, in Kontakt.

Vielen Dank und herzliche Gratula-

tion zum 250. Geburtstag von Wolf-

gang Amadeus Mozart!

mann. Während dieses Semesters habe

ich nicht nur viel gelernt, sondern auch

viele neue Freundschaften geschlossen,

die ich bis heute pflege. Die internatio-

nalen Abende, an die ich mit Freude zu-

rückdenke, spielten dabei eine beson-

ders große Rolle.

Nun bin ich in meiner Heimat, in der

Ukraine, mit dem Studium fertig. Ich

habe dieses Studium an der Nationalen

Metschnikow Universität in Odessa er-

folgreich abgeschlossen, dann an mei-

ner Doktorarbeit gearbeitet und im

Februar 2005 promoviert. Jetzt un-

terrichte ich Deutsch an meiner Hei-

matuniversität und versuche, den Stu-

dierenden meine Kenntnisse der deut-

schen Sprache und die Liebe zu mei-

nem Gastland zu vermitteln.

Für das Wintersemester 1999/2000 hat-

te mir der DAAD zu meiner größten

Freude ein Germanistik-Semestersti-

pendium gewährt, das ich für einen

sehr interessanten Aufenthalt an der

Universität Augsburg nutzte. Ich habe

neben meinen fachlichen Aufgaben

auch die Gelegenheit wahrgenommen,

das Gastland, seine Menschen und sei-

ne Kultur näher kennenzulernen.

Das Studium an der Universität Augs-

burg war für meine weiteren wissen-

schaftlichen Tätigkeiten sehr förder-

lich. Ich bin den Dozentinnen und Do-

zenten, an deren Kursen ich damals

teilgenommen habe, sehr dankbar: Dr.

Jürgen Eder, Dr. Alev Tekinay, Dr.

Christel Krauß, Dr. Henry K. Ostberg,

Frau Westermayr und Herrn Oster-

12 A l u m n i A u g s b u r g I n t e r n a t i o n a l

Ich habe von 1992 bis 1999 an der Ju-

ristischen Fakultät der Universität

Augsburg Rechtswissenschaften stu-

diert. Zu Beginn meines Studiums er-

hielt ich Unterstützung von fast allen

AG-Leitern und Professoren. Zum Teil

kamen die Dozenten schon in der ers-

ten Vorlesung auf mich zu, um sich vor-

zustellen und mir ihre Unterstützung

anzubieten. Ganz besonders haben

mich Prof. Dr. Reiner Schmidt und

Prof. Dr. Joachim Herrmann unter-

stützt. Die Einstellung als studentische

Hilfskraft an der Juristischen Fakultät

im Bereich des Internationalen Rechts

ermöglichte mir die Vertiefung meines

Wissens auf diesem Gebiet und auf

dem des Europarechts; sie erleichterte

mir darüber hinaus die Fortsetzung des

Jurastudiums in finanzieller Hinsicht.

Die erlangten Kenntnisse im Interna-

Der deutsche Jura-Abschluss eröffnete

mir viele Möglichkeiten für die Ent-

wicklung meiner beruflichen Lauf-

bahn. Nach meiner Rückkehr in meine

Heimat 1999 habe ich zwei Positionen

im Staatsdienst wahrgenommen. Zu-

erst habe ich als Gerichtsassistent am

Amtsgericht Jerusalem gearbeitet, spä-

ter habe ich im Justizministerium in

der Internationalen Abteilung der Is-

raelischen Staatsanwaltschaft gearbei-

tet. 2002 machte ich einen Master-Ab-

schluss in Internationalen Beziehun-

gen an der Amsterdam School of Inter-

national Relations. Seit 2003 arbeite

ich am Institut für Umweltfragen an

der Vrije Universität Amsterdam. Hier

beschäftige ich mich mit Umweltfra-

gen in den Entwicklungsländern, vor

allem mit privatrechtlichen und völ-

kerrechtlichen Initiativen der Global

Governance im Bereich der biologi-

schen Vielfalt. Im Rahmen meiner Ar-

beit bin ich an verschiedenen Projek-

ten in Indien, Brasilien, Tansania und

in anderen Entwicklungsländern betei-

ligt. Ich schreibe derzeit meine Dok-

torarbeit im internationalen Umwelt-

recht und in der internationalen Um-

weltpolitik.

Meine juristischen Kenntnisse, meine

persönlichen Erfahrungen und die Un-

terstützung durch die Universität Augs-

burg spielten eine zentrale Rolle in

meiner persönlichen und beruflichen

Entwicklung. Besonderer Dank gilt

dem Akademischen Auslandsamt un-

ter Leitung von Dr. Sabine Tamm für

wertvolle Unterstützung und meinem

Lieblingsprofessor Prof. Dr. Reiner

Schmidt. Die Erfahrungen, die ich in

Deutschland gesammelt habe, werden

mich auch weiterhin begleiten. Ich bin

schließlich „Made in Germany“, ein

deutsch-bayerischer Jurist. Vielen Dank

Augsburg, vielen Dank Deutschland!

tionalen Recht ermöglichten mir, Vor-

träge über die Palästinafrage zu halten,

was zahlreiche bundesweite Einladun-

gen zu Vorträgen nach sich zog. Für

meine Tätigkeiten und Leistungen ha-

be ich im Juli 1998 an der Universität

Augsburg den DAAD-Preis für her-

vorragende Leistungen ausländischer

Studierender an deutschen Hochschu-

len erhalten.

SlimanAbuAmara

– PALÄSTINA/ISRAEL/

NIEDERLANDE –

studierte von 1992 bis

1999 an der Universität

Augsburg.

Elena (Subarewa) Vasylchenko

– UKRAINE – studierte im Wintersemester 1999/2000 an der Universität Augsburg.

ALUMNI BERICHTEN

151 1 / J u n i 2 0 0 6

Möglichkeit, Deutsch zu sprechen.

Meine Aufgabe ist es, die Arbeitsu-

chende auf die in ihren Lebensläufen

angegebenen Deutschkenntnisse hin

zu überprüfen.

Ich hoffe, dass ich in der Zukunft eine

internationale Arbeit aufnehmen wer-

de, in der ich Deutsch und Englisch

sprechen kann.

formationen über die Geschichte mei-

ner Familie von 1700 bis in die 30er

Jahre des 20. Jahrhunderts gesucht. Ich

wollte wissen, ob ich noch Angehörige

meiner Familie in Deutschland finden

würde. Leider musste ich nach langer

Suche feststellen, dass kein Angehö-

riger mehr am Leben war.

Ich habe mein Studium an der Univer-

sität Jyväskylä Ende 2004 abgeschlos-

sen. Seit über einem Jahr arbeite ich

jetzt als Personalberaterin in einer

Personalberatungsfirma in Helsinki.

Leider werden meine Deutschkennt-

nisse bei meiner Arbeit nicht sehr ge-

fordert. Nur manchmal habe ich die

Ich studierte im Sommersemester 2001

die Fächer Medienpädagogik und

Deutsch als Fremdsprache an der Uni-

versität Augsburg. Ich war, wie auch

viele andere ausländische StudentIn-

nen, eine Erasmus-Studentin und kam

von meiner Heimatuniversität Jyväs-

kylä nach Augsburg.

Augsburg wählte ich als meinen Stu-

dienort in Deutschland, weil ich eine

Weile in der Heimatstadt meines Va-

ters leben wollte. Neben meinem Stu-

dium betrieb ich auch Familienfor-

schung im Augsburger Stadtarchiv. Da

ich die Erkundung meiner eigenen

Wurzeln für wichtig hielt, habe ich In-

14 A l u m n i A u g s b u r g I n t e r n a t i o n a l

Ich studierte ab Oktober 1999 als Aus-

tauschstudentin der University of Bri-

tish Columbia, Vancouver, für ein Jahr

an der Universität Augsburg. Auch spä-

ter stattete ich Augsburg immer mal

wieder einen Besuch ab und nahm bei

einer dieser Gelegenheiten auch an

einem Germanistik-Kompaktseminar

von Prof. Dr. Helmut Koopmann teil.

Während meines einjährigen Aufent-

haltes habe ich die Fächer Romanistik,

Anglistik und Germanistik studiert.

Ich habe auch im Universitätsorches-

ter mitgespielt und im Kammerchor

mitgesungen.

Nachdem ich von meinen Eltern

Schwyzerdütsch gelernt hatte, kam ich

nach Augsburg, um hier „Hoch-

deutsch“ zu lernen. Die Sprache hat

mir so gut gefallen, dass ich in Kanada

angefangen habe, an einer deutsch-

sprachigen Schule zu unterrichten. Als

ich von 2002 bis 2004 an der UBC mei-

nen Master in Germanistik ablegte, ha-

be ich zusätzlich auch an der Univer-

sität Deutsch unterrichtet.

Kürzlich habe ich mein Diplom als Ra-

dio- und Fernsehjournalistin in Kana-

da bekommen. Am liebsten würde ich

meine journalistische Tätigkeit mit

Fremdsprachen kombinieren, um in

der ganzen Welt Reportagen machen

zu können. Ich finde es toll, dass ich

noch nicht weiß, ob mein nächster Job

in Europa oder in Kanada sein wird.

Was auch als nächstes kommt – es wird

sicherlich ein Abenteuer sein!

Eva Ziltener

– KANADA – verbrachte das Studienjahr

1999/2000 an der Universität Augsburg.

Maria Kollmann

– FINNLAND – war im Sommersemester 2001 als ERASMUS-Studentin

an der Universität Augsburg.

ALUMNI BERICHTEN

171 1 / J u n i 2 0 0 6

gar. Hier arbeite ich als Konferenzma-

nagerin und organisiere in Zusammen-

arbeit mit einer deutschen Firma Se-

minare, sowie Konferenzen im pharma-

zeutischen Bereich. So sorgenfrei wie

in Deutschland ist das Leben hier na-

türlich nicht mehr, ich bin eben auch

keine Studentin mehr!

Der Gedanke an Augsburg erfüllt mich

aber gerade deshalb immer noch mit

Heiterkeit und mit Freude. Ich habe

schließlich nicht nur Deutsch gelernt,

sondern auch andere Kulturen, Menta-

litäten und Gebräuche kennengelernt.

Außerdem habe ich auch eine Menge

Spaß gehabt, an den ich mich immer

noch gerne erinnere.

viele neue Freunde gefunden, die mir

sehr ans Herz gewachsen sind und mit

denen ich immer noch gerne Kontakt

halte. Während meiner Zeit in Augs-

burg habe ich gelernt, selbständig zu

sein, Selbständigkeit zu suchen; und

ich habe gelernt, dass das Leben wun-

derschön sein kann.

Mittlerweile lebe ich wieder in Italien,

in Mailand, einer großen und hekti-

schen Stadt, die völlig anders ist als

Augsburg, gegensätzlich vielleicht so-

Erst als Erasmus-Studentin, dann – um

für meine Diplomarbeit zu recherchie-

ren – mit einem Stipendium der Uni-

versität Orientale, Neapel, habe ich

knapp drei Jahre lang in Augsburg ge-

lebt und in dieser Zeit auch als Über-

setzerin für einen deutschen Verlag so-

wie als Tutorin für ausländische Stu-

dierende an der Universität Augsburg

gearbeitet.

Durch diese drei Jahre hat sich mein

Leben für immer verändert. Ich habe

16 A l u m n i A u g s b u r g I n t e r n a t i o n a l

führt. Zudem nahm ich während des

Studiums an vielen internationalen

Seminaren und Konferenzen teil.

Vor einem Jahr habe ich mein Germa-

nistikstudium erfolgreich abgeschlos-

sen, um jetzt dann den weiterbilden-

den Studiengang Europäisches Verwal-

tungsmanagement zu absolvieren. An-

fang des Jahres machte ich ein Prak-

tikum am Institut für kulturelle Infra-

struktur Sachsen in Görlitz. Seit März

2006 absolviere ich ein Internationales

Parlaments-Praktikum beim Deutschen

Bundestag. Danach habe ich vor, in Po-

litikwissenschaft eine Doktorarbeit zu

schreiben. Vielleicht an der Universität

Augsburg?

Das Wintersemester 2001/2002 habe

ich als DAAD-Stipendiatin an der

Universität Augsburg verbracht. Der

halbjährige Aufenthalt bedeutete für

mich sowohl eine Steigerung meiner

Qualifikationen im Bereich der Ger-

manistik als auch eine persönliche

Weiterentwicklung, denn zum ersten

Mal bekam ich die Möglichkeit, mit so

vielen Menschen aus anderen Kulturen

in Kontakt zu treten.

Seit meinem Aufenthalt in Augsburg

bin ich sehr aktiv im internationalen

Bereich geworden. Im Jahre 2003 habe

ich beispielsweise ein internationales

Projekt – eine EU-Kampagne – im

Rahmen des Theodor-Heuss-Kollegs

der Robert-Bosch-Stiftung durchge-

Joanna Janecka

– POLEN – studierte

im Wintersemester

2001/02 in Augsburg.

Eliana Formicola

– ITALIEN – studierte von Oktober 1999

bis Oktober 2000 und von Oktober 2001

bis März 2003 an der Universität Augsburg.

ALUMNI BERICHTEN

191 1 / J u n i 2 0 0 6

tersemester 2000/01, der mir durch ein

Stipendium des Bayerischen Kultusmi-

nisteriums ermöglicht wurde, diente

der Erarbeitung einer Studie über das

Werk von Herta Müller. Die Arbeit

diente der Erlangung des Magistergra-

des in Germanistik an der Universität

Schumen in Bulgarien. Sie wurde von

Dr. Klaus-Dieter Post am Lehrstuhl

für Neuere Deutsche Literaturwissen-

schaft betreut.

Im August 2003 kam ich für zwei wei-

tere Jahre nach Augsburg, um zusam-

men mit Prof. Dr. Hans Vilmar Gep-

pert an dem Projekt „Elemente der

Moderne im Werk von Theodor Fon-

tane, Henry James und Ivan Turgje-

new“ zu arbeiten. Parallel dazu war ich

als Mitarbeiterin im Akademischen

Auslandsamt der Universität Augsburg

Dozentin im Sprachbetreuungspro-

gramm. Dieser zweite Augsburg-Auf-

enthalt wurde durch die freundliche

Unterstützung des Akademischen Aus-

landsamtes und durch ein Stipendium

für ausländische Studierende der Uni-

versität Augsburg ermöglicht.

Während meines Studiums in Augs-

burg wurde ich besonders durch die

Betreuung von Dr. Klaus-Dieter Post

und Prof. Dr. Hans Vilmar Geppert in

ein neues Verständnis der Germanistik

und ihrer vielfältigen Bezüge zu ande-

ren Geisteswissenschaften eingeführt.

Durch die Mitarbeit im Akademischen

Auslandsamt unter der enthusiasti-

schen Leitung von Dr. Sabine Tamm

durfte ich dann mein theoretisches

Wissen über interkulturelle Kommuni-

kation in die Praxis umsetzen, was

durch die zahlreichen internationalen

Abende und diverse andere Veranstal-

tungen leichtgemacht wurde. Diese Er-

fahrungen und die unermüdliche Be-

geisterung von Professoren und Kolle-

gen haben meine Entscheidung, eine

akademische Karriere einzuschlagen,

beeinflusst. Heute bin ich fest davon

überzeugt, dass der Dialog unter ver-

schiedenen Kulturen notwendiger als

je zuvor ist, und ich bin froh, forschend

und lehrend dazu beitragen zu können.

Ich bin derzeit Doktorandin an der

University of Texas in Austin, nachdem

ich zwischen meinen beiden Augsburg-

Aufenthalten im Jahr 2003 bereits an

der University of Pittsburgh USA-Er-

fahrung gesammelt habe.

Mein erster, einsemestriger Aufenthalt

an der Universität Augsburg im Win-

18 A l u m n i A u g s b u r g I n t e r n a t i o n a l

Die Schwerpunkte meines halbjähri-

gen Studienaufenthaltes als DAAD-

Stipendiat an der Universität Augsburg

waren Germanistik und Literaturwis-

senschaft.

Kürzlich habe ich mein Promotionsstu-

dium im Fach Literaturgeschichte an

der Universität Sarajevo aufgenommen

und bin auf dem besten Weg, ein „ech-

ter“ Literaturwissenschaftler zu wer-

den. Ich hoffe, mich ab dem Herbst

2006 als wissenschaftlichen Mitarbei-

ter am Institut für Germanistik an der

Universität in Sarajevo bezeichnen zu

dürfen.

In meiner Doktorarbeit beschäftige

ich mich seit geraumer Zeit mit Her-

mann Broch. Ich bin außerdem gerade

dabei, einen literarischen Stadtführer

für Sarajevo herauszugeben, der im

nächsten Jahr in deutscher Sprache

erscheinen wird.

Der Aufenthalt in Augsburg war für

mich insofern prägend, als er mir be-

wusst gemacht hat, was es heißt, wirk-

lich wissenschaftlich zu arbeiten, und

dass dies der Weg ist, der mir immer

schon vorgeschwebt hatte. Aus diesem

Grund kann ich das Semester, das ich

in Augsburg verbracht habe, als einen

wirklichen Wendepunkt in meinem

Leben bezeichnen.

Naser Secerovic

– BOSNIEN-HERZEGOWINA – studierte

im Wintersemester 2002/03 an der Universität

Augsburg.

Mariana Ivanova

– BULGARIEN/USA – studierte bzw. forschte

im Wintersemester 2000/01 und von August

2003 bis Juli 2005 in Augsburg.

ALUMNI BERICHTEN

´ ´ˇ

In 20 Ländern sind die Augsburg-Alumni,

die für diese AAI-Ausgabe geschrieben haben,

zuhause oder tätig.

Kanada

USA

Peru

Uruguay

Russland

Japan

Algerien

Ägypten

Israel

Palästina

Saudi-Arabien

Finnland

Polen

Bosnien-Herzegowina

Rumänien

Bulgarien

Ukraine

Niederlande

Deutschland

Italien

Über künftig noch

mehr „rote Flecken“

auf der Weltkarte,

würde Augsburg

Alumni International

sich freuen.

EINSAMKEIT

Es ist unglaublich, wie die Zeit vergeht. Se-

kunden. Minuten. Stunden. Und so weiter.

Mit jedem Tag und jeder Nacht ändert sich

alles. Man wird erwachsener, man wird älter.

Jemand verliebt sich, jemand stirbt. Das Le-

ben und der Tod gehen nebeneinander. In

jeder Minute geht es um den Sieg eines von

beiden.

Haben Sie bemerkt, wie oft Sie auf die Uhr

sehen? Man beeilt sich ständig, hat Angst, et-

was zu verpassen. Es scheint, als ob einem

die Zeit weglaufen würde.

Der Mensch versucht dies und jenes zu tun,

wobei er sich selbst vergisst, seine Gefühle,

seine Empfindungen, sein Leben. Man merkt

diesen schnellen Lauf vielleicht nicht so ex-

trem, wenn man krank oder einsam ist. Die

Zeit verläuft dann langsam, als ob sie uns

zum Nachdenken zwingen würde. Man stellt

sich immer dieselben Fragen. Warum befin-

de ich mich jetzt in dieser Situation? Warum

sind nur meine Gefühle und meine Gedan-

ken bei mir und es fehlt ein Mensch, mit dem

ich sie gerne teilen würde?

Ich habe einmal eine Frau besucht, die alleine

wohnte. Die leeren Schachteln, die nicht

mehr gebrauchten Sachen überfüllten ihre

Wohnung. Es schien so, als ob diese Frau auf

diese Weise die Leere aus ihrer Wohnung

und vielleicht aus ihrem Herzen vertreiben

wollte.

In jeder Ecke stand eine Uhr: es waren fünf,

vielleicht sechs. Merkwürdig war nur, dass je-

de Uhr eine andere Zeit anzeigte. Ein Ge-

danke schoss mir durch den Kopf. Die Frau

versucht auf diese Weise die Zeit ihrer Kraft

zu berauben. Sie will die Zeit in die Irre füh-

ren.

Es kann auch sein, dass die Frau ohne ihre

Kinder sehr einsam war, die auf verschie-

denen Kontinenten ihr Glück zu finden ver-

suchten. Sie wollte immer bei ihnen sein,

zumindest in Gedanken. Jede Uhr zeigte an,

wie spät es in diesem oder jenem Land war.

So konnte sie wissen, ob ihre Tochter oder

ihr Sohn jetzt zur Arbeit gehen oder schon

schlafen würden. So füllte sie ihre Einsamkeit

auf. Man sah ihr das nicht an. Nur ihre Augen

und ihr schwaches Lächeln verrieten dieses

Gefühl.

231 1 / J u n i 2 0 0 6

der Universität. Ich habe finanzielle

Unterstützung durch FAUST e. V. und

die ESG erhalten und möchte mich bei

all den Menschen, die an mich geglaubt

und mich unterstützt haben, bedanken,

besonders beim Studentenwerk Augs-

burg, bei FAUST, beim Akademischen

Auslandsamt, bei meiner deutschen

Gastfamilie und bei meinen Freundin-

nen, die während meines Studiums oft

auf meinen Sohn aufgepasst haben!

Ich kam 1999 nach Deutschland und

arbeitete hier als Aupair. Seit 2000 stu-

diere ich an der Universität Augsburg

Deutsch als Fremdsprache, Psycholo-

gie und Soziologie. Ich schließe mein

Studium im Sommersemester 2006 ab.

Finanziert habe ich mein Studium mit

verschiedenen Jobs bei Weltbild, Mc-

Donald's und Siemens. Seit zwei Jah-

ren arbeite ich in der Alten Cafeteria

22 A l u m n i A u g s b u r g I n t e r n a t i o n a l

Der DAAD ermöglichte es mir, im

Studienjahr 1998/99 an der Universität

Augsburg – betreut von Prof. Dr. Hans

Wellmann – für meine Dissertation

über „Wortbildung in der Lyrik von In-

geborg Bachmann“ zu recherchieren.

Nach dem Forschungsaufenthalt in

Augsburg habe ich meine Promotion

an der Pädagogischen Universität Cha-

barowsk fortgesetzt. Im Jahre 2000, als

In Augsburg habe ich viele Anregun-

gen zur Gestaltung des Kulturlebens in

Chabarowsk erhalten, die ich in dem

Projekt „Deutsch-Russische Kulturta-

ge in Chabarowsk“ verwenden konnte.

2002 habe ich die Leitung dieses Kul-

turprojektes gemeinsam mit einer Kol-

legin übernommen. Dank vieler Bemü-

hungen und sorgfältiger Pflege der

Kontakte zu deutschen und russischen

Künstlern sind die „Deutsch-Russi-

schen Kulturtage in Chabarowsk“ zu

einem angesehenen jährlichen Festival

geworden. Jedes Jahr steht ein aktuel-

les Thema im Mittelpunkt der Kultur-

tage, das stets eine Grundlage für den

Dialog zwischen den Kulturen bildet.

Derzeit gehöre ich zu den zehn Leitern

der Deutsch-Russischen Kulturprojek-

te in Deutschland – unterstützt durch

das Bundeskanzler-Stipendium der

Alexander von Humboldt-Stiftung. Ich

arbeite für den Verein für angewandte

Kultur, Parasol, in Regensburg, wo ich

auf dem Gebiet des Kultur- und So-

zialmanagements tätig bin. Außerdem

bin ich Mitarbeiterin im Projekt „Fes-

tival Musica Europa“, das von der Stadt

Regensburg organisiert wird. Meine

Arbeit in Deutschland erhöht meine

Qualifikation im Kulturmanagement

und die Chance, den Aufbau der

deutsch-russischen Kulturbegegnun-

gen im fernen Osten Russlands per-

sönlich weiter voranzutreiben.

meine zweite Tochter auf die Welt

kam, unterbrach ich mein Studium und

ließ mich beurlauben. Gleichwohl ar-

beitete ich an meiner Doktorarbeit

weiter. Ich habe sie bereits 2000 und

2003 während zweier internationaler

Konferenzen in Chabarowsk und im

Januar 2006 bei dem internationalen

Kolloquium „Aktuelle Probleme der

Textlinguistik“ in Augsburg präsen-

tiert.

Tatiana Misevich

– RUSSLAND/DEUTSCHLAND – arbeitete

von Oktober 1998 bis August 1999 in Augsburg

an ihrer Doktorarbeit.

Olga Berchynska

– UKRAINE/DEUTSCHLAND – studiert

seit 2000 an der Universität Augsburg.

ALUMNI BERICHTEN

251 1 / J u n i 2 0 0 6

drittgrößte Stadt der Republik Tatar-

stan. Nach dem Zusammenbruch der

Sowjetunion wurde die Republik Ta-

tarstan, wie viele andere Republiken

innerhalb Russlands, zu einem Teil der

Russischen Föderation. Nizhnekamsk

war für mich eine Art Zwischenstation,

denn ich fühlte mich dort nie richtig zu

Hause. Gleichzeitig stellte mein Auf-

enthalt in Nizhnekamsk den Beginn

einer neuen Phase meines Lebens dar,

denn hier kristallisierte sich meine

Vorliebe für Sprachen heraus, insbe-

sondere für die deutsche Sprache.

Dank der Unterstützung durch meine

Deutschlehrerin wurde mir plötzlich

bewusst, dass ich meine Zukunft unbe-

dingt mit der deutschen Sprache ver-

binden möchte.

Nach meinem Abitur in Nizhnekamsk

wurde ich zur Überraschung meiner

Lehrer und Mitschüler Studentin der

fremdsprachlichen und nicht der ma-

thematischen Fakultät. Ich zog wieder

um, diesmal nach Kazan, in eine un-

glaublich schöne, historische Millio-

nenstadt, Hauptstadt der Republik Ta-

tarstan und drittgrößte Metropole

Russlands. Der sehnlichste Wunsch

meiner Kindheit ging hier endlich in

Erfüllung, als ich mein Studium an der

Pädagogischen Universität abschloss

und Lehrerin für Deutsch und Eng-

lisch wurde. Meine idealistische Vor-

stellung vom Lehrberuf geriet wäh-

rend der Schulpraktika in Konflikt mit

dem realen Leben, und der Beruf als

Lehrerin verlor für mich an Glanz. Ich

stellte mir die Frage, ob ich mich dem

schlecht bezahlten Lehrerjob im mo-

notonen Schulalltag für den Rest mei-

nes Lebens widmen kann. Zum dama-

ligen Zeitpunkt definitiv nicht. Ich

spürte ein großes Leistungspotenzial

in mir, ich wollte noch weiter gehen,

ich wollte noch viel mehr sehen ...

Nach dem erfolgreichen Abschluss

meines Studiums an der Universität in

Kazan eröffneten sich mir völlig neue

Wege. Aus zahlreichen Alternativen

wählte ich den Weg, der mich nach

Deutschland führte. Warum?

milie hunderte Kilometer weit weg von

meiner Heimatstadt nach Nizhne-

kamsk, in eine relativ junge Industrie-

stadt in Zentralrussland zog. Mit der

Errichtung und dem Wachstum eines

Erdölchemiekombinats und einer Rei-

fenproduktionsstätte entstand und

wuchs auch Nizhnekamsk, eine schöne

grüne Stadt am linken Ufer der Kama,

Vor fast 27 Jahren wurde ich in einer

russischen Provinzstadt im Südural ge-

boren. Ich habe schöne Erinnerungen

an meine glückliche, sowjetische Kind-

heit. Die Schule, meine Freunde und

meine Hobbys füllten mein Leben mit

Freude und Zufriedenheit aus. Bis

meine Kindheit eines Tages mit einem

Schlag beendet wurde, als meine Fa-

24 A l u m n i A u g s b u r g I n t e r n a t i o n a l

Seit einem Jahr leite ich Seminare zur

Einführung in die Literaturwissen-

schaft an der Universität Bukarest. Es

war schon immer mein Traum gewe-

sen, hier in einem Studien- und For-

schungszentrum, an dessen Potential

und Zukunft ich glaube, zu arbeiten.

Im Sommersemester 2006 beginne ich

meine Promotion in Freiburg mit einer

Arbeit über das politisch bedingte Er-

lebnis des Raumes in der deutschen Li-

teratur nach 1945. Die Vorteile einer

ständigen Bewegung zwischen Heimat

und Ausland habe ich vor fünf Jahren

während meines Aufenthalts in Augs-

burg erkannt, der vom Deutschen Aka-

demischen Austauschdienst mit einem

Semesterstipendium für Germanisten

unterstützt wurde. Die Möglichkeit,

andere Perspektiven wahrzunehmen,

war ein wichtiger Antrieb bei der Defi-

nierung meiner eigenen Sichtweise.

Nicht nur der Zugang zu aktuellen Stu-

dien und interessanten Vorlesungen

haben mich in Augsburg geprägt, son-

dern vor allem der Kontakt zu Prof.

Dr. Vilmar Geppert, Dr. Jürgen Eder

und Dr. Bernadette Malinowski. Sie

haben mir gezeigt, wie sich im kultu-

rellen Bereich das Nehmen und Ge-

ben, das Lernen und Lehren gegensei-

tig ergänzen.

Maria Diana Florea

– RUMÄNIEN/DEUTSCHLAND – studierte

im Wintersemester 2001/02 in Augsburg.

Venera Davletshina

– RUSSLAND/USA – studierte seit 2002

an der Universität Augsburg.

ALUMNI BERICHTEN

1 1 / J u n i 2 0 0 6

Die 30-jährige Kwi-Ja Kim aus Chin-

ju in Südkorea wurde am 1. Dezem-

ber vergangenen Jahres an der Uni-

versität Augsburg mit dem DAAD-

Preis für hervorragende Leistungen

ausländischer Studentinnen und Stu-

denten an den deutschen Hochschu-

len 2005 ausgezeichnet. Beim Fest-

akt wurden zugleich auch die aus-

ländischen Absolventinnen und Ab-

solventen des Studienjahres 2005/06

geehrt. Festrednerin des Abends

war die Betreuerin von Kims Magis-

terarbeit, die Ethnologin Prof. Dr.

Sabine Doering-Manteuffel. Ihr Vor-

trag mit dem Titel „Das Meer, die

Ratten und die Pest. Strategien der

Seuchenbekämpfung aus ethnologi-

scher Sicht“ setzte sich mit demje-

nigen Thema auseinander, das auch

im Mittelpunkt des wissenschaftli-

chen Interesses der Preisträgerin

Kwi-Ja Kim steht.

Kwi-Ja Kim studiert seit 2001 an der

Universität Augsburg im Hauptfach

Europäische Ethnologie/Volkskunde

mit den Nebenfächern Amerikanistik

und Psychologie. Ihre im Sommerse-

mester eingereichte und von beiden

Gutachtern mit 1,0 bewertete Magis-

terarbeit trägt den Titel „Epidemien

als Kulturwandelfaktor im Europa der

Neuzeit: Von der Pest zur Vogelgrip-

pe“. Doering-Manteuffel nennt diese

Studie eine „Meisterleistung“. Sie be-

ruhe auf ausgiebigen Recherchen in

26 A l u m n i A u g s b u r g I n t e r n a t i o n a l

Man sagt, dass der erste Eindruck der

entscheidende sei. Genau das trifft

wahrscheinlich in diesem Fall bei mir

zu. Mit einem DAAD-Stipendium für

den Internationalen Sommerkurs in

Göttingen reiste ich als Studentin zum

ersten Mal nach Deutschland. Meine

Erinnerungen an diese Zeit verbinde

ich mit dem Wort „märchenhaft“. Das

imaginierte Deutschland, das ich aus

den literarischen Werken der großen

deutschen Dichter und Schriftsteller

wie Heine und Goethe kannte, wurde

auf einmal für mich real und faszinie-

render als zuvor. Diese Reise machte

mich reich! Ja, reich an Freunden aus

aller Welt. Ich lernte dort nicht nur die

deutsche Kultur besser kennen, ich

bekam eine wunderbare Gelegenheit,

verschiedene Kulturen aus aller Welt

kennenzulernen und sogar Freund-

schaften aufzubauen.

Nicht nur die westliche Welt und die

malerischen Landschaften Deutsch-

lands beeindruckten und begeisterten

mich damals, ich bekam auch das Ge-

fühl, am richtigen Ort zu sein. In der

deutschen Lebensart fand ich das, was

mir so sehr in meiner Heimat fehlte.

Kann sein, dass es der Grund war, wa-

rum ich ein Jahr später wieder nach

Deutschland kam. Mein Sommer-Au-

tung. Im Unterschied zu dem mir be-

kannten russischen Hochschulsystem

verlangte die in Deutschland übliche

freie Wahl der Seminare von einem

Studenten Eigenschaften wie Eigen-

verantwortung und Selbstdisziplin. Be-

schäftigt mit meinem Studium und der

Arbeit hatte ich nicht die geringste

Ahnung, was mich in baldiger Zukunft

erwartete.

Ich habe viele Freunde aus aller Welt,

die in bestimmten Phasen meines Le-

bens eine enorme Rolle spielten und

alle einen Platz in meinem Herzen be-

kamen. Aber wer hätte gedacht, dass

ich in einer Gruppe amerikanischer

Gaststudenten an der Universität

Augsburg in so einer kurzen Zeit einen

guten Freund, sogar einen Seelen-

verwandten fände? Ich verliebte mich

bis über beide Ohren in einen jungen

Amerikaner, erkannte in ihm meinen

Lebensgefährten und nun verbindet

mich mit ihm für immer die Ehe.

Die deutsche Sprache schenkte mir

nicht nur viele gute Freunde aus aller

Welt, sie schenkte mir Liebe, sie brach-

te mich direkt zu meinem Glück. So

landete ich in Amerika, und wer weiß,

wohin mich mein weiterer Lebensweg

führen wird.

pair-Aufenthalt an der Nordsee war

eine unvergesslich schöne Zeit in einer

supernetten deutschen Gastfamilie so-

wie eine total neue Erfahrung für

mich. In dieser Familie fand ich nicht

einfach nur Freunde, sie wurde viel-

mehr zu meiner zweiten, „deutschen“

Familie. Ohne lange überlegt zu haben,

kehrte ich nach meinem Studienab-

schluss nach Deutschland zurück und

verbrachte in einem kleinen bayeri-

schen Dorf, das nicht weit von Augs-

burg liegt, fast ein Jahr bei einer ande-

ren deutschen Gastfamilie, zu der ich

noch heute ein gutes, freundschaftli-

ches Verhältnis habe.

Augsburg ist und bleibt für immer ein

Teil meines Lebens. Das Studium an

einer deutschen Hochschule würde

meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt

nicht nur in Russland, sondern auch im

Ausland steigern, dachte ich und nahm

im Wintersemester 2002/03 ein Magis-

terstudium an der Universität Augs-

burg auf. Das Ziel, Deutsch zu unter-

richten, gab ich nicht auf, so dass ich

wieder Deutsch als mein Hauptfach

wählte. Weiterhin fiel meine Wahl auf

Englisch, eine für die berufliche Lauf-

bahn sehr nützliche Sprache, und auf

Volkswirtschaftslehre, eine komplett

neue, für mich interessante Fachrich-

Eine BEREICHERUNGfür die international ausgerichteteLehr- und ForschungsgemeinschaftDer DAAD-Preis 2005 ging an die Ethnologie-Studentin

KWI-JA KIM aus Korea.

Vergangenheit und Gegenwart und ma-

che auf einen alarmierenden Sachver-

halt aufmerksam: „Je länger die Latenz-

zeit zwischen Ansteckung und Aus-

bruch einer Krankheit andauert, um so

argloser gehen die Zeitgenossen mit

ihr um.“ Dies sei bei der Syphilis nicht

anders gewesen, als es heute bei AIDS

sei, und dieses Kulturmuster könne als-

bald höchst dramatische Folgen nach

sich ziehen.

Bewusstsein schaffen

Als „fremde und ferne Krankheit“ wer-

de etwa die Vogelgrippe derzeit oft

noch wie eine Krankheit mit langer

Latenzzeit behandelt. Da noch kein

Erkrankungsfall in Europa aufgetreten

sei, neige man dazu, diese Krankheit

kulturell isoliert zu sehen und sie

fälschlicherweise zu den „langsamen“

Seuchen zu zählen. Dies, sagt Doering-

Manteuffel, bewege Kwi-Ja Kim: „Sie

kennt die Verhältnisse in Asien, sie hat

genügend Kenntnisse und Phantasie,

um sich vorzustellen, wie rasch solche

Seuchen ausbrechen können und was

sie in einer globalisierten Weltgesell-

schaft bedeuten. Sie möchte mit ihrer

Arbeit einen Weg bahnen zum besse-

ren Verständnis von Seuchen im All-

gemeinen und zudem als Kulturwissen-

schaftlerin die Herausforderung der

Globalisierung bewusst annehmen.“

Dementsprechend verbindet Kim ihre

wissenschaftliche Arbeit mit konkre-

tem Engagement – etwa indem sie das

Gespräch mit Vertretern von Ämtern

und Behörden und mit Ärzten sucht

oder sich auch im Kreise ihrer Kom-

militoninnen und Kommilitonen be-

müht, entsprechendes Bewusstsein zu

schaffen. Zugute kommt ihr dabei ne-

ben ihren breiten sprachlichen Kompe-

tenzen insbesondere ihre Fähigkeit,

zwischen asiatischen und europäischen

Lebensformen Brücken zu schlagen.

Selbstverständliche Verbindung

von Studium und gesellschaftlichem

Engagement

Über den konkreten und aktuellen

Seuchenkontext hinaus, ist die Verbin-

dung von Studium und gesellschaftli-

chem Engagement für Kwi-Ja Kim seit

jeher Selbstverständlichkeit. Themen

wie etwa „Straßenkinder in London

zur Zeit der Frühindustrialisierung“,

deren Bearbeitung sie mit einem Plä-

doyer für Bildung als wichtigstes Kul-

turgut, für Toleranz und für menschli-

che Wärme verbinde, seien symptoma-

tisch für Kims Interessen. Schon an der

Hankuk University of Foreign Studies,

an der sie 1994 bis 2001 das Fach

English Education studierte, war sie in

der Fachschaft, im Anglistentheater

und im English Conversation Club ak-

tiv; darüber hinaus engagierte sie sich

als Redakteurin der Studentenzeitung

oder als Vorsitzende des Gender Stu-

dies Club und vertrat ihre politischen

27

ALUMNI BERICHTEN

?

?

29Kwi-Ja Kim aus Korea,

die Augsburger DAAD-Preisträgerin 2005

Foto: Ruth Plössel

Gesellschaftsstruktur in Korea war wie

eine unsichtbare Wand ständig prä-

sent, und dies frustrierte mich zur da-

maligen Zeit sehr. Ich habe mich sehr

verloren gefühlt.

Mit dem Motto „Ich werde rausgehen

und mir die Welt anschauen“ verließ

ich mein Heimatland und ging nach

Australien. Dort habe ich Englisch stu-

diert. Nach einem halben Jahr Aufent-

halt in Melbourne habe ich mich ent-

schieden zu reisen. Dadurch habe ich

viele Menschen kennengelernt und

Freundschaften geschlossen. Ich habe

auch Deutsche kennengelernt, die mich

auf die Idee gebracht haben, in

Deutschland zu studieren. Dies hat

sehr gut gepasst, denn ich wollte unbe-

dingt die europäische Kultur kennen-

lernen.

Aus diesem Grund hast du dich für ein

Studium der Kulturwissenschaften ent-

schieden. Aber wieso ausgerechnet in

Augsburg?

Nach Augsburg bin ich durch Zufall

gekommen, da ich während meiner Rei-

sen in Südostasien und Südamerika

Deutsche kennen gelernt hatte, die aus

Nina, du kommst aus Süd-Korea. 2001 bist

du nach Deutschland gekommen. Was hat

dich dazu bewogen?

Meine Reise nach Deutschland war

nicht nur zufällig, sondern auch schick-

salhaft. Ich hatte ein sehr romantisches

Bild von Deutschland durch die Lektü-

re des Romans von Luise Rinser „Mit-

te des Lebens.“ Ich war damals fünf-

zehn, ich war äußerlich sehr ruhig, aber

innerlich überaus unruhig. Der Roman

hat mich fasziniert, ich habe mir mei-

nen Spitznamen nach der Romanhel-

din Nina, die während des nationalso-

zialistischen Regimes in einer Unter-

grundorganisation tätig war, gegeben.

Ihre intellektuelle Kraft gegen den un-

menschlichen Zeitgeist der Naziherr-

schaft, ihr unbändiger Freiheitsdrang

hat mir das Bild von Deutschland als

das Land der Freiheitskämpfer, der

Denker gegeben. Die Idee der Freiheit

war damals für mich sehr wichtig. Ich

bin auch mit diesem Ideal zur Uni-

versität gegangen, was öfter zur Kon-

frontation führte. Ich betrachtete die

Universität als den Ort, wo man Ver-

änderungen in der Gesellschaft errei-

chen konnte, aber ich wurde sehr

schnell enttäuscht. Die hierarchische

28

Überzeugung unter nicht immer risi-

kolosen Rahmenbedingungen.

Scharfer Intellekt, interkulturelle

Kompetenz, gesellschaftliches

Engagement und soziale Toleranz

In Kwi-Ja Kims Studienzeit an der

Hankuk University fallen ein Studien-

aufenthalt an der Melbourne Univer-

sity in Australien und zwei lange Rei-

sen durch Indien und Nepal (März bis

August 1997) sowie durch Südostasien

Kompetenz und struktureller Klar-

heit“ auszeichneten, bestätigt etwa der

Amerikanist Prof. Dr. Hubert Zapf:

„Ihre Diskussionsbereitschaft trug

wesentlich zum Erfolg der Semi-

narveranstaltungen bei. Ihre Mehrspra-

chigkeit und interkulturelle Offenheit

fallen als zusätzliche Exzellenzmerk-

male äußerst positiv auf. Frau Kim stellt

damit zweifellos eine große Bereiche-

rung nicht nur für die von ihr studier-

ten Fächer, sondern für die ganze Uni-

versität als eine international ausge-

und Südamerika (Dezember 1997 bis

August 1999). Auch hier dürften die

Quellen jener interkulturellen Kompe-

tenz liegen, die Kim von allen, die mit

ihr zu tun haben, bescheinigt werden –

über ihr gesellschaftliches Engage-

ment hinaus und zusätzlich zu ihrem

ebenfalls allseits hervorgehobenen

scharfen Intellekt: Kwi-Ja Kim sei ihm

als „eine der besten und engagiertes-

ten Studentinnen“ bekannt, deren Bei-

träge sich stets „durch ein hohes Maß

an intellektueller Schärfe, analytischer

richtete Lehr- und Forschungsgemein-

schaft dar.“

Als „Todo Mundo“ machten Barbara

Frühwald (Gesang), Ute Hitzler (Bass),

Katja Zeitler (Gitarre) und Manuela

Ninding (Percussion) den Abend, der

mit dem traditionellen Empfang für

die ausländischen Gäste der Universi-

tät ausklang, auch musikalisch zu einem

Genuss. Das Quartett spielte Stücke

von Antonio Carlos Jobim, Charles

Trenet und Richard Rogers. KPP

Kwi-Ja Kim im Gespräch mit Andrea Lorincz

„ICH WERDERAUSGEHEN

UND MIRDIE WELT

ANSCHAUEN“ıı

Diskutierten mit 100 Studentinnen und Studenten aus ganz Europa die Zukunft der EU: der ehemalige italienische

Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi (vordere Reihe Mitte) und die amtierenden Staatsoberhäupter (v. l.) Horst

Köhler (Deutschland), László Sólyom (Ungarn),Tarja Halonen (Finnland) und Heinz Fischer (Österreich).

?

Diese bunte Mischung aus unter-

schiedlichen Herkünften und Lebens-

läufen ermöglichte eine sehr interes-

sante Diskussion über verschiedene

Themenfelder der Europäischen Union.

Themen wie die europäische Bil-

dungspolitik, die gemeinsame Außen-

und Sicherheitspolitik und die euro-

päische Kultur- und Medienpolitik stan-

den ganz oben auf unserer Agenda.

Aber auch die Wahrnehmung und

Problematisierung der Lage in Weiß-

russland war uns wichtig. Immerhin

konnten wir anhand der Schilderung

der Situation im Land durch eine weiß-

russische Studentin genau nachvollzie-

hen, wie problematisch ein solches Re-

gime in und für Europa ist. Eine kon-

krete und umstrittene Forderung be-

Zwei Tage vor der Konferenz traf ich

mit einer tschechischen Studentin, die

ich zufällig in der Jugendherberge ken-

nengelernt hatte, im Sächsischen Land-

tag ein. Dort versammelten sich schon

viele Studierende, die sich beim Bun-

despräsidialamt beworben hatten, um

an der Tagung und dem anschließen-

den Treffen mit den Präsidenten teil-

nehmen zu können. Sie kamen aus

Deutschland, Ungarn, Rumänien, Lett-

land, Weißrussland, Finnland, Öster-

reich, Portugal, Polen, Italien, aus der

Türkei und der Tschechischen Repub-

lik, wie ich später erfahren sollte. Wir

sollten in den zwei Tagen eine beinahe

unmögliche Aufgabe lösen, nämlich

neue Konzepte für den zukünftigen

Zusammenhalt Europas entwerfen.

„Es soll nie wieder Krieg geben. Ich

will nicht, dass Menschen in Europa

umherirren müssen.“ So leitete Bun-

despräsident Horst Köhler die Dis-

kussion auf der Open-Space-Konfe-

renz in Dresden ein, die am 5. Feb-

ruar 2006 im Rahmen des Präsiden-

tentreffens „Gemeinsam für Euro-

pa“ stattfand. Der Bundespräsident

hatte zu diesem Treffen nicht nur

seine Amtskollegen aus Finnland,

Italien, Lettland, Österreich, Portu-

gal und Ungarn eingeladen. Auf sei-

ne Einladung hin kamen hundert

europäische Studierende zusam-

men, um mit den Staatsoberhäup-

tern über die schwierige Frage

„Was hält Europa zusammen?“ zu

diskutieren.

30 A l u m n i A u g s b u r g I n t e r n a t i o n a l

Kultur, was macht die Kulturmenschen

und Zivilisationen aus? Welche Fakto-

ren beeinflussen und verändern die Ge-

sellschaften? Entwickelt sich die Kul-

tur als Folge der natürlichen Evolu-

tion? Verändern Naturkatastrophen

oder Krankheiten Kulturen? Können

Epidemien, also ansteckende Krank-

heiten wie TBC oder die Vogelgrippe,

Kulturen verändern? Auf mein Magis-

terarbeitsthema – „Epidemien als Kul-

turwandelfaktor im Europa der Neu-

zeit: Von der Pest zur Vogelgrippe“ –

kam ich kurz nach einem Blockse-

minar. Ich erhielt einen Brief von dem

Augsburger Gesundheitsamt mit der

Aufforderung, ich solle mich umge-

hend einer medizinischen Untersu-

chung unterziehen, weil in der damali-

gen Seminargruppe eine Person an

TBC erkrankt war und die Gefahr der

Ansteckung bestand. Dieser Vorfall

hat mich völlig fasziniert: Warum rea-

giert eine Stadt so panisch auf einen

solchen Fall? Da mich diese Nervosität

damals sehr interessierte, habe ich an-

gefangen, Recherchen zu machen. Ich

habe mich gefragt, wieso bestimmte

Krankheiten Panik auslösen, manche

wiederum nicht. Ich habe in meiner

Magisterarbeit die These entwickelt,

dass die Krankheiten, die hohe Viru-

lenz haben wie die Pest im Mittelalter,

zu Veränderungen in der Kultur füh-

ren, weil sie heftige gesellschaftliche

Reaktionen hervorrufen können. An-

dere Krankheiten hingegen, die eine

lange Latentzeit haben – z. B. Aids –,

führen zu einer gewissen gesellschaftli-

chen Apathie und daher weniger zu

Veränderungen. In welche Richtung

geht die Kultur jetzt, wohin tendiert

sie? Ähnliche Fragen werde ich auch

in meiner Dissertation behandeln.

Hast du nach deiner Promotion schon

irgendwelche Berufspläne, eventuell einen

Berufstraum?

Mein Berufswunsch liegt in der For-

schung und Lehre. Ich möchte weiter-

forschen, egal wo, denn ich bin überall

zu Hause, wo ich mich wohlfühle. Ich

habe jetzt das Angebot von Frau Prof.

?

?

Augsburg kamen. Die Reisen haben

mein Interesse an anderen Kulturen ge-

weckt. Ich habe gesehen, dass es in un-

terschiedlichen Kulturen oft vergleich-

bare Muster gibt. Aus diesem Grund

habe ich angefangen, Kulturwissen-

schaften zu studieren. Ich wollte mehr

Verständnis schaffen und mehr Kultu-

ren in der wissenschaftlichen Ausein-

andersetzung kennenlernen.

Bist du mit dem Studium der Europäischen

Ethnologie an der Universität Augsburg

zufrieden? Gab es Menschen, die dich von

Anfang an unterstützt haben?

Meine Studienfächer – Europäische

Ethnologie/Volkskunde, Amerikanis-

tik und Psychologie – habe ich bewusst

gewählt, denn alle drei betreffen die

Kulturwissenschaften. Auf den ersten

Blick ist es eine ungewöhnliche Kom-

bination. Das Fach Amerikanistik woll-

te ich deswegen studieren, weil ich

durch mein Erststudium schon Eng-

lisch konnte und mich Amerika, als ein

Teil der Weltkultur, schon immer inter-

essiert hat. Psychologie war auch wich-

tig, weil man Kulturen ohne psychische

Vorgänge nicht verstehen kann. Die

Dozenten waren alle sehr nett und

hilfsbereit, außerdem hat mich die Re-

defreiheit fasziniert bzw. die Tatsache,

dass man als Nachwuchswissenschaft-

ler ernstgenommen wird. Das ist in Ko-

rea nicht der Fall, denn die Gesell-

schaft ist ganz anders aufgebaut. Das

Studium der Europäischen Ethnologie

finde ich sehr spannend, weil man

nicht einen verbindlichen Kanon lernt,

man hat die Möglichkeit, viele Zusam-

menhänge herzustellen. Man hat ein-

fach sehr viel Freiraum, was auf mich

schon immer sehr motivierend gewirkt

hat. So konnte ich meinen Freiheits-

drang in der Wissenschaft ausleben.

Welcher Bereich in den Kulturwissen-

schaften hat dich am meisten interessiert?

Meine Fragen, die ich unter anderem

in meiner Magisterarbeit behandelt

habe, betreffen vor allem Kulturgenese

und Kulturentwicklung. Was ist die

Dr. Doering-Manteuffel, an der Uni-

versität Augsburg zu promovieren.

Ich möchte neben meiner Promotion

das Tutorium im Fach Volkskunde, das

ich im Wintersemester 2005/06 für aus-

ländische Studierende gehalten habe,

weiterführen. Es gibt ausländische Stu-

dierende, die während ihres Studiums

verzweifeln, das Studium abbrechen

und nach Hause gehen. Viele von ih-

nen haben Probleme, sie vereinsamen

oder bleiben unter ihren Landsleuten.

In so einem Tutorium kann man diese

Probleme thematisieren, aber auch die

Frage, wie man wissenschaftlich arbei-

tet. Das war ein sehr wichtiger Teil des

Tutoriums im vergangenen Winterse-

mester, aber auch die persönliche Ebe-

ne hat eine sehr wichtige Rolle ge-

spielt. Mentalitätsunterschiede, Sprach-

probleme haben wir thematisiert. Es

war mir wichtig, dass die Studierenden

einmal in der Woche zwei Stunden

Deutsch sprechen konnten, ohne Angst

vor Fehlern oder „dummen“ Fragen zu

haben. Wenn man ständig Angst hat,

kann man nicht studieren. Mein Motto

war deswegen, Spaß im Studium zu ha-

ben. Man braucht also auch eine kleine

Ebene, einen direkten Zugang. In einer

kleineren Gruppe öffnet man sich viel

schneller.

Mein langfristiger Traum liegt, wie ge-

sagt, in der Wissenschaft, außerdem

möchte ich mich für eine Zeit in einer

bestimmten Region aufhalten und dort

die Kultur kennenlernen.

Dies ist jetzt eine gute Möglichkeit,

mich bei meiner Mentorin Prof. Dr.

Doering-Manteuffel für ihre großzü-

gige Unterstützung zu bedanken. Auch

bei Herrn Prof. Dr. Hubert Zapf möch-

te ich mich bedanken. Er hat mich sehr

oft motiviert, er war immer sehr offen

zu mir. Ich hatte immer das Gefühl,

dass ich nicht alleine dastehe, denn

Frau Doering-Manteuffel und Herr

Zapf waren immer an meiner Arbeit

interessiert. Auch Frau Dr. Tamm dan-

ke ich für ihre vor allem emotionale

Unterstützung.

Andrea Lorincz über das Dresdener Präsidententreffen, bei demim Februar 2006 sechs europäische Staatsoberhäupter mit 100europäischen Studentinnen und Studenten diskutierten.

GEMEINSAM für Europaıı

Wissenschaftspreises durch das Ehe-

paar Marianne und Helmut Hartmann

im Jahr 1997/98 Vorsitzender der Jury,

begründete deren Entscheidung, den

Wissenschaftspreis 2005 an Dr. Ute

Koch – eine von insgesamt 17 Bewer-

berInnen aus 14 deutschen Universi-

täten – zu vergeben, folgendermaßen:

Unter den Kriterien, welche nach Ansicht

des Europäischen Rates jene Länder zu er-

füllen haben, die der Europäischen Union

beitreten wollen, findet sich auch die For-

derung nach einer erfolgreichen Integra-

tion von Minderheiten. Die nunmehr größ-

te Minderheit Europas sind die Roma. In

regelmäßigen Berichten über die Fort-

schritte der Bewerberländer wird darauf

verwiesen, dass die Lage der Roma in Euro-

pa weiterhin Anlass zur Sorge gibt.

Methodisch ungemein aufwändige

Arbeit

Die Frage, ob und wie die Roma, eine

stark in Familien- und Gemeinschaftsstruk-

turen denkende und lebende Gruppe von

Menschen, sich in die pluralistischen und

individualisierten Gesellschaften Europas

integrieren oder nicht integrieren lassen,

ist die Grundfrage des Buches von Ute

Koch. Im Laufe ihrer Arbeit, die sie als

331 1 / J u n i 2 0 0 6

eine empirische Studie (mit Interviews von

Betroffenen und der mit diesen befassten

Sozialarbeiter) angelegt hat, stieß Frau

Koch auf Grenzen, die von innen ebenso

verfestigt waren wie von außen, so dass ihr

der Zugang zu den Roma auf einem der

sozialwissenschaftlich üblichen Wege ver-

wehrt war. Sie macht aus der Not eine

Tugend und belegt in einer methodisch

ungemein aufwendigen Arbeit, dass die

Herstellung und die Erhaltung von

Grenzen zwischen Roma und Nicht-Roma

die Identität dieser Gruppe erhält. Inner-

halb dieser kulturellen und sozialen Gren-

ze hat Individualität nur dann Bestand,

wenn sie sich dem hierarchisch geglieder-

ten Kollektiv einfügt, der oder die Einzelne

erhält Lebenssinn und Daseinsrecht (kurz:

Identität) von der Familie und in Bezug auf

die Familie. Grenzgänger kommen in die

Lage, vom Familienverband nicht mehr ge-

tragen zu sein und mit den erlernten und

eingeübten Fähigkeiten außerhalb dieses

Verbandes nicht leben zu können.

Zu Wahrheiten verdichtete Mythen

Bei der Herstellung der sozial und kulturell

ungemein festen Grenzen aber stimmen die

Interessen und die Absichten der Roma

selbst, der mit diesen befassten Sozialar-

beiter und – eine zweihundertjährige For-

Zum achten und zum neunten Mal

wurde im Mai 2005 bzw. 2006 der

Augsburger Wissenschaftspreis für

Interkulturelle Studien vergeben.

Die beiden neuen Trägerinnen die-

ses Preises, der sich mittlerweile als

einer der deutschlandweit ange-

sehensten auf seinem Gebiet etab-

liert hat, sind zum einen die Ethno-

login Dr. Ute Koch (Berlin/Osna-

brück), die 2005 für ihre Disserta-

tion mit dem Titel „Die Herstellung

und Reproduktion sozialer Grenzen:

Roma in einer westdeutschen Groß-

stadt“ ausgezeichnet wurde, und

zum anderen die Theologin Dr. Ulri-

ke Bechmann, Privatdozentin an der

Universität Bayreuth: Sie erhielt den

Preis für ihre Habilitationsschrift

„Abraham – Beschwörungsformel

oder Präzisierungsquelle? Bibeltheo-

logische und religionswissenschaft-

liche Untersuchungen zum Abra-

ham-Paradigma im interreligiösen

Dialog.“

Der ehemalige Präsident der Deut-

schen Forschungsgemeinschaft (DFG)

und amtierende Präsident der Alexan-

der von Humboldt-Stiftung (AvH),

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Wolfgang Früh-

wald, seit der Stiftung des Augsburger

32 A l u m n i A u g s b u r g I n t e r n a t i o n a l

traf die Forschungs- und Entwick-

lungspolitik der EU: eine Aufstockung

der Bildungsausgaben der EU-Länder

auf fünf Prozent des Bruttoinlands-

produkts. Außerdem haben wir uns für

ein einheitliches europäisches Wahl-

recht ausgesprochen. Das Ergebnis

intensiver zweitägiger Konferenzarbeit

waren die „Dresdner Forderungen für

den Zusammenhalt Europas“, die wir

am 5. Februar schließlich den Staats-

oberhäuptern vorstellten und mit ihnen

zwei Stunden lang diskutierten. Bun-

despräsident Köhler erwähnte die For-

derungen sogar in seiner Rede vor dem

Europäischen Parlament am 14. März

und nannte sie ein gutes Beispiel für

Debatten, die die Europäische Union

voranbringen könnten.

Fast alle sechs Staatsoberhäupter ha-

ben den Zweiten Weltkrieg noch er-

lebt. Vaira Vike-Freiberga, Lettlands

Präsidentin, erzählte auf Deutsch von

den Kriegserlebnissen ihrer Kindheit.

auf europäischer Ebene lösen müsse.

Er nannte dies als typisch europäische

Aufgabe und erinnerte an die Gefahr

durch Menschenrechtsverletzungen, in-

dem er sich implizit auf die Lage in

Weißrussland bezog. So konnten wir

dieses äußerst sensible Thema mit den

Präsidenten offen besprechen. Als die

lettische Staatspräsidentin ihre Kritik

am Unwillen des weißrussischen Volkes

zur Freiheit äußerte, meldete sich die

weißrussische Studentin zu Wort und

kritisierte ihrerseits diese polarisieren-

de Meinung der Präsidentin. Dabei be-

kam sie Unterstützung von uns Studie-

renden. Es hat sich gezeigt, dass das,

was Europa zusammenhält, im Grunde

genommen die gemeinsame Verantwor-

tung für Menschenrechte bzw. sach-

lich-pragmatische und differenzierte

Auseinandersetzungen ist. Es hat sich

auch gezeigt, dass das Projekt Europa

letztendlich ein stetiger Prozess des

Begegnens und Diskutierens ist.

„In so einer Situation versteht man,

was Frieden heißt“, sagte sie und erin-

nerte an das wichtigste Projekt der

Europäischen Union: den Frieden in

Europa bewahren. Ihre ermunternden

Worte klangen beinahe pathetisch:

„Glauben Sie nicht, dass die Macht ir-

gendwo sitzt. Sie sitzt in Ihren Herzen,

in Ihren Köpfen, in Ihren Überzeugun-

gen. Sie können die Welt verändern,

glauben Sie nicht, dass Sie das nicht

können.“ Genau das würde Europa zu-

sammenhalten, meinte sie. Der öster-

reichische Bundespräsident Heinz Fi-

scher formulierte die Problematik Eu-

ropas pragmatischer, indem er die ver-

fassungsmäßige Organisation Europas

zur Diskussion stellte. Es sei eine his-

torisch einmalige Aufgabe, über die Na-

tionalstaaten hinaus Anforderungen zu

formulieren, die ein gemeinsames Eu-

ropa ermöglichen, aber auch die Viel-

falt Europas bewahren. Auch Bundes-

präsident Köhler meinte, dass man

Aufgaben wie soziale Gerechtigkeit

Andrea Lorincz (links) und zwei Studentinnen aus Ungarn im Gespräch mit Staatspräsident László Sólyom.

Fotos: Präsidialamt Ungarn

Der Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studienging im vorigen Jahr an die Dissertation Die Herstellung und Re-produktion sozialer Grenzen: Roma in einer westdeutschenGroßstadt von Ulrike Koch und in diesem Jahr an die Habilita-tionsschrift Abraham – Beschwörungsformel oder Präzisierungs-quelle? Bibeltheologische und religionswissenschaftliche Unter-suchungen zum Abraham-Paradigma im interreligiösen Dialogvon Ulrike Bechmann.

2005: DIE ROMA2006:ABRAHAM

ıı

Zum Dialog unter den Religionen gibt es

keine Alternative, wenn es nicht zu dem

von Samuel Huntington schon in den

neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts

vorausgesagten „Clash of Civilizations“

kommen soll, dessen erstaunte Zeugen

wir gerade in diesen Tagen und Wochen

wieder sind. Als Kennwort des Dialogs

unter den monotheistischen Religionen

von Judentum, Christentum und Islam

wird seit langem die Figur und die Bot-

schaft Abrahams empfohlen, der als Erz-

vater der drei abrahamitischen Religionen

früher war als Tora und Evangelium, früher

auch als der Koran. Es gelte für eine abra-

hamische Ökumene den „gemeinsamen

Ursprung als Quellgrund der Wahrheit

wiederzuentdecken“.

Oftmals Bild der Trennung

Ulrike Bechmann weist in einem für den

interreligiösen Dialog grundlegenden Buch

nach, dass die Chiffre „Abraham“ oder

„Ibrahim“ (als unser aller Vater im Glau-

ben) nicht ohne weiteres als Programm-

wort für die „große Ökumene“ der mono-

theistischen Religionen taugt. Denn jede

dieser drei Religionsgemeinschaften ver-

bindet mit der Gestalt Abrahams und den

Erzählungen von Abraham eine unter-

schiedliche, oftmals gerade die andere

Gemeinschaft ausgrenzende Perspektive.

„Abraham“ wird oftmals zum Bild der

Trennung, nicht zu dem der Gemein-

samkeit. Während im Christentum Abra-

ham durch den Völkerapostel Paulus mit

Christus identifiziert wurde, so dass die

Berufung auf Abraham nicht den Kern des

Bekenntnisses trifft, führt im Judentum wie

im Islam der Verweis auf Abraham in die

Mitte der je eigenen (kollektiven) Identi-

tät. Die Unterschiede in der Aufnahme

des Abraham-Narrativs aber sind in den

heiligen Schriften ebenso wie an den Or-

ten der Verehrung durch Abrahams Frau-

en belegt. Sara, die Mutter Isaaks, und Ha-

gar, die Mutter Ismaels, stehen in allen

Überlieferungen für die Unterschiede,

nicht für die Gemeinsamkeit des Be-

kenntnisses. Mit differenten theologischen

und kultischen Inhalten wird Saras Grab

bis heute in Hebron, Hagars Grab in Mek-

ka verehrt.

schungstradition häufig so nahtlos über-

ein, dass es scheint, als sei die Nicht-Inte-

gration Ziel der Integrationsbemühungen.

Romantische Mythen aus dem 18. und

dem 19. Jahrhundert werden durch ständi-

ge Wiederholung zu Wahrheiten verdich-

tet und finden sich schließlich als (schein-

bare) Wirklichkeit in den erzählten Lebens-

läufen und Arbeitsberichten der Inter-

viewpartner in einer westdeutschen Groß-

stadt am Ende des 20. Jahrhunderts wie-

der.

Testfall einer offenen Gesellschaft

Im Anschluss an die neueren sozialwissen-

schaftlichen und sozialhistorischen Studien

von Leo Lucassen versucht Ute Koch das

Dickicht aus Interessen, Mythen und Tra-

ditionen so zu lichten, dass alle, die mit der

Frage der Integration von Minderheiten

befaßt sind, deren Sozialstrukturen der

vorherrschenden Sozialstruktur strikt wi-

dersprechen, überhaupt erst wissen, wo-

von sie reden, welchen Schwierigkeiten sie

gegenüberstehen, welche Wege und Um-

wege gefunden werden müssen, um zu-

mindest dem Ziel eines friedlichen Zusam-

menlebens nahezukommen. Dieses Buch

macht auf ein Problem aufmerksam, das in

den Ländern des östlichen Mitteleuropa

zwar drängender ist als in den Ländern

Westeuropas, das aber zum Modellfall ge-

lingenden oder mißlingenden Zusammen-

lebens und damit auch zum Testfall einer

offenen Gesellschaft geworden ist.

2006 turnusgemäß im Goldenen

Saal

Dr. Ute Koch nahm ihren Preis am 8.

Mai 2005 an der Universität Augsburg

entgegen, die den Wissenschaftspreis

für Interkulturelle Studien gemeinsam

mit der Stadt Augsburg und dem von

Helmut Hartmann begründeten „Fo-

rum Interkulturelles Leben und Ler-

nen (FILL) e. V.“ auslobt. Turnusge-

mäß fand die Preisverleihung 2006 am

9. Mai im Goldenen Saal des Augsbur-

ger Rathauses statt. Über die Entschei-

dung der Jury zugunsten der Preisträ-

gerin 2006, Privatdozentin Dr. Ulrike

Bechmann, schrieb Frühwald:

351 1 / J u n i 2 0 0 634

Ulrike Bechmann ist 1958 in Bamberg geboren. Sie studierte Katholische Theologie,

Arabistik und Islamwissenschaften, promovierte in Bamberg 1988 zum Dr. theol. und

schloss das Studium der Islamwissenschaften dort 1996 mit der Magisterprüfung ab. Von

1989 bis 1999 war sie Theologische Referentin und Geschäftsführerin des Deutschen Ko-

mitees des Weltgebetstages der Frauen. 2004 habilitierte sie sich an der Universität Bay-

reuth, wo sie seit Ende 2004 Oberassistentin am Lehrstuhl für Biblische Theologie ist, mit

der Arbeit über das Abrahams-Paradigma, für die sie am 9. Mai 2006 im Goldenen Saal des

Augsburger Rathauses den Augsburger Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien er-

hielt. Bei der Preisverleihung im Goldenen Saal lasen Nuri Zompur, Imam der Augsburger

Tepe Basi Moschee, und Jacques Malan vom Theater Augsburg aus dem Koran sowie aus

dem Alten und dem Neuen Testament. Fotos: Klaus Satzinger-Viel

Ute Koch, Trägerin des Augsburger Wissenschaftspreises 2005, ist 1965 in Rheinbach

geboren. Sie studierte in Köln und Bonn Ethnologie, Pädagogik, Psychologie und Alt-

amerikanistik und schloss 1994 ihr Studium mit dem Magisterexamen ab. 1995 bis 1998

war sie Stipendiatin, dann 2000 bis 2002 wissenschaftliche Angestellte im Graduierten-

kolleg „Migration im modernen Europa“ am Institut für Migrationsforschung und Inter-

kulturelle Studien der Universität Osnabrück. An dieser Universität wurde sie im Juni

2004 summa cum laude zum Dr. phil. promoviert – mit der Studie, für die sie am 8. Mai

2005 an der Universität Augsburg den Wissenschaftspreis vom Preisstifter Helmut

Hartmann (unten rechts) überreicht bekam. Foto: Klaus Satzinger-Viel

Ulrike Bechmann also warnt vor einer

vorschnellen Suche nach Kompromiß und

Konsens in durch Jahrhunderte hin befes-

tigten Glaubenstraditionen. Kompromiss-

konzepte spielen in Fragen des Glaubens

den politisch mißbrauchbaren Fundamen-

talismen in die Hände, sie führen nicht zu

einem ehrlichen, vom jeweils festen eige-

nen Grund ausgehenden Gespräch zwi-

schen den Religionen. Die erkannte Dif-

ferenz, nicht der vorschnelle Kompromiss,

ist der Ort des Dialogs. „Jede Religion

kann eine schätzende und schützende Hal-

tung zu den anderen Religionen nur ent-

wickeln, wenn sie dies aus der Mitte ihrer

eigenen Frömmigkeit, Theologie und Of-

fenbarung heraus tut.“ Abraham – die Ge-

stalt, die Erzählung, das Bild – ist die Vi-

sion der Einheit, nicht ihr schon gefunde-

ner Repräsentant.

Ulrike Bechmann belegt schließlich, mit ei-

ner Wendung zur Praxis, am Beispiel des

Weltgebetstages der Frauen, wie aus dem

gemeinsamen Gebet ein Lernort für die

Ökumene, für den Dialog auf nicht ge-

meinsamer Bekenntnisbasis entstanden

ist. Um des Zieles willen, das sie sich ge-

setzt hatten, Friede und Gerechtigkeit

zwischen den Völkern, konnten Frauen

unterschiedlicher Bekenntnisse gemein-

sam handeln und die größte ökumenische

Bewegung der Welt ins Leben rufen. Sie

könnte Vorbild werden für den interreli-

giösen Dialog weltweit. „Abraham“ wäre

dann – gewonnen aus unterschiedlichen

Glaubenstraditionen – eine Stütze, aber

nicht mehr die tragende Basis des frie-

densstiftenden Dialogs.

Lesungen aus dem Alten und Neuen

Testament und aus dem Koran

Ulrike Bechmann war mit Ihrer Habi-

litationsschrift eine von 26 Nach-

wuchswissenschaftlerinnen und Nach-

wuchswuchswissenschaftlern aus 22

deutschen Universitäten, die sich um

den Wissenschaftspreis 2006 beworben

und seine Attraktivität und sein

deutschlandweites Ansehen einmal

mehr bestätigt haben. Zugleich war die

neunte Preisverleihung im festlichen

Ambiente des Goldenen Saals des

Ihrem auch in der Forschung rapide ge-

wachsenen Gewicht entsprechend wur-

de die Informatik 2003/04 aus der Ma-

thematisch-Naturwissenschaftlichen

Fakultät herausgelöst und mit dem neu

auf Geo- und Umweltinformatik aus-

gerichteten Institut für Geographie zu

einer neuen „Fakultät für Angewandte

Informatik“, zusammengefasst. Dieser

organisatorischen Konzentration folgt

nun die räumliche: Während die „al-

ten“ Informatik-Lehrstühle und -Pro-

fessuren bislang „Gäste“ im Mathe-

matik-Gebäude auf dem Campus sind,

sind die vier neuen HTO-Lehrstühle

seit ihrer Einrichtung am Standort

„Alte Universität“ untergebracht.

„Ganz abgesehen davon, dass sie na-

türlich besonders auch den Studentin-

nen und Studenten des Faches zugute

kommt, wird die räumliche Konzentra-

tion im Campus-Neubau der äußerst

erfolgreichen Entwicklung unserer In-

formatik einen weiteren wichtigen Im-

puls geben“, ist Rektor Bottke über-

zeugt. Zugleich werde damit auch der

Augsburg-typischen engen inhaltlichen

Vernetzung der Informatik mit Teilen

der Wirtschafts- und Sozialwissenschaf-

ten Rechnung getragen, und der Infor-

matik werde es erleichtert werden,

ihrer gesamtuniversitären Servicefunk-

tion nachzukommen. KPP

Das Fach Informatik war ursprünglich

in Form zweier Lehrstühle und dreier

Professuren Bestandteil des Instituts

für Mathematik an der Mathematisch-

Naturwissenschaftlichen Fakultät. Im

Zuge der High-Tech-Offensive Bayern

gelang es der Universität, vier weitere

Informatik-Lehrstühle einzuwerben

und damit die Voraussetzungen für ein

eigenständiges Informatik-Institut mit

einem profilierten Hauptfach-Studien-

angebot zu schaffen, das sich aus einem

breit angelegten Diplomstudiengang

„Angewandte Informatik“ und aus zwei

auf „Finanzwirtschaft“ bzw. „Multime-

dia“ ausgerichteten Bachelor/Master-

Programmen zusammensetzt.

Nach dem Start dieser Studiengänge

im Jahr 2001 entwickelte sich die Augs-

burger Informatik aus dem Stand zu

der nach der Anzahl der Studentinnen

und Studenten drittgrößten in Bayern.

Davon, dass die Qualität der Quantität

in keiner Weise nachsteht, zeugt der in

das „Elitenetzwerk Bayern“ eingebun-

dene Masterstudiengang „Software

Engineering“, der zum Wintersemester

2006/07 starten wird. Als Sprecher-

universität bietet die Universität Augs-

burg diesen deutschlandweit ersten Eli-

testudiengang im Bereich der Informa-

tik gemeinsam mit den beiden Münch-

ner Universitäten an.

Am 29. Mai 2006 wurde der symboli-

sche Erste Spatenstich vollzogen,

und noch sind die Bauarbeiter damit

beschäftigt, feste Fundamente für

das neue Gebäude zu schaffen. Aber

bereits im Herbst 2008 soll der 17,2

Millionen Euro teure Komplex ste-

hen, in dem das räumlich jetzt noch

auf verschiedene Standorte verteilte

Institut für Informatik mit seinen

neun Lehrstühlen und Professuren

künftig arbeiten wird. Auch für den

architektonischen Charakter des

Augsburger Universitätscampus ver-

spricht der Informatik-Neubau eine

Bereicherung zu werden.

Mit über 4000 Quadratmetern Nutz-

fläche und rund 130 Metern Länge

wird sich der auf 600 Studentinnen und

Studenten ausgelegte dreigeschoßige

Stahlbetonbau südlich des Rechenzen-

trums und der Mensa unmittelbar an

der Universitätsstraße entlang in Ost-

West-Ausrichtung erstrecken. Archi-

tektonische Akzente setzen drei inte-

grierte Höfe und eine lange, auf der

Südseite in die Fassade eingeschnitte-

ne Rampe, die ins erste Obergeschoss

führt und über den Informatik-Bau

einen Süd-Zugang zur Mensa schafft.

Gekühlte Decken zeugen von einer

aufwändigen Haustechnik, auf die fast

ein Drittel der Baukosten entfällt.

36 A l u m n i A u g s b u r g I n t e r n a t i o n a l

naus Präsident des Deutschen Evan-

gelischen Kirchentages und stellver-

tretender Vorsitzender des von der

Bundesregierung berufenen Nationa-

len Ethikrats.

Und eine dritte Neuerung schließlich:

Allgemein für Studien von Nachwuchs-

wissenschaftlerinnen und Nachwuchs-

wissenschaftler ausgeschrieben, die

einen wesentlichen Beitrag zum Rah-

menthema „Interkulturelle Wirklich-

keit in Deutschland: Fragen und Ant-

worten auf dem Weg zur offenen Ge-

sellschaft“ zu leisten versprechen, ist

der bislang mit 5000 Euro dotierte –

und bislang nicht teilbare – „Augsbur-

ger Wissenschaftspreis für Interkultu-

relle Studien“ nur einmal – gleich zu

Beginn 1998 – an eine Diplomarbeit

gegangen, in der Folge dann aber acht-

mal an wissenschaftlich weiterqualifi-

zierende Studien – an sechs Disserta-

tionen und zwei Habilitationsschriften.

Solange man einer Jury keine anderen

Maßstäbe unterstellt als die der wis-

senschaftlichen Qualität und des wis-

senschaftlichn Ertrags, kann diese Bi-

lanz nicht wirklich überraschen.

Künftig Haupt- und Förderpreis

Gleichwohl liegt es im ursprünglichen

Sinne dieses Preises, auch qualifizierte

Studentinnen und Studenten, die noch

vor ihrem ersten wissenschaftlichen

Abschluss stehen, zur intensiven Aus-

einandersetzung mit „Fragen auf dem

Weg zur offenen Gesellschaft“ zu mo-

tivieren. Dementsprechend wird der

Preis fortan aufgeteilt: in einen mit

4000 Euro dotierten Hauptpreis, um

den man sich mit Dissertationen und

Habil-Schriften bewerben kann, und in

einen mit 1000 Euro dotierten Förder-

preis, der jeweils an die beste der ein-

gereichten Diplom-, Magister-, Staats-

examens- oder Masterarbeiten gehen

soll. Bachelor-Arbeiten allerdings blei-

ben weiterhin unberücksichtigt, da es

sich beim „Augsburger Wissenschafts-

preis“ dem Bologna-Prozess zum Trotz

auch künftig um einen Wissenschafts-

preis handeln soll. KPP

Augsburger Rathauses, bei der Nuri

Zompur, Imam der Augsburger Tepe

Basi Moschee, und der Schauspieler

Jacques Malan vom Theater Augsburg

aus dem Koran (Zweite Sure, Verse

127 bis 131) bzw. aus dem Alten (Buch

Moses Kap. 17) und dem Neuen Tes-

tament (Paulus Brief an die Galater

Kap. 4, 21-31) lasen, fraglos ein Höhe-

punkt in der Geschichte des „Augs-

burger Wissenschaftspreises für Inter-

kulturelle Studien“ – und angemessen

für die Zäsur, die diese neunte Preis-

verleihung in dieser Geschichte mar-

kiert.

Der Preisstifter verabschiedet sich

Helmut Hartmann, Friedenspreisträ-

ger der Stadt Augsburg und Stifter des

Augsburger Wissenschaftspreises, hat

bereits vor zwei Jahren den Vorsitz in

dem von ihm gegründeten „Forum In-

terkulturelles Leben und Lernen“ ab-

gegeben und den FILL-Ehrenvorsitz

akzeptiert. Mittlerweile 76 Jahre alt,

zieht Hartmann sich nunmehr auch

beim Wissenschaftspreis aus dem „ak-

tuellen Geschäft“ zurück, nachdem

FILL sowie die Universität und die

Stadt Augsburg die Zusage gegeben

haben, Hartmanns jahrelanges ideelles

und materielles Engagement durch die

ungeschmälerte Fortführung des „Augs-

burger Wissenschaftspreises für Inter-

kulturelle Studien“ zu würdigen.

Wechsel im Jury-Vorsitz

Zugleich gibt Wolfgang Frühwald sein

Amt des Jury-Vorsitzenden an einen

anderen angesehenen „Augsburger“

Wissenschaftler ab: Künftig wird Prof.

Dr. Dr. Eckhard Nagel den Jury-Vor-

sitz innehaben. Der Mediziner leitet

am Augsburger Zentralklinikum den

Bereich Allgemeine, Viszeral- und

Transplantationschirurgie und ist zu-

gleich Geschäftsführender Direktor

des Instituts für Medizinmanagement

und Gesundheitswissenschaften an der

Universität Bayreuth. Nagel, der ne-

ben Medizin auch Philsophie und Ge-

schichte studiert hat, ist darüber hi-

Im Herbst 2008 soll der Informatik-Neubau bezugsfertig sein.DER CAMPUS WÄCHST

© Staab Architekten BDA, Berlin.

EIN JAHR „TREFFPUNKT: ZUNGE“:

DIE BISHERIGEN LESUNGEN

■ Johann Peter Hebel „Schatzkäst-

lein“, gelesen von dem Augsburger

Sprach- und Literaturdidaktiker Prof.

Dr. Kaspar H. Spinner (Juni 2005) ■

Sten Nadolny „Selim, oder die Gabe

der Rede“, im Dialog vorgetragen von

den Studenten Benjamin Matthies, der

den deutschen Soldat-Student-Reden-

experte Alexander verkörperte, und

Anıl Maris, der den Ringer-Geschich-

tenerzähler-Kneipenchef Selim aus

Mugla darstellte (Juni 2005) ■ Emire

Sevgi Özdamar „Das Leben ist eine

Krawanserei“, gelesen von Cigdem

Karakus (Juli 2005) ■ Franco Biondi

„Die Unversöhnlichen. Im Labyrinth

der Herkunft“, gelesen von Raffaele

Brescia (August 2005) ■ Heinrich Böll

„Gruppenbild mit Dame“, gelesen von

Manuel Reichenbach (September 2005)

■ Gino Chiellino las aus seinem neue-

sten Gedichtband „Weil Rosa die We-

berin“ (Oktober 2005) ■ Hussain Al-

Mozany „Mansur, oder der Duft des

Abendlandes“, gelesen von Ahmed

Qassim (November 2005) ■ Chiara

DeManzini „Die Reise nach Paris / Il

viaggio a Parigi“, gelesen von der

Augsburger Romanistin und Sprach-

wissenschaftlerin Prof. Dr. Sabine

Schwarze und von Rosanna Greco

(Dezember 2005) ■ Zsuzsa Bánk „Der

Schwimmer“, gelesen von Andea

Lorincz (Januar 2006) ■ Radek Knapp

„Herrn Kukas Empfehlungen“, gele-

sen von Adrian Bieniec (Februar 2006)

■ Galsan Tschinag „Der blaue Him-

mel“, gelesen von Enchbold Urtnasan

(März 2006) ■ Nicol Ljubic las aus

seinem druckfrischen „Heimatroman“

(April 2006) ■ Auf sprachlicher und

metasprachlicher Ebene gelebte Inter-

kulturalität vermittelte die Autoren-

lesung mit den Augsburger Dichtern

Josué Wase, Lienus Nguyen, Ibrahim

Kaya und Klaus Peter Buchheit (Mai

2006) ■ Herta Müller „Niederungen“,

gelesen von Kerstin Becke (Mai 2006).

Zusammen mit Ahmed Qassim, der im

November 2005 aus „Mansur, oder der

Duft des Abendlandes“ las: Szilvia Lengl,

die „Treffpunkt:Zunge“-Initiatorin und

Autorin dieses Beitrags. Die Ungarin hat

2003 an der Universität Augsburg ihr Ma-

gisterstudium abgeschlossen und arbeitet

seither an ihrer Doktorarbeit im Fach Ver-

gleichende Literaturwissenschaft.

ter ist zum Tauchen gegangen. Ist Vater

zurück vom Tauchen?, fragten wir ein-

ander.“

Die Bildlichkeit des Tauchens hat ih-

ren Ursprung im ungarischen Aus-

druck „elmerül a gondolataiban.“ Das

Verb „elmerül“/„eintauchen“ stellt die

direkte Verbindung zum Wasser – dem

wichtigsten Symbol in diesem Roman –

her und bildet die Metaphorik, wenn

es ins Deutsche übertragen wird. Im

Gegensatz dazu wird im Deutschen der

Ausdruck „sich in Gedanken verlieren“

verwendet, der allerdings nicht exakt

die gleiche Bedeutung hat.

Damit sei nicht gesagt, dass es sich für

mich gar nicht lohnt, die Bücher von

Biondi, Özdamar, Al-Mozany, DeMan-

zini, Knapp oder Tschinag zu lesen.

Denn die theoretische Beschäftigung

mit den Thesen der interkulturellen Li-

teratur sensibilisiert mich und gibt mir

1 1 / J u n i 2 0 0 638 A l u m n i A u g s b u r g I n t e r n a t i o n a l

Seit Juni 2005 werden an jedem vierten

Mittwoch im Striese Kulturclub im

Augsburger Ulrichsviertel beim Lite-

raturstammtisch „Treffpunkt: Zunge“

Werke der deutschsprachigen Literatur

vorgestellt, die das Thema Interkultu-

ralität behandeln.

Die theoretischen Grundlagen für die

Auswahl der Bücher, aus denen gele-

sen wird, sind erstens das Thema Inter-

kulturalität, zweitens die „Sprachla-

tenz“ der Bücher und drittens die von

Prof. Dr. Carmine Chiellino herausge-

arbeitete These über eine „Modell-Le-

serin“ bzw. einen „Modell-Leser“, die

oder der auch als Gesprächspartner für

die Werke fungiert.

„Interkulturalität“ erscheint zunächst

sehr weit gefasst. Im Wesentlichen geht

es hier um die Handlungsebene der

Bücher: Alle thematisieren Fremdheit,

Ein- und Auswanderung, Erfahrungen

mit der Migration. Die Handlung spielt

in vielen Fällen an zwei (oder mehre-

ren) Orten, die sprachlich unterschied-

lich kodifiziert sind. Ein Teil spielt im

deutschsprachigen Raum und ein Teil

außerhalb dieses Raumes; auch die

Geschehnisse dort werden auf Deutsch

erzählt.

Der zweite Aspekt – die Sprachlatenz

– besagt, dass dem Text eine latent mit-

wirkende Sprache innewohnt. Diese

latente Sprache öffnet ein Fenster zu

einem anderen kulturellen Gedächtnis,

die Deutsch können, verständlich. Aber

um den Wert der Aussagen zu erfassen,

muss vor allem der kulturelle Kontext

bekannt sein. Um es ganz banal auszu-

drücken: Ich muss wissen, dass Früh-

aufstehen in der deutschen Kultur als

Tugend gilt. Verfüge ich nicht über die-

ses kulturelle Wissen, bin ich für diese

Redewendungen nur eine Leserin. Bin

ich aber fähig, die Implikation „Früh-

aufsteher zu sein“ als positive Eigen-

schaft zu verstehen, bin ich bereits Ge-

sprächspartnerin dieser Phrasen.

Natürlich ist die latente Sprache in je-

dem der ausgewählten Bücher eine an-

dere gewesen. So muss auch die Mo-

dell-Leserin bzw. der Modell-Leser bei

jedem Buch neu definiert werden. Ich

persönlich bezeichne mich als interkul-

turelle Leserin für solche Bücher, die

Ungarisch als versteckt mitwirkende

Sprache beinhalten. Bei der Lektüre

von Zsuzsa Bánks Buch „Der Schwim-

mer“ z. B. springen mir die kulturellen

Assoziationen regelrecht entgegen. Der

Verdacht, die Autorin sei ungarisch-

sprachig, bestätigt sich gleich im drit-

ten Absatz. Hier lesen wir:

„Mein Vater gab dieses Bild [der Mut-

ter] nicht aus seinen Händen. Er lag

damit auf der Küchenbank, starrte zur

Decke und rauchte. Nicht einmal den

Hund hörte er dann, der laut vor ihm

bellte. Meinen Bruder Isti und mich

schaute er an, als seien wir Fremde. Wir

nannten es tauchen. Vater taucht. Va-

das in der deutschen Sprache bis dahin

nicht vorhanden war. Zwei verschiede-

ne Sprachen und die in ihnen vorhan-

denen kulturellen Gedächtnisse treten

also in Dialog miteinander, werden zu-

sammengeführt und begründen so die

interkulturelle Ebene der Werke. Die

Sprachlatenz offenbart sich in den

meisten Fällen durch Strukturwörter,

die im Fluss des Textes wie Bojen an

der Oberfläche eines Sees präsent

sind. Gleich einer Boje, die am Mee-

resgrund verankert ist, ist das Struk-

turwort im kulturellen Gedächtnis der

Sprache verankert.

Die Modell-Leserin oder der Modell-

Leser bzw. die interkulturelle Leserin

oder der interkulturelle Leser erken-

nen die „Sprachlatenz“ als Boje. Sie

halten sie nicht für leere Flaschenpost,

sondern verfolgen die Kette in die Tie-

fe bis zum Anker, um die kulturellen

Bedeutungen zu ergründen. So wird aus

der Modell-Leserin eine Gesprächs-

partnerin, aus dem Modell-Leser ein

Gesprächspartner für das Buch.

Um ein vereinfachendes Beispiel zu

nennen: Eine Redewendung in einer

für uns fremden Sprache zu verstehen,

ist eine große Leistung, weil dieses

Verstehen mit einfachen Sprachkennt-

nissen alleine nicht zu bewältigen ist.

„Früher Vogel fängt den Wurm“ (im

Englischen) oder „Morgenstund' hat

Gold im Mund“ sind sprachlich, also

von den Wortbedeutungen her, für alle,

ZUNGETreffpunkt: Szilvia Lengl über ihren Literaturstammtisch

die Werkzeuge in die Hand, mit denen

ich die Sprachlatenz erkennen oder zu-

mindest vermuten kann. Aber ich wer-

de Hussain Al-Mozanys Bücher leider

nie mit dem kulturellen Gedächtnis

eines Arabisch Sprechenden lesen kön-

nen. Verzweifeln brauche ich dennoch

nicht, denn die Autorinnen und Auto-

ren interkultureller Bücher meinen es

gut mit uns und heben die Wörter, die

Bojen für die Sprachlatenz, meistens

hervor – sei es durch Kursivschrift, sei

es dadurch, dass sie das Strukturwort

eindeutig als ein fremdes im deutschen

Text erkennbar machen.

Die drei genannten Aspekte sind für

mich Kriterien bei der Auswahl auch

der Vorleserinnen und Vorleser dieser

Werke: Sie sind Gesprächspartner der

Bücher, verkörpern die latente Spra-

che, das anderskulturelle Gedächtnis

und die Erzählstimme der Werke.

Im April 2006 las Nicol Ljubic aus seinem

druckfrischen „Heimatroman“.

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Augsburg-Alumniin aller Welt