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Interpretationen Deutsch - Kehlmann: Die Vermessung der Welt · hinter sich und wird in Amerika ein neues Leben beginnen. Doch Eugen nimmt seine Vergangenheit mit, denn er wird einerseits

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Page 2: Interpretationen Deutsch - Kehlmann: Die Vermessung der Welt · hinter sich und wird in Amerika ein neues Leben beginnen. Doch Eugen nimmt seine Vergangenheit mit, denn er wird einerseits

Inhalt

Vorwort

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Der Autor und die Entstehung des Romans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1 Der Autor Daniel Kehlmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

2 Zur Entstehung des Romans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

3 Kurzbiografien der historischen Vorbilder Gauß und Humboldt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

Inhaltsangabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Textanalyse und Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

1 Aufbau und Handlungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

2 Charakteristik und Konstellation der Hauptfiguren . . . . . . . . . 29

3 Zum Verhältnis von Wirklichkeit und Fiktion . . . . . . . . . . . . . . . 55

4 Erzählstil und sprachliche Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

5 Zentrale Themen und Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

• Ordnung, „Deutschsein“ und Weimarer Klassik . . . . . . . . . . 64

• Altern, Vergänglichkeit und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

• Genialität und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

• Aufklärung und Aberglaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

6 Interpretation von Schlüsselstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

Rezeption und Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

Autorin: Nicole Spitzley

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Vorwort

„Von Ihnen habe ich noch nie gehört.“ Daniel Kehlmann hatte bereits sein drittes Buch veröffentlicht, als ihm dies auf einer Lesereise von einem Mann vorgeworfen wurde, der von sich sagte, er beschäftige sich mit deutscher Gegenwartsliteratur. Diese Zeiten sind seit 2005 vorbei. In diesem Jahr erschien sein

sechstes Buch, Die Vermessung der Welt, und machte Daniel Kehlmann beinahe über Nacht zu einem der prominentesten und erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart. Bis Juli 2010 wurde allein die deutsche Ausgabe des Romans knapp zwei Millionen Mal verkauft, weltweit kommen noch 250 000 Exemplare des in 40 Sprachen übersetzten Werks dazu.

Diese Interpretationshilfe hilft Ihnen bei der Auseinanderset-zung mit Daniel Kehlmann und seinem bisher bekanntesten Werk. Sie unterstützt Sie bei der Vorbereitung auf Unterricht und Prüfungen zu diesem Thema.

Nach einer kurzen Einführung erhalten Sie zunächst Informa-tionen über den Autor und sein Gesamtwerk, bevor der Fokus auf die Entstehung der Vermessung der Welt gerichtet wird.

Anschließend finden Sie eine Inhaltsangabe, die die Hand-lung des Romans kapitelweise zusammenfasst; eine grafische Übersicht ermöglicht Ihnen eine rasche Orientierung im Text. Daran anknüpfend beginnt das Kapitel „Textanalyse und Inter-

pretation“ mit der genaueren Betrachtung des Aufbaus und

der Handlungsstruktur. Es folgt die Charakterisierung der

Hauptfiguren, die jeweils für sich genommen, in ihrer Bezie-hung zu anderen und im Vergleich betrachtet werden. Bei der Analyse der literarischen Form und der im Roman verwen-deten Sprache wird deutlich, dass Daniel Kehlmann in beiden Bereichen Neues gewagt hat. Abschließend werden zentrale

Motive und Themen in den Blick genommen, die trotz der Homogenität des Romans erstaunlich weit gefächert sind: Sie erstrecken sich von historischen Themen wie „Aufklärung“ und

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„Weimarer Klassik“ bis zu zeitlosen Motiven wie „Vergänglich-keit“ oder „Genialität“. Auf mögliche Prüfungen bereiten insbe-sondere die Interpretationen dreier Schlüsselstellen vor, von denen sich die erste näher mit Gauß, die zweite mit Humboldt und die dritte mit beiden beschäftigt.

Für ein erst wenige Jahre altes Werk ist die Rezeptions-

geschichte der Vermessung der Welt beachtlich: Davon zeugen nicht nur die hohen Verkaufszahlen und die zahlreichen litera-turkritischen Besprechungen, sondern auch Theateraufführun-gen und geplante Verfilmungen.

Vervollständigt wird die Interpretationshilfe durch Literatur-

hinweise, die Ihnen eine wertvolle Hilfe bei einer weitergehen-den, selbstständigen Beschäftigung mit dem Werk sein können.

Nicole Spitzley

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Textanalyse und Interpretation

1 Aufbau und Handlungsstruktur

Der Roman besteht aus 16 Kapiteln unterschiedlicher Länge. Die Kapitel-Titel hingegen sind stets gleich aufgebaut. Sie bestehen jeweils aus einem Nomen im Singular mit seinem bestimmten Artikel. Dies erinnert an ein Sachbuch oder an ein Lexikon. Die Begriffe entstammen unterschiedlichen Gebieten. Während bei den alternierenden Kapiteln, die sich abwechselnd Gauß und Humboldt widmen, Bereiche der Natur bzw. der Naturwissen-schaft dominieren, finden sich bei den späteren Kapiteln auch Wörter aus dem familiären und sogar aus dem übernatürlichen Bereich (vgl. Interpretationshilfe, S. 25 f.). Dies steht im Zusam-menhang mit dem chronologischen Aufbau des Romans: Zu Be-ginn des Forscherlebens steht die Naturwissenschaft im Mittel-punkt, später gewinnen auch die anderen Bereiche an Bedeutung.

Der Roman lässt folgende Grundstruktur erkennen: Die Kapitel 1 („Die Reise“) und Kapitel 11 („Der Sohn“) spannen einen Rahmen um die dazwischenliegenden. Diese Binnen-kapitel enthalten eine lange Rückwendung: Sie schildern ab-wechselnd die Vorgeschichten zu den in den Rahmenkapiteln zusammentreffenden Figuren Humboldt und Gauß. Diese alter-nierende Erzählung bildet den größeren Teil des Romans, denn erst nach zwei Dritteln des Textes schließt sich der Rahmen zum ersten Kapitel. Ab Kapitel 11 wird die Verbindung der beiden Protagonisten in Struktur und Inhalt nicht mehr aufgelöst. Ihre weiteren Lebensgeschichten werden gemeinsam dargestellt. Rahmende Funktion erhalten hier nun Kapitel 12 („Der Vater“) und Kapitel 16 („Der Baum“), da deren Hauptfigur im Unter-

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28 r Textanalyse und Interpretation

schied zu allen anderen Kapiteln Gauß’ Sohn Eugen ist. In Kapitel 12 tritt er als Befürworter der neuen Ideale der Freiheit auf, wird dafür aber (noch) verhaftet. In Kapitel 16, dem letzten Kapitel, wird er positiver dargestellt. Er lässt den alten Kontinent hinter sich und wird in Amerika ein neues Leben beginnen. Doch Eugen nimmt seine Vergangenheit mit, denn er wird einerseits seinem Vater Gauß ähnlicher und tritt andererseits auf Teneriffa in die Fußstapfen Humboldts. Unter diesen Gesichtspunkten bildet dieses letzte Kapitel eine Synthese, da Eugen Eigen-schaften der Hauptfiguren der vorangegangenen Kapitel in sich vereint. Diese Synthese wird bereits im 15. Kapitel vorbereitet, in dem Humboldt und Gauß durch Briefe, Träume und schließ-lich sogar durch Telepathie in Kontakt stehen. Die Figur Eugen führt die Handlung in die Zukunft: Anders als Humboldt wird er als Verbannter nicht in die „alte Welt“ zurückkehren können. Obwohl der Schluss prinzipiell offen gehalten ist, stimmt das Romanende mit seinem Aufbruch nach Amerika optimistisch.

Schematische Übersicht zur Romanstruktur

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2 Charakteristik und Konstellation der Hauptfiguren

Bereits der alternierende Aufbau des ersten Teils des Romans stellt Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß einander unmittelbar gegenüber. Die beiden sind gleichrangige Hauptfiguren, auch wenn Humboldt ein Kapitel mehr gewid-met ist und auch innerhalb der gemeinsamen Kapitel ausführ-licher über ihn erzählt wird.

Die wichtigsten Nebenfiguren auf der Seite Alexanders von Humboldt sind dessen Bruder Wilhelm und sein Reisebegleiter Aimé Bonpland, auf der Seite von Gauß seine Mutter und sein Sohn Eugen. Seinem älteren Bruder Wilhelm wird Alexander vor allem in dessen Kindheit gegenübergestellt. In der Kindheit von Gauß, aber auch darüber hinaus ist die zentrale familiäre Bezugsperson seine Mutter, die durch ihre Verschiedenheit eine Kontrastfolie für die zweite Hauptfigur darstellt. Sowohl Wilhelm von Humboldt als auch Gauß’ Mutter stehen bis zum Ende des Romans in Beziehung zu den Hauptfiguren.

Zusätzlich werden beide Protagonisten von ihren jeweiligen (akademischen) Lehrern geprägt, die sie auf eine wissenschaft-liche Karriere vorbereiten – Humboldt vom Haushofmeister Kunth und Gauß von dem Studenten Martin Bartels.

Die wichtigste Zeit seines Lebens teilt Alexander von Humboldt mit Aimé Bonpland, Gauß ist in wissenschaftlicher Hinsicht hingegen eher ein Einzelgänger. Im Laufe seines Lebens wird aber Gauß’ Sohn Eugen immer häufiger zum Begleiter und gewinnt so an Bedeutung für die Romanhandlung, die er im letzten Kapitel alleine weiterträgt, während Bonpland schon lan-ge handlungsunfähig in Südamerika festsitzt.

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30 r Textanalyse und Interpretation

Alexander von Humboldt

Über das Äußere der beiden Hauptfiguren verrät der Roman-text nicht viel, andere Figuren werden ausführlicher beschrie-ben. Für Kehlmann scheint in Bezug auf seine Protagonisten eher deren Verhalten von Bedeutung zu sein. Humboldt ist aller-dings zumindest korrektes Aussehen sehr wichtig. Er ist nicht so attraktiv wie sein älterer Bruder. Sein Attribut ist im Erwach-senenleben die Uniform, die seine Verbundenheit mit Regeln und Werten der Gesellschaft, aber auch sein Repräsentations-bedürfnis zeigt.

Auf Humboldts Entwicklung haben vor allem seine Her-kunft und seine Erziehung entscheidenden Einfluss. Er wird als der jüngere von zwei Brüdern in eine adlige Familie hinein-geboren. Der Vater verstirbt früh, die Mutter sieht in der Erzie-hung ihrer beiden Söhne ihre wichtigste Aufgabe. Dabei verfolgt sie die höchsten Ziele und fragt sogar Goethe um Rat. Der Haus-hofmeister Kunth wird damit betraut, die Ausbildung der Jungen

zu beaufsichtigen. Es werden die besten Privatlehrer angeheuert. Alexander erhält eine eher mathematisch-naturwissenschaft-liche Ausbildung, sein Bruder Wilhelm hingegen wird mit den geisteswissenschaftlichen Schwerpunkten Literatur, Philosophie und Sprachen unterrichtet.

Alexander hat zunächst Lernschwierigkeiten, ist überhaupt ein schwächliches Kind (vgl. S. 20) und spricht nicht viel. Früh interessiert er sich für die Natur und entwickelt Schemata, um seine Funde zu sortieren. Ordnung gibt ihm ein Gefühl von Sicherheit. Doch Kunth, der Wert auf eine „ganzheitliche“ Erziehung legt, lehrt sie mit Hilfe von Schauergeschichten auch „metaphysische Angst“ (S. 21) und achtet auf ihre „Herzens-bildung“ (S. 23), indem sie in Henriette Herz’ Salon verkehren. Als die Brüder eine Geschichte über Aguirre lesen, beschließt Humboldt bereits, an den Orinoko zu reisen und eine Karte dieses Gebietes anzulegen.

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Nachdem er wenig später nur knapp die Folgen eines Ein-bruchs ins Eis des Schlosstei-ches überlebt, zu dessen Betre-ten ihn sein Bruder verleitet hat, entwickelt Humboldt Ehrgeiz und Zielstrebigkeit beim Ler-nen. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass sich Alexander, der spätere Natur-wissenschaftler, die Menschen durchaus als Maschinen vor-stellen kann, während sein eher kulturwissenschaftlich interes-sierter Bruder auf die Seele ver-weist (vgl. S. 24). Die Gleichzeitigkeit von Nähe und Ver-schiedenheit der Brüder wird vor allem in einem späteren Briefentwurf Alexanders deutlich, als er sein Studium nach kurzer Zeit beendet und es bereits bis zum Bergwerksinspektor gebracht hat:

Unsere Brüderlichkeit, […] wieso erscheint sie mir als das

eigentliche Rätsel? Daß wir allein sind und verdoppelt, daß Du

bist, was ich nicht werden soll, und ich bin, was Du nicht sein

kannst, daß wir zu zweit durchs Dasein müssen, einander, ob

wir wollen oder nicht, für immer näher als jedem anderen. Und

wieso vermute ich, daß unsere Größe folgenlos bleiben und,

was wir auch vollbringen, dahinschwinden wird, als wäre es

nichts, bis unsere gegeneinander gewachsenen Namen wieder

zu einem verschmolzen, verblassen werden? (S. 33 f.)

Zwar haben der Orakelspruch Goethes und die Interpretation durch Kunth (vgl. S. 19 f.) die natürliche Konkurrenzsituation von Brüdern unnatürlich verschärft, doch zeugt der Brief den-noch von einer starken persönlichen Nähe.

Alexander von Humboldt (1769 –1859) in jungen Jahren (Selbstporträt)