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JESSICA WILLIAMS 50 Fakten, die die Welt verändern sollten

JESSICA WILLIAMS 50 Fakten, die die Welt …...re Verantwortung der internationalen Gemeinschaft gegen-über ernst zu nehmen. Keiner von alldiesen Punkten wird leicht zu erreichen

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JESSICA WILLIAMS

50 Fakten,die die Welt verändern sollten

Buch

Mit dieser erstaunlichen, exzellent recherchierten Sammlungblitzlichtartiger Momentaufnahmen von Ungerechtigkeiten undAbsurditäten im angeblich hoch entwickelten Westen bis hin zumbreiten Elendsspektrum in den Entwicklungsländern, bedingtdurch Krieg, Hungersnot und Aids, zeichnet Jessica Williams eineWelt voller extremer, schockierender Kontraste. Hunger, Armutund alle Formen von materieller und emotionaler Entbehrungwerden thematisiert, ebenso wie andauernde Verstöße gegen dieMenschenrechte, die wir nach den Erfahrungen des 20. Jahrhun-derts hinter uns gelassen zu haben glaubten. Lesen Sie von unvor-stellbarem Reichtum und gleichzeitigem Niedergang von Religionund Moral, von dem unaufhaltsamen Anstieg des Konsums, vonDrogenhandel, Korruption und Waffenhandel, von gewissenloserUmweltverschmutzung und vielen anderen grotesken Tatsachen.Erstaunlich, aufrüttelnd, informativ: das beste Mittel für alle, die

glauben, ein einzelner Mensch könne nichts verändern.

Autorin

Jessica Williams, geboren im schottischen Aberdeen, wuchs inNeuseeland auf, wo sie ihre publizistische Karriere begann. Heu-te ist sie als Journalistin und Fernsehproduzentin bei der BBC,

London, tätig.

Jessica Williams

50 Fakten, die dieWelt verändern

sollten

Aus dem Englischenvon Susanne Kuhlmann-Krieg

Die Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel»50 Facts that Should Change the World«

bei Icon Books Ltd., Cambridge, UK.

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100

Das FSC-zertifizierte Papier München Super für Taschenbücheraus dem Goldmann Verlag liefert Mochenwangen Papier.

1. AuflageDeutsche Erstausgabe September 2006

Copyright © der Originalausgabe 2004 by Jessica WilliamsCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2006

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: Design Team München

Redaktion: Antje SteinhäuserKF • Herstellung: Str/JL

Druck und Einband: GGP Media GmbH, PößneckPrinted in Germany

ISBN-10: 3-442-15389-0ISBN-13: 978-3-442-15389-5

www.goldmann-verlag.de

SGS-COC-1940

Widmung

Meiner Tante, Rosemary Williams,einer unermüdlichen Verfechterin der Rechte von Tieren,

deren Andenken mich beim Schreiben dieses Buchesimmer wieder motiviert hat.

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

11. Eine japanische Frau kann damit rechnen, 84 Jahre alt zuwerden, eine Botswanerin wird im Mittel nur 39 . . . . . . . . . . . . . . 17

12. Ein Drittel aller übergewichtigen Menschen lebt inEntwicklungsländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

13. Die Vereinigten Staaten und Großbritannien haben von allenIndustrienationen die meisten Teenagerschwangerschaftenzu verzeichnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

14. China fehlen 44 Millionen Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

15. In Brasilien gibt es mehr Avon-Beraterinnenals Armeeangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

16. Im Jahre 2002 fanden einundachtzig Prozent aller Hinrichtungenweltweit in nur drei Ländern statt: in China, im Iran und in denVereinigten Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

17. Britische Supermärkte wissen mehr über ihre Kundenals die britische Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

18. Jede Kuh in der Europäischen Union wird mit zwei Dollar fünfzigpro Tag subventioniert. Das ist mehr, als fünfundsiebzig Prozentaller Afrikaner zum Leben haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

19. In über siebzig Ländern verstoßen gleichgeschlechtlicheBeziehungen gegen das Gesetz. In neun Ländern werdensie mit dem Tode bestraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

10. Einer von fünf Menschen auf der Erde lebt von wenigerals einem Dollar pro Tag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

11. In Russland sterben jährlich über 12000 Frauen als Opfervon häuslicher Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

12. Im Jahre 2003 unterzogen sich 15 Millionen Amerikanerder einen oder anderen Form von plastischer Chirurgie . . . . . . . . 96

13. In jeder Stunde wird mindestens ein Mensch vonLandminen getötet oder verstümmelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

14. In Indien gibt es 44 Millionen Kinderarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

15. Ein Bewohner der Industrienationen verzehrt jährlich zwischensechs und sieben Kilogramm an Nahrungsmittelzusatzstoffen . . 117

16. Der Golfspieler Tiger Woods ist der höchstbezahlte Sportler derWelt. Er verdient 78 Millionen Dollar pro Jahr – oder 148 Dollarpro Sekunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

17. Sieben Millionen Amerikanerinnen und eine Million Amerikanerleiden unter einer Essstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

18. Fast die Hälfte aller britischen Fünfzehnjährigen hat schon ein-mal illegale Drogen ausprobiert, und fast ein Viertel gehörtzu den Gewohnheitsrauchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

19. Die Industrielobby beschäftigt in Washington 67000 Personen –das macht 125 Lobbyisten auf jeden gewählten Kongressabge-ordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

20. In jeder Minute sterben zwei Menschen durch Autounfälle . . . . . 154

21. Seit 1977 hat es an nordamerikanischen Abtreibungsklinikenüber 90000 Fälle von Gewalttaten und Vandalismus gegeben . . 161

22. Mehr Menschen kennen die goldenen Bögen desMcDonald´s-Emblems als das Kreuz der Christenheit . . . . . . . . . . 168

23. In Kenia machen Bestechungsgelder in einem normalenDurchschnittshaushalt ein Drittel der Ausgaben aus . . . . . . . . . . . 175

24. Weltweit werden durch den Handel mit illegalen Drogen etwa400 Milliarden Dollar umgesetzt – ungefähr genauso viel wiein der gesamten legalen Pharmaindustrie der Welt . . . . . . . . . . . . 182

25. Über ein Drittel aller Amerikaner glaubt, dass schon einmalAußerirdische auf der Erde gelandet seien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

26. In über 150 Ländern wird gefoltert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

27. Jeder fünfte Mensch auf der Erde leidet Tag für Tag Hunger –das sind insgesamt mehr als eine Milliarde Menschen . . . . . . . . . 206

28. Ein in den Vereinigten Staaten geborener Schwarzer männlichenGeschlechts wird mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu dreimindestens einmal im Leben im Gefängnis landen . . . . . . . . . . . . 214

29. Ein Drittel der Weltbevölkerung ist gegenwärtig in einenKrieg verwickelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

30. Die Ölreserven der Welt könnten im Jahre 2040 erschöpft sein . 231

31. Zweiundachtzig Prozent aller Raucher lebenin Entwicklungsländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

32. Über 70 Prozent der Erdbevölkerung haben noch nieein Freizeichen gehört . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

33. Bei einem Viertel aller bewaffneten Konflikte der Welt in denletzten Jahren hat der Kampf um natürliche Ressourcen eineursächliche Rolle gespielt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

34. In Afrika sind 30 Millionen Menschen HIV-positiv . . . . . . . . . . . . . 261

35. Jedes Jahr sterben zehn Sprachen aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

36. Jahr für Jahr kommen mehr Menschen durch Selbstmord umsLeben als in sämtlichen bewaffneten Konflikten der Welt . . . . . . 274

37. Jede Woche werden in Amerika im Durchschnitt 88 Kinder derSchule verwiesen, weil sie eine Schusswaffe mit in den Unter-richt gebracht haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

38. Es gibt auf der Welt mindestens 300000 Gesinnungsgefangene . 290

39. In jedem Jahr werden zwei Millionen Mädchen und Frauen Opfervon Genitalverstümmelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

40. In den bewaffneten Konflikten der Welt kämpfen gegenwärtig300000 Kindersoldaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

41. An den allgemeinen Wahlen des Jahres 2001 beteiligten sich inGroßbritannien knapp 26 Millionen Wähler. Bei der ersten Staffelder Reality-TV-Show Pop Idol wurden über 32 Millionen Stimmenabgegeben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

42. Amerika gibt jährlich 10 Milliarden Dollar für Pornographie aus –denselben Betrag, den es auch in die Auslandshilfe steckt . . . . . . 322

43. Im Jahre 2003 gaben die Vereinigten Staaten 396 Milliarden Dollarfür die Rüstung aus. Das entspricht dem Dreiunddreißigfachen des-sen, was alle sieben »Schurkenstaaten« zusammen investieren . . 329

44. Gegenwärtig gibt es auf der Welt 27 Millionen Sklaven . . . . . . . . 336

45. In Amerika werden pro Stunde 2,5 Millionen Plastikflaschenweggeworfen. Das würde ausreichen, um alle drei Monate denWeg zum Mond damit zu pflastern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344

46. Ein durchschnittlicher britischer Stadtbewohner wird bis zudreihundert Mal am Tag von einer Kamera erfasst. . . . . . . . . . . . . 351

47. Jedes Jahr werden etwa 120000 Frauen und Mädchen nachWesteuropa verkauft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

48. Eine aus Neuseeland nach Großbritannien eingeflogene Kiwiproduziert das Fünffache ihres Gewichtes an Treibhausgasen. . . 367

49. Die Vereinigten Staaten schulden den Vereinten Nationen übereine Milliarde Dollar an nicht bezahlten Beiträgen . . . . . . . . . . . . 373

50. Kinder, die in Armut aufwachsen, erkranken mit einer dreimal sohohen Wahrscheinlichkeit an psychischen Leiden wie Kinder auswohlhabenden Familien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432Getting involved . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447

Einleitung

Warum sollten50 Fakten die Welt verändern?

Der Vorsatz, die Welt verändern zu wollen, stellt jeden, derihn fasst, vor eine ziemlich schwierige Aufgabe. Auf den ers-ten Blick mag kaum einzusehen sein, wie ein Faktum, einschlichtes kleines Stück Information, so etwas fertig bringensollte. Aber ich glaube fest daran, dass jede einzelne der indiesem Buch aufgelisteten 50 Tatsachen das Zeug dazu hat,unser Denken zu verändern – und wenn es darum geht, dieWelt zu verändern, so ist das der wichtigste Schritt, den wirauf dem Weg dahin tun können.

Jede der hier aufgeführten Tatsachen sagt uns etwas Wich-tiges, das wir über das moderne Leben in unserer modernenWelt unbedingt wissen müssen. In einigen Fällen geht es umUngleichverteilungen in Bezug auf Einkommen, Chancenund Macht. Andere befassen sich mit der zügellosen Ausbeu-tung natürlicher Ressourcen, während wieder andere vonunserer sich wandelnden Kultur und Gesellschaft handeln.Zu jeder Tatsache gibt es einen kurzen Aufsatz, der ein paarZusammenhänge vermitteln, einen Blick auf die Geschichtehinter der Statistik werfen soll: Welche Ausmaße das Prob-lem hat, wie es so weit gekommen ist, und was wir heute tunkönnen. Am Ende des Buches findet sich eine komplette Lis-te der Quellen, aus denen diese 50 Tatsachen stammen. Au-ßerdem finden Sie ein Glossar, das wenig geläufige Ausdrü-

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cke erklärt, und einen kleinen Leitfaden, der Ihnen helfensoll, sich einzumischen.

Bei der Lektüre dieses Buches werden einige Dinge zuneh-mend klar werden. Viele der Probleme unserer Welt sind aufdas groteske Wohlstandsgefälle zurückzuführen, das zwi-schen den reichen Industrienationen und den ärmeren Ent-wicklungsländern besteht. Wenn wir es schaffen würden,dieser Ungleichheit zu Leibe zu rücken, kämen wir auf unse-rem Weg zur Lösung des Problems ein gutes Stück voran. Dasso häufig verteufelte Phänomen der Globalisierung – die zu-nehmende Vernetzung der Welt durch Handel, Kommunika-tion und Investitionen – könnte viel dazu beitragen, würdees nur in der richtigen Art und Weise genutzt. Aber wie wirsehen werden, haben die reichen Länder es fertig gebracht,es als weiteres Werkzeug der Ausbeutung zu gebrauchen,den Entwicklungsländern hohe Hürden in den Weg zu stel-len, während sie selbst gleichzeitig ihrer eigenen Ökonomiegroßzügig auf die Sprünge halfen und Unternehmen sich bil-lige Arbeitskräfte und Rohstoffe aus ärmeren Ländern zunut-ze machen, um ihre Profite weiter zu maximieren.

Das Wichtigste aber, was Sie bedenken sollten, wenn Siedieses Buch lesen: Es handelt sich zwar um Tatsachen, abernicht um unumstößliche Wahrheiten. Es ist nicht zu spät, dieArt und Weise zu ändern, wie die Welt funktioniert. Aber wirmüssen rasch handeln. Einige der hier geschilderten Sach-verhalte setzen ein größeres Umdenken voraus, andere ma-chen es erforderlich, dass Regierungen endlich beginnen, ih-re Verantwortung der internationalen Gemeinschaft gegen-über ernst zu nehmen. Keiner von all diesen Punkten wirdleicht zu erreichen sein. Aber wenn wir es nicht versuchen,wird es nie dazu kommen. Ein Zitat der bedeutenden An-

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thropologin Margaret Mead hat Generationen von Aktivisteninspiriert, und auch mir ging es beim Schreiben nicht ausdem Kopf: »Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe um-sichtiger, engagierter Menschen die Welt verändern kann. Ja,es ist das Einzige, was solches je bewirkt hat.«

Ich bin davon überzeugt, dass diese 50 Fakten die Weltverändern sollten. Und ich hoffe, dass Sie, wenn Sie diesesBuch gelesen haben, ebenfalls davon überzeugt sein werden.

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1Eine japanische Frau kann damitrechnen, 84 Jahre alt zu werden,

eine Botswanerin wird im Mittel nur 39

Wenn Sie in die industrialisierte Welt hineingeborenwurden, haben Sie die reelle Chance, dass Sie ein län-

geres Leben vor sich haben als Ihre Eltern – und Ihre Kinderwerden noch älter werden. Ein heute geborenes deutschesMädchen wird im Durchschnitt 86,5 Jahre alt werden, einJunge immerhin 80 Jahre. In den vergangenen zweihundertJahren hat sich die durchschnittliche Lebensspanne desMenschen verdoppelt, und in den meisten Ländern setzt sichdieser Trend auf absehbare Zeit fort. Die Wissenschaft in derhoch entwickelten und wohlhabenden Welt hat es fertig ge-bracht, einstmals verheerende Krankheiten auszurotten unduns eine Lebensqualität zu bescheren, auf die unsere Vorfah-ren – die, um es mit Thomas Hobbes´ berühmten Worten zusagen, ein »einsames, kümmerliches, rohes und kurz dauern-des Leben« führten – niemals zu hoffen gewagt hätten. Wirhaben vielleicht noch nicht den Schlüssel zur Unsterblich-keit, aber es kann uns heute unter Umständen bereits ver-dammt gut gehen.

Erst unsere jüngste Geschichte hat es uns ermöglicht, voneinem langen, aktiv verbrachten Leben zu träumen. Zu Zei-ten des Römischen Reiches betrug die Lebenserwartung nur22 Jahre. Bis zum Mittelalter, um die 1500 Jahre später, war

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in England lediglich eine bescheidene Verbesserung zu ver-zeichnen – damals konnten die Menschen damit rechnen, 33Jahre alt zu werden, und das waren nicht notwendigerweisegesunde Jahre.1 Hunger war als Bedrohung allgegenwärtig,und die Medizin beschränkte sich auf wenige überaus bruta-le chirurgische Techniken. Typhus- und Lepraepidemien wa-ren keine Seltenheit und der Schwarze Tod, der zwischen1347 und 1351 über den europäischen Kontinent hinwegfeg-te, kostete ein Viertel seiner Bevölkerung das Leben.

Der dramatische Zuwachs der menschlichen Lebenser-wartung begann erst mit der Industriellen Revolution, die im19. Jahrhundert von England ihren Ausgang nahm und sichrasch über ganz Europa ausbreitete. Seit 1840 hat sich diedurchschnittliche Lebenserwartung in den langlebigstenLändern stetig verlängert, und zwar um drei Monate pro Jahr.Und dieser Zuwachs dauert bis zum heutigen Tage an.

Was also steckt hinter diesem plötzlichen Anstieg unsererLebenserwartung? Mit Sicherheit haben die einschneiden-den sozialen Veränderungen zu Beginn des 19. Jahrhundertseinen großen Teil dazu beigetragen. Das Wachstum der In-dustrie verschaffte den Städten als ihren Wirtschaftszent-ren einen ungeheuren Aufschwung, Vorstädte wurden ausdem Boden gestampft, um den Arbeiterströmen, die ihre be-schwerliche bäuerliche Existenz hinter sich gelassen hatten,weil sie in der Stadt auf ein neues Leben hofften, eine Heim-statt zu gewähren. Diejenigen, die bereits in den Städten leb-ten, waren nun ebenfalls nicht mehr gezwungen, in beengtenQuartieren zu hausen, in denen sich Krankheiten rasch aus-breiteten. Es gab sauberes Wasser und sanitäre Anlagen, Din-ge, die wir heutzutage als Selbstverständlichkeit betrachtenund die einen enormen Einfluss auf die Gesundheit der All-

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gemeinheit haben. Tuberkulose und Cholera, welche zuvorganze Gemeinwesen lahm legen konnten, wurden sehr vielseltener.

Für diejenigen, die krank wurden, bedeutete medizini-scher Fortschritt, dass man auf Blutegel und Schädelöffnun-gen mit Hammer und Meißel, Trepanationen, zu verzichtenbegann. Die Erkenntnis, wie wichtig Hygiene und Desinfek-tionsmaßnahmen im Umgang mit Kranken und Gebärendensind, war ein weiterer Meilenstein und trug dazu bei, dieZahl der Frauen, die während der Geburt ihrer Kinder oderim Kindbett starben, dramatisch zu senken. Es sagt eine Men-ge, dass der Begriff »Lebensqualität« eine so junge Erfindungist. Bis vor kurzem war das Leben allein bereits Segen genug.

Wie lange wird diese Zunahme wohl noch andauern? Hatder Körper eine begrenzte Lebensdauer, oder können wir dasLeben endlos weiterverlängern? Eine These lautet, dass wirtrotz aller Fortschritte in Wissenschaft und Medizin einenPunkt erreichen werden, an dem unser Körper einfach nichtlänger funktionieren kann. Einhellige Lehrmeinung ist je-denfalls, dass auch unsere Lebenserwartung der Evolutionunterworfen ist. Wenn wir immer weiter Kinder zur Weltbrächten, die immer länger lebten, würde das delikateGleichgewicht zwischen Überleben und Anpassung irgend-wann verloren gehen. Das wiederum hätte unter anderem tiefgreifende Auswirkungen auf die Fähigkeit einer Regierung,die Grundversorgung ihrer Bürger zu gewährleisten, ja, dieIndustrienationen scheinen bereits auf diesen Punkt zuzu-steuern.

Die Gruppe mit der höchsten Lebenserwartung sind der-zeit japanische Frauen. Sie erreichen gegenwärtig im Durch-schnitt ein Alter von 84,6 Jahren, und ihr Zugewinn in punc-

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to Langlebigkeit scheint zurzeit durch nichts zu bremsen. Biszum 31. Oktober 2003 konnte sich Japan mit dem ältestenMenschen der Welt brüsten: Mrs. Kamato Hongo, 1887 gebo-ren, war bei ihrem Tod 116 Jahre alt. So bemerkenswert die-ses Alter uns im Augenblick noch scheinen mag, es gibt Leu-te, die der Ansicht sind, dass solche extreme Langlebigkeitdurchaus normal werden könnte. Die amerikanische Wissen-schaftszeitschrift Science prophezeit, dass in sechzig Jahrenein neugeborenes japanisches Mädchen damit rechnen kann,hundert Jahre alt zu werden.2 Schluss mit den Glückwunsch-Telegrammen von Monarchen und Präsidenten. Der hun-dertste wird zu einem ganz normalen Geburtstag werden.

Für diejenigen aber, die in Zentral- und Südafrika leben,besteht wenig Anlass zu feiern. Hier steigt die Lebenserwar-tung kein bisschen, ja, infolge der verheerenden HIV/AIDS-Pandemie sinkt sie sogar rasch. Das US Census Bureau, daszentrale statistische Register der Vereinigten Staaten, pro-phezeit, dass die durchschnittliche Lebenserwartung in 51Ländern sinken wird, da das Virus immer noch ohne Unter-lass Millionen Leben fordert.

Ein Baby, das im Jahre 2002 in Botswana geboren wurde,kann beispielsweise im Mittel damit rechnen, 39 Jahre alt zuwerden. Das sind dreißig Jahre weniger als die mittlere Le-benserwartung ohne AIDS betragen würde. Bis zum Jahre2010, so wird geschätzt, werden junge Botswaner im Durch-schnitt nur noch 27 Jahre alt werden.3 Das ist ein deprimie-render Gedanke, noch dazu einer, der die Jahrhunderthoff-nungen der Industrienationen nach grauenhafter Eitelkeitaussehen lässt.

AIDS mag der Hauptgrund für die verminderte Lebenser-wartung in den Entwicklungsländern sein, aber es gibt noch

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viele andere. Die Kindersterblichkeit ist in vielen Ländernunvermindert hoch. In Sierra Leone sterben 157 von tausendBabys noch vor ihrem ersten Geburtstag. Hält man Island da-gegen, wo dies auf 2,6 Babys zutrifft, wird einem rasch klar,warum die Säuglingssterblichkeit als eine so überaus sensi-ble Messgröße für den Zustand des Gesundheitswesens in ei-nem Staat angesehen wird.4 Die Verfügbarkeit von sauberemWasser, ausgewogene Ernährung und angemessene Gesund-heitsfürsorge sind während einer Schwangerschaft unerläss-lich. Im Westen sind sie eine Selbstverständlichkeit – in vie-len Entwicklungsländern aber ist das nicht der Fall. Klein-kinder, die unzureichend ernährt werden, erkranken sehrviel leichter an Grippe und Durchfällen, und UNICEF gehtdavon aus, dass weltweit 150 Millionen Kinder unterernährtsind.

Auch Armut setzt die Lebenserwartung herab. Die fehlen-de Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser ist dabei in vie-len Ländern noch immer die Haupttodesursache. Luft- undBodenverschmutzung können Krankheiten verursachen underschweren überdies die Nahrungsmittelproduktion. Zudemversteppt mehr und mehr Land, weil rasch wachsende Be-völkerungen Boden und natürliche Ressourcen einer ständigwachsenden Belastung aussetzen, und so lokale Ökosystemezerstört werden.

An alledem zeigt sich, dass die Frage der Lebenserwartungfür Entwicklungsländer und Industrienationen gleicherma-ßen eine Herausforderung darstellt. Die reichen Nationenmüssen mit ihrer alternden Bevölkerung fertig werden undsich für die Belastungen wappnen, denen ihre Gesundheits-und Sozialsysteme künftig ausgesetzt sein werden. Regierun-gen und Unternehmen sind bereits heute gezwungen, die

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Versorgung ihrer Ruheständler kritisch zu überprüfen. Wennein britischer Mann 75 Jahre alt wird, bezieht er im Durch-schnitt die letzten zehn Jahre seines Lebens Rente. Das ist si-cher eine überaus angenehme Aussicht, aber es wird schwe-rer und schwerer werden, dies zu gewährleisten. Manche eu-ropäischen Staaten diskutieren bereits über eine Heraufset-zung des Rentenalters, und wenn die Bevölkerung immerälter wird, werden immer weniger arbeitende Menschen im-mer mehr Geld für die Sozialsysteme erwirtschaften müssen.Die Regierungen sehen sich bereits jetzt lautstarker Kritikausgesetzt von Bürgern, die das Gefühl haben, betrogen zuwerden – der lang gehegte Glaube, dass ein arbeitsreiches Le-ben durch einen komfortablen Ruhestand belohnt werdenmuss, erweist sich als schwer zu erschüttern.

In den Entwicklungsländern hat unterdessen für vieleStaaten die Beherrschung der AIDS-Pandemie Priorität. Dieafrikanischen Nationen sind gegenwärtig am schwersten ge-schlagen, aber alle Zeichen deuten darauf hin, dass China,Indien und die Staaten der ehemaligen Sowjetunion in denkommenden zehn Jahren Millionen ihrer Bürger durch AIDSverlieren werden. Die Weltbank betont die Notwendigkeit,durch eine bessere Gesundheitsvorsorge Krankheiten zu ver-hüten, aber wo Analphabetentum herrscht und Bildung nureingeschränkt verfügbar ist, scheint das nur schwer mög-lich.5 AIDS ist in den meisten Ländern noch immer die Ur-sache für Ausgrenzungen, und viele Regierungen zaudern,das Problem zur Kenntnis zu nehmen. Im Juni 2003 erhieltder Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria Zu-wendungen in Höhe von 4,8 Milliarden Dollar, die bis Ende2008 reichen sollten. Bereits Ende 2004 aber mahnte er an, erwerde weitere drei Milliarden benötigen.6

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