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REZENSION Nach zwei Auflagen bei Beltz (2005 und 2007) hat D. H. Rost seinen ursprünglichen Text, um gut 100 Seiten erweitert, nunmehr ein drittes Mal ediert. Welchen Zweck ver- bindet der Autor mit ihm? Wer sind seine Adressaten? Der Autor gibt selbst auf diese Fragen Antwort: „Das vorliegende Buch soll helfen, empirische Studien besser lesen, besser verstehen und besser bewerten zu können.“ Es soll den in empirischer Methodik weniger bewanderten Leserinnen und Lesern, zu denen Rost potentiell auch Politiker einschlägiger Ressorts, Schulleiter, Lehrkräfte und Schulaufsichtsbeamte zählt, „einige Leitlinien zur Lektüre erfahrungswissenschaftlicher Untersuchungen an die Hand geben“ (S. 14). Fortgeschrittenen Studierenden könnte es helfen, (anspruchsvolle) empirische Qualifikationsarbeiten (Diplom- und Magisterarbeiten sowie Dissertationen) zu planen, durchzuführen und selbst zu evaluieren. Ich selbst möchte noch die spezielle Funktion eines Repetitoriums über Grundlagen eines erfahrungswissenschaftlichen Studiums hinzufügen. Detlef H. Rost ist als Vertreter der Pädagogischen Psychologie in Fachkreisen vor allem für zweierlei bekannt (und weitum auch geschätzt): a) für Forschungen und Publi- kationen über Intelligenz und Hochbegabung; b) für das (seine Fans i. d. R begeisternde) pointierte Eintreten für seine eigene Lehrmeinung sowie seinen Hang zu polemischen Ausritten gegen Vertreterinnen von Wissenschaft oder Bildungspolitik, wenn er sie für wenig qualifiziert hält. Beides kommt in dem Buch ausgiebig zur Geltung: anderthalb Seiten Rost im Literaturverzeichnis und Bezüge in zahlreichen der insgesamt 114 in den Text eingestreuten Beispiele (für mehr oder minder geglückte Studien – auch aus Fehlern kann man lernen! – oder andere lehrreiche Erfahrungen aus dem Leben eines Wissen- schaftlers) stehen für das eine, einige Textproben mögen das andere belegen – auch – auf Z f Bildungsforsch (2013) 3:175–177 DOI 10.1007/s35834-013-0069-1 Interpretation und Bewertung pädagogisch- psychologischer Studien Eine Einführung. 3. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 2013, 313 Seiten, ISBN 978-3-8252-8518-0, € 24.99 Detlef H. Rost · Josef Thonhauser Online publiziert: 10.08.2013 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Univ.-Prof. i. R. Mag. Dr. J. Thonhauser () · D. H. Rost Akademiestraße 26, 5020 Salzburg, Österreich E-Mail: [email protected]

Interpretation und Bewertung pädagogisch-psychologischer Studien

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Rezension

Nach zwei Auflagen bei Beltz (2005 und 2007) hat D. H. Rost seinen ursprünglichen Text, um gut 100 Seiten erweitert, nunmehr ein drittes Mal ediert. Welchen Zweck ver-bindet der Autor mit ihm? Wer sind seine Adressaten? Der Autor gibt selbst auf diese Fragen Antwort: „Das vorliegende Buch soll helfen, empirische Studien besser lesen, besser verstehen und besser bewerten zu können.“ Es soll den in empirischer Methodik weniger bewanderten Leserinnen und Lesern, zu denen Rost potentiell auch Politiker einschlägiger Ressorts, Schulleiter, Lehrkräfte und Schulaufsichtsbeamte zählt, „einige Leitlinien zur Lektüre erfahrungswissenschaftlicher Untersuchungen an die Hand geben“ (S. 14). Fortgeschrittenen Studierenden könnte es helfen, (anspruchsvolle) empirische Qualifikationsarbeiten (Diplom- und Magisterarbeiten sowie Dissertationen) zu planen, durchzuführen und selbst zu evaluieren. Ich selbst möchte noch die spezielle Funktion eines Repetitoriums über Grundlagen eines erfahrungswissenschaftlichen Studiums hinzufügen.

Detlef H. Rost ist als Vertreter der Pädagogischen Psychologie in Fachkreisen vor allem für zweierlei bekannt (und weitum auch geschätzt): a) für Forschungen und Publi-kationen über Intelligenz und Hochbegabung; b) für das (seine Fans i. d. R begeisternde) pointierte Eintreten für seine eigene Lehrmeinung sowie seinen Hang zu polemischen Ausritten gegen Vertreterinnen von Wissenschaft oder Bildungspolitik, wenn er sie für wenig qualifiziert hält. Beides kommt in dem Buch ausgiebig zur Geltung: anderthalb Seiten Rost im Literaturverzeichnis und Bezüge in zahlreichen der insgesamt 114 in den Text eingestreuten Beispiele (für mehr oder minder geglückte Studien – auch aus Fehlern kann man lernen! – oder andere lehrreiche Erfahrungen aus dem Leben eines Wissen-schaftlers) stehen für das eine, einige Textproben mögen das andere belegen – auch – auf

Z f Bildungsforsch (2013) 3:175–177DOI 10.1007/s35834-013-0069-1

Interpretation und Bewertung pädagogisch-psychologischer StudienEine Einführung. 3. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 2013, 313 Seiten, ISBN 978-3-8252-8518-0, € 24.99

Detlef H. Rost · Josef Thonhauser

Online publiziert: 10.08.2013 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Univ.-Prof. i. R. Mag. Dr. J. Thonhauser () · D. H. RostAkademiestraße 26,5020 Salzburg, ÖsterreichE-Mail: [email protected]

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die Gefahr hin, dass einige Leser/innen daraufhin das Buch (vorübergehend) erbost aus der Hand legen.0 „Nicht selten fehlen Kompetenzen, empirische Arbeiten zu analysieren und zu

bewerten. Unzureichende statistisch-methodische Kenntnisse werden vornehm hin-ter sogenannter qualitativer Forschung versteckt. … Qualitative Forschung ist ein Unsinnswort [sic!] – auch wenn es zwischenzeitlich eine Reihe von Lehrbüchern die-ses Titels gibt … – In der Forschung wird mit quantitativen oder qualitativen Metho-den oder – wie ich meine – zumeist beiden gearbeitet.“ (S. 9 f.)

0 „Der Entwicklungspsychologe Fritz J. Murks [einer von mehreren von Rost erfun-denen Pseudonymen, hier die Verballhornung von Mönks, J. T.], ein Deutscher, ein pensionierter Professor einer ausländischen Universität, schreibt seit Jahren Artikel über Hochbegabung … Das empirische Arbeiten hat er schon vor vielen Jahren an den Nagel gehängt und zitiert in extenso seine eigenen Modellvorstellungen. Er vermei-det es peinlichst darzustellen, dass es noch andere Forschungsarbeiten gibt, die mit solider Forschungsmethodik Wichtiges zum Gegenstandsbereich beigebracht haben.“ (S. 68)

0 „In der renommierten naturwissenschaftlichen Fachzeitschrift … Neuroscience Let-ters haben Rauscher, Shaw und Ky, auf lächerlich kleinen Stichproben basierend, berichtet, sie hätten den Mozarteffekt entdeckt. Frau Rauscher will belegt haben, das Hören einer bestimmten D-Dur Klaviersonate für vier Hände von Mozart (KV 448) steigere die Intelligenz, speziell die Raumvorstellung. … Die Öffentlichkeit hat diese Effekte begierig aufgesogen, in den USA ist eine riesige Welle kommerzieller Ver-marktung losgetreten worden, schon Schwangere beschallen sich mit Mozartmusik in der Hoffnung die Intelligenz ihres ‚Fötus‘ (und ihre eigene?) zu fördern. So preiswert ist noch nie ein Nürnberger Trichter auf den Markt geworfen worden.“ (S. 53)1

Auch bekannte (und in der empirischen Erziehungswissenschaft geschätzte Kolleg/inn/en werden – da ist Rost konsequent – ggf. nicht geschont, z. B. Jürgen Baumert (S. 15); auch Behörden, z. B. das BMBW (S. 31) und die Verwaltung seiner Universität, die zwar Forschung, nicht aber das Publizieren als zu seinen Dienstpflichten gehörig festlegen wollte (S. 274), bekommen nötigenfalls ihr Fett ab.

Für die im Titel versprochene „Bewertung pädagogisch-psychologischer Studien“ hat Rost ein spezielles Instrument vorgesehen: eine aus 166 Entscheidungsfragen bestehende checklist, aufgeteilt auf die Kapitel Problemdarstellung, Methodik, Ergebnisse, Diskus-sion und Literaturverzeichnis (zwischen S. 37 und 267 und nochmals – leicht verändert – in Anhang 2, S. 314 ff.). Diese Fragen gelten allen (m. E. zum Teil über eine Einführung hinausreichenden) Themen, die in den angeführten Kapiteln behandelt werden, das heißt im Einzelnen:0 Grundsätzliches über wissenschaftliches Arbeiten (z. B. forschungsethische Aspekte,

S. 60 ff., mit vielen, auch brandaktuellen Beispielen; oder Bedeutung und Funktion von Theorien, S. 19 ff. und – wenn auch nur sehr kurz – S. 54; Umgang mit wissen-schaftlichem Fehlverhalten, S. 318 ff.)

177Interpretation und Bewertung pädagogisch-psychologischer Studien

0 Grundbegriffe (Operationalisierung, Hypothesen, Kausalität und Korrelation, Objek-tivität, Reliabilität und Validität, Skalentypen, Signifikanz und Effektstärke, Alpha- und Beta-Fehler, abhängige und unabhängige Variable u. a. m.)

0 Erhebungs- und Auswertungsmethoden (Meta-Analysen, nicht-reaktive Verfahren, Versuchspläne, Beobachtung, Inhaltsanalyse, Fragebogen, Interviews, Stichproben-typen und -mängel, Normwerte, Feld- und Laboruntersuchungen, Querschnitt- und Längsschnitt-Untersuchungen, Varianz-, Kovarianz- und Faktorenanalyse sowie parametrische und nichtparametrische Verfahren, Umgang mit fehlenden Daten)

Es versteht sich von selbst, dass die vergleichsweise kurzen Darstellungen in diesem überblickhaften Kontext spezielle Studien nicht zu ersetzen vermögen, geschweige denn ggf. eine praktische Anwendung. Zahlreiche annotierte Hinweise auf hilfreiche Literatur schaffen dafür Gelegenheit. Ein ausführliches Stichwortregister (S. 327–336), das grund-sätzlich bei keinem guten Lehrbuch fehlen sollte, erleichtert das (Wieder-)Auffinden der Darstellungen oben angeführter Themen. Im speziellen Fall mag es zudem über einige strukturelle Eigenwilligkeiten des Buches (z. B. dass die Skalentypen sowie Spezifische Analysen und Verfahren erst im Kapitel „Ergebnisse“ behandelt werden) hinweg hel-fen. Warum der Begriff Interpretation – einschlägige Ausführungen beschränken sich auf die (fehlende) Interpretationsobjektivität (S. 175 f.) – für den Titel des Buches gewählt wurde, blieb mir allerdings bis zum Schluss ein Rätsel, zumal er Assoziationen zu einem Paradigma sozialwissenschaftlichen Forschens wachruft, für das sich Detlef H. Rost sicher nicht einsetzen will. Vielleicht hätte „Interpretierbarkeit“ den von ihm intendierten kritischen Aspekt besser getroffen.

Fazit Ich hoffe, alle, die als Studierende unmittelbar oder als Lehrende mittelbar als Benützer/innen des Buches in Betracht kommen, fühlen sich ausreichend über das Buch informiert, so dass sie nun selbstständig entscheiden können, in welchen Situationen bzw. bei welchen Aufgaben sie für sich aus dem rezensierten Buch Nutzen ziehen könnten.

Anmerkung

1 „Preiswert“ ist allerdings relativ zu verstehen, das Geschäft mit behaupteten, aber nicht nachgewiesenen Effekten ist international verbreitet: Im Rahmen einer (gar nicht preiswer-ten) Therapie zur Förderung der Konzentration versuchte mir die Therapeutin eines Schülers (in Salzburg!) weiszumachen, Mozarts Musik für Holzblasinstrumente „aus seiner mittleren Schaffensperiode“ habe sich in Begleitung der Übungen als besonders förderlich erwiesen. Auf meine Nachfrage konnte sie mir – auch unter Zuhilfenahme einschlägiger Unterlagen – kein einziges Werk konkret nennen, geschweige denn eine stilistische Begründung geben.