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Mein Israel Szenen eines Landes Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag

Jüdischer Verlag · 2018. 3. 26. · Agnon ver-öffentlichte diesen oman im Jahr , ungefähr fünfzehn Jahre nachdem er sich endgültig in Eretz Israel niedergelas-sen hatte. Der

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Mein IsraelSzenen eines Landes

Jüdischer Verlagim Suhrkamp Verlag

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JÜDISCHEALMANACH

der Leo Baeck Institute

Mein IsraelSzenen eines Landes

Herausgegeben von Gisela Dachsim Auftrag des

Leo Baeck Instituts Jerusalem

Jüdischer Verlagim Suhrkamp Verlag

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Gefördert durch Stiftung Irene Bollag-Herzheimer, BaselIm Dialog. Evangelischer Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch

in Hessen und Nassau

edaktionelle Beratung: Irene Aue-Ben-David und Na’ama SheffiUmschlagabbildung: Naftali Hilger

Das Leo Baeck Institut (LBI) ist benannt nach der Symbolfigur der deutschen Judenheit im. Jahrhundert und besitzt Zentren in New York, London und Jerusalem sowie eine Wissen-schaftliche Arbeitsgemeinschaft in Deutschland. Es wurde in Jerusalem gegründet, umdie Geschichte und Kultur des deutschen und zentraleuropäischen Judentums zu erforschenund zu dokumentieren.Seit gibt das Leo Baeck Institut Jerusalem den Jüdischen Almanach heraus. Dies knüpft

an eine alte Tradition an, die durch den Nationalsozialismus gewaltsam abgeschnitten wurde.Erstmals erschien ein Jüdischer Almanach im Jahre .

Leo Baeck Institute:Jerusalem: Bustenai Street, Jerusalem , Israel; www.leobaeck.org

London: nd Floor, Arts Two Building, Queen Mary University of London, Mile end oad,London E NS, UK; www.leobaeck.co.uk

New York: West th Street, New York, NY , USA; www.lbi.orgFreunde und Förderer des LBI: Liebigstraße , Frankfurt

Erste Auflage © für diese Zusammenstellung Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag;

für die einzelnen Beiträge bei den Autorinnen und Autoren© für die Abbildungen Naftali Hilger

Berlin

Alle echte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch undfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielf ältigt oder verbreitet werden.

Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH,WaldbüttelbrunnDruck: Druckhaus Nomos, Sinzheim

Printed in GermanyISBN ----

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INHALT

Zu diesem Almanach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Vor einem VierteljahrhundertZur Neugründung des Jüdischen Almanachs . . . .

Was bleibt von den Jeckes? VomSuchen und von Sehnsuchtswelten . . . . . . . . . .

»Komisches Land, dieses EretzIsrael – aber schön und herrlich« . . . . . . . . . . . .

Opas Tagebuch . . . . . . . . . . . .

Arbeiten in der Schatzkiste – dieisraelische Nationalbibliothek . . . . . . . . . . . . . .

Aus dem GedichtzyklusEin Gast zur Nacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Die Favela im Dschungel:Zur israelischen Selbstwahrnehmung als westlicheEnklave . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

- Flaneurie in TelAviv – Stadt der Palmen . . . . . . . . . . . . . . . . .

»Kova-Tembel«SpäteWertschätzung für einen zeitlosen Sonnenhut

Drei (chinesische) Geschichten überIsrael . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wie wir traumatisiertensyrischen Kindern helfen . . . . . . . . . . . . . . . . .

Der Zionismus in ägyptischenHörsälen. Eine Studie über die Entwicklung derIsraelstudien an der Kairoer Universität . . . . . . .

Meine ultraorthodoxe Generation Y

- Beit Daniel – Synagoge vielersäkularer Tel Aviver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Die Familienverfechter . . . . . . . . . . .

Die Wiedergeburt der misrachischenFrau im israelischen Film . . . . . . . . . . . . . . . . .

Die Unermüdlichen . . . . . . . . .

Zu den Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . .

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ZU DIESEM ALMANACH

Gleich zwei Jubiläen prägen den vorliegenden Band: feiert der Staat Israel seinen siebzigsten Geburtstag, undwir wollen ganz unterschiedliche Blicke auf dieses Land wer-fen. Zudem ist es der . Jüdische Almanach, der im Auftragdes Leo Baeck Instituts Jerusalem herausgegeben wird undin deutscher Sprache in Berlin erscheint.Es handelt sich dabei bereits um den zweiten Anlauf. Erst-mals erschien ein Jüdischer Almanach im Jahre . DenUmschlag zierte damals ein Ornament aus Davidsternenund segnenden Priesterhänden – gestaltet von dem bekann-ten Art-nouveau-Illustrator Ephraim Moses Lilien. DieZahl neben dem Titel entstammte dem jüdischen Ka-lender. Es war die erste Veröffentlichung des Jüdischen Ver-lags in Berlin und sollte eine Art »Familienbuch« werden.Die Betonung lag auf jüdischem Kulturschaffen, grenzüber-greifend, aber in deutscher Sprache, der damaligen LinguaFranca des Judentums.Dieser Band stand – nur wenige Jahre nach der Entstehungvon Theodor Herzls zionistischer Bewegung – im Zeichender jüdischen enaissance. In seinem Vorwort betonte derHerausgeber Berthold Feiwel, dass es ihm um die vereinen-de Kreativität innerhalb eines lebendigen Judentums gehe.Jüdische Inhalte – jenseits von Bibelkunde und Talmudwis-senschaft – sollten so einer breiten Leserschaft dargebotenwerden. Zur Zielgruppe gehörten Juden, die sich ihrerHerkunft nahe fühlten, aber auch jene, die – aus der Dis-tanz – mehr darüber wissen wollten. Ihnen wollte maneinen Eindruck der bisherigen Leistungen und der zukünf-

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tigen Möglichkeiten dieses kulturellen Neuanfangs vermit-teln.Wer heute eine solche alte Ausgabe in den Händen hält, istvon der qualitativen Dichte überrascht. Neben deutschspra-chigen Autoren wie (Mitherausgeber) Martin Buber, StefanZweig oder Karl Wolfskehl, kommen hebräische Schriftstel-ler wie Scholem Aleichem, Saul Tchernikovski und ChaimNachman Bialik zu Wort. Hermann Struck und Max Lie-bermann liefern die Bilder.Der Almanach gefiel, aber sein Erscheinen schuf auch Un-behagen unter den bürgerlichen Juden in Deutschland, dieja hauptsächlich seine Leserschaft stellten. Denn der Kultur-zionismus, wie er dort präsentiert wurde, versprach eineLösung der Judenfrage, indem er ein anderes National-bewusstsein schuf. Viele deutsche Staatsbürger jüdischenGlaubens wollten aber lieber ihrem geliebten Deutschtumverhaftet bleiben – trotz oder gerade zu einer Zeit, in derder Glaube an den Fortschritt der Emanzipation durch ei-nen wachsenden Antisemitismus und die Krise des Libera-lismus in Frage gestellt war.Dieses Denken spiegelte sich auch in der Besprechung desBerliner Tageblatts am . Februar wider: »Wozu ein Jü-discher Almanach? Das sind, gelinde gesagt, Anachronis-men.«Wie sich drei Jahrzehnte später herausstellte, hatte es sichaber bei der so viel beschworenen deutsch-jüdischen Symbi-ose – falls sie nicht ein Trugbild war – nur um eine vorüber-gehende Erscheinung gehandelt. Der abbiner Leo Baeck,die damals wohl bekannteste Führungsfigur der deutschenJudenheit, verwies darauf, dass es in der jüdischen Geschich-te drei Perioden geglückter Kulturassimilation gegeben hat-te: in der hellenistischen Zeit des Altertums, in der spanisch-arabischen Periode des Mittelalters und in der deutschen

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liberalen Ära der Neuzeit. Das Hitler-egime setzte dieserletzten Blüte ein mörderisches Ende.Acht Jahre nach dem Holocaust versammelte sich eine Grup-pe von älteren Herren in Martin Bubers Wohnung in Jeru-salem. Sie berieten darüber, wie sich das Erbe des vernich-teten deutschen Judentums für die Nachwelt erhalten ließe.So entstand das Leo Baeck Institut. »Die deutsche Ju-denschaft ist eine der merkwürdigsten Erscheinungen in derjüdischen Geschichte gewesen«, sagte Buber bei der Grün-dung, »Was überlebt eigentlich nach der Krise und der Kata-strophe? Eine vitale Fortsetzung ist unmöglich, möglich isteine geistige Aufgabe.«Das Leo Baeck Institut Jerusalem, das seither die Geschichteund Kultur des deutschen und zentraleuropäischen Juden-tums erforscht,wollte von Israel aus wieder anknüpfenan diese alte Tradition. Der erste Almanach erschien im Fe-bruar mit dem ersten Programm des – neuen – Jüdi-schen Verlags im Suhrkamp Verlag, zeitgleich mit der Eröff-nung der großen Ausstellung »Jüdische Lebenswelten« imMartin-Gropius-Bau in Berlin, dessen Katalog und Begleit-essays ebenfalls im Jüdischen Verlag herauskamen. »JüdischeLebenswelten« wurde eine der meistbesuchten Ausstellun-gen der Stadt und zeugte von der Neugier des Publikumsauf Judaica.Der erste Almanach alsWerbebroschüre bildete zur gleichenZeit die ersten sieben Titel des Jüdischen Verlags ab: Ger-shom Scholems Sabbatai Zwi, das -seitige Hauptwerkin deutscher Übersetzung, Abraham Sutzkevers Griner Ak-warium aus dem Jiddischen,Wolfgang Koeppens Jakob Litt-ners Aufzeichnungen aus einem Erdloch, James Youngs Schreibendes Holocaust,Titel von Gershom Shaked, Gert Mattenklottund anderen.Aus diesem anfangs ganz nüchternen Medium des Anzei-

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gens und Werbens erwuchs im Jahr darauf der Jüdische Al-manach als reflexives Medium mit eigenen Beiträgen, derAlmanach, wie wir ihn heute kennen. Davon berichtet Ja-kob Hessing, der erste Herausgeber. In seinem Eröffnungs-beitrag erzählt er von den Gründen und denHintergründendieses Neuanfangs in Jerusalem. Danach stellt sich Anja Sie-gemund die Frage,was denn von dem so oft beschworenenErbe der deutsch-jüdischen Einwanderer eigentlich bleibt.Briefe von Jeckes aus der Zeit der Staatsgründung hat sichAndrea Livnat angesehen und vergleicht die damaligen Er-fahrungen mit ihren eigenen als Ola Chadascha. Auch a-phael Ahren ist von Deutschland nach Israel eingewandert.Erst in Jerusalem hat er es nun gewagt, das Tagebuch seinesGroßvaters zu lesen. Darin geht es um dessenÜberlebensge-schichte während der Hitlerzeit, über die er zu Lebzeiten niegesprochen hatte. Ein schier unendliches eservoir an Do-kumenten befindet sich in der israelischen Nationalbiblio-thek in Jerusalem. Stefan Litt ist dort Archivar und berichtetüber seine Arbeit in der »Schatzkiste«.In einen inneren Dialog mit Samuel Joseph Agnons o-man Nur wie ein Gast zur Nacht trat Amir Eshel, als er sei-nen Gedichtzyklus Ein Gast zur Nacht verfasste. Agnon ver-öffentlichte diesen oman im Jahr , ungef ähr fünfzehnJahre nachdem er sich endgültig in Eretz Israel niedergelas-sen hatte. Der gebürtige Israeli Eshel wiederum schlug denumgekehrten Weg ein und beschreibt seine Eindrücke zuBesuch im Land seiner Väter.Israel ist nicht in, aber von Europa. Das hat immer schon sei-nen inneren Standort mit bestimmt. Bei der Frage nach sei-nem Selbstempfinden stellt Johannes Becke jedoch fest, dassdas Land viel orientalischer geworden ist. Symbolisch dafürstehen sicherlich auch die Palmen.Wie sehr sie das Stadtbildvon Tel Aviv prägen, auch wenn es vielen Bewohnern gar

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nicht auff ällt, darüber schreibt Lucyna Aleksandrowicz-Pe-dich aus Polen.Um sich vor der starken Sonneneinstrahlungzu schützen,wurde der »Kova-Tembel« erfunden. Shira Purerzählt, wie es nun dieser durch und durch israelische Hutbis in die Modeausstellung im Museum of Modern Art(MoMA) inNewYork geschafft hat. Einen ganz anderenBlickauf Israel wirft Yibo Xing – als chinesischer Student ver-brachte er ein Semester in Jerusalem und kam aus dem Stau-nen nicht mehr heraus.Wieder eine andere Perspektive habensyrische Patienten, die nachts über die Grenze ins »Feindes-land« kommen, um sich dort behandeln zu lassen.Von ihrerTätigkeit als israelisch-arabische Sozialarbeiterin im Kran-kenhaus in Zfat berichtet Hikmieh Yassin Egbarieh.Siebzig Jahre nach seiner Staatsgründung ist Hebräisch alsUnterrichtsfach in ägyptischen Hörsälen populärer denn je.Über die Entwicklung dieser Studien, die auch die Ge-schichte Israels immer mehr mit einschlossen, schreibt Men-na Abukhadra, Dozentin an der Kairoer Universität.Unterschiedliche Perspektiven auf Israel gibt es natürlichauch im Lande selbst.Tzippy Yarom gibt uns einen Einblickin ihre ultraorthodoxe Generation Y, die sich gerade einenWeg bahnt zwischen streng religiösen Geboten und Face-book. Am anderen Ende des religiösen Spektrums befindetsich die eformgemeinde Beit Daniel in Tel Aviv, die auchimmer mehr säkulare Israelis anzieht. Einat Libel-Hass por-trätiert diese postmoderne Gemeinde.Über denWandel in der äußerenWahrung und der innerenEinstellung der israelischen Homosexuellen schreibt an-schließend Ofri Ilany. Er geht dabei vor allem auch auf ih-re – im internationalen Vergleich – Sonderstellung als ausge-sprochene Familienmenschen ein.Yael Munk stellt sich dieFrage, warum sich das israelische Kino in letzter Zeit so in-tensiv für die misrachische Kultur interessiere. Sie nimmt

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dabei die Stellung der »orientalisch-jüdischen Frau« in denFokus, der sie eine Wiedergeburt zuschreibt.Schließlich versucht Sarah Stricker einen ganz aktuellenBrückenschlag zwischen Israelis und Deutschen zu schlagen,indem sie deren kollektives Verhalten in herausforderndenSituationen vergleicht.Die Bilder stammen diesmal alle von dem israelischen Foto-journalisten Naftali Hilger.

Gisela DachsJerusalem/TelAviv

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JAKOB HESSING

VO EINEM VIETELJAHHUNDET

ZU NEUGÜNDUNG

DES JÜDISCHEN ALMANACHS

Der Jüdische Verlag, der im Berlin der Vorkriegszeit bestan-den hatte, wurde schon in den fünfziger Jahren wiederbe-lebt. Später übernahm ihn Dietrich Pinkerneil in seinenAthenäum Verlag, der aber bald in Konkurs ging, und inden neunziger Jahren machte Siegfried Unseld ihn schließ-lich zu einem festen Bestandteil des Hauses Suhrkamp.Tho-mas Sparr, der über Celan promoviert hatte, wurde derneue Cheflektor, und er schlug mir vor, in Jerusalem einenjährlichen Almanach für den Verlag herauszugeben.Was im Einzelnen dazu geführt hat, dass es in Deutschlandwieder einen Jüdischen Almanach gibt, mag dem Zufall ge-schuldet sein, aber die hier skizzierte Vorgeschichte hat ihreinnere Logik. Die Neugründung des Almanachs am Endedes . Jahrhunderts ist ein Teil der Dialektik, deren Poledie Schoah und die Entstehung des Staates Israel sind, undsie bestimmte auch das Datum, zu dem der Jüdische Verlagim Suhrkamp Verlag sein erstes Programm vorlegte. Im Jahr wurde der .Todestag Gershom Scholems begangen,in dessen Biographie derWeg von Berlin nach Jerusalem be-reits vorgezeichnet ist, und diesenWegmusste jetzt auch derAlmanach gehen.Denn was er am Anfang des Jahrhunderts noch zu sein ver-sprach, konnte er am Ende des Jahrhunderts nicht mehr hal-ten. Einst hatte Martin Buber den Begriff der Jüdischenenaissance geprägt, in der das deutsche Judentum sich auf

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seine verschütteten Wurzeln besinnen sollte, und der Alma-nach war als ein Forum für diese Besinnung gedacht. Alleindie Tatsache, dass er nur einen einzigen Jahrgang aufzuwei-sen hat, , zeigt die tiefe Krise an, die das deutsche Juden-tum schon vor dem Ersten Weltkrieg ergriffen hatte – undjetzt, neunzig Jahre später, gehörte das alles längst der Ver-gangenheit an. Das deutsche Judentum, an das der Alma-nach sich ursprünglich gerichtet hatte, gab es nicht mehr,und der Almanach, den ich in Jerusalem herausgeben sollte,musste anders konzipiert werden.Im Abstand eines Vierteljahrhunderts sind mir die ahmen-bedingungen dieses Konzeptes klarer, als sie es mir damalswaren. Die Kontakte zwischen Israel und der Bundesrepub-lik entwickelten sich in Phasen – zuerst wirtschaftlich, ab auch diplomatisch –, mit den kulturellen Beziehungenaber dauerte es länger: Erst konnte an der HebräischenUniversität eine Deutsche Abteilung eingerichtet werden,erst seit den achtziger Jahren erschien die israelische Litera-tur auf dem deutschen Buchmarkt – vorher kannte man nurEphraim Kishon –, und dieWende veränderte alles noch ein-mal grundlegend. Mit den Kontingentflüchtlingen aus derehemaligen Sowjetunion wuchs die kleine jüdische Gemein-de im Nachkriegsdeutschland fast um das Zehnfache an, sieschuf eine neue Demographie. Mit Israel und dem wieder-vereinigten Deutschland standen sich jetzt zwei souverä-ne Staaten gegenüber, und dies machte eine Entflechtungder längst zerstörten, aber immer noch vielbeschworenendeutsch-jüdischen Symbiose nicht nurmöglich, sondern auchnotwendig.Der neue Almanach musste ein israelisches Projekt sein, dassich an ein deutsches, nicht ein deutsch-jüdisches Publikumwandte. Das deutsche Judentum kam dabei nicht aus demBlick, aber anders als in Bubers Jüdischer enaissance war

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dieser Blick weniger auf seine Zukunft gerichtet als auf seineVergangenheit. Es ist kein Zufall, dass der Almanach vom Je-rusalemer Leo Baeck Institut herausgegeben wird, das dieGeschichte des deutschen Judentums erforscht, und die his-torische Bewusstheit hält schon das Vorwort fest, das denersten Band einleitet, den Almanach auf das Jahr .Sein Autor ist der Dichter Jehuda Amichai, der als hebräi-scher Lyriker berühmt geworden ist. Bevor er nach Palästinakam, verbrachte er seine Kindheit in Würzburg, und dasVorwort verfasste er in der deutschen Muttersprache. »Zwi-schen Deutschen und Juden steht seit dem Holocaust einAbgrund.Es ist unmöglich, diesenAbgrundmitZukunft oderVergangenheit aufzufüllen, und er wird als Mahnmal blei-ben, solange menschliche Geschichte nicht zur Archäologieund Geologie geworden ist. –Was wir machen können, istviele Brücken über diesen Abgrund zu schlagen, große undkleine, breite und schmale Brücken. Solche Brücken müs-sen erhalten, erweitert und vermehrt werden. – Möge die-ser Almanach eine weitere Brücke sein, auf der man sichergehen kann und zugleich den Abgrund sieht, damit sichdas Abgründige nie wiederholt.«Amichai benennt die Zäsur, die den neuen Almanach vonseinem historischen Vorgänger trennt, und er spricht vonihm zugleich als einer Brücke zwischen Juden und Deut-schen. Erst jetzt können sie als politisch autonome Partnerin einen Dialog eintreten,wie er selbst in den besseren Zei-ten ihrer einstigen »Symbiose« nie möglich war, und in denersten sieben Bänden des Almanachs, die ich von bis herausgab, habe ich versucht, etwas von diesemDialoghörbar zu machen.Die sieben Bände enthalten insgesamt Beiträge, dereninhaltliche Mischung mich jetzt, im ückblick, einigerma-ßen überrascht. Deutlich mehr als die Hälfte () haben ei-

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nen deutsch-jüdischen Bezug, ein Viertel () thematisie-ren das Dritte eich. Das war mir während der Arbeit anden Almanachen natürlich nicht bewusst, und ich habe esüberprüft, ummeine Herausgebertätigkeit möglichst objek-tiv darzustellen. Statistiken mögen trocken sein, aber sie ge-ben Auskunft, und wenn dieses deutsch-jüdische Überge-wicht nicht meiner Erinnerung entspricht, so ist es dochkaum verwunderlich. Ich hatte mir vielleicht gewünscht,Almanache zu machen, die »israelischer« wären, aber nie-mand kann über seinen Schatten springen: Von Beruf binich ein Germanist, der die deutsch-jüdische Literatur er-forscht, und das hat nicht nur meine Interessen gelenkt, son-dern auch die Kreise bestimmt, in denen ich professionellvernetzt war und einen großen Teil meiner Beiträger fin-den konnte.Obwohl es nicht so beabsichtigt war, ist die deutsch-jüdischePrägung meiner Bände vielleicht dennoch richtig gewesen.Der Jüdische Verlag sollte die Tradition, aus der er kam, nichtverleugnen, und am Ende des dunkelsten Jahrhunderts inder jüdischen Geschichte schuldete auch sein Almanach die-ser Tradition eine Verbeugung.Von den vielfachen Formen,die sie in den Beiträgen angenommen hat, seien einige hierzumindest angedeutet.In fast allen der sieben Bände kommen Themen in denBlick, die das deutsche Judentum aus der Innenperspektivezeigen: vom Brantspigel, dem ältestenWerk deutsch-jüdischerMoralliteratur im . Jahrhundert, über die olle der Haga-da im . Jahrhundert bis zur Selbstwehr, einer zionistischenZeitung im Österreich des Ersten Weltkriegs; von einer kri-tischen Analyse der deutsch-jüdischen Symbiose bis zumKulturbund, in den das Dritteeich die Juden Deutschlandszwang; von den Grenzen der Aufklärung, unter denenschon Moses Mendelssohn zu leiden hatte, über die Grün-

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dung des Central-Vereins bis hin zu den jüdischen Museenin Deutschland und in Österreich, die dieses Judentum nunhistorisch zur Schau stellen.Zahlreiche Beiträge thematisieren Schlüsselfiguren derdeutsch-jüdischen Geistesgeschichte. Oft kommen sie miteigenen Texten zu Wort, werden von ausgewiesenen Fach-leuten kommentiert und in Bezüge gestellt, die nicht immerleicht ersichtlich sind,weil die Schatten des . Jahrhundertsauf ihnen liegen. Hannah Arendts Biographie der ahelVarnhagen wird als ein Gespräch zweier Jüdinnen gelesen,die am Anfang und am Ende der Emanzipation standen; unddunkler noch ist der Beitrag des Holocaust-Forschers DovKulka, der die Jerusalemer Gedichte seines früh verstorbe-nen Freundes Gershon Ben David vorstellt: Ihre Spracheist deutsch, ihr Thema ist Auschwitz, ihr Autor ist ein Mann,der das Lager zwar überlebt hat, sich jedoch nie aus ihm be-freien konnte.Ein eigenes Kapitel sind die Korrespondenzen zwischen Ju-den und Deutschen – zwischen dem hebräischen DichterLudwig Strauß und dem deutschen Dichter Hans Carossa;oder dem Jerusalemer Erziehungswissenschaftler Ernst Si-mon und Heinrich Böll – sowie Briefwechsel zwischen Ju-den unter sich. »Es f ällt mir nicht leicht, diesen Brief zuschreiben«: So beginnt die Antwort Peter Szondis an Ger-shom Scholem, der ihn eingeladen hatte, den JerusalemerLehrstuhl für Komparatistik zu übernehmen, und dann be-gründet er,weshalb er das leider nicht annehmenkönne: »weilich es verlernt habe, zu Hause zu sein.« Die Kraft zur Emi-gration bringe er »umso weniger auf, als ich in Jerusalem vorzwei Jahren ja nicht nur empfand, dass ich dort zu Hause bin,sondern auch, dass ich das nicht ertrage«.Diesen Brief schreibt Szondi im Februar , und andert-halb Jahre später wird er sich in Berlin das Leben nehmen.

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Einem anderen Selbstmord geht der Briefwechsel zwischenPaul Celan und seiner Czernowitzer Jugendfreundin IlanaSchmueli voraus, die er im Herbst in Jerusalem be-sucht. »Zwischen seiner Ankunft in Israel und seinem Todin Paris liegt kaum mehr als ein halbes Jahr«, schreibt sie.»In dieser Spanne Zeit war es mir vergönnt, einige seinerWege mitzugehen. – Dieses Mitgehen war auch Gespräch,ein Gespräch, das im Oktober in Jerusalem begann undim April mit seinem Tod in Paris endete.« Der Brief-wechsel und die Gedichte, die Celan für Ilana Schmueli ge-schrieben hat, sind später auch als Buch erschienen, aberzum ersten Mal wurden sie im Almanach veröffentlicht.Die Korrespondenzen machen deutlich, dass die frühen Bän-de des Almanachs eine deutsch-jüdische Orientierung ha-ben mögen; der Ort aber, an dem sie entstanden sind, mussin ihren Beiträgen immer mitgedacht werden. Jerusalemund alles,was dieser Name im Judentum symbolisiert, ist ih-nen eingeschrieben, und viele Texte und Porträts rückeneine Doppelpoligkeit in den Blick, die es ohne die Grün-dung des Staates Israel nicht geben würde.Das Vorwort des Lyrikers Jehuda Amichai hatte den erstenBand eröffnet, und ein späterer Band bringt Gedichte vonihm. Amichai ist nicht der einzige Vertreter einer Genera-tion, die ihre deutsche Muttersprache gegen das Hebräischeausgetauscht hat. Anne Birkenhauer übersetzt den aus derBukowina stammenden Lyriker Dan Pagis und arbeitet diedeutschen Sprachelemente heraus, die in seiner hebräischenDichtung spürbar bleiben; Manfred Winkler kam aus u-mänien und dichtete in beiden Sprachen, Deutsch undHeb-räisch; und auch den umgekehrten Weg gibt es: Als er einjunger Soldat in der israelischen Armee war, veröffentlichteElazar Benyoëtz seine ersten Gedichte auf Hebräisch, dannaber kehrte er in die Muttersprache seiner Eltern zurück,