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Interview mit Tarek (Afghanistan) Der Fotograf Tarek (*1968) lebt zwischen zwei Kulturen. Im Alter von zehn Jahren ist er als afghanischer Kriegsflüchtling mit seinem Vater aus Afghanistan nach Pakistan geflüchtet und dann nach Deutschland immigriert. Zu dieser Zeit - am 27.12.1979 - sind in Afghanistan die Russen einmarschiert. Die Russen brachten Sympathisanten des Westens um und ersetzten sie durch ihre eigenen Leute. Sie verfolgten auch seinen Vater, der seine Ausbildung im Westen absolviert hatte und ein Freund des Westens war. Da Tareks Vater eine afghanische Schule mit Deutsch als Fremdsprache besucht hatte und seine Mutter über ein Stipendium am Goethe Institut Berlin Deutsch gelernt hatte, war ihm Deutschland nicht fremd. Trotzdem bedeutete die heimliche Flucht aus Afghanistan der Beginn einer ungewissen Zukunft und die Trennung zu seiner geliebten Großmutter, von der er sich nur schwer verabschieden konnte. 2003 ist Tarek für vier Jahre nach Afghanistan (Kabul) zurück geflogen und erlebte seine Heimat als „Trümmerhaufen“. Bis heute engagiert er sich mit dem Verein „Independent Afghan Women Association“ (IAWA) und als Fotojournalist für sein Herkunftsland, wobei seine Heimat mittlerweile Deutschland geworden ist. 1

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Interview mit Tarek (Afghanistan)

Der Fotograf Tarek (*1968) lebt zwischen zwei Kulturen. Im Alter von zehn Jahren ist er als afghanischer Kriegsflüchtling mit seinem Vater aus Afghanistan nach Pakistan geflüchtet und dann nach Deutschland immigriert. Zu dieser Zeit - am 27.12.1979 - sind in Afghanistan die Russen einmarschiert. Die Russen brachten Sympathisanten des Westens um und ersetzten sie durch ihre eigenen Leute. Sie verfolgten auch seinen Vater, der seine Ausbildung im Westen absolviert hatte und ein Freund des Westens war. Da Tareks Vater eine afghanische Schule mit Deutsch als Fremdsprache besucht hatte und seine Mutter über ein Stipendium am Goethe Institut Berlin Deutsch gelernt hatte, war ihm Deutschland nicht fremd. Trotzdem bedeutete die heimliche Flucht aus Afghanistan der Beginn einer ungewissen Zukunft und die Trennung zu seiner geliebten Großmutter, von der er sich nur schwer verabschieden konnte. 2003 ist Tarek für vier Jahre nach Afghanistan (Kabul) zurück geflogen und erlebte seine Heimat als „Trümmerhaufen“. Bis heute engagiert er sich mit dem Verein „Independent Afghan Women Association“ (IAWA) und als Fotojournalist für sein Herkunftsland, wobei seine Heimat mittlerweile Deutschland geworden ist.

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Redaktion:Als Symbol für das, was deine Geschichte ausmacht, hast du eine Fotografie mitgebracht. Sie zeigt ein Mädchen in Afghanistan mit einem weißen Kopftuch und einer Blume in der Hand. Was bedeutet das Bild für dich und warum steht das für deine Geschichte?

Tarek:Ich bin Fotograf und dieses Bild symbolisiert die Hoffnung, weil das Kind einen direkt anstarrt und eine Blume unter der Nase hält. Das Bild steht für meine Geschichte, weil wir alle Kinder aus Afghanistan sind oder es zumindest zu meinem Schicksal passt. Ich bin ja aus Afghanistan geflüchtet. Und dieses Mädchen, das auf der Fotografie drauf ist, steht symbolisch für alle anderen Kinder Afghanistans.

Redaktion:Und deine Geschichte? Du bist ja bis du zwölf warst in Afghanistan gewesen.

Tarek:Nein. Ich war neun Jahre alt, zehn Jahre bin ich dann geworden. Wir sind dann von Afghanistan aus nach Pakistan geflüchtet. Also ich muss auch dazu sagen, dass meine Mutter und mein Bruder ein Visum bekommen haben und das Land per Flugzeug verlassen konnten. Aber die haben uns halt als Garantie dort behalten, damit der restliche Teil der Familie wieder zurückkehrt. So wie es früher im Osten war, in der DDR, da durfte auch immer nur ein Teil der Familie ausreisen, als Garantie. Mein Vater und ich sind abenteuerlich geflüchtet: Per Fußmarsch sind wir erst nach Peschawar zur Grenze und waren ein halbes Jahr in Pakistan. Wir wollten eigentlich nach Amerika, aber Gott sei Dank sage ich hat uns Deutschland ein Visum gegeben und dann sind wir nach Deutschland gekommen. Redaktion:Magst du kurz erzählen, was du von deinem Aufwachsen in Afghanistan, Kabul, erinnerst und kurz die Hintergründe erläutern, warum ihr euch zu diesem Schritt entschlossen habt?

Tarek:Ich sag’ nur: Die Freizügigkeit, dass Männer und Frauen sich frei bewegen konnten, das gab es. Daoud hat gegen den König einen Putsch versucht. Als Daoud nicht mehr mit den Russen sympathisieren wollte, haben die Russen ihn und seine komplette Familie ausradiert. Und dann kam ein Chaos nach dem anderen: Die Mudschaheddin, die Freiheitskämpfer, hatten sich damals zusammengeschlossen und gesagt: „Wir kämpfen für unsere Unabhängigkeit, weil Afghanistan immer unabhängig war.“ Mein Vater hat in Deutschland studiert und war dem Westen sehr offen. Er hatte auch in Afghanistan eine hohe Position.

Redaktion:Also vor 1978 hatte dein Vater in Deutschland studiert.

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Tarek:Mein Vater hat natürlich immer mit dem Westen sympathisiert, weil er dort auch ausgebildet wurde und studiert hatte. Als die Russen am 27. Dezember 1979 an die Macht kamen, sind sie in Afghanistan einmarschiert. Und davor war es so, dass sie ja schon in den wichtigen Positionen ihre eigenen Leute eingesetzt hatten. Das heißt, dass derjenige, der nicht mit den Russen sympathisieren wollte oder der nicht nach seiner Pfeife getanzt hat, umgebracht wurde. Die Russen haben systematisch Leute umgebracht.Da mein Vater natürlich alles andere als ein Sympathisant der Russen war, stand unser Haus auch unter Beobachtung und es war schon eine sehr bedrohliche Lage. Und dann haben meine Eltern entschlossen, dass es wohl das Beste wäre, wenn wir das Land verließen. Man muss dazu natürlich auch sagen, dass die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Afghanistan immer gut waren und bis heute noch sind.

Redaktion:Erinnerst du dich an den Staatsstreich und an den Einmarsch der Sowjets? Du warst damals ja noch ein kleines Kind. Hast du da konkrete Erinnerungen? Was hat das zum Beispiel in eurer Familie ausgelöst?

Tarek:Als wir beschlossen hatten, das Land zu verlassen, durften wir niemandem etwas sagen. Der für mich dramatischste Teil und das, was mich am meisten mitgenommen hat, war, dass mein Vater sagte: „Wir müssen das Land verlassen, aber du darfst niemandem etwas sagen!“. Meine Großmutter und ich waren uns sehr, sehr nah. Also von all’ den Enkelkindern war ich etwas Besonderes, wir hatten eine ganz besondere Bindung. Mir fiel der Abschied sehr schwer: Und zwar war ich bei ihr und dann kam der Zeitpunkt, wo ich gehen sollte. Ich weinte dann sehr laut. Meine Großmutter nahm mich dann in den Arm und fragte: “Was ist denn los, warum weinst du denn ?“ Und dann meinte ich, es sei nichts. Es sei alles in Ordnung.

Um das Land illegal zu verlassen, musste man Leuten Geld geben, die einen über die Grenze gebracht haben. Das war alles schon sehr, sehr dramatisch, weil es hieß dann für mich: „Also das alles ist jetzt nichtig!“. Also: „Wo gehe ich hin, was passiert jetzt?“ – und das habe ich natürlich sehr wahrgenommen.Auch davor: Es waren Unruhen da. Es gab eine Ausgangssperre. Das heißt, dass man abends ab einer bestimmten Zeit nicht mehr auf die Straße gehen durfte. Gut, ich mein’, ich als kleiner Junge (lacht) musste sowieso schon um sieben Uhr im Bett sein!Und dann sind mein Vater und ich geflüchtet – wir waren in Peschawar, Pakistan – und ich war schon sehr, sehr traurig, weil ich ja nicht wusste, was jetzt passiert.

Redaktion:Die Anweisung deines Vaters, dass du niemandem etwas sagen darfst – war das auch dazu da, um andere zu schützen?

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Tarek:Ja natürlich, klar. Es ging ja auch soweit – das habe ich dann im Nachhinein erfahren – dass mein Großvater ein sehr, sehr großer Patriot war. Er hat das Land sehr, sehr geliebt und man sagt, dass er der Vater von allen war. Er hat „Hochtief“ und „Siemens“ nach Afghanistan gebracht, hatte in Deutschland Ingenieurwesen studiert und war immer für das Wohl des Volkes. Natürlich war er für die Russen deswegen ein Dorn im Auge. Als man ihn dann abgeführt hatte – man muss dazu sagen, dass er ein siebzigjähriger, alter Mann gewesen war – war er dann im Gefängnis. Die Russen wollten ihn auf ihre Seite gewinnen, was mein Großvater nicht gemacht hat. Es gab auch ein Erschießungskommando, also er sollte praktisch umgebracht werden. Und die standen alle da. Dann wurde der Befehl gegeben – aber die konnten ihn nicht umbringen.

Redaktion:Das waren dann Afghanen, die mit den Sowjets kooperiert hatten.

Tarek:Genau. Die haben dann gesagt: „So, er muss jetzt umgebracht werden!“. Und dann steht man dann da und legt das Gewehr an und drückt ab. Und bis dahin ist es gekommen – er stand da und hat gesagt, dass es für ihn kein Problem sei. Aber weil er ein sehr religiöser Mann war, konnten die nicht auf den Auslöser drücken und haben dann ihre Maschinengewehre weggeworfen und gesagt: „Also wir können das nicht. Wenn ihr es machen wollt, dann macht’s!“

2003 bin ich das erste Mal nach Afghanistan geflogen und habe natürlich einen Trümmerhaufen vorgefunden. Dieses Afghanistan oder das Kabul, was man kannte, das existiert heute gar nicht mehr. Und ich war sehr froh, weil ich weiß, wo ich herkomme. Ich war dann vier Jahre am Stück unten und habe dort gearbeitet und verschiedene Projekte gemacht. Ich wollte einfach sehen, wie ich mein Wissen einbringen kann, wie ich helfen und mich irgendwo engagieren kann. Und das mache ich bis heute.

Redaktion:Du bist also damals mit deinem Vater zur Grenze und dann nach Pakistan gegangen.

Tarek:Ja, also du gibst gewissen Leuten Geld. Wir sind dann mit dem Bus bis nach Peschawar gefahren.

Redaktion:Wie weit ist das?

Tarek:Das ist schon ein Tag. Vorher haben wir kurz vor der Grenze in Parachinar übernachtet und sind dann rüber gefahren. Wir hatten das Glück gehabt, dass

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keiner von den Grenzbeamten ehemalige Schüler oder Studenten meines Vaters gewesen sind. Denn das hätte noch ganz anders ausgehen können. Naja, dann war ich ein halbes Jahr in Pakistan. Nach einer gewissen Zeit hat ein sehr guter Freund meines Vaters, der in Islamabad (Pakistan) lebt, erfahren, dass wir in Peschawar waren. Er ist nach Peschawar gefahren, hat meinen Vater gefunden und hat gesagt: „Ihr packt jetzt eure Sachen und kommt zu mir!“.Wir waren dann ein halbes Jahr dort, da uns die amerikanische Botschaft kein Visum gegeben hatte. Insofern – da mein Vater ja auch in Deutschland studiert hatte und alle seine Prüfungen mit Bravour bestanden hatte – deswegen lag es sehr nah, dass wir nach Deutschland gekommen sind.

Redaktion:Wo waren deine Mutter und dein Bruder in dieser Zeit?

Tarek:Die waren erst in Frankfurt und sind dann nach Bremerhaven gegangen. Der jüngste Bruder meiner Mutter hatte zwei Kinder, die er schon vorher zu Verwandten seiner Frau gebracht hatte. Und er sagte: „Wenn du nach Bremerhaven kommst, wäre das schön, weil dann kannst du dich auch ein bisschen um meine Kinder kümmern“. Also irgendwie sind wir dann nach Bremerhaven gekommen. Da ist es natürlich auch sehr hart gewesen, da es eine sehr hohe Arbeitslosigkeit gab. Und in den 1980er Jahren war die Gesellschaft knallhart: Wir haben uns da jedes Wochenende geprügelt, weil Aussagen kamen wie: „Du Ausländer, sieh doch zu, wo du herkommst!“. Das war halt die andere Erfahrung, bei der ich sehr stark gespürt habe, dass man hier nicht willkommen ist und dass die Ausländerfeindlichkeit wirklich sehr, sehr hoch ist.

Redaktion:Bist du in Bremerhaven auch zur Schule gegangen?

Tarek:Genau – zur Schule gegangen, Abitur gemacht – bis ich dann irgendwann einmal gesagt habe: „Moment!“. Ich war auch der erste Afghane, der sein Abitur gemacht hat. Und die wollten mir nicht glauben, dass ich auf das Gymnasium gehe, sondern ein Ausländer war immer gleich Hauptschule. Das war schon so. Und das Witzige ist: Meine erste Freundin, die ich hatte – deren Eltern waren ausländerfeindlich. Das werde ich nie vergessen (lacht): Ich war bei denen das erste Mal zum Essen eingeladen und habe einen Strauß Blümchen und Pralinen mitgebracht, nicht wahr? Immer ganz charmant sein, nicht? Wie man das gewöhnt ist. Und dann komm ich dann dort hinein und dann sagt die Mutter: „Ja, es gibt Fisch. Kennst du Fisch? Weißt du, was Fisch ist?“. Ich dann so: „Ne, was ist denn Fisch?“. Da meint sie: „Ja, das macht so blubb blubb im Wasser!“ – Ich so: „Ah!“.

Also zum Thema Immigrationshintergrund, also wie es ihn heute gibt, das gab es damals überhaupt nicht. In den Schulen gab es auch nicht jemanden, der fragte: „Oh, du bist Ausländer, können wir dir irgendwie helfen?“. Das gab es nicht. Da gab es vielleicht mal Förderkurse, aber nicht so ausgedehnt, so wie es heute ist.

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Redaktion:Konntest du schon Deutsch, als du dann nach Deutschland gekommen bist?

Tarek:Ich konnte schon ein bisschen Deutsch, aber ich konnte natürlich die Sprache nicht perfekt sprechen. Es hat eine gewisse Zeit gedauert, bis ich es dann gelernt habe – sowohl Lesen, Schreiben als auch Sprechen.

RedaktionWar es in der Klasse in Bremerhaven schwierig?

Tarek:Es war sehr schwierig, weil ich in naturwissenschaftlichen Fächern sehr weit war, viel weiter als meine Klassenkameraden, weil unser afghanisches Schulsystem wirklich wesentlich besser ist. Ich würde sagen, dass wir höher qualifiziert sind. Wir haben keine tollen Diafilme, Projektoren oder Tageslichtschreiber – jetzt heißt es ja Beamer – sondern es ist halt eine Schule – da sind Holzbänke, da ist eine Kreidetafel und das war’s.

Redaktion:Wurdest du in die Klassengemeinschaft aufgenommen oder ist dir da auch Ausländerfeindlichkeit begegnet?

Tarek:In der ersten Klasse, in der ich war, da war ich nur ein paar Monate. In der zweiten Klasse war keine Ausländerfeindlichkeit vorhanden. Aber ich fand es immer sehr komisch, dass der Lehrer nie etwas gesagt hat, dass man im Klassenunterricht stören kann und dass dort keine disziplinarischen Maßnahmen ergriffen werden. In Afghanistan haben wir ja noch die Prügelstrafe. Das heißt: Wenn man nicht richtig zuhört, werden wir gedrillt; wenn der Lehrer herein kommt, stehen wir alle auf und sagen: „Guten Morgen!“ und der Lehrer ist der Boss! Ja, es war schon anders – die beheizten Räume waren schon sehr luxuriös – und der Lehrer durfte die Kinder nicht schlagen. Da gab es einen Portugiesen, der einen sehr langen Namen hatte und immer im Unterricht gestört hat, immer. Egal, was es war: Ob er eine Fünf oder eine Sechs bekommen hat, das war dem alles egal. Aber für mich war es dann immer so blöd, weil ich eben weiter kommen wollte. Und dann habe ich ihn eines Tages gepackt und ihm gesagt: „Pass mal auf, mein Freund, ich will hier was lernen! Wenn du nicht lernen willst und im Unterricht weiter störst, dann geh woanders hin!“.

Redaktion:Was hat dir denn beim Ankommen in Deutschland geholfen? Du hast gesagt, dass Ausländerfeindlichkeit und Vorurteile von manchen Leuten, die dann wahrscheinlich auch nicht nachgefragt haben, schwierig waren.

Tarek:Nein. Also, was war schwierig? Sich zu Recht zu finden, sich zu integrieren. Es war

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für mich vielleicht ein kleiner Kulturschock. Aber auf der anderen Seite habe ich mich sehr schnell daran gewöhnt, mich zu integrieren. Ich wollte mich in allem so integrieren, dass ich nicht auffalle, sodass ich sagen kann: „Ich bin hier und ich muss das Beste daraus machen!“. Und egal wie schwierig es ist und was ich da verloren habe oder was für Existenzängste man hat – es ist einfach wichtig, dass man von Null anfängt und Probleme nicht nur durch Schlägereien löst. Wir waren ja jedes Wochenende unterwegs: Wir waren eine Ausländergruppe und dann hat jemand gesagt: „Was hast du gesagt? Was hast du gesagt?“ und dann ging es nur noch zur Sache. Wir haben Kampfsport gemacht. Nur irgendwann habe ich dann gesagt: „Der liebe Gott hat mir doch auch ein Hirn gegeben und das sollte ich dann doch vielleicht einsetzen!“.

Redaktion:Du hast eben angesprochen, dass es auch ein ganz schön großer Verlust war. Du hast viel zurück gelassen. Wie erinnerst du das – hast du eine Art Trauerphase gehabt?

Tarek:Ich habe meine Trauerphase immer gehabt: Immer wenn ich afghanische Musik gehört habe, ganz besonders einen Sänger, dann war ich immer sehr nachdenklich. Und man hat sich mit Freunden getroffen und hat diese Trauer geteilt. Aber ich glaube – das ist auch wichtig – dass man den Bezug zu seiner Heimat nicht verliert. Dass man immer daran erinnert wird, wo man her kommt und wo die Wurzeln sind. Weil ich glaube: Wenn man weiß, wo man herkommt, wo seine Wurzeln sind, dann weiß man auch, wo man hin will. Das finde ich wichtig.

Redaktion:Heißt das, dass deine Heimat für dich immer noch Afghanistan ist?

Tarek:Natürlich ist Afghanistan meine Heimat. Aber für mich ist Deutschland auch eine zweite Heimat geworden. Ich denke, dass man das Beste aus allem macht, egal wo man ist; dass man nicht vergisst, wo man herkommt. Also jetzt in meinem Fall. Jemand, der hier groß geworden ist, der kennt nur dieses hier. Und wenn er in seine Heimat zurückgeht, dann hören die Leute dort sofort, dass er einen Akzent hat und auch nicht akzeptiert wird! Nein, gar nicht. Redaktion:Inwiefern hat dein Beruf etwas mit deiner Migrationsgeschichte zu tun?

Tarek:Für mich war und ist die Fotografie der Ausdruck meines Leids, meiner Gefühle und meines Schmerzes. Das, was ich empfinde, das drücke ich durch Bilder aus. Und ich versuche den Betrachter mit auf diese Reise mitzunehmen, um zu sagen: „Es gibt noch Hoffnung!“ – also für die Kinder. Für die anderen kann man sowieso nichts mehr machen. Aber dass die Kinder zumindest eine Hoffnung haben. Und ich sage:

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Bildung und Gesundheit – vor allem Bildung – sind der Schlüssel zur Unabhängigkeit.Es ist für mich sehr wichtig, dass ich mich hier und da zurechtfinde. Viele gehen rüber, weil sie sich hier nicht mehr zurechtfinden. Also so ganz nach Afghanistan ziehen geht nicht, weil die Umstände dort auch ein bisschen anders sind. Aber für mich ist es wichtig und immer wichtig gewesen, dass ich mich voll integrieren kann. Ich war in Afghanistan und habe mit vielen Menschen gesprochen und deren Lebenslage und Situation erlebt. Das muss man auch erst einmal verarbeiten, weil die es ja nun leider Gottes nicht so einfach hatten wie ich. So danke ich dem lieben Gott, dass ich dieses Glück, dieses Privileg hatte, hierher zu kommen – und das danke ich ihm jeden Tag (lacht)!

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