4
136 STEREO 2/2011 CDs | NEUES AUS DER MUSIKWELT JAZZ ★★★★★ hervorragend | ★★★★ sehr gut | ★★★ solide | ★★ problematisch | schlecht C D D E S M O N A T S Christian Weidner THE INWARD SONG Pirouet/Edel CD (52’) Von gesanglichem Gestus und in- nerer Einkehr geprägt, entfaltet die Musik Christian Weidners eine gro- ße Kraft. „Choral“ nannte der Alt- saxophonist sein Debüt (2004), auf dem er sich in Triobesetzung mit geistlichen Musik- und Vokalfor- men (Choral, Cantus) auseinander- setzte. Mit neuem Quartett und Ti- teln wie „Psalm“ oder „Ave“ knüpft der Wahlberliner jetzt dort an, lauscht aber, wie er sagt, eher auf ein „inneres Singen“, das seine Stücke hervorbringe. „The Inward Song“ ist sicherlich ein introver- tiertes Album, eine musikalisch verbrämte Nabelschau ist es aber nicht. Dafür sorgen schon Weidners Partner, die den Blick auf die Dyna- mik innerhalb des Ensembles len- ken. Colin Vallon (Piano) und Samu- el Rohrer (Drums), dank ihrer Freu- de am Ausprobieren von Farben, Klängen und Strukturen zwei der gefragtesten Musiker aus der Schweiz, sowie Henning Sieverts, der für sein profundes Bassspiel mit dem „Jazz Echo 2010“ ausgezeich- net wurde, sind ihrem Leader eine starke Stütze. Der wiederum, Schü- ler von John Ruocco, Charlie Maria- no und Kenny Werner sowie acht Jahre lang in der Band von Gunter Hampel, lässt in seinen Komposi- tionen viel Raum für filigrane Ge- staltung. Sein Ton auf dem Alt kann einschmeichelnd klingen, aber auch kantig und rau. Sparsamkeit und Ruhe dominie- ren das Geschehen. Der gesangli- che Charakter der Stücke nimmt mal hymnische Züge an, mal verweht ei- ne zarte Melodie. Und Weidners Alt schwebt über einem flirrenden Klangteppich, schmiegt sich an sta- tisch stehende Akkorde, reibt sich am metallischen Klang eines prä- parierten Klaviers. Musik, die Zeit braucht – mehrfach hören! Berthold Klostermann MUSIK ★★★★★ KLANG ★★★★★ MODERN FOTO: KONSTANTIN KERN ACOUSTIC FUSION Oregon IN STRIDE Cam/Zyx CD (56’) 40 Jahre Oregon. Die vier Herren sind eine Institution in der Musik- szene, aber dafür ganz schön rüs- tig. Was sie schon durch den mun- ter groovenden Titelsong „In Stride“ (deutsch: „In Schwung“) unter- streichen. Echte Überraschungen wird man kaum erwarten, doch mit einer Modern-Jazz-Ballade für Kla- viertrio („Summer’s End“) hätte man auch wieder nicht gerechnet. Drummer Mark Walker bringt brasi- lianisch Gefärbtes mit („Nação“), Glen Moore ein feines Duett für Bass und Percussion („The Cat Pia- no“). Unterm Strich klingt Oregon wie Oregon – das nennt man wohl „Alleinstellungsmerkmal“. klm MUSIK ★★★★★ KLANG ★★★★PIANO SOLO Gwilym Simcock GOOD DAYS AT SCHLOSS ELMAU Act/Edel CD (58’) Unter den aufstrebenden Tastenta- lenten dieser Tage sollte man ihn nicht überhören: den walisischen Pianisten Gwilym Simcock. Nach Auszeichnungen, Arbeit mit Jazz- größen und ersten Alben gibt er jetzt sein Debüt bei einem hiesigen Label. Solo, in der inspirierenden Atmosphäre von Schloss Elmau, lässt er die Ideen nur so strömen. Ein Romantiker, der die Melodie zu sehr liebt, um sie mit seiner Virtuo- sität zu überdecken. Manches klingt wie ein Weckruf („Wake Up Call“): Aufwachen, ich komme! Dass dies aber ganz unprätentiös, wie selbst- verständlich rüberkommt, ist sym- pathisch. klm MUSIK ★★★★KLANG ★★★★★ KLEZMER/MODERN Leon Gurvitch Project w/Frank London ELDORADO Morgenland/Records CD (78’) Aus Minsk stammt der in Hamburg lebende Pianist Leon Gurvitch, und von dort brachte er außer einem Klassik-Abschluss der staatlichen Musikhochschule auch seine Liebe zur Klezmermusik mit. Sein Gurvitch Project vereinigt fünf Musiker aus fünf Ländern – darunter der Kuba- ner Omar Rodriguez Calvo (Bass) – sowie als Gast den New Yorker Trompeter und Klezmer-Erneuerer Frank London (Klezmatics). Ihr mu- sikalisches „Eldorado“ finden sie im Terrain zwischen jiddischem Klez- mer und aktuellem Jazz, wo sie sich voller Abenteuerlust und Spielfreu- de tummeln. klm MUSIK ★★★★★ KLANG ★★★★Markku Ounaskari, Samuli Mikkonen, Per Jorgensen KUARA ECM/Universal CD (54’) Ein Pianoraunen im Bass mit offe- nem Pedal gespielt. Dann ein paar helle, gläsern durchsichtige Töne – wie ein luftiges Gegenprogramm. Immer mehr formt sich nach dem Vorspiel das Thema: Es geht um rus- sische Psalmengesänge, um finni- sche Folklore. Ruhig und getragen. Eine Trompete gesellt sich dazu. Ein Schlagzeug, mit Besen betrieben, die Snare, das Becken mehr getupft als herkömmlich gespielt: Drummer Markku Ounaskari lässt seinen Ein- lassungen Raum, akzentuiert, kon- turiert. Samuli Mikkonens Flügel steht dagegen für die Essentials ein. Für Linien und Akkorde, die aus dem Nichts zu kommen scheinen. Manchmal bläst Per Jorgensen ein paar Trompetentöne dazu. MODERN Simple Melodien, oft nur ange- deutete Harmonien. Tatsächlich kommt diese Aufnahme mit wenig aus; dieses Wenige aber ist von ei- nem Raum umgeben, der die Pausen als gleichberechtigtes musikalisches Medium ausweist. „Samuli und ich sind sehr an der Folklore der Ud- murten interessiert“, sagt Markku Ounaskari. „Es gibt dort eine reiche Tradition an gesungener Musik. Wir haben uns regelrecht in diese einfa- chen Melodien verliebt, die sehr me- lancholisch sind. Die Musik ist uns sehr nahe, nach ihr zu improvisieren scheint uns ganz natürlich“. Die Musik erzählt von der heidni- schen Naturmythologie. Ounaskari, Mikkonen und Jorgensen fügen schließlich Melodien russisch-or- thodoxer Psalmengesänge hinzu. Manchmal ertönt tatsächlich eine Stimme. Ein Kompendium des ho- hen Nordens. Per Jorgensen hat mit Jon Balke gespielt. Ounaskari kol- laborierte mit Kenny Wheeler und Lee Konitz. Mikkonen hat mit John Zorns Cobra gespielt, mit Paul Ru- therford. Hier erfinden sich die drei als Mystiker neu. Tilman Urbach MUSIK ★★★★KLANG ★★★★d e s M o n a t s A U D I O P H I L E S H I G H L I G H T

JAZZ CDs | NEUES AUS DER MUSIKWELT G H O L I D G U H … Audiophiles CD HIghlight.pdf · Enrico Pieranunzi: Wandering (Cam Jazz/Zyx) Verneri Pohjola: Aurora (ACT) V.Ö.: 28.1. Stefan

  • Upload
    vodan

  • View
    216

  • Download
    2

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: JAZZ CDs | NEUES AUS DER MUSIKWELT G H O L I D G U H … Audiophiles CD HIghlight.pdf · Enrico Pieranunzi: Wandering (Cam Jazz/Zyx) Verneri Pohjola: Aurora (ACT) V.Ö.: 28.1. Stefan

136 STEREO 2/2011

C D s | N E U E S A U S D E R M U S I K W E L TJAZZ

!!!!! hervorragend | !!!! sehr gut | !!! solide | !! problematisch | ! schlecht

CD

D

ES

M

ON

AT

S

Christian Weidner

THE INWARD SONGPirouet/Edel CD (52’)

Von gesanglichem Gestus und in-nerer Einkehr geprägt, entfaltet dieMusik Christian Weidners eine gro-ße Kraft. „Choral“ nannte der Alt-saxophonist sein Debüt (2004), aufdem er sich in Triobesetzung mitgeistlichen Musik- und Vokalfor-men (Choral, Cantus) auseinander-setzte. Mit neuem Quartett und Ti-teln wie „Psalm“ oder „Ave“ knüpftder Wahlberliner jetzt dort an,lauscht aber, wie er sagt, eher aufein „inneres Singen“, das seineStücke hervorbringe. „The InwardSong“ ist sicherlich ein introver-tiertes Album, eine musikalischverbrämte Nabelschau ist es abernicht.

Dafür sorgen schon WeidnersPartner, die den Blick auf die Dyna-mik innerhalb des Ensembles len-ken. Colin Vallon (Piano) und Samu-el Rohrer (Drums), dank ihrer Freu-de am Ausprobieren von Farben,Klängen und Strukturen zwei dergefragtesten Musiker aus derSchweiz, sowie Henning Sieverts,der für sein profundes Bassspiel mitdem „Jazz Echo 2010“ ausgezeich-net wurde, sind ihrem Leader einestarke Stütze. Der wiederum, Schü-ler von John Ruocco, Charlie Maria-no und Kenny Werner sowie achtJahre lang in der Band von GunterHampel, lässt in seinen Komposi-tionen viel Raum für filigrane Ge-

staltung. Sein Ton auf dem Alt kanneinschmeichelnd klingen, aber auchkantig und rau.

Sparsamkeit und Ruhe dominie-ren das Geschehen. Der gesangli-che Charakter der Stücke nimmt malhymnische Züge an, mal verweht ei-ne zarte Melodie. Und Weidners Altschwebt über einem flirrendenKlangteppich, schmiegt sich an sta-tisch stehende Akkorde, reibt sicham metallischen Klang eines prä-parierten Klaviers. Musik, die Zeitbraucht – mehrfach hören!

Berthold Klostermann

MUSIK !!!!!KLANG !!!!!

MOD

ERN

FOTO

: KO

NST

ANTI

N K

ERN

ACOU

STIC

FUSIO

N

Oregon

IN STRIDECam/Zyx CD (56’)

40 Jahre Oregon. Die vier Herrensind eine Institution in der Musik-szene, aber dafür ganz schön rüs-tig. Was sie schon durch den mun-ter groovenden Titelsong „In Stride“(deutsch: „In Schwung“) unter-streichen. Echte Überraschungenwird man kaum erwarten, doch miteiner Modern-Jazz-Ballade für Kla-viertrio („Summer’s End“) hätteman auch wieder nicht gerechnet.Drummer Mark Walker bringt brasi-lianisch Gefärbtes mit („Nação“),Glen Moore ein feines Duett fürBass und Percussion („The Cat Pia-no“). Unterm Strich klingt Oregonwie Oregon – das nennt man wohl„Alleinstellungsmerkmal“. klm

MUSIK !!!!!KLANG !!!!!

PIANO

SOLO

Gwilym Simcock

GOOD DAYS AT SCHLOSS ELMAUAct/Edel CD (58’)

Unter den aufstrebenden Tastenta-lenten dieser Tage sollte man ihnnicht überhören: den walisischenPianisten Gwilym Simcock. NachAuszeichnungen, Arbeit mit Jazz-größen und ersten Alben gibt erjetzt sein Debüt bei einem hiesigenLabel. Solo, in der inspirierendenAtmosphäre von Schloss Elmau,lässt er die Ideen nur so strömen.Ein Romantiker, der die Melodie zusehr liebt, um sie mit seiner Virtuo-sität zu überdecken. Manches klingtwie ein Weckruf („Wake Up Call“):Aufwachen, ich komme! Dass diesaber ganz unprätentiös, wie selbst-verständlich rüberkommt, ist sym-pathisch. klm

MUSIK !!!!!KLANG !!!!!

KLEZ

MER

/MOD

ERN

Leon Gurvitch Project w/Frank London

ELDORADOMorgenland/Records CD (78’)

Aus Minsk stammt der in Hamburglebende Pianist Leon Gurvitch, undvon dort brachte er außer einemKlassik-Abschluss der staatlichenMusikhochschule auch seine Liebezur Klezmermusik mit. Sein GurvitchProject vereinigt fünf Musiker ausfünf Ländern – darunter der Kuba-ner Omar Rodriguez Calvo (Bass) –sowie als Gast den New YorkerTrompeter und Klezmer-ErneuererFrank London (Klezmatics). Ihr mu-sikalisches „Eldorado“ finden sie imTerrain zwischen jiddischem Klez-mer und aktuellem Jazz, wo sie sichvoller Abenteuerlust und Spielfreu-de tummeln. klm

MUSIK !!!!!KLANG !!!!!

Markku Ounaskari, SamuliMikkonen, Per Jorgensen

KUARA ECM/Universal CD (54’)

Ein Pianoraunen im Bass mit offe-nem Pedal gespielt. Dann ein paarhelle, gläsern durchsichtige Töne –wie ein luftiges Gegenprogramm.Immer mehr formt sich nach demVorspiel das Thema: Es geht um rus-sische Psalmengesänge, um finni-sche Folklore. Ruhig und getragen.Eine Trompete gesellt sich dazu. EinSchlagzeug, mit Besen betrieben,die Snare, das Becken mehr getupftals herkömmlich gespielt: DrummerMarkku Ounaskari lässt seinen Ein-lassungen Raum, akzentuiert, kon-turiert. Samuli Mikkonens Flügelsteht dagegen für die Essentials ein.Für Linien und Akkorde, die aus demNichts zu kommen scheinen.Manchmal bläst Per Jorgensen einpaar Trompetentöne dazu.

MOD

ERN Simple Melodien, oft nur ange-

deutete Harmonien. Tatsächlichkommt diese Aufnahme mit wenigaus; dieses Wenige aber ist von ei-nem Raum umgeben, der die Pausenals gleichberechtigtes musikalischesMedium ausweist. „Samuli und ichsind sehr an der Folklore der Ud-murten interessiert“, sagt MarkkuOunaskari. „Es gibt dort eine reicheTradition an gesungener Musik. Wirhaben uns regelrecht in diese einfa-chen Melodien verliebt, die sehr me-lancholisch sind. Die Musik ist unssehr nahe, nach ihr zu improvisierenscheint uns ganz natürlich“.

Die Musik erzählt von der heidni-schen Naturmythologie. Ounaskari,Mikkonen und Jorgensen fügenschließlich Melodien russisch-or-thodoxer Psalmengesänge hinzu.Manchmal ertönt tatsächlich eineStimme. Ein Kompendium des ho-hen Nordens. Per Jorgensen hat mitJon Balke gespielt. Ounaskari kol-laborierte mit Kenny Wheeler undLee Konitz. Mikkonen hat mit JohnZorns Cobra gespielt, mit Paul Ru-therford. Hier erfinden sich die dreials Mystiker neu. Tilman Urbach

MUSIK !!!!!KLANG !!!!!

des Monats

AUDIO

PHILES HIGHLIGHT

K_136_Jazz.qxp:STEREO 22.12.2010 15:45 Uhr Seite 136

Page 2: JAZZ CDs | NEUES AUS DER MUSIKWELT G H O L I D G U H … Audiophiles CD HIghlight.pdf · Enrico Pieranunzi: Wandering (Cam Jazz/Zyx) Verneri Pohjola: Aurora (ACT) V.Ö.: 28.1. Stefan

Das DR-Logo gibt den Dynamikumfang des Tonträgers an. Nähere Infos unter www.stereo.de Bestellung online: www.nitschke-verlag.de

Alles, was Sie über Streaming

und Netzwerke wissen müssen –

gebündelt auf über 140 Seiten.

Bestellen Sie noch heute unter

Tel.: 02251 - 650 46 15.

STEREOSONDERHEFTSTEREOSONDERHEFT

www.stereo.de

HIFIDIGITALHIFIDIGITAL

JAZZVO

CAL

Caroline Henderson

KEEPER OF THE FLAMESony CD (41’)

Nach einer Popkarriere in den 90erJahren wechselte die in Dänemarklebende Sängerin ins „Erwachse-nenfach“ und machte auf jüngerenAlben mit einem feinen Mix ausPop-Coverversionen und Jazzstan-dards Freude. Nach dem bewährtenRezept wählt Caroline Hendersonjetzt Songs aus der Feder oder demRepertoire von Bob Dylan und DukeEllington, Nat „King“ Cole und TomWaits, Roberta Flack und Billie Ho-liday aus. Begleitet von einem Ba-sistrio, das bisweilen um Streicher,Bläser oder großen Chor angerei-chert wird, gewinnt sie noch den be-kanntesten Nummern attraktiveneue Seiten ab. klm

MUSIK !!!!!KLANG !!!!!

MAI

NSTR

EAM

Thibault Falk Quartett

SUR LE FILUnit/Alive CD (65’)

Mit dem Saxophonisten Josh Yellonhat sich Pianist Thibault Falk einenkongenialen Partner in sein Quar-tett geholt. So schön ergänzen sichKlavier und Saxophon selten, dabeiist Falks Truppe eigentlich ein ein-geschworenes Klaviertrio – mit zu-sätzlichem Bläser. Der Pianist istkein Avantgardist, obwohl er bei ei-nigen seiner Kompositionen dieGrenzen der offenen Interaktionaustestet. Er setzt eher auf dieNachhaltigkeit eines ruhig leuch-tenden Tons, einer einfachen, aberdennoch rhythmisch raffiniert in-szenierten Melodie. Das Ganze hatdie Wärme und Kraft eines kulti-vierten Weinjahrgangs. T.U.

MUSIK !!!!!KLANG !!!!!

WEITERE NEUERSCHEINUNGEN" Cyrus Chestnut Trio: Journeys (JLP)" Chinaza: Home (Nagel Heyer/Rough Trade) V.Ö.: 28.1." Michael Dease: Grace (JLP)" Francis Drake: Stories (Double Moon/Sunny Moon)" Shauli Einav: Opus One (Plus Loin Music/Soulfood) V.Ö.: 21.1." Richard Galliano: Paris Concert (Cam Jazz/Zyx)" Rudresh Mahanthappa & Bunky Green: Apex (PI) " Yves Léveillé/Eri Yamamoto: Pianos (Effendi/Codæx) V.Ö.: 21.1." Caecilie Norby: Arabesque (ACT/Edel) V.Ö.: 28.1." Enrico Pieranunzi: Wandering (Cam Jazz/Zyx)" Verneri Pohjola: Aurora (ACT) V.Ö.: 28.1." Stefan Schultze Large Ensemble: The Run (Double Moon)" Nils Wogram & Simon Nabatov: Moods & Modes (N Wog/Ja Kla)

V.Ö.: 21.1." Rafael Zaldivar: Life Directions (Effendi)

ECM: „Köln Concert“hochauflösendEndlich kommen hochauflösende Downloads aus

der musikalischen Nische heraus. Das LabelECM will eines der Kultalben der Jazz-Szene in 24Bit und 96 kHz anbieten: Keiths Jarretts legendä-res Köln Concert. Es soll ab Mitte Januar auf meh-reren Download-Plattformen erhältlich sein, inDeutschland auf www.highresaudio.com, in UKauf www.linnrecords.com. Daneben werden 29weitere ECM-Alben bereitgestellt, darunter zumBeispiel Keith Jarrett „Testament. Paris/London“,Jarrett/Haden „Jasmine“, Jan Garbarek/HilliardEnsemble „Officium Novum“ und András Schiff„Bach/Goldberg-Variationen“. Weitere Aufnah-men sollen folgen, sowohl Neuheiten als auch Ka-talog-Titel. Eine Veröffentlichung auf hochauflö-senden Discs sei derzeit nicht geplant, heißt es beiECM – man beobachte aber die Entwicklung derBlu-ray Audio mit Interesse. Die in Berlin ansäs-sige Plattform Highresaudio wird die Alben in dreiverschiedenen Formaten anbieten: in WAV undFLAC mit 24 Bit und 96 kHz sowie in AIFF mit24/48, damit iPod-Nutzer sie auf ihren Porti ladenkönnen. Denn iPods verweigern ja höhere Ab-tastraten. Die Preise: 20 Euro für die 48-kHz-Version, 21 Euro für 96 kHz. Man sei auch mit an-deren Labels, darunter allen Majors, in Verhand-lungen, heißt es bei Highresaudio. Soweit verfüg-bar seien auch Downloads in 24/192 (für 23 Euro)und in 5.1 (für 25 Euro) geplant. Im Preis inbe-griffen ist umfangreiches Bild- und Textmaterial.

ECM-Alben von Keith Jarrett,András Schiff, Jan Garbareck

K_136_Jazz.qxp:STEREO 22.12.2010 15:45 Uhr Seite 137

Page 3: JAZZ CDs | NEUES AUS DER MUSIKWELT G H O L I D G U H … Audiophiles CD HIghlight.pdf · Enrico Pieranunzi: Wandering (Cam Jazz/Zyx) Verneri Pohjola: Aurora (ACT) V.Ö.: 28.1. Stefan

138 STEREO 2/2011

ze ich schon die CD „Claude Wil-liamson Trio Autumn In New York“.Oft wollte ich sie Ihnen empfehlen,doch die Lieferfähigkeit war immeretwas unklar. Da aber auch hier ei-ne wunderbare Aufnahme unseresheutigen Standards enthalten ist,komme ich nicht umhin, sie Ihnenzu nennen. Sie bietet nicht nurgroßartige Musik, sondern auch ei-ne exzellente Klangqualität. BillCrow spielt einen fulminanten Kon-trabass mit herrlichen Soli, DavidJones jr. sitzt am Schlagzeug. WennSie sich einmal etwas Besonderesgönnen wollen, was auch etwas teu-rer sein darf, hier ist eine „Gele-genheit“. Erschienen ist die Auf-nahme auf Venus Records in Japan,lieferbar bei Amazon. Auch wennman vielleicht etwas Geduld auf-bringen muss, was die Lieferzeit an-belangt: Es lohnt sich.

Nun aber noch eine weitere Emp-fehlung, deren Verfügbarkeit un-umstritten ist. Es handelt sich umdie „Jazz At The Pawnshop 2“, einSchlachtross unter den so genann-ten Audiophilen – ein Terminus, derin diesem Fall großartige Musik ein-mal nicht ausschließt. Von der

Getz-Aufnahme treffen wir BengtHallberg am Klavier wieder, dochsein Solo ist hier völlig anders ge-artet. Auch die beiden anderen Mu-siker Egil Johansen (Schlagzeug)und George Riedel (Bass) machenihre Sache ganz ausgezeichnet. DasBesondere an diesen Aufnahmenist ihre intime Clubatmosphäre, dieman hier sehr authentisch nach-empfinden kann. Bei dieser Gele-genheit noch mein Dank an einenLeser, der die Anregung für dieseEmpfehlung gab. Ich wünsche Ih-nen viel Spaß beim Hören, Ihr Thomas Hintze.

finden wir an zehnter Stelle seineVersion, oder besser eine seinerVersionen von „Over The Rainbow“,die aus Stockholm im Jahr 1955stammt. Ganz deutlich trägt seineSpielweise Züge des „Cool Jazz“.Die begleitenden Musiker sindskandinavischen Ursprungs, zu-mindest der Pianist Bengt Hallbergist mir bekannt, trat er doch auch alsSolist in Erscheinung, besondersneben Getz. Auch die anderen Ein-spielungen stammen aus den1950ern, so dass man Getz in einerfest umrissenen Epoche hörenkann. Gleichzeitig merkt man aber,

welch unterschiedliche Tempera-mente in ihm steckten. Nach „OverThe Rainbow“ folgt „It Don’t MeanA Thing“. Hier spielt Getz neben BobBrookmeyer (Ventilposaune) gera-dezu entfesselt. So bietet diese CDauch die Gelegenheit, sich ganz indie Musik des Stan Getz hineinzu-hören, um viele Facetten seines unnachahmlichen Stils kennen zulernen.

Die zuletzt genannte Aufnahmestammt aus einem Konzert in LosAngeles, der Pianist Claude Wil-liamson, den ich sehr schätze, sitztam Klavier. Seit vielen Jahren besit-

viel zu schreiben, man muss sie ein-fach hören. Bekannt geworden ister bei uns vor allem durch seine So-lokonzerte, allen voran dem „KölnConcert“. Ich schätze aber auchden Vortrag aus dem Jahr 1995, derin der Mailänder Scala zu erlebenwar; „La Scala“. Es ist geradezuabenteuerlich zu hören, wie sichJarrett in seinen Improvisationen„verliert“. Dann kommt die Zugabe„Over The Rainbow“, und ich kannIhnen versprechen, dass es Ihnenkalt den Rücken herunterlaufenwird. Geradezu hymnisch spielt erda, in jedem Ton ist zu hören, dass

es sich um eine Liebeserklärung an„Over The Rainbow“ handelt. WennJarrett dann verstummt, brechendie Zuhörer in frenetischen Beifallaus: Man spürt, wie sie von seinerDarbietung verzaubert wurden.

Nach dem Altisten Art Pepper sollnun mit Stan Getz ein Tenorsaxo-phonist folgen. Auch bei dieserEmpfehlung handelt es sich um ei-ne nachträgliche Zusammenstel-lung, allerdings unter der Regie vonFrancis Dreyfus auf gleichnamigemPlattenlabel, was für eine unge-trübte Auswahl bürgt. Die CD titelt„Tangerine“. Unter den 16 Tracks

Es gibt nur wenige Standards, dieauch außerhalb des Jazz einen

wahren Triumphzug erlebten. Hier-zu zählt zweifellos „Over The Rain-bow” von Harold Arlen (Musik) undEdgar „Yip“ Harburg (Text). Erst-mals erklang dieses Lied in demFilm „Der Zauberer von Oz“, gesun-gen von der unvergesslichen JudyGarland. Später fand sich „Over TheRainbow“ nicht nur in zahlreichen Fil-men bis in die Neuzeit wieder, son-dern wurde auch zum besten Songdes Jahrhunderts gewählt. Für denJazz wurde der Titel schon sehr frühentdeckt, zunächst durch Art Tatumals Klavierver sion. Manch ein Jazz-musiker hat ihn gleich mehrmalseingespielt, so dass interessanteunterschiedliche Fassungen vergli-chen werden können.

Auch Art Pepper gehörte zu denVerehrern von „Over The Rainbow“,kein Wunder also, dass auch in mei-nem Bestand einige Versionen vonihm existieren. Vor fast sieben Jah-ren hatte ich Ihnen die CD „More ForLes At The Village Vanguard“ emp-fohlen. Auf „Essential Standards“finden wir nun eine Aufnahme, beider Pepper den Standard ganz al-

lein, ohne jegliche Begleitung aufseinem Altsaxophon bläst – diessollten Sie sich nicht entgehen las-sen. Hinzu kommt, dass diese CDgerade auch für Hörer geeignet ist,die die ganze Vielseitigkeit von Pep-pers kennen lernen wollen. Obwohlich solche „Compilations“ eigent-lich nicht besonders schätze, oftkranken sie an einer eher willkürlichzusammengestellten Titelfolge,freut es mich, dass ich in diesem Falleine uneingeschränkte Empfehlungaussprechen kann.

Über Keith Jarrett und seine Mu-sik braucht man eigentlich nicht

C D s | N E U E S A U S D E R M U S I K W E L TJAZZ

Art Pepper: Essential Standards Keith Jarrett: La Scala Stan Getz: Tangerine Jazz At The Pawnshop 2

Meine Jazz Standards„Over The Rainbow“

von Thomas Hintze

Aus seiner umfangreichen CD-Sammlungfischt der Jazz-Kenner und -Liebhaber Thomas Hintze für die STEREO-Leser jedenMonat die schönsten Schätze. Im Folgen-den widmet er sich den Standards.

K_136_Jazz.qxp:STEREO 22.12.2010 15:45 Uhr Seite 138

Page 4: JAZZ CDs | NEUES AUS DER MUSIKWELT G H O L I D G U H … Audiophiles CD HIghlight.pdf · Enrico Pieranunzi: Wandering (Cam Jazz/Zyx) Verneri Pohjola: Aurora (ACT) V.Ö.: 28.1. Stefan

2/2011 STEREO 139

C D s | N E U E S A U S D E R M U S I K W E L T JAZZ

wirkliche kommerzielle Erfolg MilesDavis’, seine erste Goldene Schall-platte.

Zum 40-jährigen Jubiläum be-schert uns Sony gleich zwei bemer-kenswerte Editionen. Eine im CD-For-mat mit zwei Tonträgern und einerDVD. Und eine üppigere Variante imLP-Format, die zusätzlich noch eineLive-CD und eine fabelhafte Neuauf-lage des Vinyl-Doppelalbums ent-hält. Die Studio-CDs lassen Origi-nalstücke und alternative Takes inder von Mark Wilder schon 1998 neugemischten und entschlackten Ver-sion leuchten. Im Vergleich zu „TheComplete Bitches Brew Sessions“(siehe STEREO 12/1998) fehlen al-lerdings etliche Stücke aus jenenNew Yorker Studiotagen. Dafürschaffte es der großartige Jazzpro-duzent und Reissue-Experte Micha-el Cuscuna, im alten Columbia-Archivzwei bisher unbekannte Variantenvon „Spanish Key“ und „John Mc-Laughlin“ auszugraben.

Lässt sich über die Notwendigkeitder so genannten „alternate takes“durchaus streiten, so sind die bisherunveröffentlichten Live-Konzerte fastschon unverzichtbare Dokumente.Die in beiden Jubiläumsausgabenenthaltene DVD zeigt ein Live-Kon-zert vom 4. November 1969, bei dem

Miles zusammen mit Wayne Shorter,Chick Corea, Dave Holland und JackDeJohnette in Kopenhagen vor einemerfahrenen Jazzpublikum so etwaswie die kammermusikalische Va rian-te von „Bitches Brew“ zelebriert. Miles ist hier in absoluter Höchst-form, glänzt mit seinem vibratolosenTon und perfekter Atemtechnik. Vonden gesundheitlichen Problemen,die ihn wenige Jahre später aus derBahn werfen werden, ist absolutnichts zu spüren. Allein wie er an-satzlos von der Jule-Styne-Ballade „IFall In Love Too Easily“ zu WayneShorters „Sanctuary“ überleitet, istgöttlich. Während derselben Tourneewurde das Quintett auch auf den Ber-liner Jazztagen bejubelt. Dieses Kon-zert ist in einer tontechnisch dürfti-gen Qualität bei Amazon erhältlich(siehe STEREO 7/2010).

Die große Box überrascht außer-dem mit einem Live-Konzert auf CD,das am 18. August von dem Rock-Impresario Bill Graham im Tangle-wood in Lenox, Massachusetts, ver-anstaltet wurde. Der SaxophonistGary Bartz ersetzt dabei WayneShorter, Keith Jarrett hext auf derelektrischen Orgel, Airto Moreirasorgt für exotische Percussion-Klän-ge. Das Oktett heizt mächtig ein, istaber mit seiner Nervosität biswei-

len ganz schön lästig. Es wird deut-lich, dass der britische Avantgarde-Bassist Dave Holland und auch derPianist Chick Corea für diesenSound nicht mehr die richtige Be-setzung waren. Sie machten sich

denn auch kurze Zeit spä-ter mit einem eher an Free

Jazz orientierten Trioselbstständig. Miles

holte sich den 19-jähri-gen Soul-Funk-Bassis-

ten Michael Henderson.Wer die wenige Monate

später im WashingtonerCellar Door mitgeschnittenen

Konzerte vergleicht (siehe STE-REO 4/2006), spürt, wo die

Reise hinging. Keith Jarrettgroovte hingebungsvoll

gleich an beiden elektri-schen Tasteninstrumen-ten, Henderson sorgtefür den pulsierenden

Atem und schuf so Freiräume fürJack DeJohnette, Gary Bartz

hatte mittlerweile von Milesgelernt, dass Timing und

Pausen ganz wesentlicheAusdrucksmittel sind.

Das Tanglewood-Konzert al-leine lohnt nicht unbedingt die An-schaffung der großformatigen Box.Für Vinyl-Fans ist sie in jedem Falleine echte Versuchung. Denn dieNeupressung zum 40-jährigen Jubi-läum bietet noch mehr luftige Trans-parenz als das CD-Mastering von1998. Das LP-Mastering basiert aufden Originalbändern von 1970, wo-bei sich die Abmischung aber ein-deutig an dem Klangbild des CD-Masters orientiert. Wer die Pres-sung von 1970 zum Vergleich he-ranzieht, wird feststellen, dass dieneue ein viel differenzierteres Bilddes Geschehens liefert. Immerhinbauen sich ja vor uns zwölf Musikerauf, deren Instrumente sich perfektauf einer breiten und tiefen Bühnevoneinander abheben. Eine der bes-ten Vinyl-Produktionen überhaupt.Abgerundet wird die Pracht-Boxdurch ein 52-seitiges Buch mit sehrguten Texten und Fotos und durchdiverse Faksimiles von Artikeln, Ein-trittskarten und Fotos. Ein rundweggelungenes Gebräu. Chefkoch – sor-ry, „director“ – Miles hätte seineFreude dran. Reiner H. Nitschke

Miles Davis: Bitches Brew (Columbia/Sony) 2 CDs + DVD Bitches Brew – 40th Anniversary(Columbia/Sony) 3 CDs + DVD +2-LP Set + 52-seitiges Booklet

Die Jahre 1969 und 1970 umfas-sen die produktivste Zeitspan-

ne im Schaffen von Miles Davis. Injenen Monaten entstanden die Auf-nahmen für so epochale Werke wie„Filles De Kilimanjaro“, „In A SilentWay“, „Bitches Brew“, „Jack John-son“ und „Live Evil“. Mankann sich heutekaum noch vor-stellen, wie dieseMusik seinerzeitüberrascht, ja ver-stört hat. Viele Kri-tiker, aber auchJazzmusiker rea-gierten mit Unver-ständnis auf den„neuen Miles“.Man hatte es sich so nett einge-richtet im elitären, kopflastigen In-tellektuellen-Jazz, war gewöhnt anMelodie und Variation, durchausvertrackt, aber doch immer mit ei-nem ordentlichen Anfang und Ende.Und nun das: Plötzlich mischtensich Rhythmus und Sound zu einemGebräu, versetzte die Hörer mitEchoeffekten und Endlosschleifen inTrance. Vertraut schien nur noch Mi-les’ Trompete, die entfernt an me-lancholische „Kind Of Blue“-Zeitenerinnerte.

Schon das Cover von „BitchesBrew“, was so viel wie Schlampen-oder Huren-Gebräu heißt, signali-sierte den Aufbruch. „Directions inmusic by Miles Davis“ steht alsDachzeile über dem Albumtitel. Un-missverständlich, hier ging es nichtmehr um Virtuosentum, um das ge-niale Zuwerfen der Bälle, wie im le-gendären Quintett der 60er Jahre.Hier inszenierte ein Genie einenFilm, ein Stimmungs-Panoramaexakt zum Ende eines Jahrzehnts,das von Vietnamkrieg und Rassen-krawallen, aber auch von der Hoff-nung auf eine Welt ohne Krieg undDiskriminierung geprägt war. DasKlapp-Cover der Doppel-LP zeigt einGemälde des jüdischen Malers Ma-ti Klarwein. Ein pseudorealisti-sches, an Dali erinnerndes Bild, aufdem sich Weiß und Schwarz die Fin-ger kreuzend vereinen. Tatsächlichwurde „Bitches Brew“ der erste

40 Jahre Huren-GebräuSony feiert „Bitches Brew“, die erfolgreichste Miles-Davis-Platte, mit zwei unterschiedlichen Jubiläums-Boxen

K_136_Jazz.qxp:STEREO 22.12.2010 15:45 Uhr Seite 139