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Jugendsubkulturen an öffentlichen Plätzen von Meent Adden Das KIDS des Trägers basis & woge e.V. macht seit 1993 An- gebote der Straßensozialarbeit. Diese niedrigschwellige Ar- beit ermöglicht den Mitarbeiter/innen einen Einblick in die Lebenssituation der Jugendlichen in den jeweiligen Szenen. Hierüber können neue Kontakte zu Jugendlichen aufgenom- men und bestehende gehalten werden, ohne auf die im offe- nen Bereich oder während der Beratung praktizierte „Komm-Struktur“ angewiesen zu sein. (1) Immer wieder hat die Einrichtung in ihren Arbeitsfeldern Kontakte zu spezifischen subkulturellen Gruppen. Im Fol- genden soll geschildert werden, wodurch sich diese jungen Menschen hinsichtlich ihrer Musik, ihrer Kleidung und, so- weit es hier möglich ist, hinsichtlich ihres Lebensgefühls aus- zeichnen. Die Art und Weise, wie die Einrichtung KIDS mit diesen jungen Menschen arbeitet, wird in diesem Zusammenhang weniger erörtert. „Punx not dead“ oder Totgesagte leben länger Dieser Satz von Wattie Buchan von der Band The Exploited ist nunmehr 28 Jahre alt. Seitdem wird der Punkbewegung, die in der zweiten Hälfte der 70er Jahre in Großbritannien ent- standen ist, immer wieder das Ableben auf dem subkulturellen Müllhaufen der Ge- schichte prophezeit. Stattdessen hat sich diese Szene in einzelne Subgenres (z.B. die ameri- kanische Spielart des Punkrock, „Hardcore“ oder die englische Va- riante der Oi!-Musik) verzweigt. Politisch positionieren sich Punks eher links, in klarer Abgrenzung zu rassistischen oder faschistischen Grup- pen. Punks mit eindeutig rechter Ausrichtung (sog. Nazi- Punks) spielen in der Bundesrepublik derzeit keine Rolle mehr. Seit Mai 2007 verzeichnete das KIDS eine steigende Zahl junger Punks, die sich am Hauptbahnhof treffen. Diese Ju- gendlichen kommen zum Teil von außerhalb, häufig aus an- deren Großstädten (z.B. aus Berlin oder dem Ruhrgebiet). Andere Szenetreffpunkte in der Stadt sind St. Pauli oder Alto- na. Hier gab es eine größere Szene am Bahnhof, die auf Basis der Kooperation von Streetwork-Einrichtungen, Jugendamt und Jugendhilfeträgern in eine Wohnunterkunft am Holsten- kamp in Bahrenfeld untergebracht werden konnte. Am Bahn- hof treffen sich die jungen Punks, um zu „schnorren“ oder, vorzugsweise am Wochenende, von hier aus nach St. Pauli weiterzuziehen. Auffällig wird diese Szene insbesondere dann, wenn in den Sommermonaten große Punkfestivals wie z.B. die Force Attack in der Nähe von Rostock stattfinden. In dieser Zeit treffen sich junge Punks in einer Gruppengröße von 50 bis 100 Personen, um vom Hauptbahnhof zu den Fes- tivals zu fahren. „Rave strikes back“ Die Raver-Szene gehört mittlerweile zu den „Klassikern“ un- ter den Zielgruppen des KIDS. (2) Neben der Anlaufstelle am Hauptbahnhof erreicht das KIDS diese Jugendszene vor al- lem durch das 2004 implementierte DOM-Präventions-Pro- jekt auf dem Heiligengeistfeld zu Zeiten des Doms. Weitere Treffpunkte, vor allem an den Wochenenden, sind die Berei- che rund um den Spielbudenplatz (die berühmte Esso-Tank- stelle, der D-Club sowie der Hamburger Trichter). Seit An- fang 2009 taucht diese Szene wieder verstärkt am Hauptbahnhof auf, nachdem auch sie ab 2001 durch sicherheitspolitische Vorgaben aus diesem Areal in andere Stadteile abgedrängt worden war. Auffällige Merkmale sind weite Hosen mit Bädern (sog. „Ufo- Hosen“) und neonfar- bene Jacken mit dem Aufdruck „AMOK“. Die Anfänge dieser Subkultur liegen in der zweiten Hälfte der 80er Jahre (in dieser Zeit spra- chen die Medien von „Acid House“). Auch die Raver-Sze- ne ist in den vergangenen Jahren immer wieder totgesagt worden, Tatsa- 34 FORUM für Kinder und Jugendarbeit 3/2009 l J UGEND- K ULTUR Foto: M. Kalde Politisch positionieren sich Punks eher links, in klarer Abgrenzung zu rassistischen oder faschistischen Gruppen.

J K JugendsubkulturenanöffentlichenPlä · PDF fileRyuichi Sakamoto komponierte 1987 zusammen mit Iggy Pop Neo Geo. Als eigenständige Musikrichtung kam Visual Kei jedoch erst in

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Page 1: J K JugendsubkulturenanöffentlichenPlä · PDF fileRyuichi Sakamoto komponierte 1987 zusammen mit Iggy Pop Neo Geo. Als eigenständige Musikrichtung kam Visual Kei jedoch erst in

Jugendsubkulturen an öffentlichen Plätzenvon Meent Adden

Das KIDS des Trägers basis & woge e.V. macht seit 1993 An-gebote der Straßensozialarbeit. Diese niedrigschwellige Ar-beit ermöglicht den Mitarbeiter/innen einen Einblick in dieLebenssituation der Jugendlichen in den jeweiligen Szenen.Hierüber können neue Kontakte zu Jugendlichen aufgenom-men und bestehende gehalten werden, ohne auf die im offe-nen Bereich oder während der Beratung praktizierte„Komm-Struktur“ angewiesen zu sein. (1)

Immer wieder hat die Einrichtung in ihren ArbeitsfeldernKontakte zu spezifischen subkulturellen Gruppen. Im Fol-genden soll geschildert werden, wodurch sich diese jungenMenschen hinsichtlich ihrer Musik, ihrer Kleidung und, so-weit es hier möglich ist, hinsichtlich ihres Lebensgefühls aus-zeichnen. Die Art und Weise, wie die Einrichtung KIDS mitdiesen jungen Menschen arbeitet, wird in diesemZusammenhang weniger erörtert.

„Punx not dead“ oder Totgesagte leben länger

Dieser Satz von Wattie Buchan von der Band The Exploitedist nunmehr 28 Jahre alt. Seitdem wird der Punkbewegung,die in der zweiten Hälfte der 70er Jahre in Großbritannien ent-standen ist, immer wieder das Ableben auf demsubkulturellen Müllhaufen der Ge-schichte prophezeit. Stattdessenhat sich diese Szene in einzelneSubgenres (z.B. die ameri-kanische Spielart desPunkrock, „Hardcore“oder die englische Va-riante der Oi!-Musik)verzweigt. Politischpositionieren sichPunks eher links, inklarer Abgrenzungzu rassistischen oderfaschistischen Grup-pen. Punks mit eindeutigrechter Ausrichtung (sog.Nazi- Punks) spielen in derBundesrepublik derzeit keineRolle mehr.

Seit Mai 2007 verzeichnete das KIDS eine steigende Zahljunger Punks, die sich am Hauptbahnhof treffen. Diese Ju-gendlichen kommen zum Teil von außerhalb, häufig aus an-deren Großstädten (z.B. aus Berlin oder dem Ruhrgebiet).Andere Szenetreffpunkte in der Stadt sind St. Pauli oder Alto-na. Hier gab es eine größere Szene am Bahnhof, die auf Basisder Kooperation von Streetwork-Einrichtungen, Jugendamtund Jugendhilfeträgern in eine Wohnunterkunft am Holsten-kamp in Bahrenfeld untergebracht werden konnte. Am Bahn-hof treffen sich die jungen Punks, um zu „schnorren“ oder,vorzugsweise am Wochenende, von hier aus nach St. Pauliweiterzuziehen. Auffällig wird diese Szene insbesonderedann, wenn in den Sommermonaten große Punkfestivals wiez.B. die Force Attack in der Nähe von Rostock stattfinden. Indieser Zeit treffen sich junge Punks in einer Gruppengrößevon 50 bis 100 Personen, um vom Hauptbahnhof zu den Fes-tivals zu fahren.

„Rave strikes back“

Die Raver-Szene gehört mittlerweile zu den „Klassikern“ un-ter den Zielgruppen des KIDS. (2) Neben der Anlaufstelle amHauptbahnhof erreicht das KIDS diese Jugendszene vor al-lem durch das 2004 implementierte DOM-Präventions-Pro-jekt auf dem Heiligengeistfeld zu Zeiten des Doms. WeitereTreffpunkte, vor allem an den Wochenenden, sind die Berei-che rund um den Spielbudenplatz (die berühmte Esso-Tank-stelle, der D-Club sowie der Hamburger Trichter). Seit An-

fang 2009 taucht diese Szene wieder verstärkt amHauptbahnhof auf, nachdem auch sie ab

2001 durch sicherheitspolitischeVorgaben aus diesem Areal in

andere Stadteile abgedrängtworden war.

Auffällige Merkmalesind weite Hosen mitBädern (sog. „Ufo-Hosen“) und neonfar-bene Jacken mit demAufdruck „AMOK“.Die Anfänge dieser

Subkultur liegen in derzweiten Hälfte der 80er

Jahre (in dieser Zeit spra-chen die Medien von „Acid

House“). Auch die Raver-Sze-ne ist in den vergangenen Jahren

immer wieder totgesagt worden, Tatsa-

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Foto: M. Kalde

Politisch positionieren sich Punks eher links,in klarer Abgrenzung zu rassistischen

oder faschistischen Gruppen.

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che ist aber, dass die elektronische Musik ih-ren Siegesmarsch durch die europäischen(Jugend-)Subkulturen vollzogen hat. (3)Beeindruckend sind in diesem Zusam-menhang auch die Besucherzahlengroßer Events wie z.B. der Love Pa-rade. Trotzdem handelt es sich hierkeineswegs um eine homogeneSubkultur, sie verzweigt sichähnlich wie die Punk-Bewe-gung in unterschiedliche Sub-genres wie z.B. Hardtrance undGabber (eine harte Variante)oder eher „weiche“ Stile wieTrance, Ambient und Goa.

Scheinbar verlaufen die o.g.Subkulturen hinsichtlich derTrendentwicklung in Wellen,d.h. sie sind mal mehr, mal weni-ger angesagt, verschwinden abernie vollständig. Dabei spielt das Ima-ge einer Subkultur eine entscheiden-dende Rolle. Diese treten nach jahrelan-gem Schattendasein wieder verstärkt aufund werden zu manifesten Subkulturen mit ei-genem Outfit, eigener Musik und eigener Lebenshal-tung (z.B. sehr plakativ: Raver = hedonistisch, Punks = ant-agonistisch). Dabei vermischen sich die älteren Szeneangehö-rigen mit den „Neuen“. Teilweise gibt es regelrechte Initia-tionsriten wie z.B. in der Raverszene auf dem DOM. Im Rah-men eines ausgedehnten Trinkgelages legen junge Szeneneu-linge ihren bürgerlichen Namen ab und bekommen einenSzenenamen. Ab diesem Zeitpunkt sind sie fest integriert.

Häufig entstehen aus bereits bestehenden Szenen (wie im fol-genden Beispiel aus der Punk/ Hardcore-Subkultur) völligneue Richtungen.

Emocore: „Nobody cares about anything anyway,so why don’t we all just die”

Seit 2000 trat die Emo-Szene zum ersten Mal in Deutschlandauf. In Berlin gibt es ca. 400 junge Menschen, die dieserSubkultur zuzurechnen sind, in Hamburg sind es nach Ein-schätzung der Mitarbeiter/innen des KIDS ca. 150–200Personen.

Der Begriff „Emo“ leitet sich von emotional-hardcore ab, einSubgenre der Hardcore- und Punkbewegung. Die Ursprüngegehen zum Teil bis in die 80er Jahre zurück. US-Hardcore-bands wie Hüsker Dü bauten emotionale Passagen in ihre Lie-der ein (spätestens ab Candy Apple Grey 1986) und zählen ingewisser Weise zu den Vorläufern. Aktuelle Emo-Bands sindz.B. Off Minor oder Life at These Speeds (2007 aufgelöst).Eine Unterart des Emotional-Hardcore bildet der sogenannteScreamo, hier werden emotionale Parts durch „Schreigesang“

abgelöst (daher der Begriff). Als ein typischerVertreter gilt z.B. die Band Killswitch En-

gage.

Angehörige der Szene tragen über-wiegend dunkle Kleidung, engeRöhrenjeans, Converse-Turn-schuhe („Chucks“), Nietengürtelund häufig Schweißarmbändermit Karomuster. Die Haare sindüberwiegend schwarz gefärbt,hin und wieder mit buntenSträhnen. Entweder sind siehochtoupiert oder glattge-kämmt mit einem Pony, derüber die Augen reicht. WeitereMerkmale sind z.B. pinkfarbe-

ne Totenköpfe auf schwarzerKleidung.

Der Emo-Szene wird ein eher „düs-teres“ Lebensgefühl mit einem Hang

zum autoaggressiven Verhalten („Rit-zen“ oder „Schnippeln“) zugeschrieben.

In den Songtexten geht es häufig um verletz-te Gefühle, verlorene Liebe etc., in manchen

Passagen sehr aggressiv gesungen, abgelöst durchmelodisch ruhige Passagen. Vom Erscheinungsbild her wirktdie Szene sehr androgyn. Anders als z.B. in der Skinheadsze-ne gibt es im äußeren Erscheinungsbild von Männern undFrauen wenig Unterschiede. Insgesamt wirken die Angehöri-gen dieser Szene eher introvertiert, im Gegensatz zur denRavern, die sich insbesondere auf Events gern in Pose setzen.

Insbesondere in Mexiko ist es zu Ausschreitungen gegenüberAngehörigen dieser Subkultur gekommen. So versammeltensich im mexikanischen Querétaro an die 800 Angehörige ausder Punks-, Metal- und Gothic-Sszene und veranstalteten eineregelrechte Jagd auf Emos. In Hamburg gibt es glücklicherwei-se keine Auseinandersetzungen dieser Art. Punks, Raver undEmos leben in friedlicher Koexistenz. Haupttreffpunkte dieserSzene waren der Jungfernstieg und der nördliche Ausgang derWandelhalle. Hier haben sich am Wochenende ungefähr 70 bis100 junge Menschen dieser Szene getroffen, z.T. haben sichauch junge Punks und Gothics darunter gemischt.

„To Japan and back“ – Visual Kei

Der Begriff „Visual Kei“ setzt sich aus „Visual“ und „Kei“(japanisches Symbol für System, Clique, Herkunft) zusam-men. Visus ähneln vom Erscheinungsbild sehr den Emos,

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Jugendsubku l t u ren an ö f f en t l i c hen P l ä t zen

Foto: M. Kalde

Der Emo-Szene wird ein eher „düsteres“Lebensgefühl mit einem Hang zum

autoaggressiven Verhalten zugeschrieben.

Page 3: J K JugendsubkulturenanöffentlichenPlä · PDF fileRyuichi Sakamoto komponierte 1987 zusammen mit Iggy Pop Neo Geo. Als eigenständige Musikrichtung kam Visual Kei jedoch erst in

sind jedoch wesentlich gestylter und erinnern oft an Figurenaus Manga- und Anima-Comics. Auch sie zeichnen sichdurch eine androgyne Erscheinung aus. Die Ursprünge dieserSubkultur liegen in Japan. Die musikalische Ausrichtungorientiert sich an unterschiedlichen Stilen japanischer Rock-und Popmusik (J-Rock, J-Wave, J-Punk). In den 80er und90er Jahren kopierten japanische Jugendliche zunächst dieStile aus Europa und den USA und entwickelten später eigen-ständige Genres. Aber auch in Europa und den VereinigtenStaaten übte die japanische Kultur eine gewisse Faszinationaus. Punks trugen Anfang der 80er Jahre z.B. T-Shirts mit derSonne Nippons oder japanischen Schriftzeichen. Die GruppeAlphaville hatte 1984 große Erfolge mit Big in Japan,Ryuichi Sakamoto komponierte 1987 zusammen mit IggyPop Neo Geo. Als eigenständige Musikrichtung kam VisualKei jedoch erst in den letzten Jahren in Europa und inDeutschland an. So spielte z.B. die Visu-BandD’espairs Ray im August 2006 auf demWacken Open Air und in diesem Jahrim Juli in Hamburg.

Trotz großer Unterschiedehinsichtlich des Outfitsund des Lebensgefühlsergibt sich bei den be-schriebenen Gruppeneine große Gemein-samkeit. Sie treffensich an öffentlichenPlätzen, weisen eineregionale oder bundes-weite Mobilität auf undsind nicht oder nur wenigan Angebote in dem jeweili-gen Stadtteil angebunden. Sohat eine Stichprobenerhebung (N= 48) des KIDS anhand eines Fragebo-gens ergeben, dass 73 Prozent der Jugendli-chen und 49 Prozent der jungen Volljährigen keine Ange-bote der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in ihren Stadteilennutzen. Über 70 Prozent aller befragten jungen Menschen hat-ten zum Zeitpunkt der Untersuchung keinen Kontakt zu der re-gionalen Straßensozialarbeit. Als häufigste Aufenthaltsortewurden der Hauptbahnhof, die Reeperbahn, sowie Events(DOM, Hafengeburtstag etc.) angegeben, um dort die Zeit zuverbringen oder Freunde und Bekannte zu treffen. (4)

In Hamburg, aber auch in anderen Städten der Bundesrepublikzeichnet sich im Bereich der öffentlichen Plätze folgende Ent-wicklung ab: Je stärker ein Ort, ein Raum, ein Platz ins Blic-kfeld des öffentlichen Interesses gerät und sog. marginalisierteund/oder subkulturelle Gruppen auffällig werden, desto stärker

wird die Tendenz zur Verdrängung und Kommerzialisierung.Vitales öffentliches Interesse kann zu einer Verdrängung allderjenigen führen, die das „normative Bild“ stören könnten.Dadurch ist die Szene von einer hohen Mobilität geprägt.

Laut Medieninformationen (5) gibt es seit Februar 2009 eineneue Dienstanweisung der Innenbehörde. „Wir hatten im Ja-nuar Ansammlungen von Punks und Leuten aus der so ge-nannten Emotional-Gothic-Szene“ (6), sagt PolizeisprecherRalf Meyer. Das Papier solle den Beamten Handlungsanwei-

sungen geben, Randgruppen mit Platzverweisen biszum Geschäftsschluss zu belegen. Dieses

Vorgehen wurde zu einem späterenZeitpunkt zwar relativiert, führte

aber trotzdem dazu, dass jun-gen Menschen der

Emo-Szene nahegelegtwurde, sich nicht mehram Jungfernstieg auf-zuhalten und sich ananderen Orten zutreffen. Deshalb hal-ten sich im Augen-blick nur wenige jun-

ge Menschen aus die-ser Szene im Innens-

tadtbereich auf, stattdes-sen wurde der Stadtpark als

neuer Treffpunkt ausgewählt.Damit ist die Situation mit der am

Alexanderplatz in Berlin vergleichbar.Auch hier wurden Anfang des Jahres o.g.

Szeneangehörige mit Platz- und Gebietsverweisen anandere Orte wie z.B. den Tiergarten abgedrängt.

Hinsichtlich der Bedarfs- und Problemlagen ergibt sich einunterschiedliches Bild. Junge Menschen aus der Emo-Szenescheinen noch relativ gut in die üblichen Sozialisationsinstan-zen wie Familie, Schule und Beruf eingebunden zu sein. Den-noch scheinen sich hier Menschen zusammengefunden zu ha-ben, die sich in einer gewissen Art und Weise ausgegrenztfühlen. Anfeindungen in der Schule, im Sozialraum oder imvirtuellen Raum tun ein Übriges. Auf der individuellen Ebenegibt es bei dem einen oder anderen sehr wohl ausgeprägteProblemlagen wie Sucht, drohender Schulabbruch oderKonflikte in der Familie.

Ausgeprägter sind die Problem- und besonderen Lebenslagenbei den jungen Punks und Ravern. Hier liegen zum Teil be-reits Beziehungsabbrüche zu den Familien vor, es gibt einedeutliche Zuwendung zum Lebensort Straße mit all den Be-gleiterscheinungen wie Obdachlosigkeit, Sucht, finanzielle

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Foto: M. Kalde

Visus ähneln vom Erscheinungsbild den Emos,sind jedoch wesentlich gestylter und erinnern oft

an Figuren aus Manga- und Anima-Comics.

Trotz großer Unterschiede hinsichtlich des Outfitsund des Lebensgefühls ergibt sich bei den

beschriebenen Gruppen eine große Gemeinsamkeit.

Page 4: J K JugendsubkulturenanöffentlichenPlä · PDF fileRyuichi Sakamoto komponierte 1987 zusammen mit Iggy Pop Neo Geo. Als eigenständige Musikrichtung kam Visual Kei jedoch erst in

Schwierigkeiten etc. Die Unterschiede zwischen Punks undRavern liegen häufig in der Lebensplanung.

Haben junge Menschen aus der Raverszene häufig sehr bür-gerliche Vorstellungen vom Leben, tendieren Punks als Aus-druck ihrer Subkultur häufig zu selbstbestimmten Lebensfor-men. Diese Tatsachen bestimmen die pädagogischen Hand-lungsmuster. Greifen bei vielen Ravern die üblichen Hilfe-stellungen wie z.B. die Unterstützung bei Fragen des SGB IIoder bei der Installation von Jugendhilfe, muss bei jungenMenschen aus der Punkszene auf unkonventionellere Metho-den zurückgegriffen werden. Dieses kann z.B bedeuten, dasseventuell ein Bauwagen und ein dazugehöriger Stellplatz or-ganisiert werden müssen. Insgesamt macht diese Unter-schiedlichkeit die Arbeit mit diesen jungen Menschen jedochgerade interessant und stellt eine Herausforderung dar.

Anmerkungen:

1) Die Angebote dieser Einrichtung wurden bereits in vorherge-henden Ausgaben des FORUMs publiziert. Vgl. Meent Adden:Das KIDS des Vereins Basis e.V. als Praxisbeispiel zur Partizi-pation von Kindern und Jugendlichen, in: FORUM für Kinderund Jugendarbeit, 4. Quartal, 2003.

2) Vgl. Meent Adden: Arbeitsfeld DOM – eine Herausforderungfür die Straßensozialarbeit am Beispiel des Dom-Präventions-projekts des KIDS, Hamburg 2006.

3) Vgl. P. Tossmann / M.-D. Tensil: Drogenkonsum Jugendlicherin der Techno-Party-Szene europäischer Metropolen, S. 71. In:Akzeptanz, Nr. 2/2000.

4) Vgl. Meent Adden: Szenen in Bewegung. Aufsuchende Straßen-sozialarbeit in mobilen Jugendszenen. Unveröffentlichtes Ma-nuskript. Der Beitrag kann beim Autor über das FORUMangefordert werden.

5) Kai von Appen: Operation saubere Innenstadt, taz vom 20.2.09.

6) Offensichtlich wurden in diesem Falle Gothics und Emos ver-wechselt.

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Wi l l k ommen be i den Ho l s t enpunx !

Meent Adden

ist Diplom-Pädagoge und leitet dieAbteilung Jugendsozialarbeit beimTräger basis&woge e.V

Willkommen bei den Holstenpunx!Bewährt und bedroht: Wohnprojekt für Punker in Altona

von Jörg Bretschneider

Wotan und Absinth begrüßen mich freudig. In der Sandkistebuddeln Flöte und Angel. An diesem Mittag ist es, bis auf diebaumhockenden Saatkrähen, ruhig am Holstenkamp, einerseit ungefähr 2,5 Jahren leer stehenden ehemaligen Flücht-lingsunterkunft in Bahrenfeld. Seit August letzten Jahres sindvon insgesamt sieben Backsteingebäuden zwei von jungen,ehemals wohnungslosen Punks und deren Hunden, Rattenund Reptilien belegt.

Nach über einem dreiviertel Jahr gemeinsamen Wohnens imHolstenkamp steht nun eine gravierende Veränderung insHaus: Seit Ablauf des Winternotprogramms Mitte April und

trotz zweier Verlängerungen bis Ende September ist der lang-fristige Verbleib der frisch Obdachhabenden in diesem ein-maligen Projekt unsicher und sie fürchten, wieder auf derStraße leben zu müssen.

„Ein und ein halbes Jahr hab ich ohne festen Wohnsitz,dass heißt obdachlos, auf Hamburgs Straßen verbrachtbevor ich ins Haus 4 am Holstenkamp 119 eingezogen bin.Das war Anfang Oktober 2008.Vor dem Einzug war meinAlltag von Schnorren und Saufen geprägt, ich hatte zwarversucht auf normalen Wege eine Wohnung zu finden,wurde aber ständig abgelehnt. Meistens haben wir unterBrücken, in Parks, oder am Altona Bahnhof geschlafen.Das ist seit dem Oktober letzten Jahres anders. Heute habeich meinen eigenen Raum, Wasch- u. Kochmöglichkeiten,2-mal in der Woche Boxtraining (bald sogar 3-mal), undarbeite von Mo. - Fr. in dem Punkprojekt von Jugend hilftJugend, zudem wohne ich mit meinen 16 Mitbewohnernzusammen, die ich schon aus meiner Straßenzeit kenne undauf die man sich verlassen kann. In der Woche trinke ichgar nicht mehr und schnorren muss ich auch nicht mehr.“(Aus dem Erlebnisbericht eines Bewohners).Fotokollektiv Holstenpunx