5
Johann Heinrich von Heucher und Carl Heinrich von Heineken Christian Dittrich

Johann Heinrich · Auch bezieht sich die Erwerbstätigkeit für das Dresdener Kabinett unter seinem Einfluß auf die Frühzeit des deutschen Kupferstichs vor Dürer, und Heuchers

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Johann Heinrich · Auch bezieht sich die Erwerbstätigkeit für das Dresdener Kabinett unter seinem Einfluß auf die Frühzeit des deutschen Kupferstichs vor Dürer, und Heuchers

Johann Heinrich von Heucher und Carl Heinrich von Heineken

Christian DittrichJohann

Heinrich von

Heucher und Carl

Heinrich von

Heineken

Page 2: Johann Heinrich · Auch bezieht sich die Erwerbstätigkeit für das Dresdener Kabinett unter seinem Einfluß auf die Frühzeit des deutschen Kupferstichs vor Dürer, und Heuchers

Herausgegeben von

Martin Schuster und Thomas Ketelsen

Dresden 2010

Christian Dittrich

Johann Heinrich von Heucher und Carl Heinrich von HeinekenBeiträge zur Geschichte des Dresdner

Kupferstich-Kabinetts im 18. Jahrhundert.

Mit weiteren Aufsätzen von

Hans-Ulrich Lehmann, Christien Melzer,

Martin Schuster und Thomas Ketelsen

Page 3: Johann Heinrich · Auch bezieht sich die Erwerbstätigkeit für das Dresdener Kabinett unter seinem Einfluß auf die Frühzeit des deutschen Kupferstichs vor Dürer, und Heuchers

113

Christian Dittrich

Carl Heinrich von Heinekens kunsthistorische Schriften

Der Name Carl Heinrich von Heineken wird in jedem Werk genannt, das sich mit der Ge-schichte der Dresdener Gemäldegalerie befaßt. Seine kenntnisreichen, wenn auch zuweilen unlauteren Bilderkäufe durch Mittelsmänner in Italien, Frankreich, Holland, Spanien und in den deutschen Landen prägten den Charakter der Dresdener Sammlung. Seine Verdienste um das 1720 begründete Kupferstich-Kabinett, dem er nach dem Ableben des Hofarztes Johann Heinrich Heucher ab 1746 als umsichtiger Direktor vorstand, werden oft erwähnt. Seine glänzende Karriere als Intendant und intimster Berater Brühls sowie als General-Accise-Sekretär in königlichen Diensten, der schmachvolle Prozeß, seine Amtsenthebung sowie die schmerzliche Verbannung aus Dresden wirken heute geradezu wie eine menschliche Parabel auf die absolutistische Gesellschaft.

Im altehrwürdigen Lübeck 1707 geboren, empfängt Heineken von seinen Eltern – der Vater ist Architekt der Hansestadt, die Mutter Stillebenmalerin und Kunsthändlerin – wohl die ersten künstlerischen Anregungen. Er besucht gemeinsam mit dem Bruder des ihm be-freundeten Satirikers Christian Ludwig Liskow das Lübecker Gymnasium, wo er mit der Phi-losophie von Leibniz und Christian Wolff bekannt gemacht wird. 1724 geht er nach Leipzig, um die Rechte und nebenher schöne Literatur zu studieren. In der betriebsamen Messestadt interessiert er sich für die zahlreichen privaten Kunstsammlungen und lernt die umstrit-tenen Aufklärungsideale Gottscheds kennen. Nach dem Studium hat er in Dresden bei dem Lustspieldichter Johann Ullrich König Stellung gefunden und schreibt unter dessen Einfluß 1732 die moralisierende Erstlingsschrift »Die wahren Absichten des Menschen und die dazu gehörenden Mittel«. Fünf Jahre später, schon in Diensten des avancierten Brühl stehend, ver-öffentlicht Heineken die aufsehenerregende Übersetzung von »Dionysius Longin vom Erha-benen« und versieht die Schrift mit einem Kommentar »nebst dessen Leben, einer Nachricht von seinen Schriften und einer Untersuchung, was Longin durch das Erhabene verstehe« (Abb. 5). In der Benennung des Autors irrt Heineken mit anderen Zeitgenossen; denn die Schrift »Vom Erhabenen« stammt nicht von dem Philosophen und Staatsmann Cassius Lon-ginus, jenem einflußreichen Minister der Königin Zenobia von Palmyra, der von Kaiser Au-relian 273 n. d. Zeitrechnung hingerichtet wurde. Longin vielmehr lebte in der Mitte des ers-ten nachchristlichen Jahrhunderts unter Tiberius und Claudius in Rom, verfügte über eine umfassende Kenntnis der älteren griechischen poetischen und philosophischen Literatur und verfaßte seine Werke griechisch.1 Schon vor Heineken hatte diese Schrift ethisch-ästhe-tischen Charakters zahlreiche Übersetzungen erfahren, so durch den Italiener Robortelli (Pa-dua 1554) und Aldus Manutius (Venedig 1555), durch die Franzosen Boileau, Dacier und Boi-vin, durch den Engländer Zacharias Pearce (London 1724) und durch die Übertragung ins Lateinische des Deutschen Jakob Tollius (Duisburg 1694). Heinekens erste deutsche Überset-zung mag im Text immerhin »unbeholfen und altfränkisch« erscheinen, wie Justi anmerkt2, sie muß heute trotz unzutreffender Synonyme und philologischer Unzulänglichkeiten als ernsthafte Leistung gelten. Der Wert ist insofern zu begreifen, daß Heineken beinahe 20 Jahre vor Lessing und Winckelmann mit seinem Versuch auf die Bedeutung antiker Kunsttheorie

1 Recueil d’Estampes d’après les plus célèbres Tableaux de la Galerie Royale de Dresde Band 1 · 1753Foto: Martin Schuster

In: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, 1965/66, S. 79 – 85)

Page 4: Johann Heinrich · Auch bezieht sich die Erwerbstätigkeit für das Dresdener Kabinett unter seinem Einfluß auf die Frühzeit des deutschen Kupferstichs vor Dürer, und Heuchers

114 115

hinweist. Die beigefügte »Untersuchung vom Erhabenen« sollte nicht nur geschmacksbes-sernd wirken, Heineken versieht sie auch mit unehrerbietigen Bemerkungen zu Gottscheds Manie für das französische Theater, auf die der Leipziger Literaturprofessor schließlich 1737 im Vorwort seiner »Critischen Dichtkunst« zu antworten sich bemüßigt fühlt. Die Fehde mit Gottsched führt späterhin Heinekens Jugendfreund Liskow und die Neuberin weiter, die auf der Bühne in Hubertusburg und Leipzig Gottscheds Person zu einem gespenstigen Mum-menschanz in Rauschgold, Sternenmantel und Fledermausflügeln travestiert hatte. Heine-kens sarkastische Bemerkungen sowie die Bemühungen des Dresdener Literatenkreises zei-gen, daß das aufstrebende Bürgertum dem Einfluß »ausländischen« Gedankengutes abhold war, jedoch den freiwerdenden Platz noch nicht durch eigenschöpferische Kräfte ausfüllen konnte.

Volle 15 Jahre, angefüllt mit rastloser Sammeltätigkeit für Galerie und Kupferstich-Kabi-nett, mit der Schaffung einer beispielhaften Systematik der Graphiksammlung und Ordnung der Bestände, liegen zwischen der dilettantischen Longin-Übertragung und dem in zwei Bän-den erscheinenden »Galeriewerk« von 1753 und 1757 (Abb. 1 – 3). 3 Schon 1748 faßt Heineken den Plan, die Gemälde der eben erst durch die Modenesische Sammlung vergrößerten Galerie zu veröffentlichen und beauftragt acht Zeichner und 40 Stecher für diesen privaten, 106 Blätter umfassenden Prachtdruck, zu dem er selbst eine kurze Beschreibung verfaßt. Dieses um-fangreiche Werk, an dem namhafte Künstler jener Zeit wie Hutin, Torelli, Bacciarelli, Basan, P. A. Kilian, Francesco und Lorenzo Zucchi, J. E. Ridinger und der französische Königliche Graveur Daullé beteiligt waren, entstand wohl nicht allein aus einem feudalen Repräsentati-onsbedürfnis. Zwar unterstützt August III. als Anhänger eines aufgeklärten Absolutismus dieses Unternehmen, die Anregungen jedoch gehen nicht von ihm aus.

Aus der Erfahrung, wie wichtig Einzelheiten und Personalnotizen für die Kunstgeschichts-forschung sein können, sammelt Heineken alle Mitteilungen und Begebenheiten, die ihm zu Ohren kommen und deren Zeuge er wird. Heute erweisen sich seine »Nachrichten von Künst-lern und Kunstsachen« (1768 – 1786) als wichtiges Quellenmaterial, denen er die später erwei-terten Bemerkungen zu den Anfängen deutscher Holzschnittkunst und zu ältesten illus-trierten Büchern anfügt (Abb. 6). Sicherlich mag er dabei an Vorbilder wie Giorgio Vasari, Karel van Mander und Joachim Sandrart gedacht haben, seine Verdienste um die damals gering geachteten Anfänge der deutschen Kunst und die zeitgenössischen in Sachsen und Preußen wirkenden Künstler werden dadurch nicht geschmälert.

Zu einem Lebenswerk wächst sich seine Beschäftigung mit Biographien von Künstlern aus, die schließlich in der unvollendeten Drucklegung seines »Dictionnaire des artistes« einen Niederschlag finden sollte (bis 1790 vier Bände, die bis Diziani verzeichnen) (Abb. 7). Das 30 Oktavbände umfassende Manuskript wie eine Kupferstichkunde anonymer Meister zäh-len leider zu den kriegsvermißten Beständen des Dresdener Kabinettes, so daß heute kaum die Grenzen dieses enzyklopädistischen Vorhabens deutlich werden. Er mochte sich wohl schon seit der Ordnung der Brühlschen Graphiksammlung und dann beim Übernehmen des Königlichen Kupferstich-Kabinettes 1746 die Aufgabe gestellt haben, alles Wissenswerte in größtmöglicher Vollständigkeit über Künstler zu sammeln, die auf dem Gebiete der Malerei, Graphik, Plastik und Architektur tätig sind. Das ist einem bislang unveröffentlichten Brief an Winckelmann nach Rom zu entnehmen, den Heineken am 19. August 1758 auf seinem Gut Altdöbern konzipierte. Er schreibt dort: 4 »Die Muse, welche ich während des jetzt in Deutsch-land noch wütenden verderblichen Krieges erlanget, habe bisher zur Ausarbeitung des von mir längst entworfenen Alphabetischen Lexicons der Mahler, Kupferstecher, Bildhauer und Baumeister angewendet. Wir haben von dieser Art bisher nichts weiter gehabt als das Orlan-dische Abecedario5, solches aber ist nicht nur sehr unvollständig und fehlerhaft, sondern auch durch die Guarientischen Zusätze nunmehro so verfälscht worden, daß es niemand gebrauchen kann. Obwohl ich zwar nach dieser Art mein Lexicon eingerichtet, also das da-

rin nur von jedes Künstlers Leben ein Auszug zu finden ist, so habe doch soviel erreichen möglich gewesen, mich bemüht, richtig und ordentlich zu erfahren, und die Fehler, wie so viele Scribenten, welche von den Künsten geschrieben, verfall (?) sie zu vermeiden.« Heine-ken bittet darauf Winckelmann um Mitarbeit in bezug auf die römischen und italienischen Künstler und schreibt weiter: »In dem Academischen Buche, welches von Cavalier Ghezzi6 nach und nach in Rom herausgegeben worden, finde ich weiter nichts als Namen. Ich möchte aber gern von jedem Künstler… außer dem völligen Namen, auch Wirkung, Ge-burths-Ort, das Jahr seiner Geburth, seine Lehrmeister, seine Mahl Art, ob er Historie, Land-schaft, Früchte, Portraits u. d. g. mahlet, auch was er hauptsächlich excelliert, dann seine Rei-sen, auch wo er gelebet und vornemlich gearbeitet, auch wenn er bereits gestorben, das Jahr seines Todes.«

Der Brief gibt treffend Auskunft über die Arbeitsweise Heinekens und das Anliegen seines Künstlerlexikons. Hier nennt er als wohlbekannte Vorbilder Orlandi und Ghezzi, in einem Brief mit der gleichen Bitte um Unterstützung an Schwender7, einem Amsterdamer Buch-händler, zitiert er die Werke von Karel van Mander, Cornelis de Bie, Arnold Houbraken und Jan van Gool.8 Es ist nicht bekannt, ob Winckelmann tatsächlich auf Heinekens Ersuchen Material geliefert hat, jedoch unterstützt ihn Zanetti aus Venedig, Mariette aus Paris, der oben genannte Schwender und andere. Heineken sammelt in unablässiger Beobachtung eine Fülle von Tatsachen, läßt sich aus aller Herren Ländern die neuesten Veröffentlichungen schicken und ergänzt gleichermaßen seine Ermittlungen durch praktische Erfahrungen in den Sammlungen. Überhaupt mag der Umgang mit den Originalen ihm erst den Anstoß und das grundlegende Wissen für seine Publikationen gegeben haben.

Andererseits wirkt seine überschauende Kenntnis auf die Ordnung der Bestände zurück, er bemüht sich um Zuschreibung namenloser Zeichnungen und viele der wertvollsten Stücke des Kupferstich-Kabinetts sind von seiner Hand beschriftet. Manche Adaption hat späteren gründlichen Prüfungen nicht standhalten können; denn beispielsweise werden die wenigen Sweelink-Radierungen unter Bloemaerts Œuvre eingereiht oder unter Rembrandts Namen finden sich die schwer zu trennenden Schülerzeichnungen. Der Bestimmung einzel-ner Sammlungsstücke mußte zwangsläufig eine grundlegende Systematik des gesamten Bestandes folgen und Heineken will damit ein – später oft nachgeahmtes – »komplettes Mo-dell« einer Graphiksammlung schaffen.9 Seine Gedanken dazu finden sich in dem 1771 er-scheinenden bedeutsamen Werk »Idée générale d’une collection complette d’Estampes« (Abb. 4). Methodisch teilt er in zwölf verschiedene Klassen ein, an deren Spitze Literatur über Kunstsammlungen, dann die fünf bedeutendsten Schulen, eine Klasse für Porträts, für Architektur und Plastik, für Kunstbücher und als letzte Klasse eine Abteilung für Zeichnungen. Innerhalb der Schulen ordnet er weiter in Maler für Historie, Religion, Landschaft, Porträt, Stilleben usw. sowie Stecher und als Supplement der deutschen Schule auch Amateure. Heineken formiert die Blätter dieser Künstler in den Klebebänden der Sammlung systema-tisch vom Bildnis, alttestamentliche, neutestamentliche, heilige und profane Szenen bis zu Stu-dien und Ornamenten. Er fügt umfangreiche Verzeichnisse von Künstlernamen an, die nach seiner Meinung in einer repräsentativen »kompletten« Sammlung vertreten sein sollten. Das Bemerkenswerteste ist jedoch die der deutschen Schule beigeordnete »Dissertation sur l’origine de la Gravure et sur les premiers Livres d’Images«, in der er umfängliche Untersuchungen zu den Anfängen der deutschen Holzschneidekunst und ältesten illustrierten Büchern anstellt und diesen Abschnitt mit einem Monogrammverzeichnis sowie mit Abbildungen alter Dar-stellungen versieht. Er selbst besaß eine ausgewählte Bibliothek von wertvollen Inkunabeln und seltenen illustrierten Wiegendrucken des 15. und 16. Jahrhunderts, die nach seinem Tode zu Teilen in das Dresdener Kupferstich-Kabinett und vor allem in die Königliche Bibliothek (heute Sächsische Landesbibliothek) gelangt sind. Heinekens Erkenntnis vom Wert altdeut-scher Kunst war für das 18. Jahrhundert ungewöhnlich und wurde nur von wenigen Zeitge-

2 Recueil d’Estampes d’après les plus célèbres Tableaux de la Galerie Royale de Dresde Band 2 · 1753Foto: Martin Schuster

3 Recueil d’Estampes d’gravées d’aprés les Tableaux de la Galerie Royale et du Cabinet de S. E. M. le Comte de Bruhl 1754Foto: Martin Schuster

4 Idée générale d’une Collection complete d’Estampes avec une Dissertation sur l’orgine de la Grafure & sur les premiers Livres d’Images 1771Foto: Martin Schuster

5 Dionysius Longin vom Erhabenen. Griechisch und Teutsch; Nebst dessen Leben, einer Nachricht von seinen Schrifften, und einer Untersuchung, was Longin durch das Erhabene verstehte. 1737Foto: Martin Schuster

Page 5: Johann Heinrich · Auch bezieht sich die Erwerbstätigkeit für das Dresdener Kabinett unter seinem Einfluß auf die Frühzeit des deutschen Kupferstichs vor Dürer, und Heuchers

116 117

nossen geteilt. Die Anschaulichkeit der Kunst und die konkrete Überlieferung geschicht-licher Ereignisse durch sie mögen sein nationales Fühlen und historisches Denken geweckt haben. Das gesamte Schaffen der deutschen Aufklärung, von Winckelmanns kunsthisto-rischen Schriften bis hin zu Lessings Dramen, dient dieser bedeutsamen Aufgabe.

Auch bezieht sich die Erwerbstätigkeit für das Dresdener Kabinett unter seinem Einfluß auf die Frühzeit des deutschen Kupferstichs vor Dürer, und Heuchers fast 1000 Blätter um-fassender Kollektion kann Heineken noch 427 deutsche und 121 italienische Blätter hin zu-fügen.10 Für seine Privatgalerie kauft er außerordentlich billig aus dem Besitz des Königs 173 Bilder, unter denen ein Porträt Dürers und Gemälde von Cranach gewesen sein sollen. In den sog. Bollensdorfer Akten findet sich folgende, diesen Kauf betreffende Stelle11: »Alle di-ese Stücke … habe ich eigentlich nicht verkauffen wollen, weil solche bloß der Antiquität halber zu achten und sonst nicht leichter als vor ein sehr weniges an Mann zu bringen sind. Meine Absicht war, mir in der Antiquität aus diesen Stücken ein Studium zu formiren und vielleicht zu decouvriren, daß die Mahlerey in Öhlfarbe noch eher in Sachsen als in den Niederlanden exerciret worden.« Wohl hat sich inzwischen durch die Kunstgeschichtsfor-schung die Priorität niederländischer Malerei bestätigt, aber Heineken dürfte hiernach doch einer der Ersten gewesen sein, der die Bedeutung der offiziell erst in unserer Zeit gewürdigten sächsischen Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts geahnt hat.

Heinekens enzyklopädistischen Bemühungen, die angewandte wissenschaftliche Akribie sowie die rationalistische Systematik seiner Erkenntnisse zeigen, daß seine Kunstanschau-ung ganz im Geiste der Aufklärung wurzelt. Für Heinekens Wirken mögen namentlich Chri-stian Wolffs (1679 – 1754) angefeindete Aufklärungsgedanken bestimmend gewesen sein. Wolff wollte die Philosophie mit dem praktischen Ziel nutzen, die Menschheit durch um-fassendes Wissen, genaue Forschung und klare Erkenntnis glücklich zu machen. Er suchte dabei die formallogische Methode zur Geltung zu bringen und erkannte als höchstes Gesetz des Denkens den Satz vom Widerspruch. Wolffs Verdienst besteht vor allem in der Faßlich-keit und Übersichtlichkeit seines Systems sowie in der damals ungewöhnlichen Anwendung der deutschen Sprache bei der Darlegung seiner Theorien.

Wolffs Postulat, daß man jedes Gebiet der Wirklichkeit sowohl durch apriorische Er-kenntnis aus dem Verstande als auch durch aposteriorisches Wissen aus der Wahrnehmung konstituieren sollte, mochte Heineken für seine wissenschaftliche Arbeit besonders wichtig erscheinen. Er geht dabei jedoch über den einfachen Empirismus der älteren kunsthisto-rischen Schriften hinaus und schafft sich eine rationalistische Systematik, die gewißlich aus den Kenntnissen und Möglichkeiten des 18. Jahrhunderts geboren ist, entwicklungsgeschicht-lich aber hoch bedeutsam wird. Denn über die bloße Erkenntnis, gewonnen aus Beobach-tung, Vergleich und Erfahrung, gelangt Heineken zu Verallgemeinerungen und zu einer »Theorienbildung«, die ihr Kriterium in seinen praktisch nutzbaren Schriften findet.

Carl Heinrich von Heineken wird 1763 nach Ableben seines Gönners Brühl in einem Pro-zeß wegen Veruntreuung von Steuergeldern und Kunstgut zur Rechenschaft gezogen und lange Zeit gefangen gehalten. Obwohl sich seine Unschuld in der von Hagedorn geführten Untersuchung erweist, wird er seiner Ämter entsetzt und muß Dresden für immer verlassen. Er siedelt nach Altdöbern über, befaßt sich mit landwirtschaftlichen Angelegenheiten und ist bis zu seinem Tode 1791 als Kunstschriftsteller tätig.

Heinekens Leben zeichnet Größe wie Tragik gleichermaßen aus, eine Gestalt, verhaftet im deutschen Schicksal – mit seiner Willfährigkeit mitschuldig zu werden an der verderb-lichen Entwicklung seiner Zeit. Was bleibt, weit über dem moralischen Versagen, ist die schätzbare wissenschaftliche Leistung, die ihm den Namen eines Vaters der deutschen Kup-ferstichkunde eingebracht hat.

Anmerkungen

1 Mutschmann, Tendenz, Aufbau und Quellen der Schrift vom Erhabenen. Berlin 1913. 2 Carl Justi, Winckelmann in Deutschland. Band 1, Leipzig 1866, S. 290. 3 Recueil d’Estampes d’apres les plus célèbres tableaux de la Galerie Royale de Dresde. Dresden Vol. I 1753, Vol. II

1757. 4 Konzept des Briefes »An Herrn Winckelmann nach Rom. Altdöbern d. 19. Aug. 1758«. In »Briefwechsel und Notizen

1728 – 1762«, Kupferstich-Kabinett Dresden, Kat. Nr. 140, S. 63 – 64. 5 Pellegrino Antonio Orlandi, Abecedario Pittorico. 1. Auflage 1704, 2. verbesserte Auflage 1753. 6 Giuseppe Ghezzi, Il Centesimo dell’anno 1695 celebr. in Roma dall Accad. del Designo. 1695. Dergl., Le Pompe dell

Accad. del Diseg. celebr. nel. Campidoglio. Weitere Jahresberichte über Capitol-Sitzungen der Accademia di San Lucca.

7 Konzept des Briefes »pour remettre a Mr. Schwender, Marchand Libraire d’Amsterdam«. In »Briefwechsel und No-tizen 1728 – 1762«. Kupferstich-Kabinett Dresden, Kat. Nr. 140, S. 73.

8 Karel van Mander, Het Schilderboek. Haarlem 1612. Cornelis de Bie, Het Gulden Cabinet. Antwerpen 1661. Arnold Houbraken, De groote Schouburgh der Nederlandsche Konstschilders en Schilderessen. Teil 1/2 1728, Teil 3 1731. Jan van Gool, Nieuwe Schouwburg der Nederlandsche Kunstenaars. Haag 1750.

9 Walter Koschatzky, Die Gründung der Kunstsammlung des Herzogs Albert von Sachsen-Teschen. Ein Beitrag zur Geschichte der Albertina. In »Albertina-Studien« Heft 1, Wien 1963, S. 11. K. nimmt an, daß Heineken der Ordnung des Kupferstich-Kabinettes Dresden seine »Idée générale« zugrunde legte, jedoch erscheint das Werk erst 8 Jahre nach Heinekens Amtsentsetzung.

10 Werner Schmidt, Erste Beachtung früher Kupferstiche im Dresdener Kabinett. In »Kunstmuseen der DDR, Mittei-lungen und Berichte«, Band III, Leipzig 1961, S. 29 – 31.

11 Bollensdorfer Akten. Band III, Nachschrift zur Liste der vom König erhaltenen Gemälde. Zitiert nach O. E. Schmidt, Minister Graf Brühl und Karl Heinrich von Heineken. Berlin/Leipzig 1921, S. 328, Anmerkung 5.

6 Nachrichten von Künstlern und KunstsachsenBand 1 · 1768 Band 2 · 1769Foto: Martin Schuster

7 Dictionaire des Artistes dont nous avons des estampes 1778 – 1790Foto: Martin Schuster