J. S. Bachs Wohnhaus in Weimar Alexander Ferdinand ... · PDF file10 Jung, H. R., Johann Sebastian Bach in Weimar 1708-1715, in: Tradition und Gegenwart , Schriftenreihe des Rates

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    J. S. Bachs Wohnhaus in Weimar Alexander Ferdinand Grychtolik Das Grundstck am Markt Nr. 16, unweit des Roten Schlosses, gehrt als ehemaliger Standort des Wohnhauses Johann Sebastian Bachs und seiner Familie zu den historisch-authentischen Bachsttten in Weimar. Bis zum heutigen Zeitpunkt ruhen die Kellergewlbe dieses Gebudes unter einem Parkplatz; Eine Gedenktafel ber Bachs Wohnsitz ist irrtmlicherweise an der Erdgeschomauer des ehemaligen westlichen Nachbarhauses angebracht, welches jedoch in seiner komplexen Nutzungs- und Baugeschichte eng mit dem Bachwohnhaus verbunden ist. Aus diesem Grunde wird zwischen dem westlichen und stlichen Freihaus unterschieden, wobei letzteres als nachweislicher Wohnort Bachs im Ursprung ein normales, brgerliches Wohngebude war und nicht den Status eines Freihauses hatte. Der Begriff Freihaus oder Freyes Haus rhrt von der weitgehenden Steuerbefreiung der Bewohner, mit Ausnahme der Trken- und Landessteuer. Einen brgerlichen Beruf zu treiben war diesen jedoch nicht erlaubt. Die Freihuser waren als einzelne Gebude ber die ganze Stadt verteilt. Meist wurden Hofangestellte hheren Ranges mit einem solchen Haus durch den Frsten belehnt. Bei Regierungsantritt eines neuen Herrschers musste diese Belehnung jedoch stets besttigt oder erneuert werden.1

    J. S. Bach hatte in seiner Funktion als Hoforganist und spterer Konzertmeister der Weimarer Hofkapelle in einem solchen Freihaus also seine Dienstwohnung, fnf Minuten von Schloss Wilhelmsburg, seinem vorrangigen Arbeitsplatz, entfernt. Die beiden spter zusammengelegten Gebude sind insbesondere aufgrund ihrer kulturhistorischen Bedeutung aus der Sicht der historiologischen Bauforschung interessant. Das hier von 1749 bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein betriebene Hotel Zum Erbprinzen (spter auch Parkhotel genannt) spiegelt mit seinen durchlebten Hhen und Tiefen und den Biographien seiner Bewohner in besonderer Weise deutsche Kulturgeschichte und darber hinaus einen Teil Weltgeschichte im Sinne des Historikers Karl Bechstein2 wider, der durch seine Forschungen in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts Bachs Weimarer Wohnsitz an dieser Stelle erstmalig nachweisen knnte.

    1 Bechstein, K., Huser und Gassen in Altweimar, Weimar 1938, S. 144. 2 Ebda., S. 131 ff.

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    Abb. 1:

    Entwicklung der Weimarer Marktsdseiten-Bebauung mit dem Frstenkeller, Bachs Wohnhaus bzw. Hotel Erbprinz, Hotel Elephant und dem Gasthaus Zum Schwarzen Bren (von links nach rechts) als Fassadenabrisse: Zustand (von oben nach unten) im 18. Jahrhundert (Rekonstruktion), im 19. Jahrhundert, nach 1938, nach 1945 sowie nach 1990. Grau hinterlegt jeweils der Fassadenbereich

    von Bachs Wohnhaus (Zeichnung: A. F. Grychtolik).

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    Die frhe Bau- und Nutzungsgeschichte des Bach-Wohnhauses Der Bereich am sdstlichen Marktauslufer im historischen Stadtkern, unweit der ehemaligen Burganlage der Wilhelmsburg, gehrt zum Gebiet der ersten Stadterweiterung Weimars. Bereits Mitte des 16. Jahrhunderts existierte an der Marktsdseite eine traufstndische Zeilenbebauung, welche im Wolfschen Stadtplan von 1569 die erste aussagekrftige Abbildung dieses Gebietes darstellt.3 Hieraus wird ersichtlich, dass das Grundstck des spteren Wohnhauses Bachs direkt an die Weimarer Stadtbefestigung grenzte, welche hier aus einem bis zu 30m breiten und 8m tiefen Graben, der so genannten Lotte, bestand. Sie entstand infolge postglazialer Abtauprozesse und wurde durch Umleitung bzw. Ausbau in die Verteidigungsanlagen der Stadt integriert. Der Graben bot in diesem Abschnitt als natrliches Hindernis ausreichend Schutz, um auf eine herkmmliche, zwei bis drei Meter starke, massive Stadtmauer zu verzichten. Das Wasser vom spter verrohrten und zugeschtteten Lottegraben (heute Bereich Puschkinstrae) mndet bis heute in die Ilm. In der Bauforschung wird heute davon ausgegangen, dass jener Bereich am Marktplatz bereits um 1550 von geringen Ausnahmen abgesehen eine vollstndige steinerne Bebauung aufwies.4 Diese Situation ist insofern von Bedeutung, als dass die bis heute weitgehend erhaltenen Kellergewlbe des ehemaligen Bachwohnhauses in ihren ltesten Teilen aus dieser Zeit stammen. Sie sind somit auch Zeugnis des aufkommenden brgerlichen Steinbaus im 16. Jahrhundert.

    Abb. 2 Grundriss-Ansicht der Keller des stlichen und westlichen Freihauses (Aufmass um 1990 mit

    Bauphasen)

    3 Stadtplan Weimar von Johannes Wolf, 1569. 4 Engst, W., ber Wohnhausbau- und Bauwesen der Renaissance in Weimar, Dissertation an der Technischen Hochschule Dresden, Dresden 1923.

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    Haben die Keller (Abb. 2) des westlichen Gebudes zwei zueinander parallel gelegene, relativ regelmige Tonnengewlbe mit je ca. 45qm Grundflche und eine breite, hofseitige Erschlieungstreppe, was insgesamt eine einheitliche Erbauung vermuten lsst, so fallen die Keller des stlichen Gebudes durch ihre kleinteiligere Kammerstruktur auf, welche eine kompliziertere Baugeschichte in mehreren Stadien nahe legt. Unter Bercksichtigung der Tatsache, dass die Hausgren und somit auch die Haustiefen im Laufe der Jahrhunderte allgemein zunahmen, knnen die typologisch nur noch selten anzutreffenden, parallel zur Strae verlaufenden Kellergewlbe des stlichen Hauses (die fr eine ursprnglich geringere Haustiefe sprechen) einer lteren Bauperiode (in Abb. 2 schwarz) zugeordnet werden. Hierfr spricht auch der Transchlag am Ende des Korridors, der wohl den Rest der lteren Hoferschlieung der Keller darstellt. Bei der kleinen, eingewlbten Kammer kann es sich um einen vormalig auen liegenden Speicherkeller handeln, der bei spterer Vergrerung des Gebudes in die Hauskeller einbezogen wurde. Hiermit knnte auch der leicht labyrinthisch gefhrte Erschlieungsgang mit zwei Hhenunterschieden erklrt werden. Der zweiten Bauphase, unter welche die Vergrerung der Haustiefe und somit auch jener unterkellerten Bereiche fiel, kann vermutlich auch das in Nord-Sd-Richtung verlaufende Tonnengewlbe (in Abb. 2 Kreuzschraffur) als Anbau an das ltere Gewlbe zuwiesen werden. Der in der Grundrissansicht rechteckige Wandpfeiler im stlichen Hauskeller (in Abb. 2 ohne Schraffur) wurde hchst-wahrscheinlich erst in der letzten Umbauphase im 19. Jahrhundert eingefgt, um die Last eines neuen, raummittigen Pfeilers im Erdgescho abzuleiten. Unter Abbruch der tragenden Innenwnde konnte dort eine gerumige Gaststube (ab 1939 als Bachstube bezeichnet) eingerichtet werden. ber die Nutzungsgeschichte des stlichen und westlichen Freihauses berichtet ausfhrlich Karl Bechstein5, worauf sich die folgenden Aussagen weitgehend sttzen. Das stliche Freihaus am ehemaligen Tpfermarkt, in dem sich spter Bachs Dienstwohnung befand, ist ebenfalls wie sein westliches Nachbargebude in der Trken- und Landessteuerliste mit dem Besitzer, Kanzler Steffan Kloed, erstmalig quellenkundlich dokumentiert. Im Gegensatz zu seinem westlichen Nachbarhaus aber war es im Ursprung kein Freihaus und ist in seiner Nutzungsgeschichte mit vielen bekannten Persnlichkeiten verbunden. Erst unter Hofrat Johann Robeck, der 1579 das Haus an Witwe Marie Salome, Grfin v. Reu zu Plauen, verkaufte, erlangte dieses den Status eines Freihauses, nachdem Robeck durch den Erwerb des Freihauses des Nicol Oberreichschen im Baderglein dessen Rechte auf sein Wohnhaus am Tpfermarkt bertragen hatte. Hiernach sind weitere Besitzerwechsel belegt.6 5 Bechstein, K., a. a. O., S. 131 ff. 6 Bereits 1587 wird das Freihaus an Friedrich Wilhelm, Herzog von Sachsen-Altenburg, den Bruder

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    Das stliche Freihaus als Dienstwohnung Bachs Im Jahr 1701 erwarb Johann Paul von Westhoff (1656-1705) das stliche Freihaus.7 Er gehrt neben Heinrich Ignatz Franz v. Biber und Johann Jakob Walther zu den bedeutendsten Vertretern des mehrgriffigen, virtuosen deutschen Soloviolinspiels des 17. Jahrhunderts. Nur wenig ist heute ber diesen wichtigen Komponisten und Violinisten der Generation vor Bach bekannt Johann Gottfried Walther rhmt Westhoff in seinem Musicalischen Lexicon von 1732 als einen sehr beliebt gewesenen, gelehrten Musicus. Vermutlich war Westhoff 1699 nach Weimar gekommen, um eine Anstellung am Weimarer Hof als Kammersekretr und Musiker aufzunehmen. Diese Doppelfunktion hfischer Musiker, wie sie auch auf J. S. Bachs erste Anstellung in Weimar 1703 zutrifft, war im 17. und 18. Jahrhundert nicht ungewhnlich. Westhoffs Privileg jedoch, an des Hofmarschalls Tafel zu speisen8, bezeugt nicht nur sein hohes persnliches Ansehen am Hofe, sondern insbesondere auch seinen viel hheren Sozialstatus im Vergleich zu seinen Musiker-Kollegen der Hofkapelle von Wilhelm Ernst. Johann Paul von Westhoff ist Sohn des Kammermusikus Friedrich von Westhoff (1611-1694), welcher im Dreiigjhrigen Krieg unter Gustav Adolf als Rittmeister gedient hatte. Geboren und als Kammermusiker ausgebildet in Dresden, war Johann von 1674 bis 1697 Mitglied der dortigen Hofkapelle und unternahm bei unterbrochener Anstellung lngere Reisen nach Italien, England und Frankreich. Whrend der einfallenden Pest ging er nach Schweden und kehrte hierauf ber Livland nach Sachsen zurck. 1680 diente er whrend der Trkenkriege in Ungarn sogar als Fhnrich in der kaiserlichen Leibkompanie.9 Angesichts dieser umfangreichen Auslandserfahrungen war er bereits whrend

    des regierenden Frsten von Sachsen-Weimar, verkauft. Dieser trat es an Kanzler Dr. Marcus Gerstenberger ohne einige Bedingung als Schenkung ab. Schon vor 1616 ist der wegen seiner Gelehrsamkeit ber Weimar hinweg in hohem Ansehen stehende Kanzler, Hofrat und Konsistorial- prsident Dr. Samuel von Gch