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Jahresbericht 2010 Archiv für Zeitgeschichte Institut für Geschichte

Jahresbericht 2010 - ETH ZJahresbericht 2010 Archiv für Zeitgeschichte Institut für Geschichte 2 _____ Herausgeber: Archiv für Zeitgeschichte, Zürich 2011. Redaktion: Gregor Spuhler,

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    Jahresbericht 2010Archiv für Zeitgeschichte

    Institut für Geschichte

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    _____________________________Herausgeber: Archiv für Zeitgeschichte, Zürich 2011.

    Redaktion: Gregor Spuhler, Philippe Oggier

    Satz und Gestaltung: Jonas Arnold

    Sämtliche Illustrationen aus dem Archiv für Zeitgeschichte, Zürich.

    Gedruckt mit Unterstützung des Freundeskreises des Archivs für Zeitge-schichte und der Stiftung Jüdische Zeitgeschichte an der ETH Zürich.

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    Inhaltsverzeichnis1 Das Jahr 2010 im Überblick .............................................................................. 52 Berichte der Dokumentationsstellen ..............................................................8

    2.1 Politische Zeitgeschichte ..............................................................................................82.2 Jüdische Zeitgeschichte ............................................................................................... 112.3 Wirtschaft und Zeitgeschichte ................................................................................ 18

    3 Infrastruktur ...................................................................................................... 233.1 Digitalisierung und Online-Vermittlung von Archivgut ................................ 233.2 Systemdienste ................................................................................................................263.3 Gebäude und Mobiliar ................................................................................................26

    4 Sammlungen und Dokumentationen ........................................................... 274.1 Presseausschnittdokumentation ............................................................................ 274.2 Bibliothek .........................................................................................................................28

    5 Vermittlung und Vernetzung ..........................................................................315.1 Benutzung..........................................................................................................................315.2 Lehre ...................................................................................................................................345.3 Forschung und Publikationen .................................................................................. 355.4 Verbände, Kooperationen, Vernetzung .................................................................36

    6 Neuzugänge ..................................................................................................... 376.1 Nachlässe .......................................................................................................................... 376.2 Institutionelle Bestände.............................................................................................386.3 Dokumentationen und Kopienbestände ............................................................396.4 Bild- und Tondokumente .......................................................................................... 406.5 Dank .................................................................................................................................. 40

    7 Erschlossene Bestände .................................................................................... 417.1 Nachlass Paul Stauffer.................................................................................................. 417.2 Familienarchiv Herzka ..................................................................................................437.3 Nachlass Ernst Ludwig Ehrlich .................................................................................457.4 Jüdische Gemeinde Kreuzlingen .............................................................................477.5 SIG Berner Prozess ....................................................................................................... 497.6 Nachlass Philippe Schwed ..........................................................................................517.7 Archiv Assessmentpraxis Zürich .............................................................................. 52

    8 Das Archiv auf einen Blick .............................................................................. 538.1 Daten 2010 ....................................................................................................................... 538.2 Finanzen ...........................................................................................................................548.3 AfZ-Team ...........................................................................................................................568.4 Archivgut ..........................................................................................................................58

    9 Förderungswerk, Gönner und Sponsoren ....................................................599.1 Stiftung Archiv für Zeitgeschichte .........................................................................599.2 Stiftung Jüdische Zeitgeschichte an der ETH Zürich ...................................609.3 Simon und Hildegard Rothschild-Stiftung ........................................................60

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    9.4 Victor H. und Elisabeth Umbricht-Stiftung ........................................................ 619.5 Karl Schmid-Stiftung ................................................................................................... 619.6 Emil Friedrich Rimensberger-Fonds ...................................................................... 619.7 Mary und Hermann Levin Goldschmidt-Fonds ................................................629.8 Gönner ..............................................................................................................................629.9 Projektbeiträge ..............................................................................................................62

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    1 Das Jahr 2010 im Überblick Das Jahr 201o war zum einen von ausserordentlich umfangreichen Übernah-men von Archivgut geprägt. Zum anderen wurden Mitte Jahr im Bereich der Digitalisierung und der online-Vermittlung unseres Archivguts zwei wichtige Etappenziele erreicht: Das mit vier Staatsarchiven gemeinsam entwickelte Archivportal wurde der Öffentlichkeit vorgestellt und das vom Schweize-rischen Nationalfonds unterstützte Digitalisierungsprojekt „Zeitgeschichte-digital.ch“ nahm seinen Betrieb auf.

    War 2009 auf Grund der Reorganisation des Archivbetriebs und aufwen-diger Projektplanungen nur sehr wenig Quellenmaterial übernommen worden, so dürfte das Jahr 2010 mit der Akzession von Beständen in einem Gesamtumfang von mehr als 700 Laufmetern (Lfm) auf absehbare Zeit einen Spitzenplatz einnehmen. Dazu trugen das Firmenarchiv von Landis & Gyr mit 360 Lfm und das Archiv der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) mit 140 Lfm bei. Die sorgfältig vorbereiteten Übernahmen fügen sich in die strategische Ausrich-tung des AfZ ein und sind mit dem Zufluss erheblicher Drittmittel verknüpft. Das Archiv der ICZ, der grössten jüdischen Gemeinde der Schweiz, reicht bis ins 19. Jahrhun-dert zurück. Seine Übernahme ist Ausdruck unseres Engagements zur Sicherung der jüdischen Ge-meindearchive – sei es durch Beratung oder Vermittlung von Archivlösungen, sei es durch die direkte Übernahme. Die Sicherung und Erschliessung des ICZ-Archivs wurde durch einen namhaften Beitrag aus dem Lotteriefonds des Kantons Zürich ermöglicht. Das bereits erschlossene Firmenarchiv von Landis & Gyr stärkt nicht nur

    Band 5 der Schriftenreihe des Archivs für Zeitge-schichte: Madeleine Lerf: „Buchenwaldkinder“ – eine Schweizer Hilfsaktion.

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    unseren Fachbereich Wirtschaft und Zeitgeschichte; das Archiv der elek-trotechnischen Unternehmung passt auch ausgezeichnet an die ETH und ermöglicht ebenso technikgeschichtliche wie wirtschaftsgeschichtliche Forschung. So wurden mit der Übernahme seitens der ehemaligen Besit-zerfamilie zusätzliche Mittel in Aussicht gestellt, die der Auswertung und Vermittlung des einzigartigen Quellenbestandes dienen. Nicht vorhersehbar war hingegen die Übernahme des Archivs der PR-Agentur Farner Consulting AG. Im Zusammenhang mit Umbauarbeiten am Firmensitz signalisierte die Firma Handlungsbedarf, und eine Woche später waren 130 Laufmeter Mate-rialien zur Schweizer Wirtschaftsgeschichte, Geschichte der Öffentlichkeits-arbeit und der politischen Meinungsbildung in einem Aussenmagazin des AfZ untergebracht. Möglich waren diese Übernahmen zum einen, weil die ETH in Oerlikon zugunsten der Archive der ETH neue Lagerräume mietete. Zum andern hat das AfZ im Rahmen der laufenden Katalogisierung seiner Bibliothek eine systematische Bewertung und zum Teil eine Kassation der Bib-liotheksbestände in Angriff genommen, die zusätzlichen Raum schaffen soll.

    Die Hauptarbeit fällt jedoch nicht bei der Übernahme von Archivgut an, sondern bei dessen Ordnung und Erschliessung. 2010 konnten mehrere Erschliessungsprojekte erfolgreich beendet werden. Erwähnt seien der Nachlass des Historikers und Diplomaten Paul Stauffer, das Familienarchiv Herzka, der Nachlass von Ernst Ludwig Ehrlich, das Archiv der jüdischen Gemeinde Kreuzlingen, die Akten zum Berner Prozess gegen die antisemi-tischen „Protokolle der Weisen von Zion“ und das Archiv der psychologischen Assessmentpraxis Zürich. Die für zahlreiche Forschungsfragen ergiebigen Bestände werden in Kapitel 7 dieses Berichts vorgestellt.

    Nach dem Abschluss des Rahmenvertrags mit dem US Holocaust Memorial Museum Washington und ersten Testläufen im Frühjahr 2010 konnte das Digitalisierungsprojekt „Zeitgeschichte-digital.ch“ im August den ordnungs-gemässen Betrieb aufnehmen. Bis Ende Jahr waren weit mehr als 100‘000 Seiten Archivgut digitalisiert; inzwischen konnte die erste Jahrestranche abgeschlossen werden und dem Holocaust Museum wurde eine Harddisk mit 337‘130 Seiten übergeben; Kernstück bildet das Archiv des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG, Teil I, 1902–1985) im Umfang von 34 Lfm oder rund 250‘000 Seiten. Damit sind diese Bestände nicht nur in der Schweiz und in den USA benutzbar, sondern in Form von digitalen Kopien

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    auch an verschiedenen Orten gesichert. Die erfolgreiche Zusammenarbeit wird fortgeführt, und die Detailplanung reicht mittlerweile bis Mitte 2013. Das mit den Staatsarchiven Zürich, Zug, Thurgau und Basel-Stadt realisierte Archivportal ermög-licht erstmals die gleichzeitige archivübergreifende Stichwort-Suche in den Datenbanken aller angeschlossenen Archive. Seit der Lancierung des Portals im Juli 2010 haben sich die Staatsarchive Bern, St. Gallen und Graubünden angeschlossen, und weitere wer-den folgen. Damit dürfte sich das Portal als zentraler Einstieg in die archivalische Quellenrecherche etablieren.Schliesslich wurde die Publika-tionsreihe des Archivs für Zeit-geschichte reaktiviert. Stammte die letzte Veröffentlichung aus dem Jahre 2003, so wurde die Reihe 2010 mit zwei Dissertati-onen fortgeführt. Madeleine Lerf untersuchte die 1945 initiierte schweizerische Hilfsaktion zugunsten der „Buchenwaldkinder“ und Zsolt Keller analysierte den Kampf des SIG gegen den Antisemitismus in der Nachkriegszeit.

    Für die grosszügige Unterstützung unserer Arbeit danken wir allen Spon-soren und Gönnern, die im Berichtsjahr rund 40 Prozent des gesamten Bud-gets des AfZ getragen und damit die im Folgenden ausführlich dargestellten Arbeiten zur Erhaltung und Vermittlung zeitgeschichtlichen Kulturguts ermöglicht haben.

    Band 6 der Schriftenreihe des Archivs für Zeit-geschichte: Zsolt Keller: Abwehr und Aufklärung – Antisemitismus in der Nachkriegszeit und der Schweizerische lsraelitische Gemeindebund.

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    2 Berichte der Dokumentationsstellen

    2.1 Politische Zeitgeschichte

    Akzessionen

    Ein erster Teil des Nachlasses von Heinrich Buchbinder, einem internatio-nal einflussreichen Sicherheitsexperten der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SPS), konnte 2005 übernommen werden. Im Dezember 2010 schenkte Chantal Buchbinder, die Witwe des einstigen Trotzkisten und Atom-bewaffnungsgegners, dem AfZ Unterlagen im Umfang von weiteren 29 Lauf-metern. Diese dokumentieren hauptsächlich die Zeit nach den 1960er Jahren und enthalten Archivgut zur Biografie, zu politischen Tätigkeiten Buchbinders in der SPS und in der Sozialistischen Internationale, als Aargauer Grossrat und als Gewerkschaftsfunktionär sowie zur Friedens- und Sicherheitspolitik. Auch Akten zu Buchbinders beruflicher Tätigkeit für das Konkordat Schweizer Kran-

    kenkassen sowie für die Berufsverbände der Chiropraktoren in der Schweiz und auf internationaler Ebene sind vorhanden. Die Vorbereitung der Akzession gestaltete sich sehr aufwändig, da die Unterlagen wenig strukturiert waren und umfangreiche lose Materialien bereits vor Ort einer ersten Bewertung unterzogen wurden.

    Im Berichtsjahr hat Prof. Dr. Verena Meyer dem AfZ die noch bei der Familie verbliebenen Unterlagen aus dem Nach-lass ihres Vaters, des Zürcher Historikers Prof. Dr. Karl Meyer geschenkt. Dessen For-schungsinteresse galt primär der Entste-hungsgeschichte der Eidgenossenschaft.

    Angesichts der Bedrohung durch den Nationalsozialismus stellte er sich als patriotischer Mahner in den Dienst der Geistigen Landesverteidigung. Vor allem diesen Aspekt dokumentiert der Bestand, der auch Unterlagen zur Publikation „Anpassung oder Widerstand“ seiner Ehefrau Alice Meyer enthält. Ein Teilnachlass ist – wie erst nach erfolgter Akzession in Erfahrung gebracht

    Heinrich Buchbinder (1919–1999) auf einem Passfoto Anfang 1960er Jahre

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    wurde – bereits vor Jahrzehnten ins Stadtarchiv Zürich gelangt. Dieser enthält im Unterschied zum Bestand im AfZ hauptsächlich Unterlagen zu Meyers Schaffen als Historiker. Die geplante Erschliessung des Teilnachlasses hat Verena Meyer mit einem namhaften Beitrag unterstützt, wofür ihr das AfZ herzlich dankt.

    Das im Vorjahr lancierte Projekt zur Sicherung von Beständen zu den Schweizer Ärztemissionen an die Ostfront führte erneut zu einigen Neu-zugängen, darunter die Nachlässe des Arztes Dr. Fréderic Rodel und des Krankenpflegers Ernst Gerber sowie zwei Fotoalben der Krankenschwester Suzanne Montandon und des Arztes Emil Hügi, die sich anlässlich einer solchen Mission kennenlernten und später heirateten. Zwei kleinere Neuzugänge betreffen den Polizisten Christian Dutler, der sich nach dem „Anschluss“ Österreichs als Fluchthelfer betätigte und in der Folge seine Stelle verlor, sowie den in Zürich lebenden gebürtigen Deutschen Harald Föhr, welcher als Wehrmachtssoldat vier Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft verbrachte.

    Im vergangenen Jahr durfte das AfZ wieder zahlreiche Ergänzungen zu bereits vorhandenen Beständen entgegennehmen. Erwähnenswert sind insbesondere eine umfangreiche Nachlieferung zum Vorlass des Berner Historikers Walther Hofer sowie familiengeschichtliche Unterlagen zum Vorlass des Basler SP-Politikers und Atomenergiegegners Alexander Euler.

    ErschliessungDank der grosszügigen Unterstützung durch die Donatoren konnten im Berichtsjahr zwei grössere Erschliessungsprojekte in Angriff genommen werden: Der bereits im Vorjahr vorgeordnete Nachlass des Diplomaten und Historikers Dr. Paul Stauffer wurde von Lara Bär bis Jahresende weitgehend aufgearbeitet (vgl. Kap. 7). Vom Nachlass Hans Hutter hat Michael Schaer zunächst eine summarische Bestandesaufnahme erstellt und anschliessend wesentliche Teile der Dokumentation zu Hutters Teilnahme als Freiwilliger am Spanischen Bürgerkrieg detailliert erschlossen. Die Bearbeitung der vom

    Kantonspolizist und Fluchthelfer Christian Dutler (1905–1970) an seinem letzten Posten in Pfäfers um 1938

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    Bestandesbildner über Jahrzehnte hinweg immer wieder benutzten, oft auch umgeordneten und teilweise aufgeklebten Dokumente war mit erheblichem konservatorischem Aufwand verbunden.

    Für die Erschliessung der 2010 übernommenen Unterlagen zur Familienge-schichte von Alexander Euler konnte Florian Rohner gewonnen werden. Dank seiner Russischkenntnisse liessen sich die grösstenteils in kyrillischer Schrift verfassten Dokumente, mehrheitlich familiäre Korrespondenz, identifizieren und richtig zuordnen, so dass dieser Teilbestand innerhalb des umfangreichen Vorlasses von Alexander Euler nun fertig verzeichnet vorliegt.

    Mit der Einflechtung einer grösseren Nachlieferung ist nun auch der Nach-lass von Hans Konrad Sonderegger, einem der bedeutendsten Exponenten der Schweizer Freiwirtschaftsbewegung, definitiv für die Forschung aufbereitet. Die bereits vor längerer Zeit erschlossenen Nachlässe von Walter Bosshard und Gustav Däniker sen. wurden formal überarbeitet und soweit möglich und sinnvoll den heutigen Verzeichnungsrichtlinien angeglichen. Beim Nachlass des Fotoreporters Walter Bosshard erwies sich die Vielzahl von Verweisen im Findmittel als besondere Herausforderung. Für ein Projekt des AfZ zur langfristigen Sicherung sämtlicher 18 im Nachlass enthaltenen Filme von Walter Bosshard bewilligte Memoriav einen Kostenbeitrag von 50 Prozent.

    Sonstige ProjekteFür die 1. Augustfeier 2010 plante die Schweizer Botschaft in Berlin einen Tag der offenen Tür. Auf Anfrage von Botschafter Tim Guldimann stellte das AfZ zahlreiche mit Kurzlegenden versehene Bilddokumente zusammen, welche die schweizerisch–deutschen Beziehungen der letzten 150 Jahre unter verschiedensten Aspekten wie Politik, Diplomatie, Wirtschaft, Kultur und Sport exemplarisch darstellen und die Grundlage für eine in der Bot-schaft gezeigte Tonbildschau bildeten.Der Politischen Zeitgeschichte galt

    Tonbildschau zu den Beziehungen Schweiz – Deutschland,welche am 1. August 2010 in der Schweizer Botschaft in Berlin gezeigt wurde.

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    auch ein vom AfZ veranstaltetes Zeitzeugenkolloquium: Im Rückblick auf seine 35jährige Diplomatenkarriere beleuchtete Dr. Franz Birrer insbesondere seine Jahre als Botschafter in Addis Abeba (1981–1987), wo er die Schweiz gegenüber verschiedenen, vorwiegend unter kommunistischem Einfluss stehenden Staaten vertreten hatte, sowie in Ost-Berlin (1987–1990). Beson-ders eindrücklich war seine Schilderung der Feier vom 7. Oktober 1989 zum 40. Jahrestag der DDR im „Palast der Republik“, wo sich die Spitzen aller Ostblockstaaten inklusive Gorbatschow am Vorabend des Mauerfalls zum letzten Mal getroffen hatten.

    Am 23. November 2010 durfte das AfZ eine Gruppe von Assistenten und Projektmitarbeitern der Dozentur für Militärgeschichte an der Militära-kademie an der ETH Zürich (MILAK) begrüssen. Nach einer allgemeinen Präsentation des Archivs wurden aus der breiten Palette der Bestände zur Militärgeschichte und zum Kalten Krieg ausgewählte Beispiele vorgestellt. Die MILAK-Angehörigen konnten sich überzeugen, dass das AfZ auch zu Forschungsthemen aus dem sicherheitspolitischen Bereich Einiges zu bie-ten hat, was auch die Vielzahl von Benutzungen zu einschlägigen Themen eindrücklich belegt.

    2.2 Jüdische ZeitgeschichteNeben zahlreichen kleineren Neuzugängen und verschiedenen Nachliefe-rungen zu bereits vorhandenen Beständen bildete die Akzession des um-fangreichen historischen Archivs der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) den Schwerpunkt des Berichtsjahres. Von strategischer Bedeutung war zudem die Unterzeichnung des Vertrages mit dem United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) in Washington am 26. April 2010, der eine langjährige Zusammenarbeit in der Digitalisierung unserer Archivbestände zur jüdischen Zeitgeschichte vorsieht. Als weitere Höhepunkte seien der Holocaustgedenktag (27. Januar 2010) sowie die Zeitzeugenkolloquien mit Rabbiner Hermann I. Schmelzer (16. Juni/3. November 2010) genannt.

    AkzessionenNina Zafran-Sagal, die Präsidentin von OMANUT, dem Verein zur Förderung und Vermittlung jüdischer Kunst und Kultur in der Schweiz, übergab dem AfZ das historische Vereinsarchiv (ca. 1940–2000). Ursprünglich als jüdischer Kulturverein 1932 in Zagreb gegründet, wandelte sich OMANUT in den letzten

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    Jahrzehnten zu einem Forum, welches Ausstellungen und Führungen organi-siert und Preise an ausgewählte Künstler verleiht. In den Bestand integriert wurden auch die Akten der Salomon Steinberg-Stiftung, die zwischen 1966 und 1991 ebenfalls in der jüdischen Kulturförderung tätig gewesen war. Die Familienstiftung Rahel und Samuel Bollag überliess dem AfZ den grösseren Teil ihres Stiftungsarchivs, das die Förderungstätigkeit der international weit verzweigten Familie seit den 1930er Jahren dokumentiert.

    Gleich mit mehreren Nachlieferungen bzw. Neuzugängen konnte einer unserer thematischen Schwerpunkte – die schweizerische Flüchtlingspoli-tik und Flüchtlingshilfe während und nach dem Zweiten Weltkrieg – wei-

    ter ausgebaut werden. So ergänzt die umfangreiche Nachlieferung von Therese Schmid-Ackeret ihre bereits 2005 dem AfZ geschenkte Forschungsdokumentation über Els-beth Kasser. Hierbei handelt es sich vorwiegend um Originalmaterialien von Elsbeth Kasser selbst, die sich bei ihrem Neffen Christoph Röthlisberger und bei ihrer Bekannten Charlotte JeanRichard befunden hatten.Eine weitere Ergänzung zum Kom-plex der Nachlässe ehemaliger Kran-kenschwestern und Flüchtlingshel-ferinnen bildet die Schenkung des Nachlasses von Emma Ott (geb. 1907). Sie absolvierte ihre ersten Lehrjah-re in den 1930er Jahren bei Albert

    Schweitzer in Lambaréné (Gabun). Ab 1942 war Emma Ott als Krankenschwe-ster in verschiedenen Internierungslagern in Südfrankreich tätig, u.a. in Gurs und in Rivesaltes. Von Helene Loo-von Wild erhielten wir den Nachlass ihrer 1983 verstorbenen Schwester Ruth von Wild, die vor und während des Zweiten Weltkriegs in Spanien und Frankreich im Auftrag schweizerischer Kinder-hilfsorganisationen mehrere Lager leitete. Unmittelbar nach dem Krieg war Ruth von Wild in Deutschland für das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS) tätig. Neben den beiden Donatorinnen gilt unser Dank auch

    Aus einem Fotoalbum der Flüchtlingshelfe-rin Ruth von Wild: „Flüchtlingskind“ (ca. 1948)

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    Dr. Helena Kanyar Becker für ihre Vermittlung und Mithilfe bei der Übernahme der Bestände. Als Herausgeberin einer Sammlung biografischer Porträts hat sie diesen „Vergessenen Frauen“ ein Denkmal gesetzt. Für ihre vielbeachte-ten Arbeiten und Ausstellungen über die schweizerische Flüchtlingspolitik und die humanitäre Schweiz erhielt Helena Kanyar Becker den diesjährigen Wissenschaftspreis der Stadt Basel in der Höhe von 20‘000 Franken.

    Eine wertvolle Ergänzung zum Nachlass des ersten Rabbiners der ICZ, Dr. Martin Littmann (1864–1945), durfte das AfZ Dank einer Schenkung der Enkelin, Dr. Bettina Girsberger, entgegennehmen. Es handelt sich um die handschriftlichen Tagebücher und Aufzeichnungen ihres Grossvaters seit ca. 1901, die bisher in der Bibliothek der ICZ lagerten. Darin befinden sich neben religiösen Betrachtungen auch persönliche Erlebnisse und Beobachtungen, die Martin Littmann in seiner langen Zeit als ICZ-Rabbiner (1893–1937) ver-fasst hat. Wir möchten uns an dieser Stelle auch bei Dr. Yvonne Domhardt von der ICZ-Bibliothek für die rasche Übergabe bedanken. Eine erste wissen-schaftliche Auswertung dieses Bestandes ist bereits im Gange.

    Folgende Neuzugänge durfte das AfZ entgegen nehmen: Prof. Dr. Jacques Picard übergab dem AfZ einen ersten Teil seines persönlichen und wissen-schaftlichen Vorlasses im Umfang von 1.5 Laufmetern, der von seiner Assi-stentin Isabel Schlerkmann vorerschlossen wurde. Michael Freisager, der als Jugendlicher mit seiner Familie als Flüchtling in die Schweiz gekommen und daselbst durch mehrere Flüchtlingslager gegangen war, schenkte dem AfZ das Tagebuch seines Stiefvaters Felix Stössinger. Kitty Lorant übergab Unterlagen ihrer Mutter Edith Zweig, die mit ihrer Familie 1943 ebenfalls in die Schweiz geflüchtet war und danach 35 Jahre lang für den Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorgen (VSJF) gearbeitet hatte. Wichtige Er-gänzungen bereits vorhandener Bestände verdanken wir Dr. Margrith Bigler zum Nachlass ihres 2007 verstorbenen Gatten Kurt Bigler-Bergheimer, Ruth Michel-Richter zum Nachlass ihrer Mutter Rachel Frumes, Sylvia Ehrlich zum Nachlass von Prof. Dr. Ernst Ludwig Ehrlich, Susi Roschewski zum Nachlass von Heinz Roschewski, Verena Rueff-Eidenbenz zum Nachlass ihrer Tante Elisabeth Eidenbenz und Prof. Dr. Heinz Stefan Herzka zu seinem eigenen Vorlass. Ausserdem danken wir Dr. Rolf Hilb und Prof. Dr. Erhard Roy Wiehn für wichtige Ergänzungen zum Archiv der jüdischen Gemeinde Kreuzlingen sowie Daniel Hornung für die Schenkung des Originalfilms „Kinderseder in Kreuzlingen“ aus den 1950er Jahren.

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    ErschliessungLea Ingber erschloss das Archiv der Jüdischen Gemeinde Kreuzlingen, das historische Archiv von OMANUT, die Nachlässe von Friedel und August Bohny-Reiter sowie den Vorlass von Heinz Stefan Herzka. Den bereits früher bearbeiteten Nachlass seiner Mutter Else Freistadt Herzka konnte sie definitiv erschliessen (vgl. Kapitel 7). Dasselbe gilt auch für den Nachlass des Jour-nalisten und Buchautors Werner Rings. Den Nachlass von Charlotte Weber, einer ehemaligen Leiterin verschiedener Flüchtlingsheime in der Schweiz, konnte sie ebenfalls weitgehend erschliessen.

    Anne Frenkel verzeichnete im Berichtsjahr das kleine Archiv der Jüdischen Gemeinde St. Imier (ca. 1850–1900), den Teilbestand des SIG zum Berner Prozess über die „Protokolle der Weisen von Zion“ sowie den Nachlass von Philippe Schwed, der wesentliche Unterlagen zum Berner Prozess enthält (vgl. Kapitel 7). Zudem konnte sie den letzten Teil des Privatarchivs von Heinz Roschewski erschliessen und in dessen Nachlass integrieren.

    Philippe Oggier erschloss den Nachlass von Samuel JeanRichard, der 1942–1945 u.a. als Lagerinspektor für die Zentralleitung der Arbeitslager (ZL) der Polizeiabteilung des EJPD tätig gewesen war. Des Weiteren bearbeitete er den Nachlass von Elsa Lüthi-Ruth, die während des Zweiten Weltkriegs als Krankenschwester für die Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes in den südfranzösischen Internierungslagern gearbeitet hatte.

    Janine Wilhelm ergänzte und erschloss den Nachlass von Ernst Ludwig Ehrlich mit den verschiedenen Nachlieferungen (vgl. Kapitel 7). Bei der Identifikation der darin enthaltenen älteren Fotos aus dem Bereich B`nai B`rith wurde sie von Dr. Ralph Weill unterstützt, dem wir für seine Mithilfe herzlich danken.

    HolocaustgedenktagAm 27. Januar 2010 führte das AfZ zum 6. Mal in Folge den Holocaustgedenk-tag für Mittelschüler durch. Unter der Moderation von Dr. Daniel Gerson be-richteten die Zeitzeugen Michael Freisager und Margot Wicki-Schwarzschild über ihre Erlebnisse als Flüchtlinge in Frankreich und der Schweiz. Unter der Moderation von Dr. Gregor Spuhler schilderte Margot Dreifuss ihre Erinne-rung an die Kriegszeit in Südfrankreich sowie den Umgang der Schweizer Behörden mit ihrer Familie nach 1945. Als diesjährige Besucher beteiligten sich Schülerinnen und Schüler aus den Kantonsschulen Stadelhofen, Rychen-

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    berg, Rämibühl (alle ZH) und Wettingen (AG) aktiv an den nachfolgenden Gesprächen mit den Zeitzeugen.

    Kolloquien mit Rabbiner Hermann I. SchmelzerIn der Reihe der Zeitzeugenkolloquien des AfZ trat der langjährige Rabbi-ner der Jüdischen Gemeinde St. Gallen, Hermann I. Schmelzer, gleich an zwei Abenden auf. Im Juni berichtete er über seine Herkunft, Kindheit und jüdisches Leben in Ungarn, wo er im Alter von 12 Jahren den Einmarsch der Nationalsozialisten und die anschliessenden Deportationen und Arbeitslager erlebt hatte, wie auch die nachfolgende Zeit der kommunistischen Herrschaft bis 1956. Anfang November hielt er einen höchst interessanten Rückblick auf seine über 40-jährige Tätigkeit als Rabbiner in St. Gallen. Dabei zeigte er nicht nur die innere Entwicklung der jüdischen Gemeinde, sondern beleuch-tete auch die Beziehungen zum SIG und anderen jüdischen Gremien sowie seine vielfältigen Tätigkeiten u.a. als Referent an der Universität St. Gallen (HSG). Die beiden Kolloquien sowie die oben genannten Gespräche mit den Zeitzeugen am Holocaustgedenktag wurden vom AfZ aufgenommen und archiviert. Die im Sinne der oral history gesicherten mündlichen Quellen stehen auf diese Weise der historischen Forschung zur Verfügung.

    Vorprojekt zur Erschliessung des historischen Archivs der Israeli-tischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ)Die Sicherung und Erschliessung des Archivs der grössten jüdischen Gemein-de der Schweiz, welche 2012 ihr 150-jähriges Jubiläum feiern wird, ist ein seit langem gewünschtes Desiderat sowohl der ICZ selber als auch von Seiten der historischen Forschung. Der 2010 anstehende Umbau des Gemeindehauses war der geeignete Anlass zu Sondierungen zwischen der ICZ und dem AfZ, die im April des Berichtsjahres zu einem Depotvertrag führten. Die Übernahme

    Rabbiner Hermann I. Schmelzer

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    des ICZ-Archivs erfolgte dann in mehreren Etappen im Sommer. Vorausset-zung für die Aufnahme und Bearbeitung der 140 Laufmeter Akten aus der Zeit zwischen 1862 und 2000 war einerseits der Umstand, dass die ETH Zürich dem AfZ in Oerlikon zusätzliche Lagerräume (ODA) zur Verfügung stellte. Auf der anderen Seite erhielt das Projekt durch den grosszügigen Beitrag des Lotteriefonds des Kantons Zürich (220‘000 Franken) die entscheidende finanzielle Basis. Neben der ICZ, welche eigene Mittel beisteuerte, beteiligte sich auch die Stadt Zürich am Projekt. Das AfZ dankt dem Vorstand und dem Sekretariat der ICZ für die Mithilfe und dem Lotteriefonds sowie der Stadt Zürich für die finanzielle Unterstützung. Dank der Miete eines zusätzlichen Büroraumes in unmittelbarer Nähe des AfZ durch die ETH sind nun die be-sten Voraussetzungen für die Erschliessung des Bestands durch ein drei- bis vierköpfiges Team geschaffen worden.

    Projekt Bildarchiv Schweizer Juden (BASJ)Nach dem Abschluss des Pilotprojekts von Dr. Ralph Weingarten wurden im Berichtsjahr die noch offenen konzeptuellen Fragen des Bildarchivs geklärt (vgl. Jahresbericht 2009, S. 16). So handelt es sich um ein elektronisches Archiv digitalisierter Fotos, während das AfZ die Originalfotos nach der Digitalisie-rung ihren Besitzern zurückgibt. Die Fotos sollen in sachthematische Dossiers gruppiert und nach einheitlichen Standards beschrieben werden. Die im Rahmen des Pilotprojekts übergebenen Fotos wurden nach diesen Kriterien bearbeitet und in die Archivdatenbank integriert. Geplant ist, dass die Fotos im Internet zugänglich gemacht werden, doch können die Deponenten darüber in den individuell abzuschliessenden Verträgen selbst entscheiden. Gleichzeitig schloss das AfZ mit Ralph Weingarten eine Rahmenvereinbarung ab, welche die weitere Zusammenarbeit regelt.

    Digitalisierung des Israelitischen Wochenblatts – 100 Jahre jüdische Kulturgeschichte onlineDie Ende 2009 in Auftrag gegebene Digitalisierung des 1901 bis 2001 erschie-nenen Israelitischen Wochenblatts (IW) wurde im Mai 2011 abgeschlossen. Seit Juni 2011 können sämtliche Jahrgänge des IW (rund 227‘000 Seiten) an den Lesesaalrechnern des AfZ konsultiert werden. Evaluiert werden zurzeit die Möglichkeiten der OCR-Erkennung, um den online-Benutzern des IW den Mehrwert einer Volltextsuche für die inhaltliche Recherche anbieten

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    zu können. Grösste technische Herausforderungen bilden hier neben der bis um 1935 verwendeten Fraktur die bis in die 1950er Jahre verwendete S p e r r s c h r i ft für Hervorhebungen.

    Als Alternative zur noch nicht realisierten Volltextrecherche steht unseren Benutzerinnen und Benutzern seit März 2011 die Presse-Datenbank Juden-tum Schweiz zur Verfügung. Sie basiert auf einem Katalog zum Judentum in der Schweiz mit mehreren Tausend Einträgen, in dem die Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) Artikel aus verschiedenen jü-dischen Periodika beschlagwortet hat. Die Kartei wurde im Berichtsjahr in Zusammenarbeit mit der ICZ digitalisiert und in eine Datenbank überführt, die nunmehr elektronisch von der ICZ-Bibliothek weiter angereichert wird und über den Link http://psj.afz.ethz.ch allen Interessierten zur Abfrage zur Verfügung steht.

    Kooperation mit dem United States Holocaust Memorial Museum in WashingtonAm 26. April 2010 unterzeichneten das USHMM und das AfZ einen Vertrag über ein langjähriges Digitalisierungsprojekt. Die Zusammenarbeit kon-

    100 Jahre jüdische Kulturgeschichte online: Das Israelitische Wochenblatt (1901–2001) kann an den Lesesaal-PCs integral als digitale Kopie konsultiert werden.

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    zentriert sich auf die Reproduktion von Dokumenten des AfZ mit Bezug auf den Holocaust, die unter festgelegten Bedingungen als Digitalisate im USHMM für die Forschung zugänglich sein werden. Dieses Programm soll in einzelnen Schritten durch verschiedene Projektaufträge realisiert werden, in denen jeweils Umfang, Inhalt und Grösse der zu digitalisierenden Bestände gemeinsam festgelegt werden.

    Für die erste Arbeitsperiode vom Juli 2010 bis 30. Juni 2011 überwies das USHMM dem AfZ einen Beitrag von 120‘000 US-Dollar. Damit wurden vier institutionelle Bestände und eine Reihe von Privatnachlässen vorbearbeitet und integral digitalisiert (neben den Text- auch sämtliche Bild-, Ton- und Vi-deodokumente). Mitte 2011 konnten dem USHMM die privaten Nachlässe und Archive folgender Personen und Institutionen in digitaler Form übergeben werden: Louis Haefliger, Avner W. Less, Albert Mülli, Hans Pfeiffer, Benjamin Sagalowitz, Philippe Schwed, Henry Wasmer, Hans Weyermann, Otto Zaugg und Franz Zürni sowie Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund (SIG), Kulturgemeinschaft der Emigranten in Zürich, Union Jüdischer Flüchtlinge und die Unterlagen zum Berner und Basler Prozess um die „Protokolle der Weisen von Zion“ (insgesamt über 337‘000 Seiten). Selbstverständlich kön-nen diese Bestände damit auch im Lesesaal des AfZ in elektronischer Form konsultiert werden.

    2.3 Wirtschaft und ZeitgeschichteMit der Findbuchbereinigung und Etikettierung des historischen Vorort-Archivs ging im Berichtsjahr die zehnjährige Tätigkeit von Philipp Hofstetter für das AfZ zu Ende. Sein Verdienst ist es in erster Linie, dass dieses bislang grösste und langjährige Projekt des Fachbereichs Wirtschaft und Zeitge-schichte unter Mitarbeit von Franziska Diener und Sonja Vogelsang einen erfolgreichen Abschluss fand.

    Mit den logistisch aufwändigen Akzessionen der historischen Firmenar-chive des Elektrounternehmens Landis&Gyr AG sowie der PR-Agentur Farner Consulting AG erhielten die Wirtschaftsbestände des AfZ im Verlauf des Sommers quantitativ und qualitativ bedeutenden Zuwachs. Dazu ist auch die im August erfolgte Akzession des Nachlasses Walter Bodmer zu zählen, mit dessen Erschliessung Daniel Schwane betraut ist. Analog zu einem früheren Projekt mit dem Ludwik Fleck Zentrum am Collegium Helveticum (vgl. Jahres-bericht 2006, S. 89f.) ist im Auftrag der Stiftung für humanwissenschaftliche

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    Grundlagenforschung geplant, die interdisziplinären Schriften des Juristen und Publizisten Bodmer zu digitalisieren und online zu vermitteln.

    AkzessionenAuf Initiative der Siemens Schweiz AG, vertreten durch Dr. Philipp Weber, und der ehemaligen Besitzerfamilie, vertreten durch Ulrich Straub, kam im Berichtsjahr die Schenkung des historischen Unternehmensarchivs der Landis&Gyr AG an das AfZ zustande. Der Bestand des ehemaligen in-ternational tätigen Industrieunternehmens figuriert im eben revidierten

    Schweizerischen Inventar der Kulturgüter als Firmenarchiv von nationaler Bedeutung. In rund 4000 Verzeichnungseinheiten, die den Zeitraum von 1896 bis 1997 umspannen, enthält dieser bereits geordnete und verzeichnete Bestand neben Schriftgut, Fotos und Filmen auch eine Fotoglasplattensamm-lung, die in Fachkreisen als einmalige Dokumentation der schweizerischen Industriegeschichte angesehen wird. Das Archiv soll für Forschungszwecke nutzbar gemacht und das AfZ dazu mit einem in Aussicht gestellten Kredit ausgestattet werden. Bereits gesprochen hat im Dezember die Zuger Kul-turstiftung Landis&Gyr einen Archivierungs- und Forschungsbeitrag von 50‘000 Franken für die nächsten beiden Jahre. Nach längeren rechtlichen

    Zeit auf Bestellung – Inducta-Uhrenproduktion bei Landis&Gyr in den 1950er Jahren

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    und infrastrukturellen Abklärungen konnte im Gebäude ODA in Oerlikon entsprechender Lagerraum langfristig zur Verfügung gestellt werden, worauf im Juni der mehrtägige Transfer des Archivs von Zug nach Zürich erfolgte. Neben den wichtigsten konservatorischen Arbeiten stehen als nächstes der Datenimport ins zentrale Informationssystem des AfZ und die Bewertung der Fotosammlung im Hinblick auf ein grösseres Digitalisierungsprojekt an.

    Im Zusammenhang mit Umbauarbeiten am Firmensitz signalisierte mit der Farner Consulting AG am 1. Juli ein weiteres bedeutendes Unternehmen dringenden Handlungsbedarf bezüglich seiner historischen Archivbestände. Bereits eine Woche später waren 130 Laufmeter Materialien zur Schweizer Wirtschaftsgeschichte, Geschichte der Öffentlichkeitsarbeit und der poli-tischen Meinungsbildung in einer Notaktion ins Aussenlager des AfZ auf dem Hönggerberg überführt. Während zum Inhalt der rund 250 Archivbehältnisse nur rudimentäre Metadaten existieren, wird eine spätere Erschliessung durch eine vorhandene und bereits digitalisierte Sach- und Kundenkartei möglicherweise erleichtert.

    ErschliessungDaniel Schwane schloss 2010 mit Unterstützung von Barbara Schmid die Bearbeitung der Einzelfalldossiers aus dem Archiv der psychologischen Assessmentpraxis Zürich ab, das im November durch eine substantielle Nachlieferung zur Konzeption des Assessmentcenters angereichert wurde. Anschliessend folgte die Verzeichnung der neu übernommenen Forschungs-dokumentation von Stefan Karlen, der als Mitarbeiter der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz–Zweiter Weltkrieg u.a. die Geschichte schwei-zerischer Versicherungen zur Zeit des Nationalsozialismus untersucht hatte. Arbeitsmaterialien des Forscherteams, das sich mit diesen Fragen befasste, ergänzen den Bestand mit umfangreicher, teilweise schwer greifbarer Lite-ratur und Quellen.

    Das historische Archiv des Redressement National (RN) war 1998 im Rah-men einer Rettungsaktion ins AfZ gelangt. Über ihre beiden Geschäftsstellen in Zürich und Genf organisierte die 1936 gegründete Kampforganisation gegen Verstaatlichung und Zentralisierung vornehmlich Kampagnen zu eidgenössischen Volksabstimmungen. Zum Zeitpunkt der Akzession musste aus finanziellen Gründen auf eine Erschliessung verzichtet werden. Erstellt wurde lediglich ein Sichtungsverzeichnis, das die wichtigsten Themen und

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    Vorordnungen festhielt. Im Zuge der Findbuch-Überarbeitung erschlossen Franziska Diener und Sonja Vogelsang den Bestand nun bis auf Dossier-Ebene, strukturierten ihn neu und kassierten allfällige Doppel. Die neue Gliederung unterscheidet zwischen Akten zur Organisation des RN und solchen zu dessen politischen Tätigkeitsfeldern. Die institutionellen Akten umfassen die Vereinsgründung, Handakten verschiedener Präsidenten und Sekretäre, Mitgliederkontakte und Tagesgeschäfte. Insgesamt sind sie eher lückenhaft. Neben den Papierakten sind vereinzelte Fotos überliefert, welche digitalisiert wurden, für den Bestand aber von marginaler Bedeutung sind. Der sachthematische Teil enthält umfangreiches Material zu Abstimmungs- und Meinungsbildungskampagnen, welche das RN und dessen interne Aktionsgruppen durchführten. Schwerpunktmässig befassen sich diese mit Wirtschafts- und Finanzpolitik, Arbeits- und Sozialpolitik sowie Infrastruktur- und Überfremdungsfragen. Die Akten wurden soweit möglich einzelnen Abstimmungskampagnen oder Aktionsgruppen zugeordnet. Wo dies nicht möglich war, erfolgte eine thematisch-chronologische Gliederung. Skizzen und Drucke von Abstimmungsplakaten wurden in separaten Verzeichnungs-einheiten nach Vorbild der Plakatsammlung der Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft (wf) detailliert erfasst.

    Abstimmungsplakate zum Überfremdungsdiskurs der 1970er und 1980er Jahre

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    1992 hatte alt Staatssekretär Paul R. Jolles mit dem AfZ einen Depotvertrag bezüglich seines schriftlichen Nachlasses geschlossen. Die eigentliche Be-standsübernahme erfolgte in mehreren Ablieferungen zwischen 1999 und 2005. Nach der Erschliessung des Bestands, die sich chronologisch an den Karrierestationen des Bestandsbildners orientierte, ging es 2010 um die Über-arbeitung des Findbuchs. Dabei wurden 0.5 Laufmeter Nachlieferung ein-gegliedert sowie vereinzelt bereits im Vorort-Archiv vollständig vorhandene Vorort-Protokolle kassiert. Anschliessend wurde der Bestand etikettiert und neu verpackt, wodurch er auf 27.25 Laufmeter reduziert werden konnte. Die umfangreiche Fotosammlung, welche einen Grossteil von Jolles‘ politischen Tätigkeiten dokumentiert, wurde digitalisiert und steht den Benutzern im Lesesaal neu zur Ansicht bereit.

    Weiterbildungskurs der Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare (VdW)Der 67. Weiterbildungskurs der Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare in Heidelberg setzte sich mit den Herausforderungen auseinander, vor die Unternehmensarchivarinnen und -archivare aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung gestellt sind. Als Referent stellte Daniel Nerlich am 17. Mai unter dem Titel „Digitalisierung und Mikroverfilmung: Erfahrungsbericht und Checkliste für die Praxis“ die Digitalisierungsprojekte des AfZ vor. Anhand einer Checkliste konnten die Teilnehmenden die wichtigsten vorbereitenden Massnahmen und Entscheide für eigene Archivierungsvorhaben erarbeiten und üben.

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    3 Infrastruktur3.1 Digitalisierung und Online-Vermittlung von ArchivgutAus den zahlreichen Arbeiten des IT-Teams im AfZ unter der Leitung von Jonas Arnold stechen als Meilensteine des Berichtsjahres vor allem die produktive Umsetzung der Digitalisierung von losem Archivgut und die Inbetriebnahme des archivischen Suchportals Archives Online hervor.

    Zeitgeschichte-digital.ch: Digitalisierung ungedruckten SchriftgutsMit der Produktivnahme der Infrastruktur für die Verscannung von Losegut erstieg das AfZ zusammen mit dem DigiCenter der ETH-Bibliothek eine neue Ebene der Digitalisierung sowohl hinsichtlich Menge als auch Komplexität des Verfahrens. Die in der ersten Jahreshälfte aufgebaute Infrastruktur und die entsprechenden, nach eingehenden Tests verfeinerten Arbeitsabläufe mussten ab Juli 2010 den Ernstfall bestehen. Das Ergebnis ist erfreulich: In der zweiten Jahreshälfte 2010 wurden über 170‘000 Dokumentseiten verscannt und im pdf-Format gespeichert. Zu dieser Zwischenbilanz trugen mehrere Faktoren massgeblich bei:• Akribische Vorbereitung: Vor der Digitalisierung muss das Scangut vorbereitet

    werden. Es wird u.a. von Metallteilen und weiteren Materialien befreit, die den

    Zeitgeschichte online: Digitale Kopie eines Schriftgutdossiers aus dem Nachlass des Schweizer KZ-Häftlings Albert Mülli.

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    Durchzug beeinträchtigen können. Gleichzeitig wird das Material gekennzeichnet, das im Durchzugs- bzw. Auflichtverfahren verarbeitet werden muss.

    • Vorgeschaltete Durchführung der Auflichtdigitalisierung: Im Digicenter wird zunächst das Arbeitsprotokoll des Projekts angelegt. Danach werden als erstes die im Auflichtverfahren zu verscannenden Materialien digitalisiert, so dass sie danach in das digitale Dossier eingeflochten werden können.

    • Effiziente Durchzugsverscannung und Zusammenführung des Gesamtdossiers: Danach werden die Digitalisate des Durchzugsverfahrens angelegt, gleich an-schliessend mit den Auflichtdigitalisaten vereint und das gesamte Dossier als pdf-Dokument in der ursprünglichen Reihenfolge abgeliefert. Wo immer möglich, werden die Arbeitskräfte durch die Bearbeitungssoftware unterstützt (u.a. durch die automatische Vergabe von Dateinamen via Barcode oder Markierung allenfalls zu löschender Rückseiten). Die so angelieferte digitale Dokumentenkollektion wird anschliessend durch allfällige Digitalisate audiovisueller Archivalien (z.B. Ton- und Videodateien) oder von Spezialitäten (z.B. zu fotografierender Gegenstände) er-gänzt.

    • Automatische Verlinkung der Digitalisate: Zum Schluss werden die digitalen Dossiers über einen Massenänderungsbefehl pro digitalisierten Bestand mit den Metadaten verlinkt. Im Ergebnis sind anschliessend Archivalien und Metadaten am Bildschirm einsehbar.

    Es zeigte sich, dass die geplanten Arbeitsabläufe funktionieren, das Zusam-menspiel der technischen Systeme (Scanner, Verarbeitungssoftware, Storage) reibungslos klappt und der massgebende Durchzugscanner mit seiner Be-arbeitungssoftware die Erwartungen hinsichtlich Effizienz, Verlässlichkeit und Bedienbarkeit voll erfüllt. Der bisherige Erfolg ist aber vor allem auch den motivierten Studentinnen und Studenten (Laura Fenini, Matthias Heller, Severin Hohler, Helga Thum und Nadja Wohler) sowie den Teamleiterinnen im Digicenter (Yvonne Inden, Katja Körber) und im AfZ (Claudia Hoerschel-mann) zu verdanken.

    Insgesamt ist das AfZ nunmehr in der Lage, die gängigen analogen Archi-valientypen (Text, Foto, Bild/Grafik, Ton, Film, Video) eigenständig oder als externen Auftrag mit vertretbarem Mitteleinsatz in digitaler Form aufzube-reiten und – sofern keine rechtlichen Schranken dies verunmöglichen – der Forschung online zu vermitteln.

    Suchportal Archives OnlineAm 13. Juli 2010 wurde das Suchportal Archives Online in Betrieb genom-men. Es präsentiert mittlerweile die öffentlich zugänglichen Metadaten von acht Staatsarchiven (BS, TG, ZG, ZH, SG, BE, GR, GE) und des AfZ, das als Vertreterin der CMISTAR-Userarchive gemeinsam mit dem Staatsarchiv TG im

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    Projektausschuss zum termingerechten Gelingen beitragen durfte. Das AfZ war vor allem bei der Organisation der Stresstests und der anschliessenden Aufbereitung der Mängelliste federführend.

    Im Ergebnis sind mehrere Hunderttausend Archiveinheiten in einem intuitiv bedienbaren Suchportal teilweise bis auf Dokumentenebene recherchierbar. Das AfZ trägt mittlerweile über 51‘000 Datensätze zu ein-schlägigen Beständen und Verzeichnungseinheiten bei. Die mehrsprachige Suchoberfläche und die direkte Navigation in die Quellsysteme machen es interessierten Nutzerinnen und Nutzern einfach, einschlägiges Archivgut in den beteiligten Archiven zu eruieren und sich für den Archivbesuch vorzu-merken. Für den zeitgeschichtlich Interessierten hat sich damit eine weitere Pforte für den qualitätsgesicherten Zugang zu unserem Archivgut geöffnet. Mit Archives Online ist zudem die vernetzte Online-Recherche in Archiven (endlich) Realität geworden.

    Presse-Datenbank Judentum SchweizTrotz der vielfältigen Möglichkeiten der Computerlinguistik lohnt es sich gelegentlich, für die Vermittlung von Schriftgut auf Metadatenbestände zu-rückzugreifen, die im „analogen“ Zeitalter erarbeitet wurden. Ein solcher Fall ist die Kartei der ICZ-Bibliothek zum „Judentum in der Schweiz“, die mehrere Tausend Verweise auf einschlägige Artikel in bedeutenden jüdischen Perio-

    Vernetzte Recherche in Archiven: Als Antwort auf eine Recherche zum Suchbegriff „Landes-ausstellung“ zwischen 1938 und 1942 erscheinen insgesamt 142 Treffer aus allen beteiligten Archiven (hier sortiert nach Entstehungszeit).

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    dika enthält. Die Personen-, Sach- und Schlagwortkartei wurde Ende 2009 vollständig digitalisiert, durch eine Mitarbeiterin der ICZ-Bibliothek im Laufe des Berichtsjahrs ergänzt und steht seit Ende März 2011 der interessierten Öffentlichkeit als online-Datenbank zur Verfügung (http://psj.afz.ethz.ch). Sie wird inskünftig laufend durch die ICZ-Bibliothek ergänzt werden.

    3.2 SystemdiensteIm Bereich der Systemdienste wurde die Virtualisierung der produktiven Server und der zentralen Datenspeicherung abgeschlossen. Mitte 2010 wurde zudem die Arbeitsplatzinformatik über ein Service Level Agreement des Departements GESS den ETH-Informatikdiensten überantwortet, was es dem IT-Team des AfZ erlaubt, sich noch mehr auf die kommenden Heraus-forderungen und Chancen des digitalen Zeitalters zu konzentrieren.

    3.3 Gebäude und MobiliarAussenmagazin in OerlikonTrotz einer moderaten bis restriktiven Akzessionspraxis zwischen 2007 und 2009 waren die Raumreserven zur Übernahme von Archivgut in den letzten Jahren immer enger geworden. Grössere Zugänge mussten zurückgestellt werden, bis das AfZ 2009 an günstig gelegenem Standort einen neuen Archiv-raum fand, den wir seit Mai 2010 als Aussenmagazin ODA gemeinsam mit zwei weiteren Archiven der ETH (A&N und Archiv gta) nutzen können. Das neue Lager bietet für das AfZ insgesamt 760 Laufmetern Archivgut Platz, was es 2010 ermöglichte, länger zurückgestellte Akzessionen durchzuführen.

    Arbeitsbüro SchienhutgasseOhne gleich dem Grossraumbüro das Wort zu reden: Für die Bearbeitung umfangreicher Bestände sind zuweilen grössere zusammenhängende Ar-beits- und Abstellflächen nötig, als sie in der Liegenschaft Hirschengraben zur Verfügung stehen. Umso mehr schätzen wir die Möglichkeit, dass für einen begrenzten Zeitraum von zwei Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft ein grösserer Arbeitsraum, der für die Erschliessung des ICZ-Archivs den nötigen Platz bietet, gemietet werden konnte.

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    4 Sammlungen und Dokumentationen

    4.1 Presseausschnittdokumentation

    Mit dem noch im Vorjahr erfolgten Grundsatzentscheid, von unseren drei bisherigen Presseausschnittbeständen ab 2010 nur noch die Biografische Sammlung weiterzuführen, war die Ausgangslage für die Zukunft der Samm-lung geklärt. Ein Leitfaden zur Medienauswertung in schriftlicher Form hin-gegen fehlte bislang. Dank der langjährigen personellen Kontinuität erschien dies nicht als zwingend. Inzwischen ist diese Lücke geschlossen: Bereits im Januar 2010 wurden die Auswertungsrichtlinien für die Biografische Samm-lung verabschiedet. Diese sollen Gewähr dafür bieten, dass die Auswertung möglichst einheitlich erfolgt. In den Richtlinien werden die Titel der Presse-organe aufgelistet, welche systematisch ausgewertet werden. Dabei besteht kein Anspruch, das Meinungsspektrum in der Presse abzubilden, sondern möglichst zuverlässige biografische Informationen zu dokumentieren. Im Weiteren wird festgelegt, welche Artikelkategorien hauptsächlich gesammelt werden: Es sind dies insbesondere Berichte mit Eckdaten im biografischen Werdegang, Würdigungen, Nekrologe und Todesanzeigen. Eigenschriften, Rezensionen, Interviews, Kurzmeldungen und Inserate werden hingegen in der Regel nur dann gesammelt, wenn diese nicht nur rein themenbezogene Informationen enthalten, sondern auch einen biografischen Bezug haben.

    Ob zu einer Person ein Dossier angelegt wird, hängt grundsätzlich davon ab, ob ein Zusammenhang zur Schweiz und zur Zeitgeschichte gegeben ist, wobei in erster Linie Personen von nationaler oder zumindest überregionaler Bedeutung berücksichtigt werden. Für einzelne Personenkategorien aus verschiedenen Bereichen wie Politik, Verwaltung, Recht, Diplomatie, Landes-verteidigung, Medien, Wirtschaft, Kultur, Religion, Bildung, Wissenschaft und Sport wurden spezifische Kriterien definiert.

    Neben der laufenden, möglichst tagesaktuellen Auswertung wurden die bis Ende 2009 aufgelaufenen Auswertungsrückstände weiter abgebaut. Für die Auswertung verantwortlich ist Michael Schaer, unterstützt wird er neu durch Urs Bräm. Die Ablage besorgte in gewohnt verdankenswerter Weise Dr. Sylvia Rüdin.

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    4.2 BibliothekNach dem 2008 gefällten Entscheid, die Bibliothek dem Verbundsystem NEBIS anzuschliessen, hat Anne Frenkel bereits 2009 damit begonnen, Neu-erwerbungen und Lesesaalbibliothek zu verzeichnen. Im Berichtsjahr sind rund 1000 Einheiten neu hinzu gekommen – bis Jahresende konnten damit fast alle im Lesesaal aufgestellte neuere wissenschaftliche Literatur sowie Handbücher und Nachschlagewerke in NEBIS nachgewiesen werden. Da der grösste Teil der Titel bereits früher innerhalb des Verbunds katalogisiert wor-den war, mussten nur wenige Bücher völlig neu erfasst werden, während die Mehrzahl lediglich an vorhandene Datensätze „angehängt“ werden konnte. Die steigende Präsenz in NEBIS verbessert die Wahrnehmung des Archivs bei Studierenden und Forschenden und erlaubt eine gezieltere Nutzung der Bibliothek auch für interne Recherchen. Gleichzeitig mit der Erfassung der Lesesaalbibliothek wurde diese auch übersichtlicher strukturiert und ein Lageplan erstellt.

    Im Laufe des Berichtsjahres hat sich eine fruchtbare Kooperation mit der ETH-Bibliothek und der neu geschaffenen Bibliothek des Departements GESS etabliert, dies insbesondere dank dem Engagement und Entgegenkommen

    Dank der Einbindung in das Verbundssystem NEBIS wird die Bibliothek des Archivs für Zeitge-schichte einem grösseren Nutzerkreis bekannt.

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    von Ursula Müller, Leitung Bibliothek Zentrum, wofür ihr das AfZ herzlich dankt. Einerseits werden Neuerwerbungen und deren Katalogisierung künf-tig über die GESS- und die ETH-Bibliothek abgewickelt, was die Arbeitsabläufe für das AfZ wesentlich vereinfacht.

    Anderseits hat die Zusammenführung verschiedener ehemaliger Instituts-bibliotheken zur neuen GESS-Bibliothek für das AfZ die Möglichkeit eröffnet, die umfangreichen, teils ungeordneten und bisher nur sehr beschränkt nutzbaren Buchbestände in den Magazinen durch die ETH-Bibliothek re-trokatalogisieren zu lassen. Die Retrokatalogisierung setzt eine vorgängige inhaltliche Bewertung voraus. Dabei werden jene Titel kassiert, die nicht dem Sammlungsprofil des AfZ entsprechen. Bis Jahresende wurde die Bewertung des rund 25 Laufmeter umfassenden Magazinbestandes zur jüdischen Zeitge-schichte abgeschlossen, so dass ab Januar 2011 mit der Erfassung begonnen werden konnte. Der grösste Einzelbestand der AfZ-Bibliothek, die von der „Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft“ angelegte, schon bisher ausgelagerte wf-Bibliothek im Umfang von 210 Laufmetern, ist direkt in die ETH-Bibliothek integriert worden. Dabei wurden nur die dort noch nicht vorhandenen Titel übernommen, der grosse Rest hingegen kassiert, mit Ausnahme einer Sammlung von Firmenfestschriften, welche in der AfZ-Bibliothek verbleibt.

    Erneut durfte das AfZ zahlreiche Belegexemplare von Forschungsarbeiten entgegennehmen, welche unter Einbezug von Beständen aus dem AfZ ent-standen sind:• Amuat, Renate: „Erinnerungskulturen in Israel und in der Schweiz“. Ein Projekt der

    Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, des Staatsse-kretariats für Bildung und Forschung, der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel und der Pädagogischen Hochschulen der Schweiz mit Studierenden. Dokumentation, Zürich [2010]

    • Berli, Rahel: Benjamin Sagalowitz. Kämpfer gegen den Antisemitismus und Wegbe-reiter des „Riegner-Telegramms“ zur Zeit des Zweiten Weltkrieges, Bachelorarbeit, Luzern 2009 (unpubliziert)

    • Bischof, Erwin: Honeckers Handschlag. Beziehungen Schweiz – DDR 1960–1990. Demokratie oder Diktatur. Bern: interforum, 2010

    • Blauner, Peter: Rommel in der Schweiz 1938. Zusammengetragene Dokumente betreffend die Vortragsreise von Oberst Erwin Rommel in der Schweiz über sein Buch: „Infanterie greift an“. Aarberg 2010

    • Bondt, René: Der Minister aus dem Bauernhaus. Handelsdiplomat Jean Hotz und seine turbulente Zeit. Zürich: NZZ Verlag, 2010

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    • Clavien, Alain: Grandeurs et misères de la presse politique. Le match Gazette de Lausanne – Journal de Genève. Lausanne: Edition Antipodes, 2010

    • Epstein-Mil, Ron: Die Synagogen der Schweiz. Bauten zwischen Emanzipation, Assimilation und Akkulturation (Schriftenreihe des SIG, Bd. 13), Zürich: Chronos, 2008

    • Fässler, Thomas: Jüdische Flüchtlinge im Kloster Fahr, in: Salve. Zeitschrift der benediktinischen Gemeinschaften Einsiedeln und Fahr, 1/2010, S. 58–59

    • Gerardi, Dario: La Suisse et l‘Italie 1923–1950. Commerce, finance et réseaux. Neuchâtel: Editions Alphil, 2007

    • Hagemeister, Michael: Russian Emigrés in the Bern Trial of the „Protocols of the Elders of Zion“ (1933–1935). In: Cahiers Parisiens, Volume 5, Paris 2009, S. 375–391

    • Ingber, Lea: Die Armeeabschaffungsinitiative 1989. Die Funktion der Schweizer Armee für die Sicherheit anhand der Argumentation der Initiativgegner, Semi-nararbeit, Zürich 2010 (unpubliziert)

    • Jagersberger, Verena: „Trotz allem – wir haben dort überlebt“. Flucht und Leben in der Schweiz 1938–1949/50, Diplomarbeit, Salzburg 2010 (unpubliziert)

    • Kalt, Monica: Tiersmondismus in der Schweiz der 1960er und 1970er Jahre. Von der Barmherzigkeit zur Solidarität. Social Strategies Vol. 45, Bern: Peter Lang, 2010

    • Kamber, Peter: Geheime Agentin. Roman. Berlin: Basis Druck, 2010• Kanyar Becker, Helena (Hrsg.): Vergessene Frauen. Humanitäre Kinderhilfe und

    offizielle Flüchtlingspolitik 1917–1948. Basel: Schwabe, 2010• Kauz, Daniel: Vom Tabu zum Thema? 100 Jahre Krebsbekämpfung in der Schweiz

    1910–2010. Basel: Schwabe, 2010• Kurosawa, Takafumi et al.: [Japanische Übersetzung des Schlussberichts der Un-

    abhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg], Kyoto 2010• Menrath, Manuel: Exotische Soldaten und ehrbare Töchter. Triengen 1940 – Afri-

    kanische Spahis in der Schweiz. Zürich: Orell Füssli, 2010• Perret, Roger; Starz, Ingo (Hg.): „Wenn ich Schweiz sage …“. Schweizer Lyrik im

    Originalton von 1937 bis heute. Basel: Christoph Merian Verlag, 2010 [Digibook mit 2 CD]

    • Poget, Jacques (Interview): Plans-Fixes. Anne-Marie Im Hof-Piguet, juste parmi les nations, www.artfilm.ch, 2009 (DVD)

    • Renz, Ulrich: Elser und die Kommissare. Bericht über eine Spurensuche. Mit Do-kumenten. Schriftenreihe der Erinnerungs- und Forschungsstätte Georg Elser, Königsbronn, Nr. 9/2008

    • Röwer, Gabriele: „Arme Teufel sind alle …“Briefe von und an Robert Mächler über Gott und die Welt. Bern: Haupt, 2010

    • Rusterholz, Heinrich: Karl Barth und der Flüchtlingspfarrer Paul Vogt. In: Karl Barth im europäischen Zeitgeschehen (1935–1950). Widerstand – Bewährung – Orien-tierung. Beiträge zum Internationalen Symposion vom 1. bis 4. Mai 2008 in der Johannes A. Lasco Bibliothek, Emden, Zürich 2010

    • Sibold, Noëmi: Bewegte Zeiten. Zur Geschichte der Juden in Basel, 1930er bis 1950er Jahre. (Schriftenreihe des SIG, Bd. 14), Zürich: Chronos, 2010

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    • Sieber, Christian: Flüchtlingslager im Sihltal (1942–1945), hrsg. v. Pro Sihltal, Jahrheft Nr. 60/2010

    • Speiser, Irène: Hausauflösung. Frankfurt am Main/ Basel: Stroemfeld Verlag, 2010• Stammbach, Urs: „Ein Zwischenfall, dem Heinz Hopf 1939 in Karlsruhe ausgesetzt

    war.“ Sonderdruck, Berlin: Springer-Verlag, 2009• Stalder, David: Antikommunistische Filmpropaganda in der Schweiz. „Die Rote

    Pest“ und der SAD-Filmdienst, Bachelorarbeit, Luzern 2010 (unpubliziert) • Steiner, Yves: Juifs en Suisse. Une communauté écartelée. In: L‘Hebdo, Lausanne,

    Nr. 32, 12.8.2010• Wyss, Marco: Un Suisse au service de la SS. Franz Riedweg (1907–2005). Neuchâtel:

    Editions Alphil – Presses Universitaires Suisses, 2010• Zug nach Gurs. Die Deportation der Juden aus dem Südwesten, von Gerd Böhmer,

    SWR Fernsehen, 2010 (DVD)

    5 Vermittlung und Vernetzung

    5.1 BenutzungDer Benutzungsbetrieb war von Kontinuität geprägt. Ende Januar verliess Noëmi Sibold das aus sechs wissenschaftlichen Mitarbeitenden bestehende und von Regina Gehrig geleitete Team. Ihr Pensum im Benutzungsdienst wurde vorübergehend von Michael Schaer übernommen, bis im Juni Philippe Oggier als Nachfolger angestellt werden konnte.

    Die Einführung der neuen Benutzungsdatenbank zur Jahreswende 2009/2010 verlief reibungslos. Das neue Tool zur Verwaltung von Benut-zungen erwies sich sehr vorteilhaft, interne Prozesse konnten vereinfacht werden.

    2010 waren 537 (2009: 634) Lesesaaltage zu verzeichnen. Die Anzahl the-matischer Benutzungen belief sich auf insgesamt 227 (2009: 266). Diese teilten sich in 166 (2009: 220) Lesesaalbenutzungen und 61 (2009: 46) Fern-benutzungen auf. Insgesamt konsultierten 221 Personen Archivalien aus den Archivbeständen. Das Team beantwortete – teilweise in Zusammenarbeit mit den Fachreferenten – 245 schriftliche Anfragen. Der Anteil der in der Schweiz lebenden Benutzer sank im Vergleich zum Vorjahr von 80% auf 70%, während die Zahl der Besucher aus Deutschland auf knapp 20% stieg. Die restlichen 10% der Benutzerinnen und Benutzer stammten – in absteigender Reihenfolge – aus Grossbritannien, Israel, Frankreich, den USA, Österreich, Kanada, Japan und Spanien.

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    Mehr als die Hälfte aller Benutzungen waren wissenschaftlicher Art. 15% erfolgten zu privaten Zwecken, wovon bei zwei Dritteln Archivalien zur jü-dischen Geschichte konsultiert wurden, die oftmals im Zusammenhang mit der Shoa standen. Der Anteil journalistischer Benutzungen lag wie in den beiden Vorjahren bei nur noch 5%. Medienschaffende – früher eine wichtige Kundschaft der Archive – recherchieren offenbar immer weniger im Archiv, sondern vorwiegend im Internet, zumal dort auch immer mehr historische Informationen online zur Verfügung stehen. Bei 15% der Benutzungen wur-den publizistische, bei 10% amtliche oder berufliche Gründe angegeben.

    Bei der thematischen Zuordnung der Benutzungen zu den drei Dokumenta-tionsstellen ist eine markante Verschiebung gegenüber dem Vorjahr konsta-tierbar. 50% der Benutzungen lagen im Bereich der jüdischen Zeitgeschichte, während die Benutzungen zur Politischen Zeitgeschichte von 60% auf 40% zurückgingen. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass im Berichtsjahr keine Lehrveranstaltungen mit Quellenarbeiten stattfanden. Der Anteil der Benut-zungen im Bereich Wirtschaft und Zeitgeschichte blieb konstant bei 10%.

    Die wachsende Nutzung von AfZ Online Archives (http://onlinearchives.ethz.ch) führt auch zu einem Anstieg der Fernbenutzungen im Archiv für Zeitgeschichte.

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    Im Vergleich zum letzten Jahr wurden deutlich mehr verschiedene Bestän-de benutzt, und diese in der Tendenz öfter: 2010 wurden 182 (2009: 150) Bestände konsultiert und insgesamt konnten 577 (2009:439) Benutzungen verzeichnet werden. Betrachtet man deren Verteilung auf die Bestände, so ist wie jedes Jahr ein Schwergewicht bei den vom AfZ geführten Pressedo-kumentationen auszumachen. Insgesamt wurden diese 64 Mal benutzt, wobei 42 Benutzungen auf das Konto der à jour gehaltenen Biografischen Sammlung gehen. Die drei grossen Bestände zur Jüdischen Zeitgeschichte JUNA, SIG und VSJF erfuhren zusammen 86 Benutzungen, was gegenüber dem Vorjahr mehr als eine Verdoppelung bedeutet. Ein Schwergewicht lag auch auf den grossen institutionellen Wirtschaftsbeständen. Quellen aus dem Archiv des Vororts wurden 16 und aus dem wf-Archiv 15 Mal verlangt. Das umfangreichste Archiv der Politischen Zeitgeschichte, das SAD-Archiv zusammen mit seiner Dokumentation, stand bei 12 Benutzungen im Zen-trum. Bei den zahlreichen Personennachlässen, die benutzt wurden, führt der NL Werner Rings zahlenmässig die Liste an, gefolgt von den Nachlässen Carl Lutz, Walter Bosshard, Gustav Däniker jun. und Alfred A. Häsler. Diese Reihenfolge wurde zum Teil durch die spürbar gestiegene Nachfrage nach audiovisuellem Archivgut beeinflusst, enthalten diese Nachlässe doch teilweise wertvolle Filme und Fotos. Bislang wenig beachtete Nachlässe von Flüchtlingshelferinnen hatten im Berichtsjahr Konjunktur. Viele der insgesamt 28 Benutzungen standen im Zusammenhang mit der Publikation „Vergessene Frauen. Humanitäre Kinderhilfe und offizielle Flüchtlingspolitik 1917–1948“, die Helena Kanyar herausgab.

    Die im vergangenen Jahr eröffnete Ausstellungen „Gurs – Ein Internie-rungslager, Südfrankreich 1939–1943“ wurde 201o fortgesetzt. Anfang Jahr wurden in Speyer (D) 150 Werke von inhaftierten Künstlern ausgestellt. Elsbeth Kasser wäre im Mai 2010 hundert Jahre alt geworden. Die Kirch-gemeinde Steffisburg nahm dies zum Anlass, die Ausstellung ebenfalls zu zeigen. Im Hinblick auf den 70. Jahrestag der Deportation der Juden Badens und der Pfalz nach Gurs wurde die Sammlung in Offenburg für drei Monate zugänglich gemacht.

    Die Ausstellung „Hast Du meine Alpen gesehen? Eine jüdische Beziehungs-geschichte“, die mehrere Exponate aus dem AfZ zeigt, wanderte nach Statio-nen in Hohenems und Wien nach München weiter. Das Kunstmuseum Olten widmete dem Karikaturisten, Kinderbuchautor und Maler Hans-Ulrich Steger

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    eine monografische Ausstellung, zu der das AfZ 20 Leihgaben beisteuerte. Neben diesen Originalen wurden im Berichtsjahr an verschiedenen Orten auch digitalisierte Archivalien einer breiten Öffentlichkeit gezeigt, so zum Beispiel rund 50 Bilder in einer Tonbildschau zum 1. August in der Schweizer Botschaft in Berlin.

    5.2 LehreIm Rahmen der Lehrkooperation mit dem Historischen Seminar der Universi-tät Zürich wurden für das Proseminar II sowie für das Archiv-Kolloquium „ad fontes“ im Berichtsjahr insgesamt fünf Archivpräsentationen durchgeführt.

    Die Lehrkooperation mit dem Historischen Seminar der Universität Basel wurde ebenfalls erfolgreich fortgesetzt. Am 7. Dezember arbeiteten Basler Studierende, die von Irene Amstutz vom Schweizerischen Wirtschaftsarchiv angeleitet wurden, im AfZ. Im Zentrum ihrer Quellenarbeit zur Unterneh-mensgeschichte stand die Thematik der Wirtschaftskrise. Die Studierenden taten dies anhand ausgewählter Beispiele aus dem Vorort-Archiv, die im Krisenkontext der 1930er und 1970er Jahre stehen. Vor dem Hintergrund dieser beiden grossen Krisen des 20. Jahrhunderts analysierten und disku-

    Im Rahmen ihrer Tätigkeit begegnen Archivarinnen und Archivare verschiedensten Medien-typen. Als Teil seiner Beiträge zu Lehrveranstaltungen vermittelt das Archiv für Zeitgeschichte (z.B. anlässlich des Archiv-Kolloquiums „ad fontes“ der Universität Zürich) auch die Geschichte der Aufzeichnungsverfahren (hier der Fotografie), welche die angehenden Historikerinnen und Historiker mit Gewinn für die Datierung und Analyse des Entstehungszusammenhangs audiovisueller Quellen weiterverwenden (Zusammenstellung: Jonas Arnold, AfZ).

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    tierten sie Handlungsalternativen wirtschaftlicher Unternehmen in Phasen grosser Unsicherheit. Zusammen mit Sonja Vogelsang und Jonas Arnold präsentierte Daniel Nerlich dabei die Wirtschaftsbestände des AfZ und Re-cherchestrategien im Archiv.

    Im Rahmen des „Archivzyklus Schweiz“, eines Weiterbildungsprogramms des VSA, organisierte das AfZ gemeinsam mit den Archiven und Nachlässen der ETH-Bibliothek am 19. und am 26. November ganztägige Weiterbildungs-veranstaltungen mit dem Titel „Digitalisierung und Online-Präsentation von Archivgut“. An diesen Anlässen stellten Yvonne Inden (Digicenter, ETH) und Jonas Arnold Projekte und Lösungen für die Massendigitalisierung von Ar-chiv- und Losegut vor. Wie bereits 2008 fand die Thematik grossen Anklang, was die doppelte Austragung für rund 50 Interessierte notwendig machte. Während das AfZ u.a. seine mehrjährige Digitalisierungskampagne vorstellen konnte, wurden auch diesmal interessante Projekte aus dem Teilnehmerkreis diskutiert. Ebenso erforderlich wie gelungen war das erstmalige Engage-ment des Juristen Kai-Peter Uhlig, der Aspekte des Urheberrechts und des Datenschutzes erläuterte.

    5.3 Forschung und PublikationenIm Rahmen der Kooperation mit dem Historischen Lexikon der Schweiz (HLS) verfassten Daniel Nerlich und Philipp Hofstetter den Artikel über den Schweizerischen Handels- und Industrieverein.

    In der Publikationsreihe des Archivs für Zeitgeschichte erschienen 2010 gleich zwei Bände. Im März stellten wir der Öffentlichkeit Band 5 vor:• Madeleine Lerf: „Buchenwaldkinder“ – eine Schweizer Hilfsaktion. Humanitäres

    Engagement, politisches Kalkül und individuelle Erfahrung.

    Im Dezember veranstalteten wir die Vernissage zu Band 6:• Zsolt Keller: Abwehr und Aufklärung. Antisemitismus in der Nachkriegszeit und

    der Schweizerische Israelitische Gemeindebund.

    Zudem verfassten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teils in ihrer Frei-zeit, teils im Rahmen ihrer Anstellung am AfZ unter anderem die folgenden Publikationen:• Hagmann, Werner: „Beÿ Mans Gedenkken war es nie so gewessen“. Was Augenzeu-

    gen von der Überschwemmung des Seveler Bachs 1849 berichten, in: Terra plana 2010/2, S. 35–42.

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    • Hagmann, Werner; Kirchgraber, Jost: Ein vergessener Maler und Alpinist aus Se-velen, in: Werdenberger Jahrbuch 2011 (Vol. 24), Buchs 2010, S. 121–135.

    • Nerlich, Daniel: Dornröschen aufgewacht? Neue Arbeits- und Kommunikations-prozesse im Archiv, in: Der Archivar 63/1 (2010), S. 113–114.

    • Spuhler, Gregor: Das Interview als Quelle historischer Erkenntnis. Methodische Bemerkungen zur Oral History. In: Dora Imhof, Sibylle Omlin (Hg.): Interviews. Oral History in Kunstwissenschaft und Kunst, München 2010, S. 15–27.

    5.4 Verbände, Kooperationen, VernetzungAls Vorstandsmitglied des Vereins schweizerischer Archivarinnen und Archi-vare (VSA) nahm Daniel Nerlich an vier Sitzungen sowie an der zweitägigen Generalversammlung im September in Vaduz teil. Daneben machte er am 15. November an einem der zweimal jährlich stattfindenden Grundkurse des Verbands die Teilnehmenden mit den Wirtschafts- und Unternehmensarchi-ven der Schweiz bekannt.

    Werner Hagmann nahm am 20. Mai an der zweiten vom Historischen Lexikon der Schweiz (HLS) und dem Schweizerischen Institut für Kunstwis-senschaft (SIK) initiierten Tagung „Biografien in elektronischen Nachschla-gewerken“ in Bern teil. Beschlossen wurde dort, das Projekt eines nationalen Biografie-Portals weiterzuverfolgen und eine Arbeitsgruppe zur Ausarbei-tung von Vorschlägen für das weitere Vorgehen einzusetzen.

    Im Hinblick auf eine von der Forschungsgruppe der „Diplomatischen Dokumente der Schweiz“ (DDS) am 26. November in Bern veranstaltete Tagung „150 Jahre Beziehungen Schweiz – Italien: die Quellen“ stellte das AfZ schliesslich eine Liste seiner Bestände mit Bezug zu Italien zusammen, welche auf der DDS-Website online publiziert werden soll.

    Im Rahmen der seit längerem etablierten Abendführungen der Samm-lungen und Archive der ETH Zürich führte Daniel Nerlich dieses Jahr am 5. Oktober unter dem Motto „History matters to managers (too) – Archive der privaten Wirtschaft“ rund 20 Gäste durch das AfZ.

    Schliesslich erhielt das AfZ Besuch von Delegationen aus dem Staatsarchiv Aargau, dem Staatsarchiv Schaffhausen und dem Stadtarchiv Shanghai, bei denen der fachliche Austausch im Zentrum stand. Umgekehrt erhielt das Team des AfZ bei einem Besuch des Archivs von SF DRS Einblick in die technologisch fortgeschrittene Archivierung audiovisueller Dokumente.

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    6 NeuzugängeDie Bestände des Archivs erhielten 2010 einen Zuwachs von rund 718 Laufme-tern, der sich im Zuge der Erschliessung erfahrungsgemäss reduzieren wird. Einzeln aufgeführt werden im Folgenden neue Bestände und umfangreiche Nachlieferungen zu bestehenden Beständen.

    6.1 Nachlässe

    Bestand Stichworte zum Inhalt Übernahme von Umfang

    Birrer, Franz

    Unterlagen zur diplomatischen Tätigkeit (Addis Abeba, Berlin DDR: Politische Be-richte, Kolloquiumspräsentation), Kopien von Stasi-Akten mit Bezug zu Franz Birrer und der Schweizer Botschaft in BerlinLaufzeit: 1981–2010

    Birrer, Franz 0.1 Lfm

    Bodmer, Wal-ter

    Biografische Materialien, Unterlagen zur Stiftung für humanwissenschaftliche Grundlagenforschung: Protokolle, Finanz-akten, Manuskripte, Beilagen, Zeitungen und Zeitschriften, Audio-Kassetten, FotosLaufzeit: ca. 1960–2008

    Folkers, Gerd 20 Lfm

    Buchbinder, Heinrich

    Unterlagen zu Biografie (u.a. Staats-schutzakten), SPS, Sozialist. Internationale, internat.“Missionen“, Grossratsmandat AG, Aargauer Gewerkschaftsbund, VPOD, Sicherheits- / Friedenspolitik, div. polit. Sach-themen, Konkordat Schweiz. Krankenkassen (KSK), Chiropraktoren (SCG, ECU), Korre-spondenz, MS / Vorträge, Publikationen, TonbänderLaufzeit: ca. 1960–1999

    Buchbinder, Chantal

    29 Lfm

    Dutler, Chri-stian

    Unterlagen im Zusammenhang mit seiner Betätigung als Fluchthelfer und seiner Ent-lassung aus dem PolizeidienstLaufzeit: ca. 1933–2004

    Dutler, Christian 0.1 Lfm

    Ebrard, Hans Ludwig

    Biografische Materialien und Verhandlungs-unterlagenLaufzeit: ca. 1940–1991

    Ermatinger-Hunziker, Maja

    0.4 Lfm

    Euler, Alexan-der

    Familiengeschichte, Korrespondenzen und Fotos zur Familie seit ca. 1900 (russ. Revolu-tion u. Emigration), Korrespondenzen und Dokumentationsmaterial aus jüngerer Zeit zu Leonhard Euler, Euler-Archiv etc., Ms. der Lebenserinnerungen von „Marinka“ (geb. 1912), ca. 200 S. Laufzeit: ca. 1880–2007

    Euler, Marina 0.9 Lfm

    Föhr, Harald Unterlagen v.a. zu Harald Föhrs (geb. 1925) russischer Kriegsgefangenschaft Laufzeit ca. 1940–2009

    Föhr, Harald 0.25 Lfm

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    Gerber, Ernst Unterlagen zur Teilnahme an der 1. und 3. Ärztemission an der Ostfront 1941/1942Laufzeit : 1941–1942, 1968–1997

    Gerber, Urs 0.5 Lfm

    Herzka, Heinz Stefan

    Unterlagen zu Supervision, Stiftungsarbeit, Vortragsreisen, Rezensionen, ZuschriftenLaufzeit: 1980–2010

    Herzka, Heinz Stefan

    0.8 Lfm

    Hofer, Walther

    Unterlagen zur Biografie, zur Tätigkeit als Hochschuldozent, zu historischen For-schungen, zu politischen Fragen, Vorträge und PublikationenLaufzeit: ca. 1920–2010

    Hofer, Walther 3.5 Lfm

    Kasser, Els-beth

    Biografische Materialien, Korrespondenz, FotosLaufzeit: ca. 1910–1992

    Schmid-Ackeret, Therese

    0.8 Lfm

    Littmann, Martin

    Handschriftliche Aufzeichnungen von Rab-biner Dr. Martin LittmannLaufzeit: 1901–1943

    Girsberger, Bet-tina

    0.4 Lfm

    Picard, Jac-ques

    Biografische Materialien, Forschungsunter-lagen, Materialien zum Flüchtlingstheater NavenadLaufzeit: 1923–2010

    Picard, Jacques 2.5 Lfm

    Pritzker-Ehrlich

    Unterlagen von Boris Pritzker zum „Henker-projekt“: Notizbücher 1938–1942, Unterlagen zu 24 Scharfrichterkandidaten 1938/39Laufzeit: 1938–1942

    Staatsarchiv Aar-gau

    0.5 Lfm

    Weber, Ger-hard

    Lebenslauf, Erinnerungsstücke, Videokassette mit Zeitzeugnis, PresseausschnitteLaufzeit: ca. 1942–2003

    Schuppli-Geiger, Alfons

    0.1 Lfm

    Zweig, Edith Biografische MaterialienLaufzeit: ca. 1910–1998

    Lorant, Kitty 0.1 Lfm

    6.2 Institutionelle BeständeBestand Stichworte zum Inhalt Übernahme von Umfang

    Assessment-praxis Zürich

    Arbeitsdokumentation Assessment-Center; Projekte und Vorträge, Biografie und Publi-kationen Donator, Demonstrationsfälle, „Hybris“ (Stiftung für humanwissenschaft-liche Grundlagenforschung) Laufzeit: ca. 1964–2000

    Assessmentpra-xis Zürich

    8 Lfm

    Farner Con-sulting Archiv

    Sachdokumentation und Kundenarchiv der Farner Consulting AGLaufzeit: ca. 1950–2000

    Farner Consul-ting AG

    130 Lfm

    ICZ-Archiv Historisches Archiv der Israelitischen Cul-tusgemeinde Zürich (ICZ)Laufzeit: 1862–2000

    Israelitische Cultusgemeinde Zürich

    140 Lfm

    Jüdische Gemeinde Kreuzlingen

    Archiv der Jüdischen Gemeinde Kreuzlingen: Handakten Präsident Louis Hornung, Fried-hofsakten/Finanzakten (ca. 1975–2009); Nachlass Dora Cohn (Auswandererin); Film Kinderseder in Kreuzlingen Laufzeit: 1935–2009

    Hilb, Rolf; Wiehn, Erhard Roy; Hor-nung, Daniel

    0.5 Lfm

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    LG-Archiv Firmenarchiv Landis & Gyr: Unterlagen zur Gründung, Unternehmens- und Famili-engeschichte, zu den Immobilien und zur Bautätigkeit, zu Konferenzen der Verwal-tungsorgane und Führungsgremien, zum Personal- und Sozialwesen, zu Verwaltungs-organen (Planung und Organisation, Gene-ralsekretariat, Rechts- und Finanzabteilung), zur LG Holding AG / Erbengemeinschaft KHG, zu Beteiligungen, Akquisitionen und zu Kooperationen, zu Konzern- / Länderge-sellschaften; zu den Geschäfts-/Unterneh-mensbereichen Energie, Kommunikation, Wärmetechnik, Technik, Fabrikation, Verkauf, Werbung, Öffentlich-keitsarbeit, Marktforschung, Marketing und schliesslich zum Verhältnis zu Verbänden und Behörden. Zahlreiche Filme und Tondokumente sowie zahlreiche Fotografien, darunter eine einzig-artige Fotoglasplattensammlung.Historiografische Dossiers zur Chronologie des Landis & Gyr Konzerns, zum Wirt-schaftsstandort Zug 1870–1910 sowie zur Unternehmensentwicklung Laufzeit: 1896–1997

    Weber, Philipp 360 Lfm

    OMANUT-Archiv

    Protokolle, Finanzakten, Statuten.; Unter-lagen zu Ausstellungen, Veranstaltungen, Jubiläumsfeiern, Omanut-Förderpreis, Reisen. Korrespondenz mit Eidgenössischer Fremdenpolizei, Jüdischen Gemeinden, Israelitischem Wochenblatt, Vorstandskorre-spondenz; Fremdbestände: Salomon David Steinberg-StiftungLaufzeit: ca. 1940–2000

    Zafran-Sagal, Nina

    1.8 Lfm

    Stiftung Bol-lag

    Archiv der Stiftung Familie Rahel und Sa-muel Bollag: Jahresberichte, Stammbäume, Korrespondenz mit Familienmitgliedern, Finanzakten, Umfangreiche Fotosammlung zur Familiengeschichte und KinderlagernLaufzeit: ca. 1930–1996

    Bloch, Marc 4 Lfm

    6.3 Dokumentationen und KopienbeständeBestand Stichworte zum Inhalt Übernahme von Umfang

    Karlen, Stefan Forschungsunterlagen zur Versicherungs-branche: Kopien von Literatur sowie von Quellen aus öffentlichen und privaten Ar-chiven; Unterlagen zur Arbeit der UEKLaufzeit: 1886–2001

    Karlen, Stefan 13.5 Lfm

    Wyss, Marco Forschungsdokumentation zu Franz Ried-weg (Aktenkopien aus den Bundesarchiven in Bern und in Berlin)Laufzeit: 1937–1947

    Wyss, Marco 0.5 Lfm

    Yad Vashem Benjamin Sagalowitz Collection

    Nachlass Benjamin Sagalowitz, 1901–1970, Signatur des Originalbestands Yad Vashem P-13Laufzeit: ca. 1935–1960

    Yad Vashem; Zafran-Sagal, Nina

    15 Mi-krofilme

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    6.4 Bild- und Tondokumente

    Bestand Stichworte zum Inhalt Übernahme von

    Umfang

    Dietz, Peter Tondokumentensammlung zur Zeitge-schichteLaufzeit: ca. 1914–1970

    Urner, Klaus 39 Tondo-kumente

    Fotosamm-lung AfZ

    Fotoalben zur Ostfrontmission von Dr. med. Emil Hügi u. Suzanne Hügi-Montavon, ca.Laufzeit: 1941–1942

    Hügi, Martin 2 Alben

    Zeitzeugen-Kolloquien

    Zeitzeugnisse von Rabbiner Hermann I. Schmelzer (in zwei Teilen) sowie Botschafter Dr. iur. Franz BirrerLaufzeit: 2010

    Archiv für Zeitgeschichte

    3 Tondoku-mente

    Tondoku-mente JZG

    Zeitzeugeninterviews vom 27.1.2010 mit Mi-chael Freisager, Margot Wicki-Schwarzschild und Margot DreifussLaufzeit: 2010

    Archiv für Zeit-geschichte

    3 Ton- und Videodo-kumente

    Videodoku-mente AfZ

    Videoproduktionen der psycho-sozialen Bera-tungsstelle für Holocaust-Überlebende und ihre Angehörigen in der SchweizLaufzeit: 2010

    Tamach 3 Videodo-kumente

    6.5 DankDen oben aufgeführten Institutionen und Privatpersonen sei an dieser Stelle für das Vertrauen gedankt, das sie dem AfZ mit der Übergabe ihrer Unterla-gen entgegen bringen.

    Für die Schenkung von Büchern und Zeitschriften, von Einzeldokumenten und kleineren Nachlieferungen sowie für die Vermittlung von Beständen möchten wir uns bei den folgenden Personen und Institutionen herzlich bedanken: Margrith Bigler-Eggenberger, Sylvia Ehrlich, Renato Esseiva, Micha-el Freisager, Christine Gehrig, Christian Gerlach, Werner Hagmann, Helena Kanyar Becker, Renzo Morera, Andrea Picenoni, Betty und Hartmut Raguse-Stauffer, Susi Roschewski, Verena Rueff-Eidenbenz und Erhard Roy Wiehn.

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    7 Erschlossene Bestände

    7.1 Nachlass Paul StaufferNachlässe von Diplomaten sind seit den Anfängen des AfZ einer der Samm-lungsschwerpunkte im Bereich der politischen Zeitgeschichte – der Bestand von Botschafter Dr. Paul Stauffer (1930–2008) bildet hierzu eine wertvolle Ergänzung. Der in Basel aufgewachsene Paul Stauffer studierte Geschichte und Romanistik an der Universität Basel sowie an der Sorbonne in Paris und promovierte bei Prof. Dr. Edgar Bonjour. 1960 trat er in den diplomatischen Dienst ein. Die ersten Stationen führten ihn auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges nach Berlin, dann nach drei Jahren in Bern nach Moskau, London, An-kara und Teheran, wo er 1972–1974 – noch unter dem Schah-Regime – bereits die Funktion eines Geschäftsträgers a. i. ausübte. 1974–1978 kehrte Stauffer nach Bern zurück und leitete dort die Sektion für kulturelle und UNESCO-Angelegenheiten. 1978 wurde er zum Botschafter ernannt und vertrat die Schweiz zunächst für drei Jahre in Pakistan, dann 1981–1983 in der jungen

    Begegnung von Paul Stauffer mit Papst Johannes Paul II. anlässlich von dessen Polen-Besuch vom 8.-14. Juni 1987. Links im Bild (abgeschnitten, mit Sonnenbrille) wahrscheinlich das polnische Staatsoberhaupt General Wojciech Jaruzelski.

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    Islamischen Republik Iran, wo er nach der spektakulären Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft auch die Interessen der USA wahrzunehmen hatte. Seine diplomatische Laufbahn beschloss Stauffer in Polen. Hier erlebte er in den Jahren 1984–1989 den durch die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc geprägten Übergang vom kommunistischen Einparteienstaat hin zur par-lamentarischen Demokratie mit den ersten freien Wahlen im Ostblock im Juni 1989 kurz nach seiner Rückkehr in die Schweiz.

    Paul Stauffer verstand sich nicht nur als Diplomat, sondern stets auch als Historiker: Nach seinem frühzeitigen Rückzug aus dem Berufsleben befasste er sich mit zeitgeschichtlichen Themen, wenn auch dabei die Diplomatie im Zentrum seines Forschungsinteresses stand. Daraus resultierten zwei Publikationen über Carl Jacob Burckhardt, 1937–1939 Hochkommissar des Völkerbunds für die Freie Stadt Danzig und während des Zweiten Weltkriegs leitender Mitarbeiter und ab 1945 Präsident des IKRK, welche teils heftige Kontroversen namentlich mit der mit Burckhardt befreundeten Marion Gräfin Dönhoff auslösten. Eine weitere Forschungsarbeit widmete Stauffer verschiedenen Aspekten der schweizerisch–polnischen Beziehungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, u.a. der Überwachungsmission von alt Bundesrat Felix Calonder in Oberschlesien im Auftrag des Völkerbunds (1922–1937).

    Der Nachlass im Umfang von 6,5 Laufmetern dokumentiert die diploma-tische Laufbahn Stauffers. Während zu den frühen Stationen nur wenig überliefert ist, werden die Jahre als Sektionschef in Bern und als Botschafter eingehender belegt. Über seine Tätigkeit als Botschafter geben insbesondere die von ihm verfassten und nach Bern übermittelten „Politischen Berichte“ Auskunft, ebenso die vorhandene Korrespondenz vorwiegend mit Amtsstel-len in Bern und im Gastland. Neben dem „Courant normal“ widerspiegeln sich darin mitunter auch ausserordentliche Vorfälle wie die Inhaftierung des Schweizer Gewerkschafters Clive Loertscher in Polen, welchem Un-terstützung oppositioneller Kreise vorgeworfen wurde. Nicht zuletzt dem beharrlichen Einsatz von Paul Stauffer war es zu verdanken, dass Loertscher schliesslich nach mehr als drei Monaten wieder freikam. Wie aber Stauffer das Polen-Engagement des Schweizer Gewerkschafters einschätzte, erhellt eine vielsagende, auf Loertscher gemünzte Bemerkung in einer nach Bern übermittelten vertraulichen „Nachlese“ zum Fall: „Und zum Schluss […]

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    das (imaginäre) Stossgebet eines polnischen Oppositionellen: ‚Lieber Gott, bewahre uns vor solchen Freunden – unsere Feinde machen uns das Leben schon schwer genug …‘“

    Neben den Unterlagen zur Diplomatentätigkeit findet sich im Nachlass eine von Paul Stauffer angelegte Forschungsdokumentation zu den verschie-denen von ihm bearbeiteten zeitgeschichtlichen Themen, insbesondere zu Carl Jacob Burckhardt. Neben zahlreichen, soweit möglich nach Provenienz geordneten Aktenkopien aus diversen Archivbeständen im In- und Ausland finden sich darin auch Kopien gedruckter Quellen, aus Sekundärliteratur und Presseausschnitte, audiovisuelle Dokumente sowie Korrespondenz zum jeweiligen Forschungsthema. Einzelne von Stauffer verfasste Publika-tionen und Vorträge sowie Materialien zu deren Rezeption sind ebenfalls vorhanden. Abgerundet wird der Bestand durch Unterlagen zur Biografie sowie durch eine über Jahrzehnte insbesondere mit der Familie gepflegte Privatkorrespondenz.

    7.2 Familienarchiv HerzkaDas Familienarchiv Herzka enthält den persönlichen und wissenschaftlichen Nachlass von Else Freistadt Herzka (1899–1953) und Hans Herzka (1899–1977), sowie den persönlichen und wissenschaftlichen Vorlass ihres Sohnes Heinz Stefan Herzka (geb. 1935). Das Familienarchiv gewährt aus biografischer Perspektive Einblick in die internationale Dimension nationalsozialistischer Verfolgung. Darüber hinaus ist es als ein Fundus für die Wissenschaftsge-schichte von Psychologie und Psychiatrie in der Schweiz eine bedeutende Ergänzung der Sammlungen des AfZ. Die Erschliessung des Familienarchivs konnte nicht zuletzt dank der finanziellen Beteiligung von Heinz Stefan Herzka durchgeführt werden.

    Nachlass Else Freistadt Herzka Die als Tochter jüdisch-orthodoxer Eltern geborene Else Freistadt Herzka stand bereits während ihres Studiums in Wien mit einigen der bedeutendsten zeitgenössischen Psychologen in Kontakt. Mehrere Jahre lang arbeitete sie zusammen mit Charlotte Bühler in den Bereichen der Jugendpsychologie und der Frauenemanzipation und war Mitarbeiterin von Alfred Adler, des Begründers der Individualpsychologie. 1931 heiratete sie den ebenfalls aus Wien stammenden Hans Herzka. Dieser war während des Ersten Weltkrieges

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    in Jugoslawien in Kriegsgefangenschaft geraten und arbeitete in den 1930er Jahren als eigenständiger Finanzexperte für diverse Grossbetriebe. 1935 kam Heinz Stefan Herzka in Wien zur Welt. Infolge der Besetzung Österreichs durch die Nationalsozialisten im Frühjahr 1938 flüchtete die Familie in die Schweiz. Dort konnte Else ihre wissenschaftliche Tätigkeit mit Hilfe von Freunden trotz Arbeitsverbot weiterführen. Sie veröffentlichte zahlreiche Arbeiten, hielt Vorträge und Kurse an Volkshochschulen und besuchte Semi-nare von C.G. Jung und Toni Wolff. Gleichzeitig kämpften sie und ihr Mann jahrelang gegen die Ausweisung und bemühten sich vergeblich um eine Einreiseerlaubnis nach Grossbritannien bzw. in die USA. 1950 schliesslich erhielten beide definitiv die Schweizer Niederlassungsbewilligung. Trotz angegriffener Gesundheit blieb Else Freistadt Herzka bis zu ihrem frühen Tod beruflich aktiv. Hans Herzka wanderte 1963 nach Israel aus und starb 1977 während eines Besuches in Zürich.

    Der Nachlass von Else Freistadt Herzka und Hans Herzka setzt sich zu einem grossen Teil aus den Tagebüchern von Else und deren Transkriptionen sowie aus Material zu ihrer beruflichen Tätigkeit zusammen. Darin finden sich ihre Referate, Publikationen und Manuskripte. Unterlagen von und zu Hans Herzka sind spärlicher vorhanden und umfassen unter anderem seine Tagebücher aus den Jahren 1952 bis 1977. Umfangreich dokumentiert ist die Korrespondenz, welche Else und Hans während der Emigration mit Ämtern im In- und Ausland und mit Privatpersonen führten.

    Vorlass Heinz Stefan HerzkaHeinz Stefan Herzka studierte Medizin an den Universitäten Zürich und Basel und spezialisierte sich im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ab 1968 war er an verschiedenen Stellen als Oberarzt tätig. Unter anderem war er für die Planung und den Aufbau der 1974 eröffn