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TREFFPUNKT FORSCHUNG | 126 | © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2009, 43, 126 – 128 radikal, wobei jeweils ein ungepaar- tes Elektron in dem Carotinoid und eins in dem Fulleren angesiedelt ist. Die Oxforder Forscher konnten zeigen, dass die Lebensdauer dieses Biradikals empfindlich von seiner Orientierung im Verhältnis zu einem schwachen äußeren Magnetfeld ab- hängt. Licht ist ein Schlüsselfaktor Doch wo und mit welchen Biomole- külen könnte ein solcher chemischer Kompass bei den Vögeln implemen- tiert sein? Da er von der Anregung durch Licht abhängig ist, und die Mit- wirkung von Licht auch durch Verhal- tensstudien mit Vögeln dokumentiert ist, denkt man zunächst einmal an die Augen. Dort gibt es eine bisher noch rätselhafte Familie von lichtempfind- lichen Proteinen, die Cryptochrome, die momentan als Hauptverdächtige gelten. Die Arbeitsgruppe von Erik Schleicher an der Universität Frei- burg hat in Zusammenarbeit mit Christiane Timmel in Oxford vor kur- zem einen magnetischen Effekt auf ein mit den Cryptochromen ver- wandtes und besser erforschtes Pro- tein, nämlich die DNA-Photolyase, nachgewiesen [2]. Photolyase ver- wendet die Energie von Licht zur Re- paratur von bestimmten DNA-Schäden. Die Forscher konnten mit Hilfe von spektroskopischen Methoden (Elektronenspinresonanz oder ESR- Spektroskopie) nachweisen, dass in der Photolyase aus dem Darmbakte- rium Escherichia coli bei Anregung durch blaues Licht ein Elektronen- Transfer von einem Tryptophan-Rest zu dem Redox-Cofaktor FADH (Fla- vin-Adenin-Dinucleotid) stattfindet. Die weitere Reaktion und Lebensdau- er des entstehenden Biradikals hängt davon ab, ob sich die beiden Elektro- nen in einem Singulett- oder Triplett- Zustand befinden, also ob ihre Spins einander entgegen wirken oder ver- stärken. Ein extrem schwaches mag- netisches Feld wie das der Erde kann die Kinetik der Umwandlung zwischen Singulett- und Triplett-Zu- stand beeinflussen und damit das Re- aktionsprodukt bestimmen, obwohl es nicht genug Energie besitzt, um an der Thermodynamik der Reaktion etwas zu ändern. Die bisher nachgewiesene Rolle der Cryptochrome liegt in der licht- abhängigen Steuerung der circadia- nen Rhythmen, also unserer „inneren Uhr“. Die Arbeitsgruppe von Charlot- te Helfrich-Förster an der Universität Regensburg konnte jetzt nachweisen, dass die innere Uhr der Taufliege Drosophila auf Magnetfelder reagiert, und dass diese Reaktion von dem Cryptochrom im Auge der Tiere ab- hängt [3].Auch diese Arbeit verstärkt die Indizienlage zugunsten der Hypo- these, dass der Vogelkompass auf ei- nem Elektronentransfer unter Beteili- gung des Cryptochroms beruht [4]. Zum direkten Beweis der Hypo- these müsste man nun Struktur und Funktion der Cryptochrome aus Zug- vögeln detailliert aufklären. Ein weite- rer wichtiger Aspekt, der bisher völ- lig im Dunkeln geblieben ist, betrifft die „Aufhängung“ des Vogelkompas- ses. Damit ein chemisches System wie etwa ein Cryptochrom die Nei- gung des Erdmagnetfelds messen kann, muss es mit wohldefinierter Orientierung immobilisiert werden, zum Beispiel durch starre Veranke- rung in einer Zellmembran.Vierzig Jahre nach der Entdeckung der Ori- entierung der Zugvögel im Magnet- feld steht die Erforschung der mole- kularen Grundlagen erst am Anfang. [1] K. Maeda et al., Nature 2008, 453, 387. [2] K. B. Henbest et al., Proc. Nat. Acad. Sci. USA 2008, 105, 14395. [3] T. Yoshii et al., PLoS Biology 2009, 7, e1000086. [4] C. T. Rodgers und P. J. Hore, Proc. Nat. Acad. Sci. USA 2009, 106, 353. Michael Groß, Oxford ORIENTIERUNGSSINN | Ist der Kompass der Vögel eine chemische Reaktion ? Vor mehr als 40 Jahren entdeckte Wolfgang Wiltschko den Einfluss statischer Magnetfelder auf die Orientierung von Zugvögeln, doch Ort und Art des Vogelkompasses sind noch immer ungeklärt. Die aussichts- reichste Hypothese: Eine chemische Reaktion mit Radikalen fungiert als Sensor für Magnetfelder. Das Orientierungsorgan der Vögel unterscheidet sich in einigen wichti- gen Kriterien von einem normalen magnetischen Kompass, den mensch- liche Wanderer verwenden. Der Vo- gelkompass hat zum Beispiel keine Nadel. Nicht nur, dass man bisher kei- ne gefunden hat. Ein Kompass mit ei- ner Magnetnadel würde auf eine Um- polung des äußeren Magnetfelds mit einem Richtungswechsel reagieren. Die Zugvögel sind aber gegen Umpo- lung immun und reagieren aus- schließlich auf die Neigung des Mag- netfelds (Inklination) gegenüber der Horizontalen. In Abwesenheit einer Magnet- nadel bleibt nach gegenwärtigem Kenntnisstand als einzige Möglichkeit eine chemische Reaktion mit unge- paarten Elektronen, also eine Radikal- reaktion. Experten waren sich jedoch lange Zeit uneins, ob eine Radikal- reaktion überhaupt durch ein so schwaches Magnetfeld wie das der Erde in messbarer Weise beeinflusst werden kann, da aus der magneti- schen Wechselwirkung resultierende Energie deutlich geringer ist als die thermische Energie (kT). Im Mai 2008 präsentierten die Ar- beitsgruppen von Christiane Timmel und Peter Hore an der Universität Oxford erstmals eine Modellreaktion, bei der die Lebensdauer eines Radi- kalpaars in richtungsabhängiger Wei- se auf ein Magnetfeld reagiert, das ebenso schwach ist wie das der Erde (50 Mikrotesla) [1]. Dieser erste chemische Kompass bestand aus einer unnatürlichen Mo- lekülkombination, in der ein Caroti- noid mit einem Porphyrin und einem Fulleren verkettet ist. Unter Lichtein- wirkung bildet dieses Molekül ein Bi-

Ist der Kompass der Vögel eine chemische Reaktion?

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T R E F F P U N K T FO R SC H U N G |

126 | © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2009, 43, 126 – 128

radikal, wobei jeweils ein ungepaar-tes Elektron in dem Carotinoid undeins in dem Fulleren angesiedelt ist.Die Oxforder Forscher konnten zeigen, dass die Lebensdauer diesesBiradikals empfindlich von seinerOrientierung im Verhältnis zu einemschwachen äußeren Magnetfeld ab-hängt.

Licht ist ein SchlüsselfaktorDoch wo und mit welchen Biomole-külen könnte ein solcher chemischerKompass bei den Vögeln implemen-tiert sein? Da er von der Anregungdurch Licht abhängig ist, und die Mit-wirkung von Licht auch durch Verhal-tensstudien mit Vögeln dokumentiertist, denkt man zunächst einmal an dieAugen. Dort gibt es eine bisher nochrätselhafte Familie von lichtempfind-lichen Proteinen, die Cryptochrome,die momentan als Hauptverdächtigegelten.

Die Arbeitsgruppe von ErikSchleicher an der Universität Frei-burg hat in Zusammenarbeit mitChristiane Timmel in Oxford vor kur-zem einen magnetischen Effekt aufein mit den Cryptochromen ver-wandtes und besser erforschtes Pro-tein, nämlich die DNA-Photolyase,nachgewiesen [2]. Photolyase ver-wendet die Energie von Licht zur Re-paratur von bestimmten DNA-Schäden.

Die Forscher konnten mit Hilfevon spektroskopischen Methoden(Elektronenspinresonanz oder ESR-Spektroskopie) nachweisen, dass inder Photolyase aus dem Darmbakte-rium Escherichia coli bei Anregungdurch blaues Licht ein Elektronen-Transfer von einem Tryptophan-Restzu dem Redox-Cofaktor FADH (Fla-vin-Adenin-Dinucleotid) stattfindet.

Die weitere Reaktion und Lebensdau-er des entstehenden Biradikals hängtdavon ab, ob sich die beiden Elektro-nen in einem Singulett- oder Triplett-Zustand befinden, also ob ihre Spinseinander entgegen wirken oder ver-stärken. Ein extrem schwaches mag-netisches Feld wie das der Erde kann die Kinetik der Umwandlungzwischen Singulett- und Triplett-Zu-stand beeinflussen und damit das Re-aktionsprodukt bestimmen, obwohles nicht genug Energie besitzt, um ander Thermodynamik der Reaktion etwas zu ändern.

Die bisher nachgewiesene Rolleder Cryptochrome liegt in der licht-abhängigen Steuerung der circadia-nen Rhythmen, also unserer „innerenUhr“. Die Arbeitsgruppe von Charlot-te Helfrich-Förster an der UniversitätRegensburg konnte jetzt nachweisen,dass die innere Uhr der TaufliegeDrosophila auf Magnetfelder reagiert,und dass diese Reaktion von demCryptochrom im Auge der Tiere ab-hängt [3].Auch diese Arbeit verstärktdie Indizienlage zugunsten der Hypo-these, dass der Vogelkompass auf ei-nem Elektronentransfer unter Beteili-gung des Cryptochroms beruht [4].

Zum direkten Beweis der Hypo-these müsste man nun Struktur undFunktion der Cryptochrome aus Zug-vögeln detailliert aufklären. Ein weite-rer wichtiger Aspekt, der bisher völ-lig im Dunkeln geblieben ist, betrifftdie „Aufhängung“ des Vogelkompas-ses. Damit ein chemisches Systemwie etwa ein Cryptochrom die Nei-gung des Erdmagnetfelds messenkann, muss es mit wohldefinierterOrientierung immobilisiert werden,zum Beispiel durch starre Veranke-rung in einer Zellmembran.VierzigJahre nach der Entdeckung der Ori-entierung der Zugvögel im Magnet-feld steht die Erforschung der mole-kularen Grundlagen erst am Anfang.[1] K. Maeda et al., Nature 22000088, 453, 387. [2] K. B. Henbest et al., Proc. Nat. Acad. Sci.

USA 22000088, 105, 14395.[3] T. Yoshii et al., PLoS Biology 22000099, 7,

e1000086.[4] C. T. Rodgers und P. J. Hore, Proc. Nat.

Acad. Sci. USA 22000099, 106, 353.

Michael Groß, Oxford

O R I E N T I E RU N G SS I N N |Ist der Kompass der Vögel eine chemische Reaktion ?Vor mehr als 40 Jahren entdeckte Wolfgang Wiltschko den Einfluss statischer Magnetfelder auf die Orientierung von Zugvögeln, doch Ortund Art des Vogelkompasses sind noch immer ungeklärt. Die aussichts-reichste Hypothese: Eine chemische Reaktion mit Radikalen fungiert als Sensor für Magnetfelder.

Das Orientierungsorgan der Vögelunterscheidet sich in einigen wichti-gen Kriterien von einem normalenmagnetischen Kompass, den mensch-liche Wanderer verwenden. Der Vo-gelkompass hat zum Beispiel keineNadel. Nicht nur, dass man bisher kei-ne gefunden hat. Ein Kompass mit ei-ner Magnetnadel würde auf eine Um-polung des äußeren Magnetfelds miteinem Richtungswechsel reagieren.Die Zugvögel sind aber gegen Umpo-lung immun und reagieren aus-schließlich auf die Neigung des Mag-netfelds (Inklination) gegenüber derHorizontalen.

In Abwesenheit einer Magnet-nadel bleibt nach gegenwärtigemKenntnisstand als einzige Möglichkeiteine chemische Reaktion mit unge-paarten Elektronen, also eine Radikal-reaktion. Experten waren sich jedochlange Zeit uneins, ob eine Radikal-reaktion überhaupt durch ein soschwaches Magnetfeld wie das derErde in messbarer Weise beeinflusstwerden kann, da aus der magneti-schen Wechselwirkung resultierendeEnergie deutlich geringer ist als diethermische Energie (kT).

Im Mai 2008 präsentierten die Ar-beitsgruppen von Christiane Timmelund Peter Hore an der UniversitätOxford erstmals eine Modellreaktion,bei der die Lebensdauer eines Radi-kalpaars in richtungsabhängiger Wei-se auf ein Magnetfeld reagiert, dasebenso schwach ist wie das der Erde(50 Mikrotesla) [1].

Dieser erste chemische Kompassbestand aus einer unnatürlichen Mo-lekülkombination, in der ein Caroti-noid mit einem Porphyrin und einemFulleren verkettet ist. Unter Lichtein-wirkung bildet dieses Molekül ein Bi-