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J. Jerosch 1, 2 • W. H. M. Castro 1 • M. C. de Waal Malefijt 4 • M. Busch 3 • A. van Kampen 4 1 Klinik und Poliklinik für allgemeine Orthopädie • 2 Institut für Sportmedizin, Westfälische Wilhelms-Universität Münster • 3 Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf • 4 Abteilung für Orthopädie und Traumatologie, St. Radboud Universitätsklinik Nimwegen, Niederlande Interobservervarianz bei der diagnostischen Arthroskopie des Kniegelenks „Wie objektiv sind arthroskopische Befunde wirklich?“ Zusammenfassung Anhand von Videoaufzeichnungen von 8 unterschiedlichen Patienten mit verschiede- nen Diagnosen wurden bei 39 erfahrenen Arthroskopikern (AGA-Instrukteuren) die in- terindividuelle Varianz in der Beurteilung mit Hilfe der „Kappa Cohen interobserver varia- tion analysis“ dokumentiert. Nicht patholo- gisch veränderte Strukturen zeigten eine re- lativ akzeptable Interobserverkorrelation. Bei pathologischen Veränderungen finden sich häufig nur sehr schlechte Korrelationen. Die- ses gilt insbesondere für die Membrana syn- ovialis im Bereich des suprapatellaren Rezes- sus, aber auch für den Knorpelbelag im fe- moropatellaren Gleitlager sowie ganz be- sonders für das hintere Kreuzband. Das Alignement im femoropatellaren Gleitlager unterliegt ebenfalls erheblichen Interobser- verabweichungen. Klinische Relevanz: Diese Befunde sollten kritisch bedacht werden bei der Beurteilung von bildgebenden Verfahren in Relation zur Arthroskopie. Weiterhin ha- ben diese Ergebnisse Auswirkungen auf gut- achterliche Aussagen, welche rein aufgrund von Bilddokumenten erstellt werden. Da auch die Abrechnungsfrage sich streng an einzelne Diagnosen orientiert, muß man da- von ausgehen, daß auch hier nicht immer si- cher eine exakte Zuordnung erfolgen kann. Schlüsselwörter Arthroskopie • Kniegelenk • Interobserverva- rianz Zahlreiche Untersuchungen haben sich in den letzten Jahren mit dem Aus- sagewert klinischer und bildgebender Verfahren bei der Diagnostik intraarti- kulärer Läsion des Kniegelenks befaßt. In vielen Studien wurde die Arthrosko- pie als „der goldene Standard“ zur Kon- trolle herangezogen. Klinische Untersuchungsbefunde am Kniegelenk werden oft nur als Scree- ningverfahren gewertet [17]. Angel und Hall [1] zeigten, daß mit Hilfe der klini- schen Untersuchung nur mit einer 56 %igen Genauigkeit die Diagnose ge- stellt werden kann. Demgegenüber wur- de die Genauigkeit der Arthroskopie mit 99% angegeben. Auch technisch auf- wendige und z.T. kostenintensive bild- gebende Verfahren wie Sonographie, Computertomographie (CT) oder Kernspintomographie (MRT) können die Diagnose nicht immer exakt stellen [4–6, 9, 19]. Demzufolge formulierten Sigge und Ellebrecht [14], daß eine sichere Identifizierung therapiepflichtiger Kniebinnenverletzungen nur mit Hilfe einer Arthroskopie möglich ist. Gerade bei der Diagnostik von Knorpelverlet- zungen scheint die Arthroskopie z.Z. unentbehrlich [3]. Bisher wurde jedoch nicht die Ar- throskopie an sich hinterfragt. Diese kann nur dann als goldener Standard dienen, wenn die Interobservervariabi- lität so gering ist, daß die selben arthro- skopischen Befunde von unterschiedli- chen Untersuchern mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch gleich beur- teilt werden. Material und Methode Erhebungsmethode Es wurden an 81 deutsche AGA-Instruk- toren (Arbeitsgemeinschaft für Arthro- skopie) und 4 weitere erfahrene Arthro- skopeure je eine Kopie desselben Video- bandes, auf den Arthroskopien von 8 Patienten dargestellt wurden sowie ein gleichlautender zugehöriger Frage- bogen, versandt. In einem Begleitbrief wurde dargelegt, daß mit der Untersu- chung nicht der Kenntnisstand des ein- zelnen Untersuchers beurteilt werden solle, sondern daß es das Ziel sei, die Vergleichbarkeit der arthroskopischen Befunde zu bewerten. Die Instruktoren wurden gebeten, anhand eines standar- disierten Fragebogens die auf dem Vi- deo dargestellten Fälle zu beurteilen und eine Diagnose festzulegen. Gleich- zeitig wurde teilweise die hieraus resul- tierende therapeutische Konsequenz er- fragt. Hierzu wurden auch die klinisch relevanten anamnestischen Angaben vorgegeben. Bei den Antworten handel- te es sich um geschlossene Fragen, bei 782 Der Unfallchirurg 10·97 Unfallchirurg 1997 · 100:782–786 Springer-Verlag 1997 Originalien Prof. Dr. J. Jerosch Klinik und Poliklinik für allgemeine Orthopädie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Albert-Schweitzer-Straße 33, D-48149 Münster

Interobserver variance in diagnostic arthroscopy of the knee

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J. Jerosch1, 2 · W. H. M. Castro1 · M. C. de Waal Malefijt4 · M. Busch3 · A. van Kampen4 ·1 Klinik und Poliklinik für allgemeine Orthopädie · 2 Institut für Sportmedizin,Westfälische Wilhelms-Universität Münster · 3 Klinik und Poliklinik für Orthopädie,Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf · 4 Abteilung für Orthopädie und Traumatologie,St. Radboud Universitätsklinik Nimwegen, Niederlande

Interobservervarianz bei derdiagnostischen Arthroskopiedes Kniegelenks¹Wie objektiv sind arthroskopischeBefunde wirklich?ª

Zusammenfassung

Anhand von Videoaufzeichnungen von 8unterschiedlichen Patienten mit verschiede-nen Diagnosen wurden bei 39 erfahrenenArthroskopikern (AGA-Instrukteuren) die in-terindividuelle Varianz in der Beurteilung mitHilfe der ¹Kappa Cohen interobserver varia-tion analysisª dokumentiert. Nicht patholo-gisch veränderte Strukturen zeigten eine re-lativ akzeptable Interobserverkorrelation. Beipathologischen Veränderungen finden sichhäufig nur sehr schlechte Korrelationen. Die-ses gilt insbesondere für die Membrana syn-ovialis im Bereich des suprapatellaren Rezes-sus, aber auch für den Knorpelbelag im fe-moropatellaren Gleitlager sowie ganz be-sonders für das hintere Kreuzband. DasAlignement im femoropatellaren Gleitlagerunterliegt ebenfalls erheblichen Interobser-verabweichungen. Klinische Relevanz: DieseBefunde sollten kritisch bedacht werden beider Beurteilung von bildgebenden Verfahrenin Relation zur Arthroskopie. Weiterhin ha-ben diese Ergebnisse Auswirkungen auf gut-achterliche Aussagen, welche rein aufgrundvon Bilddokumenten erstellt werden. Daauch die Abrechnungsfrage sich streng aneinzelne Diagnosen orientiert, muû man da-von ausgehen, daû auch hier nicht immer si-cher eine exakte Zuordnung erfolgen kann.

Schlüsselwörter

Arthroskopie · Kniegelenk · Interobserverva-rianz

Zahlreiche Untersuchungen habensich in den letzten Jahren mit dem Aus-sagewert klinischer und bildgebenderVerfahren bei der Diagnostik intraarti-kulärer Läsion des Kniegelenks befaût.In vielen Studien wurde die Arthrosko-pie als ¹der goldene Standardª zur Kon-trolle herangezogen.

Klinische Untersuchungsbefundeam Kniegelenk werden oft nur als Scree-ningverfahren gewertet [17]. Angel undHall [1] zeigten, daû mit Hilfe der klini-schen Untersuchung nur mit einer56 %igen Genauigkeit die Diagnose ge-stellt werden kann. Demgegenüber wur-de die Genauigkeit der Arthroskopie mit99 % angegeben. Auch technisch auf-wendige und z. T. kostenintensive bild-gebende Verfahren wie Sonographie,Computertomographie (CT) oderKernspintomographie (MRT) könnendie Diagnose nicht immer exakt stellen[4±6, 9, 19].

Demzufolge formulierten Siggeund Ellebrecht [14], daû eine sichereIdentifizierung therapiepflichtigerKniebinnenverletzungen nur mit Hilfeeiner Arthroskopie möglich ist. Geradebei der Diagnostik von Knorpelverlet-zungen scheint die Arthroskopie z. Z.unentbehrlich [3].

Bisher wurde jedoch nicht die Ar-throskopie an sich hinterfragt. Diesekann nur dann als goldener Standarddienen, wenn die Interobservervariabi-lität so gering ist, daû die selben arthro-skopischen Befunde von unterschiedli-chen Untersuchern mit einer gewissen

Wahrscheinlichkeit auch gleich beur-teilt werden.

Material und Methode

Erhebungsmethode

Es wurden an 81 deutsche AGA-Instruk-toren (Arbeitsgemeinschaft für Arthro-skopie) und 4 weitere erfahrene Arthro-skopeure je eine Kopie desselben Video-bandes, auf den Arthroskopien von8 Patienten dargestellt wurden sowieein gleichlautender zugehöriger Frage-bogen, versandt. In einem Begleitbriefwurde dargelegt, daû mit der Untersu-chung nicht der Kenntnisstand des ein-zelnen Untersuchers beurteilt werdensolle, sondern daû es das Ziel sei, dieVergleichbarkeit der arthroskopischenBefunde zu bewerten. Die Instruktorenwurden gebeten, anhand eines standar-disierten Fragebogens die auf dem Vi-deo dargestellten Fälle zu beurteilenund eine Diagnose festzulegen. Gleich-zeitig wurde teilweise die hieraus resul-tierende therapeutische Konsequenz er-fragt. Hierzu wurden auch die klinischrelevanten anamnestischen Angabenvorgegeben. Bei den Antworten handel-te es sich um geschlossene Fragen, bei

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Unfallchirurg1997 ´ 100:782±786 � Springer-Verlag 1997 Originalien

Prof. Dr. J. JeroschKlinik und Poliklinik für allgemeine Orthopädie,Westfälische Wilhelms-Universität Münster,Albert-Schweitzer-Straûe 33,D-48149 Münster

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denen ähnlich einem Befundbogen derZustand einzelner intraartikulärenStrukturen in vorgegebene Felder mar-kiert werden konnte.

Von den 85 ausgesendeten Videosund Fragebögen konnten 39 zur Auswer-tung kommen. Bei den übrigen erfolgteentweder keine oder nur eine unvoll-ständigeRücksendungdesFragebogens.

Statistische Auswertung

Bei der Auswertung der Ergebnisse wur-de nicht die Frage der richtigen oderkorrekten Diagnose evaluiert, sondernvielmehr die Häufigkeit der Angaben.Es wurde somit die Übereinstimmungbewertet. Hierzu wurde die ¹Kappa Co-hen interobserver variation analysisªverwendet. Als schlecht wird hierbeieine Übereinstimmung von weniger als60 %, als mittelgradig eine Überein-stimmung von 60±80 % und als hervor-ragend eine Übereinstimmung von80±100 % bezeichnet (Tabelle 1).

Zu beurteilende Kasuistiken

1. Patient: Mann, 31 Jahre alt, Rotations-trauma linkes Knie vor 4 Monaten,Schmerzen im medialen Gelenkspalt,keine Blockierung.

2. Patient: Junge, 13 Jahre alt, Bela-stungsschmerz Vorderkante linkesKniegelenk, entstanden nach Hockey-spiel, Pseudoblockierung, keine Erguû-bildung.

3. Patient: Mann, 35 Jahre alt, Rota-tionsschmerz linkes Kniegelenk vor10 Monaten, Schmerzen im lateralenKniegelenkspalt, Instabilitätsgefühl(giving away).

4. Patient: Frau, 39 Jahre alt, Rotati-onstrauma linkes Knie. (Es soll nur dasmediale Kniekompartiment beurteiltwerden.)

5. Patient: Mann, 58 Jahre alt, diffu-se Knieschmerzen im medialen und la-teralen Kniekompartiment, linkes Knie-gelenk.

6. Patient: Mann, 36 Jahre alt, vor1 Woche Verkehrsunfall mit Hämar-thros, linkes Kniegelenk (nur Interkon-dylärraum beurteilen).

7. Patient: Mann, 30 Jahre alt,chronische, nicht traumatische Schwel-lung mit Schmerzen im linken Kniege-lenk.

8. Patient: Frau, 23 Jahre alt, vor ei-ner Woche Fuûballtrauma linkes Knie-gelenk (nur Interkondylärraum beurtei-len).

Beim 4. Patienten war auf demVideo bewuût nur das mediale Kom-partiment zur Knorpelbeurteilungdargesetllt worden; gleiches gilt fürden Interkondylärraum beim 6. Patien-ten.

Ergebnisse

Eine zusammenfassende Darstellungder Ergebnisse findet sich in der Tabel-le 1.

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J. Jerosch ⋅ W. H. M. Castro ⋅ M. C. de WaalMalefijt ⋅ M. Busch ⋅ A. van Kampen

Interobserver variance in diagnosticarthroscopy of the knee

Summary

We assessed the interindividual diagnosticvariance of 39 experienced arthroscopists bythe Kappa Cohen interobserver variationanalysis using videotapes of eight differentpatients with different diagnoses. Arthro-scopically normal findings showed a rela-tively acceptable interobserver correlation.Pathological changes, in contrast, oftenshowed very little correlation, especially inthe synovial membrane of the suprapatellarrecess, in the cartilage of the femoropatellargroove and the posterior cruciate ligament.In patellar alignment there was also greatinterobserver variation. Clinical relevance:When comparing arthroscopic findings withother imaging techniques the above resultsshould be taken into account. Furthermore,these results will affect the significance ofmedical expertise based only on pictures. Inaddition, medical cost billing, which is basedon arthroscopic findings, has to take into ac-count that a wrong diagnosis is possible andtherefore charges will be wrong.

Key words

Arthroscopy · Knee joint · Interobserver vari-ance

Unfallchirurg1997 ´ 100:782±786 � Springer-Verlag 1997

Tabelle 1Interobservervarianz bei unterschiedlichen arthroskopischen Diagnosen

Patient 1 2 3 4 5 6 7 8

Membrana synovialis suprapatellaris 46,5 54,1 40,6Plica synovialis suprapatellaris 63,4 47,1 32,9Retropatellarer Knorpel 54,3 29,8 60,9Interkondylärer Knorpel 67,1 30,0 55,0Lig. patellae 68,2 57,9 56,3Plica synovialis infrapatellaris 89,9 42,7 33,9Medialer Meniskus 57,0 100 42,1Knorpel der medialen Femurkondyle 85,2 69,8 53,6 48,7Knorpel des medialen Tibiaplateaus 85,1 66,5 49,5VKB 100 60,3 35,8 100HKB 65,6 49,5 56,3Lateraler Meniskus 94,9 100 100Knorpel der lateralen Femurkondyle 94,9 71,7 90Knorpel des lateralen Tibiaplateaus 94,9 100 72,6Therapie 69,8 71,8 44,1 50,6 85,2Diagnose 65,6 42,3Interkondylärer Bereich 43,6

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1. Patient. Bei der Synovialmembran imsuprapatellaren Bereich liegt ein Über-einstimmungswert von nur 46,5 % vor.Die Beurteilung (vorhanden/nicht vor-handen) der Plica medialis suprapatel-laris und Plica medialis infrapatellarisergibt lediglich für die infrapatellare Pli-ca eine fast 90 %ige Übereinstimmung.Bei der suprapatellaren Plica ist derÜbereinstimmungsgrad nur 63,4 %. DieBeurteilung des Knorpels der Patellazeigt, daû eine Differenzierung zwi-schen einer Chondromalazie Grad IIIund Grad IV und der traumatischenKnorpelläsion schwierig ist. Es findetsich ein Übereinstimmungswert vonnur 54,3 %. Die Beurteilung des Knor-pels im Bereich des Sulcus intercondyla-ris femoris zeigt eine Übereinstimmungvon 67,1 %. Die übrigen Knorpelanteiledes Kniegelenks (mediale Fe-murkondyle, mediales Tibiaplateau, la-terale Femurkondyle, laterales Tibiapla-teau) weist eine gute Übereinstimmungauf (85,1±94,9 %).

Der Patellagleitmechanismus wirdvon über 2/3 der Befragten als normalbeurteilt (Übereinstimmungswert:68,2 %). Die Beurteilung des normalenlateralen Meniskus bereitet offensicht-lich keinerlei Schwierigkeiten (94,9 %).Die Läsion des medialen Meniskus wur-de von 76,8 % der Arthroskopeure alsvertikaler Längsriû und von 20,5 % alshorizontaler Längsriû beurteilt. Teilwei-se wurden Läsionskombinationen ange-geben. Dies erklärt den mit 57 %schlechten Übereinstimmungswert.Das vordere Kreuzband (VKB) wurdemit fast völliger Übereinstimmung alsnormal beurteilt. Für das hintere Kreuz-band (HKB) zeigt sich nur ein Überein-stimmungswert von 65,6 %.

Patient 2. Die Synovialis im Recessus su-prapatellaris wurde von fast 3/4 der Be-fragten als normal und von nahezu 1/4

als eine unspezifische Synovitis einge-stuft. Es ergab sich nur ein Übereinstim-mungswert von 54,1 %. Die Frage, ob Pli-cae vorhanden oder nicht vorhandenwaren, ergaben nur einen Übereinstim-mungswert von 47,1 bzw. 42,7 %. Bei derBeurteilung des Knorpels fällt auf, daûbei makroskopisch normalem Knorpeleine nahezu einheitliche Meinung vor-herrscht. Auffällig sind jedoch die diffe-rierenden Aussagen über den Knorpelder Patella und den Sulcus intercondyla-ris. 3 von 39 Arthroskopeuren erkann-

ten jeweils einen fast normalen Knorpel,wohingegen 14 von 22 Arthroskopeureneine subchondrale oder eine traumati-sche Läsion diagnostizierten. Die hieraufgetretenen Beurteilungsdifferenzenspiegeln sich in den mit 29,8 % und30,0 % schlechten Übereinstimmungs-werten wieder.

Das Patellagleitlager wurde von 2/3

der Befragten als normal angegeben.Fast 20 % sahen jedoch eine Lateralisati-on. Der Übereinstimmungswert lag nurbei 57,9 %.

Die Beurteilung der Menisken er-gab ein sehr einheitliches Bild beidiesem Patienten mit einem hervorra-genden Übereinstimmungswert von100 %.

Die Beurteilung des VKB war sogarbei diesen jungen Patienten nicht ganzunproblematisch; 5 von 39 Arthroskop-euren diagnostizierten eine Totalruptur,wohingegen 30 von 39 das ACL als nor-mal beurteilten und 4 der Befragten esnicht für beurteilbar hielten. Der Über-einstimmungswert lag bei 60,3 %. EineRuptur, ein adäquates Trauma und einKniegelenkerguû waren in der Anamne-se nicht beschrieben.

Für das HKB entspricht die Bewer-tung der des 1. Patienten. Der Überein-stimmungswert zeigte mit 49,5 % einschlechtes Resultat.

Patient 3. Bei der Beurteilung der Syn-ovialis im Recessus suprapatellaris zeig-ten sich auch hier keine einheitlichenMeinungen. Fast 50 % der Befragten be-zeichneten die Synovialis als normalund annähernd 50 % diagnostizierteneine hypertrophe, villöse Synovialitisbzw. eine unspezifische Synovitis. Mit40,6 % lag ein schlechter Übereinstim-mungswert vor.

Die Beurteilungsproblematik derPlica medialis suprapatellaris und derPlica medialis infrapatellaris tritt hiernoch deutlicher zu Tage. Die Überein-stimmungswerte betragen nur 32,9 bzw.33,9 %. Bei der Beurteilung des Knorpelsund der Patella sowie des medialen Ti-biaplateaus fand sich mit 60,9 % einmittelgradiger und mit 49,5 % einschlechter Übereinstimmungswert.

Deutlich sind auch die Diskrepan-zen in der Beurteilung des Patellagleit-mechanismus (Übereinstimmungs-wert: 56,3 %). Das Erkennen des in-takten Auûenmeniskus macht offen-sichtlich keine Schwierigkeiten

(Übereinstimmungswert: 100 %), derlädierte mediale Meniskus scheint je-doch schlecht zu beurteilen zu sein(Übereinstimmung: 42,1 %).

Die Beurteilung der Kreuzbänderwar insofern auffällig, als in der Anam-nese ein Rotationstrauma vor 10 Mona-ten angegeben war und 3 von 39 Befrag-ten eine frische Teilruptur des VKB dia-gnostizierten. Im übrigen erklärten fast1/3 der Arthroskopeure das VKB und 2/3

der Befragten das HKB als nicht beur-teilbar. Hierdurch ergab sich ein Über-einstimmungswert von 35,8 % für dasVKB und 56,3 % für das HKB.

Patient 4. Hier zeigt sich nachhaltig, daûdie alleinige Beurteilung der intraarti-kulären Knorpelverhältnisse aufgrunddes Videobildes schwierig ist. Der Über-einstimmungswert für den Knorpel ander medialen Femurkondyle reichtenur bis 48,7 %. Eine zusätzliche Palpati-on würde hier sicherlich zu einem höhe-ren Differenzierungsgrad führen.

Patient 5. Bei diesem Patienten findetsich eine fast einheitliche Beurteilungin Anbetracht der Tatsache, daû der ar-throskopische Aspekt der Chondrokal-zinose und der Gicht sich stadienabhän-gig ähneln können. Diese Überlegungwurde bei der Berechnung anhand desKappa-Cohen-Index nicht berücksich-tigt, so daû nur eine Übereinstimmungvon 65,6 % resultierte.

Die als Therapie angegebene Spü-lung findet sich zwar nur bei 87 % derArthroskopeure, wird jedoch im we-sentlichen bei jeder Arthroskopiedurchgeführt. Interessanter erscheinthier der Unterschied in den übrigenTherapievorschlägen: Diese variierenvon expektativ-keine (8 %), bis zurkonservativ-physikalischen Therapie(56 %). Jedoch stellt sich die Frage, obdie konservativ-physikalische nicht inder expektativen Therapie beinhaltetist, da doch nach jeder Arthroskopie inder Regel eine physikalische Therapieangeschlossen wird. Dies erklärt wohlauch die groûe Anzahl der Kombinatio-nen die angegeben wurde. Der Überein-stimmungswert betrug 71,8 %. Auffälligist, daû lediglich 41 % der Befragteneine medikamentöse Therapie für sinn-voll halten.

Patient 6. Allein die Videodemonstrati-on ergab einen 100 %igen hervorragen-

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Originalien

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den Übereinstimmungswert nach derKappa-Cohen-Formel in der Diagnoseder frischen Totalruptur des VKB. Er-wartungsgemäû kam es jedoch zu einerDiskrepanz in der Therapiewahl mit ei-nem Übereinstimmungswert von ledig-lich 44,1 %.

Patient 7. Auffällig ist die relative Un-stimmigkeit in der Diagnosestellungmit einem Übereinstimmungswert von42,3 %.

Patient 8. Die Diskrepanzen in der Beur-teilung zwischen partieller und totalerAbriûfraktur der medialen Eminentiaintercondylica scheint auf der aus-schlieûlichen Videobanddokumentati-on zu beruhen und erklärt den mit43,6 % schlechten Übereinstimmungs-wert. Bei einer selbständig durchgeführ-ten Arthroskopie mit gezielter Einstel-lung und Tasthakenuntersuchung istnaturgemäû eine exaktere Diagnosemöglich. Übereinstimmend wurde einestabilisierende Therapieform gewählt.Abhängig von der individuellen Dyna-mik des Arthroskopeurs erfolgte zu-nächst eine Gipsimmobilisation oder inder Mehrzahl die sofortige Osteosyn-these. Der Übereinstimmungswert er-gab hier mit 85,2% ein hervorragendesErgebnis.

Diskussion

Die arthroskopische Beurteilung desKniegelenks hat sich in Orthopädie undTraumatologie zu einem Standard ent-wickelt. Aufgrund dieser Befunde wer-den unterschiedliche bildgebende Ver-fahren bewertet. Zusätzlich haben ar-throskopische Befunde jedoch auchgutachterliche sowie liquidationsrecht-liche Folgen.

Aufgrund der vorliegenden Unter-suchung kann man festhalten, daû dieBeurteilung der Membrana synovialisoffensichtlich schwierig ist und eineDifferenzierung zwischen normaler, hy-pertropher/villöser sowie unspezifi-scher Synovialitis zwischen unter-schiedlichen Untersuchern sehr diffe-riert. Neben der ± bedingt durch dienicht ganz naturgetreue Wiedergabeüber eine Chipkamera ± oft nicht reali-stische Einstufung von makroskopi-scher Synovialpathologie auf einem Vi-deomonitor [7] wird für die unter-schiedliche Beurteilung sicher auch ein

Grund sein, daû die Kriterien für jedenBeobachter andere sind. Eine diskreteProliferation und Hyperämie der Syn-ovialmembran bei einer leichten unspe-zifischen Synovialitis ist arthroskopischunschwer gegen eine intensiv vaskulari-sierte und ausgeprägte zottige bzw. vil-lös hypertrophe Synovialis einer flori-den rheumatoiden Arthritis abzugren-zen. Die Übergänge sind jedoch flie-ûend [11, 13].

Die Abstufung der makroskopischfaûbaren und evtl. als pathogen einzu-stufenden Plicae synovialis gegenüberden anatomischen Normvarianten derindividuell stark wechselnden Falten-bildung der synovialen Gelenkkapsel[12] liegt stark im Ermessen und in derErfahrung des jeweiligen Arthrosko-peurs begründet.

Auch die Klassifikation von Knor-pelverletzungen zeigte nur einen gerin-gen Übereinstimmungswert. Diesesliegt sicherlich u. a. daran, daû unter-schiedliche Klassifikationen Verwen-dung finden [8, 10].

Auch die Frage des Alignement imfemoropatellaren Gleitlager zeigte we-nig Konsens [15]. Ein Grund ist sicher-lich, daû unterschiedliche Definitionenvorliegen [2, 18]. Eine weitere Erklä-rung für die schlechte Übereinstim-mung in der Beurteilung des Patella-alignements kann sein, daû bei alleini-ger Videointerpretation der Beugungs-grad es Beines schwierig zu beurteilenist.

Auch die Beurteilung von Menis-kusrissen zeigte groûe Interobserver-diskrepanzen. Dieses kann ebenfallsz. T. auf die unterschiedlichen Eintei-lungsschemata beruhen [10, 18], kannjedoch auch auf die fehlende Möglich-keit zur Palpation mit einem Tasthakenliegen.

Sehr deutlich zeigte sich auch dieSchwierigkeit, den Zustand des hinterenKreuzbandes von den vorderen Zugän-gen her zu beurteilen. Dieses Problemwurde schon mehrfach in der Literaturunterstrichen, wobei selbst die Palpati-on mit einem Tasthäkchen oft nicht aus-reichend erscheint [16, 18].

Darüber hinaus war jedoch auchnicht in allen Fällen die arthroskopischeBeurteilung des VKB ausreichend. Bei-de Ligamente können bei der arthro-skopischen Untersuchung durchausnormal erscheinen, da nur eine Ober-flächenbetrachtung möglich ist. Aussa-

gekräftiger ist zweifellos die Funktions-analyse. Hierbei ist für das VKB eineNarkoseuntersuchung und der Lach-mann-Test sinnvoll. Für das HKB bietetsich beispielsweise die gehaltene Rönt-genuntersuchung mit dem Nachweis ei-ner entsprechenden hinteren Schubladean [15].

Bei älteren Verletzungen beider Li-gamente ist es häufig schwierig, arthro-skopisch zwischen Narbe und Kreuz-bandstruktur zu differenzieren. Die Be-urteilung des HKB ist bereits deshalbschwierig, da es aufgrund der seltenenVerletzungen nur wenig routinemäûiguntersucht wird. Die Beurteilung desVKB kann gelegentlich durch Behinde-rung aufgrund einer groûen Plica infra-patellaris, die u. U. auch mit dem Kreuz-band verwechselt werden kann, er-schwert sein [16, 18].

Unter Berücksichtigung der vor-liegenden Ergebnisse muû man fest-halten, daû der sog. goldene Standarddiagnostischer Arthroskopie doch miteinigen Abstrichen zu versehen ist.Während intakte Strukturen nocheine relativ akzeptable Interobserver-korrelation zeigen, finden sich bei pa-thologischen Veränderungen häufigdoch nur sehr schlechte Korrelationen.Dieses gilt insbesondere für die Syn-ovialmembran im Bereich des Reces-sus suprapatellaris, aber auch für denKnorpelbelag im femoropatellarenGleitlager sowie ganz besonders fürdas HKB. Das Alignement im femoro-patellaren Gleitlager unterliegt eben-falls erheblichen Interobserverabwei-chungen.

Diese Befunde sollten kritisch be-dacht werden bei der Beurteilung vonbildgebenden Verfahren in Relation zurArthroskopie. Weiterhin haben dieseErgebnisse u. E. Auswirkungen auf gut-achterliche Aussagen, welche rein auf-grund von Bilddokumenten erstellt wer-den. Da auch die Abrechnungsfrage sichstreng an einzelne Diagnosen orientiert,muû man davon ausgehen, daû auchhier nicht immer sicher eine exakte Zu-ordnung erfolgen kann.

Wir danken der AGA für die freundliche Un-terstützung dieser Untersuchung. Ganz be-sonderer Dank gilt den AGA-Instrukturen,die sich der mühevollen Aufgabe unterzogenhaben, das Videoband zu sichten und die Be-funde zu dokumentieren.

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EKG in Notfällen

Berlin, Heidelberg, New York: Springer, 1996.390 S., 300 farb. Abb.,(ISBN 3-540-61137-1),brosch., DM 48,±

Das in 1. Auflage erschienene Kompendium orien-tiert sich in Inhalt und Aufmachung an dem bereitsbewährten Buch von Lindner/Dubin ¹Schnellinter-pretation des EKGª. Grundlagen und Technik des EKGwerden einführend dargestellt. Die wichtigsten, an-hand des EKG diagnostizierbaren Krankheitsbilderwerden im Hauptteil besprochen. Nach einer kurzensystematischen Einleitung zum jeweiligen Kapitelwerden die praktisch relevanten Befunde durchzahlreiche, thematisch geordnete Fallbeispiele ver-mittelt. Die Falldarstellungen bestechen durch eineklare Gliederung, einprägsame Merksätze und Kon-zentration auf das Wesentliche. Der entscheidendeEKG-Befund ist jeweils deutlich gekennzeichnet.Diese didaktisch hervorragende Aufbereitung setztsich in anschaulichen Algorithmen (FIieûdiagram-men) fort, die optimal zur schnellen Orientierung inNotfallsituationen geeignet sind. Den Abschluû desflüssig geschriebenen Buches bilden EKG-Übungs-beispiele und ein Glossar der wesentlichen kardiolo-gischen Fachtermini. Das Werk ist als Lehr- undLernbuch für Mitarbeiter des Rettungsdienstes sowieals Kompendium für schnelles Nachschlagen ge-dacht. Diesem Gebrauchszweck entsprechen dasKitteltaschenformat und die stabile Bindung. Demmit einer kardiologischen Notfallsituation konfron-tierten Kliniker kann das Buch von groûem Nutzensein. Aufgrund der gelungenen Didaktik kann esdarüber hinaus auch von Medizinstudenten alsLernbuch verwendet werden.

B. Karger (Münster)

786 Der Unfallchirurg 10´97

Buchbesprechung