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Zur Person Otthein Herzog, Jahrgang 1944, studierte bis 1972 angewandte Mathematik in Bonn. Anschließend wechselte er an die Universita ¨t Dortmund und arbeitete als wissenschaftli- cher Assistent am Lehrstuhl Informatik I bei Prof. Reusch. Er promovierte 1976 u ¨ber das Thema „Zur Analyse der Kontrollstruktur ne- benla ¨ufiger Programme mit Hilfe von Petri- Netzen“. Ein Jahr spa ¨ter wechselte er zu IBM nach Bo ¨blingen in die Entwicklung. Nach ei- ner langja ¨hrigen Ta ¨tigkeit als Projektleiter und Manager in der Systementwicklung war er Assistent der Gescha ¨ftsfu ¨hrung und gru ¨n- dete im Anschluss daran das IBM Institut fu ¨r Wissensbasierte Systeme in Stuttgart. Dort begann er das Projekt LILOG (LInguistische und LOGische Methoden zur Maschinellen Verarbeitung der deutschen Sprache). Im Jahr 1988 wurde er Leiter des Instituts fu ¨r Wissensbasierte Systeme des Wissenschaftli- chen Zentrums der IBM in Heidelberg und Stuttgart. 1991 wechselte er in die Software- entwicklung nach Sindelfingen und erstellte Repositories fu ¨r industrielle Anwendungen sowie ein Volltext-Retrievalsystem. 1993 nahm er einen Ruf auf den Lehrstuhl fu ¨r Ku ¨nstliche Intelligenz an die Universita ¨t Bre- men an. WI: Herr Herzog, was hat Sie vor zehn Jahren bewogen, die IBM zu verlassen? Herzog: Es hat mich gereizt, einmal auf die andere Seite des Zauns zu gehen, nachdem ich im Institut fu ¨ r Wissensbasier- te Systeme von der Industrieseite her nahe an der Forschung gewesen war. In Bre- men habe ich dann eine Forschungsgrup- pe aufgebaut, die schon nach kurzer Zeit 20 Mitarbeiter hatte. Danach gru ¨ ndete ich das Technologiezentrum Informatik (TZI), das auf u ¨ ber 110 Mitarbeiter anstieg. In dieser Zeit wurde ich u. a. in den Beirat der Firma Lenze berufen. Ende des Jahres 1999 boten mir die Gesellschafter dieser Firma an, Mitglied der Gescha ¨ftsfu ¨ hrung zu werden. Dies habe ich mir reiflich u ¨ berlegt. Nach intensiven Gespra ¨chen mit der Universita ¨t beurlaubte mich diese fu ¨r fu ¨ nf Jahre. So wurde ich Mitglied der Ge- scha ¨ftsfu ¨ hrung der Firma Lenze mit dem Verantwortungsbereich Entwicklung und Datenverarbeitung. Der Aufgabenbereich der Entwicklung fa ¨ngt bei Elektromoto- ren an und geht u ¨ ber mechanische Getrie- be und elektronische Antriebsregler bis hin zu der Software, die Systemlo ¨ sungen mit Hilfe dieser Komponenten implemen- tiert. WI: Wurde der Kontakt zur Firma Lenze u ¨ ber Projekte initiiert? Herzog: Nein, Lenze wurde auf mich auf- merksam, da sie einen kompetenten An- sprechpartner fu ¨ r Software im Beirat haben wollten. WI: Was war die Motivation des Unterneh- mens, Sie als Wissenschaftler in eine Linien- position zu berufen? WIRTSCHAFTSINFORMATIK 45 (2003) 4, S. 449 452 TZI Technologie-Zentrum Informatik, Fachbereich Mathematik und Informatik, Universita ¨t Bremen, Universita ¨ts- allee 21 23, 28359 Bremen, Tel. 0421 218-7272, Fax 0421 218-7820, E-Mail: [email protected] Interviewt von Armin Heinzl und Wolfgang Ko ¨nig Prof. Dr. Armin Heinzl, Universita ¨t Mannheim, Lehrstuhl fu ¨r Wirtschaftsinformatik I, Schloss, S 220, 68131 Mannheim, E-Mail: [email protected]; Prof. Dr. Wolfgang Ko ¨nig, Universita ¨t Frankfurt, Institut fu ¨r Wirtschaftsinformatik, Mertonstr. 17, 60054 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Otthein Herzog Interview mit Otthein Herzog u ¨ber „Streifzu ¨ge zwischen Wissenschaft und Praxis“ WI – Interview

Interview mit Otthein Herzog über : „Streifzüge zwischen Wissenschaft und Praxis“

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Zur Person

Otthein Herzog, Jahrgang 1944, studiertebis 1972 angewandte Mathematik in Bonn.Anschließend wechselte er an die UniversitatDortmund und arbeitete als wissenschaftli-cher Assistent am Lehrstuhl Informatik I beiProf. Reusch. Er promovierte 1976 uber dasThema „Zur Analyse der Kontrollstruktur ne-benlaufiger Programme mit Hilfe von Petri-Netzen“. Ein Jahr spater wechselte er zu IBMnach Boblingen in die Entwicklung. Nach ei-ner langjahrigen Tatigkeit als Projektleiterund Manager in der Systementwicklung warer Assistent der Geschaftsfuhrung und grun-dete im Anschluss daran das IBM Institut furWissensbasierte Systeme in Stuttgart. Dortbegann er das Projekt LILOG (LInguistischeund LOGische Methoden zur MaschinellenVerarbeitung der deutschen Sprache). ImJahr 1988 wurde er Leiter des Instituts furWissensbasierte Systeme des Wissenschaftli-chen Zentrums der IBM in Heidelberg undStuttgart. 1991 wechselte er in die Software-entwicklung nach Sindelfingen und erstellteRepositories fur industrielle Anwendungensowie ein Volltext-Retrievalsystem. 1993nahm er einen Ruf auf den Lehrstuhl furKunstliche Intelligenz an die Universitat Bre-men an.

WI: Herr Herzog, was hat Sie vor zehnJahren bewogen, die IBM zu verlassen?

Herzog: Es hat mich gereizt, einmal aufdie andere Seite des Zauns zu gehen,nachdem ich im Institut fur Wissensbasier-te Systeme von der Industrieseite her nahean der Forschung gewesen war. In Bre-men habe ich dann eine Forschungsgrup-pe aufgebaut, die schon nach kurzer Zeit20 Mitarbeiter hatte. Danach grundete ichdas Technologiezentrum Informatik (TZI),das auf uber 110 Mitarbeiter anstieg. Indieser Zeit wurde ich u. a. in den Beiratder Firma Lenze berufen. Ende des Jahres1999 boten mir die Gesellschafter dieserFirma an, Mitglied der Geschaftsfuhrungzu werden. Dies habe ich mir reiflichuberlegt. Nach intensiven Gesprachen mitder Universitat beurlaubte mich diese furfunf Jahre. So wurde ich Mitglied der Ge-schaftsfuhrung der Firma Lenze mit demVerantwortungsbereich Entwicklung undDatenverarbeitung. Der Aufgabenbereichder Entwicklung fangt bei Elektromoto-ren an und geht uber mechanische Getrie-be und elektronische Antriebsregler bishin zu der Software, die Systemlosungenmit Hilfe dieser Komponenten implemen-tiert.

WI: Wurde der Kontakt zur Firma Lenzeuber Projekte initiiert?

Herzog: Nein, Lenze wurde auf mich auf-merksam, da sie einen kompetenten An-sprechpartner fur Software im Beirat habenwollten.

WI: Was war die Motivation des Unterneh-mens, Sie als Wissenschaftler in eine Linien-position zu berufen?

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 45 (2003) 4, S. 449–452

TZI Technologie-Zentrum Informatik,Fachbereich Mathematik und Informatik,Universitat Bremen, Universitats-allee 21–23, 28359 Bremen,Tel. 0421 218-7272,Fax 0421 218-7820,E-Mail: [email protected]

Interviewt von

Armin Heinzlund Wolfgang Konig

Prof. Dr. Armin Heinzl,Universitat Mannheim,Lehrstuhl fur Wirtschaftsinformatik I,Schloss, S 220, 68131 Mannheim,E-Mail: [email protected];Prof. Dr. Wolfgang Konig,Universitat Frankfurt,Institut fur Wirtschaftsinformatik,Mertonstr. 17,60054 Frankfurt am Main,E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. Otthein Herzog

Interview mit Otthein Herzog uber„Streifzuge zwischen Wissenschaftund Praxis“

WI – Interview

Herzog: Die Gesellschafter der Firma Len-ze hatten erkannt, dass Software immerwichtiger fur sie und letzten Endes fur dieFirmenziele entscheidend sein wurde. Dakeine explizite Softwarekompetenz in derGeschaftsfuhrung vorhanden war, habensie sich danach umgesehen und sind so aufmich gestoßen.

WI: Wie sind die Universitat und das LandBremen mit diesem Angebot umgegangen?

Herzog: Sehr fair. Die Auflagen waren,dass ich weiterhin meine Doktoranden be-treue und eine Wochenstunde Lehre anbie-te. Auch sollte ich beratend im TZI tatigbleiben, damit die Kontakte nicht auf Nullzuruckgefahren werden. Außerdem habeich in dieser Zeit fur Lenze eine Software-firma in Bremen gegrundet. Das war dortnaturlich auch gern gesehen.

WI: Was war fur Sie die Motivation, diePosition bei Lenze anzunehmen? Sie kann-ten die Praxis doch aus 16 Jahren Arbeitbereits hinreichend gut und waren „erst“6 Jahre an der Universitat gewesen . . .

Herzog: Ja sicher, aber eine Geschaftsfuh-rungsposition ist naturlich eine große He-rausforderung. Außerdem lief das TZInach der Aufbauphase fast reibungslosund war sozusagen abgehakt. Die neueHerausforderung, Softwareaspekte in dieFuhrung einer mittelstandischen Firmamit damals 600 Millionen DM Umsatzeinzubringen, hat mich sehr gereizt. Eswar fur mich zudem klar, dass Lenzestark in neue Technologien investierenwill. Dies hat die Tatigkeit noch interes-santer fur mich gemacht, zumal ich meinEngagement als ganzheitliche Aufgabe ge-sehen habe: alle Softwarestrukturen vonder Datenverarbeitung bis hin zur Soft-wareentwicklung zu vereinheitlichen undauf einen gemeinsamen Nenner zu brin-gen.

WI: Was produziert Lenze?

Herzog: Das Produktspektrum umfasstElektromotoren, mechanische Getriebe,elektronische Umrichter, Servoregler, Soft-ware fur diese Gerate und fur PCs, um denEntwicklungsprozess von Automatisie-rungsanlagen zu unterstutzen. In den Ser-voreglern ist eine speicherprogrammierteSteuerung (SPS) eingebaut. Das ist eine Be-sonderheit, die Lenze als erste Firma inden Markt gebracht hat. Lenze hat dafursogar ein eigenes Betriebssystem ent-wickelt, auf dem eigene Anwendungspro-gramme laufen konnen.

WI: Erhalt der Kunde damit einen Gradder Individualitat, den andere Konkurren-ten nicht bieten konnten?

Herzog: . . . den andere nur uber Funk-tionsblocke bieten konnten. Die Anwen-dungen, die dort laufen, unterliegen hartenEchtzeitanforderungen. Um diese realisie-ren zu konnen, benutzt man relativ kleineProzessoren und sehr wenig Speicher imVergleich zu einem PC. Die benotigtenFunktionen mussen mit stark einge-schrankten Ressourcen implementiert wer-den.

WI: Bei Lenze ist es offenbar reizvoll gewe-sen, in der Geschaftsfuhrung tatig zu sein.Nun gibt es auch andere Modelle der Pra-xisbetatigung. Andere Kollegen grundenbeispielsweise eine eigene Beratungsfirma,ein Software- oder ein Systemhaus. HattenSie uber diese Moglichkeiten nachgedacht?

Herzog: Ja, aber ich habe mich dafur ent-schieden, das TZI innerhalb der Univer-sitat zu grunden. Ich konnte es nicht ver-antworten, die Universitat zu schwachen,indem man Leute aus der Universitat in ei-ne Firma oder ein Institut auslagert. Bisjetzt hat es mit dem TZI innerhalb derUniversitat gut funktioniert. Wenn Sie soeine Einrichtung aufbauen, haben Sie keinefreie Minute mehr, um noch zusatzlich eineeigene Firma zu grunden und zu betreiben.

WI: Sehr haufig ist es eine Frage der Rah-menbedingungen, vor allem auch der An-reizstrukturen, ob in dieser Form das Wohlder Fuhrungskrafte und Mitarbeiter be-rucksichtigt wird. Hatten Sie dort hinrei-chend Moglichkeiten, als Unternehmer zuagieren und entsprechende Anreizstruktu-ren fur die Mitarbeiter bzw. fur Sie selbstzu schaffen oder wurde Ihnen ein engesKorsett angelegt?

Herzog: In Bremen gibt es ein relativ engesKorsett, z. B. durch die Bedingungen furNebentatigkeiten. Die Beschrankungensind zwar inzwischen etwas aufgeweitetworden, sind aber immer noch spurbar. Esgibt alle moglichen Spielarten in diesemBereich, aber man kann auch beobachten,dass viele Aktivitaten von der eigentlichenAufgabe als Professor ablenken. Man kannnaturlich sagen, dass man seine Forschungin der Firma macht. Es gibt jedoch auchKollegen, die keine Zeit mehr haben furdie Forschung und nur noch ihre Firma imNacken haben. Wenn die eigene Existenzmehr von der Firma abhangt als vom Pro-fessorengehalt, dann verschieben sich wohlmanche Proportionen.

WI: Aber wenn man auf der anderen Seiteversucht, Institute mit einer dreistelligenZahl an Mitarbeitern aufzubauen, konnteman auch passende Anreizstrukturen er-warten. Wir kennen aus anderen Bundes-landern Beispiele, bei denen die Leitunguniversitarer An-Institute offiziell im Ne-benamt durchgefuhrt wird und zusatzlicheEinkommen an Drittmittelumsatze gekop-pelt sind.

Herzog: Das kenne ich in Bremen bishernicht. Es gibt immer wieder mal �berle-gungen in diese Richtung und ich denkeauch, dass man langfristig bei einer solchenStruktur ansetzen muss. Die Mitarbeiter insolchen Instituten bringen vollen Einsatz,um ihre Projekte durchfuhren zu konnen.Das TZI besitzt beispielsweise Manage-mentstrukturen mit Geschaftsfuhrern furdie einzelnen Bereiche. Diese leisten einewunderbare Arbeit fur lediglich eine Ent-lohnung nach BAT Ib. Hier hat man defacto keine Chancen, den hohen Einsatzmonetar auszugleichen. In diesem Bereichmuss man sicher noch etwas tun.

WI: Wie wurden Sie im Nachhinein die Sy-nergien einschatzen, die der Firma Lenzedurch das von Ihnen gegrundete Institutentstanden sind?

Herzog: Da gibt es ein hervorragendes Bei-spiel. Als ich noch im Beirat von Lenzewar, kam dort der Wunsch auf, ein Kon-figurationssystem fur die Produkte und dieangebotenen Losungen zu haben. Hierfurhabe ich im TZI die Technologie ent-wickelt. Als ich dann zu Lenze ging, wardie Technologie gerade fertig und es wurdedie Adaption an die Lenze-Anwendungvorgenommen. Dies war eine hervorragen-de Synergie und naturlich auch ein schonesProjekt, das ich zum Einstieg hatte. Wirhaben ubrigens von der American Associa-tion for Artificial Intelligence den De-ployed Application Award fur dieses Pro-dukt bekommen. Inzwischen vertreibtLenze diese Technologie auch.

WI: Es gibt in Deutschland große Unter-nehmen, die viele Mitarbeiter entlassen.Man konnte vermuten, dass diese fruherviele Forschungsaufgaben selbst durch-gefuhrt haben, die dann aber im Laufe derZeit wegrationalisiert wurden. Aus diesenGrunden musste der Bedarf nach Koope-rationen mit Universitaten eigentlich gro-ßer werden. Das ist aber nicht der Fall. DieFirmen entlassen lieber 5% ihrer Mitarbei-ter, anstatt sich rechtzeitig um solche Ko-operationen zu bemuhen. Ist das auch IhrEindruck?

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Herzog: Das ist ein uraltes Problem. Wieviel Forschung und Entwicklung erbringtman im eigenen Haus und was kannman auslagern? Eine Firma kann es sichnicht leisten, die Forschung zu stark aus-zulagern, weil es sich dabei um zukunf-tige Kernkompetenz handelt. Man mussparallel eigene Kompetenz aufbauen, unddas wird unter Umstanden dann zuteuer.

Aber was es in Deutschland relativ weniggibt – und da macht Lenze sicherlich eineAusnahme – ist die Kooperation mit Uni-versitaten und Fachhochschulen. Das liegtdaran, dass Firmen ihre Produktplane imstillen Kammerchen ohne externen Sach-verstand erstellen. Da hakt es. Ist ein Pro-duktplan einmal fertig, ist in den seltenstenFallen noch Einfluss von außen moglich.Naturlich weiß ein Entwicklungsleiter,dass er fur ein bestimmtes Produkt einenRegelungsalgorithmus braucht, der an ei-ner Universitat entwickelt wurde und dener in die Produktplanung einbauen muss.Aber speziell die strategischen Plane wer-den ohne Konsultation von außen ent-wickelt.

WI: Wie viel Universitatsunterstutzung ha-ben Sie als Entwicklungsleiter gesucht?

Herzog: Wir haben wahrend meiner Zeitbei Lenze das Projekt mit dem TZI weitergefuhrt und einige Projekte mit Universita-ten und Fachhochschulen angestoßen. Au-ßerdem waren wir in zwei BMBF-Projek-ten involviert. Insgesamt gab es einegroßere Anzahl von Impulsen durch Len-ze, die zu Projekten in Zusammenarbeitmit anderen Institutionen gefuhrt haben.

WI: Woran liegt es Ihrer Meinung nach,dass Unternehmen so wenig auf die Hoch-schulen zur Unterstutzung ihrer Langfrist-strategie zugehen? Haben wir in denHochschulen letztendlich die Leute falschausgebildet?

Herzog: Ich denke, dass man hier zweiFaktoren berucksichtigen muss. Zum einengibt es in deutschen Unternehmen keinewirkliche Tradition, außenstehende Institu-tionen an Langfristplanungen zu beteiligen.Das wird bestenfalls vom Aufsichtsrat be-gleitet. Zum anderen ist, außer bei denKernkompetenzen, oftmals nur mangelhaf-tes Wissen daruber vorhanden, wie und wodie Wissenschaft hilfreich sein konnte. DieDiplomanden, die von uns direkt in dieUnternehmen kommen, haben naturlichnicht den �berblick uber das, was in ihremFachgebiet los ist.

WI: Sie sagen naturlich. Ist das so natur-lich?

Herzog: Die Frage ist, wie man das andernkonnte. Momentan ist das Thema nicht inden Lehrplanen enthalten und es wurde ei-nen großen zusatzlichen Aufwand bedeu-ten, diese Kenntnisse zu vermitteln. Dennwie erhalten wir selbst dieses Wissen? Wirgehen auf Konferenzen, wir treffen andereWissenschaftler, wir engagieren uns in wis-senschaftlichen Gesellschaften, wir lesenwissenschaftliche Zeitschriften und all diesuber eine langere Zeit hinweg. Das sind al-les Tatigkeiten, denen ein Diplomand ubli-cherweise nicht nachgeht. Das kann durch-aus ein Problem darstellen. Wenn man denBlick von Diplomanden erweitern konnte,ware das sicherlich gut. Dagegen nehmeich an, dass promovierte Personen, die inUnternehmen gehen, dieses Wissen mit-bringen.

WI: Es konnte noch eine andere Hypothesegeben, namlich, dass die zunehmendeDienstleistungsorientierung unserer Wirt-schaft an dieser Stelle zu einem Problemwird. Denn welches Dienstleistungsunter-nehmen – Telekommunikationsunterneh-men, Bank, Auskunftei, Medienunterneh-men – hat eigentlich noch eine eigeneForschungsabteilung? Wo wird eigentlichnoch Forschung betrieben?

Herzog: Ja, wobei Sie hier das Problem ha-ben, dass Sie von der Forschung denSchritt zu einem einsetzbaren Software-paket machen mussen, das gewartet undweiterentwickelt wird. Die Forschungs-organisationen sagen dabei immer sehr vor-nehm, dass dies nicht ihre Aufgabe sei.

WI: Gibt es aus Ihrer Sicht noch weitereRestriktionen fur Hochschulen in der Ko-operation mit Unternehmen?

Herzog: Universitaten haben zumindestformal keine Restriktionen, die die Zusam-menarbeit mit Unternehmen verhindern.Ganz im Gegenteil sieht man es im Gegen-satz zu vor zehn Jahren doch sogar gerne,wenn Kooperationen etabliert werden.Speziell in Bremen wird etwa ein Dritteldes Budgets der gesamten Universitat ausDrittmitteln bestritten.

WI: Was konnten die Universitaten außer-dem tun, um solche Strukturen noch besserzu bedienen?

Herzog: Es gibt Ansatze, Kompetenznetz-werke im Internet zu etablieren, in denenman ein „matchmaking“ zwischen Anfra-gen und Kompetenzen vornehmen kann.

Ein guter erster Schritt in diese Richtungist, die eigenen Kompetenzen im Internetso darzustellen, dass sie auch uber eineSuchmaschine auffindbar sind.

WI: Wenn wir zuruckgehen auf Ihre Tatig-keit bei Lenze: Was waren fur Sie die zweiwichtigsten Erfahrungen, die Sie in diesenzwei Jahren gemacht haben?

Herzog: Eine wichtige Erfahrung ist, dasses moglich ist, eine Sache durchzusetzen,wenn man sie ernsthaft verfolgt. Dabeikann man auch in einem eingeschranktenZeitraum etwas erreichen. Die andere Er-fahrung ist, dass die Industrie oft sehrkurzfristig denkt. Man hat zwar eine lang-fristige Strategie, doch dann kommt es zusehr kurzfristigen Implementierungen. Ichsehe auch keinen anderen Weg, um die Ge-schaftsziele zu erreichen. Also das war si-cherlich keine �berraschung fur mich.

WI: Halten Sie diese Form der Zusammen-arbeit fur ein adaquates Modell, gerade inZeiten schlanker Kostenstrukturen zusatz-lich Synergien zwischen Wissenschaft undPraxis auszunutzen?

Herzog: Ich weiß nicht, ob das so viel mitKostenstrukturen zu tun hat. Auf jeden Fallsollte es fur Unternehmen wertvoll sein,neue Kompetenz zu akquirieren – auch zudem Preis einer kreativen Unruhe. Ich haltees auch fur den, der in ein Unternehmengeht – bei allen Risiken, die er dabei natur-lich eingeht – immer fur einen Gewinn.Man gewinnt neue Erfahrungen hinzu, er-wirbt neue Kompetenzen und lauft nichtGefahr, in den Unitrott zu verfallen, in demmanchmal erst im Zeitraum von einem Mo-nat etwas erreicht werden kann.

WI: Weil Sie gerade den Unitrott anspre-chen: Was waren denn bei Lenze fur Sie diegroßten Herausforderungen, denen Sie sichals universitarer Professor stellen mussten?

Herzog: Die großte Herausforderung war,den Schritt von der universitaren Tech-nologieorientierung in Richtung einerKundenorientierung zu schaffen. In derPraxis ist es nicht so wichtig, mit welcherTechnologie ein Produkt implementiertwird, sondern dass das Produkt mit be-stimmten Eigenschaften zu einem guns-tigen Preis konstruiert und vertrieben wer-den kann. Das ist das Wichtigste und dagibt es sicherlich �nderungen im Fokusgegenuber den Schwerpunkten, die manvorher an der Uni hatte.

WI: Aus unserer subjektiven Sicht findeninsbesondere in den Naturwissenschaften

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solche Wanderungen zwischen Wissen-schaft und Praxis haufiger statt. In derWirtschaftsinformatik kann man hier undda Unternehmensgrundungen beobachten,aber es fallen uns spontan wenige Beispieleein, in denen jemand dediziert uber einenlangeren Zeitraum in einer Fuhrungsposi-tion in die Linie geht. Welche Grunde liegenIhrer Meinung nach dafur vor, dass das indieser Disziplin nicht gemacht wird?

Herzog: Es ist sicherlich formal schwierig,von einem Beamtenstatus in einen Ange-stelltenstatus uberzugehen. Dazu kommt,dass man als Professor bzw. Beamter rela-tiv gut sozial abgesichert ist. Dies in denAngestelltenstatus zu ubertragen, erforderteinen relativ hohen finanziellen Aufwand.Bei mir war das eben anders, da ich nur be-urlaubt war. Das hat die ganze Sache uber-haupt erst gangbar gemacht.

WI: Aus den Naturwissenschaften ist unsbekannt, dass das von Ihnen praktizierteVorlaufsmodell genutzt wird, um genaudiese Probleme zu umgehen. Diese Mog-lichkeit hat ja auch prinzipiell jeder undtrotzdem wird selten davon Gebrauch ge-macht. Gibt es dafur tiefere Grunde?

Herzog: Es gibt sicherlich den Grund, dassich sozusagen Anbieter und Kunde bin.Wie viel Professoren sitzen in Aufsichts-raten und haben fast nur dann eine Chance,uberhaupt sichtbar zu werden? Zum ande-ren ist in einer Firma zwar Kompetenz ge-fragt, aber fur ein relativ breites Spektrumvon Aufgaben. Und das ist eine Sache, dieheutzutage bei Professoren nicht mehr soselbstverstandlich ist.

WI: Mit 16 Jahren Praxiserfahrung hatman naturlich eine ganz andere Basis alsein Wissenschaftler, der nach der Promotionin die Habilitation und nach der Habilita-tion in den Hochschullehrerstatus kommt.

Herzog: Ja, fur ihn ist die Unternehmungwie eine schwarze Box, bei der er uber-haupt nicht weiß, wie sie lauft und mit derer typischerweise nicht arbeiten kann.Moglicherweise hat er nicht die notwendi-ge Sozialkompetenz oder einen falschenEindruck, wie man in einer Firma agierensollte. So weiß er moglicherweise nicht,dass weniger strenge Hierarchieregeln,sondern soziale Kompetenz notwendig ist,um etwas zu erreichen oder dass man Fuh-rungsstarke zeigen und trotzdem team-orientiert sein sollte. Das sind alles Aspek-te, die an der Universitat uberhaupt nichtvorkommen.

WI: . . . bzw. nur in begrenzten Ausmaßen.Finden Sie es sinnvoll, darauf zu achten,dass solche Qualifikationen schneller kulti-viert werden?

Herzog: Sie konnen ja nicht per Verord-nung bestimmen, dass so etwas kultiviertwird. Jemand macht es oder macht es nicht.Jeder hat naturlich auch an der Universitateine Chance, in diese Richtung zu arbeiten.Er kann ein Institut aufbauen, er kann sichzusatzlich engagieren. Wer das machenwill, macht es, aber es machen wenige . . .

WI: Mussten diesbezuglich nicht mehr An-reize geschaffen werden? Bisher wird es jaeher als Strafe empfunden, wenn man bei-spielsweise nach einer Habilitation erst ein-mal in die Praxis geht. Wenn man zuruck-kommt, wird man von den Kollegen, dieuber die Berufung befinden, entweder alsuberqualifiziert oder als unbequem einge-stuft.

Herzog: Ja, das hangt naturlich von denKollegen ab, ob sie neue Kompetenz beisich willkommen heißen oder als Storungempfinden.

WI: Es steht zu vermuten, dass man diesesPhanomen von der Verhaltensseite nichtaufbrechen kann. Insofern stellt sich dieFrage, ob man strukturelle Instrumente an-wenden kann, etwa durch Belohnungen in-folge von Hochschulbegehungen und Eva-luationen?

Herzog: Ja, prinzipiell gibt es auch uberleistungsbezogene Gehalter die Moglich-keit, so etwas starker zu fordern. Ich sehejedoch an den Universitaten nicht die ge-eignete Infrastruktur dafur, da es hier nochweniger eindeutige Kriterien fur das Mes-sen von Leistung gibt. Ich habe das bei derIBM fast die ganze Zeit uber erlebt. DasRanking der Mitarbeiter war immer dieharteste Aufgabe jedes Jahr, da es aus-schlaggebend dafur war, wer welche Ge-haltserhohung bekommt. Dabei muss manviele Interessen unter einen Hut bringenund von daher glaube ich, dass das an denUniversitaten im Moment uberhaupt nichtgehen wurde.

WI: Wie hoch ist Ihrer Einschatzung nachder Anteil der Professoren in der ange-wandten Informatik und Wirtschaftsinfor-matik, die durch langere GastaufenthalteKulturelemente der IBM aufgesogen ha-ben?

Herzog: Ich weiß nicht, ob dieser Anteilerheblich ist, aber es gab vor ein paar Jah-

ren ein Treffen, zu dem die IBM alle Pro-fessoren eingeladen hat, die schon einmallanger bei der IBM gewesen waren. Daswaren etwa 50.

WI: Das ist ja ein erheblicher Anteil. Wieist denn die IBM als Unternehmen mitdem Phanomen Forschung umgegangen?Ich selbst [Wolfgang Konig, Anm. d. Red.]war als Post Doctoral Fellow sowohl in SanJose als auch in Yorktown Heights. Dasgibt es in dieser Form heute kaum noch. Ichbin damals gut betreut worden und konntedort interessanten Tatigkeiten nachgehen.Aber die IBM hat das sukzessive einstellenmussen. Was passiert eigentlich in der In-dustrie in diesen forschungsnahen Berei-chen?

Herzog: Das ist naturlich immer die Frage.Ich war gerade ein paar Monate am Natio-nal Institute of Standards und Technologyin den USA. Die machen das genau umge-kehrt wie IBM heute. Die haben ungefahr300 Gastforscher bei 3000 Mitarbeiternund pflegen, ja kultivieren diese Gastfor-scher-Institution. IBM hat naturlich, wieviele andere große Firmen auch, ihre For-schung grundlich restrukturiert und vielmehr an Produktprioritaten ausgerichtet.Das sind heute nicht mehr Akademien derWissenschaften, sondern durchaus sehrzielorientiert gefuhrte „Vorentwicklun-gen“, wenn man es extrem ausdrucken will.Daher ist dort nicht mehr so richtig Platzfur Post Doctoral Fellows. Die sind sehrteuer und dem Sparstift zum Opfer gefal-len. So hat IBM ja auch fast uberall die wis-senschaftlichen Zentren abgebaut.

WI: Wurden Sie den jungeren Kollegen zuregelmaßigen Ausflugen in die Praxis ra-ten?

Herzog: Es gibt nichts Besseres zur Aus-bildung, als tatsachlich einmal in einer an-deren Umgebung zu sehen, wie die Men-schen dort arbeiten. So kann man viellernen.

WI: War es Ihr letzter Streifzug in die Pra-xis?

Herzog: Dazu will ich mich lieber nichtaußern, falls meine Frau das Interview liest. . .

WI: Dann bedanken wir uns ganz herzlichfur dieses Interview!

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